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XIV.
Das Fest des ersten Schnees

Dorothea, die letzte verwitwete Herzogin von Kurland, gab ein Fest auf der ihr verbliebenen Herrschaft Löbichau und Tannenfeld im Altenburgischen. Sie wollte es ihrer jüngsten Tochter, die im kommenden Jahre sich mit dem Herzog Edmund von Talleyrand-Perigord und von Dino vermählen würde, noch möglichst abwechslungsreich machen und auch der zu Besuch anwesenden Schwester, Gräfin Elisa von der Recke, etwas bieten. So waren reichlich viel Menschen eingeladen, um nach einer Laune der Herzogin den ersten Schnee zu feiern.

Die Tochter mit den großen feurigen Augen und dem schmalen Gesicht (eine beauté ersten Ranges, wie die Mutter zu sagen pflegte) stand neben ihr auf der Rampe von Löbichau, hob die feine Nase in die Luft: »Ich sehe keinen Schnee, liebe Mama, und ich rieche auch nicht sein Kommen.« Die Herzogin, eine Blondine in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre, hatte sich sowohl im Aussehen als in der Wesensart eine gewisse Naivität bei viel Weltlist bewahrt. Sie liebte noch allzu jugendliche Gesten und gab sich gerne ein wenig hilflos, um ihre Herrschsucht zu tarnen.

»Aber ich bitte dich, mein Kind, rufe deine Phantasie zur Hilfe. Wenn kein Schnee liegt zum Schneefest, so werden wir etwas Salz streuen, wie das Regiment Gendarmes bei seiner berühmten Schlittenfahrt in Berlin.«

Die künftige Herzogin von Dino zog fröstelnd den kostbaren Pelz um die schmalen Schultern und antwortete: »Das Regiment Gendarmes handelte nicht klug, und es versagte im Kriege.«

»Was konnte es gegen den Kaiser machen? Es gibt kein Rettungsmittel vor ihm, als die Liebe.«

Die Prinzessin seufzte. Die Herzogin ging in ihre Gemächer, legte sich unter die Decken einer Couchette und gab sich ihrem Traum hin. Es war ein ebenso wunderbarer wie kühner Traum. Bald fuhr man nach Paris, bald würde sie den Kaiser wieder sehn. Wenn sie, die so viele Kinder geboren hatte, dem Kaiser der Franzosen zu verstehen gäbe, daß sie bereit wäre, ihm einen Thronerben zu schenken (natürlich als legitime Gattin), würde er ohne Zweifel seine Trennung von Josephine vollziehen. Es wäre gut – so verdrängte die Herzogin von Kurland gewisse Bedenken – die Ärmste erführe ihr endgültiges Schicksal nun bald. Seit ihrer Krönung mußte sie ja wissen, daß es nur die große Höflichkeit Napoleons gewesen war, die ihr noch den kaiserlichen Rang einräumte. Josephine wußte, er wollte eine Dynastie gründen, wozu man einen Leibeserben oder mindestens ein Bruderkind braucht. Doch die Söhne von Louis Bonaparte, beziehungsweise die seiner Gattin Hortense, waren höchst verschiedener Abkunft. Niemand hatte andere Gewißheiten über sie, als daß Louis Bonaparte nicht ihr Vater war.

Dorothea von Kurland straffte die schlanke Gestalt, sprang mit elastischen Gebärden auf, lief durch den Raum, sah ihr Bild in vielen Spiegeln. Wie blond war sie, wie kindlich konnte sie lächeln. Daß sie kaum weniger Jahre zählte als Josephine, bedachte sie weiter nicht. Sie fühlte nur ein Prickeln in allen Gliedern: welche Sensation für Europa würde es sein, wenn sie den Kaiser eroberte!

Jetzt, für die nächste Woche, gab es in Löbichau-Tannenfeld viele Feste. Wenn gerade kein Kaiser in der Nähe ist, begnügt man sich mit Siegen über andere Männer. Sie kamen von Dresden, Leipzig und auch aus Bayreuth. Der Balte Theodor von Lieven konnte vielleicht als Reisemarschall für den Triumphzug nach Frankreich gewonnen werden, er war immerhin ein Landsmann von Distinktion –

Ja, im Schlosse von Bayreuth wurden schon die Koffer gepackt zur Fahrt nach Löbichau-Tannenfeld.

Das Einladebillett der Herzogin von Kurland und Theodor von Lievens Bitten, die sich mit denen des gleichfalls eingeladenen Jean Paul vereinten, hatten den Oberjägermeister Baron Egloff bewogen, Ulrike nach Löbichau zu begleiten. Ulrike wurde ihm zu ernst, lebte gar zu verstrickt in Wohltätigkeit und Armenpflege. Es war Zeit, daß sie sich verlobte. Wahrscheinlich wollte Theodor von Lieven, der Kurländer, in Löbichau mit Ulrike einig werden und als pietätvoller Herr seine Erwählte zuerst der einstigen Herzogin seines Heimatlandes vorstellen.

So reiste man denn im Novembersturm ab. Lieven und Jean Paul hatten auch noch Platz in der geräumigen Egloffschen Kutsche.

Man durfte eine interessante Gesellschaft erwarten: vor allem die berühmte Gräfin Elisa von der Recke, Schwester der Herzogin, deren begeisterte Schrift über den Betörer Cagliostro ebenso die gebildete Welt erregt hatte, wie ihr zweites Werk »Der entlarvte Cagliostro«. Ihr Freund und Hausgenosse, der Dichter Tiedge, würde mit ihr sein. Sächsische Edelleute gehörten zu den Stammgästen von Löbichau. Was aber für den Oberjägermeister das wichtigste war: sein Sohn Alexander hatte mitgeteilt, daß er sich, infolge einer überaus liebenswürdigen Einladung, auf der Reise nach Hause auch mal den Zauber in Löbichau ansehen wolle. Es würde dann in Potsdam ein Gesprächsstoff für ihn werden, dort sei die Gesellschaft sehr auf Neuigkeiten aus.

Diese Worte taten dem Oberjägermeister wohl. Gottlob, sein Sohn ging in Gesellschaft! Man mußte also nicht mehr denken, er trauere der treulosen Polin nach! Vielleicht wollte er in Löbichau junge Damen kennenlernen. Auf alle Fälle aber war es für Ulrike sehr gut, den Bruder wiederzusehen. Wenn er den Baron Lieven gut kennenlernte, brachte er ihn vielleicht auch von seinen frommen Plänen ab und veranlaßte ihn zum Eintritt in die Armee.

Die Herzogin von Kurland begrüßte ihre Gäste mit all dem Scharm ihrer sprunghaften Wesensart und setzte sie sogleich in Kenntnis, daß sie in ihrem Gästehaus Schloß Tannenfeld wohnen würden, wohin es nur ein Sprung sei. »Lieven, der épouseur«, flüsterte sie Vater Egloff sogleich zu, »hat dann die Chance, immer als Überraschung vor Baronesse Ulrike zu erscheinen. Vorerst aber trinken wir alle hier Tee.«

Alexander von Egloff hatte Vater und Schwester kurz auf der Rampe begrüßt. Der Oberjägermeister war beglückt, daß sein Sohn so frisch und männlich aussah, durchaus nicht wie ein liebeskranker Jüngling. Über dem hohen roten Kragen des preußischen Garderocks saß ein Gesicht mit wachsamen, soldatischen Zügen.

Es gab kein Ausruhen nach der Fahrt. Dorothea von Kurland brannte darauf, den Ankommenden sofort ihre Überraschung vorzuführen: die schwedische Reisende, Gräfin Munk, kam lächelnd zwischen einem Herrn von Einsiedel und einem Grafen Rex herein zum Teetisch, wo Elisa von der Recke, eine Dame mit geistvollem Ausdruck in den schönen Zügen, schon die Respektsbezeugungen entgegengenommen hatte.

Die Gräfin Munk drückte ihre Freude über das Wiedersehen immer wieder durch ihr »superbe« aus, und Ihre Durchlaucht, die Herzogin, dankte dem Oberjägermeister für sein Kommen, als sei er ein alter Herr, der sich vom Krankenbett losgerissen hätte. Ulrikes Vater kam in Laune und gab sich als munterer Kavalier. Ist man denn ein Greis, wenn man erwachsene Kinder hat?

Neben Elisa von der Recke sah man ihren Freund Tiedge, den Verfasser der »Urania«. Man kannte allerseits das Tiedgesche Werk und wußte, daß es um seiner feurigen Trivialität willen überall mit Enthusiasmus gelesen wurde.

Jean Paul war es offensichtlich nicht recht wohl dabei, daß die Herzogin voll Vergnügen äußerte, es müsse doch den beiden Dichtern eine große Freude sein, einander kennenzulernen. Jean Paul mußte höflich bejahen, denn der etwas dürftige Tiedge war der Ältere. »Warum ist denn dieser Seufzermann bei der Gräfin von der Recke?«, flüsterte er Theodor von Lieven zu, ehe man sich um den Teetisch gruppierte, und Lieven antwortete ebenso zwanglos und ganz leise: »Es war eben kein anderer Seelenfreund zur Stelle, vermute ich.«

Endlich saß man. Die Herzogin teilte Tee und ihre Gnaden aus und lächelte Jean Paul zu, seine Tasse müsse wohl ungefüllt bleiben, da er den chinesischen Trank nicht liebe.

»Euer Durchlaucht, dürfte ich denn wohl mein Bayreuther Bierkrüglein neben die Tasse stellen?« fragte er zurück.

Großer Gott, dachte Ulrike, sollte er wirklich in seinem Gepäck ein Fäßchen Bier mitgebracht haben?

Die Gräfin Munk bekam einen Lachanfall. Sie saß neben Alexander von Egloff, bemächtigte sich seiner und wollte die neuesten Nachrichten aus Berlin hören. Kam das Königspaar bald zurück aus dem letzten Winkel der Monarchie? Sang man wirklich auf den Gassen »Unser Dämel ist in Memel?« Hielten die französischen Offiziere in der Tat Berlin für eine Vorstadt von Paris? So schwirrten ihre Fragen –

Es erwies sich dann, daß der »Katzensprung« von Löbichau nach Tannenfeld selbst für Raubkatzen groß wäre. Die Kutsche erreichte das andere Schloß nicht in Windeseile. Theodor von Lieven begleitete die Gäste zu Pferde und sah, als sei er ein Haussohn, noch nach, ob die Fremdenzimmer gut geheizt waren. Dann versprach er, morgen wiederzukommen und in der Nacht Schnee fallen zu lassen. Er hielt lange Ulrikes Hände. »Wenn du mir ein Schneegestöber von Briefen schicktest, Ulrike, wäre ich glücklicher, als wenn ich morgen vor dem Schloß von Löbichau Papierschnitzel streuen lassen muß, damit unsere Durchlauchtige ihr Fest in schöner Illusion geben kann.«

Es kam aber, wie die Herzogin Dorothea vorausgesagt hatte: Lieven ritt ein paarmal des Tages nach Tannenfeld, sei es, um Besuch zu machen oder zu Tisch abzuholen.

Wetterkundige Schäfer und andere mit der Natur vertraute Persönlichkeiten hatten Ihrer Durchlaucht versichert, es würde noch einige Tage anstehen, bis genug Kälte einsetze, um die Novembernebel in Schnee zu verwandeln. Wenn Ihre Durchlaucht erst die Mondsichel am Himmel erblicke, habe sie gewonnenes Spiel.

Ulrike blieb Zeit, sich den Park von Tannenfeld gründlich anzusehen. Seine schwermütigen Teiche, mit oder ohne den Schmuck von Steinbildern und Mahnmalen, fesselten sie. Diese spätherbstlich toten Weiher strömten eine Melancholie aus, die ihrem Herzen wohltat. Es kam ihr vor, als sei alles in diesem Park Gedächtnisfeier.

Der Oberjägermeister sah sich in den Forsten um, und Alexander suchte Gelegenheit, Theodor von Lieven näher zu treten. Er tat dies in dem brüderlichen Gedanken, daß er Ulrikes Freund kennenlernen wolle, um der sichtlich noch Zaudernden eine Weisung geben zu können.

Als nun endlich Schnee fiel, den die Herzogin mit wahrhaft kindlicher Freude begrüßte, sandte Lieven einen Boten, daß er zu früher Nachmittagsstunde den Schlitten schicken würde. Der Bote überreichte einen großen Strauß weißer Christrosen für Ulrike – sie brachte sie dem Vater für seinen Schreibtisch.

Der Oberjägermeister nahm an dieser töchterlichen Geste Ärgernis. »Ich brauche keine Bukette«, rief er unwillig. »Du weißt recht wohl, was Lieven dir mit den Schneerosen am Tage des Schneefestes sagen will. Seit zwei Jahren sehe ich sein Werben um dich mit an. So behandelt man einen Edelmann nicht, Ulrike.«

Sie verlor vor dieser brüsken Äußerung etwas ihre Ruhe: »Ich tue ihm doch nichts, Papa. Du selbst warst dafür, daß wir die Einladung annahmen und hierherfuhren.«

Der Oberjägermeister, dessen Gestalt in dem zierlich eingerichteten Raum schwer und massig wirkte, steigerte seine Stimme: »Das ist es eben, du stellst dich, als seiest du blind und ohne jedes Verstehen. Wenn dir Baron Lievens Pläne, in Wales eine Brüdergemeine zu gründen, nicht passen, so müßtest du ihm das längst gesagt haben und nicht den Anschein erwecken, als seien dir Armenpflege und Wohltätigkeit lieber als die Freuden der Jugend.«

Sie fand keine Antwort. Ihr Herz schlug unruhig. Wären wir doch zu Hause, dachte sie schmerzlich. Dies Gefühl verstärkte sich, als auch noch ihr Bruder eine Unterredung herbeiführte.

»Der Vater erwartet, daß du nun eine Entscheidung triffst, und was seine Wünsche sind, kann dir nicht unklar sein. Er möchte dich verlobt und bald verheiratet sehen.«

Sie parierte rasch: »Und du? Geht nicht Papas Wunsch nach einem Stammhalter?«

Alexander lehnte ein wenig steif gegen einen Schrank. Sein Gesicht war sehr schmal geworden, in den Augen lag nicht mehr das Träumerische von einst, sondern Wachsamkeit und fast Strenge. »Zärtliche Bindungen scheinen mir im Augenblick nicht das wichtigste für preußische Offiziere. Es wird, wie wir hoffen, bald Krieg geben.« Er sprach stockend weiter: »Ich hatte nicht gerade Glück als Freier. Ich suche keine neue Beziehung. Ein preußischer Offizier hat jetzt anderes zu tun.«

Ulrike wagte es, Maryas Namen auszusprechen, ja sie holte das Erinnern an die Treulose herbei wie einen Beistand.

»Auch Maruschka hat einen Vater. Auch dieser Vater kann zu einer Heirat gedrängt haben, die er für notwendig hielt. Die polnische Politik des Grafen Lagienski –«

In Alexanders Augen kam für Sekunden ein überraschtes Aufblitzen. Doch er unterbrach die Schwester: »Es ist einzig und allein von dir die Rede. Ich habe Baron Lieven nun näher kennengelernt. Er ist mir sehr sympathisch. Sofern dir sein frommer Plan mißfällt, so kann ich dir versichern: wenn er erfährt, du möchtest im Land bleiben, wird er gewiß alles tun, deinen Wunsch zu erfüllen. Er sieht vollkommen ein, daß Preußen Kämpfer um die Existenz von Staat und Volk braucht. Lievens Gesinnung ist absolut deutsch.«

Alexander machte eine kleine Pause und sprach dann mit Wärme weiter: »Auch ich bin durch einen Freund zum Offiziersberuf geholt worden.«

Ulrike blickte an dem Bruder vorüber. Sie versuchte zu sprechen und fand keine Worte. Alexander machte eine kleine Bewegung, streichelte Ulrikes dunkles Haar und sagte leise: »Wir wollen uns doch nicht beide von einer traurigen Jugendliebe niederdrücken lassen. Heinrich Hügel ist verschollen. Glaube mir, Ulrike, wer lebt, findet Mittel und Wege, eine Botschaft zu schicken. Du hast nach Heinrich Hügel gebangt und geweint, das weiß ich. ›Wunden gibt's, die ewig schmerzen‹, auch dieses weiß ich.«

Tränen sprangen in Ulrikes Augen, und Alexanders Stimme wurde weich: »Du kannst einmal deinen Kindern von einem schönen und tapferen Gefährten der eigenen Kindheit erzählen, der bei Jena für das Vaterland fiel. Deine Kinder werden von ihm wissen, wenn sie später fähig sind, das Jahr 1806 zu begreifen. In ihrem Munde wird Heinrich Hügels Name sein wie ein Lied. Und du willst doch Kinder? Ein Schatten kann sie dir nicht geben.«

Alexander sah Ulrikes Verwirrung und schloß kurz ab: »Papa will morgen früh aufbrechen. Es geht von den Festgewändern gleich in die Reisekleider. Nun, kleine Ulrike, denke daran, daß die Herzogin von Kurland und ihr Kreis doch sehr amüsant sind und zeige ein frohes Gesicht.«

In Pelze und Decken gehüllt fuhr man nach Schloß Löbichau. Der Oberjägermeister stellte die Scherzfrage, wieviel Jugenden die Herzogin Dorothea wohl erlebt habe. Man könne sich wirklich ein Beispiel an der kurländischen Durchlaucht nehmen. Sie würde nie das Rousseau-Wort sprechen: ›Voyez l'hiver sur ma tête‹, sondern einst weiße Haare wie frische Schneerosen tragen.

Baron Egloff nickte seiner Tochter ermunternd zu. Er hatte bemerkt, daß sie wirklich Lievens Christblumen am hochgegürteten Kleide trug.

Nachdem man in Schloß Löbichau eisige Korridore und Treppenfluchten überschritten hatte, taten sich überheizte Gemächer auf. Die Herzogin trug ein Schleierkleid, in dem sie den schönen Wuchs kaum verbarg; die junge Tochter glich ebenfalls einer antiken Göttin. Der Gräfin von der Recke solideres Gewand war mit Sternen geschmückt, und die schwedische Gräfin Munk hatte ihrem Gepäck ein gar wunderlich wirkendes Ballkleid mit Hermelinbesatz entnommen. Die kurländischen Damen, neben denen es nur noch unbedeutende Tanzjugend gab, nahmen Ulrike viel in Anspruch. Das war ihr nicht unlieb, trotzdem es ihr vorkam, als sollte sie ein Examen in Weltgewandtheit bestehen.

Elisa von der Recke hielt es mit den Himmelsgestirnen, und auch hier war Ulrike unterrichtet, konnte sich über das schöne Wintersternbild des Orion und die sommerliche Pracht der Milchstraße äußern. Der schwedischen Gräfin durfte man dann gestehen, weder Rom noch Neapel gesehen zu haben, und sie rief heiter, daß die meisten Menschen erst auf ihrer Hochzeitsreise diese Städte kennenlernten.

Theodor von Lieven stand neben Ulrike, die fröhlichen Blicke der Gräfin wanderten zu dem Paar.

So gegen den Frühling hin, führte Gräfin Munk aus, wenn der alte Winter in seiner Schwäche sich in rauhe Berge zurückzieht, müsse man nach Rom aufbrechen, um dort Ostern zu verleben. So habe sie es einst mit ihrem Gatten gemacht, so würden auch andere liebe Menschen es tun.

Es fehlte nicht viel, daß die schwedische Dame Ulrike und Theodor von Lieven noch glückliche Fahrt gewünscht hätte. Lieven verhinderte sie geschickt daran, indem er in laute Bewunderung über ihr Gewand ausbrach …

Das Fest des ersten Schnees hob an. Schlitten klingelten, eine kleine Ausfahrt kam, und dann gefiel es der bizarren Herrin von Löbichau, den Schnee beleuchten zu lassen. Von den Fenstern des Tanzsaals aus erblickte man Bediente, die Pechpfannen in Brand setzten oder mit Windlichtern durch die weiße Stille liefen.

Diese Veranstaltung hatte immerhin den Reiz des Neuen, sollte eine Erinnerung an kurländische Feste sein.

Bei einem sehr ausführlichen Souper herrschte munteres Geplauder, und dann kam der Tanz.

Ulrike fühlte Bangigkeit. Sie wünschte sich fort, oder sie wünschte doch, Theodor würde seine Frage an sie nicht gerade in einem festlichen Ballsaal stellen. Wäre sie allein mit ihm, so konnte sie ihm vielleicht erzählen, wie sehr sie noch an den Gefährten der Kindheit und der frühen Jugendjahre dachte.

Hier, unter der mondänen Gesellschaft, unter dem Druck väterlichen und brüderlichen Zusprechens, war ihr die innere Freiheit genommen. Sie tanzte mit einigen der jungen Gäste, sie gab sich schon der Hoffnung hin, Theodor würde es für heute mit dem genug sein lassen, daß sie seine Blumen trug.

Wirklich, es schien so. Die Herzogin hatte ihn ausgezeichnet und zum ersten Tanz befohlen. Dann ward ihm die Ehre zuteil, die junge Tochter, künftige Herzogin von Dino, zu führen. In den großen Augen der Prinzessin lag sowohl Leere als Lebensgier. Ihr sehr schmales Gesicht drückte Herrschsucht und einen klirrenden Hochmut aus. Armer Theodor, dachte Ulrike ein wenig mitleidig und zugleich erleichtert.

Doch der Augenblick kam, da der Balte aller Pflichten gegen fürstliche und gräfliche Damen enthoben war und Ulrike zum Tanz bitten konnte. Er stürzte sich, als käme er von langen Fahrten, in das Wiedersehen mit Ulrike. Sie fühlte seine bebenden Hände, sie sah seine strahlenden Augen. Sekundenlang war ihr, als gliche er dem Jugendgeliebten in der Kraft seiner Männlichkeit.

»Jetzt ist unsere Zeit«, flüsterte er, »wie schön bist du in dieser Nacht. Wir wollen tanzen, tanzen. Und wenn du es willst, wenn es dir lieb wäre, so geh ich zu Alexanders Regiment. Er hat recht, ehe Deutschland befreit ist, müssen andere Pläne ruhen.«

Die Gräfin Munk kam ihnen im Tanze entgegen und veranlaßte ihren Partner, stehen zu bleiben. »Wenn Sie in Rom gewesen sind, müssen Sie nach Stockholm kommen. Ich werde es Ihnen zeigen und Sie dann auf mein Gut in Dalekarlien entführen.« Sie lachte, nickte und flatterte weiter.

»Wir haben eine Beschützerin, Ulrike. Nein, ganz im Ernst. Von dieser Frau geht es wie der Befehl zur Lebensfreude aus.«

Er führte Ulrike weiter, durchtanzte mit ihr einen Nebenraum, kam in ein drittes Gemach, ein kleines Kabinett.

Von einem Sofa aus blickte Ulrike auf ein wunderliches Gemälde, das aufgehäufte Felsentrümmer und Rokokokunstbauten unter lichtem Blätterdach zeigte. Sie erkannte, die etwas willkürliche Zusammenstellung sollte einen Eindruck von dem Lustschloß der Markgräfin Wilhelmine, von Sanspareil vermitteln. Tränen traten in ihre Augen: dort war der letzte Abschied von Heinrich Hügel gewesen. Gab er ihr jetzt ein Zeichen durch dieses Bild?

»Du weinst?« fragte Lieven besorgt. Er saß ihr ganz nahe. Seine Kraft strömte zu ihr hinüber, sie fühlte sich in einer traumhaften, unbegreiflichen Welt. »Dein Bruder machte mir eine Andeutung, daß dir jemand teuer war, der bei Jena gefallen ist. Aber die Tapferen wollen, daß wir leben. Und wenn ich dir ein Nachfahr seines Herzens sein muß, Ulrike, sind wir nicht alle Nachfahren verschollener Herzen?«

Unter der offenen Flügeltür erschien die Herzogin von Kurland. »Wer hat das gesagt, Lieven?« rief sie mit ihrer kindlichen und klirrenden Stimme. »Dieses Wort meine ich: Noch gehen deine Träume so heiß und so groß, hin über die kurische Scholle.«

Lieven war aufgesprungen, langsam erhob sich Ulrike.

»Ein baltisches Edelfräulein wird es noch in hundert Jahren sagen, Durchlaucht«, antwortete Lieven.

»Nein, wie seltsam, was wissen Sie von einem Edelfräulein in hundert Jahren?«

Er lachte sein helles, baltisches Lachen: »Allergnädigste Durchlaucht, wir wissen genau, was kurische Edeldamen in hundert Jahren sagen und denken. Es bleibt immer dasselbe: Wo wir leben, ist Kurland.«

Die Herzogin war einen Augenblick betreten. Über ihr zurechtgemachtes, immer wie von leisem Erstaunen überwehtes Gesicht kam ein Zug von Ernst. »Weiße kurländische Birkenstämme – deutscher Schnee«, flüsterte sie, als dränge ein Erinnern an ihre wandernde Seele. Dann klatschte sie in die kleinen Hände und rief:

»Tanzt, meine Kinder, tanzt!«

Theodor von Lieven und Ulrike gehorchten. Die Gräfin Munk tauchte neben der Herzogin auf und verschenkte ihr Beschützerlächeln.

Die schwedische Gräfin erblickte plötzlich Jean Paul. Er war von Bier, Wein und dem Anblick der schönen Frauen sehr erhitzt, hatte es schon fertig gebracht, seine gefaltete Hemdkrause zu zerknittern und die Weste zu öffnen. Vielleicht waren es diese Anzeichen von Gemütlichkeit, die die Gräfin Munk in ihre Muttersprache verfallen ließen.

»Ihre reizende Landsmännin und der baltische Baron, in der Tat, verehrter Herr, sie sind ein erfreuliches Paar. Heute abend ist die Sache wohl perfekt geworden, nicht wahr?«

Jean Paul wußte, daß man vornehmen Damen nicht widerspricht, es sei denn, sie planten einen Angriff. Er verstand kein Wort schwedisch, doch er fühlte Wohlwollen und Freude aus der Stimme der Dame. So verbeugte er sich, lächelte höflich und sagte: »Gnädigste Gräfin, ich bin ganz Ihrer Meinung.«


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