Hans Hopfen
Arge Sitten
Hans Hopfen

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IX.

Veit kam in den nächsten Tagen nur selten von seinen Büchern weg. Er bestand eine kleine Prüfung, in welcher er sich befähigt zeigte, in die Oberklasse des Gymnasiums einzutreten. Am Montag der kommenden Woche sollte er zum ersten Male seit der Gänsehirtenzeit und nahezu fünfundzwanzig Jahre alt wieder auf einer Schulbank sitzen. Dieß war nun einmal unerläßlich, um im Herbste zum Examen der Reife für die Universität zugelassen zu werden und so freute er sich auf den Montag, so gut er sich in seinem verbitterten Herzen eben freuen konnte. Als aber mittlerweile der Freitag kam, dachte er daran, wie er nun auf längere Zeit sein bisher so ungebundenes Leben werde einschränken und einschüchtern müssen, um beileibe nicht wider die Schulvorschriften zu verstoßen, die freilich nicht für Jungherrn seines Alters gemacht waren, aber selbst diejenigen, für welche sie bestimmt waren, durch unzeitige Strenge zu Uebertretungen verleiteten.

224 So wollt' er denn noch einmal seine Freiheit genießen und zusehen, was für eine Art von Gesellschaft das wäre, in welcher sich der Enkel der Geharnischten – »Bürger Schneppe« rufen ließ.

Es war ein kleines Gasthaus in einer der ältesten Straßen der Stadt, nach welchem sich Vitus fragen mußte. Dort angekommen, wollte ihn die Kellnerin nicht so mir nichts dir nichts in die Gesellschaft tempus einfallen lassen, sondern forderte, wie seiner Zeit Helmtrost, von dem Eindringling eine Parole und, da er keine solche wußte, den Namen eines Mitgliedes, welches sie vor die Thüre bitten dürfte. Auf dieser Thüre stand mit Riesenlettern das Wort»Abonnirt« gemalt.

Helmtrost erschien alsbald in einem schlafrockartigen Ueberwurf, schüttelte dem Ankömmling lächelnd die Hand und führte ihn in einen mit den verschiedenartigsten Farben und Emblemen überladenen Saal, darin etwa dreißig bis vierzig Männer zechten, rauchten, lachten und sich ereiferten.

Die überwiegende Mehrzahl dieser Männer war älter als Helmtrost und Veit und dieser, dem jener als Cicerone diente, erfuhr manchen in der Stadt beliebten Namen. Beamte, Gelehrte, Schriftsteller, Schauspieler und vor Allem viele Maler waren da, diese letzteren gaben mit ihrer immer frohen Laune und ihren wechselnden Einfällen in der Gesellschaft den Ton an.

225 Diese Gesellschaft bestand seit lange; sie hat sie hat früher keine anderen Zwecke als die gemeinsamer Unterhaltung verfolgt. Sie gieng auch jetzt noch in der That und Wahrheit auf nichts anderes aus, allein die gährende Unruhe, die aller Welt sich bemächtigte, hatte auch dieser harmlosen Vergnügung ihre herbe Stimmung angekränkelt und ihre Formen in einer Weise verändert, die sie manchem Uneingeweihten gefährlich, manchem Eingeweihten mindestens bedeutend erscheinen ließ, ohne daß sie jemals das eine oder das andere gewesen oder geworden wäre.

Sie war der Tummelplatz der tollen Launen Helmtrost's von der Schneppe, der in einem halb Dutzend bildender Künstler, die von seinem Humor, seiner Leutseligkeit, seiner vielseitigen Bildung und daneben auch von seinem alten Adel entzückt, eine verlässige Leibgarde gefunden hatte, welcher kein Spaß zu schlecht, kein Unfug zu seltsam, kein Einfall zu gewagt erschien. Mit ihrer Hilfe ward Namen und Wahlspruch der Gesellschaft, Wappen und Ceremoniell, Verwaltung und Strafen umgeändert. Und wenn man genau zusah, war es nicht zum Wenigsten der Reiz des Verbotenen, der Zauber anscheinender Gefährlichkeit, der so vielen, meist vernünftigen Männern diese Spielerei auf die Dauer unterhaltend erscheinen ließ. Allerdings fehlte es weder an Abwechslung, noch an Witz und Laune. 226 Und so kam es, daß mancheiner sich die Woche durch recht herzhaft auf den Freitag Abend freute und vorbereitete und es in der ganzen Stadt für ein ausgezeichnetes Ereigniß galt, zu den Versammlungen des tempus eine der seltenen und vorsichtigen Einladungen zu erhalten.

Dieser Name war dem Verein endgiltig verblieben, nachdem man lange geschwankt und gezankt, ob derselbe »der Berg«, »die Bluthochzeiter«, »die neuen Jakobiner«, »die deutschen Carbonari« oder in ähnlicher nicht minder gefährlicher als unmöglicher Weise benamset werden sollte. In solchen Zweifeln hatte man sich für den erlösenden Vorschlag entschieden, das erste Wort des neuen Wahlspruchs, der so viel sage und doch nichts verrathe, als Namen für Behörde und Oeffentlichkeit zu erklären. Dieser Wahlspruch, den einer der Musiker in der Gesellschaft für Doppelquartett gesetzt hatte, war der Horazische Vers:

tempus adest jam jam . . .

Nach dessen erstem Wort hieß der offizielle Name der Gesellschaft: tempus. Im innern Verkehr ward dafür meistens »die drohende Zeit«, »die kommende Zeit«, »die neue Zeit« gesetzt.

In ähnlicher Weise hatten auch die einzelnen Mitglieder ihre Gesellschaftsnamen verändert, denn es war hier wie bei allen vormärzlichen Gesellschaften unter 227 strengen Strafen verpönt, sich bei den im bürgerlichen Leben gebräuchlichen Tauf- und Familiennamen zu rufen. Was aber früher Trutz von Höllenthal oder Dulcamara, Michel Angelo oder Cosimo von Medicis geheißen hatte, das schrie sich jetzt Marat, Danton, Robespierre an. Hier gab es nun Hoche und Camille Desmoulins und noch viele andere bescheidene Namen, aber es gab auch Harmodiusse und Aristogitone, sieben Brutusse und drei Catonen, Gracchen ein halbes Dutzend, drei Makkabäer und einen Spartakus und noch viele andere Freiheitshelden bis herab zu Riego und Schamyl. Selbst ein Vespasian wagte sich dazwischen und ein Henri IV. war geduldet; sie hatten aber feierlich ihre Kronen auf den Altar der Menschlichkeit und Brüderlichkeit niedergelegt, was eines der schönsten Feste des Vereines gewesen sein soll, zu dem Tyrtäos eine eigene Cantate gedichtet, welche von dem Washington der Gesellschaft ebenfalls achtstimmig componirt worden war.

Seinen Namen erhielt man in einem feierlichen Akte der Taufe, welcher mit dem sonst unter diesem sacramentalen Vorgange begriffenen wenig Aehnlichkeit hatte. Vorher mußte man von einem älteren Mitgliede an Kindesstatt angenommen sein. Umständliche Reden von beiden Seiten waren wie bei jeder Feier des Vereins unerläßlich.

Früher hatte man sich mit Orden und Rittergraden 228 ausgezeichnet. Jetzt wurde einem die phrygische Mütze oder gar eine Bürgerkrone decretirt, oder man wurde »in den Convent« gewählt.

Der »Convent« war der mittelste Tisch, der größte; der zur Rechten desselben hieß der »Greveplatz«, der zur Linken die »Staatsgefängnisse«.

Der Tisch, welcher den letzteren Namen trug, war nur zur Hälfte gedeckt, an dem ungedeckten Theil saßen die Guillotinirten, meistens der lustigste, weil besoffene Theil der Gesellschaft.

In der Mitte des Saals standen zwei augenfällige Versetzstücke: eine Rednerbühne, ein Meisterstück von Pappe, Holz und Leinwand, welches die Maler dem Vereine eigenhändig erbaut und geschmückt hatten, und eine Guillotine, ein Geschenk Helmtrosts von der Schneppe.

Das Fallbeil der Guillotine war natürlich von Pappe mit Silberpapier überzogen und die ganze Vorrichtung zum Gesellschaftsgebrauche vereinfacht. Wer sich gegen das Ceremoniell des tempus vergangen hatte, oder wem sonst in launiger Weise etwas aufzumutzen war, der wurde in witzigen Reden prozessirt, feierlich und unter bombastischen Glückwünschen freigesprochen oder mit furchtbarer oratorischer Entrüstung zum Tode verurtheilt, wobei abermals Leichenreden, Leichenschmaus und Leichenwache zu hundert Possen Anlaß gaben.

Nach solcher capitis diminutio wurde man auf den 229 ungedeckten Tisch zu den Ungeborenen verbannt, bis sich ein Mitglied des Convents oder einer aus dem Volke auf dem »Greveplatz« oder auch in den »Staatsgefängnissen« erbarmte, einem die Vaterschaft anzutragen, worauf wieder Geburtsfeste, Taufreden und Tauftrunk abgehalten wurden u. s. w.

Helmtrost – hier nur Mirabeau, auch Graf von Mirabeau geheißen – machte gegen Veit den liebenswürdigsten Wirth und erklärte ihm Sitten und Gebräuche, Namen und Embleme auf das Ausführlichste und nicht ohne sarkastische Lichter aufzusetzen, die seine geistige Ueberlegenheit all diesem Treiben gegenüber herausstellen sollten. Veit wußte nicht recht, ob Helmtrost die ganze Gesellschaft am Narrenseile führte, um sich mit aristokratischem Behagen über sie lustig zu machen, oder ob er im Spiel den Ernst zu wittern und in diesen scherzenden Gesellen Werkzeuge zu ernster That und Gefahr zu präpariren meinte.

Diese Zweifel trugen wenig zu seinem Behagen bei, zumal er mitten in der tobenden Lustbarkeit innerlich die Erfahrung machte, daß er ein gründlich verstimmtes Herz im Leibe herumtrüge, von dessen Wünschen und Beschwerden die grellen Narrenspossen übermüthiger Leute allzusehr abstachen.

Als Gast oder, wie es hier hieß, als Schatten saß er an dem linnenlosen Tische der Ungeborenen – neben 230 ihm ein anderer Gast, ein feister stämmiger Fleischerknecht mit intelligenten Zügen, von dem gesagt wurde, daß er neulich eine heftige Rede gegen die Polizei gethan und daß er großen Anhang unter Leuten seiner Art hätte.

Es war nämlich kürzlich in dem Vereine beschlossen worden, zu den Festabenden auch endlich einmal Männer der untern und untersten Schichten heranzuziehen und auf diesem Wege die Grundsätze und Stimmungen der großen Revolution, welche man hier spielend practicirte, unter das Volk zu leiten.

Helmtrost war auch hier der Erste gewesen, der werkthätig den Beschluß zur Ausführung zu bringen eilte und glaubte in Vitus und dem Fleischer zwei aufführbare Musterproducte des vierten Standes eingefangen zu haben.

Dem biederen Fleischer war aber wo möglich noch unbehaglicher zu Muth als Vitus. Er war ein ruhigeres Zechen gewöhnt und konnte der »verrückten Comödie«, wie er das gesellige Treiben betitelte, keinen Geschmack abgewinnen. Desto rückhaltloser schloß er sich an den einzigen an, welchen er unter allen als seines Gleichen achten durfte, an Veit, mit dem er Freundschaft schloß und Brüderschaft trank.

Da Helmtrost bei seinen Gästen Platz nehmen wollte, diese aber am ersten Abend unter keinerlei 231 Umständen an den Tischen der Lebendigen sitzen durften, hatte Mirabeau die Liebenswürdigkeit sich guillotiniren zu lassen und gesellte sich den Schatten und Ungeborenen zu, worüber diese in ihren elyseeischen Gefilden ein großes Fest feierten, von dessen Umarmungen sich Vitus und der Fleischer nicht ausschließen konnten.

Als ihnen aber Helmtrost-Mirabeau nahelegte, sich an dem nächsten Vereinsabende gemeinsam an Kindesstatt annehmen und taufen, d. h. zur Aufnahme in die Gesellschaft tempus vorschlagen zu lassen, wiesen beide diesen ehrenvollen Antrag höflichst zurück.

Veit entschuldigte sich damit, daß er kommenden Montag wirkliches Mitglied einer Gymnasialklasse werden müßte und schon als solches in einem Vereine wie der tempus weder als Gast noch als Mitglied möglich sei.

Der Fleischer suchte lange nach einer passenden Entschuldigung. Nachdem er mehrmals bald Veit bald Helmtrost betrachtet und sich hinter den Ohren gekraut hatte, sagte er gutmüthig zutraulich: »Wissen Sie, Herr von Mirabeau, mir schmeckt das Bier nicht!«

Bald darauf zogen die beiden Männer des vierten Standes ab und ließen »die drohende Zeit« allein, in welcher Mirabeau nach seiner eben vollzogenen Wiedertaufe unter endlosem »Hört« und »Sehr wahr!« eine donnernde Philippika gegen die annoch herrschende 232 Rohheit und Unbildsamkeit der unteren Classen hielt und deren eben entschwundene Abgesandten mit zündendem Hohne übergoß.

Diese giengen indessen gelassen ihrer Wege, einer im Arm des anderen und schüttelten ihre Häupter über die vielen Jakobinermützen, die ihnen heute Abend wie Narrenhauben erschienen waren.

»Sie spielen wie Kinder mit dem Feuer,« sagte Vitus »und wissen nicht, daß es brennt.«

»Ja, ja,« antwortete der Fleischer, »das Feuer ist ein ernstes Ding und mit ernsten Dingen sollte man nicht spielen.« –

Die Beiden sahen sich nach diesem Abende noch oft und Vitus schlich sich, wenn die Nacht kam, für manch Stündlein in des treuherzigen Fleischers Hinterstübchen, um dort mit manchem guten Schluck und Bissen den Aerger zu verwinden, welchen er in Fülle von den ungewohnten Schulbänken auflas.1

 


 


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