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Der verkaufte Gesang

(1881)

 

Daß die Kunst des Gesanges unter Brüdern wohl ein Schloß oder Rittergut werth sei, wird von Denen, die sie jemals geübt oder geliebt haben, Niemand leugnen, während Diejenigen, die den Klang des Goldes und Silbers aller Musik von Saiten- oder Menschenstimmen vorziehen, nicht einen rothen Heller dafür zu geben und sie als die brodloseste und unnützeste aller Künste zu betrachten pflegen. Den Ersteren werden wir also nichts Neues sagen und die Letzteren nicht bekehren, wenn wir ein Geschichtchen erzählen, welches darthut, in wie hohem Preise einst der Gesang gestanden hat, freilich zu einer Zeit, da auch die Dichtkunst noch einen goldenen Boden hatte und ihren Mann nährte, da Hoch und Gering sie zu ihrer Lebensnothdurft rechneten und schöne neue Lieder so wenig missen konnten, wie vom Bäcker das Brod. Immerhin aber möchte es tröstlich und erbaulich sein, daran zu denken, daß die Welt nicht zu allen Zeiten so krämerhaft gesinnt und nur auf den handgreiflichsten Nutzen gerichtet war, sondern daß es einmal Menschen gab, die das Ueberflüssige für das Unentbehrlichste hielten und alle Reichthümer und Herrlichkeiten der Welt gering achteten gegen einen Lippenhauch, der freilich die goldenen Schätze der Seele an den Tag zu bringen vermochte.

In der Auvergne lebte, bald nachdem die wilden Albigenserkriege vertobt hatten, ein Brüderpaar auf einem sonnig gelegenen, mit Wäldern und Fruchtfeldern breit umgürteten Schlößchen, an welchem der Kriegssturm vorübergeweht war, ohne ihm auch nur eine Thurmzinne zu brechen. Dies war um so wundersamer, als der alte Burgherr, ein Herr von Maensac, von Herzen der ketzerischen Partei ergeben war und seine heftige Gesinnung gegen Rom und die päpstlichen Kreuzfahrer in mehr als Einem tapferen Sirventes mit den künstlichsten Reimen ausgesprochen hatte. Das Wunder wurde freilich gemindert, da diese flammenden Proteste nicht über die Mauern des Schlosses hinausdrangen und daher wie eine Faust in der Tasche den Gegner nicht reizen konnten. Es war nicht Feigheit, was den wackeren Baron daran hinderte, seine singenden Brandraketen frei und offen in den schwarzumwölkten Himmel steigen zu lassen. Er hätte, Aug' in Auge dem grimmen Simon von Montfort gegenüber, aus seiner Herzensmeinung kein Hehl gemacht. Doch trug er überhaupt, so eifrig er in seinen Mußestunden sich mit der Versmacherei abgab, eine tiefe und gerechte Scheu, seine verstohlene Kunstübung irgend einem fremden Auge zu verrathen, da er sich in aller Demuth für nicht viel Besseres hielt, als was man heutzutage einen Dilettanten zu nennen pflegt. Die Lust war groß, die Kraft gering, und seitdem einmal ein wirklicher Troubadour, dem er seine Exercitien schamhaft und zögernd vorgelegt, bittend, ihm reinen Wein einzuschenken, dem redlichen Manne alle poetische Phantasie abgesprochen und nur seinen reinlichen Versbau gelobt hatte, begab er sich des geliebten Zeitvertreibes gänzlich und wandte seinen Fleiß desto nachdrücklicher auf die Ausbildung seiner beiden Söhne, Austorc und Peire, Die provenzalische Form für Pierre. die schon als Knaben eine besondere Lust zu allerlei Reimwerk zeigten und in denen er die Erfüllung alles dessen zu erleben hoffte, was in ihm selbst nur Traum und Wunsch geblieben war. Da er nun das Technische der Poeterei ganz wohl inne hatte, konnten seine Söhne in der That keinen besseren Lehrmeister erlangen, als den eigenen Vater, und so waren sie denn auch zu ganz fertigen jungen Versschmieden herangereift, als der treffliche Alte starb, nichts lebhafter bei seinem Scheiden aus der Welt beklagend, als daß es ihm nicht mehr vergönnt sein sollte, sich am Dichterruhme, der durch ihn selbst dem Hause Maensac nicht hatte blühen sollen, wenigstens in seinen Kindern zu weiden.

Die beiden Jünglinge, die gerade auf dem Punkt gestanden hatten, als flügge junge Sänger sich aus dem Nest zu schwingen, ließen sich durch die Trauer um den Tod des Vaters nicht lange zurückhalten, zumal ihnen die Burg nun doppelt öde und die Höfe und Fürstenschlösser der Provence um so verlockender erschienen. Sie übergaben ihren heimathlichen Besitz einem Verwalter, der hoch und heilig gelobte, des Gutes so getreu zu pflegen, als ob der verklärte Ritter noch überall selbst nach dem Rechten sähe, und zogen mit wohlgespicktem Beutel auf ihre erste Sängerfahrt aus. Da sie sich sehr lieb hatten und von Kind an nie getrennt worden waren, gedachten sie auch auf ihrer Wanderschaft und bei der Ausübung ihres Berufes brüderlich verbunden zu bleiben. Doch schon nach kurzer Zeit erkannten sie, daß dieser ihr Vorsatz nicht wohl durchzuführen sei, ohne ihrer bisherigen einträchtigen Liebe und Treue Gefahr zu bringen. Es konnte nicht fehlen, daß sie in eine unholde Nebenbuhlerschaft geriethen, sowohl bei schönen Frauen als auch in der Gunst der Großen, davon zu schweigen, daß auch ihre Spielleute oder Jongleurs sich mit scheelen Blicken ansahen, wenn der Eine besser sang oder spielte als der Andere, oder einen fetteren Bissen erschnappte. Als es zum ersten Mal so weit kam, daß sie die Burschen, die sich jählings in die Haare gerathen waren, mit Gewalt wie zwei in einander verbissene Doggen trennen mußten, sprach der ältere und allzeit weisere Austorc zu seinem Bruder:

Lieber, es wird gut und heilsam sein, daß wir verschiedene Wege gehen, so hart es uns ankommt. Wir müssen versuchen, Jeder auf seine eigene Hand unser Glück zu machen, da zwei Maensacs an einem Orte des Guten zu viel zu sein scheinen. Willst du also nach dem Süden ziehen, so wende ich mich gen Norden, oder umgekehrt, je nach deinem Belieben. Wenn das Jahr verstrichen ist, wollen wir uns auf unserer väterlichen Burg wieder zusammenfinden, um ohne Neid und Eifersucht eine fröhliche Woche mit einander zu verleben und unsere Abenteuer auszutauschen.

Peire, der Jüngere, der ein Träumer war und auf diesen klugen Einfall noch lange nicht gekommen wäre, war es gleichwohl zufrieden, da es ihm heimlich wehthat, daß er seinen lieben Bruder mehr als einmal ausgestochen hatte. So umarmte er Austorc, setzte sich mit seinem Spielmann zu Pferde und zog gen Süden, während sich Austorc nach den schönen Auen der Durance begab, wohin ein Verwandter ihres Vaters die beiden Brüder geladen hatte. Auch ihn hatte es im Stillen schwer verdrossen, sich durch seinen Bruder in den Schatten gestellt zu sehn, zumal da er früher, noch in der väterlichen Lehre, für den Begabteren gegolten hatte. Und freilich war er an Kenntniß und Führung des Handwerkzeuges, bei seiner umsichtigen, kühlen und verständigen Natur, dem Jüngeren weit voraus gewesen und seine Lieder konnten für etwas Rechtes gelten, so lange sich's nur um pünktliche Ausführung der Uebungsaufgaben handelte. Jetzt aber, im freien Menschenverkehr und großen Weltleben, drang die vollsaftigere Natur seines Bruders mit Ungestüm durch, und Frauen und Herren ließen sich willig durch das Wehen seines Geistes fortreißen, ohne sich viel Gedanken darüber zu machen, ob auch nirgend gegen eine Regel der Kunst verstoßen sei und jeder Vers auf seinen richtigen vier oder fünf Füßen wandle. Von nun an hoffte Austorc, seine Kunst, an der er durchaus nicht irre geworden war, ungehindert zur Geltung zu bringen, wie etwa ein kluger Gärtner dafür sorgt, einen schönen Springbrunnen, der in mannichfachen zarten Strahlen aufschießt und sich kreuzende Bogen und Figuren bildet, nicht an einem Ort anzulegen, wo ganz in der Nähe ein freier Wildbach in natürlichem Fall über steile Klippen stürzt und mit seinem heftigen Rauschen jenes gemäßigte Rieseln, Sprudeln und Verstauben übertönt.

Als nun das Probejahr verstrichen war und die Brüder, ihrem Gelöbniß gemäß, sich auf Schloß Maensac wieder zusammenfanden, war zuerst die Freude, daß sie sich wieder von Angesicht sahen, groß, und sie konnten nicht müde werden, mit verschlungenen Armen überall herumzuwandeln und alle Stätten ihrer Knabenspiele wieder aufzusuchen. Nur die Erfahrung, die sie machten, daß sie in ihrer Abwesenheit von dem spitzbübischen Burgpfleger schmählich betrogen worden waren, da er den Ertrag all ihrer Ernten in einem schmalen Beutelchen vor sie hinstellte, unter Vorgeben eines allgemeinen Mißwachses, trübte bedenklich den ersten Abend, wo sie beim Becher einander gegenübersaßen. Zumal der weltkluge Austorc, dem auch noch ein anderes heimliches Ungenügen nachzugehen schien, gerieth bei der Entdeckung dieser argen Tücke in hellen Zorn, schlug dem ungetreuen Mann den armseligen Zehnten, den er ihnen gönnen wollte, um die Ohren, hieß ihn auf der Stelle sein Bündel schnüren und die Burg mit dem Rücken ansehen und hielt dann, während Peire in den verschütteten Wein mit seiner Dolchscheide zierliche Figuren zeichnete, dem Bruder eine seiner wohlerwogenen Standreden, in denen er Meister war, da auch jener Ausbruch des gerechten Ingrimms das Gleichgewicht seiner Seele nicht bis zum Grunde hatte erschüttern können.

Liebster Bruder, sagte er, die Lehre, so dieser ungetreue Knecht uns gegeben, hat uns ein zu theueres Lehrgeld gekostet, als daß wir sie in den Wind schlagen und es in der alten Weise leichtherzig forttreiben könnten. Wenn dieser in unserem Hause altgewordene Diener hinter unserem Rücken gehaust hat wie Hagelschlag und Ungewitter, wie sollen wir uns von einem Wildfremden, dem wir das Vogtamt übertrügen, eines Besseren versehen? Nicht, daß mein Herz auf Geld und Gut stände, zumal ich mir getraue, mit meinem Gesang reichlich zu erwerben, was zu meiner Nothdurft, ja darüber hinaus zur Führung eines freien ritterlichen Lebens gehörte. Es ist aber ein unerträglicher Gedanke, sich von einem Wicht betrogen und um das Seinige gebracht zu sehen, und unser theurer Vater, den Gott selig haben möge, würde, wenn er herabblicken könnte, das Haupt schütteln und über seine Söhne ungehalten sein, die ihr Erbgut verwahrlosen lassen. Hierzu kommt, daß ich auch während der Zeit, da wir getrennt herumzogen und unsere edle Kunst betrieben, mehrfach Gelegenheit hatte, zu gewahren, wie bedenklich und unzukömmlich es ist, wenn zwei Dichter desselben Namens zur selben Zeit ihr Wesen treiben. An manchen Orten bin ich als ein schon bekannter und beliebter Sänger empfangen worden um einer Canzone willen, welche du gedichtest hattest, und dir ist es vielleicht nicht anders ergangen.

Er hielt inne, auf Peire's Zustimmung wartend. Da Diesem aber niemals das Gleiche begegnet war und er doch seinen Bruder nicht betrüben wollte, begnügte er sich mit einem stummen Kopfnicken, worauf Austorc fortfuhr: Nun siehst du wohl, wenn dies schon im Beginn unseres Dichtens geschehen, wie sollen wir, nachdem wir es zehn oder zwanzig Jahre so fort getrieben haben, der Verwirrung steuern und Jeder seinen Ruhm genau und wohlabgegrenzt für sich behalten? Und gesetzt auch, wir fragten nichts danach und ließen unseren Erwerb an Lob und Ehre brüderlich beisammen, wie wir uns ja auch über die Theilung anderen Besitzes nie verfeindet haben, so ist noch der böse Haken dabei, daß Jeder von uns seine eigene Art und Uebung im Dichten hat, wonach man uns kaum für Söhne einer Mutter halten sollte. Nun ist auch die Neigung und Gewöhnung Derer, die uns hören, verschieden, und Diejenigen, die deine Art vorziehen, wissen sich in die meine nicht sogleich zu finden, wie ich es hin und wieder schon habe erleben müssen. Ich habe meine schönsten Strophen in schweren Reimen und den künstlichsten Weisen in Montpellier einer Dame vorgetragen, die nur mit halbem Ohre zuhörte, weil sie etwa ein leichteres Liedchen deines Stils erwartet hatte, und die gleiche Erfahrung wirst auch du wohl gemacht haben.

Wieder antwortete Peire nur mit einem kurzen Brummen, aus welchem Ja oder Nein zu deuten war, und zeichnete immer eifriger den Anfangsbuchstaben eines Namens auf den Tisch, während Austorc, der im Zimmer langsam auf und ab geschritten, jetzt vor ihm stehen blieb.

Es wird dir vielleicht seltsam scheinen, Lieber, sagte er, aber ich mag sinnen und denken, so viel ich will, ich finde keinen besseren Ausweg aus dieser Verstrickung. Ich meine nämlich, daß wir gleich heute eine redliche Theilung alles dessen vornehmen sollten, was uns von unserm guten Vater vererbt worden ist, und zwar indem wir fortan nicht seine liegenden Güter, Schloß und Landschaft zusammt dem Gesange gemeinsam besitzen, sondern der Eine die Burg erhält, der Andere den Gesang, was auch dich wohl eine gerechte Theilung zu sein bedünken wird. Jeder Theil giebt seinem Besitzer ein reichliches und ehrenvolles Leben. Der auf dem Schlosse hier zurückbleibt, wird die Pflicht übernehmen, den Namen unseres Hauses nicht erloschen und den väterlichen Besitz nicht zu Grunde gehen zu lassen, was unfehlbar zu befürchten steht, wenn bloße Miethlinge hinter unserem Rücken schalten und walten. Das Auge des Herrn macht die Kühe fett und hält die Spatzen vom Weizenfelde fern. Wer aber das andere theure Vermächtniß unseres verklärten Erzeugers, den Gesang, davonträgt, der ist in anderer Art geborgen, und zu den irdischen Vortheilen, die ihm von Gönnern und edlen Frauen erblühen und die vielleicht an Goldwerth dem gesicherten Grundbesitz nicht die Wage halten, kommt der Gewinn an Ruhm und die Lust des fahrenden Lebens, so daß er eher zu beneiden als zu beklagen wäre. Um aber jeden Anlaß zu Streit oder späterer Reue abzuschneiden, wollen wir das Loos befragen und seine Entscheidung als den Willen des Himmels ansehen. Nun sprich, lieber Bruder, was dünkt dich von meinem Vorschlage?

Peire saß still am Tische, das Haupt in die linke Hand gestützt. Zuerst war ihm das Ansinnen, auf seine bisherigen Lebensfreuden zu verzichten, falls das Loos so entschiede, dergestalt unerhört und ungeheuerlich erschienen, daß er trotz der guten Gründe seines Bruders geneigt war zu erwidern, hiervon könne nun und nimmer die Rede sein. Je länger indessen Austorc in ihn hineinsprach, desto überzeugender schien ihm der sonderbare Einfall, da er überdies gewohnt war, in Allem, was Lebensklugheit und Weltverstand erforderten, den Aelteren für den Erfahreneren zu halten und sich ihm ohne viel Bedenken zu fügen.

Nun aber kam noch ein gewichtiger Stein, der ihm auf dem Herzen gelegen, ins Rollen und beschwerte die Wagschale zu Gunsten jener Theilung. Er hatte am Hofe des Grafen von Roussillon eine Zeit lang leidenschaftlich der schönen Gräfin gehuldigt, bis das edle und freundschaftliche Betragen ihres Gatten sein Gemüth bezwang und die frevelhaften Wünsche darin erstickte. Da er eine feine, redliche Seele hatte und von seinem Vater in guter Zucht gehalten worden war, brachte er es nicht übers Herz, nach der zügellosen Sitte jener Zeit einzig und allein auf die Mahnung seiner Leidenschaft zu lauschen, sondern hielt es für ehrlos, in das Haus, das ihn gastlich aufgenommen, Sünde und Verstörung zu bringen. Also schied er mit schwerem Herzen von da, wo ihm, wenn er sich gewissenloser betragen, wohl jede erwünschte Gunst geblüht hatte; er nahm aber die Erfahrung mit hinweg, daß ihm immerhin trotz seines schönen Gesanges Einiges fehle, um als Troubadour sein Glück zu machen, zumal die Wunde, die er dort empfangen, ihn lange Zeit verhinderte, sich einer anderen Schönen zuzuwenden. Nicht minder auch war es dem Freigeborenen zu Anfang beschämend, als ein Schranze und Dienstsucher sich den Reichen und Mächtigen vorzustellen. Als daher Austorc seinen Spruch zu Ende gebracht, däuchte es Peire schier eine Eingebung höherer Weisheit, auf diese Art vielleicht ein für alle Mal aus dem Streit seines Inneren erlös't zu werden. Er verwischte also rasch mit dem Dolchknauf den Namenszug der heimlich noch immer ersehnten Frau, stand hurtig vom Tische auf und erwiderte, den Bruder frei und fröhlich anblickend, dieser weise Plan habe seinen ganzen Beifall, und sie wollten ohne Zögern an die Ausführung schreiten.

Austorc war es zufrieden, nur drang er darauf, daß sie vorher sich mit Handschlag gelobten, gegen den Ausfall des Geschickes weder jetzt noch später zu murren, vielmehr ihre brüderliche Liebe unerschütterlich aufrecht zu erhalten, auch alljährlich einmal in diesem Schlosse zusammenzukommen und Jeder dem Anderen, was er inzwischen erworben oder genossen, vorzuweisen und mitzutheilen. Auch wollten sie das Loos nicht auf die gemeine Entscheidung durch den Würfelbecher stellen, sondern Arm in Arm in den Schloßhof hinaustreten; welchen von ihnen der alte Haushüter, ein langhaariger navarresischer Wolfshund, zuerst anspringen und zuthulich begrüßen würde, der sollte von nun an alleiniger Besitzer des Schlosses sein, während der Andere den Gesang behielte. Da sie Beide den Hund gleichmäßig gepflegt und ihn stets auf ihren gemeinsamen Jagdzügen mit sich gehabt hatten, schien das ein richtiges und gerechtes Gottesurtheil.

Dasselbe entschied nun aber zu Gunsten des Jüngeren, der im ersten Augenblick davon nicht eben freudig betroffen war, zumal er zu bemerken glaubte, daß auch sein Bruder auf eine andere Entscheidung gehofft hatte. Als aber Austorc versicherte, ihm hätte nichts Lieberes werden können, als nun ganz auf sich selbst gestellt zu sein, und er gedenke jetzt erst recht all seine Kraft zu entfalten, daß die Welt genau wisse, wie sie mit den Canzonen des Herrn von Maensac daran sei, ergab auch Peire sich in sein Loos, das ihm fürs Erste um so weniger hart vorkam, da er immer noch einige Zeit brauchte, jene schöne Frau zu vergessen. Er ließ es sich nicht nehmen, seinen lieben Bruder mit Allem, was er wünschen oder brauchen konnte, zur Reise auszustatten, und blieb, da Austorc geschieden, in ziemlich weichmüthiger und unwirscher Verfassung auf der Heimatherde zurück, wo er freilich alle Hände voll zu thun hatte, um den von ihrem ungetreuen Vogt angerichteten Schaden wieder gut zu machen.

Als aber das Gröbste geschehen, das aus der Zucht gerathene Gesinde wieder zur Pflicht zurückgeführt, dazu die wichtigste Feldarbeit bestellt war, überschlich den jungen Schloßherrn eine standesgemäße Langeweile, die er nicht, wie er ehemals gepflegt, mit Verskünsten bannen durfte und daher auf andere Weise sich vom Halse halten mußte. Er ritt auf den Nachbarschlössern herum, die edlen Vettern oder Gefreundeten seines Hauses zu begrüßen, gab artige Feste in seinem Schlößchen oder veranstaltete große Jagdlustbarkeiten, und da er ein schöner, schlanker Mann von ritterlichem Anstande, dazu ledig und von untadeligem Rufe war, konnte es nicht fehlen, daß töchterfrohe Elternaugen sich fleißig auf ihn richteten und er vor Einladungen rings umher kaum zu Athem kam.

Hieran ergötzte er sich eine Zeit lang, obwohl unter all den heirathbaren adeligen Fräuleins auf sieben Meilen in der Runde ihm keine sonderlich einleuchtete. Da er aber nicht zu eilen brauchte und die Wahl bei seiner Jugend noch Jahre und Tage offen bleiben durfte, ließ er sich's gefallen, als die Goldforelle, nach welcher zwanzig Angeln ausgeworfen wurden, ruhig in seinem kühlen Element hin und her zu gleiten und nur, wenn ihm ein Widerhaken allzu nahe an die Haut kam, unter dem schützenden Steinwall seiner Burg für eine Weile zu verschwinden.

Sein Liebesungemach war ihm nach und nach aus dem Herzen gewichen und hatte keine andere Spur hinterlassen, als einen gewissen wehmüthigen Abscheu gegen ähnliche Wehen und Wonnen, der ihn in der Gesellschaft seiner Nachbarinnen gegen alle verliebten Anwandlungen feite. Dagegen meldete sich, als es wieder Frühling wurde und die adeligen Vergnügungen ihren ersten Reiz verloren hatten, eine andere Sehnsucht, die ihm zumal am grauen Morgen, wenn er einsam, mit seinem Jagdspeer bewaffnet, in den Wald ging und die noch verschlafenen Athemzüge der Natur behorchte oder das erste Regen der Vögel in Büschen und Zweigen betrachtete, gewaltig zu schaffen machte. Wohl hatte er schon zahlreiche Lieder damit begonnen, das erste Grün und die ganze sprossende Lieblichkeit des jungen Jahres zu begrüßen, und da schon hundert Jahre vor ihm lo gens temps de pascor – die holde Frühlingszeit – den Poeten der Languedoc genau wie denen unserer Tage ein unerschöpfliches Thema zu lyrischem Gezwitscher gewesen war, mußte er sich sagen, daß die Welt nicht viel daran verlor, wenn er durch den Vertrag mit seinem Bruder verhindert wurde, zu tausend Frühlingsliedern das tausendunderste zu fügen. Er glaubte nämlich, nicht nur die Anwartschaft auf Dichterruhm, sondern auch die Erlaubniß, ganz im Stillen seine geliebte Poeterei zu üben, ein für alle Mal verspielt zu haben. Und freilich that er klug daran, da nicht nur Husten, Rauch und Liebe nach dem Sprüchwort sich nicht verstecken lassen, sondern auch das dichterische Feuer sich nicht damit begnügt, unsichtbar fortzuglimmen, vielmehr mit Gewalt durch die kleinste Ritze hinauszulodern sucht.

So verzichtete er denn lieber auf diese Streifereien vor Thau und Tage, in denen ihm das Herz allzu verlangend schwoll und in Tönen sich auszuströmen begehrte, und wartete den lauten, nüchternen Tag heran, der die Stimmen in seinem Innern nicht zu Worte kommen ließ. Als er aber gemerkt hatte, daß er durchaus nicht ganz sicher sei vor einem Rückfall in das poetische Fieber, hütete er sich geflissentlich, ja nicht mit einer der Nachbarstöchter einen verliebten Handel anzuzetteln, da er bisher für das Beste bei einer richtigen Liebschaft die Verse angesehen, die den Gegenstand der Anbetung verherrlichten, und eine reimlose Leidenschaft für eine Suppe ohne Salz oder, um schwunghafter zu reden, für eine Rose ohne Duft erklärt hatte.

Dies hatte nun zur Folge, daß ihm in seiner künstlich erhaltenen Einsamkeit, deren Muße er nicht zu erheitern wußte, von Tag zu Tage übler zu Muthe wurde, bis endlich ein fast krankhafter Trübsinn sich seiner bemächtigte. Er hatte nur die eine Erleichterung seines Zustandes, sich ein Pferd zu satteln und auf wilden, abenteuerlichen Ritten, oft bis tief in die Nacht hinein, sein unstätes Blut durch Ermattung ein wenig zu zügeln. Kehrte er dann in die Burg zurück, wo Alles seinen geregelten Gang einhielt und die Knechte die ihm um seines milden Wesens willen herzlich anhingen, ihre Schuldigkeit pünktlicher thaten, als vor Zeiten unter der Fuchtel des geizigen Vogtes, so überfiel ihn die Oede und Stummheit seines Daseins oft mit solcher Gewalt, daß ihm die Thränen aus den Augen stürzten. Er verschloß sich dann in sein Gemach, warf sich auf sein Bett und verbrachte die Stunden des Tages in dumpfer Bewußtlosigkeit, dann und wann eine klagende Rede vor sich hinstammelnd, die unwillkürlich sich zu Versen gestaltete, bis er dann wie durch den Klang des Reimes erschreckt, jählings abbrach, einen Speer oder eine Armbrust von der Wand riß und wieder in den Forst hinaus stürmte, seinen tödtlichen Kummer an irgend einem unschuldigen Wild oder einem Raubvogel auszulassen, als ob er ihnen das freie Schweifen und den trotzigen Schrei beneidete, die sein eigenes stummes Nisten und Brüten zu verhöhnen schienen.

In einer schwülen Sommernacht nun hatte der unstäte Mann den Heimweg aus dem Walde in sein unerwünschtes Haus nicht gefunden oder zu suchen verschmäht und sich im Moose am Fuß eines uralten Ahorns gebettet. Als er nach einem tiefen Schlaf im ersten Morgenlicht die Augen aufschlug, übersah er die Stelle, wo er genächtigt hatte. Der Wald stieg zu einem Thalgrunde hinab, den ein schmales Flüßchen durchrieselte, und vom Ufer drüben ging eine sonnige Halde sanft wieder in die Höhe, auf welcher smaragdgrünes Gras und schöne Kräuter wuchsen. Die ganze Wiese war mit weidenden Schafen bedeckt, deren Glöckchen lustig durch einander bimmelten, und auf der Höhe sah man den Pferch, der die Heerde über Nacht einzäunte, und einen Schäferkarren auf zwei Rädern. Unten aber, wo das Wasser an kleinen Haselbüschen vorbeifloß, saß die Hirtin auf einem alten Weidenknorren so dicht am Ufer, daß ihre nackten Füße von den Wellen überspült wurden. Sie hatte ihr langes schwarzes Haar aufgelös't, um es von Neuem zu zöpfen und neben ihr im Grase lag ihr Hirtenstab und der Schäferhund, der sie während ihres gemächlichen Geschäftes beständig anstarrte, halb wie ein ernster väterlicher Freund, halb wie ein andächtiger Verliebter, und jedes Mal, wenn der Blick seiner Herrin ihn streifte, seinen buschigen Schweif bewegte. Sie schien noch ein wenig verschlafen, denn sie gähnte ein paar Mal recht herzlich, wobei sie einen nicht gar kleinen, aber frischrothen Mund mit den weißesten Zähnen zeigte. Dann aber schien sie auf die erwachenden Vogelstimmen rings umher zu horchen und fing an, die einzelnen nachzuahmen, dazwischen lachend, wenn es ihr gelang, mit diesem oder jenem Finken oder Rothkehlchen, die sich etwa täuschen ließen, in eine längere Zwiesprach zu gerathen. Als sie nun ihr Haar in zwei langen, schweren Zöpfen aufgesteckt hatte, bückte sie sich zum Wasser hinab und kühlte sich, mit den hohlen Händen schöpfend, das Gesicht und den braunen Hals, der aus dem weißen Hemd voll und kräftig hervorblühte. Dann lockte sie den Hund herbei, zog ihre Füße aus dem Wasser und trocknete sie an dem rauhen Fell des Thieres, das dieser Liebkosung schon gewohnt zu sein schien. Als sie dies Alles vollbracht hatte, zog sie ein Stück Brod aus ihrer Tasche und machte sich daran, große Stücke davon abzubeißen, dem treuen Gesellen an ihrer Seite dann und wann einen Bissen zuwerfend.

Diese friedliche Scene beobachtete Peire aus seiner umschatteten Lagerstätte gegenüber mit so gespanntem Blick, als ob sich die größten Wunder der Welt vor ihm ereigneten. Er konnte jeden Zug in dem jungen Gesicht deutlich erkennen und wunderte sich selbst, warum es ihn so fesselte, da es nicht von ungewöhnlicher Schönheit war, sondern hundert anderen Mädchengesichtern jener glücklichen Gegend glich, in welcher freilich Jugend allein schon Anmuth und Lebensfülle bedeutet. Doch schienen ihm die beiden Augen drüben, die wie zwei Tollkirschen am Zweige glänzten, und das trutzige Stumpfnäschen, dazu das volle und doch zarte Kinn das Lieblichste, was er lange gesehen, und das einsame Zwitschern des armen Kindes und ihr Lachen und Schäkern mit dem Hunde bezauberten ihn vollends, daß er viel darum gegeben hätte, an der Stelle des vierbeinigen Freundes zu sein, von ihren Füßen sich den Rücken krauen zu lassen und die Brocken aufzufangen, die sie erst mit ihren weißen Zähnen abgebissen hatte.

Auch verhielt er sich ganz still, um sie nicht etwa zu verscheuchen. Als sie aber ihr Brod verzehrt hatte und nun aufstand, sich wieder nach ihrer Heerde zu wenden, raffte auch er sich hastig auf, eilte den Waldabhang vollends hinab und schwang sich in solchem Sturm an seinem langen Jagdspeer über das Wasser, daß es ein großes Rauschen gab und der Hund, der ihn sofort erblickte, in ein lautes Bellen ausbrach.

Auch das Mädchen war in seinem Gang die Halde hinauf stehen geblieben, zeigte aber, als sie den ritterlichen Herrn so im Sturm daherkommen sah, nicht die geringste Bestürzung oder Verlegenheit, nur das Hemd zog sie ein wenig dichter über der jungen Brust zusammen und stand auf ihren Hirtenstab gestützt, ruhig still, den Hund beschwichtigend, der im Begriff war, zähnefletschend auf den Fremden loszufahren.

Nun begann Peire, der sich alsbald überzeugt hatte, daß die Heerde sammt der jungen Hirtin zu dem Dorfe gehörten, das an sein Schloßgut grenzte, mit der sicheren Vertraulichkeit, wie man ein halb und halb leibeigenes Geschöpf behandelt, ein Gespräch mit dem Mädchen, zugleich im Stile der idyllischen Conversationen, die unter dem Namen Pastorellen damals vielfach gedichtet wurden. Denn da er immer noch mit stiller Sehnsucht in die verscherzte poetische Welt sich zurückträumte, kam es ihm gelegen, hier nun einmal in morgenheller Wirklichkeit zu erleben, was er bisher, etwa in den sechs berühmten Pastorellen Guiraut Riquier's, nur als eine reizende Erfindung betrachtet hatte.

Mädchen ( Tosa), fing er an, – ich habe dein Thun und Treiben unten am Wasser mit angesehen und glaube, daß du von innen ein ebenso sauberes Hexchen bist wie von außen. Und doch bist du zu hübsch, um noch nichts von Liebe zu wissen, und gewiß wartet jetzt dein Liebster oben im Gebüsch, daß du ihm den Morgenkuß bringst.

Herr, erwiderte sie flink, Ihr täuscht Euch sehr. Ich bin noch so frei und ledig wie mein jüngstes Milchlämmchen und denke auch meinen Stand nicht sobald zu verändern.

Und Peire darauf: Aber so jung bist du doch nicht mehr, daß dir das Alleinsein nicht leid werden sollte. Sage, wie alt du bist?

Genau so alt wie mein kleiner Finger.

So gieb ihn mir einmal her, daß ich ihn ausfrage.

Herr, Ihr nähmt wohl gar die ganze Hand. Ich brauche sie aber, um meinen Stab zu regieren. – Und sie erhob den Stab mit einer schalkhaft drohenden Geberde.

Da ich nicht zu deiner Heerde gehöre, sprach Peire lachend, magst du den Stecken nur immer wegwerfen und dich zu mir auf den Rasen setzen. Ich möchte dich allerlei lehren, was du noch nicht kannst.

Herr, ich bin ein dummes Kind und habe keine Zeit, um das zu lernen, was man auf den Schlössern der Vornehmen thut. Bitte, gehet mir von Seite, mein Esparviers wird ungeduldig, da er Eure feinen Reden so wenig versteht wie ich selbst.

Warum hast du deinen Hund »Sperber« genannt?

Weil er wie ein Stoßvogel zufährt, sobald der Heerde oder der Hirtin selbst eine Gefahr droht.

Dann mag er heute nur ruhig sein. Denn ich selbst will dir nichts Böses thun, vielmehr nur Liebes und Holdes. Im Ernst, Mädchen, du gefällst mir sehr, und da ich kein Liebchen habe, du aber keinen Liebsten, so meine ich, wir Zwei taugten zusammen.

Nimmermehr, Herr. Ihr seid mir nicht ebenbürtig.

Kennst du mich denn? Und wie heißest du selbst?

Viernetta, Herr, zu dienen. Ihr aber seid Herr Peire von Maensac, der Herr der Burg droben, und darum taugt Ihr nicht zu mir.

Bin ich dir nicht vornehm genug?

Freilich nicht. Denn ich bin eine Königin und Ihr seid nur ein Ritter. Sehet, dort mein Volk gehorcht mir auf den ersten Ruf, und wenn der Feind in mein Reich einbricht, brauch' ich nur meinem Feldherrn zu pfeifen, so verjagt er ihn, und wenn er zehnmal stärker wäre als er selbst, weil er auch den Tod für seine Königin nicht scheute. Und droben auf der Höhe steht mein Thron, und jeden Abend vergoldet ihn die Sonne von Neuem. Wenn es mir aber an diesem Ort nicht mehr gefällt, verpflanze ich mein Reich an einen anderen, wo meine Unterthanen frische Nahrung finden.

Du bist eine glückliche Fürstin, Viernetta, und hast Recht, stolz zu sein und dich kostbar zu machen. Wenn du mich aber zu deinem getreuen Vasallen annehmen wolltest, es sollte dein Schade nicht sein, vielmehr dein Glück noch erhöhen; auch würde ich deinen Feldherrn da hinführen, wo er gute Beute machen könnte, also daß er mich nicht für einen Feind ansähe. Dein Thron aber, dünkt mich, hat Platz für Zwei.

Herr, das sind thörichte Reden. Lasset mich nun meiner Wege gehen. Denn seht, dort kommt meine Mutter, die noch bösere Augen machen würde als Esparviers, wenn sie hörte, wessen sich der Herr von Maensac erdreisten möchte. Geht mit Gott und vergesset das Wiederkommen, denn die Krone, die ich trage, ist für Euch zu hoch, und ich weiß sie bei Tag und Nacht zu hüten.

Sie wandte sich gelassen von ihm ab und stieg die Halde vollends hinauf, dem Schäferkarren zu, bei welchem soeben eine alte Frau, die einen Korb am Arme trug, wie aus dem Erdboden aufgetaucht war, mit vorgeschützter Hand in die Runde spähend und den Namen Viernetta rufend. Peire war unmuthig zurückgeblieben. Es lüstete ihn nicht danach, mit der Alten zusammenzutreffen und vielleicht noch unsanftere Reden von ihr zu hören als von der Jungen. Nachdenklich schritt er die Halde entlang und wieder an das Flüßchen hinab, dessen Lauf er nur zu verfolgen brauchte, um nach einer kleinen Stunde sein Schloß wieder zu erreichen.

Er war aber kaum in seinem stillen Gemach angelangt, so holte er Schreibgeräth hervor und machte sich daran, das Gespräch, das er mit dem spröden Kinde geführt, in zierlichen Reimen aufzuzeichnen. Denn ihre Antworten schienen ihm das Munterste und Anmuthigste, was jemals eine Hirtin in einer Pastorelle zum Besten gegeben, und dies söhnte ihn fast damit aus, daß er kein besseres Glück gehabt und der Muthwilligen nicht die kleinste Gunst abgewonnen hatte. Als das Gedicht fertig war, wurde er nicht müde, es durchzugehen und daran herumzufeilen, doch immer bemüht, ja nichts an ihren eigenen Worten zu ändern. Dann speiste er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mit gesundem Appetit und trank mehrere große Becher des feurigen weißen Weines, den er selbst an den mittägigen Abhängen seines Geländes zog, beständig an das morgendliche Abenteuer denkend und in seiner Erinnerung alle die Reize musternd, die er an der stolzen Barfüßigen wahrgenommen. Es kam ihm je länger je mehr so vor, als habe er nicht die beste Figur gemacht neben dem selbstgewissen Kinde, und er beschloß, morgen um dieselbe Stunde abermals sein Heil zu versuchen und sich seines Herrenrechtes kecker zu bedienen. Als aber die Nacht gekommen war, fand er es unleidlich, die langen dunklen Stunden, da der Schlaf sich nicht einstellte, unthätig hinzuwarten. Also stahl er sich, selbst dem Blick des Thorwarts ausweichend, als müsse ein Jeder schon wissen, was er im Sinne habe, aus der Burg und schritt weitausgreifend dem Flüßchen nach, das ihn trotz des sternenlosen Himmels sicher an die ersehnte Stelle führte.

Als er die Anhöhe hinaufschlich, von deren oberstem Rande das dunkle Gehäuse, das seinen Schatz verbarg, ihm stumm entgegensah, klopfte ihm das Herz stärker als zu der Zeit, da er noch der vornehmen Frau in Dämmerstunden nachzuwandeln pflegte. Der Hund Esparviers schlug an; Peire rief ihn leise bei Namen, da kam er besänftigt ihm entgegengelaufen und betrachtete den nächtlichen Gast mißtrauisch, aber nicht feindselig, da er am Morgen von ihm geliebkost worden war. Er folgte ihm jedoch auf der Ferse und rieb seine Nase an dem Bein des vorsichtig Schreitenden, wie um ihn zu warnen, daß er nicht durch einen dreisten Streich das gute Einvernehmen stören möge. Peire aber war dicht an den Schäferkarren herangetreten, dessen Thür fest verschlossen war. Er drückte sein Ohr an die Bretterwand und hörte drinnen das ruhige Athmen des schlafenden Mägdleins. In der Hürde wurden die schlummernden Thiere unruhig und hoben ein wenig die Köpfe bei der ungewohnten Störung. Der Hund aber ließ ein kurzes scharfes Knurren vernehmen, das sie versichern sollte, er sei da und sie brauchten sich keine Sorge zu machen. Dann setzte er sich mit gespitzten Ohren zwischen die Deichselstangen des Wägleins, die auf die Erde gestützt waren, und sah starr auf die kleine Thür.

Peire aber, nachdem er eine Weile gewartet, entschloß sich endlich, sacht an das Häuschen zu pochen, worauf es sich im Innern zu regen begann. Doch erhielt er auf seinen Ruf und die Bitte, ein wenig herauszukommen, da er etwas Wichtiges zu verhandeln habe, keine Antwort. Er wußte indessen, daß man drinnen wach sei, und fing nun an, eine leidenschaftlich dringende Beichte zu stammeln, zu sagen, daß er keine Ruh' und Rast mehr habe, seit er sie gesehen, und sich hoch und theuer zu verschwören, die Stille der Nacht und die einsame Stätte nicht zu mißbrauchen, um ihr nur die kleinste Huld abzutrotzen, die sie ihm nicht gern gewährte. Diese flüsternde Beschwörung währte eine geraume Zeit, ohne daß man sie aus dem Inneren des Kastens der geringsten Erwiderung würdigte. Der verwöhnte Herr, der bei weit vornehmeren Damen schwerlich so lange ohne Erhörung gefleht haben würde, gerieth endlich in hellen Zorn, da er merkte, daß seine nächtliche Rolle noch weniger ehrenvoll ablief als seine morgendliche. Er ließ sich daher von seiner Beschämung verführen, einige Drohungen auszustoßen und den verschlossenen Starrkopf vor seinem Grimm und etwaiger Rache zu warnen. Alsbald klang ein schrilles Pfeifen aus dem stummen Kämmerchen heraus, und im selben Augenblicke sprang Esparviers von seinem Wachtposten hinweg, mit wüthendem Gebell den erschrockenen Nachtschwärmer anspringend, doch ohne noch seine scharfen Zähne zu brauchen. Peire sah wohl ein, daß es nicht ritterlich sein würde, das Jagdmesser, das er im Gürtel trug, gegen das treue Thier zu kehren, vielmehr ein Rückzug mit heiler Haut das Einzige sei, was noch zu retten bliebe. Also fing er laut und lustig an zu singen, suchte das ungestüme Thier durch Koseworte zu besänftigen und machte sich mit unterdrücktem Ingrimm, indem er der unsichtbaren Herrin eine gute Nacht zurief, hinweg wie der Fuchs vom Taubenschlag, den er fest verwahrt gefunden hat.

Auch hütete er sich wohl, dies nächtliche Abenteuer in Reime zu bringen, zumal eine Pastorelle, in welcher die Hirtin auf alle Fragen und Bitten nicht ein armes Wort erwidert, etwas Unerhörtes gewesen wäre. Statt dessen machte er seinem mißhandelten Herzen in einigen Strophen Luft, in welchen er die grausame Sprödigkeit des Mägdleins mit Allem verglich, was in der todten und lebendigen Natur als rauh, hart und undurchdringlich bekannt ist, vor Allem aber mit dem Magnetstein, der sein ehernes, gegen alle Weiberlockung festumpanzertes Herz sich auf Schritt und Tritt nachzöge. Diese langentbehrte Uebung der geliebten Dichtkunst goß ein wenig Balsam in seine Wunde und Schlafthau auf seine Augenlider. Doch als er am anderen Morgen das Blatt vor seinem Bette liegen sah, zerriß er es in heftiger Beschämung, daß ein geringes Landkind ihn so weit habe bringen können, und schwur sich feierlich zu, ihr nicht zum dritten Male nachzulaufen, sondern die schwarzen spitzbübischen Augen, die braune, mit blühendem Roth durchschossene Haut und den großen lachenden Mund mit all seinen blanken Zähnen ein für allemal sich aus dem Sinn zu schlagen.

Nun wollte es leider sein Unstern, daß er auf seinem Abendgange, den er trotzig und seines Eides eingedenk nach der entgegengesetzten Richtung unternahm, schon nach einer kurzen Weile auf eine Wiese zwischen wogenden Kornfeldern gerieth, über welchen ein schwarzer Klumpen, scharf gegen den röthlichen Himmel abgezirkt, ihm schon von Weitem entgegenragte. Wie er das Unwesen näher betrachtete, war es nichts Schlimmeres als ein Schäferkarren, und kein anderer, als der, an dem er in der letzten Nacht sich seinen harten Kopf vergebens wund gestoßen. Richtig saß auch die Eignerin dieses wandelnden Hauses in aller Unschuld auf einer der Deichselstangen, hatte ein Hemd auf den Knieen, das sie zu flicken bemüht war, und winkte zuweilen ihrem getreuen Esparviers mit den Augen, wenn eines der Schafe sich zu lüstern dem Weizenacker näherte. Peire blieb augenblicklich stehen und war noch Manns genug, der Gefahr ausweichen zu wollen. Als er aber sah, daß auch das Mägdlein ihn schon bemerkt hatte und in ein Lachen ausbrach, vermuthlich weil es ihr drollig vorkam, daß sie Beide einander dergestalt erst recht entgegengeflohen waren, däuchte es ihn wenig ehrenvoll, ihr das Feld zu lassen, ohne einen Streich zu wagen; er näherte sich ihr also möglichst unbefangen und führte wieder ein Gespräch mit ihr, das ihn freilich um kein Haar weiter brachte. Da er dieses Geplauder nachher wieder aufschrieb, immer in der Meinung, für den reinen Wein, den sie ihm einschenkte, sei das Gefäß der Dichtung gerade edel genug, mag diese neue Pastorelle hier mitgetheilt werden, obwohl sie in der Verdeutschung Einiges von ihrem Schmelz und Klang verloren hat.

Heut, da ich ging die Au' entlang,
Traf ich die Hirtin wiederum.
Es pocht' ihr wohl das Herzchen bang,
Da querfeldein ich zu ihr sprang,
Doch sah sie hellen Blicks sich um.
Es lachte keck ihr frischer Mund,
Sie blickt' mir bis in Herzensgrund,
Und als ich nahe vor ihr stund,
Nicht allzu lange blieb ich stumm.

Mägdlein, wie schliefst du diese Nacht? –
Dank, Herr! Wie alle Nacht fürwahr. –
Doch sag, ein Liebster klopfte sacht;
Was hast du ihm nicht aufgemacht? –
Mir däucht, daß es der Wind nur war:
Ein Wehn und Wispern her und hin,
Ein Flehn und Drohn aus wind'gem Sinn;
Ein armes Ding, wie ich es bin,
Nimmt sich vorm Sausewind in Acht. –

Mägdlein, die Windsbraut wirft dich um! –
Herr, meine Hütte steht wohl fest. –
Sag, lose Wetterhex', warum
Du nicht von deinem Trutzen läßt? –
O Herr, ein Vöglein warnte mich:
Wohl scheint die Hand im Handschuh zahm
Und kost und streichelt wonnesam,
Doch wenn sie erst den Dorn dir nahm,
Dann, Haidenrose, bricht sie dich. –

Mägdlein, so treibst du mit mir Spott?
Und soll ich ohne Hoffnung gehn? –
Herr, hofft auf den barmherz'gen Gott,
Der auch den Sünder will erhöhn. –
Wann wird's geschehn? – Am jüngsten Tag. –
Der ist noch weit! – und ihr noch jung,
Und habt noch Zeit zur Besserung. –
So bin ich dir nicht gut genung? –
Herr, mehr verschweig' ich, als ich sag'.

In diesem Tone ging es noch lange fort, da der Dichter jedes spitze Wort, das seiner schlagfertigen Liebsten entfahren, sorgfältig in sein Herz gedrückt mit forttrug, wie ein weltlicher Sanct Sebastian, der, mit goldenen Pfeilen gespickt, gleichwohl seines Martyriums froh war. Da es aber so ziemlich immer auf dasselbe hinausläuft, mag es mit obiger Probe sein Bewenden haben.

Auch verzichten wir darauf, den Fortgang dieses unfruchtbaren Liebeshandels durch die sieben oder acht Tage, die er noch währte, mit umständlicher Chronistenfeder zu schildern oder gar die gereimten Zeugnisse seiner wachsenden Verblendung hier einzuschalten, da dem kühleren Zuschauer nicht jedes Härchen, Fältchen oder Muttermal in Viernetta's bräunlichem Gesicht so wichtig sein kann, wie dem schwärmenden Poeten, der nun einmal glaubte, in diesem schlichten Kinde den Inbegriff alles dessen entdeckt zu haben, was dem Mann am Weibe reizend, tröstlich und nöthig ist: gesunde Jugend und Anmuth, Ehrbarkeit und festen Sinn und dazu einen Mutterwitz, der das gleiche Wesen täglich und stündlich als ein neues erscheinen läßt. Er wurde durch den Verkehr mit ihr je mehr und mehr entflammt und sogar nicht abgekühlt, als sie ihn eines Tages, da Esparviers, im Kampfe mit einem großen Metzgerhund verwundet, seitwärts hinter dem Karren lag und seine Herrin mit der verbundenen Pfote nicht beschützen konnte, ziemlich derb erfahren ließ, aus welchem Holz ihr Hirtenstab geschnitzt sei. Denn verstohlener Weise waren seine Lippen ihrer runden Schulter zu nahe gekommen, die ein wenig aus dem Hemd hervorsah. Kaum aber hatte er nur flüchtig die verbotene Frucht berührt, so wurde ihm eine scharfe Buße zu Theil. Das Mädchen blitzte ihn an wie einen Missethäter, dem der Hals nicht mehr sicher auf den Schultern steht, schlug ihm heftig mit ihrem Stecken auf den Arm, der ihre Hüfte umspannen wollte, und zog sich sofort in die feste Burg ihres Schäferkarrens zurück, obwohl der Mond eben erst aufgegangen und die Zeit noch nicht gekommen war, wo sie ihren vornehmen Gesellschafter unerbittlich heimzuschicken pflegte.

Nun versuchte es Peire, durch diesen thätlichen Beweis von der Tugend seiner Liebsten erst recht entzündet, auf eine andere Art, indem er sich an die Mutter wandte, die in einer der ärmsten Hütten des Dorfes ganz allein hauste und sich kümmerlich genug mit Spinnen und Weben durchbrachte. Da er sie an ihrem dürftigen Herde bei einem Lichtspan überraschte und sie ihn als den Vogelsteller, der ihre wilde Taube umschlich, nicht zum freundlichsten empfing, rückte er sofort, als ob er der erfahrenen Alten gegenüber die Umschweife sparen könne, mit seinem Anerbieten heraus: er wolle die Tosa auf seiner Burg haben, als Beschließerin und Haushälterin über allem Gesinde, da er sie doch einmal seines ritterlichen Standes wegen nicht zu seiner Gemahlin erheben könne. Sie solle es gut haben und allezeit in Ehren bei ihm gehalten werden, und wenn er je, was nicht denkbar sei, eine Hausfrau heimführte, neben der sie keinen Raum haben würde, sollte sie ihr Lebelang versorgt werden, wie es keine Wittwe eines Barons besser wünschen könne. Auch die Mutter werde nicht leer ausgehen, wessen zur Bekräftigung er sofort einen kleinen Haufen Goldes gleichsam zum Drangelde für den ehrenwerthen Handel auf die Steine des Herdes legte.

Hier aber gerieth es ihm noch schlechter als bei der Jungen. Denn nachdem die Alte, die ihn erst mit einem festen Kopfschütteln abzuweisen versucht, seine ganze hartnäckige Verranntheit in diesen Plan inne geworden war, erwachte in ihr eine solche Wuth und Empörung, daß sie, ohne ein Wort zu sagen, das Gold zusammenraffte und es dem Versucher ins Gesicht warf. Er mußte eilig den Rückzug antreten, denn die Alte, deren kluges und wohlgebildetes Antlitz sich unheimlich verzerrte, schien den Wocken, den sie gerade in Händen hielt, nicht träger zu schwingen als ihre Tochter den Hirtenstab, so daß in der Hütte nicht mehr Ehr' und Gewinn zu hoffen war als auf dem freien Felde.

Am anderen Morgen aber klopfte ein kleiner Bub an Herrn Peire's Thür, der hatte einen Korb am Arm, wie ihn die Kinder tragen, die auf den Landstraßen den verstreuten Hinwurf der Rinder und Schafe aufsammeln. In diesem Korbe, den er vor den jungen Baron hinstellte, schickte ihm die Alte das Gold, das gestern in allen Winkeln ihrer Hütte herumgerollt war, und von dem nicht das kleinste Stück fehlte.

Peire rächte sich für diesen Schimpf, indem er den ganzen Inhalt des Korbes dem kleinen Boten schenkte. Es hatte ihn aber so tief gekränkt und gedemüthigt, daß in der That ein Fieber bei ihm ausbrach und er mehrere Tage das Haus nicht verlassen konnte.

Zu dieser Zeit empfing er den Besuch eines Mönches, der im Lande auf und ab bekannt und überall gern gesehen war, da er mit dem Geschäft des Terminirens für sein Kloster noch ein einträglicheres und menschenfreundlicheres verband. Er suchte nämlich, was er selbst durch sein Gelübde verscherzt hatte, anderen Kindern Gottes zuzuwenden, indem er adeligen Jungfrauen zu Männern und ehescheuen Junggesellen zu Gattinnen verhalf. Da ihn sein geistliches Vagantenthum von Burg zu Burg, von Rittersitz zu Edelhof führte, waren ihm alle mannbaren Töchter von sechszehn bis zu sechsunddreißig Jahren bekannt, wie auch die ledigen Candidaten des anderen Geschlechts, und in seinem wohlmeinenden alten Kopf führte er gleichsam Buch über diese Geschäfte, indem er zwei Listen, einander gegenüber geordnet, beständig vor seinem inneren Auge hatte, wie nach seinem weltklugen Dafürhalten die Jungfrauen und Junggesellen am füglichsten sich paaren sollten.

In diesem Register nun stand seit einiger Zeit der junge Herr von Maensac obenan und ihm gegenüber auf dem Ehrenplatz unter den Fräuleins eine gewisse Germonde von Lomagne, die Erbtochter eines alten, ehrenfesten Hauses, des einzigen, das Peire bei seinem Umritt in der Nachbarschaft geflissentlich übergangen hatte. Er wußte nämlich, daß sein Bruder Austorc dort ein gern gesehener Gast sei, und wollte, ihrer Verabredung gemäß, nicht daran erinnern, daß es einst noch einen zweiten Troubadour gleichen Namens gegeben hatte.

Als nun der Mönch ihn in schwerer Mißlaune, von seinem Fieber kaum genesen, auf dem einsamen Krankenzimmer antraf und sogleich mit seinem Universalmittel gegen alle krankhaften Anfechtungen des jungen Blutes herausrückte, auch die schöne Germonde aus allen Tonarten pries als einen Ausbund ihres Geschlechts, wies ihn der düstere junge Hagestolz zuerst heftig ab, indem er von seinem Bruder zu reden anfing. Der Mönch aber beruhigte ihn sofort: Austorc sei längst aus Lomagne weggeritten und werde sich schwerlich je wieder dort einfinden, da er inzwischen in Narbonne eine ansehnliche Stellung erlangt und seinen Sinn auf eine Gräfin von Poitiers gerichtet habe. Dessenungeachtet blieb Peire scheinbar taub für alles Zureden des Vermittlers. Sobald aber Dieser achselzuckend sich entfernt hatte, fuhr es ihm durch den Kopf, dies sei vielleicht die beste und sicherste Art, die Verzauberung, in die ihn das Landkind verstrickt, abzuschütteln und von der ziellosen Narrheit zu genesen. Zugleich dünkte es ihn wohlgethan, der Viernetta zu beweisen, welch ein thörichtes Gänschen sie gewesen, da sie ihren hochgeborenen Liebhaber so verstockt und rauh von sich gewiesen, und wenn sie ihn zur Seite einer schönen Braut den Weg am Flusse hinsprengen und die Geigen und Flöten aus dem hochzeitlichen Schlosse herüberklingen höre, werde sie nachträglich doch wohl etwas wie Reue und Sehnsucht anwandeln.

Um diesen löblichen Vorsatz nicht wieder durch ein zufälliges Begegnen mit ihr zum Wanken zu bringen, ritt er gleich am nächsten Tage nach dem Schloß des Herrn von Lomagne hinüber, wurde dort von Vater und Mutter und dem schönen Fräulein selbst so artig empfangen, daß nicht einmal ein Wort über seine frühere Vernachlässigung fiel, und nicht so viel Tage, als er bei seiner Hirtin verloren, waren ins Land gegangen, als schon die Verlöbniß zu Stande kam und auf Peire's Dringen die Hochzeit auf den nächsten Sonntag über drei Wochen festgesetzt wurde.

Zu solcher Eile bewog den Bräutigam nicht sowohl die Ungeduld einer übergroßen Liebe, die er etwa zu seiner Braut gefaßt hatte, als vielmehr einzig und allein die Rücksicht, daß in der dritten Woche das alljährliche Wiedersehen mit seinem lieben Bruder bevorstand, den er doch bei seiner Feier nicht entbehren wollte. Er hatte seitdem nichts wieder von ihm selbst vernommen, rechnete aber so sicher auf sein Kommen, daß er es nicht für nöthig fand, ihm durch einen Boten, der ihn von Ort zu Ort hätte suchen müssen, die Nachricht von seiner Verlobung und die Einladung zur Hochzeit nachzuschicken.

Die Zeit, die noch dazwischenlag, verging ihm durchaus nicht so schleichend und ungeduldig wie sonst einem Liebenden, der den Tag der Erfüllung all seiner Wünsche kaum erwarten kann. Vielmehr sah er mit wachsender Angst einen Abend nach dem anderen herandämmern und wieder einen Markstein auf dem Leidenswege verschwinden, den zu durchwandern er sich selbst verdammt hatte. Nicht daß seine Braut ihm unlieblich erschienen oder ihre Eltern nicht Alles gethan hätten, ihm ihre Genugthuung über seine Wahl zu bezeigen. Obwohl aber Alles so beschaffen war, selbst anspruchsvolleren Wünschen zu genügen, nistete und nagte doch ein brennender Unmuth in seiner Seele.

Denn das wohlgeborene und wohlerzogene schöne Fräulein, das sogar, wie wir heute sagen würden, einige literarische Bildung besaß, da sie etliche Namen und Dichtungen der gefeiertsten Troubadours kannte, vermochte das Bild des wildaufgewachsenen Liebchens nicht aus seinem Herzen zu verdrängen. Während ihm jedes flinke Wort, das von den Lippen der braunen Viernetta erklang, so kostbar schien, als ob sie das arme Kind im Märchen wäre, dem Perlen und Edelsteine aus dem Munde fielen, sobald es ihn zum Sprechen öffnete, schien ihm das Zierlichste, was seine Braut vorbrachte, nicht besser als geschliffene Kiesel oder vergoldete Scheidemünze. Das schöne junge Geschöpf merkte bald, daß sein Freier zuweilen an ihrer Seite in eine böse Zerstreutheit versank, und wenn er daraus geweckt wurde, ihr wie einer völlig fremden Person ins Gesicht starrte. Sie selbst schien zu Anfang nicht allzu froh über diese glänzende Bewerbung gewesen zu sein, nachher aber den besten Willen gefaßt zu haben, ihren Verlobten liebzugewinnen. Da er es ihr nun so unbillig erschwerte, fiel sie gleichfalls in ihre alte kühle Scheu und Unfreude zurück, und so konnte das junge Paar oft halbe Stunden lang so steif und stumm wie zwei geschnitzte Heiligenfiguren am Portal der Kirche nebeneinander sitzen, da es Herrn Peire kaum beim Kommen oder Gehen einfiel, daß er das Recht und sogar die Pflicht erlangt, dieses schöne Mädchenbild zu küssen, ohne daß ein tugendhafter Hirtenstab sich dazwischen drängen durfte.

Das Härteste däuchte ihn aber, daß er in der Nähe seiner Erwählten nie die leiseste Versuchung spürte, den Pact mit seinem Bruder zu umgehen und sein Liebesglück und die Schönheit und Tugend seiner Braut in heimlichen Versen zu verherrlichen. Die Stelle in seinem Inneren, wo ein klingender Quell aufsprudelte, sobald er nur von fern Viernetta's Kopftüchlein hatte flattern oder gar nur den Schweif des guten Esparviers im Grase hin und her wedeln sehen, schien urplötzlich für immer eingetrocknet und mit Nesseln und Dornen überwuchert zu sein.

Doch zeigte er, als wenige Tage vor der Hochzeit sein Bruder Austorc wieder in der alten Burg sich einfand, dem Heimgekehrten ein fröhliches Gesicht, das auch nur zur Hälfte erheuchelt war, da das Wiedersehen ihm seit langer Zeit den ersten warmen Sonnenschein ins Herz leuchten ließ. Auch Austorc, auf dessen Stirn eine trübe Falte sich eingegraben hatte, war sichtlich von Freude bewegt, als er den Bruder umarmte. Er kam in einem stattlichen Aufzuge auf einem Prachtpferde angeritten, da er von jeher auf Glanz der Erscheinung viel gehalten hatte, und erwiderte auf die Frage nach seinen Umständen, daß er alle Ursach habe, mit denselben zufrieden zu sein. Nun denn, versetzte Peire mit erzwungenem Lächeln, so ist der Handel uns Beiden nach Wunsch gediehen. Und er erzählte, daß er in dreien Tagen Hochzeit machen wolle und nur auf den Bruder dazu gewartet habe. Dieser wünschte ihm mit aufrichtiger Freude Glück; als er aber nach dem Namen der Braut fragte und vernahm, Germonde von Lomagne werde in Schloß Maensac als Herrin einziehen, erblaßte er plötzlich und mühte sich umsonst, seine Erschütterung zu beherrschen, indem er zugleich verworrene Entschuldigungen stammelte, daß er an der Feier nicht theilnehmen könne, da ihn ein festes Versprechen schon am nächsten Tage wieder zu scheiden zwinge. Er täuschte aber das Auge des Bruders nicht, der nicht eher ruhte, bis er den wahren Grund dieser plötzlichen Unstäte erfahren hatte. Er könne unmöglich den Zuschauer machen, gestand der peinlich Befragte, wenn ein Anderer, und wäre es auch sein liebster Bruder, ein Weib heimführte, das er selbst vergebens umworben, aber noch immer nicht verschmerzt habe. Und nun erzählte er, daß er etliche Monate lang dem Fräulein von Lomagne aufs Inständigste den Hof gemacht, auch ihre Neigung gewonnen habe, vom Vater aber, der sein einziges Kind keinem hab- und hauslosen höfischen Sänger geben wollen, entschieden und ohne jede Hoffnung abgewiesen worden sei.

Dies hörte Peire in tiefen Gedanken mit an, ohne sogleich etwas zu erwidern. Auch als sein Bruder eifrig betheuerte, er gönne ihm von Herzen das Glück, das ihm selbst versagt geblieben, und werde vielleicht übers Jahr so völlig geheilt sein, daß es ihn kein Herzblut mehr kosten würde, seiner Schwägerin die Hand zu reichen und ihren Erstgeborenen auf den Knieen zu schaukeln, verharrte der Jüngere noch immer in seinem Brüten. Endlich aber, statt hiervon weiter zu reden, that er ganz aus dem Blauen die Frage, wie Austorc es mit seiner Sängerschaft ergangen sei, und ob er in dieser nicht Trost und Ersatz für die verlorene Hoffnung gefunden habe. O Bruder, versetzte Austorc, Gesang ist wie ein Putz, in welchem ein wohlbekleideter Mensch sich gefallen mag, der aber zum Hohne wird, wenn man der nothdürftigsten Gewande entbehrt. Ich kam mir in meiner Blöße so armselig vor, daß ich mich am liebsten in die Erde verkrochen hätte, statt mich an Höfen zu zeigen und den Kunstreichen zu spielen, da es mir an der Nothdurft meiner armen Seele gebrach. Wäre ich nicht zum Grafen von Narbonne gerathen, der unseren Vater gekannt und hoch gehalten und auch von unserem früheren Singen wußte, wer weiß, welch ein Ende es noch genommen hätte. Nun hat man mich dort gefüttert, gekleidet und geehrt, immer in Hoffnung, daß die Zeit der Stummheit ein Ende nehmen werde. Auch habe ich das verrostete Saitenspiel jüngst wieder hervorgesucht, um es zu probiren, bin aber erschrocken, wie rauh und unhold es klingt, und Gott mag wissen, ob ich ihm noch jemals wieder einen vollen Ton entlocke. Dies aber soll dir dein junges Glück nicht trüben, Bruderherz. Laß mich ziehen und grüß mir die Frau Schwägerin und sag ihr nicht, daß ich dir Einiges vorgewinselt habe. Das Loos hat über uns entschieden, nun muß Jeder das Seine hinnehmen.

Bruder, sagte Peire und hielt ihn am Arme fest, und wenn das Loos nun ein blinder dummer Spuk oder ein boshafter Teufel gewesen wäre, der in den ehrlichen alten Hund gefahren, um uns beide zum Narren zu halten? Was unter redlichen Kaufleuten und Geschäftsfreunden geschieht, daß ein Handel, der beide Theile reut, rückgängig gemacht wird, das sollte unter Brüdern nicht möglich werden? – Da sah ihn Austorc betroffen an. Peire aber fuhr fort und setzte ihm auseinander, daß er selbst zum seßhaften Burgherrn so wenig tauge, wie Austorc am fahrenden Poetenthum bisher Geschmack gefunden und daß er ihm einen ehrlichen Handel anbiete: er wolle ihm seinen Gesang wieder abkaufen gegen Schloß und Herrschaft Maensac nebst allen Steuern, Gaben und Vortheilen, die daran hingen.

O Bruder, seufzte der Aeltere, was ist mir jetzt die Burg unserer Väter? Eine Nuß, aus der man den Kern herausgebrochen, da ich als ein lediger Mann hier meine öden Tage zubringen soll. Du aber, wie magst du denken, wenn du die Herrschaft verloren, die Braut zu behalten, die man, wie ich dir ja gesagt, keinem Landfahrer gönnen will?

Hierauf umarmte Peire seinen Bruder lachend und bat ihn, er möge dies seine Sorge sein lassen, überhaupt sich alles weiteren Nachdenkens entschlagen und nur geloben, die nächsten drei Tage noch auf der Burg auszuharren. Als Austorc sich dem gefügt, verging den Brüdern der Rest des Tages in großer Herzlichkeit bei einem guten Trunk und traulichen Gesprächen.

Am anderen Morgen aber, da der Aeltere sich spät erhob und nach dem Hausherrn fragte, erfuhr er, daß Peire schon früh hinweggeritten sei. Doch hatte er Niemand gesagt, wohin. Er kam aber diesen ganzen Tag nicht wieder, denn der Weg nach Lomagne war eine halbe Tagereise weit, und er hatte dort die Braut abzuholen, die sich mit Eltern und Brautjungfern, Knechten und Mägden und der ganzen Ausstattung nicht so im Handumdrehen aufs Pferd setzen ließ.

Ehe es aber so weit kam, wollte der Bräutigam noch einmal die Herzen prüfen. Er nahm eine verlegene Miene an und erzählte mit niedergeschlagenen Augen seinen Schwiegereltern in Gegenwart ihrer Tochter, daß sein Bruder zur Hochzeit gekommen und ihn daran erinnert habe, wie sie durch einen brüderlichen Vertrag sich verbunden, abwechselnd Jahr um Jahr sich den Besitz der Burg wieder abzutreten. Es sei ihm dies ganz aus dem Gedächtniß geschwunden und er nun genöthigt, seine junge Frau gleich nach der Hochzeit mit auf die Wanderung zu nehmen, was ihr aber hoffentlich nicht unlieb sein werde, da es die lustigste Lebensart von der Welt und für junge Leute ersprießlicher sei, als von Anfang an in dem gleichen alten Familiensitz zu hocken.

Er sah an der Wirkung dieser Rede, sowohl auf die Eltern als auf seine Verlobte, daß es allen Theilen weit mehr um das Schloß und die Herrschaft Maensac, als um den Besitzer derselben zu thun sei, ja an den Thränen, die schon im Begriff waren, aus Germonde's blauen Augen vorzubrechen, daß Diese, selbst wenn Alles gleich gestanden, dem früheren Bewerber bei Weitem den Vorzug gegeben hätte und jetzt dem bitteren Gedanken nachhing, Austorc abgewiesen zu haben, ohne dadurch zu einer standesgemäßen Versorgung gelangt zu sein. Da dies Alles war, was Peire zu wissen begehrte, ließ er die betroffene Familie nicht lange in der peinlichen Lage, sondern erklärte mit lachendem Munde, es sei Alles nur ein Scherz gewesen, Maensac werde hinfort nicht mehr den Herrn wechseln und jedenfalls die schöne Germonde nur des Schloßherrn Gattin werden, da sie viel zu gut und kostbar sei für einen singenden Vaganten, der nicht habe, wo er sein Haupt hinlege.

Was hierauf folgte, ist so leicht zu errathen, daß es mit wenigen Worten berichtet werden mag. Als der schimmernde Hochzeitszug der Burg sich nahte, wo Austorc einsam zwischen Bangen und Hoffen zurückgeblieben war, gedachte Dieser noch im letzten Augenblick sich davonzuschleichen. Aber gerade an der Schwelle des Thors stieß er auf die festliche Cavalcade und mußte nun stehen bleiben und sich geberden, als sei er zum Empfang des jungen Paares ihm so weit entgegengekommen. Peire aber sprang alsbald aus dem Sattel, führte das Pferd, das die Verlobte trug, dem Bruder entgegen und sagte so laut, daß Alle es vernehmen konnten: Hier, lieber Bruder, bringe ich dir deine liebe Braut, bei der ich nur den Freiwerber für dich gemacht. Denn da du nun für alle Zeit der einzige erbgesessene Herr von Maensac sein wirst, die schöne Blume dieses Landes aber nur blühen kann, wenn sie in fester Erde eingepflanzt und von einem dauerhaften Sonnenschein erwärmt wird, so hast du allein dieses Glück verdient, welches ich dir aus brüderlichem Herzen gönne, nur bittend, daß ihr in der Halle unserer Väter ein warmes Plätzchen offen halten wollt, wenn ein umgetriebener Landstreicher einmal danach verlangt, an eurem Herde sich die Hände und das Herz zu wärmen.

Wir schweigen von dem frohen Aufsehen und Tumult, dem Lachen und Weinen, Kopfschütteln und Umhalsen, das diese Worte hervorriefen. Als der Sturm sich aber ein wenig gelegt hatte, sah man, daß er nichts in Verwirrung gebracht, vielmehr Alles an seinen richtigen Platz gerückt hatte. Und so wurde unverzüglich, und ohne daß von irgend einer Seite Einsprache geschehen, die Trauung in der Schloßkapelle vollzogen, und als Peire bei der hochzeitlichen Tafel der Neuvermählten gegenübersaß, statt, wie sie noch gestern gedacht, an seiner Seite, grüßte ihn über den Rücken des gebratenen Pfauen hinüber ihr Blick so holdselig und warm, wie er sich's aus der ganzen Brautzeit nicht entsinnen konnte.

Er war auch selbst so guter Dinge wie lange nicht, trank mit Maßen von dem süßen Hochzeitswein, plauderte aber unaufhörlich, als wäre er in einem frühzeitigen Rausch befangen, und trug zum Nachtisch ein Brautlied vor, das er auf das Glück des jungen Paares erst über Tische gedichtet hatte, wozu die Musikanten nach jeder Strophe einen lieblichen Refrain geigten. Als dann aber die Tafel aufgehoben war und der Tanz beginnen sollte, stahl er sich nach einem flüchtigen Händedruck von dem glückseligen Bruder fort, winkte einen der Knechte herbei, dem er einen heimlichen Auftrag gab, und wandelte dann, nichts mit hinwegnehmend als einen Beutel mit Gold, so viel vorm Jahre Austorc davongetragen, in den dämmernden Abend hinein, ohne jeden Kummer, daß er diese Stätten, die ihn als Herrn gesehen, hinfort nur als Gast wieder betreten sollte.

Auch besann er sich keinen Augenblick, wohin er seine Schritte wenden sollte. Da er zu Mittag den Brautzug nach dem Schlosse geführt hatte, war er an einem mageren Grasanger vorbeigekommen, fernab von den guten Weideplätzen des Dorfes. Hier stand unfern von der Straße eine uralte Kapelle, die das Galgenkapellchen hieß, weil der Weg nach dem Richtplatz an ihr vorüberführte. Hatte man nun einen Armensünder abgethan und kehrte von der Exemtion zurück, so pflegte man hier bei dem Heiligthum anzuhalten und ein paar stille Vaterunser für die Seele des soeben Gerichteten zu beten. Um dieses schlichte Gotteshäuschen herum hatte Peire die Schafe seiner geliebten Hirtin weiden sehen, ihren Schäferkarren aber und sie selbst konnte er nicht erspähen und vermuthete nur, daß sie sich hinter dem wilden Lorbeerbusch, der den Rücken der Kapelle überwucherte, verborgen hielt, um den Zug zu sehen, ohne sich selber sehen zu lassen. Auch war ein Laut von daher gedrungen, wie eines knurrenden Hundes, dem man das Maul zuhält, um ihn still zu machen. Desto lauter hatten die Schafe, die mit sichtbarem Mißvergnügen das saure Gras abnagten, die prachtvollen Menschen und Pferde angeblökt.

Nun sank die Nacht schon herein, und im nahen Busch fing eine Nachtigall an so weich und schmachtend zu schlagen, daß dem einsamen Ritter das Herz vor Sehnsucht und stiller Wonne schwoll. Zugleich aber war es ihm nicht ganz geheuer dabei, daß er jetzt vor das schlichte Kind hintreten und es auf Tod und Leben befragen sollte, wie es zu ihm gesinnt sei. Denn es stand ihm in seinen Gedanken so hoch wie das vornehmste Edelfräulein, und viel weniger hatte er sich vor einem Korb gefürchtet, als er bei der schönen Germonde sein Gewerbe anbrachte, denn jetzt, da er Hand und Herz der Hirtin anzubieten kam. Wie er aber dem Kapellchen ganz nahe gekommen war, sah er Viernetta auf der kleinen Bank davor eingeschlafen, und sie schien ihm jetzt, obwohl er von all den hochzeitlich geschmückten Damen kam, noch tausendmal lieblicher als je zuvor. Sie hatte ein Stück schwarzes Brod in der Hand, in welches sie eben eingebissen zu haben schien, ehe sie, von kummervollen Gedanken abgelenkt, darüber einschlief. Denn auf ihren bräunlichen Wangen schimmerte es wie ein leichter Thau, und im Schlaf erschütterte dann und wann ein Schluchzen ihre junge Brust, und das Hemd, das sie verhüllte, schien naß geweint. Esparviers hatte sich wedelnd herangeschlichen, als ob er seinen wohlbekannten alten Freund fragen wollte, was der Herrin denn so das Herz abdrücke. Der aber betrachtete gerührt das gute Wesen und wagte nicht gleich, sie zu wecken. Als er sich aber sacht neben sie auf die Bank setzte, fuhr sie erschrocken auf und wollte, da sie ihn erkannte, hinwegeilen. Er hielt sie aber sanft und nöthigte sie, wieder neben ihm niederzusitzen, worauf eine gute Weile Keines ein Wort sprach. Er sah wohl, daß ihre Augen trübe waren, und ihre alte Munterkeit hatte sie ganz verlassen.

Herr, sagte sie endlich, was suchet Ihr hier außen?

Meine Frau! versetzte er.

Da müßt Ihr ins Hochzeitshaus zurückkehren.

Das will ich auch, Viernetta. Du aber sollst mich begleiten; denn es ist kein Hochzeitshaus, worin die Braut fehlt.

Herr, sie ist droben auf dem Schloß und wird Euch vermissen.

Nein, Kind, sie ist hier beim Galgenkapellchen, und ich merke freilich, daß sie mich ein wenig vermißt hat, da ihre Augen noch roth sind vom Weinen.

Ihr spottet meiner, sagte die Hirtin, das Gesicht ganz in Glut getaucht, und stand hastig auf. Komm, Esparviers, hier ist nicht unseres Bleibens. Man verfolgt uns selbst an diesem armen Ort.

Und wird Euch bis ans Ende der Welt verfolgen, wenn ihr nicht stille haltet und dem Sausewind erlaubt, Euch die Wange zu streicheln. So wahr mir Gott helfe, Viernetta, ich bin hier, um dich zu fragen, ob du mich zum Manne willst!

Sie blitzte ihn zornig an. Denkt, was Ihr vor wenig Stunden eine Andere gefragt habt, sagte sie. Lasset mich gehen!

Er lachte übermüthig und haschte ihre Hand. Die Andere hat mich nicht gewollt, sagte er, weil mein Bruder ihr lieber war. Wirst du nun einem armen Verstoßenen, der Hab' und Haus verloren hat, deine Thür weisen, oder willst ihm aus christlichem Erbarmen einen Unterschlupf gönnen in deinem Herzen und deine Hirtenstreu mit ihm theilen?

Sie war todtenbleich geworden und stand sprachlos vor ihm. Auch hatte sie nicht Zeit sich auf eine Antwort zu besinnen, denn eben jetzt kam der Abt des nahen Cistercienserklosters, der die Trauung des Herrn Austorc mit der schönen Germonde vollzogen, auf seinem kleinen Pferdchen dahergetrabt, einen Knaben hinter sich auf der Kruppe, der ihm als Ministrant gedient hatte. Er pflegte von allen Hochzeiten sich zu entfernen, sobald die Musik den ersten Reigen zu spielen begann. Nun war er sehr erstaunt, sich plötzlich anrufen zu hören, und noch mehr, als er Herrn Peire erkannte, der, das ländliche Mädchen an der Hand, vor der Kapelle stehend also zu ihm sagte:

Hochwürdiger Herr, ich bitte Euch, daß Ihr, eh' Ihr weiterreitet, noch ein anderes junges Paar zusammengebt: mich, den jüngeren Herrn von Maensac, einen fahrenden Poeten seines Zeichens, und dies Euch wohlbekannte Mägdlein, dem Ihr oft genug die Beichte abgenommen habt, um zu wissen, daß sie eines weit besseren Mannes werth wäre. Da nun aber keiner zur Stelle ist und gegenwärtiger Peire von Maensac sie so herzlich liebt, wie er von ihr wiedergeliebt wird, so waltet Eures heiligen Amtes und macht aus uns Zweien eine Creatur und sprechet Euren Segen über uns. Amen!

Der Abt, der anfangs glaubte, Herr Peire rede in der Weinlaune und wolle seiner Vermittelung sich zu unehrbarer Posse bedienen, suchte Ausflüchte, die jedoch der Liebende mit festem Betragen zu Schanden machte. Der kleine geistliche Knabe und ein Dorfmädchen, das zufällig des Weges kam, mußten als Zeugen dienen, und so wurde vor dem hölzernen Bilde des Gekreuzigten in dem Galgenkapellchen der edle Herr von Maensac mit seiner Schäferin, wie sie ging und stand, unauflöslich verbunden.

Ich dank' Euch, hochwürdiger Herr, sagte der junge Ehemann, nachdem er seine Braut umarmt und dem Abt die Hand geküßt hatte. Und hier habt Ihr eine Gabe für die Armen Eures Klosters, so gut ein fahrender Mann es hat und vermag. Jetzt aber wollen wir uns noch einen anderen Segen holen.

Er beschenkte auch den Knaben und Viernetta's Brautjungfer, der Diese die Sorge für ihre Heerde übertrug, nahm dann seine junge Frau unter den Arm und wanderte mit ihr über die Wiesen und durch den Wald dem Häuschen zu, das Viernetta's Mutter bewohnte. Als sie aber dort eintraten, fanden sie die alte Frau vor einem Tische stehend, auf dem ein reiches Mahl aufgetragen war in silbernen Schüsseln, von Kerzen erleuchtet, die in silbernen Armleuchtern brannten. Dies Alles hatte der Diener, auf Peire's Befehl, heimlich nach der Hütte geschafft und der Alten kein Wort dazu sagen dürfen, so daß diese noch von ihrem Staunen sich nicht hatte erholen können. Wie nun das junge Paar bei ihr eintrat und sie Alles begriff, wurde sie durch das unverhoffte Glück ihres Kindes völlig verjüngt und floß unerschöpflich von munteren Reden über, während die Tochter ihren Mutterwitz plötzlich eingebüßt zu haben schien. Auch war die junge Frau kaum zu bewegen, etwas von den Speisen anzurühren oder aus einem Becher zu nippen, während die Mutter ihrem Eidam zu beweisen suchte, daß sie sich wohl auf Lebensart verstände, wenn sie ihn auch bei seinem ersten Besuch so unhöflich abgewiesen. Also blieben die Drei einträchtig beisammen, bis es nahe an Mitternacht ging. Dann stand Herr Peire auf, und die Alte fragte, wo sie denn zu nächtigen gedächten; in der Hütte sei schwerlich ein schickliches Brautbett zu rüsten.

Wir gehen nach Hause, versetzte Peire lachend. Meine liebe Frau hat ja ein eigenes Dach, unter dem wird wohl auch Platz für ihren Gatten sein.

Damit verabschiedete er sich von der Schwiegermutter, umfaßte seine Liebste und wandelte mit ihr zum Dorf hinaus unter allerlei halblauten, scherzenden Reden, auf welche sie die Antwort schuldig blieb. Die Sterne flackerten hoch am Himmel wie hunderttausend Hochzeitsfackeln, und der Wind, der über das schlafende Land hinstrich, harfte ein Brautlied in den hohen Wipfeln. Horch! sagte Peire, klingt es nicht lustiger und feierlicher als alle Flöten und Geigen auf Schloß Maensac? – Sie aber schwieg und drückte sich zitternd an ihn. Dann verbrachten sie die Nacht in dem Schäferkarren, der einsam auf dem Hügel stehen geblieben war; denn selbst der treue Esparviers konnte sie dort nicht bewillkommnen, da er die Heerde nicht verlassen hatte. Sie wohnten aber in dem engen Häuschen drei Tage und drei Nächte, und es däuchte ihnen, als ob sie es mit keinem Schlosse vertauschen möchten. Als dann eine andere Hirtin gefunden war, zog Peire mit seinem jungen Weibe, das nun die Sprache und das Lachen und ihren Gesang wiedergefunden hatte, aus der Gegend hinweg, wo nach und nach seine Heirath ruchbar geworden war und Neugierige kamen, das seltsame Schäferglück zu begaffen. So lange der Sommer noch währte dachte er nicht daran, sich irgendwo seßhaft zu machen. Er wollte seiner Frau Liebsten, die nie über das nächste Weideland hinausgekommen war, erst ein Stück Welt zeigen, und so ward er der Erfinder der sogenannten Hochzeitsreise, die dazumal noch durchaus nicht im Brauche war. Er war dabei so guter Dinge, daß er fast immer im Wandern dichtete und sang. Die Schlösser der Vornehmen aber vermied er, hielt sich dafür in den Herbergen, wenn er gute Gesellen dort traf, nicht für zu kostbar, ihnen ein Lied zum Besten zu geben, das neueste, das ihm unterwegs eingefallen war, und erwarb sich überall große Gunst. Damit aber auch Viernetta ihre Kunst zeigen könne, hatte er ein paar Gesätzlein gedichtet, bei denen sie die zweite Stimme sang und den Refrain dazwischen, der in nichts Anderem als in Vogelstimmen bestand. Das klang nun folgendermaßen:

Wenn Busch und Hain von Liedern klingt,
Tiriwitt! Kuku! Tirili!
Die Nachtigall im Flieder singt,
Tjo tjo! Ziküh! Ziküh!
Wer da noch hockt und Grillen fängt,
Sein Hütlein nicht ins Blaue schwenkt,
Der ist ein Narr, daß Gott erbarm'!
Die Drossel spottet: Narr! wie arm!
Der Häher höhnt ihn spät und früh:
Hehe! Tiriwitt! Ziküh!

Ich ging des Morgens durch den Hain,
Tiriwitt! Kuku! Tirili!
Da saß und sang ein Mägdelein,
Tjo tjo! Ziküh! Ziküh!
Ich frug sie: Holde Schäferin,
Bist du mir gut, wie ich dir bin? –
Und sie: Du Narr, daß Gott erbarm'!
Bist mir zu schlecht, bist mir zu arm,
Die Drossel spottet spät und früh –
Hoho! Tiriwitt! Ziküh!

Da rief ich einen Priester an:
Tiriwitt! Kuku! Tirili!
O hilf mir, heil'ger Gottesmann!
Tjo tjo! Ziküh! Ziküh!
Er sprach: Du Narr, daß Gott erbarm'!
Nimm flugs das Mägdlein in den Arm,
Mein Segen macht aus euch ein Paar,
Und Niemand spottet mehr: Du Narr!
Nun herze sie so spät wie früh!
Hehe! Tiriwitt! Ziküh!

In diesem harmlosen Schelmenliedchen haben wir zugleich eine Probe gegeben von Herrn Peire's Dichtungsart, mit welcher er sich die Gunst der guten Bürger und kleinen Leute eroberte, so daß seine Reise durch das Land ihm so viel Freuden und Ehren brachte, wie er als ein höfischer Sänger zuvor nie erlangt hatte. Als aber der Winter kam und sein Weib überdies nicht mehr so leichtfüßig neben ihm her schritt, auch das Reisegeld auf die Neige zu gehen drohte, miethete er mit dem Reste seiner Barschaft ein Häuschen in einer kleinen Stadt und sandte der Schwiegermutter Botschaft, daß sie kommen und Tochter und Enkelkind pflegen möge. Er selbst begann wieder beim Adel des Landes als richtiger Troubadour zu erscheinen, der um der wunderlichen Abenteuer willen, die von ihm verlauteten, eher besser als übler aufgenommen wurde. Denn viele von den Edeldamen, Gräfinnen und Vizgräfinnen sahen es als eine Ehrensache an, den edlen Herrn von Maensac seiner niedrigen Gefährtin abspenstig zu machen. Nun ließ sich Peire zwar alle Gunst und zuvorkommende Güte wohl gefallen, zeigte sich dankbar dafür, indem er im besten Stil der Courtoisie Canzonen dichtete, die den schönen Frauen alles Süße und Ehrerbietige nachsagten, hütete sich aber wohl, sich mit seinem Herzen und seiner Person in eines der Netze verlocken zu lassen, die ihm zahlreich gestellt wurden. Vielmehr, sobald der Frühling wiederkam, verschwand er plötzlich, auch wo ihm am sanftesten gebettet war, und erschien in dem bescheidenen Hause seiner Viernetta, der er die reichen Gaben seiner vornehmen Gönner in den Schooß schüttete. Er wußte, daß sie ihn immer in gleicher Lieb' und Treue erwartete und die Kinder, die sie ihm geboren, so wachsam behütete, wie vor Zeiten die Schafe auf ihrer heimathlichen Flur. Und als er endlich in hohen Jahren starb und seine alte Frau ihm die Augen zudrückte, lag ein lächelnder Frieden auf seinem Gesicht, zum Zeugniß dafür, daß er es lebenslang nicht bereut hatte, ein ritterliches Schloß und eine stolze Braut hingegeben zu haben, um ein treues Herz und einen freien Gesang dafür einzutauschen.

 

 

Buchdruckerei von Gustav Schade (Otto Francke) in Berlin N.


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