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(1880)
Unter den vornehmen Häusern der Provence, welche die Pflege der höfischen Dichtkunst und ihrer Sänger sich angelegen sein ließen, wurde um das Jahr 1180 keines so laut und oft genannt, wie das Schloß des Vizgrafen Heraclius von Polignac, eines der reichsten und angesehensten Barone des Landes und des unbestritten eifrigsten Gönners und Förderers aller Dichter und ihrer Gesellen, obwohl er selbst niemals zwei klingende Zeilen zusammengefügt oder auch nur Regel und Brauch der Verskunst begriffen hatte.
Auch war dies nicht wohl von ihm zu verlangen, da er in seinen jungen Jahren, wo der Geist noch ein weiches Wachs ist, das sich in die künstlichsten Formen schmiegt, ganz andere Schulen durchlaufen und anderen Ehrgeiz in seiner breiten Brust genährt hatte. Als ein fehdelustiger Ritter war er überall auf seinem guten Roß erschienen, wo es einen Strauß auszufechten gab zwischen spanischen und französischen Fürsten und großen Herren, und hatte manche Beute davongetragen, wie auch manche ehrenvolle Wunde. Und selbst da er in reifere Jahre kam, hätte er dies unstäte, rauhe Leben wahrlich nicht mit einem seßhafteren und sanfteren vertauscht, wenn nicht ein Lanzenstich, den ein catalonischer Bandenführer ihm im Schenkel beigebracht, durch einen unwissenden Feldscherer so schlimm behandelt worden wäre, daß der treffliche Vizgraf nicht ohne große Schmerzen und Beschwerden ein Pferd besteigen, oder gar einen halben Tag im Sattel verharren konnte. Er sah sich demnach wohl oder übel gezwungen, dem reisigen Beruf zu entsagen und sich in sein väterliches Schloß unweit Puy zurückzuziehen, mit manchem grimmigen Fluch, daß er bei noch rüstigen Kräften dazu verdammt sei, als eine unnütze Last der Erde herumzuwanken und wie ein altes Schlachtroß die Ohren zu schütteln, wenn der Schall von fernem Waffenspiel zu ihm herüberdrang.
Doch fand er es zu Hause anders, als er es in junger Zeit verlassen hatte, oder vielmehr, er hatte nun Muße, auf Mancherlei zu achten und zu horchen, was ihm dazumal als ein schnöder Tand und eines thatenfrohen Mannes unwerth gedünkt hatte. Die zarte Blume des höfischen Gesanges war während der letzten Jahrzehnte üppig in Flor gekommen, und wie die Mücken zur Sommerszeit schwärmten jetzt Sänger und Spielleute durch die blauen Lüfte der Provence. Zunächst fand unser Vizgraf Gefallen an den streitbaren Sirventesen des großen Bertran von Born, in denen es von Schwerthieben auf blanken Schilden klirrt und von hochgeschwungenen Bannern rauscht. Dann gingen ihm auch die zarteren Weisen der Liebeslieder nach und nach zu Gemüthe, und da er an ein geschäftiges Treiben gewöhnt war, dauerte es nicht lange, so nahm er an den unblutigen Streithändeln der Troubadoure einen so regen Antheil, als hätte er zeitlebens statt Schwertklingen Verse geschliffen und statt der Lanzen auf mannhafte Brustharnische zierliche Liedespfeile auf das unbewehrte Herz schöner Frauen abgedrückt. Er setzte nun seinen Stolz darein, die berühmtesten der zeitgenössischen Sänger in Person kennen zu lernen und die Kampfesregeln ihrer klingenden und singenden Turniere sich einzuprägen, was ihm aber, da sein Kopf unter der Sturmhaube hart geworden war, trotz des redlichsten Fleißes bis an sein Ende nicht gelang. Er konnte, so gewissenhaft er den Tact an seinen zehn Fingern abzählte, die Tonart der Verse nicht sicher unterscheiden, und vollends die künstlichen Strophengebäude mit eigensinnig verschlungenen Reimen blieben ihm ein Labyrinth, durch das kein zuverlässiger Faden ihn leiten wollte.
Einer seiner poetischen Freunde, dem er in einer vom Wein mittheilsam gemachten Stunde seine Noth klagte, rieth ihm, sich einer Lehrmeisterin zu überliefern, die selbst das schwerfälligste Gehirn zu diesen munteren Künsten anzufeuern vermöge, der Liebe nämlich, die er ohnehin bisher nur vom Hörensagen gekannt, die aber einem echten und gerechten Dichter nöthiger sei, als das Oel in seiner Lampe und der schwarze Saft in seinem Federkiel. Sei er doch noch in seinen besten Jahren und verpflichtet, den Stamm seiner Väter nicht mit ihm verdorren zu lassen. Ueberdies werde eine schöne Vizgräfin das alte Schloß Derer von Polignac erst recht zu einem Wallfahrtsort aller dichtenden Geister der ganzen Provence machen, mehr als alle Gunst und Gaben, die dort bisher mit freigebigen Händen ausgetheilt worden seien.
Der treffliche Mann ließ sich das nicht zweimal sagen, und nicht drei Monden waren ins Land gegangen, so hatte er eine schöne, vornehme Braut heimgeführt, keine Geringere als die einzige Schwester des Delphins von Auvergne, die edle Assalide von Claustra, die unter den vornehmen Damen jener Zeit um ihrer Tugenden und Anmuth willen wohl den Preis davontragen mochte. Es erregte nicht geringe Verwunderung, daß diese fürstliche Schönheit, nachdem sie manchem jüngeren und glänzenderen Bewerber ihre Hand versagt, sich nicht weigerte, die Gattin des wackeren, aber schon angejahrten und von allerlei Kriegsungewittern zerzausten Vizgrafen zu werden, da sie auch an Geschlecht und Vermögen ihm überlegen war. Mancher kecke Frauenjäger rechnete im Stillen, nun werde auch die bisher Unnahbare eine leichte Beute werden, und vor Allem rüsteten sich die ritterlichen Sänger zu einem klingenden Wettlauf um die Gunst der schönen Herrin von Polignac. Doch sollten sich Alle verrechnet haben. Denn Assalide trug in ihrer Brust ein ernstes und einfaches Herz und hatte dasselbe gerade darum dem wunden Ritter Heraclius ergeben, weil sie ihn ungeschickt fand in höfischen Zierlichkeiten und er die Sprache der Courtoisie, die nur allzu oft ein falsches Gemüth zu verschleiern dient, nur stammelnd zu radebrechen wußte. Daß er den Sängern gewogen sei, war ihr freilich bekannt, da er nicht gesäumt hatte, auch ihr gegenüber sich damit schön zu machen. Aber sie schob dies auf die Herzensleere und überflüssige Muße seines einsamen Lebens und dachte ihm die harmlose Narrheit wohl noch abzugewöhnen, da sie selbst die meisten dieser Gesänge für nicht mehr achtete, als tönendes Erz und klingende Schellen, denen es, so viel sie von Liebe läuteten, an der wahren und treuen Herzensminne gebreche.
So ließ sie es auch mit ernstem und zerstreutem Lächeln hingehen, daß ihre Vermählung durch ein großes poetisches Turnier festlich begangen wurde, bei welchem ihr Gatte selbst die spitzfindigsten und absonderlichsten Themata zu den Tenzonen gab und sie selbst sich bequemen mußte, den Schiedsspruch zu fällen und den Sieger zu bekränzen. Es waren ausbündig schwere und gewichtige Streitfragen, um welche die Kämpfenden ihr Flügelroß tummelten, als zum Exempel, was vorzuziehen sei: von der Geliebten die Erlaubniß zu erhalten, ihr das Haar statt eines Kammerfräuleins zu flechten und aufzustecken, oder ihr die Schuhe anzuziehen; oder wer von Dreien beglückter sei: Der, dem eine Frau einen Liebesblick schenke, Der, dem sie verstohlen die Hand drücke, oder Der, auf dessen Fuß sie den ihren stelle. Denn je weniger der Vizgraf von dem eigentlichen Werth und Wesen der Dichtkunst begriff, desto eifriger warf er sich auf diese Scholastik des Minnegesanges, deren müßig schwärmende Witzesfunken in seinem nicht allzu klaren Haupt eine angenehm wetterleuchtende Vorstellung von etwas ungemein Feinem und Erhabenem hervorbrachten.
Demgemäß schwamm er in stolzer Wonne, als er seinen Plan so herrlich geglückt und seine junge Frau wie einen festen Stern von sausenden Meteoren und flackernden Irrwischen umschwärmt sah. Die schöne Vizgräfin aber, als das eitle Feuerwerk, das sie weder erleuchtete, noch erwärmte, nicht enden wollte und ihr nun die Augen darüber aufgingen, wie wenig ihr Gemahl auf ihr wahres Glück bedacht und wie unausrottbar seine fast kindische Neigung zu diesem Spielwerk sei, verfiel nach und nach in immer ödere Schwermuth, da sie sich sagen mußte, daß sie ihr Herz unter seinem Werthe weggegeben und die Hoffnung auf ein ruhiges, doch genügliches Eheglück verscherzt habe. Denn sie war viel zu redlichen Sinnes, um, wie sie nah und fern so Manche thun sah, die angelobte Treue auf die leichte Achsel zu nehmen und sich nach einem Tröster ihres ungestillten Herzens umzuschauen. Von all den fahrenden Sängern, so viele von schöner Gestalt und einnehmendem Betragen sich eifrig um sie bemühten, zeichnete sie weder laut noch im Stillen auch nur einen einzigen aus, was der biedere Vizgraf ihr nicht einmal zu sonderlichem Ruhme anrechnete, da er ein freundliches Eingehen auf das Spiel der Courtoisie, natürlich unbeschadet der eheherrlichen Würde, als eine Pflicht adeliger Frauen zu betrachten sich gewöhnt hatte.
Zu allem Unglück blieb auch die Ehe kinderlos, so daß die edle Assalide der besten Herzensfreude entbehren mußte, die ihr für manchen irdischen Kummer ein himmlischer Ersatz gewesen wäre.
Fünf Jahre hatten sie so hingelebt, der Ritter, je mehr ihm die Haare ergrauten, immer jugendlicher in seine Thorheit verrannt, seine Hausfrau immer stiller und entsagender ihr Gemüth auf geistliche Uebungen und milde Werke richtend, da geschah es, daß eines Tages ein weit berühmter ritterlicher Sänger, Herr Guillem von Saint-Didier, über die Zugbrücke des Schlosses von Polignac ritt und die erlauchten Wirthe zu begrüßen verlangte. Die Burg Saint-Didier (von Anderen Saint-Leidier genannt) lag nördlich vom Schlosse des Vizgrafen Heraclius, nicht über einen Morgenritt entfernt, und Herr Guillem hätte unfehlbar längst die werthen Nachbarn heimgesucht, wenn ihn nicht sein schweifendes Leben und mannichfache Liebesabenteuer in anderen Gegenden der Provence Jahre lang festgehalten hätten, zu seinem nicht geringen Ruhme, da seine Lieder inzwischen bis in seine Heimath drangen und aus der Ferne die meisten seiner dichtenden Collegen verdunkelten.
So kam es, daß der Schloßherr, sobald er seinen Namen erfuhr, ihn mit offenen Armen aufnahm und ihn alsbald auch zu seiner Gattin führte, nicht ohne ihn mit verlegenem Bedauern darauf vorzubereiten, daß er an dieser kein sehr geneigtes Publikum finden werde, da sie trotz ihrer hohen Geburt sich gegen die edle Kunst des Gesanges spröde verhalte und einen einfältigen lateinischen Chorgesang ungebildeter Nonnen den zierlichsten und auserlesensten Canzonen, Coblas, Retroensas und Tageliedern vorziehe.
Herr Guillem von Saint-Didier, der sich bewußt war, mit seinem unwiderstehlichen Singen schon so manche festverriegelte Pforte sich geöffnet und das härteste Eis um stolze Frauenbusen zum Schmelzen gebracht zu haben, kräuselte, ohne ein Wort zu erwidern, den Bart und gedachte hier einen Hauptsieg davonzutragen. Als er aber vor Assalide stand und in dies ruhige, fast überirdisch blickende Auge schaute, entsank ihm der verwegene Muth, und er neigte sich in glühender Verwirrung vor der schönen Gestalt, ohne auch nur die Gunst zu erbitten, ihre Hand ehrerbietig mit den Lippen berühren zu dürfen. Die Frau ihrerseits, die seinen leichten Ruf wohl kannte, ward angenehm überrascht, statt des kecken Verführers einen bescheidenen sittsamen und wortkargen Mann vor sich zu sehen, der auch, da sein Wirth ihn aufforderte, gleich zum Willkommen eine seiner berühmten Canzonen durch den Spielmann vortragen zu lassen, sich entschuldigte, er habe nichts gedichtet, was solcher Hörerin würdig sei. Auch erzählte er nichts von den Höfen und Grafenschlössern, wo er Frauengunst und Herrendank genossen, dagegen pries er die Lieblichkeit seiner eigenen Heimath, die es ihm nach so langer Entfremdung mit neuem Zauber angethan habe, und gab seinen Entschluß zu erkennen, hinfort auf Saint-Didier zu hausen und sich vorzubereiten auf den Zug nach dem gelobten Lande, da er Willens sei, zur Buße seiner jugendlichen Verirrungen das Kreuz zu nehmen und zur Ehre des Erlösers sich mit den Ungläubigen zu messen.
Das Alles mehrte die gute Meinung, die Frau Assalide von ihrem Gast empfing, und während sie schweigsam zuhörte, wie die Männer beim Becher plauderten, konnte sie nicht umhin, Herrn Guillem's schönes junges Antlitz, das krause schwarze Haar und die feurigen und zugleich sanften Augen zu betrachten, dazu die schlanken Glieder, deren Kraft und Geschmeidigkeit freilich erst voll zu Tage kamen, wenn sie ein Pferd zu bändigen hatten. Sie hatte aber ihres Wohlgefallens an der neuen Erscheinung kein Arg und überließ sich der ungewohnten Empfindung unbedenklich, indem sie mehr und mehr aufthaute und zumal an dem Gespräch über die Kreuzfahrt einen sinnigen Antheil nahm.
Nur eine Nacht und einen Tag blieb der Gast auf dem Schlosse, während deren es stiller dort zuging, als sonst bei Besuchen gefeierter Dichter zu geschehen pflegte. Denn das übrige poetische Hausgesinde des Vizgrafen, – drei oder vier hungrige Poeten und etliche Spielleute in schäbigen Gewändern, die sich an diesem gastlichen Herde seit Wochen und Monden gütlich thaten, – war durch den großen Ruf des Herrn von Saint-Didier dermaßen eingeschüchtert, daß es sich mit seinem Singen und Klimpern nicht hervorwagte, so wenig wie Mäuse, die sich sorgenlos im Speck einer sicheren Rauchkammer gepflegt, in ihren Löchern zu pfeifen wagen, wenn plötzlich eine große Katze hineingewandelt kommt.
All dies Gelichter athmete auf, als der stattliche Troubadour am Abend des nächsten Tages wieder davonritt. Sein biederer Wirth wunderte sich im Stillen, daß er ihm so wohl gefallen habe, obgleich er von Versen und Reimen keine Silbe gesprochen, desto mehr von kriegerischen Lustbarkeiten und ernsten Fehden, nach denen freilich noch ein verstohlenes Heimweh in des Vizgrafen Seele fortglimmte. Er hatte den Troubadour gebeten, ihm seine Trutz- und Rügelieder zu schicken, die eine waffenklirrende Chronik der Zeitläufte enthielten. Und mir sendet von Euren Minneliedern, hatte Frau Assalide mit einem sanften Lächeln hinzugefügt. Worauf Herr Guillem sich stumm verneigt und die Augen zu Boden gesenkt hatte.
Es verging aber fast eine Woche, ehe er sein Wort löste und wunderlich war's, wie lang der edlen Frau diese sechs Tage dünkten. Als sie endlich den Spielmann Guillem's in den Schloßhof einreiten sah, stand ihr Herz einen Augenblick still, um im nächsten desto rascher zu hüpfen und zu schlagen. Sie erschrak sehr darüber, daß sie so erschrecken konnte bei dem bloßen Anblick eines Dieners jenes fremden Mannes. Noch aber war sie nicht völlig klar über den wahren Grund dieser Bewegung, und erst als der Bote, nachdem er seiner Sendung an den Vizgrafen sich entledigt, auch bei ihr eintrat und ausrichtete, was sein Herr ihm aufgetragen, fiel es ihr wie eine Binde von den Augen, und sie erkannte den Abgrund, an dessen Rand sie hingeschritten war.
Jener Spielmann war etwas Besseres als einer der gewöhnlichen Jongleurs, die mit den ritterlichen Sängern zogen und zur Viola oder Laute die Lieder derselben sangen, dem Range nach nicht höher als die Knappen, die ihre Pferde striegelten. Er war im Schlosse Saint-Didier als der Milchbruder des Junkers aufgewachsen, hatte alle Wissenschaften und Künste mit diesem gemeinsam erlernt, und eine fast brüderliche Freundschaft schloß die beiden Knaben aneinander, die auch bis in die männlichen Jahre sich erhielt, so daß Herr Guillem sich nie von seinem Hugo Marschall trennte, obwohl der letztere Name ihn als den Sohn des Stallmeisters vom Vater seines Freundes zu erkennen gab. Auf all seinen Fahrten hatte er den treuen, klugen und bescheidenen Gesellen an seiner Seite gehabt, und wenn Hugo hätte aus der Schule schwatzen wollen, wäre die ganze Reihe verwegener und verliebter Abenteuer, die Herr Guillem bestanden, von ihm zu erfragen gewesen.
Nun trat er mit ehrerbietigem Anstande vor Frau Assalide und entschuldigte seinen Herrn und Freund, daß er sein Versprechen nicht halten und eine Auswahl seiner alten Canzonen ihr senden könne. Er habe diese Zeugnisse früherer Thorheiten und Verirrungen, sobald er nach Hause gekommen, den Flammen überliefert, da er sich geschämt, aus ihnen zu sehen, an wie Geringes er bisher sein Sinnen und Dichten vergeudet, nur entschuldbar mit der Unkenntniß des Besseren und Besten, die erst so spät von ihm fallen und einem reinen Streben nach dem höchsten Gut weichen sollte. Und nun bat der getreue Bote um die Erlaubniß, eine Canzone vortragen zu dürfen, die in diesen letzten Tagen gedichtet worden war, was Frau Assalide, mit tiefem Roth übergossen, durch ein leises Neigen des Hauptes gewährte. Die Verse begannen scheu und dunkelsinnig, und dem Inhalt angemessen sang sie der gute Freund mit halber Stimme, bis die schüchtern schwärmenden Funken zu einer schönen Flamme sich vereinigten und nun das Bekenntniß einer starken Leidenschaft zu der edelsten und stolzesten Frau der Welt hervorloderte, deren Namen zu nennen gefährlich sei, denn sie werde den Sänger ohne Zweifel für immer von ihrem Angesicht verbannen, wenn er ihr sein Herz offen anzutragen wage. Doch süßer sei es, sie hoffnunglos zu lieben, als von einer Anderen mit allen Gaben der Huld verschwenderisch überschüttet zu werden. Und so stelle er seine Sache der himmlischen Jungfrau anheim und danke ihr, daß sie ihn den Weg zu diesem beseligenden Unheil geführt, bei dem all seine Gedanken weilen würden, auch wenn sein Leib fern im Morgenlande für den Herrn der Welt kämpfen und verbluten müßte.
Als der Gesang zu Ende war, hatte die schöne Hörerin sich soweit gefaßt, daß sie mit etlichen feinen und schicklichen Worten dem Boten wie dem Dichter ihren Dank sagen konnte, als wäre ihr nichts Verfängliches zu Ohren gekommen. Sie bat sich eine Abschrift des Liedes aus und trug dem Freunde einen huldvollen Gruß an Herrn Guillem auf, der hoffentlich, eh er zum Kreuzzug aufbräche, noch hin und wieder sich erinnern würde, daß er auf Schloß Polignac ein gern gesehener Gast sei.
Hugo Marschall trug diese Botschaft pünktlich nach Hause; er war aber in seinem Herzen betrübt, denn ihm selbst hatte es die hohe Schönheit und Güte dieses edlen Weibes so seltsam angethan, daß er zum ersten Mal seinem Jugendfreund einen Sieg nicht gönnte und seine niedere Geburt beklagte, die es ihm verwehrte, selbst um den hohen Preis einer solchen Frauengunst zu werben. Sein Mund floß gegen den Freund vom Lobe der Vizgräfin so unerschöpflich über, wie er sonst von keiner Frau gesprochen. Und nicht zum Wenigsten trug dieses ungewohnte Feuer des Boten dazu bei, auch in Guillem eine wahre und tiefe Neigung zu entflammen, also daß er nicht viel Tage vergehen ließ, bis er wieder den Ritt nach dem nachbarlichen Hause machte, um diesmal länger dort zu bleiben und dann in immer kürzeren Zeiträumen wiederzukehren.
Dem Herrn von Polignac war das eben recht, und daß nach und nach die übrigen Dichterlinge sich von seinem Tische verzogen, wie die Krähen, wenn ein Falke sich blicken läßt, machte ihm wenig Kummer, da er dafür den Ruhm eintauschte, einen so gefeierten und verwöhnten Poeten an sein Haus zu fesseln. Ja, er hätte sich dieses Besitzes noch mehr gefreut, wenn Guillem sich nach der Weise anderer Hofdichter herbeigelassen hätte, die Hausfrau in Liedern zu preisen. Dies aber ließ immer noch auf sich warten, und mehr als einmal hielt der kurzsichtige Biedermann es seinem edlen Weibe vor, welch eine herrliche Gelegenheit, gefeiert zu werden, sie durch ihre offenbare Abneigung gegen die »fröhliche Kunst« verscherzt habe.
Frau Assalide schwieg mit leisem Erröthen, denn sie wußte es freilich besser – oder schlimmer. Nie empfing sie Guillem's Besuch, ohne daß in einer unbewachten Stunde der treue Hugo Marschall ihr ein neues Lied sang, das immer unverhüllter ihr Herz umwarb und ihre Sinne umschmeichelte, während der Dichter nur durch die stumme Sprache seiner braunen Augen bei ihr anfragte, ob sie in Wahrheit sein Verderben und seinen Tod wünsche, oder mit einem Tropfen Hoffnung seine Flamme zu kühlen sich herablassen wolle. Sie fühlte, daß sie verloren war, wenn sie diesem unterirdischen Strome, der ihr gefestetes Gemüth untergrub, keinen Damm entgegensetzte. Und nachdem sie eines Tages zu ihrer Schutzheiligen gefleht, daß sie ihr die rechten Worte auf die Zunge legen möge, suchte sie mit entschlossener Seele den Ritter im Garten auf, wo er trübsinnig auf einem Bänklein neben einem Myrtenbusch vor sich hin träumte und mit dem Schwert ihren Namenszug in den Kies grub. Sie winkte dem hastig Aufspringenden, ihr in einen einsamen Baumgang zu folgen, und begann alsbald, noch ehe er ein Wort hatte vorbringen können, eifrig und tapfer das Sprüchlein aufzusagen, das sie in mancher schlaflosen Nacht unter Thränen und Seufzen sich ersonnen hatte.
Herr Guillem, sagte sie, Ihr habt es mir mit vielen schönen Worten in Euren Liedern bekannt und mit noch beredteren Blicken und Geberden bestätigt, daß Ihr eine thörichte und verwegene Neigung zu mir gefaßt und Euch der Hoffnung hingegeben habt, ich würde Euch zu meinem Ritter annehmen und Eure Liebe erwidern. Nun dünkt es mich unrecht und einer ehrbaren Frau nicht geziemend, durch ihr Schweigen einen Mann zu ermuntern, der ihr zu einem müßigen Spiel, wie es freilich an den Höfen unseres Landes nur allzu sehr im Schwange ist, zu gut dünkt; im Ernst aber Euch mein Herz zuzuwenden, verbietet mir die meinem Gemahl vor Gott angelobte Treue, die ich ihm zu halten gedenke, ob ich auch nah und fern gar Viele meines Geschlechtes sehe, die es nicht schwerer damit nehmen, als mit einem lästigen Gewande, das sie in der Zeit der Sommerschwüle abwerfen, um an irgend einer heimlichen Stelle sich in einen kühlen See zu tauchen, dessen Fluten ihnen überm Haupt zusammenschlagen. Ich dagegen hoffe mit der Hülfe der Jungfrau und meiner Schutzheiligen den festen Grund der Treue nie unter meinen Füßen zu verlieren, und so erkläre ich Euch gerade heraus, daß ich Euren Bitten und Wünschen nie Gehör leihen werde, so lange ich meines Verstandes mächtig bin, und nie einem fremden Manne das geringste Recht über mein Herz oder meine Person einräumen werde, wenn nicht ein Wunder geschieht, das mich zu einer Anderen macht, als ich bin, ja wenn nicht mein eigener Gemahl mir gebietet, von ihm zu lassen und Dem anzugehören, der ihm seine Ehre zu rauben trachtet.
Nachdem sie diese kluge und wackere Rede, freilich mit etwas bebender Stimme, doch ohne Anstoß zu Ende gebracht hatte, schwieg sie athemlos und erwartete, was für Künste der redegewaltige Mann anwenden würde, um ihren Entschluß zum Wanken zu bringen. Denn auch das hatte sie sich zum voraus überlegt und mäßige und standhafte Antworten vorbereitet. Herr Guillem aber, nachdem er gesenkten Hauptes eine Weile neben ihr hingeschritten war, ein Myrtenzweiglein mit den Händen in kleine Trümmer zerrupfend, stand plötzlich still, warf einen langen traurigen Blick auf sie und erwiderte: Wollt Ihr mir schwören, bei Eurem ewigen Heil, mir nicht länger Eure Liebe zu weigern und mit Eurem Herzen und Eurer ganzen Person mir anzugehören, wenn das Wunder dennoch geschieht und Euer Gatte selbst Euch auffordert, ja Euch gebietet, meiner Qual ein Ende zu machen?
Sie hielt seinen Blick nicht aus, sondern in der Verwirrung über die seltsame Frage, auf die sie keine Antwort in Bereitschaft hatte: Wenn das geschieht, stammelte sie, so werde ich mich der beschworenen Treue für entbunden achten, und dann mag geschehen, was der Himmel oder die Hölle über mich verhängt hat. Das aber ist unmöglich, wie Ihr selber wißt, und Ihr solltet solchen eitlen Grillen nicht nachhängen.
Ihr habt geschworen! sagte er hastig und verneigte sich, ohne eine Miene zu verändern, vor der geliebten Frau, indem er den herabhängenden Aermel ihres Ueberkleides an seine Lippen drückte. Im nächsten Augenblicke schritt er durch die Schatten des Gartens davon, und als Frau Assalide, aus der wunderlichsten Bewegung sich aufraffend, nur wenig später ins Schloß zurückkehrte, hörte sie, daß ihr Gast unter einem Vorwande sich rasch von dem Schloßherrn beurlaubt habe und sammt seinem Freunde und Diener davongesprengt sei.
Sie wußte nicht recht, ob sie sich dieses unerwarteten Ausganges des gefährlichen Abenteuers freuen oder darüber kränken sollte, denn sie fühlte sich schon zu tief in das holde Spiel verstrickt, um es ohne Kummer gänzlich entbehren zu können, da ihr doch nicht im Traum die Möglichkeit vorschwebte, daß sie ernstlich daran gemahnt werden könnte, das ihr entrissene Gelübde zu halten. Sie war in den nächsten Tagen noch stiller und versonnener als sonst, blätterte hinter ihrer verriegelten Thür immer wieder in den Liedern, die der Feind ihrer Ruhe ihr hinterlassen, und ihre Frauen flüsterten unter einander, daß sie keine Stunde an der gewohnten Arbeit ausdaure und die Hände im Schooß am Stickrahmen oder Spinnrad sitze, ihr Herz mit keinem Wort, nur mit häufigen Seufzern erleichternd. Nur ihr eigener Gemahl achtete auf diese Verwandlung ihres Wesens nicht, da er den Kopf voll hatte von einer schwierigen Tenzone, die ihm drei seiner Hof- und Hausdichter vorgelegt hatten, damit er entscheide, wer den Sieg davongetragen: Der, dem seine Dame eine Locke von ihrem Haupt geschenkt, Der, dem sie gestattet, ihre Wange zu küssen, oder Der, in dessen Hand sie ihren kleinen Fuß gesetzt, um sich von ihm auf das Pferd heben zu lassen.
Am Morgen des dritten Tages aber, als Assalide kaum aus einem schweren Traum aufgewacht war, in welchem die Augen ihres fernen Freundes sie so drohend angeblickt hatten, daß sie in Thränen ausbrach, trat Herr Heraclius mit fröhlichem Ungestüm bei ihr ein, ein beschriebenes Blatt in der Hand und einen Brief, den er soeben durch einen reitenden Boten erhalten hatte.
Liebe Frau, sagte er, da bringe ich dir eine wundersame Märe. Unser Freund von Saint-Didier schreibt mir, daß er selbst zu kommen verhindert sei, aber meinen Rath und Urtheil zu vernehmen wünsche in einem schwierigen Fall, wo die bisher üblichen Bräuche der Kunst nicht zutrafen. Nun will er von mir wissen, ob er sich gut und schicklich aus dem Handel gezogen habe. Ich gestehe dir offen, Sail – so pflegte er den Namen seiner Frau abzukürzen, wenn er guter Laune war, – daß ich Herrn Guillem bisher im Verdacht hatte, er schätze mich mehr als Kriegsmann, denn als Freund und Kenner der Dichtkunst. Du selbst wirst dich gewundert haben, daß er die Rede selten auf poetische Dinge brachte. Nun sehe ich – und muß sagen, es thut mir gar sanft, zumal von einem solchen Meister, – daß ich mich geirrt habe. Wie würde er sonst mein Urtheil anrufen, zumal in einer Sache, die ein Geheimniß umhüllen soll! Und darum bitte ich auch dich, Niemand zu sagen, um was es sich hier handelt. Du aber hast, obwohl du dich auf Verse nicht verstehst, einen feinen Sinn und wirst mir helfen, das Rechte zu finden.
Was betrifft es? sagte die Frau mit stockender Stimme, während sie sich im Bett aufstützte und das Gesicht ein wenig nach der Wand kehrte, ihre glühende Bestürzung zu verbergen. Denn ihr ahnte wohl, was sie nun hören sollte.
Der sonderbarste Handel, den je ein Troubadour erlebt! lachte der Vizgraf, indem er das Wamms am Halse losknöpfte, da er ein wenig an Athemnoth litt und sich nun anschickte, den Inhalt des Blattes vorzutragen. Denk, Sail, eine schöne Dame, der er den Hof macht, – ihren Namen hat er verschwiegen, aber ich glaube auf der rechten Spur zu sein, da er kürzlich zweimal und das dritte Mal, als er vorgestern in solcher Eile von uns Abschied nahm, der Gräfin Laura von Saint-Jorlan seinen Besuch gemacht hat, – diese hat ihm erklärt, sie werde ihn nicht eher erhören, als bis ihr eigener Gatte es ihr zur Pflicht mache, seine Bewerbung nicht spröd und unhold abzuweisen. Nun hat er eine Canzone gedichtet im Namen des Ehemannes, der sinnreiche Verführer, und fragt mich in dem Briefe hier, ob ich wohl glaube, es seien darin alle die Gründe aufgezählt, die ein Ehemann, der selbst den Mittler mache, seiner Frau anführen müsse, um ihr Herz dem Dichter zuzuwenden. In der That, Sail, soviel ich verstehe vom Minnegesang, eine keckere und curiosere Canzone ist nie gedichtet worden, und wie mir scheint, wird Graf Aimeric, wenn er sie der schönen Laura vorträgt, kein Wort hinzuzufügen haben, um unserem Freunde Thor und Thür zu öffnen. Wie er es dahin bringen soll, den guten Tropf zum Vortrag dieses lustigen Kupplerliedchens zu bewegen, das freilich wird noch Künste kosten. Was aber ist einem Kopf, wie der unseres Freundes, zu fein oder zu schwer, und wer ist sichrer als er, daß vor der Zauberkraft seines Wortes die festesten Schlösser aufspringen? Höre nur selbst, was er den gefälligen Ehemann sagen läßt!
Und nun begann er, während Assalide, den Kopf in beide Hände gestützt, auf ihrem Lager saß, die folgenden Verse zu lesen:
Als Bote, Frau, bin ich gesandt;
Von Wem, verräth Euch wohl mein Lied.
Es grüßt Euch Der, der von Euch schied
Und doch bei Euch nur Freude fand.
Treu walt' ich meiner Botenpflicht,
Der ich mich redlich unterwand
Für ihn, der singend zu Euch spricht.
So sehr nach Euch steht all sein Sinn,
Er meidet jede andre Lust;
Nur Euer Bild füllt seine Brust,
Und selbst die Qual däucht ihn Gewinn.
Hört, wie er stöhnt in Liebesnoth:
Weh, daß ich so gefangen bin,
Verschmachtend in lebend'gem Tod! –
Verachtet böser Zungen Spiel,
Die süßer Minne neidig sind!
Gönnt ihm, daß er den Lohn gewinnt,
Der einzig seiner Wünsche Ziel,
Und da Euch hoher Sinn verliehn,
Ein Herz, dem Edles nur gefiel,
Seid treu und wahr auch gegen ihn!
Frau, jedes andern Ritters Flehn
Sollt Ihr verweigern immerdar.
Nur ihn erhört, denn er fürwahr
Wird Euren Ruhm und Preis erhöhn.
Ihm weigert nicht, was er begehrt;
Denn welche Frau ihn will verschmähn,
Ist keiner Lieb' und Treue werth.
Sein Name werde nicht genannt,
Ihr aber kennt ihn gar genau.
Habt Ihr ihm je gezürnet, Frau,
So reicht ihm mir zu Lieb' die Hand.
Ich, dem Ihr allzeit folgen sollt,
Befehl' Euch: lindert seinen Brand
Und seid dem Freund in Treuen hold!
Diese Verse hatte der wackere Herr mit den schmelzendsten Tönen, deren seine im Schlachtgetümmel rauh gewordene Stimme fähig war, stehenden Fußes recitirt und schöpfte nun Athem, die Meinung seiner lieben Frau darüber zu vernehmen. Als diese aber unverändert in ihrer zusammengekauerten Stellung verharrte und keinen Laut von sich gab, sagte er auflachend: Ich glaube gar, du schläfst! Die Verse haben dich eingewiegt, Sail.
Schlafen! – brach es von den Lippen des unseligen Weibes, während ein Schauer ihre Glieder durchrieselte. Denn sie wußte, daß nun das Loos über ihr Leben geworfen war, und ihre Seele sträubte sich noch gegen das Netz, das sie umstrickt hatte, wie ein Vogel gegen die Schlinge.
Nun dann, fuhr der Ritter fort, was hältst du von diesem Liede, und wird, der es gedichtet, sein Ziel damit erreichen?
Sie schwieg und sann vor sich hin.
Das Lied ist schön und glatt wie die Schlange im Paradiese! sagte sie endlich mit fast wildem Ton. Das Weib zu bethören möchte ihm wohl glücken. Nur daß er auch den Mann finden sollte, der seiner List und Kunst sich willig zum Werkzeug leiht –
Das ist Herrn Guillem's Sache, unterbrach sie der Arglose, indem er das Blatt zusammenfaltete. Aber wahrlich, auch das wird ihm nicht fehlschlagen, klug und beredt, wie er ist; denn ich kenne Niemand, der ihm widerstehen könnte.
Niemand? fragte die Frau und hob zum ersten Mal ihr großes Auge zu ihres Eheherrn breitem, gutmüthig lächelndem Antlitz empor. Niemand? Und wenn er dich nun um solch frevelhaften Dienst anginge bei deinem eigenen Weibe, würdest du auch kein Bedenken tragen, ihm zu willfahren?
Der Ritter wandte sich verlegentlich von ihr ab und spähte durchs Fenster. Du fragst wunderlich, Sail. Daß um deine Lieb' und Gunst Niemand in Canzonen werben wird, da dein Sinn dieser edlen Kunst abgeneigt ist, weiß Jedermann. Indessen, wenn es geschähe, würde ich es dir und mir nicht zur Unehre rechnen. Denn ein gottbegnadeter Sänger ist wie ein Vogel in der Luft, den sein Flügelpaar hierhin und dorthin trägt, wo Anderen, die nur auf ihren Füßen wandeln, der Zutritt versperrt ist, und wenn jener aus dem Speicher des Reichen sich sein Futter holt, darf man ihn darum nicht gemeinen Raubes zeihen, wie den, der Schloß und Riegel aufbrechen muß, um zu fremdem Gut zu gelangen. Sieh, da hätt' ich wahrlich einen poetischen Gedanken gehabt, der in einer Cobla sich trefflich ausnehmen würde. Ich will ihn Herrn Guillem mittheilen, vielleicht fügt er ihn seinem Liede noch hinzu. Meinst du nicht, daß es ihm dann nur um so besser glücken werde?
Er lachte sehr vergnügt über seinen Einfall. Assalide aber sah ihn mit einem tiefgerötheten, ernsthaften Gesichte nach, wie er jetzt aus der Thüre schritt.
Gott helfe mir! Ich meine es auch! sagte sie vor sich hin.
Von Stund an fühlte sie sich innerlich so ganz von ihrem Gatten geschieden und freigegeben, als hätte sie ihm nie angehört. Sie stand auf, kleidete sich in tiefen Gedanken an, ohne nur einmal in den Spiegel zu blicken, und rief dann ihre Dienerin Huguette, der sie auftrug, droben in ihrem Erkergemach ihr ein Lager aufzuschlagen; sie wolle allein ruhen und über Nacht die Fenster offen lassen, es ersticke sie die Schwüle unten in der dumpfen Schlafkammer. Ihrem Herrn sagte sie Abends das Gleiche. So verbrachte sie die nächsten Nächte und Tage, immer versenkt in den einen Gedanken, daß sie nun nicht mehr Herrin ihrer selbst sei, sondern in der Gewalt des Einzigen, den sie je gefürchtet und geliebt hatte.
Als am dritten oder vierten Tage Herr Guillem erschien, ließ sie ihn erst mit ihrem Gatten allein, wo es ein langes Bereden und Berathen des spitzfindigen Problema's gab, zu welchem der Dichter aus Höflichkeit still hielt, da ihm freilich, seit Herr Heraclius ihm lachend erzählt, er habe seine Frau zur Schiedsrichterin gemacht, an seinen Versen nicht das Geringste mehr gelegen war. Unter dem Vorwande, die ungünstige Meinung zu zerstreuen, die Frau Assalide von ihm gefaßt haben müsse, beurlaubte er sich endlich, um die Herrin des Hauses aufzusuchen. Er traf sie im Garten auf jener Myrtenbank, und sie erhob sich ruhig und trat ihm ohne jegliche Verwirrung entgegen, wie ein stolzes Gemüth sein Schicksal kommen sieht.
Ihr habt gesiegt, Herr Guillem, sagte sie. Ich bin zu einfach und redlich, um Ausflüchte zu ersinnen, zumal ich Euch jetzt sagen darf, daß ich seit unserem ersten Begegnen gefürchtet habe, aller Schutz und Schirm der Heiligen möchte mich nicht davor bewahren, auf diese oder eine andere Art Eurer Macht anheimzufallen. Nie habe ich einen Mann geliebt, ehe ich Euch erblickte, und wahrlich, auch wenn der Eid, den ich Euch gegeben, mich nicht an Euch bände, würde ich doch jedes andre Band gelöst erachten, da Der, dem ich meine Jugend und Ehr' und Treue ergeben, ihrer so wenig achtet, daß er mir fast darum grollt, sie selber bisher so thöricht streng gehütet zu haben. Nun aber hört auch Ihr, fuhr sie fort, indem sie vor seinen sehnsüchtig ausgebreiteten Armen einen Schritt zurücktrat, wie ich es mit unserer Liebe zu halten entschlossen bin. Ihr seid ein wankelmüthiger Mann, durch Frauengunst verwöhnt, und so viel Ihr betheuern mögt, daß Ihr erst durch mich die wahre Liebe hättet kennen lernen, die so wenig von Verrath und Abfall weiß, wie der Christgläubige zu einem fremden Gotte sich bekehren mag, so darf ich doch nicht zu leichtfertig Euren Worten trauen. Denn Untreue zu erleben, bräche mir das Herz. Ihr werdet Euch deßhalb eine Probezeit gefallen lassen von einem ganzen Jahr, und wenn ich Euch in dieser langen – und doch so kurzen – Zeit als einen Liebenden erkannt habe, wie ich zu lieben mir bewußt bin, will ich meinen Eid redlich halten, und keines Mannes Mund soll bis dahin meine Lippen berühren, als wäre ich eine Novize, die sich vorbereitete, in einen höheren Bund einzutreten, ach, keinen vom Himmel eingesetzten, und doch voll überschwänglicher Wonne, stark wie der Tod und unüberwindlich wie die Pforten der Hölle.
Damit reichte sie ihre beiden weißen Hände dem tiefbestürzten Ritter hin, der sie zaudernd ergriff; da er aber ihren Ernst sah und im Stillen vielleicht hoffte, auch diesen Vorsatz der wunderlichen Liebsten zu Fall zu bringen, wehrte er sich nicht gegen den langwierigen Pact, und sie verbrachten eine Stunde zusammen unter lieblichen Reden, wie sie ein eben verlobtes Paar zu tauschen pflegt, worauf zum Abschied der glückliche Sieger nur eine der weißen Hände zu küssen bekam, aber eine noch tiefere und ungeduldigere Leidenschaft davontrug.
Dies geschah im Herbst, und der lange Winter ward den beiden Einverstandenen verkürzt durch häufiges Wiedersehen und noch häufigere Botschaften. Nicht zwei Tage vergingen, ohne daß Hugo Marschall auf Schloß Polignac sich blicken ließ, meist mit einem Anliegen an den Schloßherrn in schwierigen Fragen der Kunst, worauf er dann zu Frau Assalide ging, ihr einen Gruß und Auftrag Herrn Guillem's auszurichten, oder ihr das neueste Lied vorzusingen, das der Sehnsüchtige gedichtet. Niemals verrieth der treue Mann, weder mit Blicken noch mit Seufzern, wie schwer ihm diese seine Pflicht zu üben ward, da er mehr und mehr sein Herz am Licht dieser Anmuth und Holdseligkeit versengte; aber die kluge Frau ward es endlich inne, da er einmal auf die Frage, warum er so blaß sei und ob er sich unpaß fühle, in heftiger Bestürzung erröthet und wie ein Schlafwandler die Antwort schuldig geblieben war. Sie warnte bei ihrem nächsten Wiedersehen den Dichter, ihr nicht mehr diesen Boten zu schicken, und gestand ihm den Grund. Herr Guillem aber lachte mit dem selbstischen Uebermuth des Glücklichen und beschwichtigte sie damit, sein Hugo Marschall sei ihm nicht minder treu als ihr, und wenn er heimliche Liebe zu ihr hege, möge sie des ersten Liedes gedenken, das er ihr in seinem Auftrage gesungen, wonach es mehr beglücke, sie hoffnungslos zu lieben, als von einer Anderen mit der höchsten Gunst und Huld überschüttet zu werden.
Darüber war das neue Jahr herangekommen, und dem müßig Dahinlebenden schien die Zeit der Prüfung von Woche zu Woche unabsehlicher sich zu dehnen, je freundlicher sich ihm die geliebte Frau bezeigte. Mehr als einmal, mündlich und in seinen Liedern, drang er in sie, das Probejahr abzukürzen, da es Verrath an der Liebe sei, noch jetzt ihren Wankelmuth zu fürchten. Mochten seine klugen und glühenden Worte endlich sie erschüttert haben oder ihr eigenes Herz des Harrens überdrüssig werden, genug, an einem Tage im Hornung, da sie neben einander am Erkerfenster standen und in den stäubenden und wirbelnden Schnee hinausschauten, er aber mit neuen Gründen in sie drang, sagte sie plötzlich: So mag's drum sein, Guillem, Ich verspreche Euch zu glauben und zu vertrauen; denn wahrlich, Ihr wäret der Niedrigste der Männer, wenn Ihr dies arme Weib täuschen könntet, das Euch sein Alles opfern will. Nur noch eine kurze Frist, mein Liebster, und ich will thun, was du begehrst. Sobald statt der eisigen Flocken draußen der erste Blütenschnee auf die Erde niederweht, will ich vorgeben, eine Wallfahrt antreten zu müssen nach der Kirche Saint-Antoine im Viennesischen, dort ein Gelübde zu lösen. Mein Herr wird mich allein reisen lassen, da er es meiden muß, ein Pferd zu besteigen. Der Weg, wie du weißt, führt an deiner Burg vorbei, und ich werde es zu machen wissen, daß wir sie erst mit der sinkenden Sonne erreichen; dann werde ich Euch, Herr Guillem, um Herberge bitten, und wenn Ihr sie mir nicht verweigert, die Nacht in Eurem Hause zubringen.
Niemand war froher als der Poet, da er das Ziel seiner Wünsche sich auf einmal so nahegerückt sah. Denn er hatte in der That eine tiefe und überschwängliche Liebe zu dieser Frau gefaßt, freilich nicht ohne seinen eitlen Sinn an dem Gedanken zu weiden, daß er auch ein so hochsinniges Weib von unsträflichem Wandel seinem Willen geneigt machen werde. Ihr Zögern hatte ihn daher mit heißer Ungeduld erfüllt. Nun aber machte die Gewißheit des Glücks sein Herz wieder übermüthig und leichtsinnig, so daß er in eine Falle ging, die ein mit reinem Gemüth Liebender leicht vermieden hätte.
Es lebte nämlich dazumal im Viennesischen, wie die Chronik berichtet, eine schöne und artige Frau, eine Gräfin von Roussillon. Sie war nicht aus vornehmem Geschlecht, sondern die Tochter eines geringen Mannes, aber ihre Schönheit und ihr behender Verstand, mit dem sie Jeden, der sie anredete, zu ergötzen wußte, hatten die Augen der Nachbarn frühzeitig auf sie gelenkt und den Grafen, dessen Güter einige Meilen südwärts von Vienne lagen, bewogen, sie zu seiner Gattin zu erwählen. Als solche hatte sie fortgefahren, einen großen Schwarm von Bewunderern und Anbetern um sich zu versammeln, ohne dabei sonderlich ihres Rufes zu achten. Denn sie war eine fröhliche Phantastin, der Alles nach ihrem Kopfe gehen mußte, ohne daß sie viel fragte, ob Anderen damit wohl oder wehe geschehe, so daß es für den edlen Grafen vielleicht noch übel ausgegangen wäre, wenn ein früher Tod ihn nicht abgerufen hätte. Jetzt in ihrer Wittwenschaft legte sie ihren Launen vollends weder Zaum noch Zügel an, gestand es offen, daß sie keinen größeren Wunsch hege, als sich eilig wieder zu vermählen, aber nur um wieder einen getreuen und demüthigen Diener zu haben, der ihr nicht wie die Anderen davonlaufen könne, wenn sie es ihm zu bunt mache und ihn heute streichle und morgen plage. So Viele sich um diesen nicht ganz sorgenfreien Posten bewarben, Hohe und Geringe, Alte und Junge, und so willig sie Alle sich mißhandeln ließen, schon durch ein geringes Zeichen der Gunst sich hoch belohnt dünkend, – es war doch Keiner darunter, der die reizende Wittwe länger als eine Woche sich geneigt glauben durfte. Keiner aber gab die Hoffnung darum auf, und so tollte Tag für Tag ein Freierschwarm durch die Gemächer und den Park von Roussillon, nicht viel bescheidener noch geringer an Zahl, als jener altberühmte im Hause der Penelope.
Diese wunderliche Schönheit nun fing eines Abends, da man eben müde von einer Jagd nach Hause gekommen war und bei Tische saß, wie ganz aus dem Blauen an, einen der Gäste, der erst seit Kurzem ihr seinen Hof machte, zu fragen, warum Herr Guillem von Saint-Didier, mit dem er doch befreundet sei, noch keinen Fuß über ihre Schwelle gesetzt habe. Es würde nicht mehr als schuldige Höflichkeit sein, wenn er ihr als seiner Nachbarin einen Besuch abstattete. Aber freilich, man wisse wohl, daß er der tugendsamen Vizgräfin von Polignac ins Garn gegangen sei, und so wenig Süßes die gestrenge Frau den gefangenen Vogel möge kosten lassen, sie habe ihm sicher die Flügel gestutzt, daß er, auch wenn er wollte, nicht mehr ins Freie zurückkönnte. Das Singen habe er ja auch schon verlernt; wenigstens sei vom Tage seiner Heimkehr an kein neues Lied von ihm bekannt geworden.
Diese Rede, auf welche der Freund zunächst nicht viel zu sagen wußte, hinterbrachte derselbe schon anderen Tages Herrn Guillem, den sie mächtig verdroß. Es dünkte ihn schimpflich, einer solchen Herausforderung nicht Folge zu leisten, und zugleich traf der Spott ihn um so tiefer, da er allerdings eine geheime Furcht hatte, ein Besuch bei der übermüthigen Dame möchte ihm von seiner Liebsten verdacht werden. Doch regte sich zu gewaltig das alte verwegene Blut in ihm, als daß er nicht auf alle Gefahr das Abenteuer hätte bestehen wollen. Er trat deßhalb schon des nächsten Mittags, da die Gräfin eben ein fröhliches Mahl veranstaltet hatte und der Saal vom Lachen über ihre Scherze wiederhallte, mitten in die Gesellschaft hinein und betrug sich so artig und ungezwungen, daß die Wirthin ein großes Gefallen an ihm fand, ihn an ihrer Seite niedersitzen ließ und aus ihrem eigenen Becher ihm zutrank. Sie wußte auch mit all ihren Sirenenkünsten ihn so zu fesseln, zumal er nach der strengen Probezeit bei Frau Assalide des freien Tones ein wenig entwöhnt und vom süßen Weine zärtlicher Blicke und Worte leicht zu berauschen war, daß er auch die folgenden Tage wiederkam und sich sogar verführen ließ, die gefährliche Frau in einer schönen langen Canzone zu feiern.
Sie aber war kaum im Besitz dieses Blattes, so ließ sie das Lied, obwohl sie dem Dichter hoch gelobt, es für sich zu behalten, an ihrer Tafel durch einen ihrer untergebenen Sänger vortragen, sich nicht wenig berühmend, daß sie es gewesen, welche die verschüttete Liederquelle Herrn Guillem's endlich wieder ans Licht gezaubert habe.
Am nächsten Tage saß der Dichter ahnungslos in Schloß Polignac bei seiner wahren Geliebten und spielte mit ihr Schach, wobei er wenig Sorge trug, zu gewinnen, da es ihm nur ein Vorwand war, seiner Dame nahe zu sein, als Herr Heraclius mit lachendem Gesicht hereintrat, den Freund des Hauses mit der großen Neuigkeit zu überraschen: man wisse jetzt, wer die Dame seines Herzens sei; und da Frau Assalide, sich verfärbend, den Tisch zwischen ihnen zurückstieß und einen Augenblick dachte, ihr thörichter Gatte habe ihr eigenes Geheimniß erspäht und sie werde ihren Namen von seinen Lippen hören, fuhr der graue Kindskopf fort, dem Hocherstaunten Glück zu wünschen zu seiner neuesten Eroberung, die sich mehr der Mühe verlohne als Gräfin Laura von Saint-Jorlan, obwohl die Mühe geringer gewesen sei, da es hier nicht gegolten habe, den eigenen Mann zum Boten zu werben. Hierauf las er das Lied an die Gräfin von Roussillon, das ihm einer seiner überall herumlungernden Hausdichter soeben zugesteckt hatte, vor und fügte alsbald eine verworrene und mit Kunstworten reichlich durchflochtene Kritik der Canzone hinzu, während der Troubadour, kaum eines Wortes mächtig, im Stillen sann, wie er sich gegen eine ganz andere Richterin vertheidigen sollte.
Doch ließ ihn sein schlagfertiger Geist nicht im Stich, zumal er im Grunde nichts Unverzeihliches verbrochen hatte. Als er seiner völlig verstummten Freundin wieder allein gegenübersaß, bekannte er sich offen zu seinen Besuchen bei der Gräfin und der Canzone zu ihrem Preise; doch habe er einzig und allein die Absicht dabei gehabt, die Späher und Spürer, die seiner Leidenschaft für Assalide auf der Fährte seien, auf eine falsche Spur abzulenken und die Kläffer zum Schweigen zu bringen, von denen ihrem heimlichen Glück Gefahr und Verderben drohe.
Ich will Euch glauben, antwortete seine Geliebte, nachdem sie lange still und traurig vor sich hin gesonnen. Es wäre ein zu thörichter Verrath, wenn Ihr jetzt, da Euch nur noch kurze Wochen vom Lohn der Treue trennen, mich hintergehen und eine Andere lieben könntet. Und doch – lieber heute als später, wenn Ihr Eures Herzens nicht sicher seid. Noch ist nichts geschehen, was nicht zu sühnen und zu verschmerzen wäre, – so hoff' ich wenigstens, obwohl ich weiß, es wird lange währen, bis mein Herz sich wieder an seine Einsamkeit gewöhnt. Jene Frau soll munteren Geistes und von reizender Schalkheit sein; ich bin einfach und ernst und habe gedacht, nur das Glück könne mich hell und lachlustig machen. Wenn Ihr aber daran zweifelt und es nicht abwarten wollt –
Hier ließ er sie nicht ausreden, sondern betheuerte, zu ihren Füßen hingestürzt, mit so heftiger, bald schmeichelnder, bald entrüsteter Rede, daß sie ihm das Herz spalte mit diesem Argwohn, bis sie sich, nur zu gern, von ihm überreden ließ und der Friede geschlossen wurde, der auch ihre Strenge schmolz und zum ersten Male sie hinriß, seine Lippen auf den ihren zu dulden.
Nach diesem Auftritt vergingen aber nicht viele Tage, da kam eines Morgens Huguette, die Kammerzofe, zu ihrer Herrin gelaufen, um ihr mit verschmitzter Miene wiederzuerzählen, was sie soeben in der Halle unten am Herd von einem Knechtlein des Herrn Guillem gehört, einem ganz zuverlässigen Menschen, der das Abenteuer selbst miterlebt habe. In der vorvergangenen Nacht sei sein Herr mit dem Freunde Hugo Marschall nach der Burg der Gräfin von Roussillon geritten, selbdritt, da auch er den Herren habe nachfolgen müssen; es sei Abend gewesen, und die andern Gäste der Burg, die sich schon von ihr beurlaubt, hätten, ihnen begegnend, mit neckenden Reden gefragt, was für ein eiliges Gewerbe ihn noch so spät zu der schönen Frau rufe. Herr Guillem aber sei mit düsterer Stirn im Sattel gesessen und, die Faust gegen den Schenkel gestemmt, ohne Antwort vorbeigesprengt. Vor der Burg sei er allein abgesessen und habe Einlaß begehrt, sie aber hätten draußen vor Thor und Brücke zu Pferde seiner Rückkehr harren müssen. Herr Hugo habe ihm, dem Knechte, gesagt, der Ritter werde nicht über zehn Minuten verziehen. Es sei aber Stunde um Stunde verronnen, und zuletzt hätten sie ihre Pferde an den Brückenpfosten gebunden und sich am Wege niedergestreckt, so kühl die Märznacht gewesen sei. In der ersten Frühe aber habe sie Jemand wachgerüttelt, das sei Herr Guillem selbst gewesen, der habe mit einem seltsamen Gesicht, wie ein Gespenst, daß sich über die Geisterstunde hinaus verspätet, sie angeblickt und ihnen mit stummer Geberde bedeutet, wieder aufzusitzen und ihm zu folgen. Dann sei er nach Hause gesprengt, als ob er das gute Roß hätte zu Tode spornen wollen, und über den ganzen Tag habe ihn Keiner im Schlosse, selbst Herr Hugo nicht, zu Gesicht bekommen.
Als Huguette mit ihrem Bericht zu Ende war, erstaunte sie, von ihrer Herrin nicht ein Wort darüber zu vernehmen. Die Vizgräfin saß mit abgewandtem Gesicht regungslos wie ein Steinbild, und nur ein leises Zittern ihrer Knie verrieth, daß nicht alles Leben aus ihr entflohen war. Um Gott, Frau! rief das Mädchen, verzeihet, daß ich Euch mit meinem Geschwätz zu unrechter Zeit gekommen bin. Ihr seid blaß wie eine erloschene Kerze; ich will laufen, den Arzt zu holen oder Euren Gemahl –
Still! unterbrach sie Assalide mit einem seltsam rauhen und herben Ton, daß es klang, als spräche ein Anderer aus ihr. Es ist nichts – ich bin nicht krank – du sollst Niemand rufen – gehe du selbst – ich will nichts hören – was gehen mich fremde Abenteuer an? Ich hatte nur einen bösen Traum – der will noch nicht weichen – aber Geduld! Geduld! Ich zwinge ihn wohl noch nieder!
Sie machte eine Bewegung, um aufzustehen, aber ihre Glieder schienen wie gelähmt. Das Mädchen wollte hinzutreten, sie zu unterstützen, sie schüttelte aber heftig den Kopf und wies mit der Hand nach der Thür. Da schlich das junge Ding erschrocken hinaus, und obwohl ihr der Handel zwischen Herrn Guillem und ihrer Herrin bisher verborgen geblieben war, konnte sie sich doch des heimlichen Argwohns nicht erwehren, daß sie selbst mit ihrer wundersamen Neuigkeit schuld gewesen sei an der tödtlichen Erstarrung und dem heftigen Auffahren ihrer sonst so milden und gütigen Frau.
Die aber saß, nachdem die Zofe gegangen, wohl noch eine Stunde lang auf derselben Stelle, und nur die großen Tropfen, die langsam über ihre verfärbten Wangen rollten, zeigten an, daß das Herz in ihrer Brust noch zuckte und wüthende Schmerzen litt. Als sie dann ein Pferd in den Hof sprengen hörte, riß sie sich mit gewaltsamem Entschluß in die Höhe und spähte hinaus. Es war aber nicht der Gast, vor dem allein sie sich gefürchtet hatte. Nur der getreue Bote stieg unten aus dem Sattel und trat ins Haus. Da strich die blasse Frau droben im Thurm die Haare von der Stirn und warf das Haupt zurück. Eine wilde Flamme fuhr aus ihren Augen, und ihre Lippen verzogen sich zu einem unheimlichen Lächeln, das gleich wieder verschwand. Es war, als hätte ein fremder Geist von ihrem Wesen Besitz genommen und alle weibliche Milde darin erstickt. Das ist das Ende! sagte sie mit bitterem Hohn vor sich hin. So bald! So grausam! Aber so wahr ein Gott lebt und ein Teufel in der Hölle –
Sie vollendete die Rede nicht, denn eben trat Hugo Marschall herein und verneigte sich ehrerbietig an der Schwelle. Als er die Augen zu ihr aufhob, erstaunte auch er nicht wenig, so verwandelt stand die hohe Frau, die er bisher als ein überirdisches Gnadenbild verehrt, ihm gegenüber. Auch blieb sie stumm und schien jedes gütige Wort, mit dem sie ihn sonst bewillkommnete, vergessen zu haben. Mit stockender Rede fing er endlich an, seine Botschaft auszurichten. Herr Guillem sei unpäßlich und könne heut nicht, wie er versprochen, herüberreiten. Doch sende er statt seiner ein Lied, das er in der letzten Nacht gedichtet. Ob die Frau es jetzt von ihm singen hören oder für sich allein lesen wolle, da ihre Farbe zeige, daß auch ihr nicht eben wohl sei?
Ich dank' Euch, Hugo, erwiderte Assalide, mit großer Anstrengung ihre Worte zusammenfügend. In der That, mir steht der Sinn nicht nach schönen Versen, zumal wenn sie todte Liebe und Treue zudecken sollen wie Blumen einen Leichnam. Wonach ich hungere und dürste, wie ein Verschmachtender nach Brod und Wein, das ist Wahrheit, und daran hab' ich bitteren Mangel und bettele darum bei dem Einzigen, der sie mir spenden kann, und der seid Ihr.
Herrin, sagte der treue Mann, indem er in großer Verwirrung zu Boden sah, was ich hab' und bin, gehört Euch. Wenn ich Schätze besäße, sie sollten Euer sein. Doch ich versteh' Euch nicht.
Ihr versteht mich ganz wohl, Hugo Marschall, erwiderte sie, und ich versteh' Euch auch und weiß seit lange, was Ihr mir mit keinem Wort habt vertrauen wollen. Wenn Ihr jetzt zaudert, mir zu geben, wonach ich verlange, so geschieht es, weil Ihr Treue halten wollt auch Dem, der Untreue geübt hat. Aber so entscheidet Euch nun, wessen Dienst und Lohn Euch mehr gilt, und bei wem Ihr ausharren wollt: bei der ärmsten Frau, die keinen Freund auf Erden hat, wenn Ihr nicht zu ihr steht, oder bei dem wankelmüthigsten Manne, der jemals mit schönen Lügen häßliche Thaten bemäntelt hat. Redet!
Er stand eine kleine Weile in heftigem Kampf. Dann sank er vor ihr auf die Kniee.
Ich bin Euer! sagte er. Ihr wißt es. Vater und Bruder würde ich verlassen um einen Blick aus Euren Augen.
Sie neigte sich zu ihm herab und hob ihn auf. Du sollst mir nicht ohne Lohn dienen, sagte sie, wenn du es redlich meinst. Jetzt aber sage nur das Eine: ist es wahr, daß du die Nachtwache gehalten hast vor Schloß Roussillon?
O meine Gebieterin, rief er in schmerzlicher Bewegung, denkt nicht schlimmer von ihm, als er es verdient! Er war hingeritten, ihr abzusagen für alle Zeit. Nur ihre falschen Künste, ihre Schlangentücke, mit der sie ihm das Lied abgelistet, um damit zu prahlen und Euch zu kränken, die wollte er ihr ins Gesicht werfen. Er war so voll Grimm und Wuth gegen den schönen Teufel, daß ich selbst ihm zuredete, Schwert und Dolch abzulegen, eh' er zu Pferde stieg. Wie sie es angefangen, ihn zu umstricken, – die Hölle mag es wissen. Aber wenn Ihr seine Reue und Zerknirschung sähet –
Es ist genug! unterbrach sie ihn scharf, und ihre Augen leuchteten mit einem fahlen Schein. Ich danke dir, mein treuer Mann. Und nun befehle ich dir, so lieb dir meine Huld und dein Lohn ist, daß du zurückreitest zu ihm und mit keinem Wort oder Geberde verräthst, was hier gesprochen worden. Auch ich sei krank, sag ihm; aber das Frühjahr lasse sich lieblich an, und es brauche nur ein paar Sonnentage, so werde der Mandelbaum unter meinem Fenster in Blüte stehen. Was ich ihm verheißen habe, sobald es Blüten schneit, deß wird er wohl eingedenk sein. Bis dahin soll er mich nicht aufsuchen, hörst du wohl? Wenn es aber Zeit ist, werde ich es ihn wissen lassen, dann soll er sich rüsten auf meinen Besuch und seine Burg festlich schmücken, da ich darin herbergen will. Ihm aber soll werden nach seinem Verdienst, und müßte mir selbst darüber das Herz in Stücke springen!
Sie wandte sich ab, da die Stimme ihr versagte, und bedeutete mit winkender Hand dem rathlosen, tiefbestürzten Boten, daß er sie verlassen solle. Dann verbrachte sie die folgenden Tage in großer Stille, ließ sich auch vor ihrem Gatten nur selten blicken und ging jeden Morgen einsam in den Garten hinab, um nachzuschauen, ob die Blütezeit noch nicht angebrochen sei.
Und wie sie eines Tages in der Frühe die Erde unter dem Mandelbaum mit weißen und röthlichen Flocken überstreut fand, da in der Nacht ein Gewittersturm gewüthet hatte, suchte sie Herrn Heraclius auf und bat um Urlaub, eine Wallfahrt nach der Kirche von Saint-Antoine zu thun, die sie schon im Herbst gelobt habe. Der alte Herr billigte ihr Vorhaben gar sehr. Er habe wohl bemerkt, daß sie über den Winter ein stilles Leiden mit sich herumgetragen; nun hoffe er, die kleine Reise in milder Luft und das Gebet zu dem Heiligen werde sie stärken, daß sie ihm mit rötheren Wangen zurückkehre. Er indessen werde fleißig an seinem großen Werke schaffen, einer Sammlung aller Tenzonen und Wettgesänge, die über Fragen der Minne und bei dichterischen Ringelrennen seit zwanzig Jahren verfaßt worden seien. Und so schieden sie von einander, nachdem er ihrer Bitte, wenn sie ihn je gekränkt, ihr zu verzeihen, mit fröhlichem Lachen gewillfahrt hatte: ob sie denn ihrem letzten Stündlein entgegenreise, daß sie so feierlichen Abschied nehme?
Huguette begleitete sie und ein kleiner Troß von Knappen und Knechten, wie ihn eine Frau ihres Standes selbst auf eine Wallfahrt mitzunehmen pflegte. Sie hatte sich aufs Schönste geschmückt und ihr langes braunes Haar mit Perlenschnüren durchflochten, daß Alles am Wege stillstand, das herrliche Bild zu bewundern. Damals war sie noch nicht dreißig Jahre alt, in der Sommerblüte ihrer Schönheit. Aber sie neigte nur ernst und zerstreut ihre Stirn, wenn die Landleute und begegnende Reisige sie ehrerbietig begrüßten, und so auch trat kein Lächeln auf ihren Mund, als am Abend, da sie über die Zugbrücke von Saint-Didier ritt, Herr Guillem ihr aus dem Thore entgegentrat, sie mit inniger Freude aus dem Sattel hob und ihr heimliche Worte, die eine stolze, trunkene Wonne verriethen, zuflüsterte. Während des Mahls in der Halle, die einem Blumengarten glich und von hundert Fackeln schimmerte, verrieth sie mit keinem Wort, was in ihr vorging. Sie antwortete mit gelassener Anmuth auf alle Fragen ihres Wirths, der ihr in sich gekehrtes Wesen auf die bräutliche Befangenheit eines edlen Weibes schob, das bald auf all seinen Stolz verzichten soll. Er hatte aber dafür gesorgt, daß es dennoch nicht allzu gedämpft und unfestlich still blieb, indem er einen Spielmann bestellt hatte, der gar künstlich auf der Geige zu spielen wußte und zum Schluß eine neue Canzone sang, erst kürzlich zum Lob Assalidens von ihrem glückseligen Wirthe gedichtet. Hugo selbst hatte sich entschuldigt, daß er wegen eines Schmerzes im Halse nicht singen könne. Er saß zur anderen Seite der Vizgräfin, stumm wie eins der Bilder auf den Teppichen, mit denen die Wände behangen waren. Auch Assalide richtete das Wort nicht an ihn, außer ein einziges Mal gegen Ende der Tafel. Was sie ihm da zuraunte, mußte besonderen Sinn haben; denn der treue Mann wechselte die Farbe vom tiefsten Blaß zum glühendsten Roth, und Mancher bemerkte es mit Befremden. Der Hausherr stand eilig auf, führte seinen schönen Gast hinaus, während die Knechte Fackeln vorantrugen, und geleitete die Schweigsame die Treppe hinauf in das obere Geschoß, dessen Gemächer sie an seiner Hand durchwandelte. Im letzten Zimmer stand ein Bett mit reichem, silberdurchwirktem Umhang, und der Raum duftete von Veilchen, und Kerzen brannten auf silbernen Leuchtern. Hier werdet Ihr ruhen, edle Frau, sagte er laut. Ihr müßt vorlieb nehmen mit der Schlafkammer eines einsamen Ritters, der so hohen Besuchs nicht gewärtig war. Und leise fügte er hinzu: Darf ich um Mitternacht anklopfen und fragen, ob Ihr schon entschlummert seid?
Sie nickte zweimal vor sich hin, ohne ihn anzusehen. Ihr dürft! sagte sie mit kaum hörbarem Ton.
Dann entließ sie ihn und alles Gefolge und schickte auch Huguette hinweg, da sie sich allein entkleiden wolle, nachdem sie erst ihre Gebete gesprochen.
Alsbald ward Alles still im Schloß. Herr Guillem hatte befohlen, daß sein ganzes Gesinde und auch die Begleiter der Vizgräfin sich zur Ruhe begeben und die Lichter auslöschen sollten, um die vom langen Ritt ermüdete Herrin nicht durch späten Lärm zu stören. Und so geschah es. Als der Wächter am Thurm um Mitternacht seinen Hornruf erschallen ließ, vernahmen ihn im ganzen Hause nur drei Menschen, die noch keinen Schlaf gefunden hatten.
Da kam ein leiser Schritt die Stufen herauf und schlich die engen Gänge entlang und hielt ein paar Mal still, wie aus Furcht, von einem lauschenden Ohre vernommen zu werden, und kam endlich zu der Schwelle des Gemaches, in welchem die schöne Frau ruhte. Es war so dunkel ringsum, daß nur ein Wohleingeweihter sich in den nächtlichen Räumen zurechtfinden mochte. Eine Weile blieb der Schleicher vor der Thür athem- und lautlos stehen und horchte mit Herzklopfen hinein, ob nicht der Riegel zurückgeschoben würde. Als aber nichts sich regte, pochte er behutsam an und stand dann wieder und harrte. Und zum zweiten Mal berührte er das Schloß mit seinem Finger und wagte es nun, einen Namen zu flüstern. Als aber noch immer keine Antwort kam, klopfte er ungeduldiger und stampfte dazu leise mit dem Fuß. Schlaft Ihr, Assalide? rief er, seine Stimme dämpfend. Ich bin es, Derselbe, dem Ihr gelobt habt, wenn es Blüten schneie, solle die Probezeit zu Ende sein. Um Euer ewiges Heil und das meine, erlöset mich aus dem Fegefeuer dieses Harrens!
Da antwortete eine Stimme aus dem Innern des Gemaches, die aber keine Frauenstimme war:
Euer Gast läßt Euch eine gute Nacht wünschen, Guillem, und gute Träume, bessere, als Ihr in Roussillon geträumt. Und nun möchtet Ihr von dieser Schwelle weichen und ihren Schlaf nicht länger stören. Sie sei wohl aufgehoben und von einem treuen Wächter bewacht, auch fehle es ihr nicht am Ruhekissen eines guten Gewissens, da sie ihr Gelübde, in Eurem Hause zu übernachten, vollauf gelöst habe.
Der Unglückselige war zurückgetaumelt, sobald er die Stimme des Freundes erkannt hatte, und wohl vernahm er aus dem unsicheren Ton, mit dem ihm dies sein Urtheil verkündet wurde, daß es den Wächter da drinnen hart ankam, ihm selbst dies böse Tagelied singen zu müssen, und daß er nur stockend die Worte nachsprach, die ihm vorgesagt wurden. Als er aber schwieg, überfiel es den tödtlich Getroffenen wie ein Schwindel, er mußte sich am Thürgriff halten, der dumpf erklirrte, ohne doch der rüttelnden Hand nachzugeben. Es fuhr ihm durch den Sinn, daß dies Alles ein alberner Spuk sei, mit dem ein Geist der Mitternacht ihn ängstigen und narren wolle. Als aber auf sein lauteres Pochen und heftigeres Beschwören Alles still blieb, er nur den Schein der Kerzen aus den Ritzen vorglimmen sah und den Veilchenduft durch das Schlüsselloch athmete, schlug ihn Scham und Gram wie mit Fäusten zu Boden, und sein Schluchzen und Stöhnen kaum verbeißend, lag er wohl eine Stunde lang in dem dunklen Gang unweit der hochzeitlichen Kammer, von der er sich selber ausgeschlossen hatte, bis ein Geräusch im Hause ihn aufschreckte und ihn daran erinnerte, daß er seine Schmach nicht dürfe ruchbar werden lassen. Da raffte er sich empor und schleppte sich wie ein Mann, der von der Folter aufgestanden, auf sein Lager, in dumpfem Wüthen den Tag heranzumachen.
*
Als am andern Morgen Frau Assalide unten in die Halle trat, wo die Tafel mit dem Frühmahl bereit stand, fand sie dort statt des Hausherrn nur den alten Castellan, der im Namen Herrn Guillem's diesen entschuldigte, daß er seinem Gast nicht den Morgengruß entgegenbringen könne. Er sei vor Thau und Tage durch einen eiligen Boten abgerufen worden, da ein Freund auf einem nahen Schlosse in der Nacht zum Tode erkrankt sei und ihn vor seinem Ende zu sprechen begehrt habe. Er hoffe, um die Mittagszeit zurück zu sein; falls aber die Vizgräfin ihn nicht zu erwarten gedenke, übertrage er Herrn Hugo Marschall die Pflicht, ihr bis ans Ziel ihrer Fahrt, oder so weit es ihr gefallen möge, das Geleit zu geben. Hierauf erwiderte die Frau nur mit einem langsamen Nicken des Hauptes. Ihr Gesicht war bleich wie ein Blatt der Wasserrose, doch hingen keine Tropfen daran; ihr Auge, halb von der Lider verschlossen, blickte starr und erloschen vor sich hin, als sähe sie von den Dingen umher nur die trüben Umrisse, ohne zu wissen, was sie sah. Sie weigerte sich mit einer leisen Geberde, das Mahl zu berühren, und verlangte, daß man sofort aufbrechen und die Reise fortsetzen solle. Wie sie dann im Sattel saß, schien nichts an ihr lebendig als der Schleier, der im Morgenwind ihr nachflatterte. Herr Hugo, der als der Nächste im Zuge hinter ihr ritt, konnte den Blick nicht von ihrer Gestalt loslösen. Er fragte sich in den langen Stunden, wo kein Wort von ihren Lippen kam und kein Blitz aus dem erloschenen Auge ihn traf, ob dies dieselbe Frau sei, die er in seinen Armen gehalten. Auch ihm war, trotz der wonnevollen Erinnerung, unfroh zu Sinn. Er mußte an den Verrath der Treue denken und die tödtliche Wunde, die er seinem alten Freunde und Jugendgefährten geschlagen, und zuweilen stieg ein schauderndes Gefühl in ihm auf, wie wenn man süße Früchte essend ein widriges Insect zerbeißt, das sich hineinverkrochen, wenn er erwog, daß er zum Werkzeug einer grausamen Rache gedient und sein traumhaftes Glück nicht der freien Hingabe eines zärtlichen Herzens gedankt habe. Solcher Spuk verflog aber bald, wenn er die herrliche Frau vor sich auf dem langsam hinschreitenden Pferde betrachtete und sich sagte, was auch dahinter liege, nun habe er sie gewonnen, und im Grunde sei dem Andern nur Recht geschehen, daß sie ihn verschmäht und verstoßen habe.
Wie der Herrin selbst zu Muthe war, erfuhr Niemand. Sie ließ nach einigen Stunden in einem Dorfe halten, den am Morgen verschmähten Imbiß nachzuholen, genoß aber selbst nur ein paar Bissen Brod und einen Trunk Wein. Hugo's Anwesenheit schien sie kaum zu bemerken. Ihr schönes, weiches Gesicht hatte einen strengen, scharfen Zug bekommen, wie eine kaum von schwerer Krankheit Genesene, die zum ersten Mal wieder ins Freie hinausgeführt wird und noch halb von den fliehenden Schatten des Todes verdunkelt wird. Und so vollendeten sie die Fahrt, ohne daß ein Wort gewechselt wurde, und kamen bei sinkender Nacht in dem Wallfahrtsorte an, wo die Vizgräfin mit ihrem Gefolge eine Reihe von Kammern in einer Herberge miethete, sich dann aber gleich in ihr eigenes Gemach zurückzog und auf das Nachtmahl verzichtete.
Auch that sie nicht wie andere Wallerinnen, deren erster Gang in die Kirche war. Sie hatte in der letzten Kapelle, eine kurze Strecke vor dem Ort, wo man schon die Kirche und auf dem Hügel dahinter das Kloster der unbeschuhten Karmeliterinnen sehen konnte, sich aus dem Sattel geschwungen – mit Hülfe ihres Knappen, Herrn Hugo's Beistand mit leisem Kopfschütteln ablehnend, – und dort ganz allein, während ihr Gefolge draußen im Bügel ihrer wartete, lange Zeit auf den Knieen hingesunken sich mit ihrem Gott berathen. Nun schien es, daß sie von der anstrengenden Reise ermattet sei und vor Allem des Schlafes bedürfe. Doch konnte Herr Hugo sein Herz nicht bezähmen und selbst sein Lager suchen, eh' er noch einmal ihre Stimme gehört und von ihr erforscht hatte, wie sie zu ihm gesinnt sei. Seine Leidenschaft war selbst durch ihr steinernes Gebahren nicht gekühlt, und sie schien ihm mehr als je das begehrenswertheste Weib der Welt und er sich selber ein seliger Mann, den alle reichen und mächtigen Fürsten der Erde beneiden müßten. Als daher in der Herberge nichts Lebendiges mehr sich regte, faßte er sich ein Herz, öffnete leise seine Kammer und schlich durch das Haus nach ihrer Thür, die er sich wohl gemerkt hatte. Mit bebendem Finger pochte er verstohlen an, aber sofort ging die Thür auf, und die geliebte Frau stand vor ihm.
Sie nickte ihm zu und deutete ihm an, daß er die Schwelle überschreiten solle, die Thür aber ließ sie offen.
Ich habe Euch erwartet, Hugo, sagte sie, und ihre Stimme klang ruhig und tief. Ihr seid der einzige Freund, der mir geblieben ist, und ich brauche Eure Hülfe zu meinem Vorhaben. Seht, hier habe ich einen Brief geschrieben, den sollt Ihr meinem Gemahl einhändigen. Ich bitte darin um seine Erlaubniß, die er mir nicht weigern wird, daß ich in das Kloster der Karmeliterinnen eintrete, und nehme Abschied von ihm für dieses Leben. Und hier – sie deutete auf etwas Dunkles, das zusammengerollt auf dem von einer einzigen Kerze erhellten Tische lag, – hier ist mein Haar, das ich abgeschnitten habe zum Zeichen meines unwiderruflichen Entschlusses. Das sollt Ihr an Herrn Guillem bringen, als das Einzige, was ich von mir in der Welt zurücklasse. Denn auch mein Herz, das ich ihm gelobt, gehört nicht mehr mein; ich habe es meinem Gott und Richter geweiht, daß er es läutern wolle von all seinen Flecken. Und grüßet ihn und sagt ihm, daß ich erst wisse, wie sehr ich ihn geliebt, seit ich ihm diese bittere Schmach angethan, die er nie verwinden wird.
Sie wandte sich ab, und er sah nun erst, daß das schöne Haupt, von dem der Schleier zurücksank, seiner Locken beraubt war. Assalide! rief er außer sich. Ist es möglich? Ihr könnt die Welt verlassen, die nichts Köstlicheres hat als Euch, und mich – mich Aermsten – den Ihr eben so reich gemacht habt –
Schweigt! fiel sie ihm herbe ins Wort. Ihr wißt nicht, was ihr redet. Die Welt ist ein Vorhof der Hölle. Untreue regiert allerwegen; mein Gatte ist von mir abgefallen, um kindischen Ehren nachzujagen, Euer Freund hat mich verrathen, Ihr Euren Freund und ich mein Herz, das von Euch nichts wußte, als ich Euch meine Ehre und Pflicht ausgeliefert habe wie eine Wahnwitzige, die ich war. Und doch konnte ich nicht anders; ein Dämon trieb mich dazu wie mit einer Dornengeißel. Denn als ich erfuhr, in wessen Macht ich mein Herz und meine Ehre hatte geben wollen, und wie das schwerste Opfer, das ich ihm aus übergroßer Liebe zu bringen gelobt, so schnöden Dank erfahren sollte, hat jener Dämon sich in meine Brust geschlichen und mich so traurig berathen, daß ich mein Bild im Spiegel hinfort nicht betrachten kann, ohne vor mir selbst zu erschrecken. Ich weiß nun wohl, daß Ihr sagen wollt, Ihr würdet mich nie verrathen, und Eure Treue solle mir Ersatz sein für Alles, was ich verloren. Nur schade, daß uns Treue werthlos ist, wo wir nicht lieben, und ich habe nie einen Mann geliebt als den Einen, der mich so tief hat kränken können. So will ich mich zu Dem flüchten, der keiner armen Seele, die auf ihn blickt und hofft, je untreu geworden ist. Und wenn Euer Freund darob gar zu verzweifelt sich geberden sollte, gebt ihm den Trost, der einem eitlen Manne der süßeste sein wird, daß ich das Klostergitter zwischen mich und ihn habe bringen müssen, um mich vor ihm zu schützen und nicht der noch größeren Schmach anheimzufallen: nach Allem, was geschehen, noch einmal mir selbst und meinem Stolze untreu zu werden und zurückzueilen in die Welt, um mich auf Gnad' und Ungnade in seine Arme zu stürzen.
Sie zog den Schleier über ihr Gesicht, daß er die Thränen nicht sehen sollte, die ihr aus den Augen quollen. Dann winkte sie ihm, ihr zu folgen, und verließ das Haus, um gradenwegs den Hügel hinaufzuschreiten, nicht rastend, bis sie selbst den Klopfer an der Klosterpforte ergriff und mit drei lauten Schlägen ihren Einlaß begehrte. Es dauerte eine Weile, bis die Schwester Pförtnerin aus dem Schlaf auffuhr und das Thor öffnete. Dann reichte die Scheidende ihrem Begleiter zum letzten Lebewohl ihre kalte Hand, die er mit heißen Thränen benetzte, und das Thor schloß sich hinter ihr für immer. – –
Als der Vizgraf von Polignac den unerbittlichen Abschiedsbrief seiner Gattin gelesen, soll er eine Weile wie toll und thöricht geschrieen und getobt, sich dann aber bald beruhigt haben. Auch führte er sein altes Leben nach kurzer Trauerzeit fort, als wenn nie eine Schloßherrin neben ihm gewaltet hätte, und an einem der Tenzonentage hatten seine Hausdichter die Frage zu verhandeln, ob es besser sei, seine Geliebte im Himmel zu wissen, oder in den Armen eines Rivalen, oder lebend und treu, aber in einer Klosterzelle.
Herr Guillem wartete das Jahr des Noviziates ab, da er immer noch eine leise Hoffnung nährte, die geliebte Frau werde zu ihm und der Welt den Rückweg finden. Als er hörte, daß sie unter dem Namen Sor Beata Profeß gethan habe und ihm für immer verloren sei, nahm er in tiefem Gram das Kreuz, und die Chronik meldet, daß er tapfer fechtend vor Edessa gefallen sei.