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Oda Marie lag lange krank im Schlosse zu Nordstad. Eine Nervenkrisis war das Ergebnis ihrer Kämpfe; schauerliche Fiebergespenster kamen an ihr Lager. Der gerichtete Grönvold erschien, aber er hatte seinen Kopf noch und blickte Herzog Karls Tochter finster an. Dr. Pelle Kroß verschwieg dem Kronprinzen nicht, daß Oda Maries Leben bedroht war. Da sah er den eben Gesundeten die Fassung verlieren. Der weiche, zum Guten strebende Teil in Arvids Wesen offenbarte sich wieder, aber er hatte nur Fragen und Bitten. Dr. Pelle Kroß mußte ihm versprechen, Oda Marie zu retten. Solches Versprechen war im Grunde nichts wert – der Arzt war selbst noch ratlos. Immerhin bewirkte der Ernst der Lage, daß die allgemeine Stimmung sich zugunsten Oda Maries wandelte. Sie spürte es, als sie an Leonie Adams' Arm zum erstenmal durch die Schloßgalerie ging. Sie sah zu den steif-bunten Ahnenbildern empor, und plötzlich stand König Erik vor ihr. Er wurde selbst ein alter Ritter unter den Bildern der Ahnen; er verbarg seinen kaum verrauchten Zorn gegen die Schwiegertochter. Zwei Tage später begegnete Oda Marie der Königin. Da geschah es, daß auch eine menschliche Regung über diese versteinerte Frau kam. Der Anblick der jungen Schönheit, die eben noch der letzten Zerstörung standgehalten, ergriff die Königin. Sogar die Gräfin Kühlhorn-Wetterstein setzte ein empfindsames Lächeln auf. Selma Löwenstern aber lief schluchzend davon. –
Ihr Mann wagte sich noch nicht zu ihr. Das faßte sie als gutes Zeichen auf. Mochte seine Empfindung Dauer haben oder nicht – sie mußte aus der Tiefe stammen. Als wunderbar klare Herbsttage kamen, trieb es die Genesene wieder hinaus. Sie brauchte andere Bilder – nicht mehr die hohen, ernsten Zimmer des Schlosses, nicht mehr den ummauerten Garten, wo sie vor der Sörensen nicht sicher war. Ihr Entschluß war gefaßt. Als sie hörte, daß Arvid von einem Jagdausflug heimgekehrt war, ließ sie ihn zu sich bitten. Er kam. »Verzeih', daß ich mich solange nicht blicken ließ, Oda Marie. Aber die Kugel, die ich nicht mehr im Körper habe, macht mir immer noch zu schaffen. Nun sehe ich dich wenigstens wieder bei Kräften …« Er küßte, ohne sie anzusehen, ihre Hand. – »Es geht mir wohl nicht besser als dir, Arvid. Aber ich möchte reisen. Das wird mir gut tun. Das wollte ich dir mitteilen.« – »Sehr vernünftig. Du willst gewiß zu den Kindern? Du hast sie ja schrecklich lange nicht gesehen.« – Oda Marie zuckte zusammen; sie starrte zu Boden. »Ich habe sie lange nicht gesehen, aber ich will ganz offen sein, Arvid – es ist auch jetzt noch nicht die richtige Zeit. Den Kindern geht es bei Gertrud Adlersfeld gut – ich weiß aus Gertruds Briefen, wie sie leben. Sie fragen nicht nach mir, und ich könnte ihnen auch nichts sein …« – »Nun, errege dich nicht. Selbstverständlich wollte ich mit meiner Frage keine Forderung aussprechen. Du kannst tun, was du willst. Wohin möchtest du reisen?« – »Nach Hause … Nach – Udde. Zu meinen Eltern …« – »Also doch wieder einmal? Gewiß! Sehr vernünftig! Wie lange willst du denn fortbleiben? Bleibe nur recht lange. Was für Gefolge nimmst du mit?« – »Gar keines, Arvid. Ich möchte ganz allein reisen.« – »Ganz allein? Das ist unmöglich! Was ist denn das wieder für eine Marotte! Du als Kronprinzessin, als Rekonvaleszentin – ganz allein!« – »Laß mich reisen, wie es sein muß, Arvid.« – »Nimm wenigstens eine Zofe mit – um meinetwillen!« – »Also gut – um deinetwillen.« –
Die Fahrt zur deutschen Küste hatte etwas von Wiedergeburt für Oda Marie. Die Passagiere des Dampfers erkannten die verschleierte junge Frau in ihrem einfachen Reisekleid nicht. Die Zofe war ebenso verschwiegen wie die Schiffsbesatzung. Auch in der Hafenstadt wußte man nicht, wer da mit gesenktem Blick zum Bahnhof hinaufstieg. Eine vornehme Dame – viele vornehme Damen kamen täglich und fuhren weiter. Doch als Oda Marie einen kahlköpfigen Herrn sah, der neben dem Stationsvorsteher stand und eben sein Poetenauge auf die alleinreisende Dame richtete, stieg sie schleunigst in das Coupé. Die Zofe ließ die Gardine über das Fenster fallen – man war gerettet.
In Udde standen Eltern und Geschwister auf dem Bahnhof. Ein inniger Kuß – dann ging es ohne Aufsehen in die Wagen und zum Schlosse. Herzog Karl saß seiner Tochter in schmerzlicher Freude gegenüber. Was er da vor sich sah, zeugte von Enttäuschung und tiefem Leid. Es war seine Tochter nicht mehr. Dennoch hatte er sie wieder. Dieses Gefühl beherrschte ihn. Die Gedanken seiner Frau schweiften freilich nach dem Schlosse in Nordstad hinüber. Herzogin Mathilde war Königin Ortruds Schwester. Sie konnte jetzt nicht selbständig fühlen, wenn sie auch zärtlich die Hand ihrer Tochter festhielt. Immer wieder überlegte sie, ob dieser Besuch etwa eine verkappte Flucht wäre. Gertrud und Elisabeth überboten sich in schwesterlicher Zärtlichkeit. Sie waren reifer geworden, aber ganz noch die Kinder des Waldfriedens, die nur ahnten, was draußen geschehen. Wie eine Kriegerin, die wund aus dem Kampfe heimgekehrt, behandelten sie ihre Schwester. Jede Frage, die sie verletzen konnte, wurde scheu vermieden. Vor dem Schloßportal standen die Gespielinnen: Hanne Thyssen, Rose Kestner und Lotte Kluckhahn. Als der Wagen hielt, streckten sich Oda Marie drei schüchterne Mädchenhände entgegen. Eine Umarmung wagten die Freundinnen nicht – ein wenig hemmte sie die Kronprinzessin doch. Aber Oda Marie zog die drei sofort in lange, innige Umarmungen. Dann ging sie zu Karl Ludwig, der selbst noch Rekonvaleszent nach einem Scharlachfieber war, und tröstete ihn, daß er an ihrem »feierlichen Empfang« nicht hatte teilnehmen können. –
Oda Marie schritt über die Waldwiese, wo ihr Vater einst gepredigt hatte. Hier hatte sie mit Arvid getanzt. Die Schäferin mit dem Schäfer … Jetzt war dem idyllischen Spiel der furchtbare Ernst gefolgt. Sie hatte rote Jakobinermützen leuchten, das Beil der Guillotine fallen gesehen. War August Grönvold nicht ein Zuschauer gewesen, als sie hier mit dem Prinzen Arvid getanzt? Was waren Jahre – was Jahrhunderte? Der Untergang blieb dem Volk. – Den altbekannten Pfad durch den Park ging sie zum See hinunter. Mißtrauisch prüfte sie sich. Ihr graute vor Empfindsamkeit. Diese Bäume waren ja nicht mehr dieselben – alles hatte sich erneut. Die ganze Schöpfung wuchs dem Verhängnis nach. Eines galt es: nachzuprüfen, ob der eigene Frühling wirklich echt gewesen. Sie saß auf der Bank, die Arvid einst getragen hatte, als sie ihn zum erstenmal gesehen. Jetzt sah sie sich selbst aus der Bucht rudern und auf ihn zusteuern, auf den wartenden Mann. Golo bellte. Der arme Golo. Das Gelübde der Sommernacht, unter den jungen Eichen, hatte gelogen. War Arvid treulos aus Wissen und Wollen, oder konnte er gar nicht treu sein? Und sie – es war doch mehr Genuß als Verdienst, an Schwüre zu glauben. Trieb war das Stärkste – jetzt sah sie es ein, im Herbst. –
Eines Morgens wagte sich Oda Marie doch nach »Deutsch-Freiland«. Zwischen den Kolonistenhäusern war es still. Die Männer saßen in den Werkstätten – die Frauen hatten im Haushalt zu tun. Oda Marie konnte lange unbemerkt umhergehen. Dann aber hatte sie Begegnungen. Vor der Schule traf sie Herrn Kluckhuhn. Das Gesicht des Schulmeisters war noch faltiger und vergrübelter geworden. Er grüßte die Kronprinzessin in scheuer Ehrfurcht und trat dann, ohne es gewollt zu haben, in die Kirche. Aus dieser kam eben Pastor Thyssen. Oda Marie sprach ihn an: »Wer wohnt jetzt in Grönvolds Hause, Herr Pastor?« – Der Geistliche antwortete errötend: »Male Petzold, Königliche Hoheit.« – »Ach, nennen Sie mich doch bitte Frau Oda. In ›Deutsch-Freiland‹ möchte ich nicht anders heißen. Bitte, Herr Pastor.« – »Gewiß – Frau Oda. Verzeihung – es ist so lange her …« – »Also Male Petzold wohnt in Grönvolds Hause? …« – »Sie hat sich dort ein Atelier eingerichtet. Sie arbeitet wieder als Bildhauerin.«
Oda Marie war jetzt leichter gestimmt. Sie scheute den Weg nach Grönvolds Hause nicht. Als sie sich dem Garten näherte, sah sie Male Petzold darin arbeiten. Sie stand wie ein kleiner Mann in ihrem kurzen Röckchen, und führte mit bloßen Armen den Spaten. Als Oda Marie sie anrief, wandte sie den erhitzten Kopf nach ihr um. »Ja, das ist eine Ueberraschung! Frau Oda! Das ist nett, daß Sie kommen!« – Sie streckte ihr die Hand hin, besann sich aber und rieb sie erst an ihrer Schürze ab. Oda Marie zog Male Petzold lächelnd zu sich heran. »Glauben Sie mir, es ist mir immer lieb, wenn ich die Malliner Erde berühre.« – Die Bildhauerin ließ ihre Hand in Oda Maries Händen. »Darf ich Sie ins Haus führen, Frau Oda?« – »Wir wollen lieber im Garten bleiben. Es ist doch Grönvolds Haus, nicht wahr? Da finde ich zu viele Erinnerungen. Aber schön scheinen Sie hier alles hergerichtet zu haben, liebes Fräulein Male.« – »Ach Gott! Meine freie Zeit nehm' ich halt fürs Haus und für den Garten! Ich grabe und bastle doch so gern! Dann kriegt man auch keine dummen Gedanken! Bitte, setzen wir uns da unter die Linde – da hab' ich einen feinen Platz gezimmert!« – Sie ließen sich auf die Bank nieder. Male Petzold wußte nichts zu sagen. Der Anblick Oda Maries machte sie stumm. – »Hier ist es friedlich,« sagte Arvids Frau nach einem Schweigen. »Hier sollte man nie fortgehen … Unter diesem Baum habe ich immer mit Grönvolds Kindern gespielt.« – Male Petzold wurde dunkelrot – nur mühsam preßte sie eine Frage heraus: »Was ist denn aus der Frau und aus den Kindern geworden?« – »Ich habe sie mit Geld versehen und nach Amerika geschickt. Dort hilft ihnen ein Freund meines Vaters weiter.« – Male Petzold nickte. Eine tiefe Furche war zwischen ihren treuen Augen entstanden. »Das ist gut. Um die Frau wär' es schade.« – »Ist es nicht auch schade um ihn?« – Die Bildhauerin senkte den Kopf. Nach einer Pause fand sie die Antwort: »Vielleicht. Ich habe ihm nie recht getraut. Er war im Grunde nicht anständig.« – »Wirklich, Fräulein Male?« – »Wirklich, Frau Oda.« – »Wie denken Sie denn jetzt – wundern Sie sich nicht über meine Frage – mir liegt nämlich viel daran – – wie denken Sie jetzt über meinen Mann?« – »Ihr Mann? Der ist ein Nordstader …« – Ein wehes Lächeln kam auf Oda Maries Züge. »Das ist richtig. Sagt das alles?« – »Es muß wohl so sein,« stieß Male Petzold mit heftig arbeitender Brust hervor. »Sonst könnte man ja verrückt werden! … Man weiß das Schlimmste und das Beste von ihm! … Man weiß, daß er den Golo umgebracht hat, und man sieht ihn vor sich, wie er die Schraderschen Kinder aus dem Feuer holte!« –
Als Oda Marie gegen Abend wieder an den See hinunterging, sah sie, daß sie heute nicht allein war. Auf der Bank saß ihr Vater; er blickte still in den blauen Himmel hinaus. Am Ufer spielten fünf junge Mädchen mit einem jungen Mann. Der Jubel war groß. Oda Marie erkannte ihre Schwestern und das Dreigestirn Hanne, Rose, Lotte. Der junge Mann, der einem einfachen Gutsbesitzerssohn glich, war ihr unbekannt. Karl Ludwig befand sich nun auch wieder im Freien und ließ, ein bißchen bleich noch, einen kleinen Dampfer auf dem See schwimmen. Oda Marie näherte sich ihrem Vater – erfreut sah er sie kommen. »Setz' dich zu mir, Kindchen. Das ist und bleibt doch die beste Stunde. Ich glaube, du wanderst zuviel.« – »Ich kann nicht lange stillsitzen, Vater. Aber jetzt ruh' ich mich gern.« – Sie sahen eine Weile dem Ballspiel der jungen Leute zu. Dann bemerkte Gertrud ihre älteste Schwester: »Oda! Da ist ja Oda! Spiel' doch mit!« – »Wir sind zu wenig Damen!« rief Elisabeth lachend. – Der junge Mann zog errötend den Hut und näherte sich der Bank. – »Ach, du kennst wohl Herrn Heidenrot noch nicht?« fragte der Herzog. »Das ist unser Gutsnachbar, Herr Heidenrot junior. Laßt Oda nur bei mir, Kinder. Sie ist immer noch ein bißchen klapprig. Das Ausruhen tut ihr gut.« – »Dann machen wir einen Wettlauf!« rief Lotte Kluckhuhn mit blitzenden Augen. »Wir haben jetzt genug Ball gespielt – was?« Sie schlug plötzlich Herrn Heidenrot auf die Schulter, und der arme, vereinzelte Jüngling mußte sich von den fünf Damen jagen lassen. Lange noch hörte man das Lachen und Rufen zwischen den Parkbäumen.
Herzog Karl sah seine Tochter lächelnd an. »Kinder. Immer noch Kinder – was, Oda?« – Sie senkte den Kopf. »Die haben es gut, Vater. Wer ist der junge Mann?« – »Du möchtest wohl eigentlich wissen, was er bedeutet? Ja, er bedeutet schon was. Zunächst ist er ein ausgezeichneter Mensch – und dann – laß es dir sagen, Oda: er geht auf Freiersfüßen. Er steht dicht vor der Verlobung mit einem der Spielkinder, die ihn jetzt jagen.« – »Dann soll ich wohl raten, mit wem? Also Lotte, Vater.« – »Fehlgeschossen.« – »Rose?« – »Keine Rose.« – »Hanne etwa?« – »Auch davon weiß ich nichts.« – Oda Marie starrte ihrem lächelnden Vater ins Gesicht. »Aber es kann doch unmöglich eins von unseren Mädels sein?« – »Warum unmöglich? Hast du dich nicht auch mal verlobt?« – Oda Maria blickte auf die Eichen am anderen Ufer hinüber und nickte: »Ja … Das ist wahr. Das hab' ich getan. Wer ist es also, Vater?« – »Gertrud. Ich bin einverstanden. Er ist ein treuer, gesunder, ehrenhafter Mann. Er wird mir vielleicht die Kolonie erhalten. Wunderst du dich über diese ›Mesalliance‹?« – Oda Marie stand langsam auf. »Nein, Vater … die habe ich gemacht.«
Bevor er sie festhalten konnte, ging sie zu Karl Ludwig hinunter. Der hockte auf dem nassen Ufersand und mühte sich mit seinem kleinen, rasselnden Dampfer ab. Oda Marie sah ihm eine Weile zu, dann sprach sie ihn an: »Was willst du denn mal werden, Luz?« – Er blickte leuchtend zu ihr auf. »Aber das weißt du doch, Oda!« – »Ich weiß es nicht. Wir haben uns solange nicht gesehen.« – »Ich werde natürlich Seemann! Ich gehe zur Marine! Der Kaiser weiß es schon!« – Oda Marie lachte: »Nun, wenn es der Kaiser schon weiß! … Du glaubst also, das Leben auf dem Meer ist besser als das Leben auf dem Lande?« – »Ganz sicher! Dazu ist ein Mann überhaupt da!« – Die Schwester schwieg und sah noch eine Weile den Versuchen, das Spielzeug flottzumachen, zu. Eben dachte sie, daß auch Arvid eigentlich ein Seemann war, als sie den Vater hinter sich fühlte. – »Sei mir nicht böse, daß ich vorhin aufgestanden bin, Vater. Es treibt mich oft so plötzlich hoch.« – Er sah sie mit feuchten Augen an. »Im Gegenteil – ich habe dich um Verzeihung zu bitten.« – »Warum denn?« – »Vergiß die dumme ›Mesalliance‹! Komm mit, mein Herz – ich möchte mit dir reden.« Er führte sie zur Bank zurück. Der Abend kam ins letzte Feuer. Wie flüssiges Silber lag der See unter dem glühenden Himmel. Schwarz und ernst ragte drüben der Wald. »Oda, darf ich dich etwas fragen?« begann der Herzog nach einer Weile. »Sage mir offen, Kind, was hast du eigentlich vor? Bist du zu einem Entschluß gekommen?« – »Worin, Vater?« – »Du hast recht, mich das zu fragen – ich bin ja auf Vermutungen angewiesen. Du hast uns besucht, du willst dich hier erholen – weiter weiß ich nichts. Aber ich sehe doch auch ein bißchen in dein Inneres, Oda. Ich habe das Gefühl, als ob du die Brücke hinter dir abbrechen wolltest, und als ob deine Hände dafür zu schwach wären.« – »Die Ehe ist eine Brücke, die wir niemals abbrechen können, Vater. Daran halte ich fest.« – Er sah überrascht in ihr blasses Gesicht. Dann rückte er ihr näher. »Gut. Ich danke dir für diese Antwort. Mutter glaubte mich auf das Gegenteil bringen zu können. Du kennst doch Mutter. Sie hat nur Angst vor den Verhältnissen, nie vor den Menschen.« – »Vor den Verhältnissen kann man auch Angst haben, Vater. Die haben leider die meisten Menschen gemacht.« – »Du willst also nicht bei uns bleiben? Du willst zurück zu Arvid, zu deinen Kindern?« – »Ich weiß es nicht, Vater.« – »Oda, wie soll ich das verstehen?« – »Ich habe keine Kraft mehr zu dem allen – da drüben …«
Oda Marie lehnte sich mit zuckendem Halse zurück. Der Vater nahm in inniger Besorgnis ihre Hand. »Oda – du bist doch stark – ich kenne dich. Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, daß ich dich damals, als wir über Grönvold sprachen, entmutigt habe. Das war ganz falsch. Ich bin ja ein Mann –« – Sie nickte heftig. »Ja, Vater! Das ist der Unterschied! Ein Mann kann wollen – wir Frauen möchten es nur!« – »Ich weiß, daß du in Nordstad viel erreicht hast.« – »Was denn? Man läßt mich aus der Fürstenmaske nicht heraus! Ich darf besuchen und schwatzen und vorübergehen! Protegieren – weiter darf ich nichts! Die oberste der Hofschauspielerinnen soll ich sein! Das kann ich nicht! Ich kann keine Herzen betrügen und will keine Herzen, die sich betrügen lassen!« – »Du stehst in Nordstad vor einer ungeheuren Konvention. Jakob Kadmus ist dafür der richtige Mann – wir nicht. Aber das Gute von dir dringt doch durch alle Ritzen – das ist schließlich stärker, Oda. Vergleiche dich nicht mit mir. Was ist ein Bauer, der in Frieden sein Feld bestellen darf, gegen einen König, den ein ganzes Land erwartet? Ich kann dir kein Vorbild sein. Du mußt neue Wege gehen, deine eigenen, Oda. Du hast sie schon beschritten. Wenn du nämlich durchhältst …« – Oda Marie nahm plötzlich die Hand ihres Vaters. – »Was hast du, Kind?« – »Du bist so gut! Du willst mich trösten! Aber ich bin eine Frau, Vater, und ich werde immer wieder am Manne scheitern! Wenn der Mann erst König ist! …« – »Du wirst seine Königin!« – »Nicht seine! Niemals seine!« – »Dann gründe dein eigenes Regiment! Beiße die Zähne aufeinander! Mache eine Palastrevolution! Herrgott, das sind ja lauter Memmen!« – »Du traust mir etwas zu, was ich geträumt habe, nicht, was ich leisten kann.« – »Dann laß dich also von deinem alten Vater auf das bißchen Wirklichkeit zurückführen. Noch ist es Zeit, Oda. Du willst dich nicht von Arvid trennen. Warum? Weil du Kinder hast. Das ist dein oberstes Gesetz – nicht das gedruckte in staatlichen Büchern.« – »Meine Kinder sind nicht gesund, Vater …« – »Um so mehr, Oda! Höre jetzt die Stimme – sie ist nicht die meine – du weißt, woher sie kommt! Bleibe bei dem, was du geschaffen hast! Gib deinen Kindern aus deinem Besten eine Möglichkeit zum Glück!« – »Mein Sohn soll Thronerbe sein und wird das Erbe nicht erleben. Meine Tochter …« – »Sie sind deine Kinder, Oda! Weiter sind sie nichts!«
Oda Marie tat einen langen, heißen Blick in den erbleichenden Abend hinaus. »Jetzt hab' ich dich verstanden, Vater,« erwiderte sie tonlos. »Die ersten Gedanken der Fürstin sind nicht besser als die letzten Bettlergedanken, nicht wahr?« – »Wir müssen jedenfalls immer auf unser Eigenstes und Letztes zurückkommen. Weil wir Menschen sind, Oda. Alles andere ist Idee.« – »Dann bin ich eben nur ›Idee‹ gewesen – aus deinem Geist, Vater. Ich habe dich mißverstanden, als ich dich verstand. Jetzt gehe ich dorthin zurück, wo Frau Schrader war, und wo Frau Grönvold sein wird, damit ihre Kinder brauchbare Menschen werden.«
Der Herzog nickte. Sie kehrten schweigend in das Schloß zurück.