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Einundsiebzigstes Kapitel

Antons Genesung machte sichtbare Fortschritte. Soweit es ihm die sehr erschöpften Kräfte gestatten wollten, durfte er das Krankenzimmer verlassen und im Schatten des kleinen Baumgartens sich laben an warmer, freier Luft. Auch bezeichnete des Försters Bruder schon die nahe Frist, wo er, gänzlich geheilt, seine Wanderung fortsetzen dürfe. Den Förster selbst anlangend, bekümmerten weder er noch seine Burschen sich um den übrigens mit wahrer Gastfreundschaft behandelten Fremden. Sie hatten keine Zeit dazu. Beim Gehen und Kommen reichte der biedere alte Graubart seinem Gaste die Hand mit einem stets gleichen, wohlwollenden: »wie geht's«, und zeigte sich nur verdrießlich, wenn Anton der Beschwerden Erwähnung tat, die er ins Forsthaus gebracht. Dann suchte Förster Wolff seine furchtbarsten Weidmannsflüche hervor und gebot ihm Ruhe. »Ich habe drei Söhne«, pflegte er zu äußern, »die sich durch die Welt schlagen müssen: jeder von ihnen kann ehrlicher Leute Beistand gebrauchen; und was müßte unser Herrgott in seinem himmelblauen Waldrevier von mir halten, wenn ich einem armen Teufel verweigern wollte, was ich im Falle der Not für meine Jungen von ihm erbitte? Haltet Euer Maul und tut es nur auf, wenn Ihr Hunger habt, der sich hoffentlich bald wieder bei Euch einstellen wird.« –

Schkramprl befolgte die ihm gegebene Weisung scheinbar sehr gehorsam. Er nannte den Namen Erlenstein nicht mehr und gab sich das Ansehen, wie wenn jeder Verkehr zwischen ihm und den Schloßratten abgebrochen wäre. Auch zeigte er sich ernster, dabei ergebener, teilnehmender, als anfänglich. Er schwatzte nicht mehr so viel verworrenes Zeug untereinander, gedachte der Vergangenheit nur, wenn Anton das Gespräch darauf lenkte, bemühte sich dagegen, so oft wie möglich von der Zukunft zu reden und Anton gewissermaßen auszuforschen, auf was und wohin seine Gedanken gerichtet wären. »Was meint Ihr wohl, Antoine«, fragte er unter anderem, »was möchtet Ihr Euch wohl wünschen, wenn ein Zauberer, oder um im Laufe der natürlichen Begebenheiten zu bleiben, ein Kaiser, König, Herzog – was es nun wäre – Euch unbedingte Erfüllung jedes recht herzhaften Wunsches im voraus zusagte? Was würdet Ihr dann verlangen? Tut mir die Liebe und sagt mir das. Nur, daß die Zeit vergeht, die hier im Forsthause, ohne Schmeichelei gesagt, niederträchtig langsam vom Flecke kommt. Sagt mir's. Ich baue gern Luftschlösser. Ihr nicht?«

»Ich auch«, erwiderte Anton. »Und früher liebte ich sie aufzurichten bis an die Wolken. Jetzt würde ich mich mit kleineren Wünschen begnügen! freilich immer noch zu groß, immer noch viel zu hoch und stolz für die Stellung, die mir auf Erden angewiesen bleibt. Ich würde – wenn wir denn doch nun einmal wie Kinder spielen, so mag es sein – würde mir wünschen, daß Liebenau, jenes heimliche, traute Dorf, wo ich meine Knabenjahre verlebte, mit seinen Feldern und ach, seinen Wäldern, mein wäre, mein wirkliches Eigentum. Daß ich dort einzöge als schuldenfreier, wohlhabender Besitzer.

Dann würde ich (ziemlich weit von hier, doch, wenn man Geld hat, kann man schnell reisen) einen Besuch abstatten bei einem würdigen, rechtlichen, wenn auch strengen Manne und diesen um die Hand seiner Tochter bitten. Und wenn er Ja sagte – die Tochter sagt nicht Nein – würde ich sie heimholen nach Liebenau und würde mich mit ihr trauen lassen in der kleinen Dorfkirche, und würde sie lieb haben; würde, mit ihr vereint, die Armen beschenken, ihnen im Winter Holz geben und Brot und warme Röcke; würde schöne Bäume anpflanzen; würde ein schlichter Landmann sein, beglückt und zufrieden. Würde meiner alten Großmutter Grab –«

»Na, seid so gefällig und fangt zu heulen an, daß ich etwa auch heulen muß, was sich für einen in Ruhestand getretenen Riesen durchaus nicht schickt! Deshalb fragte ich nicht nach Euren Wünschen, um auf den Friedhof zu geraten. Die Aussicht auf Hochzeit und Ehebett könnte mir schon besser gefallen. Also das wären Eure Wünsche? Na schön, nun weiß man's doch und kann sich bei Gelegenheit danach richten.«

»Ja, Schkramprl, das wären meine Wünsche, wenn ich noch dächte wie vor einigen Monaten, – wie ich seit Pisa gedacht habe. Jetzt ist das hin und tot. Doch dem teuren Liebenau werde ich deshalb nicht ungetreu. Als dummer, eitler Korbmacherjunge lief ich davon; als gedemütigter, entsagender junger Mann kehre ich zurück. Es ist beschlossen, die alberne, falsche Scham ist besiegt. Während ich hier daniederlag, habe ich es durchdacht und erwogen nach allen Seiten, ... es ist das beste, was ich tun kann. Großjährig bin ich jetzt; die Beweise vom Tode meiner Mutter, mein Taufzeugnis, alles habe ich schwarz auf weiß. Meiner Großmutter Erbschaft anzutreten werden die Gerichte mich nicht mehr hindern; des Kurators bin ich ledig; das kleine Häuschen, wo ich Körbe flocht, ist mein; das Gärtchen dabei. Dort will ich fleißig arbeiten, ruhig leben, wie ein armer Kerl, der ich bin. Mögen sie mich ein wenig auslachen! Mögen sie mich hohnnecken und verspotten, daß ich von meiner Reise um die Welt wie ein Bettelmann wiederkehre; mögen sie mich Vagabund schelten und was sie wollen, – wenn sie sehen, daß ich friedlich meinen Weg gehe, niemand belästige, werden sie mich wieder lieb haben, wie sie damals den ehrlichen Anton lieb hatten. Ich will ja nichts als Frieden, Ruhe, Einsamkeit. Die Welt ist tot für mich. Ich habe genug von der Welt. Und wenn ich in Liebenau sterbe, unbeachtet, vielleicht unbeweint, – komme ich doch wenigstens neben diejenige zu liegen, die mir – –«

»Himmelsackerment, Antoine, Ihr seid ja wie versessen auf Gräber. Ich habe nichts gegen Euren Plan, im Gegenteil, ich lobe ihn; ich finde es scharmant, daß Ihr Eure Villa in Besitz nehmen wollt, und lade mich im voraus bei Euch ein auf ein Gläschen Dünnbier; doch bleibt mir mit den Gräbern vom Halse! In Eurem Grabe könnte ich Euch beim besten Willen nicht besuchen, weil ich nicht Platz darin fände, für mich muß es eine halbe Elle länger sein, als für euch kleine Zwerge ... Dabei fällt mir mein Husar ein. Besinnt Ihr Euch noch auf ihn und seine beiden Weiber?«

»Auf alles, Schkramprl, auf alles. Jetzt aber gönnt mir Ruhe. Der Bau des Luftschlosses hat mich angegriffen. Ich will zu schlafen versuchen, will versuchen zu träumen – zu träumen, wie schön es sein wird, wenn ich wieder einziehe in meine Hütte!«

Kaum sah er seinen jungen Liebling im festen Schlummer, als der Riese mit Riesenschritten davoneilte. »Das wird ihr willkommen sein!« rief er aus und verlor sich im Walde.


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