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Buchschmuck

Erstes Kapitel

Die Linden standen in voller Blüte. Vor der Tür ihrer kleinen Hütte saß auf einem zerbrochenen umgestürzten Korbe die alte Mutter Goksch zwischen zwei Misthaufen, vor sich ein Gärtchen voll blühender Blumen. Mit sichtlicher Vorliebe wendete sie einmal ums andere Mal ihren matten Blick dem Dünger zu; der Blumen achtete sie wenig, weil sie ihnen jenen Raum nicht gönnte, wo nach ihrer Meinung Kartoffeln wachsen sollten. Sieht man doch gleich, murmelte sie vor sich hin, daß der Junge eines Vornehmen Kind ist: Immer denkt er auf Putz und Schmuck, und die Großmutter mag zusehen, wo sie Futter hernimmt für ihn wie für sich selbst. Und wo er nun wieder bleibt? Die Sonne wird bald zur Rüste gehen, aber er treibt sich noch im Walde herum. Und wenn er kommt, kann ich nicht einmal mit ihm zanken, ob ich schon möchte, weil er so große dunkelblaue Augen hat wie seine verstorbene Mutter. Sobald er mich mit diesen Augen anschaut, stirbt mir jedes ernste Wort auf den Lippen. Er macht mit mir, was er will. Haben ihn doch auch alle Menschen gern: Der Baron, der alte Bär, und die Fräulein und der Pastor und der Schulmeister. Ganz Liebenau ist vernarrt in den Anton. Ihm sehen sie alles nach. Eh' sie ihre Körbe zum alten Korbmacher tragen, der gewiß ein gutes Stück Arbeit macht und rasch, bringen sie lieber ihren Kram hier ans Ende des Dorfes zu meinem Jungen und warten wochenlang geduldig, bis es ihm gefällig ist, daran zu gehen. Nu freilich, wohlerzogener ist er, als die dummen Dorflümmel. Seine Sprache schon ist nicht so rauh und grob, weil er von Kindheit an mich reden hörte, und mir klebt immer noch mein Stadtleben an; das kann mir niemand abstreiten. War ich doch auch einmal jung; jung – und schön, wie meine unglückliche Tochter!

Bei diesen Worten füllten sich die Augen der Mutter Goksch mit Tränen und ein leises Schluchzen erstickte den Lauf ihres Selbstgespräches. Beide Hände drückte sie fest vor ihr welkes Angesicht, um sich recht ungestört dem Grame hinzugeben. Doch nicht lange blieb sie ihm überlassen. Anton, der leise zu ihr hingeschlichen war, zog ihr die Hände vom Haupte und fragte freundlich: »Großmutterle, warum flennst du?« Da umschlang die gute Frau den schönen Jungen mit beiden Armen, und aus den Zähren einsamen Schmerzes wurden Tränen des liebevollsten Mitgefühls. Zärtlich schmeichelnd strich Anton mit seinen dünnen Fingern über Stirn und Wangen der Mutter Goksch. »Gewiß«, sprach er, »du bist noch immer eine hübsche Frau, Großmama, wenn man dir nur die Runzeln wegstreichelt und dein Gesicht ein wenig glatt macht. Auf den Sonntag werde ich dich mit Johanniswasser einsprengen, und hernach werde ich das kleine Plätteisen nehmen und dich gehörig ausbügeln; dann kannst du schmuck zur Kirche gehen und wirst unserm Herrn Pastor gegenüber sitzen, frisch und sauber, wie ein neu ausgeputztes Haus, wo sie daran geschrieben haben: renovatum anno Domini so und so viel; drei rote Kreuze darunter. Wenn du nur um alles in der Welt nicht so viel weinen wolltest, wie ich den Rücken kehre; dann wär's noch besser; denn die Tränen haben dir schon Furchen gebissen in beide Wangen, gerade wie der Regen in unseren Dachgiebel, so gegen Abend steht. Sei doch vernünftig, Alte, und mach' mir nicht so viel Verdruß. Ich kann doch nicht den ganzen Tag bei dir sitzen, um acht zu geben auf dich und dir vorzusingen, wie einem kleinen Kinde! Mit sechzig bis siebzig Jahren könntest du schon genug Verstand haben, um manchmal ein Stündchen ohne Aufsicht zu bleiben! Und wenn du nicht gut tust, werde ich dir eine derbe Rute flechten, so wahr ich Anton heiße und ein berühmter Korbmacher in Liebenau bin.«

Da lachte die Mutter Goksch über sein albernes Geplauder, daß ihr beinahe wieder die Tränen über beide Backen gelaufen wären, und kichernd rief sie: »Ach, wenn deine Mutter dich so sehn könnte!« Aber kaum hatte sie's gesagt, als sie wirklich zu weinen anfing, diesmal jedoch so innig und sanft, daß der ehrliche Anton ein bißchen mitweinte; denn das geschah ihm jedesmal, wenn seiner Mutter gedacht wurde, deren er sich aus den ersten Monden seiner Kindheit zu erinnern wähnte, wie eines glänzenden Traums. Augenblicklich ließ er von seinen Scherzen ab. Mit feierlichem Ernst setzte er sich auf den Boden, der Großmutter zu Füßen, und sein tiefes Auge fest nach ihr gewendet fragte er in rührendem Tone: »Nicht wahr, ich sehe ihr gleich?«

»Nur allzusehr«, erwiderte die Großmutter.

Anton schwieg ein Weilchen, dann begann er: »Das ist wieder eines von den dunklen, unverständlichen Worten, wie sie dir oft entschlüpfen, Alte, gleichsam gegen deinen Willen. Sie ängstigen mich, diese Worte. Siehst du, das muß ein Ende nehmen. Ich will wissen, was es mit meiner seligen Mutter war; will wissen, wer mein Vater gewesen, was aus beiden geworden, und wie du in diese Hütte verschlagen worden bist! Ich habe ein Recht dazu, Großmutter! Ich bin kein Kind mehr. Am vorletzten Osterfeste schon hat mich unser Herr Pastor konfirmiert und hat mich samt der ganzen Gemeinde zum Tische des Herrn gehen lassen; – jetzt bin ich siebzehn vorbei; – und hat damals gesagt, ich wäre reifer und würdiger dazu, als alle Jungen im Dorfe, die um ein Jahr älter sind. Folglich kannst du mit mir reden, wie mit einem Erwachsenen. Das weißt du auch recht gut. Also könntest du billig ein Ende machen und mich heute wissen lassen, was ich über kurz oder lang doch erfahren muß.«

»Wie gescheit der Junge seine Reden setzt«, murmelte die Mutter Goksch, indem sie ihm die reichen Locken von der Stirn schob. Sie betrachtete ihn lange, wie wenn sie überlegte, ob sie seinen Wunsch erfüllen dürfe. Dann aber sprach sie plötzlich: »Nein, Anton, es geht nicht. Es kommen Dinge vor in dieser traurigen Geschichte, die für dich noch zu früh sind. Sage, was du willst, du bist ja doch nur ein Kind.«

»Meinst du, Großmutter«, wendete Anton dagegen ein, »meinst du wirklich? Ich weiß mehr, als du denken magst, vom Leben und von den Menschen. Wer, wie ich, auf eigene Hand aufgewachsen ist, immer unter dem Landvolk sich herumtrieb, alles hörte, alles beobachtete, schon als kleiner Knabe denken und vergleichen lernte, der ist in meinen Jahren ein Mann. Erzähle mir, was du willst, ich werde dich verstehen – und ich werde dazu schweigen, wenn es nötig ist.«

Unschlüssig staunte die Alte ihren Enkel an, den sie noch niemals so entschieden sprechen gehört, und zweifelnd schüttelte sie den Kopf, indem sie vor sich hinflüsterte: »Werden denn in dieser Zeit die Kinder schon so früh mündig?«

Da ertönte vom kleinen Kirchturme die Abendglocke. Wehmütig zitterten sanfte Klänge auf lauem Winde getragen über das bemooste Strohdach und verloren sich tief im kaum hörbaren Widerhall des Kiefernwaldes, der die letzten Häuslein dieses Dorfes fast berührte. Anton nahm seine Kappe ab. Die Alte lispelte ein frommes Verslein. Und als sie fertig war mit ihrem kurzen Gebet, sagte Anton: »Nun, Großmutter, beginne! Mir ist ums Herz, als hätten sie mit diesem Glockenzuge meine Mutter ins Grab gelegt. Laß mich wissen, wo der Hügel grünt, auf dem ich knien darf, wenn ich mit ihr sprechen will.«

Und die Mutter Goksch hub an:


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