Rudolf Huch
Wilhelm Brinkmeyers Abenteuer
Rudolf Huch

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Das sechste Kapitel

Wie auch mir einmal die Sonne des Glückes zu lächeln schien, aber nur Ungemach daraus wurde

Wie es bei meiner zwischen dem Drange, mich in der Welt zu betätigen, und der Sehnsucht nach Versenkung des Geistes in die Wissenschaften immerdar gespaltenen Natur nicht ausbleiben konnte, kam denn doch eine Zeit heran, wo ich des Treibens müde wurde. Flüchtete mich aus dem Kreise der lärmenden Zecher in die Einsamkeit meines Zimmers und gab mich den Studien mit einer solchen Inbrunst hin, daß ich mir nicht einmal die Zeit nahm, Flöte zu spielen.

Welche Feder wäre aber imstande, meine Gefühle zu beschreiben, als eines Abends, da das Girren der Nachtigallen umsonst versuchte, mich von meinem noch über den Gesang der Vögel geliebten Plato weg ins Freie zu locken, der geflügelte Bote Mercurii mit einem Expreßbrief in mein trauliches Arbeitsstübchen eintrat, als ich Bruder Georgs ungelenke Schriftzüge entzifferte! Wieder und wieder las ich die Botschaft, wieder und wieder kniff ich mich an empfindlichen Teilen des Körpers, trat mich selbst 58 auf mein Hühnerauge. Nein, ich träumte nicht, es tat weh, und da stand es leibhaftig: der Onkel Pedro – ist tot!

Immer noch will der Verstand nicht glauben, was das Auge sieht. Ich stürze aus dem Zimmer, renne in das Sachsenhaus, vergesse das Geheimnis, gebe kein Zeichen und rufe mit Donnerstimme: Hurra Saxonia, der Onkel Pedro ist tot!

Die Tür springt auf, man zieht mich herein, umringt mich, die einen bestürzt über meine Unvorsichtigkeit, die andern herzlich teilnehmend, alle durcheinanderrufend!

Nur Zech, der sich in der Rolle des Frondeurs gefiel, seit ich ihn gleich am ersten Abend so schmachvoll niedergetrunken hatte, blieb sitzen und erklärte mürrisch, daß er wegen gröblichen Verstoßes wider die Satzung ein Biergericht berufe.

Ich bekenne mich im voraus schuldig, nur soll mir einer um der Sachsentreue willen die Liebe tun und mir den Brief vorlesen.

Es geschah und war also kein Zweifel mehr möglich.

Da entrang sich dem Herzen ein frommes Dankgebet, da ließ ich die Freunde so gern an meinem Glücke teilnehmen, da vergab ich selbst dem Onkel alles.

Der Wirt, der sich unter Berufung auf seine Eigenschaft als Familienvater geweigert hatte, mir weiter Kredit zu geben, fühlte sein starres 59 Herz in dem allgemeinen Jubel schmelzen und schleifte Bier heran, so viel ich verzapfen wollte.

Das war ein Abend! So muß dem Kamel zumute sein, wenn es nach einer Ewigkeit der Dürre seinen ungeheuren Durst löscht!

Aber nein, das Bild ist noch zu matt. Das unvernünftige Tier empfindet ja nur die Erlösung von der Wut des leiblichen Dranges. Auch ich hatte freilich in meiner dumpfigen Bude Qualen gelitten, die denen des Kamels in der trostlosen Sahara nichts nachgaben. Aber um wieviel höher müssen wir nicht einerseits die Freude des Geistes schätzen, der sich nunmehr im Besitze der Mittel glaubte, den gelehrtesten unter den Menschen ähnlich zu werden, anderseits diejenige der Seele, die ihres Glückes erst wahrhaft inne zu werden vermochte, da ein Kreis wertgeschätzter Freunde in ihren Jubel einstimmte!

Wenn jemals, so ist es mir an diesem Abend gelungen, den Geist des Platon über meine rauhen Sachsen auszugießen.

Auch hier erkennen wir die Gnade der Götter, daß sie den Menschen die Zukunft und das Entfernte verhüllen. Wie die Sache mit der Erbschaft ausging, das wird der Leser ja zu seiner Zeit erfahren, ganz gewiß nicht ohne Schaudern vor den Abgründen der Seele, die sich vor ihm auftun werden.

Für jetzt schweige ich. Jedes weitere Wort könnte nur das Bild reiner Jugendfreude trüben; ein Bild, dessen Anblick das Herz erfrischt, 60 wenn die Lust auch dem reiferen Alter töricht erscheinen muß. –

Bruder Georg übernahm es, das weitere wegen der Erbschaft in die Wege zu leiten. Ich hörte einstweilen nichts von der Sache. Der Geldnot war jedoch abgeholfen. Ich galt nun als reicher Erbe und hatte Kredit so viel ich wollte.

Wenn ich heute aller Augenblicke in der Zeitung lese, wie irgendwo ein Hochstapler die Leute ausgebeutelt hat, daß ihnen die Augen übergegangen sind, und fasse mich an den Kopf und frage mich, wie soviel Dummheit in der Welt möglich sei, dann brauch ich nur an diesen Abschnitt meiner Jugend zurückzudenken, um einzusehen, daß sich die Welt doch nicht so von Grund aus geändert hat, wie man nach dem äußeren Anblicke wohl glauben möchte.

Ich war ja nun freilich ganz gewiß kein Hochstapler, sondern ich kann wohl sagen: umgekehrt, ich gehörte zu den Betrogenen, und der große Gauner, der uns alle ausgeräubert hat wie ein neuzeitlich umgemodelter Schinderhannes, wohnte in Peru. Denn ich war felsenfest überzeugt, daß ich die Erbschaft allbereits sicher in der Tasche hätte, und es wird sich im Laufe dieser Beschreibung ja zeigen, daß ich alle Ursache dazu hatte. Gehörte mithin weder zu den Dummen, noch war ich der Betrüger bei der Sache. Ich war vielmehr, alles wohl erwogen, der einzige, dem auch ein strenger und bedächtiger Mann sein Mitleid nicht versagen wird.

61 Wie benahmen sich diese Spießer, zu denen ich guter Junge stets mit einigem Respekt hinaufgesehen hatte (was ja auch im wörtlichen Sinne zutraf)! Von dem Gefühl Respekt lag mir zwar zeit meines Lebens nicht so ganz viel im Blute. Je mehr ich mich aber in meiner Lebensführung von der bürgerlichen Ordnung entfernt hatte, um so tiefer hatte sich unvermerkt der Respekt vor dieser Ordnung und damit vor den Bürgern selbst in mir festgesetzt.

Mein würdiger Pensionsvater hatte mir gekündigt, mir auch erklärt, wenn er mich noch auf einer einzigen Ausschreitung ertappe, würde er meinem Direktor Anzeige erstatten; denn es würde ihm als Lehrer arg verübelt werden, wenn er ein solches Treiben noch länger duldete, und übrigens wollte er es in seinem bürgerlichen Hause auch sonst nicht haben.

Ich hatte das so hingenommen und mir gedacht: der Mann hat recht. Da ich nun grade damals auf dem Trockenen saß, war inzwischen nichts geschehen. Jetzt war ich überzeugt, er würde seine Drohung wahrmachen, womit meine Laufbahn als Schüler beendet gewesen wäre. Mittags behandelte er mich denn auch wirklich als Luft; es war und ist mir nicht zweifelhaft, daß er entschlossen war, mich anzuzeigen.

Wundere mich selbst, daß mir die Sache so nahe ging. Ich war ein alter Knabe geworden, wußte auch längst, daß ich weder zum Philologen, noch sonst zu einem akademischen Berufe taugte. Das Geheimnis hütete ich nur der 62 Genossen wegen und weil es mir Spaß machte, die Lehrer zu überlisten. Für mein Teil war's mir gleichgültig, ob man mich von der Schule jagte oder nicht.

Nun es aber so weit war, wollte es mir das Herz abdrücken. Wenn ich der Sache auf den Grund gehe, so komme ich zu der Einsicht, daß mir einzig der Verlust der guten Meinung meines Direktors weh tat; denn der alte Herr hielt mich immer noch gegen sein ganzes Lehrerkollegium hoch. Welche gute Meinung mir doch, als auf ganz irrigen Annahmen beruhend, mindestens wertlos, von Rechts wegen aber ein beständiger stillschweigender Vorwurf hätte sein sollen. Der Mensch ist eben nicht so untadelig aufzulösen wie ein methodisch erbautes Rechenexempel.

Gibt ja freilich mordsmäßig verständige Leute, denen nicht ein Fehler in der Zahlenpyramide ihres sogenannten Menschenlebens unterläuft. Wenn so einer die Achseln zuckt und sagt, was soll man von diesem Buche Gewinn erwarten, der Mann hat ja keine Konsequenz: klapp zu, mein Lieber, klapp gleich das Buch zu! Wir beide passen nicht zueinander!

So elend war mir nun damals zumute, daß ich nichts essen und trinken konnte. Mein würdiger Hausvater lachte kurz auf, als er dies wahrnahm, und machte zu seiner Frau gewandt witzige Bemerkungen, wie die, wo ein Brauhaus stände, hätte kein Backhaus Platz. In meiner Niedergeschlagenheit fühlte ich mich wie mit 63 Ruten gezückt, obwohl von dem Zustande, auf den er anspielte, schon längst bei mir nicht mehr die Rede sein konnte; denn ich war ausgepicht.

Sehe noch das gelbe Gesicht mit dem breiten, immer zugekniffenen Munde, glatt rasiert, auch an den Lippen, nur an den beiden Seiten hingen schwarzbraune Bartwulste wie Blutwürste herunter, und dazu trug er sich ganz und gar schwarz; selbst das näherte sich mehr dem Schwarzen als dem Weißen, was man an Wäsche sah. Er wollte so recht als gestrenger Stadtbürger und Schulmeister angesehen werden, und das ist ihm damals bei mir auch gelungen, wiewohl er gefräßig war; diese Eigenschaft schien sich sogar, ich weiß nicht weshalb, mit seiner bürgerlichen und amtlichen Strenge gut zu vertragen.

Es war ein Sonnabend. Den Nachmittag ging er zu seinem Kegelklub, und den Sonntagvormittag wollte er mit dem Direktor sprechen.

Ich saß schwermütig in meinem Zimmer, redete gewissermaßen auf mich selbst ein, daß es so am besten für mich sei und ich mich beim Schicksal bedanken müsse, und konnte mich doch nicht freuen. Denn ich mußte immer denken, wie es den alten Herrn wurmen würde, daß die Lehrer nun recht behielten und über ihn lächelten.

Sollte aber diesmal anders ausgehen.

Habe so in meiner Betrübnis vor mich hingebrütet, bis die Uhr acht schlug. Um die Zeit kam 64 der Bakulus immer nach Hause. Richtig dauert's keine fünf Minuten, da hör ich ihn. Einen Augenblick dacht ich, mit ihm zu reden, daß wir in Frieden auseinandergehen wollten, aber ich wußte wohl, daß ich das nicht fertigbringen würde und wenn's um den Kopf ginge.

Da stampft er die Treppe herauf. Was will das werden? Er klopft an meine Türe an, steckt den Kopf herein, sagt ganz freundlich guten Abend und fragt schelmisch: Was macht der Herr Kater?

Ich denke, er hat sich einen angekümmelt, aber nein, das alte Backhaus war nüchtern wie immer, nur ganz und gar umgewandelt. Zum Abendessen besorgte er mir einen Häring und schenkte mir ein Gläschen Korn ein, oder vielmehr ein Glas. Dann ließ er mich meines Weges ziehen, der natürlich in die Kneipe führte, und hat mir nie wieder etwas in den Weg gelegt.

Wie das zusammenhing, begriff ich bald genug. Er hatte es wohl gemerkt oder auch erforscht, daß ich von meiner Abfindung zehrte und es bald Matthäi am letzten für mich sein mußte. So hatte er mir beizeiten gekündigt und die erste Gelegenheit zum Bruche wahrgenommen, damit es nicht nachher heißen konnte, er habe all die langen Jahre das schwere Pensionsgeld in die Tasche gesteckt und mir dann die Tür vor der Nase zugemacht.

Nun hatten aber meine Sachsen nicht geschwiegen. Es hatte sich unglaublich rasch 65 verbreitet, daß mein Erbonkel in Peru, an den man bisher nicht so recht geglaubt hatte, leibhaftig gestorben war. Da war ich denn ein ganz anderer Kerl geworden.

Wird mir heute noch übel, wenn ich mir vergegenwärtige, was ich damals für Erfahrungen gemacht habe. Leute, von denen ich es nie für möglich gehalten hätte, begegneten mir mit einer Herzlichkeit, bei der ich mich immer wieder fragen mußte, womit ich sie mir zugezogen hätte. Selbst einige Lehrer machten die allgemeine Wandlung mit, wenn ich auch gerechterweise ausdrücklich hervorhebe, daß die große Mehrzahl, der Direktor selbstverständlich an der Spitze, sich in keiner Weise beeinflussen ließ.

Es ist nicht gut, wenn man in jungen Jahren derlei erfährt. Vielleicht hätte sich mein ganzes Leben ohne diese Erfahrungen anders gestaltet.

Die nächste Folge war, daß ich die bürgerliche Ehrsamkeit fast offen verhöhnte. Ersuchte zum Beispiel eines Tages meinen Schulmeister, mir einen Hausschlüssel anfertigen zu lassen, und als er sich sträubte, erklärte ich rundweg, dann zöge ich aus; worauf ich den Hausschlüssel bekam.

 


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