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Wie ich zum andernmal fast in die Fallstricke der Frau Venus geraten wäre
Als ich meinen Junker hatte müssen hergeben, fühlt ich nichts mehr für das Weib, wähnte mich auch in meiner weltabgekehrten Stimmung ein für allemal gefeit gegen Eros Geschosse.
Eheu! Daß es ein Wahn sein mußte!
Hätte mir doch ein prophetischer Geist in einem Zauberspiegel gezeigt, was dieses Weib aus mir ehrlichem Altsachsen machen sollte!
In einem Bierfasse hätte ich mich ersäuft, ehe daß ich ihr nachgelaufen wäre!
Aber das ist ja das Geheimnis der Siege der Hölle, daß ihre Kriegsknechte zusammenhalten wie das Pech und der Schwefel, daraus sie sind. Wohingegen der Engel, der einen zu warnen hätte, sich rar macht und denkt, er täte das Seine, wenn er einem aller Jubeljahr mal ein Verlangen nach dem Frieden des Himmels einflößt.
Kaum hatten mich die flehentlichen Bitten der verwaisten Sachsen von meinem Platon fortgerissen, kaum hatt ich dem Teufel Alkohol ein 105 Millimeterchen nachgegeben, da gesellte sich Teufel Eros dazu.
Das Weib mit den tausend Dämonen im Auge spukte wieder in meinen Sinnen, daß ich's zuletzt nicht lassen konnte, erstand mir ein Billett und ging ins Sommertheater.
Die Teufel richteten es ein, daß ich ohne Bedenken wegen der Pauker sein konnte. Welches Bedenken freilich, wenn ich's mir recht überlege, auch nichts geändert hätte. Es wurde nämlich Kabale und Liebe gegeben.
Meine Urania, so nannte sie sich und anders will ich sie auch nicht nennen, gab die Luise. Ich dachte daran, wie dieses Weib mit ihren Hexenaugen und mit ihrer Schlangengewandtheit mich und meinen Junker zugleich in Fesseln gelegt hatte. Glaubte nicht anders, als diese Schauspielerin von der Natur wegen brauchte sich nur eben auf die Bretter zu stellen und man würde was erleben, deren gleichen keine Bühne auf der Welt sonst aufzuweisen vermöchte.
Du lieber Himmel! Muß zwar bekennen, daß mir diese Millerin überhaupt wenig angenehm ist. Hat für mich was Hysterisches, die ganze Person. Am besten wird's die Schauspielerin treffen, wenn sie den ganzen Abend an dünne Limonade denkt.
Urania dachte aber ganz augenscheinlich weder an Limonade noch an Schiller noch an Ferdinand, es hätte denn ein angenehmer Jüngling dieses Namens etwa müssen im Parkett 106 sitzen. Man sah ein schönes Weib auf der Bühne, das ins Publikum hinein kokettierte, das war alles.
Aber selbst ihre Schönheit enttäuschte. Hätte sie sich nur ein ganz klein bißchen weißen Puder aufgelegt und weiter nichts, so wäre sie in ihrer schmiegsamen Schlankheit, mit ihrem feinen Oval und ihren großen Schmachtaugen wenigstens äußerlich eine unvergleichliche Luise gewesen. Aber es ist ja leider Gesetz, daß die Millerin blond sein muß.
Ich bin nun zwar ein schlichter Bauernsohn und mein Geist war in meiner Jugend, abgesehen von diesem einen Intermezzo, mehr mit den Gedanken des Platon, des Cicero und des Tertullian ausgefüllt, als mit Betrachtungen oder gar Studien über weibliche Schönheit; im reiferen Alter aber ebenmäßig mit dem Studium der Welt und ihres Treibens. Bin also nichts weniger als ein Kenner.
Aber das will ich doch kühnlich behaupten: es gibt keine scheußlichere Barbarei, als daß sich ein blondes Weib ein schwarze Perücke aufsetzt, oder umgekehrt, oder auch, und das sollten sich unsre Modedämchen gesagt sein lassen, daß sich ein Frauenzimmer die Haare färbt, sei es goldig oder rötlich oder wie auch immer.
Was! Bei den Tieren des Waldes, bei dem Pferde, bei dem Hunde, bei dem Kaninchen hat die Natur ihre gottgewollten Beziehungen zwischen der Farbe der Haare und sonstigen Beschaffenheiten des Körpers. Und bei der 107 schönsten ihrer Schöpfungen sollte das willkürlich sein?
Ich will mich vermessen, bei jedem wirklich schönen Weibe, denn wo nicht eine den Kenner befriedigende Schönheit ist, welche Schönheit natürlich keineswegs die sogenannte regelmäßige zu sein braucht, da ist der Natur irgendein Hemmnis in die Quere gekommen. Bei jedem Weibe also, das der Natur geglückt ist, will ich mich nicht nur vermessen, wenn ich ihre Augen sehe, Farbe und Form ihrer Haare zu bestimmen und umgekehrt. Das wollte am Ende nicht viel sagen, wiewohl es natürlich mit dem bekannten Schema: Blaue Augen blonde Haare und so weiter, längst nicht getan ist. An der ruhenden Gestalt sogar – wenn ich den Gang sehe, ist's eine Kleinigkeit – will ich den Typus erkennen. Ja eine ganz vollkommene Schönheit, wie man zu seiner wonniglichen Ueberraschung wohl hier und da in der Welt mal eine findet, braucht mir nur ihre Hände zu eingehender Betrachtung darzureichen und ich will ihren Typus bestimmen.
Indessen sind das, wie gesagt, nur die stillen Erwägungen eines schlichten Mannes vom Lande, der in Fragen dieser Art sozusagen Laie ist.
Urania erschien also in blonder Perücke und weil das zu ihrem ganzen Habitus in keiner Weise paßte, erregte ihre Erscheinung Befremden, vermochte also nicht zu befriedigen.
Ganz aus den Wolken fiel ich aber erst, als ich wahrnahm, daß sich ihre Bewegungen, deren 108 Anmut mir schlechtweg vollkommen erschienen war, auf der Bühne eckig ausnahmen. Ja selbst das entzückende Schweben ihres Ganges erschien auf der Bühne als ein ziemlich ungeschicktes Gehen.
Das mochte nun alles auf mangelnder Schulung beruhen. Aber es wurde mir bald klar, nicht nur an diesem ersten Abend, daß sie immer nur sie selbst sein konnte. Ihre schauspielerische Begabung hatte die Eigentümlichkeit, daß sie versagte, sobald sie die Bühne betrat. Sonst kann ich nämlich in dieser Beziehung nur mit der höchsten Bewunderung an sie denken; im Leben hat sie sich stets als ein Schauspielergenie von Gottes Gnaden erwiesen. –
Wie ich das eben durchlese, was ich über Urania geschrieben habe, so fällt mir ein Ausdruck ein, den unser alter Direktor gebrauchte, wenn ihm eine Behauptung entschlüpft war, die er bei reiferem Nachdenken ehrlicherweise nicht aufrecht erhalten konnte: er verlangte dann, wir sollten seine Behauptung cum grano salis verstehen.
Also ersuche ich meine Leser, alles was ich über Urania gesagt habe, sofern es ein schiefes Licht auf sie werfen könnte, cum grano salis durchzustreichen. Nicht minder ersuch ich Urania, falls sie mich überleben wird und irgendein Wind ihr diese Zeilen vor die Augen wehen sollte, sie wolle ihrem vielgetreuen Wilhelm diese und etwaige ferneren Uebereilungen zugute halten und sein Andenken nicht vor der scheelblickenden 109 Oeffentlichkeit herabsetzen. Womit sie sich vor dieser Oeffentlichkeit ja ebenfalls in ein schlechtes Licht setzen würde. Von mir wird sie, nämlich Dame Oeffentlichkeit, unter keinen Umständen den wirklichen Namen meiner schönen, klugen, heißgeliebten Urania erfahren. –
Damals hatte sie sich auch nicht geschminkt, was sie überhaupt verschmähte. Das war ein edler Stolz und übrigens verständig, denn sie erhielt sich dadurch ihre Schönheit außerhalb des Theaters um so besser. Nun wird ja allgemein behauptet, daß die Theaterlampen geschminkte Gesichter verlangen. Ich lasse das dahingestellt sein. Aber das ist sicher, daß sich nicht eine einzelne ausnehmen darf, wenn sich die andern schminken. Zudem verlangte das goldblonde Haar, wenn sich auch die Formen des Körpers nicht wegschminken ließen, doch zum wenigsten statt des Marmortones den Ton des Meißner Porzellanes. Mit einem Wort: Urania fiel in jeder Weise erbärmlich ab.
So glaubt ich denn dieser Leidenschaft, die mich übel aus meinem Behagen geworfen hatte, los und ledig zu sein. Setzte mich nach beendigter Vorstellung in den Garten, bestellte mir ein Beefsteak mit Bratkartoffeln und Zwiebeln und gedachte, statt der sündigen Augenlust in Züchten meines Bauches zu pflegen.
Ja, wenn die Hölle nicht auf der Lauer gelegen und mein Engel nicht geschlafen hätte!
Denke an gar nichts weiter, als daß mir nun bald der angenehme Duft der braunen Butter, 110 des saftigen Fleisches und der Zutaten in die Nase steigen wird. Blicke demgemäß in einen sanften Halbtraum versunken nach einer Freitreppe, die ins Restaurant führt, und warte, ob sich unter den auf und ab laufenden Kellnern bald der Ganymed mit meiner Atzung und Tränkung zeigen werde.
Da seh ich auf einmal zwischen den schwarzen Fracks eine Gestalt, die auch in Schwarz gekleidet war, aber wahrhaftig nicht wie ein Kellner aussah. Majestätisch wandelte Urania die Stufen herab. Könnte das Bild malen.
Gleich war der Zauber wieder da. Ein Weib, das einen schönen Gang hat, ist eine Erscheinung, bei der mir altem Knaben noch heute das Herz im Leibe lacht. Schade, daß man sie so selten sieht. Urania hatte aber einen schönen Gang und das zeigte sich wunderherrlich, wie sie die Stufen herabschritt. Warum sich ihr Gehen auf dem Theater nicht gut ausnahm, vermöcht ich nicht zu sagen. Da müssen wohl andre Schönheitregeln gelten als in der Wirklichkeit.
Weiß nicht, ob ich mich instinktiv gegen den Zauber wehren wollte. Ich dachte jedenfalls in dem Augenblicke, das ist doch eine Unverschämtheit, sie trauert um meinen Junker, als wär er ihr Verlobter gewesen. Aber es stand auch gleich ein Gedanke wider den andern: sollte Schönheit nicht einen wahrhaftigeren Adel verleihen als ein Wappenschild?
Denn solcher Weisheit bedurft ich damals, um eine Verbindung dieser Art für echt und 111 gehörig zu befinden. Wie ich heute über derlei Dinge denke, das gehört nicht hierher. Die Tatsache ist jedenfalls da, daß Grafen- und Prinzenkronen den Priesterinnen der fidelen Muse fast mit einer gewissen Vorliebe in den Schoß fallen.
Bemerke übrigens hier gleich vorweg, daß ich in der Folge einen Brief gelesen habe, aus dem unwiderleglich hervorgeht, daß sich mein Junker wirklich hat mit ihr verloben wollen, obwohl er sie ja nur eben erst kennen gelernt hatte.
Will nun jemand meinen Junker wegen dieser Uebereilung als einen fahrigen Charakter mißachten, oder aber mich ungefähr solchergestalt zur Rede setzen: Halt, Freundchen, wir durchschauen dich, diese unwahrscheinliche Behauptung stellst du nur auf, um deine eigene tolle Verliebtheit, in der du dich ja schon hinlänglich bloßgestellt hast, etwas weniger unwürdig eines gesetzten Mannes erscheinen zu lassen; so hab ich diesem und allen andern Leuten, die etwa im Laufe meines Berichtes ähnliche Vorwürfe erheben werden, ein für allemal nur ein Wort zu erwidern: Freundchen, du hast Urania nicht in ihrer Jugend gesehen.
Könnte aber allerdings sein, daß der liebe Gott meinen Junker eben wegen dieser Verlobung von der Erde genommen hat. Denn er wäre namenlos unglücklich geworden. Will beileibe nicht sagen, Urania wäre nicht die geeignete Dame gewesen, ihrem Gatten das Leben zu einem wahren Paradiese zu gestalten. Sie war gewiß 112 ein Edelstein von der allerköstlichsten Art. Aber dieser Edelstein wollte auch seinem Werte entsprechend in Gold gefaßt sein. Wie sie's als Unverheiratete getrieben hat, ist eine andere Sache. Aber Frau Gräfin zu heißen und nicht einem höchst gräflichen Hause vorzustehen, damit hätte man ihr nicht kommen dürfen. Ich mag mir nicht ausmalen, wie das gegangen wäre.
Die Augen sehnsuchtsvoll geweitet, den Mund wie zum Seufzen leicht geöffnet entschwebte Urania nun damals in die dunkeln Teile des Gartens, allerdings nicht ohne einen Umweg; und zwar nahm sie diesen mitten über den hellerleuchteten Platz hinüber, so daß jeder Tisch durch den Anblick ihrer edeln Trauer entzückt und erhoben wurde.
Man sah wohl, daß mancher ihr gern gefolgt wäre, das wagte jedoch niemand. Ich sagte mir aber so still in meinem Sinne, es kann ja nicht den Hals kosten, stand gemächlich auf und verzog mich sachte in den Hintergrund. Weil ich mich ein wenig abseits gesetzt hatte und wohl auch, weil ich so klein von Natur war, fiel das niemand auf.
Da ich nun auf dem Lande geboren und aufgewachsen bin, besaß (und besitze) ich außer andern Gaben, von denen der Städter keine Ahnung hat, auch scharfe Augen. Als sich diese meine Augen nur erst an das Dunkel gewöhnt hatten, sah ich meine Göttin süß hingegossen auf einer Bank sitzen und schmachtend zu den Sternen aufblicken.
113 In meiner kindlichen Unschuld dacht ich, es möchte wohlgetan sein, wenn ich sie mit einer blumenreichen Wendung anredete.
Schöne Muse des gestirnten Himmels, sagt ich, dort oben sind der Sterne genug, aber hier ist es dunkel. Es ist eine übel angebrachte Wohltat, daß Sie auch noch den Stern Ihres Auges nach oben wenden!
Gleich bei dem Worte schöne Muse bemerkte ich, daß Urania etwas wie ein elektrischer Strom durchzuckte. Ihre Augen blitzten mich an, nichts mehr von trübsinnigem Schmachten, der ganze Mensch war Leben und Feuer. Mau hätte sie können mit einem edeln Vollblut vergleichen, das nach langem Herumstehen zum Start anhüpft. Welcher Vergleich damals allerdings für jeden, der mir etwa damit gekommen wäre, die übelsten Folgen gehabt hätte.
Auf eine so blumenreiche Anrede war sie nun aber doch nicht gefaßt. Sie sah mich eine Weile stillschweigend an und das keineswegs unfreundlich. Will nicht in Abrede nehmen, daß mir unter diesem Blicke wonniglich zumute war. Hätte wohl nicht vieles gegeben, was ich nicht getan hätte, wenn ihr ein Verlangen danach beigekommen wäre.
Ach, sagte sie endlich mit einem Lächeln, das mir wie Honig einging, das ist ja der Herr Primaner und Oberabiturient! Ja wenn ich so helle Vergißmeinnichtaugen hätte wie gewisse andre Leute! Ich schaue mit schwarzen Augen in den 114 schwarzen Himmel, und traurig wie die Nacht bin ich auch.
Sie hatte zuerst ganz lustig gesprochen, aber dann ihre Stimme gesenkt, plötzlich und übertrieben, wie schlechte Schauspieler, wenn sie tragisch sein wollen.
Nun paßte es mir überhaupt nicht, daß sie gleich tragisch wurde. Setze mich also neben sie, als ob sich das von selbst verstände, und sage so recht wie einer vom Lande: O was das anbelangt, gegen die Traurigkeit hab ich eine sehr probate Medizin. Nennt sich Tinctura Veuve Cliquot. Wenn's genehm ist, schaff ich ein Fläschchen dieses Balsams herbei.
Sie lacht, ohne einen Laut von sich zu geben, wie damals am ersten Abend und glaubt, ich hätt's in der Dunkelheit erst recht nicht bemerkt. Rechnet aber nicht mit meinen scharfen Augen. So sagt sie elegisch: Er mochte so gern Champagner!
Ich nun hatte in meinem Sinne solchermaßen mit mir selbst geredet: Wilhelm, sagt ich, diese Sache mußt du richtig anfangen, nicht zu hastig und auch nicht zu langsam, sondern grade wie es richtig ist.
Gehe denn also zuvörderst auf ihre Trauer ein, sage, daß ich sein bester Freund gewesen bin, und muß ihr alles erzählen. Wobei ich zwar nichts übertrieb oder entstellte, aber auch nichts verwässerte, so daß sie alles von A bis Z in seiner Schauerlichkeit zu hören bekam.
Weiß wohl, das war im tiefsten Grunde eine 115 Untreue von mir. Hat mir auch oft genug schwer auf der Seele gelastet. Will einer mit Steinen nach mir werfen, so zieh ich die Kapuze über den Kopf und halte still. Weiß ihm auch hier nichts weiter zu sagen als: Freundchen, du hast das Weib nicht gesehen!
So sitzen wir in stiller Nacht nebeneinander und Urania wird auch immer stiller und blickt am Ende stumm zu den Sternen auf. Als ich zu Ende erzählt habe, fragt sie mit verträumter Stimme: Sind Sie so stark?
Ich antworte der Wahrheit gemäß und frage so ganz treuherzig, wie das nun mal meine Art ist, ob sie meinen Arm anfühlen wolle. Sie sagt nichts, faßt mit ihren schlanken Fingern meinen Arm und stößt einen leisen Ruf des Erstaunens aus.
Recht gern hätte ich diese Finger ein bißchen geküßt. Nun sah ich aber wohl, daß ich in ihren Augen wegen meiner offenbaren Körperkraft ein ganz andrer Kerl geworden war, ein wahrer Riese nämlich. So zeigt ich mich, um ihr gefällig zu sein, weniger von der zarten als von der mannhaften Seite und stand von dem Handkusse ab.
Es war tiefe Nacht geworden. Urania hatte wohl eine Stunde lang geschwiegen. Auf einmal schauerte sie zusammen, fuhr auf und bemerkte mit Schrecken, daß alle Lichter hinten ausgelöscht waren. Sprang auf und verlangte heimzugehen.
116 Das Sommertheater lag weit vor der Stadt. Der Weg führte durch eine Gegend, die zu einem Stadtparke umgewandelt werden sollte, damals aber Wiesen- und Waldgelände war. Die Gegend hieß schon voreilig der Stadtpark. Mir war aber bekannt, daß sie früher »Zum bösen Hunde« geheißen hatte. Da mir nun im Augenblicke nichts andres einfiel, erzählte ich Urania dies, zufällig grade in der tiefsten Einsamkeit, wo alte Buchen am Wege standen und an beiden Seiten Gestrüpp war. Fühlte mit wonniglichem Schauer, wie sich Urania dicht an mich preßte, und hatte nicht übel Lust, sie auch meinerseits zu pressen. Da sie mir nun aber in ihrer Angst leid tat, sprach ich ihr zu, berichtete ihr, daß mein Handstock innen aus Eisen war und versicherte, was ich ja auch versichern durfte, daß ein Schlag über die Schnauze auch den wildesten Hund für alle Ewigkeit zahm und still machen würde.
Als wir in die Stadt kamen, die schon ganz eingeschlafen war, trat Urania von mir fort, ging stumm neben mir her und sah verstört aus. Vor ihrer Wohnung zog sie den Hausschlüssel hervor, konnte aber nicht damit zustande kommen, weil ihr die Hände zitterten. Ich bat höflichst, ihr behilflich sein zu dürfen, schloß die Haustür auf und zündete ein Licht an, das ich auf dem Flure fand. Sie ließ es stumm geschehen, nahm das Licht und sagte: Gute Nacht! Alles in einer Art, als ob sie nicht recht wüßte, was sie täte. Sie war dermaßen verschüchtert, daß 117 sie ein ganz andres Wesen geworden zu sein schien.
Nun hatt ich zwar noch so manches auf dem Herzen. Allein ich besann mich auf meinen Wahlspruch: Wilhelm, nicht zu hastig, begnügte mich mit einem bescheidenen Handkusse und ging still meines Weges. Mir gutem Jungen war selig zu Sinne, weil ich meiner Göttin hatte dürfen die Hand küssen. Nicht einmal um das nicht genossene Beefsteak trug ich Leid, und selbst das vermochte meinem stillen Frohsinn keinen Abbruch zu tun, daß ich das Bratenstück am nächsten Abend noch habe müssen bezahlen.
Denn dieser nächste Abend sah mich muntern Knaben wieder unter den Zuschauern des Orpheus und hernach wieder im Garten.
Hatte mich vorbedachtsam mit einigen Goldstücken versehen und es zeigte sich bald, daß dies wohlgetan war.
Urania hatte nicht mitgespielt, mußte sich aber doch hinter den Kulissen aufgehalten haben, denn sie kam nachher mit einer Sängerin zum Vorschein. Die beiden taten, als ob sie mich nicht sähen, und setzten sich allein an einen Tisch, der von den andern abseits hinter Buschwerk stand. Urania sah blaß aus. Statt einer Sieghaftigkeit, in der sie sonst einherging, war in ihrem Wesen immer noch eine sonderliche Verstörtheit.
Ich war eben dabei, das ominöse Beefsteak zu bezahlen, nahm das aber wohl in acht. Weil mich des lieben Geschöpfes nun in der Seele 118 erbarmte, beschloß ich, sie wieder heiter zu stimmen, soviel es in meinen Kräften sei, auf die Gefahr hin, daß sie ihrer offenbar der Bewunderung entspringenden Scheu vor mir ledig würde.
Bedeute demgemäß meinen Kellner, er möge an jenen Tisch eine Flasche Veuve Cliquot mit drei Gläsern bringen, und in der Folge eine zweite Flasche, aber ganz im stillen; denn vom Protzen bin ich niemals ein Freund gewesen.
Ich selbst aber begab mich in den hintern Teil des Gartens, wo ich gestern mit Urania gesessen hatte und erst von da aus, denn wozu sollt ich groß Aufsehen erregen, zu den beiden Damen.
Urania erschrak heftig und es schien, als wollte sie die Flucht ergreifen. Ich sah aber, wie die andre Dame sie heimlich am Kleide festhielt.
Tue nun so, als ob ich nichts bemerkte, ziehe meinen Hut und nehme mir mit einem »Die Damen gestatten wohl« gleich einen Stuhl. Denn, dacht ich mir so still in meinem Sinne, wer viel fragt, bekommt viel Antwort.
Fange frischweg an zu plaudern, und zwar vom Theater, denn das mußte die beiden Damen ja wohl interessieren.
Die andre war auch hier im Sommertheater eine untergeordnete Sängerin. Sie mochte am Ende der zwanziger Jahre stehen und war noch recht hübsch. Dabei war sie entschieden gutherzig, aber eine sonderbar einseitige Natur: es war nicht möglich, mit ihr über irgend etwas 119 in der lieben Gotteswelt zu reden außer über Liebesverhältnisse; auch konnte sie sich von andern nicht vorstellen, daß sie sich für sonst irgend etwas interessierten.
Sie nannte sich, weiß der Himmel, was sie sich dabei dachte, mit Vornamen Jolanthe.
Ich fing denn nun ganz unbefangen und sozusagen unparteiisch mit Jolanthes Rolle an, lobte ihre Stimme und ihr Spiel und schalt auf den Regisseur, daß er ihr keine größere Rolle gebe. Sie schüttelte aber nur schmerzlich den Kopf, lächelte verliebt und blickte schmachtend nach irgendeiner Himmelsgegend.
Urania sah sie schelmisch an und flüsterte ihr etwas ins Ohr, wovon ich nur das Wort Er verstand, denn das wurde sehr betont. Jolanthe nickte ernsthaft und seufzte.
Kann wohl sagen, daß mir die Person in diesem Augenblicke höchst widerwärtig war. Wurde aber von der Sache abgelenkt, denn nun kam der Kellner mit dem Sekt und Urania hatte das kaum gesehen, da sprang sie wirklich auf und wollte entfliehen.
Jolanthe stand mir wiederum zur Seite, indem sie Urania umschlang und ihr eifrig ins Ohr flüsterte. Ihre Augen schwammen in Zärtlichkeit. Liebesangelegenheiten waren so ihr Element, daß es ihr fast gleich war, ob ihre oder andrer Leute Sachen im Gange waren, wenn's nur um Liebe ging.
Mich dagegen jammerte der lieben Urania sehr. So sage ich denn, um sie zu beruhigen, 120 daß ich vom Lande sei und eine große Bewunderung für die Bühne habe. Nun habe sie besonders von vornherein auf mich einen solchen Eindruck gemacht, daß ich sie gestern unter einem unwiderstehlichen Triebe angeredet habe, dermaßen, daß ich mich selbst nachträglich erschrocken hätte. Auch vorhin habe mich wieder jener Zwang ergriffen, es habe mich jedoch eine so große Mutlosigkeit befallen, daß ich nur, um meinen Geist mit Tapferkeit zu erfüllen, ein Fläschchen Schaumwein bestellt hätte.
Urania blickte mich an und wußte nicht, was sie sagen sollte. Mich übernahm aber ihre Schönheit dermaßen, daß ich, wie ich mir wenigstens denke, recht wie einer vom Lande ausgesehen habe, kann sogar sein, einigermaßen einfältig.
Urania verwandelte sich zusehends. Ihre Schüchternheit verflog, sie setzte sich und ließ sich unschwer bewegen, von dem Sekt zu nippen, was ich schon am ersten Abend so gern gesehen hatte.
Indessen kam ihr augenscheinlich doch wieder eine Anwandlung, mir zu mißtrauen.
Nunmehr ging ich ganz natürlich dazu über, auch ihre Rolle zu besprechen, wie vorhin die der Jolanthe. Lobte sie über die Maßen und versicherte, daß mir die Millerin durch ihre Darstellung erst glaubhaft geworden wäre, sowie daß sie mir überhaupt, sobald sie die Bühne beträte, wie die Muse Melpomene in Person erschiene.
121 Dies nun war, ich muß es mit tiefer Beschämung eingestehn, nicht an dem. Im Gegenteil, wie schon gesagt, ich hielt sie für eine ganz elende Schauspielerin.
So hab ich mich denn allerdings jenes eine Mal im Leben von meinem Mitgefühl hinreißen lassen, die Unwahrheit zu sagen. Wenn es nun auch nur geschehen ist, um eine Unglückliche zu trösten, so soll doch gewißlich ein Christenmensch dem andern nichts vorlügen. Auch ein echter Altsachse tut so etwas im allgemeinen nicht. Vom Standpunkte eines Jüngers des unsterblichen Platon aus könnte sich die Sache allerdings vielleicht anders ansehen. Indessen mag das dahingestellt sein. Ich wünsche nicht, daß irgend so'n Philologe mich auf diese Behauptung festnagelt, mit den bekannten Auslegungskniffen das Gegenteil beweist und daraufhin gar meine ganze Lebensgeschichte als unwissenschaftlich an den Pranger stellt. Ich will mich überhaupt nicht hinter den Platon verschanzen, auch nicht hinter den Aristophanes, aus dem sich möglicherweise auch noch so dies und jenes zu meinen Gunsten herleiten ließe, noch sonst hinter mein wissenschaftliches Rüstzeug. Sondern ich will mich ohne Winkelzüge des Vergehens der schmeichlerischen Uebertreibung schuldig bekennen und mich der Hoffnung getrösten, daß ich durch dieses offene Bekenntnis und durch eine nachhaltige Reue meinen Fehltritt in den Augen der billig Denkenden wettgemacht habe.
Den Trost aber habe ich außerdem, daß meine 122 gute Absicht glänzend erreicht wurde. Ich durfte gar bald die schöne Genugtuung erleben, Urania so übermütig zu sehen, wie sie vorher betrübt gewesen war.
In ihrer angenehmen Heiterkeit fiel es ihr bei, daß sie mich Herr Zettel anredete und ihrerseits nicht mehr Urania, sondern Titania heißen wollte. Gern tat ich dem lieben Geschöpf den Willen.
Mitten in ihren mutwilligen Späßen erkundigte sie sich nach meinem Onkel Pedro. Ich war einigermaßen erstaunt, daß sie über meine verwandtschaftlichen Beziehungen unterrichtet war, ließ mir aber nichts merken, sondern erwiderte mit dem Ernst, den ein feiner Kopf als das Salz des Spaßes bezeichnet hat: Dank der Nachfrage, dem geht es ganz gut, nur daß er tot ist.
Ueberhaupt ging mein Bestreben dahin, ihre unschuldige Fröhlichkeit doch wenigstens für diesen Abend zu erhalten und womöglich zu steigern. Denn ich war eingedenk, daß unser menschliches Leben kurz ist, dabei reich an Leiden von mannigfaltiger Art, an Freuden dagegen arm.
Jolanthe schien fast verliebter als ich in das herzige Kind zu sein. Uebrigens sprach sie ihrem Kelchglase gar eifrig zu, was ihre zärtliche Stimmung dermaßen steigerte, daß ein Uneingeweihter hätte meinen können, sie wäre in uns beide verliebt. Indessen wäre das irrig gewesen. Die gute Seele erquickte sich vielmehr ganz ohne selbstische Hintergedanken an der zarten 123 Knospe der Zuneigung, die sie zwischen uns zwei jungen Menschlein glaubte sprießen zu sehen.
Ich für mein Teil hielt mich zurück. Habe mir nie viel aus irgendwelchem Schaumwein gemacht, und was Uranias Ausgelassenheit betrifft, so war ich viel zu ernsthaft angelegt, als daß ich es im Wortgefechte mit dem losen Mädchen hätte mögen aufnehmen. Ließ mir denn also ihre Neckereien still gefallen und gab ihr durch treuherzige Blicke zu verstehen, daß meine Gesinnung zu ihr keinerlei Beeinträchtigung erlitt. Dies veranlaßte nun wieder Urania, von meinen Vergißmeinnichtaugen zu sprechen. Damit jeder störende Gedanke an die grobe Außenwelt fern bliebe, lohnte ich den Kellner ganz in der Stille ab, und so vergaßen wir drei Fröhlichen des Tanzes der Horen, bis wir mit Schrecken gewahr wurden, daß wieder die Lichter im Garten ausgelöscht waren.
Den Heimweg zu schildern, ist meine Feder zu schwach. Luna glänzte nicht leuchtender am Himmel, als unsre Gesichter in ihrer Heiterkeit müssen geglänzt haben.
Als wir in der Stadt angelangt waren, kam uns Jolanthe abhanden. Urania zog wiederum ihren Hausschlüssel und ich nahm ihr abermals das Oeffnen der Tür in aller Dienstfertigkeit ab.
Es war ganz wie der vorige Abend und doch, wie hatte es sich in den Herzen gewandelt!
Gute Nacht, Herr Zettel, sagte Urania oder Titania, wie ich sie diesmal wohl nennen muß, 124 und reichte mir in der Haltung einer Fürstin die Hand zum Kusse.
Schon wollt ich mich wiederum still entfernen, da besann ich mich auf meinen Wahlspruch: Wilhelm, nicht zu langsam, und fragte, ob ich sie nicht zu ihrer Bequemlichkeit dürfte die Treppe hinauftragen. Sie sah mich mit großen Augen an, ich aber hatte schon hurtig die Haustür zugeschlossen, hob sie auf meinen linken Arm, nahm das Licht in die Rechte und trug sie raschen Ganges die Treppe hinauf.
Sie stieß einen Ruf des Staunens aus und schlug die schlanken Hände zusammen, indem sie mir gleichsam applaudieren wollte. Ich erblickte eine Tür an der ihre Karte befestigt war. Im Nu war ich mit ihr drinnen. Sie erschien jetzt im Mondenlichte von einer ätherischen Blässe durchhaucht, wagte auch nicht mehr, die erhabne Stille der Nacht durch einen Laut oder auch nur eine Bewegung zu entweihen.
O der unvergeßlichen Minuten, wo der Jüngling, froh des ersten Alleinseins mit der Geliebten, doch verschüchtert vor ihr steht und nicht Worte findet, um das süße Geständnis abzulegen, daß er sich ihr fürs Leben verbunden fühlt! Ach, daß es uns nicht verliehen ist, den Zeiger der Uhr anzustellen!
Jedoch der Augenblick verlangte gebieterisch sein Recht. Ich ließ mich auf ein Knie vor Urania nieder und redete diese Worte: Verzeihe dem Verwegenen, strenge Priesterin der tragischen Muse, welchen nach der wahren Sache nicht 125 Ruchlosigkeit, sondern übergroße Hingegebenheit ins Verderben gestürzt hat. Niemals nämlich hätte ich mich erfrecht, in dies Zimmer einzudringen, welches mir einem irgendeiner Gottheit geweihten Orte nicht nur ähnlich, sondern sogar gleich erscheint, wenn nicht die Begeisterung für deine Kunst, o Urania, mir gleichsam die Besonnenheit entrissen und mich in einen fast Rasenden umgewandelt hätte. Willst du mir nun aus diesem Grunde Verzeihung gewähren, so werde ich dir außer der gegenwärtigen Begeisterung von nun an auch noch in immerwährender Dankbarkeit zugetan sein. Wenn es dir aber unerläßlich erscheinen sollte, daß du mir, bevor du Verzeihung gewährst, eine Buße auferlegst, so bitte ich dich, du wollest das Werk nicht, wie es allzustrenge Priester, sagt man, bisweilen getan haben, so schwierig auswählen, daß es über die dem Menschen verliehenen Kräfte hinausgeht und nur von einem Gotte, oder doch einem Heros, vollbracht werden kann. Was immer du nun auch beschlossen hast, erteile mir, flehe ich, unverzüglich Antwort. Denn das Gemüt des Menschen erträgt die Furcht vor dem Uebel noch schwieriger, als das Ungemach selbst.
Urania nahm mich liebreich bei der Hand, befahl mir aufzustehen und entließ mich in aller Treue und Sanftmütigkeit. 126