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Miß Bottchens erster Gang in Kairo war zur Post, um Telegramme und Briefe, die sie dorthin beordert hatte, sich abzuholen.
Ein ganzer Stoß wurde ihr ausgehändigt. Ihre Züge wurden bei der Durchsicht mißmutig. Uninteressante Anfragen von seiten ihrer Klientel – ein unerquickliches Schreiben vom Berliner Polizeipräsidium, in dem mit unverfrorener Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht wurde, daß die Geheimabteilung von den bisherigen Ergebnissen ihrer Arbeit nicht gerade erbaut sei. Man neige im Gegenteil der Ansicht zu, daß sie auf falscher Fährte sich befinde, und wünsche daher ihre schleunige Rückkehr.
162 »Die Narren,« flüsterte sie vor sich hin, »diese Narren, die ahnungslos an ihren grünen Tischen sitzen und dem Herrgott die Zeit stehlen.« Oh, sie kannte sich in der Geheimabteilung aus – hatte sich vom ersten Tage an in dem Riesengebäude mit seinen fluchtartigen Korridoren zurechtgefunden, wußte mit den Ein- und Ausgängen Bescheid – und, was wichtiger war, sie durchschaute die Fähigkeiten dieser subalternen Herren, die mit feierlichen Amtsmienen großartig taten und deren dumpfe, dunkle Hirne durch kein noch so armseliges Lichtstümpfchen erhellt wurden.
»Die können mich gern haben . . .« sagte sie so laut, daß sie vor dem Ton ihrer eigenen Stimme erschrak. Ihre auf den Nobelpreisträger Doktor Ernst Wanner sich beziehenden Anfragen hatte man in diesem offiziellen Schreiben übergangen.
Ihre Stirn runzelte sich. Aber da hatte sich ja noch ein Telegramm verkrochen, das ihr wahrscheinlich in all der Hast entgangen war.
Sie trat unwillkürlich zur Seite und öffnete es. Es war nicht vom Polizeipräsidium, sondern von dem Recherchenbüro »Phöbus« und lautete wörtlich:
»Testini hieß vor achtundzwanzig Jahren Ehrenberg – änderte anläßlich Heirat mit geborener Testini Namen, trat gleichzeitig evangelischen Glauben über, Geschäfte zu Beginn Karriere anrüchig – fiel zweimal bei Senatorenwahl durch – erzielte während Inflationszeit Millionengewinne – spielt jetzt beherrschende Rolle – derzeitig Präsident der Handelskammer.«
163 Da haben wir es, dachte Miß Bottchen – ihre Züge hellten sich wieder auf. Sie ging noch einmal an den Schalter zurück und ersuchte, falls in den nächsten Stunden noch ein postlagerndes Telegramm eintreffen sollte – es ihr unverzüglich zu senden. Dann verließ sie das Postgebäude, winkte draußen einem offenen Auto und fuhr direkt in Shepheards weltberühmtes Haus, wo sie sich zum Tee verabredet hatte.
An der Schwelle der großen Halle blieb sie eine Sekunde stehen. Es war ein Rennen, Hasten, Lärmen, als ob hier die Erde ihren Mittelpunkt hätte und auf den Kopf gestellt werden sollte. Alle Sprachidiome unter Vorherrschaft des Englischen schwirrten durcheinander.
Miß Bottchens Augen glitten spähend über den dicht gefüllten Raum. Aha, da saß Testini mit seiner Tochter und der Komtesse Seckendorf. Vor beiden Damen standen kostbare Blumensträuße. Sie trat näher und konstatierte, daß Testini sich äußerst angeregt mit Fräulein von Seckendorf unterhielt.
»Das scheint sich ja alles aufs schönste zu entwickeln«, dachte sie befriedigt.
»Wir warten nur auf Sie! Papa und ich waren gerade im Begriff, noch ein paar Besorgungen zu erledigen. Die Komtesse geht nicht mit – ist zu müde und abgespannt.«
»Wenn Sie mit meiner bescheidenen Gesellschaft vorliebnehmen wollen«, wandte sich die Bottchen an Fräulein von Seckendorf.
164 »Bitte, ich möchte Sie noch einen Augenblick sprechen – Papa, du entschuldigst – und auch du, Charlotte –«
Fräulein Testini zog Miß Bottchen beiseite.
»Wissen Sie, daß wir bisher auch nicht einen Schritt weitergekommen sind«, stieß sie erregt hervor. »Für Doktor Wanner existiere ich überhaupt nicht mehr!«
»Ihre Sache kann nicht besser stehen, mein Fräulein! Aber wenn Sie zu mir kein Vertrauen haben, ist jedes weitere Wort überflüssig. Eine Gefahr ist nur Ihre Ungeduld. Sie müssen sich beherrschen – müssen Doktor Wanner vollkommen ignorieren, sich den Anschein geben, als wäre er Luft für Sie. Ich garantiere Ihnen dann den Erfolg!«
Fräulein Testini atmete tief auf.
»Ich werde mich ganz an ihre Instruktionen halten – hoffentlich behalten Sie recht!«
»So wahr ich Miß Bottchen heiße!«
Fräulein Testini sah sie einen Moment schweigend an, als mühte sie sich, die letzte Wahrheit von diesem Gesicht abzulesen.
»Noch eines«, begann sie dann, »haben Sie bemerkt, daß Papa seit einiger Zeit auffallend Fräulein von Seckendorf den Hof macht – er wird doch keine Dummheiten . . .«
Sie lachte. »I bewahre, wo denken Sie denn hin?«
Als sie wieder an den Tisch traten, war Testini bereits aufgestanden und verabschiedete sich von der Komtesse, deren Hand er, wie Miß Bottchen mit Genugtuung feststellte, über Gebühr lange drückte.
165 Sie setzte sich Fräulein von Seckendorf gegenüber, lehnte sich in den Sessel zurück, bestellte einen türkischen Kaffee, zog ein goldenes Zigarettenetui hervor und bot es der Komtesse an.
Zwischen beiden Damen wurde zunächst kein Wort gewechselt, Miß Bottchen schlürfte langsam ihren Kaffee – und das Fräulein zog den Duft der Zigarette genießerisch durch die Nase.
»Finden Sie nicht, daß Fräulein Testini sich auffallend verändert hat? Ich weiß überhaupt nichts mehr mit ihr anzufangen«, unterbrach Fräulein von Seckendorf das Schweigen.
Miß Bottchen spitzte die Ohren.
»Fräulein Testini«, antwortete sie dann in reserviertem Tone, »ist ein sehr kompliziertes, kleines Persönchen, aus dem man nicht ohne weiteres klug wird.«
Wieder nahm sie aus der Schale einen kleinen Schluck, schloß, als wäre sie tief erschöpft, die Lider und hüllte sich von neuem in Schweigen.
»Sind Sie müde, Miß Bottchen?«
Sie gab sich den Schein, als ob diese Frage sie aus ihren Träumen geweckt hätte – richtete sich kerzengerade auf und sagte mit frischer, völlig veränderter Stimme: »Ich habe längst die Gelegenheit herbeigewünscht, um einmal unter vier Augen mit Ihnen zu reden.«
Fräulein von Seckendorf blickte sie gespannt an.
»Umschweife liebe ich nicht – ersparen Sie mir also die Einleitung. Wenn ich Ihnen einen guten Rat erteilen darf – so lassen Sie beide Hände von Herrn Doktor Wanner!«
166 »Miß Bottchen . . .!«
»Regen Sie sich nicht auf, mein Kind – meine Augen sehen mehr als die anderer Leute. Das liegt in meinem Beruf. Im übrigen sind Sie nicht die einzige, die sich in diesen Narren – jawohl, er ist mit allen seinen Qualitäten ein kompletter Narr, verguckt hat.«
»Ich möchte Sie mit aller Höflichkeit bitten . . .«
»Ach, mein Kind, setzen Sie sich nicht aufs hohe Roß – kommen Sie mir nicht mit Redensarten! Sie sind zu klug, Komtesse, um nicht einzusehen, daß ich es gut und aufrichtig mit Ihnen meine. Ich sage also, schlagen Sie sich Doktor Wanner aus dem Kopf, denn dieser Herr hat sich bereits nach einer anderen Richtung hin gebunden.«
Fräulein von Seckendorf hatte die Farbe gewechselt.
»Ist das Tatsache?« fragte sie leise – ihre Stimme zitterte.
»Es ist Tatsache!«
»Fräulein Toni Wünsch?«
Miß Bottchen schüttelte energisch den Kopf.
»Fräulein Camilla?«
»Noch ausgeschlossener!«
»Dann kann es nur die Testini sein!«
»Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, zu niemandem etwas verlauten zu lassen – ich begehe eine der größten Indiskretionen, die ich vor mir selbst nur mit dem Interesse, das ich Ihnen von Anfang an entgegengebracht habe, entschuldigen kann.«
»Ich gebe Ihnen mein Wort!«
167 »Sie haben es erraten – es ist Fräulein Testini. Die Bedingungen dieser Heirat sind bereits fixiert. – Herr Testini hat sich sehr großzügig benommen. Alle Beteiligten wünschen natürlich, daß niemand an Bord etwas erfährt. Soeben noch hat Ihre Freundin mich dringend ersucht, auch Ihnen gegenüber absolutes Stillschweigen zu bewahren.«
Die Komtesse Seckendorf atmete schwerer; sie strich über ihre Stirn, die feucht geworden war, ehe sie stockend erwiderte: »Ich habe der Testini nie über den Weg getraut – aber dieser Grad von Falschheit und Verlogenheit übersteigt alles Erlaubte.«
»Komtesse, glauben Sie jetzt nicht, daß ich Sie mit den üblichen Phrasen abfertigen will – aber ich erkläre Ihnen: Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß Sie an diesem Kelch vorbeigegangen sind – lieber gleich in die Hölle als mit einem solchen Menschen . . . Oh, Sie mißtrauen mir – ich sehe es Ihnen an, daß meine Worte in den Wind gesprochen sind. Ob Sie es nun hören wollen oder nicht: Doktor Wanner ist der letzte, den man heiratet, wenn man seine fünf Sinne beisammen hat. Er ist ein Mann, mit dem man sich einmal ins Bett legt, um dann auf Nimmerwiedersehen zu sagen. Ich könnte Ihnen Dinge erzählen, daß sich Ihnen die Haare auf dem Kopf sträuben würden!«
»Tatsachen dieser Art würden allerdings für mich von großem Werte sein.«
Miß Bottchen wurde ernst.
»Ich könnte, habe ich gesagt – aber ich kann nicht – denn das, was ich Ihnen mitgeteilt habe, gleicht 168 bereits einem Vertrauensbruch. Außerdem kenne ich Doktor Wanner so lange – so gut, und er anderseits ist mit mir vertraut genug, um sofort Verdacht zu schöpfen, falls . . .«
»Es erübrigt sich, noch ein Wort zu verlieren, Miß Bottchen – nicht ich, sondern Sie haben dies Gespräch begonnen!«
»So ist es, mein Fräulein! Ich habe das Gespräch begonnen – und zwar weniger um Doktor Wanners willen, sondern weil ich im Begriff stehe, Ihnen einen immerhin sehr bemerkenswerten und ernsthaften Vorschlag zu machen.«
»Bitte!«
»Heiraten Sie Herrn Testini!«
»Geben Sie acht, daß ich nicht vom Stuhl falle!«
Miß Bottchen ignorierte diese Bemerkung.
»Seien Sie klug – folgen Sie meinem Rate. Wie alt sind Sie? – wenn ich nicht irre – achtundzwanzig – ein Jahr älter als Fräulein Testini. Die erste Jugend, darüber wollen wir uns nicht täuschen, liebes Kind, liegt hinter Ihnen, und mit jedem folgenden Jahre, glauben Sie mir, wird es schwerer, unter die Haube zu kommen. Ich weiß, was Sie entgegnen wollen: Sie besitzen ein Vermögen – sind unabhängig. Schön, ich will einmal unterstellen, Sie verfügten über hundertfünfzigtausend Mark. Mein Gott, was bedeutet das heutzutage! Lassen Sie nur eine neue Entwertung des Geldes eintreten – und nicht sechs Dreier bleiben übrig.«
Sie pfiff bei diesen Worten zwischen Zeige- und 169 Ringfinger und machte dann eine wegwerfende, verächtliche Bewegung.
»Sie scheinen sich ja über meine Verhältnisse recht genau orientiert zu haben.«
»Ich bin vollkommen im Bilde und habe, wie Sie zugestehen müssen, eher zu hoch als zu niedrig gegriffen.«
»Ich glaube an keine neue Inflation«, sagte Fräulein von Seckendorf nachdenklich, »sollte sie jedoch wider Erwarten eintreten, dann ist auch das Schicksal der reichen Leute besiegelt.«
Miß Bottchen wollte vor Lachen ersticken.
»Sie scherzen, mein Fräulein – heute sind die reichen Leute gewitzter als vor zehn Jahren! Ganz abgesehen davon, daß Herr Testini auch zu dieser Zeit die Verhältnisse klar übersehen und Millionen aus ihnen gezogen hat. Auf Herrn Testini können Sie in jeder Beziehung Häuser bauen. Meinen Sie, im Ernst, daß dieser Mann mit deutschen Bankiers arbeitet? Seine Dollars liegen auf der Bank in Neuyork – seine Pfunde in England – seine holländischen Gulden in Amsterdam – seine Schweizer Fränkli in Zürich. Fräulein von Seckendorf, Sie verstehen noch immer nicht den Geist unserer Zeit. Sie bilden sich ein, daß eine Verbindung mit Herrn Testini, sagen wir es glatt heraus, eine Mesalliance bedeuten würde. Denken Sie nur an Ihre gottselige Frau Großmama!«
»Meine Großmama, geborene Lamm, wurde durch ihre Heirat zu einer Gräfin von Seckendorf – und Sie wollen aus mir eine Frau Testini machen. Ich 170 denke, das ist ein kleiner Unterschied. Ich sage das nebenbei, ohne mich auch nur im entferntesten mit Ihrem Projekt zu befreunden.«
Die Bottchen biß sich auf die Lippe. Sie hatte sofort begriffen, daß sie einen faux pas begangen hatte. Aber im Nu war sie wieder auf der Höhe der Situation.
»Wenn ich die Möglichkeit hätte, Sie mit dem Fürsten von Lichtenstein oder Herrn Testini zu verheiraten – glauben Sie, es gäbe da ein Besinnen?! Herr Testini ist heute eine Macht – eine Weltmacht, verstehen Sie, Fräulein von Seckendorf. Außer einem Barvermögen von zirka zehn Millionen Mark kontrolliert dieser Herr –« sie suchte einen Moment nach einer phantastischen Zahl, ehe sie hervorstieß, »fünfhundert Millionen – eine halbe Milliarde! Wissen Sie, was das bedeutet? Ich will es Ihnen sagen: Es bedeutet für Fräulein von Seckendorf ein Schloß am Meere, eine Villa in Südtirol – eine Jacht – einen Mercedes – was sage ich, einen Mercedes – einen Park von Autos – im Frühjahr Aufenthalt an der Riviera oder in Ägypten – im Sommer an der holländischen Nordsee oder in Südfrankreich – im Herbst Ausruhen auf einem Ihrer Güter – im Winter abwechselnd Paris – London – Neuyork!«
Fräulein von Seckendorf war das Blut zu Kopfe gestiegen. Von der ganzen Umgebung im Shepheard nahm sie nicht mehr die geringste Notiz.
Es trat eine unverhältnismäßig lange Pause ein, ehe sie aus ihrem Zustand erwachte und mechanisch die 171 Worte hinwarf: »Apropos, sind die Testinis nicht jüdischer . . .«
»Sie sind jüdischer Abstammung«, unterbrach sie Miß Bottchen äußerst gereizt. »Zehn Millionen Barvermögen – und dann sollen sie nicht einmal – nebenbei bemerkt, stammt Herr Testini bereits aus einer Mischehe. Gewiß, sein Vater hieß Ehrenberg – aber seine Mutter war eine geborene Testini – war streng katholisch und in puncto Rasse einwandfrei.«
»Ich denke, wir brechen hier ab«, entgegnete Fräulein von Seckendorf kühl. »Wollen Sie mir nur noch sagen, woher wissen Sie, daß Herr Testini sich für mich interessiert?«
»Jeder Mensch an Bord ist sich darüber klar, daß er bis über die Ohren in Sie verliebt ist – und Sie allein sollten es nicht bemerkt haben? Dazu vermag ich nur zu lächeln, Komtesse Seckendorf.«