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(1880)
Unweit von der Stadt Carcassonne in der schönen Provence lag die Burg Miraval, die seit Menschengedenken im Besitz desselben ritterlichen Geschlechtes geblieben war. Gegen die Neige des zwölften Jahrhunderts aber sahen ihre Mauern nicht mehr so fröhliche Feste und sorgenfreie Bewohner, wie sonst. Ihr letzter Herr wurde durch einen schier allzu reichen Kindersegen genöthigt, sein Hab' und Gut zu zersplittern, so daß auf den Einzelnen kaum so viel kam, um ihn vor Noth zu schützen, geschweige ihm ein Leben zu gewähren, in welchem er der Standesehre überall Genüge thun konnte. Mit der Zeit minderte sich freilich diese Enge und Bedrängniß, da einige von den Töchtern Männer fanden, andere den Schleier nahmen und von den Söhnen etliche frühzeitig wegstarben. Als aber der alte Herr selbst die Augen schloß, waren immerhin noch vier Söhne übrig, die sich in den Besitz der Burg zu theilen hatten.
Sie thaten dies nicht ganz ohne Murren und Streit, bis auf den jüngsten Bruder, Raimon von Miraval. Dieser hatte zum Ersatz für ein reiches Erbgut von der freigebigen Natur eine Mitgift empfangen, die er wohl auszubeuten verstand: die Gabe des Gesanges und mit dieser die Gunst hoher Herren, also daß er nicht an der väterlichen Scholle zu kleben und ihren kargen Ertrag an seinem Theil zu schmälern brauchte. Er war frühzeitig an den Hof seines Oberherrn gekommen, des Grafen Raimon VI. von Toulouse, der an seinem Singen und seiner Person so großes Wohlgefallen fand, daß er ihn beständig in seiner Nähe haben wollte und ihn so vertraulich hegte und pflegte, wie einen jüngeren Bruder. Sie hatten sich nach der Sitte der Zeit sogar einen gemeinsamen Dichternamen erwählt, unter welchem sie sich in ihren Canzonen wechselweise ansangen, und wenn diese überschwängliche Freundschaft auch hin und wieder ins Wanken kam, sorgten doch später die schweren Zeitläufte dafür, daß Einer des Andern sich in herzlicher Treue erinnern sollte.
So führte denn der junge Raimon, während seine Brüder dürftig und mißgelaunt sich nebeneinander hindrückten, ein freies und vergnügliches Dichterleben, von seinem brüderlichen Gönner in Waffen und Kleidern höfisch gehalten und durch seine Lieder überall wohlempfohlen, wo ritterliche Sitte geübt und Sänger geehrt wurden. Gleichwohl verfolgte ihn ein eigener Unstern, gegen den er vergebens ankämpfte, da die Quelle dieses unholden Geschickes aus seiner eigenen Gemüthsart entsprang. Mehr als einmal wurde er von schönen Frauen, die seine dichterischen Huldigungen eine Zeitlang aufmunternd entgegengenommen hatten, auf eine empfindlich beschämende Weise hinters Licht geführt und sah, wenn er aus dem Spiele Ernst machen und seinen lang erhofften und verheißenen Lohn endlich einfordern wollte, irgend einen heimlich Begünstigten, ganz ungereimten Liebhaber sich vorgezogen, so daß ihm Nichts übrig blieb, als dieselbe schöne Dame, die er vorher als ein Musterbild edler Sitte in seinen Versen gefeiert, nun in heftigen Trutzliedern vor aller Welt als schnöde Verrätherin und gleißende Schlange zu brandmarken. Ein gewisser geckenhafter Zug in seinem Wesen, ein bedenklicher Hang auf äußeren Glanz und höfische Ehren mehr Gewicht zu legen, als einem aufrichtig Liebenden geziemt, scheint ihn den Frauen verdächtig gemacht zu haben, da selbst die Hoffärtigste und Kaltsinnigste um ihrer selbst willen geliebt zu werden wünscht und einem Liebhaber nicht über den Weg traut, der ihrer Gunst nachtrachtet, nur um sie wie einen Helmschmuck von aller Welt bewundern zu lassen.
So hatte er es sich selber zuzuschreiben, daß ihm Gleiches mit Gleichem vergolten ward, indem schöne und kluge Frauen ihn an sich heranzogen, um durch seine Kunst verherrlicht zu werden, dann aber, sobald dieser Zweck erreicht war, ihn bei Seite schoben, nicht besser als ein leeres Schminktöpfchen oder eine herabgebrannte Kerze. Wie blind er in solche Fallen ging, beweist statt vieler andern ein wohlbeglaubigtes Geschichtchen, das ihm mit der schönen Adalasia, der Gattin Bernhard's von Boisseson, Herrn des Schlosses Lombers im Albigensischen, begegnete. Dieser vornehmen Dame hatte er längere Zeit auf alle Weise gehuldigt und in hochtönenden Liedern ihre Gaben und Tugenden an Leib und Seele gepriesen, die noch in stetem Aufblühen begriffen seien, wie die Schönheit der Rose und Schwertlilie zur Sommerszeit. Die kluge Frau, die ihren Vortheil verstand, war es sehr zufrieden, daß ihr Ruhm sich weit über die Nachbarschaft verbreitete und Fürsten und Barone sich herzudrängten, ihr den Hof zu machen. Sie wußte, indem sie mit der einen Hand wieder nahm, was sie mit der andern gab, ihren thörichten Anbeter immer stärker zu entflammen und die anderen Bewerber zugleich in so schicklicher Ferne zu halten, daß Raimon, obwohl er immer nur mit Hoffnungen gespeist wurde, sich für den allein Begünstigten hielt und sich nicht scheute, sein Glück auf die gefährlichste Probe zu stellen. Er war wohl angeschrieben bei dem ritterlichsten Fürsten seiner Zeit, P etrus II. von Aragon. An diesen richtete er ein Lied, in welchem er ihn einlud, die Bekanntschaft seiner holden Freundin zu machen. Wenn der König zu Lombers erscheint, – rief er darin aus – so wird er Freude davontragen für immerdar, und wiewohl er hoch erhaben ist, wird doch sein Glück sich verdoppeln; denn die Güte und Freundlichkeit der schönen Adalasia, ihre frische Farbe und ihr blondes Haar entzücken alle Welt. – Bei dieser Einladung hegte er die geheime Hoffnung, seine eigene Sache durch den königlichen Besuch gefördert zu sehen. Die Schöne sollte erkennen, was sie an einem Freunde habe, der eines solchen Fürsten Gunst und Gnade genoß, ja er rechnete darauf, der König werde selbst ein Fürwort für ihn einlegen und endlich das Eis zwischen ihnen zum Schmelzen bringen. Ganz anders kam es. Zwar ließ sich der Aragoneser gern bewegen, Schloß Lombers zu besuchen, wo er mit Freuden und Ehren empfangen ward. Kaum aber sah er die reizende junge Wirthin, so ward er selbst von einer raschen Neigung zu ihr ergriffen, und statt für den Dichter, führte er in eigener Sache das Wort, das ein nur zu williges Gehör fand. Damals nicht minder als in späteren Zeiten und bis in die jüngste Gegenwart hinab schien vornehmen Schönen ein Liebeshandel mit einem königlichen Herrn eine allzugroße Ehre, um sich dagegen im Panzer einer unanfechtbaren Tugend zu verwahren. Petrus erreichte Alles, was er wünschte und erbat, und schon am nächsten Tage war der Sieg des Fürsten und die Niederlage des Dichters so offenkundig, daß Miraval von Scham und Gram glühend das Schloß verließ und, eine Zeitlang allen Minnedienst verschwörend, sein unmuthiges Herz in Stille und Einsamkeit vergrub.
Diese Wunde war noch kaum vernarbt, als er eines Abends in schlichtem Kleide durch die Straßen der Stadt Carcassonne schlenderte, müßig und ruhelos und an Nichts weniger denkend, als an neue Abenteuer. Da hörte er aus einem geringen Hause, an welchem ein Rosenstock sich in die Höhe zweigte, eine liebliche, nicht gar laute Stimme ein Tanzliedchen singen, dessen zärtlich schalkhafte Worte ihm überaus gefielen. Die Weise war ihm unbekannt, aber der etwas umflorte, helldunkle Ton der Sängerin schien ihm süßer als Laute und Flötenspiel.
Dies Tanzliedchen nun klang so:
Hört den Kukuk schreien,
Höret das Schalmeyen
Der Vögelein im Wald!
Kommt und schlingt den Reihen,
Singt und springt im Freien,
Die Jugend schwindet bald!
Hei trallalei!
Mein Herz ist frei –
Lieblich tanzt es sich im Maien.
Eine geht alleine,
Ach, die Süße, Feine,
Führt Keiner sie zum Tanz?
Geht im Sternenscheine
Still einher am Raine –
Wem windet sie den Kranz?
Hei trallalei!
Mein Herz ist frei –
Lieblich träumt es sich im Maien.
Wie im Bach, dem hellen,
Munter gehn die Wellen,
So rieselt junges Blut.
Wem von all den schnellen,
Schmucken Junggesellen
Ist wohl das Mägdlein gut?
Hei trallalei!
Mein Herz ist frei –
Lieblich liebt es sich im Maien.
Er war mitten auf der Straße stehen geblieben, dem Fenster gegenüber, hinter welchem die Sängerin saß. Nur bis zum Gürtel hinab konnte er sie sehen, sie kauerte auf einem Schemel und hatte ein Spinnrad zwischen den Knieen, das sie fleißig drehte, während sie vor sich hin sang. Sie war jung und im ersten Aufblühen ihrer schlichten Schönheit: lichtbraune Haare und sanfte schwarze Augen, dazu eine Wange wie Sammt, und wenn im Singen sich die Lippe ein wenig zurückzog, schimmerten ihre kleinen weißen Zähne, daß man es für eine Wonne halten mußte, ein wenig von ihnen gebissen zu werden.
Unwillkürlich, da das Liedchen zu Ende war, trat Raimon ein paar Schritte auf das Fenster zu. Das Mädchen aber, da sie den Fremden sich nähern sah, erhob sich rasch, ihr Gesicht nahm einen ruhig stolzen Ausdruck an, und indem sie sich hinausbeugend ihm ihre schöne schlanke Gestalt zu schauen gab, schloß sie den Laden und deutete mit einem letzten Blick dem betroffen Hinaufstarrenden an, daß sie für müßige Gaffer nicht zu singen pflege.
Raimon säumte nicht, bei dem nächsten guten Bürger, der des Weges kam, sich zu erkundigen, wer das Häuschen bewohne. Er hörte den Namen eines ehrsamen Handwerkers, der ehemals ein Schwertfegerlädchen gehalten, seit Jahren aber mit seinen von der Gicht gekrümmten Händen das Werkzeug nicht mehr zu regieren vermöge und nun seine letzten Lebenstage mit der einzigen Tochter, die ihm geblieben, hier in unbescholtener Stille und fast dürftig verbringe. Doch könne manch ein reicherer Vater ihn um dies Kind beneiden, da er an ihm einen wahren Schatz an pflegsamer Liebe und Treue besitze und sie sein kümmerliches Alter auf alle Weise ehre und erheitere. Gaudairenca sei ihr Name, in der Stadt aber heiße sie nur die Dichterin. Denn sie habe eine absonderliche Gabe, allerlei Tanzlieder, Coblas, Rundgesänge und Canzonetten zu dichten und sie nach eigenen Weisen zu singen, so daß sie, wenn sie sich ja einmal unter junge Leute mische und an einer ehrbaren Festlichkeit Theil nehme, immer um ein neues Lied bestürmt werde und nie darum verlegen sei. Was sie gedichtet, falle gleich ins Ohr und werde nicht so bald wieder vergessen, dazu komme ihre züchtige Anmuth, die Jedem das Herz abgewinne, so daß sie trotz ihrer mangelnden Mitgift schon oft eine vortheilhafte Heirath hätte machen können. Doch wolle sie ihren Vater nicht verlassen, der ein grilliger alter Knabe sei, so daß ein Eidam, der ihn mit in seine junge Wirtschaft bekäme, keine kleine Last an ihm zu tragen hätte.
Dieser Bericht war Oel in die rasche Flamme, die in Herrn Raimon's Brust durch den Anblick und Gesang seiner jungen Kunstgenossin entfacht worden war. Er konnte die ganze Nacht kein Auge schließen, ohne daß ein muthwilliger Traum das dichtende und singende holde Geschöpf an ihm vorüberführte, immer nur im Fluge, so daß der Aerger, daß sie ihm aus den Händen schlüpfte, ihn alsbald wieder erwachen ließ. Kaum war es Tag geworden, so umschlich er von Neuem das Haus mit dem Rosenstock, dessen Läden der frühen Sonne geöffnet waren, doch nichts Anderes zeigte sich im Innern, als ein grauer Haarbüschel auf einer vielgefurchten Stirn, hinter welcher der alte Schwertfeger seine unwirschen Morgengedanken ausbrütete. In der That war der Vater des dichtenden Mägdleins mehr einem Schuhu, als einem ehemals buntgefiederten alten Singvogel ähnlich und zwinkerte, während er ab und zu einen Zug aus der zinnernen Kanne that, so unheimlich blöde und giftig zugleich mit den gerötheten Augenlidern, daß er jeden fremden Gast von seiner Schwelle zurückschrecken mußte.
Herr Raimon indessen kümmerte sich wenig um diese Vogelscheuche, sondern schlug sich durch ein Seitengäßlein nach dem Flusse hinab, bis zu welchem das Gärtchen hinter dem kleinen Hause sich erstreckte. Sein ahnendes Gemüth hatte ihn nicht getäuscht. Ueber den niederen Zaun hinweg sah er die schlanke Gestalt seiner jungen Collegin durch die grünen Büsche wandeln, ein rothes Tüchlein lose ums Haupt geschlungen, unter dem ihre Augen und Wangen noch einmal so blühend hervorleuchteten. Sie sang nicht, schien auch nicht ganz leichten und heiteren Gemüthes, wie ein noch unerfahrenes Kind, das in der Morgenluft die Schatten ängstlicher Träume umflattern. Mit ihren Händen, die nicht eben geschont, aber von schlanker Form und leicht gebräunt waren, wand sie eine lose Guirlande aus Lorbeer- und Granatzweigen, die sie im Gehen von den nächsten Sträuchern brach, und blieb mit heftigem Erschrecken mitten im Wege stehen, als Herr Raimon ihr über den Zaun zurief, ob sie da einen Kranz winde für ihren eigenen Scheitel, sich damit zu schmücken, wie es einer berühmten jungen Dichterin gezieme.
Sie hatte sich rasch gefaßt und sah ihm jetzt mit ihren schwarzen Augen ruhig ins Gesicht.
Ich habe mir Nichts dabei gedacht, sagte sie, als ich die Zweige pflückte, aber nun ich es bedenke, ist es mir lieb, daß der Kranz wie von selber zu Stande gekommen ist. Denn wenn er nicht zu schmucklos ist für eine Dichterstirn, mögt Ihr ihn tragen, Herr Raimon von Miraval.
Damit verband sie die Spitzen der Lorbeerzweige, schlang den Faden herum, und indem sie mit leichter Befangenheit an den Zaun herantrat, überreichte sie das blühende Gewinde dem Ritter, der eine Weile zauderte, danach zu greisen, da er ganz in den Anblick des schönen Wesens versunken war.
Ich dank' Euch, Gaudairenca, sagte er endlich. Aber wie wißt Ihr meinen Namen?
Ich sollte eher fragen, wer Euch den meinen gesagt hat. Euch kenn' ich wohl. Als Ihr mit dem Grafen Raimon von Toulouse vor zwei Jahren durch Carcassonne geritten kamt, zeigten die Leute auf Euch als den Dichter der schönen Canzonen, die man hie und da singen hört, und da sie mir sehr gefallen hatten, betrachtete ich Euch aufmerksam und behielt Euch wohl im Gedächtniß, als den ersten berühmten Sänger, den ich je gesehen. Gebt Euren Hut her, Herr Raimon; ich will Euch den Kranz herumheften.
Er that, was sie von ihm verlangte. Ihn däuchte, er habe nie einen holderen Dank für sein Singen erhalten, nicht an den reichsten Fürstenhöfen, noch von hochgeborenen Frauen.
Und doch, da ich gestern Abend mich Eurem Fenster näherte, fuhr er fort, verschlosset Ihr vor mir den Laden, als ob ein gräulicher Drache Euch angestarrt hätte.
Das that ich, weil ich mich schämte, versetzte sie erröthend. Ihr hattet mich singen hören, und es war ein einfältiges Lied, ohne Kunst und Sinn und Verstand; Ihr aber seid ein Meister, der die schönsten Reime findet und die trefflichsten Gedanken. – Da habt Ihr den Hut zurück, und nun geleit' Euch unser Heiland! Ich muß ins Haus!
Gaudairenca! rief er und hielt die Hand fest, die ihm den bekränzten Hut herüberreichte, das schlichteste Wort, das deine rothen Lippen sprechen oder singen, ist köstlicher, als die gepriesensten Lieder des Herrn Bernard von Ventadour, oder Peirol's, oder sonst eines berühmten Sängers, und seit ich jenes Tanzliedchen gehört, ist mir mein eigenes Singen so verleidet wie Pfauenschrei neben dem Schlag der Amsel oder Lerche. Du hast es mir so wundersam angethan, daß ich meine, ich müsse auf ewig verstummen, wenn ich deine Stimme nicht mehr höre.
Sie lachte ein wenig, indem sie immer tiefer erröthete. Das wäre mir ewig leid um Euch und die Welt und mich selbst, da ich Eure Lieder liebe. Aber wenn Ihr dies nicht sagt, um eines ungelehrten Mädchens zu spotten, – die Straße vor unserm Hause ist frei, Herr Raimon, und ich singe immer, wenn ich arbeite, und da es mir an Arbeit nicht fehlt, ist auch an meinem Singen Ueberfluß. Nur freilich, wenn ich denken soll, es hört mir Einer zu mit so feinen Ohren, wie die Euren, werde ich noch ungeschickter singen, als sonst. Mein Vater schilt ohnehin oft genug, daß ihm das ewige Tireliren Kopfweh mache. Horcht! da ruft er nach mir. Lebt wohl und habet Dank!
Sie riß sich hastig vom Zaun hinweg, und er sah sie das Gärtchen durcheilen, daß ihr die langen Zöpfe im Winde flogen. Dann nahm er in tiefen Gedanken den Hut ab und drückte eine der dunkelrothen Granatblüten an seinen Mund. Daß es deine Lippen wären, Gaudairenca! murmelte er vor sich hin. Darauf schritt er langsam, das Haupt zur Brust geneigt, seiner Herberge zu.
Desselbigen Abends fand er sich wieder vor dem Hause mit dem Rosenstock ein, den Kranz kecklich um den Hut gewunden, so daß die Nachbarn auf ihn zeigten und sich zuraunten, es müsse unter diesem Hute nicht ganz richtig stehen. Bald aber erfuhren sie, wer der wunderliche Fremde sei, der Abend für Abend auf einem steinernen Bänklein dem Schwertfegerhaus gegenüber saß und an Nichts zu denken schien, als dem leisen Singen zuzuhören, das von drüben erklang; und da sie nicht wenig stolz waren auf die »Dichterin«, die ihr Stadtkind war, hüteten sie sich, ihn zu stören mit neugierigem Hinzutreten und Anreden. So dauerte das eine Woche, ohne daß die Sängerin sich viel hätte blicken lassen, da sie darauf bedacht war, ihren Ruf zu hüten. Auch das Gärtchen hatte sie gemieden, sobald ihre scharfen Augen ihr anzeigten, daß der höfische Freund den Zaun umschlich, um wieder eine Zwiesprach mit ihr anzuknüpfen. Dies Alles that sie ganz ohne Arglist, nicht etwa um ihn durch ihr Fernhalten nur fester anzuziehen, da sie so bescheiden war, wie klug, und im Traum nicht daran dachte, es könne dem ritterlichen Herrn im Ernst an ihr gelegen sein. Sie wußte ja auch, daß er in Fürsten- und Grafenschlössern ein gern gesehener Gast war, und was von seinem Liebesunstern verlautete, konnte ihr seinen Werth nicht schmälern, da sie es nicht zu fassen vermochte, wie ein Weib einem so vornehmen und trefflichen Manne mit Unglimpf begegnen könne, wenn es nicht ein Herz im Busen trüge, das taub sei für den Zauber süßer Gesänge.
Darum erschrak sie in allem Ernst, als eines Abends Herr Raimon in das kahle und ärmliche Zimmer ihres Vaters trat und mit schlichten, aber nachdrücklichen Worten seine Tochter von ihm zum Weibe begehrte. Der grillige alte Mann, den Gicht und Armuth und die eigensinnige Zurückgezogenheit von der Welt mißtrauisch und menschenfeindlich gemacht hatten, glaubte nicht anders, als man wolle ein frevelhaftes Spiel mit ihm treiben, und erhob in blindem Zorn den Stecken, an dem er durchs Haus zu schleichen pflegte, wie um einen bösen Buben abzuwehren. Auch er kannte den Ritter dem Rufe nach, und obwohl Miraval kein reicher Besitz war, schien ihm doch die Werbung des höfischen Mannes um ein geringes Stadtkind ein Unding, nur zu Schimpf und Schmach ersonnen. Als aber Raimon seine redliche Absicht betheuerte, seine eigene Armuth gestand und erklärte, ihm thue eine wirthlich und prunklos erzogene Hausfrau Noth, da er des Herumschweifens satt sei und in ehrbarer Stille auf der väterlichen Burg zu leben gedenke, auf welcher auch für den Schwiegervater Platz sei, blickte der Alte, ohne ein Wort zu sagen, seine Tochter an, die regungslos an einem Thürpfosten lehnte und röther glühte als die Granatblüten in ihrem Garten. So schwiegen die Drei eine kleine Weile. Dann kam plötzlich Leben in die junge Gestalt. Ein schüchternes Lächeln ging über ihr zartes Gesicht, sie schlug die Augen mit einem strahlenden Blick zu dem theuren Manne auf und nickte ihm kaum merklich mit dem Haupte zu. Er aber, der trotz seiner Geburt und des Bewußtseins von seinem Dichterruhm verlernt hatte, an Glück zu glauben, stürzte mit einem Aufschrei des höchsten Jubels zu ihr hin und umfaßte die reizende Geliebte, die in verworrenem Taumel ihm in die Arme sank und ihm zuflüsterte: Wenn ich Euch nicht unwerth erscheine, nehmt mich hin; ich hab' Euch geliebt vom ersten Augenblick!
Nun wurde in Kurzem eine stille, aber fröhliche Hochzeit gehalten, bei welcher das alte Schwertfegerhaus in ein grünendes, blühendes Zauberschlößchen verwandelt erschien, da die Braut alle Sträucher und Beete ihres Gartens geplündert hatte und Freunde und Nachbarn, die geladen waren, es sich angelegen sein ließen, durch zierliche Hochzeitsgaben aller Art sich dankbar zu zeigen für die seltene Ehre, die ihrer jungen Mitbürgerin geschehen. Herr Raimon trug das Haupt hoch, als er an der Seite seines jungen Weibes aus der Kirche schritt. Er mußte in all seiner Hochzeitswonne mit stiller Schadenfreude daran denken, wie manche hochgeborne Frau bei der Nachricht von dieser Vermählung sich kränken würde, daß der Sänger, der ihren Ruhm hätte verbreiten können, ihr nun aus dem Netz gegangen und in einem bescheidenen, aber neidenswerthen Glück vor den Tücken höfischer Schönen geschützt sei. Als die junge Frau bei Tische von den Gästen gebeten wurde, zum Abschiede noch einmal eines ihrer Lieder zu singen, und nun mit einem schalkhaft süßen Blick auf Raimon jenes Tanzliedchen anhob, das ihn zuerst an ihr Haus gefesselt hatte, kam es ihm vor, als sei aller Glanz des höfischen Kunstgesanges ein blasser künstlicher Schein gegen die reine Flamme, die hier alle Herzen hell und heiter machte und er verschwor sich heimlich, keine Stunde seines Lebens mehr an diesen eitlen Tand zu vergeuden.
Auch hielt er dies Gelübde redlich die erste Zeit, die er mit seiner lieben Frau auf Miraval zubrachte. Zu ihrem Glücke fanden sie dort von den drei Brüdern, die gemeinsam die Burg bewohnt, nur noch den ältesten, einen harmlosen, gutherzigen Mann, der das Pflegeramt verwaltete, nachdem die beiden Andern, des ewigen Zankens und Mißgönnens müde, in fremdem Herrendienst ein reichlicheres Auskommen gesucht hatten. Der Zurückgebliebene, Gaucelm mit Namen, empfing die schöne junge Schwägerin mit brüderlicher Herzlichkeit und ließ sich auch die Zugabe des alten Schuhu's gefallen, für den in einem Thurmgemach ein ganz wohnliches Nest eingerichtet wurde. Nicht lange, so hatte die neue Herrin das verstaubte, verwahrloste alte Gebäude mit geringem Aufwande so sauber wieder hergestellt, daß die Gäste, die sich hin und wieder einfanden, es kaum noch zu erkennen vermochten. Auch sorgte sie dafür, daß die Felder ordentlich bestellt, der Wald nicht thöricht verwüstet, der Garten in gutem und einträglichem Stand erhalten wurde und es ihrem Raimon in Küche und Keller an nichts Wünschenswerthem gebrach. Nur verlernte sie über diesem scharfen Wirtschaften und Haushalten ihr Singen, und erst als sie ein Kind in der Wiege zu schaukeln hatte, ein Mägdlein mit goldhellem Haar und den schwarzen Augen der Mutter, fing sie an Schlafliedchen zu summen, die sie von Niemand gelernt hatte, als von ihrem eigenen Mutterherzen.
Auch ihre alten Tanzlieder fielen ihr wieder ein, als sie die Kleine die ersten Schritte machen lehrte, aber sie sang sie ihr nur, wenn sie mit dem Kinde allein war. Denn es war Etwas in ihr, das sie warnte, ihren Gatten nicht an alte Zeiten und seine alten Künste zu erinnern, die er über seinem ruhigen Hausvaterberuf glücklich vergessen zu haben schien. Das hatte nun etliche Jahre gewährt, und wer Herrn Raimon von Miraval heimsuchte und ihn auf dem Felde die Knechte anweisen oder im Obstgarten Edelreiser pfropfen oder mit dem Falken auf der Faust, seinen Bruder Gaucelm neben sich, auf die Jagd reiten sah, hätte sich schwerlich träumen lassen, dieser wettergebräunte, schlicht gekleidete Biedermann sei der nämliche Raimon, der zu den Füßen schöner Damen geschmachtet und einem Könige den Weg zu seiner eigenen Liebsten gewiesen hatte.
Da kam eines schlimmen Tages ein Brief vom Grafen von Toulouse, der in scherzenden Worten anfragte, ob über dem Honigtrank der Liebe der edle Wein der Freundschaft denn ganz vergessen oder verachtet werde. Der Brief war in Reimen abgefaßt und das Geleit (wie das kürzere Ströphchen am Schlusse genannt wurde) wandte sich an die Frau Dichterin mit der Bitte, ihrem Eheherrn die Zügel ein wenig zu lockern, daß alte Freunde sich einmal wieder sein erfreuen könnten.
Gaudairenca erschrak bis ins innerste Herz, als ihr Gatte ihr diese Botschaft mittheilte, ohne selbst ein Wort hinzuzufügen. Als ein kluges Weib aber wie sie war, redete sie eifrig zu, sich nicht störrig und unhöfisch zu erzeigen, sondern der Ladung des erlauchten Freundes zu folgen. Erst da sie Raimon vom Söller aus nachsah, wie er hastig hinwegritt, als ob er fürchte, doch noch zurückgehalten zu werden, entlud sich ihr schweres Herz in bangen Tropfen, die auf das blonde Häuptlein ihres Kindes niederfielen, und sie drückte die kleine Constanze so fest an ihre Brust, daß auch sie zu weinen anfing und der gute Schwager, der wohl begriff, was den Himmel über Miraval so jählings trübte, genug an Mutter und Kind zu trösten hatte.
Leider wollte sich auch die Luft nicht wieder klären. Gaudairenca's kummervolle Ahnung traf allzu bald und allzu gründlich ein, Raimon schien am Hofe von Toulouse den alten Adam, den auszuziehen er gelobt, sofort wieder angezogen zu haben, und wenn er auch an Weib und Kind zurückdenken mochte, er ließ nie ein Wort von ihnen verlauten, so daß auch die Scherzreden, mit denen er empfangen worden war wegen seiner dichtenden Gattin aus bürgerlichem Hause, bald für immer verstummten. Es war zu jener Zeit nichts Seltenes, daß ein Troubadour im Geheimen eine unhöfische Verbindung schloß, die ihm zwar nicht vor Gott, aber vor den Menschen völlige Freiheit ließ, standesgemäße Abenteuer zu suchen und um Frauengunst zu werben. Also trieb er, nachdem er den Rost von seiner Leier ein wenig abgeschliffen, sein ungebundenes Wesen ganz wie vor Zeiten und als säße nicht daheim auf der Burg seiner Väter eine schöne junge Frau in bitterer Verlassenheit und Sehnsucht, und begnügte sich nur in großen Pausen, wenn ein Bote grade in jene Gegend gesandt wurde, mit einem kurzen Gruß seiner Hausfrau sagen zu lassen, es gehe ihm wohl und er hoffe, auch ihr fehle es an Nichts, worauf regelmäßig die Antwort kam, es stehe unter Gottes und Schwager Gaucelm's Schutz Alles wohl im Hause, und die kleine Constanze blühe und gedeihe und lasse dem Vater gute Tage wünschen.
Von ihrem eigenen Zustande erwähnte sie nie ein Wort, theils aus Bescheidenheit und theils aus Stolz. Sie hatte es nicht vergessen, daß sie aus geringem Hause war und nicht den Anspruch erheben durfte, ihrem ritterlichen Geliebten seine ganze höfische Welt aufzuwiegen. Um so weniger aber wollte sie von seinem Mitleiden erbetteln, was seine Liebe ihr nicht aus freien Stücken gewährte, zumal sie ihres Frauenwerthes sich gar wohl bewußt war und sich getraut hätte, wenn er sie mit zu Hof genommen, neben den hochgebornen Schönen, die ihr gleißendes Spiel mit ihm trieben, aufgerichteten Hauptes und hellen Auges einherzugehen und von Keiner überglänzt zu werden.
Herr Raimon, als ein eitler Mann und Poet und durch den neuen Ruhm, den er sich ersang, verblendet, verstand den schlichten, niemals klagenden oder flehenden Ton ihrer kurzen Briefe unrecht, vielmehr kam es ihm gerade gelegen, das herauszulesen, was ihn berechtigen konnte, noch länger fernzubleiben. Wenn er zurücksann, wie sie ihm ihre Liebe und ihr jungfräuliches Selbst zu eigen gegeben und die ersten Jahre ihn beglückt hatte, konnte er sie freilich nicht der Herzenskälte zeihen. Er redete sich aber ein, wie so manchem Weibe sei auch ihr die Liebe zu dem Kinde vor die Sehnsucht nach anderm Liebesglück getreten und fülle ihr Herz so gänzlich aus, daß sie kummerlos den Gatten entbehre und ihr Strohwittwenthum nicht als eine Last empfinde. Das nahm er ihr nun nicht wenig übel, da er sich als ein so trefflicher und hochverdienstlicher Mann erschien, und er beschloß bei sich, wenn sie es denn nicht besser haben wolle, seine Gedanken ohne jeden Scrupel ganz von ihr abzuwenden und einzig und allein seiner Kunst zu leben und dem Dank vornehmer Frauen nachzutrachten, der seinem thörichten Ehrgeiz verlockender schien, als ein Lächeln seiner holden Frau und ein Lallen seines jungen Kindes.
So war er schon in das zweite Jahr von Hause weggeblieben, als er in die Netze einer gefährlichen Dame fiel, Ermengarde von Castres im Albigensischen, der reizenden Gemahlin eines greisen ritterlichen Barons, der ihr bald genug den Gefallen that, das Zeitliche zu segnen und sie als unumschränkte Herrin seiner Güter und ihrer Person zurückzulassen. Diese Frau, die man gewöhnlich nur die schöne Albigenserin nannte, zog in der unbequemen Muße ihres Trauerjahres, das sie von geräuschvollen Festen ausschloß, unsern Dichter an sich und ließ sich von ihm in allen Tonarten besingen, ohne freilich ihm einen besonderen Lohn zu gönnen. Denn heimlich hatte sie schon aus den Jahren ihrer Ehe ein zärtliches Einverständniß mit einem gewissen Olivier von Saissac, der ein herabgekommener Junker, aber von verwegenem Muth und schöner Gestalt war und die lebensfrohe junge Wittwe besser zu trösten wußte, als der in seinen Ruhm verliebte Sänger mit seinen schmachtenden Canzonen. Sie war aber verschlagenen Sinnes und wollte neben dem heimlichen Feuer, das ihre fröstelnden Wittwentage erwärmte, auch des Lichts nicht entbehren, das ihre Reize weithin sichtbar machte, munterte daher Herrn Raimon mit süßen, vielverheißenden Blicken und verstohlenen Geberden unverdrossen auf, ihr seinen singenden Hof zu machen, und verbreitete die Lieder zu ihrem Preise in vielen Abschriften, die Olivier von Saissac mit eigener Hand anfertigte, heimlich ins Fäustchen lachend, daß der Schreiberlohn freigebiger sei als der Sängerlohn.
Herr Raimon, als ein gebranntes Kind, hätte nun billig das Feuer scheuen und Verdacht schöpfen sollen, ob es mit der tugendhaften Zurückhaltung der trauernden jungen Wittwe auch ganz richtig bestellt sei. Wie eine wahrhaft liebende edle Frauenseele beschaffen sein müsse, konnte er überdies aus bester Erfahrung gelernt haben. Aber der Hochmuthsteufel machte ihn blind und taub gegen so manche Zeichen und Winke, die ihn hätten warnen können, und wie ein Knabe, der eine reife und süße Frucht wegwirft, um einen Baum zu erklettern, aus dessen Wipfel ihm ein wurmstichiger Apfel winkt, trieb er es immer eifriger in seinem närrischen Minnedienst und hatte darüber seit vielen Monden versäumt, auch nur das dünne Fädchen fortzuspinnen, das ihn noch mit seinem eigenen Hause verknüpfte.
Doch mußte er endlich, widerwillig genug, der Rede eines guten Freundes Gehör geben, der ihm mit Gewalt die Augen zu öffnen suchte und ihn erinnerte, wie schmählich es ihm vor Zeiten ergangen sei. Selbst von dem Handel mit Olivier erfuhr er nun das erste Wort, ohne doch daran glauben zu wollen, und nur so viel fruchtete die Ermahnung, daß er beschloß, sich nicht länger mit schönen Worten hinhalten zu lassen, sondern, da das Trauerjahr mit Nächstem zu Ende ging, seinen Dienst aufzukündigen, wenn der Lohn ihm auch ferner vorenthalten werden sollte.
Die schöne Albigenserin hörte den Dichter, der mit leidenschaftlicher Erregung vor sie hintrat und seine Sache auf Biegen oder Brechen stellte, mit scheinbarer Bestürzung über seine kühnen Wünsche an, ließ dann ihre zärtlichen Augen bittend und demüthig wie ein gescholtenes Kind auf ihm ruhen und entgegnete mit verstellter Beklommenheit: das Alles komme ihr so unerwartet, da sie bisher sein Werben nur für eine Dichterlaune genommen habe, daß sie sich nicht sogleich darein finden könne, an seinen Ernst zu glauben. Sie selbst habe noch nie daran gedacht, ihren Stand zu verändern, gestehe aber gern, daß sie gegen seine Vorzüge nicht blind sei und keinen wünschenswertheren Freund sich denken könne. Nur mache gerade das, was ihn vor anderen Männern auszeichne, sie wieder bedenklich, da man die Falternatur der Poeten kenne, die jede Kerze umflatterten. Sie aber könne sich nicht entschließen, den Besitz eines Mannes mit irgend einer Frau zu theilen.
Hier unterbrach sie Raimon mit stürmischen Betheuerungen, daß er ihr ganz und für ewige Zeit ergeben sein und ihre Gunst mit einer Treue vergelten werde, die jede Probe herausfordere.
Nun denn, Herr Raimon, fuhr sie lächelnd fort, indem sie mit den Locken des vor ihr Knieenden spielte, so beweist es mir, indem Ihr eine sehr geringe und leichte Sache vollbringt, die ich von Euch fordern muß, eh' ich die Eure werde. Man sagt, Ihr seiet vermählt, mit einem bürgerlichen Weibe, von dem der Ruf geht, sie sei in der Dichtkunst wohl erfahren. Wißt Ihr, daß ich manches Mal, wenn ich Eure Verse hörte, im Stillen dachte: ob seine Frau ihm dabei geholfen hat? Wenigstens waren die Gedanken oft so zart und blumenhaft, daß sie eher aus einem Frauenkopf, als aus einem männlichen Geist entsprungen zu sein schienen. Nun denn, einen Liebhaber zu besitzen, der hin und wieder nach Hause reitet, um, wenn ihm selbst nichts mehr einfällt, was er zu meinem Preise sagen könnte, die Gedichte seiner Gattin zu bestehlen, würde mir schimpflich dünken. Und überhaupt geht es mir gegen den Sinn, ein loses Band zu knüpfen, das jede Laune einer bösen Stunde zerreißen mag. Einen Gatten will ich mir nehmen, bei dem ich bis an mein Ende wohlaufgehoben wäre. Wenn ihr mich also ernstlich und heiß genug liebt, um jede Probe zu bestehen, so eilt heim in Eure Burg und trennt Euch für immer von Eurer dichtenden Hausfrau, dann kommt zurück zu mir, und ich schwöre Euch bei meinem irdischen und himmlischen Heil, daß hier eine fröhliche Hochzeit gefeiert werden soll.
So sagte die Listige, und als sie ihn betroffen verstummen sah, erhob sie sich und fügte noch hinzu: Ich sehe, daß Eure Treue und Sehnsucht nur ein Gedicht war. Gut denn! So nehmt auch meine Worte für nichts Besseres und lasset uns als Freunde scheiden.
Da haschte er nach ihrer Hand, drückte seine Lippen darauf, und indem er sich muthiger und entschlossener stellte, als ihm ums Herz war, rief er: Rüstet nur immer die Hochzeit, holde Gebieterin; denn bei den sieben Wunden der Gnadenmutter, der Bräutigam wird nicht auf sich warten lassen!
Sie nickte ihm mit einem triumphirenden Lächeln zu und flüsterte: Geht! Ihr seid ein Dichter, Herr Raimon! – dann eilte er von ihr hinweg, schwang sich mit brennendem Kopf und verstörtem Herzen auf sein Pferd und sprengte die Straße dahin, die nach Miraval führte.
Zwei scharfe Tagesritte hatte er zurückzulegen, Zeit genug, den Kopf verkühlen zu lassen und den Aufruhr in seiner Brust zu stillen. Es wollte ihm aber nicht gelingen. Am ersten Tage freilich wirkte der Zauber der schönen Hexe noch genugsam nach, daß er jede Einrede der Vernunft und jede Klagestimme des Gewissens zum Schweigen brachte, wenn auch nicht ohne steten Kampf mit seinem besseren Selbst. Was verliere sein Weib, wenn sie ihn freigebe? Mehr nicht, als sie in den letzten Jahren schon entbehrt habe, ohne es sonderlich zu vermissen. Habe sie nicht hinlänglichen Ersatz an dem Kinde und ein reichliches Leben dazu, da er ihr auf Miraval zu wohnen auch ferner gestatten wolle? Und sei nicht Bruder Gaucelm da, sie in allen Fährlichkeiten, denen ein einsames Weib sich ausgesetzt sehe, zu schützen? Für den sei sie die rechte Frau, und wer könne wissen, ob er es nicht sei, der ihr die Trennung von dem Gatten so leicht gemacht habe! So möge er sie denn ganz hinnehmen, der wackere Hausvogt die gute Haushälterin! Er aber, Raimon, – ein Höllengeist müsse ihn verblendet haben, daß er das Carcassonner Schwertfegerkind zu seinem Weibe gemacht. Gleich zu Gleich, sage die Weisheit aller Völker und Zeiten. Als Gemahl eines stolzen adeligen Weibes, wie Ermengarde, – wie anders könnte er seine ritterliche Kunst pflegen, daß er die berühmtesten Troubadours der ganzen Provence überstrahlte! Und liebe sie ihn nicht auch? Sei er es ihr nicht schuldig, zu beweisen, daß seine Huldigungen mehr gewesen als Gedichte? Jetzt endlich sei es in seine Hand gelegt, alle neidischen Kläffer, die ihm alte Geschichten aufmutzten, zu beschämen, und er könne noch Bedenken tragen, ein so geringes Hinderniß aus dem Wege zu räumen?
So sprach er am ersten Tage in tausendfachen Wiederholungen zu seinem anklagenden Herzen. Am zweiten aber wurden die aufmunternden Stimmen immer kleinlauter und verstummten endlich ganz. Eine öde, unheimliche Stille war in seinem Innern, und nur von Zeit zu Zeit summte ihm die Weise des Tanzliedchens vor den Ohren, mit welchem sich Gaudairenca ihm ins Herz gesungen hatte. Dann stieß er dem Falben, den er ritt, die Sporenstacheln tief ins Fleisch und war froh, wenn der klirrende Hufschlag ihm die seltsam süße Melodie übertönte.
Als er dann am Abend die Zinnen von Miraval über den Wipfeln der hohen Ulmen und Nußbäume, die den Wall umstanden, herüberwinken sah, hielt er unwillkürlich den Zügel an. Ihm schwindelte der Kopf, und das Wiedersehen der alten Mauern, in denen er eine so schöne, stille Zeit verlebt hatte, gab ihm einen Stich ins Herz. Auch war die ganze lange Rede, die er sich seinem Weibe zu halten vorgenommen, bis auf das letzte Wort aus seinem Gedächtniß verflogen. Dann aber schämte er sich, daß ein Weib, welches sich zwei Jahre ohne ihn zu behelfen vermocht, ihm solche Furcht einjagen könne, und sprengte in desto wilderer Hast den steilen Schloßberg hinan.
Das gute Roß strauchelte, als es über die lückenhaften Balken der Zugbrücke trabte; Herr Raimon aber, ohne des Vorzeichens zu achten, riß es mit Gewalt in die Höhe und: Wo ist die Frau? herrschte er dem Knechte zu, der eilig herbeigerannt kam und den unverhofft heimgekehrten Herrn mit lebhafter Freude begrüßte.
Sie sei mit dem Kinde ins Dorf hinabgegangen, eine Wöchnerin zu besuchen. Herr Gaucelm habe einen Ritt in die Stadt gemacht, da er einen Rechtshandel wegen eines Brückenzolls zu schlichten habe.
Und meiner Frauen Vater?
Ist vor vierzehn Tagen unter der Linde auf dem Gottesacker bestattet worden. Wir hätten die Kunde Herrn Raimon sofort zu wissen gethan, aber Niemand konnte sagen, wo ein Bote ihn zu suchen hätte.
Es ist gut! murmelte der Heimgekehrte zwischen den Zähnen, mit einem so scheuen, düstern Blick, daß der Knecht sich Sorge machte, sein Herr sei krank und nur darum nach Hause gekommen, um sich von seiner Hausfrau pflegen zu lassen. Auf die Frage aber, ob man Frau Gaudairenca eilig herbescheiden solle, antwortete Raimon nur mit einem heftigen Kopfschütteln und trat, ohne nur Einen von dem herzulaufenden Gesinde zu begrüßen, ins Haus.
Es war ihm lieb, daß ihm noch eine Frist gewährt war, sich zu sammeln und seiner ersten weichen Bewegung beim Anblick der heimathlichen Stätten Herr zu werden. Den Hut auf dem Haupt, ohne den Reisestaub von den Kleidern zu schütteln, wie Einer, der an kein Rasten denkt, schritt er durch die wohlbekannten Gemächer, die in der letzten Tagesglut ihn heimlich anlachten. Hier stand Jedes geordnet und gefestet an seinem Ort, während es in seinem Inneren unwirthlich und verstört aussah, wie in einem sturmdurchfegten Hause. An vielfachen Zeichen konnte er das liebliche Walten seiner klugen und umsichtigen Hausfrau wahrnehmen in der Halle drunten, wo die eichene Tafel stand und an den Wänden herum das blanke Zinngeschirr, die Becher und Schüsseln, das Linnen reinlich über den Tisch gebreitet zu dem einsamen Nachtmahl, neben dem Gedeck der Mutter ein kleines Tellerlein mit winzigem Becher und einem Hornlöffelchen für das Kind. So waren auch die übrigen Kammern, in die er hineinblickte, musterhaft gehalten und aufgeräumt, und in den Wohnzimmern standen in einfachen Krügen große Sträuße aus den schönsten Blumen, die das Gärtchen am Zwinger zu tragen pflegte. Eine wirthliche Hausfrau ist sie! mußte er sich eingestehen. Aber was ist sie mehr? – Er wappnete sich gegen die wohlige Empfindung, die ihn zu beschleichen suchte. So stieg er ins obere Geschoß hinauf, da war ihre eigene Kammer, daneben das Schlafgemach, wo das Ehebett stand, das kleine Bett des Kindes zur Seite. Hier aber warf er nur einen flüchtigen Blick hinein, er fürchtete, es möchte ein Geist ihm an der Schwelle entgegentreten, der ihn mit Gaudairenca's schwarzen Augen anblickte und ihn vollends entmannte. Mit einem schweren Seufzer schritt er zu dem kleinen viereckigen Fenster des Wohnstübchens, neben welchem ihr Sessel stand, das Spinnrad und ein Rahmen, an dem sie allerlei künstliche Stickereien zu machen pflegte. Das Fensterchen war geöffnet, von den Bäumen draußen drang der würzige Geruch des Nußlaubes herein, und tiefer unten lag das weite Land mit kleinen Häusern, Kornfeldern und rauchenden Meilern friedlich in der Abendsonne.
Der friedlose Mann wandte die Augen ab, als ob dieses sanfte Bild ihm Schmerz mache. Ohne zu wissen, was er wollte und suchte, öffnete er einen Schrank, der in der holzgetäfelten Fensternische stand und allerlei bescheidenen Frauenputz verschloß. Mechanisch zog er ein Lädchen nach dem andern auf und betrachtete die Nadeln und Spangen, die Gold- und Seidenfäden, die Hals- und Nastüchlein, die hier schön geordnet beisammen lagen. Im untersten Fach aber, das sich nur öffnete, wenn man auf eine verborgene Feder drückte, sah er etwas, das ihn plötzlich aus seinem ziellosen Sinnen herausriß.
Ein ziemlich starkes Heft lag darin, aus derben Blättern, wie sie in gebundenen Büchern vorn und hinten eingefügt zu sein pflegen, sorgfältig zusammengenäht. Als er es herausnahm, erkannte er sofort die zierliche Handschrift Gaudairenca's und sah auf den ersten Blick, daß es Gedichte waren. Es fuhr ihm durch den Kopf, ob es etwa seine eigenen seien, die sie gesammelt und zu einem Bande für ihre eigene Erbauung vereinigt habe. Aber schon nach den ersten Zeilen mußte er diese eitle Vermuthung aufgeben. Minnelieder waren es freilich und in den Strophen und mit der kunstvollen Reimordnung, die er selbst anzuwenden pflegte. Aber nicht Liebesklagen eines Mannes und ritterlichen Sängers, sondern einer Frau, die nicht müde wurde, ihr sehnsüchtiges Gemüth in diese klingenden Zeilen zu ergießen, jetzt das Glück zweier zärtlich verbundenen Herzen preisend, jetzt das harte Loos beseufzend, den einzigen Mann, der ihr Tag und Nacht im Sinne liege, nicht in ihre Arme schließen zu können, weil böse Menschen und feindliche Sterne zwischen ihnen stünden, dann wieder den Entschluß aussprechend, sich aufzumachen, und wenn sie barfuß gehen müßte über scharfe Kiesel und spitzige Dornen, um den Geliebten nur einmal mit Augen zu sehen und von Ferne mit der Hand ihm eine gute Nacht zuzuwinken.
Es war kein Zweifel, all diese Blätter hatte die einsame »Dichterin« beschrieben, sich mühend, nachdem sie in ihrer Mädchenzeit einfältige Volksweisen erfunden, jetzt die höfische Dichtersprache ihres Gatten zu reden und ihm Alles abzulernen, was ihn selbst berühmt gemacht hatte. Nur das schien minder klar, ob diese Blätter mehr zu bedeuten hatten, als Uebungshefte einer gelehrigen Schülerin. Es war in jener Zeit so völlig unerhört, daß ein noch so zärtlicher Ehemann, und wäre er zehnmal ein warmherziger Poet gewesen, auf seine eigene Frau Liebste Gedichte machte, daß die Voraussetzung, ein eheliches Weib könne Liebeslieder an ihren eigenen Gatten richten, ein schier lächerlicher und gänzlich unsinniger Gedanke schien. Höfische Reime entsprangen einzig und allein im Verkehr der Geschlechter untereinander, die durch kein festes und geweihtes Band mit einander verknüpft waren. Wohl hatte man adlige Frauen gesehen, die auf das Werben eines Troubadours eine leidenschaftliche Erwiderung in zierliche Strophen gezwängt hatten. Warum sollte Frau Gaudairenca in der langen unbewachten Verlassenheit ihres Lebens nicht gleichfalls ihr Herz einem der vielen abenteuernden Gesellen zugewendet haben, die von Burg zu Burg schwärmten und die Besten und Schönsten für gerade gut genug ansahen, ihre verwegenen Wünsche zu erfüllen? Nirgend war Raimon's Name genannt, nirgend von der Gattentreue gesprochen, die der ersehnte ferne Freund allzulange schon gering achte. Nur die herzliche Trauer, mit dem Geliebten nicht nach Wunsch vereinigt zu sein, die Bitte, kein Hinderniß zu achten, um zu ihr zu eilen und ihre Sehnsucht zu stillen, klang sanfter oder stürmischer aus diesen Blättern, durchaus nicht anders als eine Frau sich auszudrücken pflegte, die vom eifersüchtigen Gatten behütet ihren Liebsten ermahnt, um jeden Preis sich zu ihr zu stehlen. Wie, wenn Schwager Gaucelm von der heimlichen Liebschaft erfahren, dem gefährlichen Gast das Haus verboten und den Zutritt zu seiner schönen Schwägerin ihm erschwert hätte? Wohl klang hin und wieder auch ein Ton des Argwohns mit durch, daß eine Andere den Geliebten fessle und ihr entfremde. Aber paßte das nicht auf einen Liebhaber so gut, wie auf den eigenen Mann, ja tausendmal besser, da nach der Sitte der Zeit die Untreue eines Liebenden, der seinen Lohn erst noch zu erwarten hatte, viel schwerer geahndet wurde, als der Wankelmuth des eigenen Mannes?
In solchen Zweifeln, die ihm das Blut sieden machten, hatte er das Heft, die Strophen hastig überfliegend, zu Ende geblättert. Da fiel sein Auge auf die letzte Seite, die erst vor Kurzem beschrieben sein mußte, denn über dem letzten Liede stand mit kleinerer Schrift: dies obitus patris dilectissimi, dahinter das Datum. Dann folgte eine lange Canzone, in der ein schweres, von Kummer bedrücktes Herz sich zu erleichtern gesucht hatte.
Die letzte Strophe aber mit dem Geleit lautete so:
Ich armes Weib, so jung und Wittwe schon,
Da mein Gemahl, obwohl er lebt, mir starb,
Weh mir, daß Lust und Lachen mir entfloh'n.
Und Weinen meiner Wangen Flor verdarb!
Du wirst mich finden bleich und aschefarb,
Mein süßer Freund, und dann erschrickst du sehr.
Ach, wärest du geschieden nimmermehr,
Wer weiß, ob ich nicht bessres Glück erwarb!
Zieh hin, mein Lied, zu meinem blonden Freund!
Sag ihm, ihn wiedersehn sei all mein Glück,
Und seh' ich, wie er liebend mir erscheint,
Bringt er wol Lust und Lachen mir zurück.
Das Blut schoß Raimon in die Augen, daß die Zeilen vor seinem Blick verschwammen. Er drückte die Faust gegen das Heft, als ob er einen Verräther erwürgen wollte. Ein wunderlicher Kampf entbrannte in seinem Innern: die Freude, daß er eine blutige Anklage gegen die Frau zu erheben hatte, die ohne Ursache zu verstoßen ihm ein nagender Vorwurf gewesen wäre, rang in ihm mit dem Jähzorn über die erlittene Schmach und dem heimlichen bitteren Schmerz, daß ihr Herz sich von ihm gewendet hatte. Noch schwankte die Wage, welches Gefühl obsiegen würde, da hörte er ihren Schritt draußen vor der Kammer, er hatte nur noch Zeit, dem Tische, vor dem er stand, den Rücken zuzukehren, daß jenes Heft hinter ihm verborgen war, da wurde die Thür aufgestoßen, und Gaudairenca, das kleine Mädchen an der Hand nachziehend, trat mit glühenden Wangen, Augen und Lippen, von zärtlicher Freude leuchtend, in das Gemach.
Raimon! rief sie. Du bist es! Lauf zu ihm, Kind, heiß den Vater willkommen! Raimon – endlich!
Sie hatte die kleine Vierjährige, die sich schüchtern an die Falten ihres Kleides schmiegte, losgelassen und eilte mit ausgebreiteten Armen auf den lang Entbehrten zu. Der aber stand, die Arme fest über der Brust geschlossen, mit finster gefurchter Stirn und flammenden Augen unbeweglich ihr gegenüber. Da stockte ihr Schritt, ihre Arme sanken wie gelähmt herab, der helle Schein in ihrem Gesicht erlosch. Barmherziger Christ! rief sie, was ist geschehen? Raimon – du bist krank – verwundet –
Führe das Kind hinaus! unterbrach er sie rauh. Ich habe mit dir zu reden.
In tödtlicher Angst, da seine Stimme so fremd und böse klang, wandte sich die Arme, beugte sich zu dem Kinde hinab und flüsterte: Geh zu Tiburge, mein Liebling. Die Mutter holt dich, sobald der Vater es erlaubt.
Die Kleine heftete einen großen Blick auf den fremden Mann, der ihr Vater sein sollte und sie nicht sehen wollte. Mutter, sagte sie leise, er hat uns nicht lieb, es ist nicht der Vater. Komm du mit mir!
Die Frau drängte, keines Wortes mächtig, das zarte kleine Geschöpf von sich fort, rief nach der Dienerin, die neugierig herangeschlichen draußen auf der Stiege horchte, und übergab ihr das Kind. Dann schloß sie die Thüre und trat wieder vor ihren Gatten.
Raimon, sagte sie mit einer Stimme, in der all ihre Liebe und Angst zitterte, welch ein Wiedersehen! So lange getrennt – und dies dein Empfang! O, daß ich so dich wiederfinden muß! Aber nicht wahr, du leidest – du bist krank –
Er sammelte mühsam seine Gedanken. Ich leide, sagte er dumpf; krank bin ich nicht. Ich habe gefunden, was ich nicht gesucht und erwartet hatte. Kennst du diese Schrift?
Er hatte sich umgewendet und das Heft ergriffen. Nun hielt er es ihr entgegen, seine Hand bebte, seine Augen waren starr auf ihr Antlitz gerichtet. Das aber verfärbte sich nicht. Vielmehr erschien wieder ein leichter Schimmer von Heiterkeit auf ihren bangen Zügen.
Ist es das? hauchte sie in einer lieblichen Verwirrung. Gelobt sei Gott, daß es nichts Schlimmeres ist! Wie hast du mich erschreckt, lieber Mann! Mich und das unschuldige Kind!
Wer hat diese Blätter beschrieben? forschte er weiter, indem er das Heft zwischen ihnen zu Boden warf.
Sie sah ihn wieder befremdet an. Ich denke, die Handschrift ist dir bekannt, erwiderte sie ruhig. Hast du nicht manches Brieflein empfangen, das dieselbe Hand dir geschrieben hatte? Raimon, ich beschwöre dich, was hat dich angewandelt? Nun ja, es war ein müßiges Spiel, das ich trieb, mir die Weile zu kürzen, und es sind werthlose Verse. Eine gute Hausfrau, wenn sie auch in ihren Mädchentagen die Dichterin hieß, sollte keine Zeit verderben mit Künsten, die sie nur halb gelernt hat. Aber sieh dich um im Hause und betrachte unser Kind und frage im Felde nach, ob ich wirklich über diesem armen Reimwerk etwas versäumt habe von meinen Pflichten, und wenn dein Bruder zurückkehrt, forsche auch bei ihm, ob er glaubt –
Es war, als höre er nicht, was sie sagte. Seine Blicke bohrten sich in die offenen Blätter, die ihm zu Füßen lagen.
An wen sind diese Lieder gedichtet und gesandt worden? Antworte mir, doch hüte dich zu lügen.
Lügen, Raimon? – und eine dunkle Röthe stieg ihr in die Wangen. Es wäre meine erste Lüge gegen dich. Und warum sollte ich mein Herz verleugnen, das aus diesen ungeschickten Zeilen spricht? Ich weiß, daß es lächerlich erscheinen mag, wenn eine einsame Frau die Sprache höfischer Sänger nachstammelt, deine Sprache, Raimon. Verzeih, wenn ich etwas gethan habe, was deinen Unwillen erregt. Nie will ich es wieder thun, an dir ist es, mir alle Lust und Versuchung dazu für immer zu entziehen, daß ich einer solchen thörichten Trösteinsamkeit nie mehr bedarf. Aber wenn du keinen anderen Fehler je an mir erfindest, als daß ich meine sehnsüchtigen Gedanken an dich in Reime gebracht habe –
An mich! lachte er ingrimmig. Er bückte sich rasch, hob das Heft wieder vom Boden, und indem er die letzte Seite ihr dicht vors Gesicht hielt, knirschte er: An mich! Hat mein Haar sich verwandelt, seit ich von dir ging? Willst du, daß ich einen Maler rufen lasse, der sich auf Farben versteht und mir ein Zeugniß ausstellt, daß ich nicht dazu angethan bin dein blonder Freund zu heißen? Antworte! – sprich! – was verstummst du? Nun, ich will dir Zeit lassen, ein Märchen auszusinnen. Sie nannten dich nicht umsonst die Dichterin.
Er warf das Heft auf den Tisch und that einen Schritt von ihr weg, dem Fenster zu. Die Sonne war indessen untergegangen, das weite Land draußen lag todtenstill in der ersten grauen Dämmerung; eine Fledermaus flatterte herein, schwirrte ängstlich unter der niederen Decke hin und her und huschte endlich pfeifend wieder hinaus.
Raimon wandte sich um, er sah seine Frau regungslos mitten in der Kammer stehen, ihr feines Gesicht war ein wenig bleicher als sonst, ihre Augen von einem feuchten Flor verschleiert, sahen still gegen den weißen Abendhimmel.
Nun? sagte er. Hast du dich besonnen?
Ich sinne noch immer, erwiderte sie langsam. Ich sinne darüber nach, warum du mir diese großen Schmerzen machst. Du liebst mich nicht mehr, Raimon. Du willst mir wehthun, darum bist du hergekommen. Was dein Herz so verwandelt hat – ich weiß es nicht, doch ahnt mir, ein Weib müsse im Spiele sein. Ich könnte mich hinter meine Frauenehre verschanzen und dir sagen: verkenne mich, wenn du es übers Herz bringst! Aber ich bin keine höfische Dame, die weiß, mit welchen Künsten man euch fesselt und betrügt. Ich bin selbst so thöricht, daß ich dir Wahrheit gebe, auch wo sie nicht wahr erscheinen wird, statt eine kluge Ausrede zu ersinnen, wie eine »Dichterin« wol könnte. Denn du hast mich schon einmal im Verdacht der Lüge gehabt und sollst nicht Recht damit behalten, selbst auf die Gefahr, daß du meinem redlichen Worte nicht glaubst. Freilich aber klingt es nach einem Märchen, daß ich einen blonden Bruder habe, der seit Jahren verschollen war, als du um mich warbst. Nun ist er plötzlich wieder aufgetaucht – er hat sein Glück gemacht in fernen Ländern mit der Handelschaft – von Mailand aus hat er mir einen Boten geschickt, daß er unterwegs sei nach Carcassonne, – es war die letzte irdische Freude, die mein armer Vater –
Genug! unterbrach er sie heftig. Er mußte sich Gewalt anthun, sich von der schlichten Kraft der Wahrheit, die aus ihrer Stimme sprach, nicht überwinden zu lassen. Aber daß er beschämt vor ihr stand, seines argen Vorsatzes sich bewußt, machte ihn taub gegen alle Warnungen seines guten Geistes.
Ein Bruder! höhnte er; ich wünsche dir Glück zu diesem blonden Freunde, der jetzt deine Wittwenschaft dir erleichtern und deine einsamen Stunden trösten wird, denn wir Zwei haben hinfort Nichts mehr mit einander gemein. An einem Troubadour ist es genug in einem Hause, und deine Lehrzeit bei mir hast du so gut benutzt, daß du nun ohne mich die »fröhliche Kunst« betreiben kannst. Ich werde dafür sorgen, daß du keine Noth leidest, die Hälfte von Allem, was ich besitze, soll Dir verbleiben. Wenn du auf Miraval ferner zu hausen wünschest und Gaucelm deinen blonden Freund dulden will, so geschehe nach deinem Willen. Ich werde den Staub der Heimath von meinen Schuhen schütteln und nie wieder zurückkehren. Und somit lebe wohl – und ich wünsche dir, daß es nicht lange dauere, bis »Lust und Lachen« wieder bei dir einzieht! –
Er wollte an ihr vorbei zur Thür hinaus, sie aber vertrat ihm den Weg mit einer so hoheitsvollen Geberde, daß er ihren Blick nicht ertragen konnte.
Bleibt! sagte sie mit einem herben Ton, den er nie von ihr gehört. Ihr seid der Herr von Miraval, und wenn ihr Grund zu haben glaubt, Euer getreues Weib zu verstoßen, so ist es an diesem, aus Eurem Hause hinwegzugehen. Nichts von Allem, was ich als Burgfrau besessen und hinzuerworben, nehme ich in mein einsames Leben mit, als mein gutes Gewissen und mein liebes Kind, das ihr nicht einmal eines Blickes werth gehalten. Sorgt nicht darum, Herr Raimon, wie ich es erhalten und aufziehen werde. Sorgt um Euch und Euern Frieden, der, wie mir ahnt, schwer gefährdet ist. Denn wenn es einen gerechten Richter über den Sternen giebt – nein, kein Wort mehr zwischen uns! Gott sei mit Euch und – mit mir!
Sie wankte, da sie die letzten Worte mühsam hervorstieß. Als sie aber sah, daß er hinzutreten und ihre Hand ergreifen wollte, nahm sie ihre letzte Kraft zusammen und schritt mit einem Blick des Grames, der ihn in die Seele traf, über die Schwelle.
*
Er fühlte einen jähen Trieb, ihr nachzustürzen, sie zurückzuholen, Alles zu widerrufen, was er in seiner wahnwitzigen Selbstverhärtung ihr gesagt hatte. Aber eine zwiefache Scham, vor ihr als ein jammervoller Schacher dazustehen und den Hohn jener schönen Schlange, die ihn umstrickt hatte, herauszufordern, bannte ihn fest an die Stelle, wo sie ihn verlassen hatte. Im Hause blieb Alles still. Nur einmal hörte er das Stimmchen des Kindes von fern, das irgend eine Frage that, aber sofort beschwichtigt wurde. Er empfand plötzlich ein großes Verlangen, den lockigen Kopf der Kleinen zwischen seine Hände zu nehmen und die großen Augen, die ihn so vorwurfsvoll angestrahlt, recht mit Muße zu betrachten. Dann hörte er drunten im Hof den Hufschlag eines Pferdes, und in der Meinung, sein Bruder kehre zurück, trat er rasch ans Fenster. Da sah er unten einen alten Ackergaul mit einem schlechten Sattel versehen, der eben aus dem Stall geführt worden war. Einige vom Gesinde standen herum, sie mußten aber nicht wissen, was geschehen sollte, denn Keines zeigte eine verwandelte Miene, weder der Trauer noch des Staunens, als Frau Gaudairenca das Pferd bestieg und die Kleine zu sich hinaufheben ließ, wo sie ihr einen bequemen Platz vorn am Sattelknauf zurecht machte. Es schien sich um nichts Größeres zu handeln, als um einen Ritt in der Abendkühle auf die Felder hinaus, auch wurde keinerlei Gepäck dem Klepper aufgebunden. Gelassen zurückwinkend, als werde sie bald wiederkehren, ritt die Herrin durch das hohe Thor, und als der Hufschlag über die Zugbrücke klapperte, kehrten Knechte und Mägde ins Haus zurück; nur der Mann oben am Fenster stierte unverwandt der Reiterin und ihrer kleinen Gefährtin nach, bis sie im Schatten des nahen Waldes verschwunden waren.
Dann that er einen tiefen Seufzer, der fast wie das Stöhnen eines zu Tode Verwundeten klang. In wilder Flucht jagten ihm die Gedanken durch das Hirn, er war in den Sessel niedergesunken, wo sein verstoßenes Weib zu sitzen und wohl manchen Tag hinauszuspähen pflegte, ob immer noch ihr Glück nicht wieder auftauchen und die alte Straße daherziehen wollte. Aber der Zauber über ihn wirkte noch so stark, daß er den dumpfen Unmuth über sein eigenes Betragen bald genug abschüttelte. Sie hat es hingenommen, sagte er bei sich selbst, als käm' es ihr wahrlich eher erwünscht als unlieb. Im Stillen mag sie frohlockt haben, so leichten Kaufs davongekommen zu sein. Das Märchen, traun, war zu ungeschickt ersonnen, und hätt' ich sie schärfer verhört, sie wäre mit Schimpf und Schmach bestanden. Nun mag es so gut sein. Ich neide ihr wahrlich ihre Freuden nicht, möge sie mir die meinen lassen, uns Beiden ist dann geholfen. Nur das Kind – aber wer weiß, ob nicht auch das – woher nahm es sein blondes Haar? O Schlangenlist der Weiber! Und ich, der ich drauf und dran war, mich anzuklagen, daß ich zu hart an ihr gethan!
So wogte es in ihm auf und ab. Der alte Burgpfleger pochte endlich an die Thür und fragte, ob er dem Herrn einen Trunk Wein heraufbringen solle, bis die Herrin zurückkehre zum Nachtmahl. Raimon schüttelte finster das Haupt. Er befahl, sein Pferd wieder zu satteln und vorzuführen, er könne diese Nacht nicht da bleiben. Er fürchtete, keine Ruhe zu finden unter diesem Dach, aus welchem Glück und Ehre geflohen, zumal seinem Bruder scheute er sich wieder unter die Augen zu treten. So trug er dem Alten einen Gruß an Herrn Gaucelm auf und ritt unter dem Kopfschütteln, Raunen und Staunen des ganzen Gesindes davon, in die mond- und sternenlose Nacht hinein.
*
Erst da die Mitternacht vorüber war, mahnte ihn der lahme Gang seines Thieres, daß es wohl Zeit zu rasten wäre. Er hielt bei einem Hirtenhaus am Wege an, klopfte den Besitzer heraus, ließ dem Pferde einen Armvoll Futter vorwerfen und streckte sich am Herde auf ein unsanftes Lager, das der Mann ihm in der Eile bereitet hatte. Doch fand er erst gegen Morgen ein wenig Schlaf. Wie er dann auf dem ausgeruhten Gaul in den frischen Morgen hineinsprengte, suchte er sich einzureden: was ihn gestern gedrückt und geänstigt hatte, sei wie nächtliche Schwaden vom reifen Korn in der Sonne von ihm weggeweht. Er bemühte sich, das Glück sich vorzustellen, das seiner wartete. Es war aber seltsam, daß vor das glatte, lächelnde Antlitz der schönen Albigenserin alsbald sich das stille Gesicht der Verstoßenen stellte, das ihn mit dunklem Blick warnend und trauernd ansah. Im Lauf der Stunden indessen stumpfte sich der Stachel dieses Unmuths ein wenig ab. Er fand allerlei weise Beschönigungen für sein häßliches Thun. Wer ein krankes Glied sich habe vom Leibe abtrennen müssen, spüre freilich den Schmerz noch am gesunden Fleisch. Er habe dieser Frau ein paar gute Jahre, die sie ihm beschert, zur Genüge gedankt. Wenn sie jetzt einander fern blieben, habe er ihr nicht das Kind unbestritten überlassen? Auch das rechnete er sich nun zu einem großmüthigen Verdienst. Und dann, sie sei jung und noch in ihrer Blüte. Es werde ihr an einem neuen Gatten nicht fehlen, ob es nun der blonde Freund sei, Herr Gaucelm oder irgend ein Anderer.
Mit solchen spinnewebdünnen Betrachtungen stillte er nothdürftig die blutende Wunde seines Gewissens. Die nächste Nacht schlief er tief und sanft, und als er am zweiten Tage sich dem Schloß Ermengarde's näherte, konnte er wieder aus so kecken, leuchtenden Augen um sich blicken, wie nur je ein Bräutigam dem Hochzeitshause entgegensah.
Es war später Abend geworden, als er Castres erreichte. Das Wittwenschlößchen lag so von waldigen Wipfeln versteckt, daß er es erst sehen konnte, als er nur einen Speerwurf vom Thor entfernt war. Da aber erstaunte er und erschrak fast und hielt die Zügel an, um seiner bangen Ueberraschung Herr zu werden. Aus allen Fenstern schimmerten ihm Lichter entgegen, und der Schall von Flöten und Geigen wehte tanzlustig zu ihm herüber. Sie hatte ihm freilich gelobt, wenn er wiederkehre, werde hier eine fröhliche Hochzeit gefeiert werden. Wie aber konnte sie Tag und Stunde so pünktlich vorauswissen? Er hatte ihr keinen Boten gesandt. Daß sein widriges Geschäft zu Hause so rasch und glatt sich werde abthun lassen, er selbst hatte es nicht zu glauben gewagt.
Nachdenklich und zögernd ritt er in den Burghof ein. Das Thor war unverschlossen, auch der Pförtner schien der hochzeitlichen Musik nachgeschlichen zu sein und für verspätete Gäste den Zutritt offen gelassen zu haben. Nur ein uraltes Weib, das für keine Arbeit taugte und hüstelnd neben der Hundehütte kauerte, fuhr in die Höhe, da es den reisigen Herrn erblickte, und humpelte am Stecken herbei, ihn zu bewillkommnen.
Ihr habt auf Euch warten lassen, Herr Raimon von Miraval, rief sie ihm zu, während er sich aus dem Sattel schwang. Aber das Beste habt Ihr noch nicht versäumt. Sie gehen eben zu Tische, dann beginnt der Reigen. Wo bleibt unser Herr Raimon? hab' ich den Bräutigam selber sagen hören, als er heut früh am Hochzeitmorgen mit seiner schönen Braut über den Hof schritt, sich draußen im Walde zu ergehen, eh sie zur Trauung sich fertig machten. Und Frau Ermengarde: Er hat Geschäfte zu Haus! – und lachte dabei. Aber seid ohne Sorgen, sagte sie, er bleibt nicht aus, und zu spät kommt er ja auf jeden Fall. Und da neigte sich Herr Olivier zu ihr herab und küßte sie auf die Augen, und sie lachten Beide – ein schöneres Paar haben meine alten Augen nie gesehen. Nun werdet Ihr Freude machen, wenn Ihr plötzlich in den Saal tretet und ihnen ein Hochzeitslied singt. Ihr habt doch eines mitgebracht?
Kein Wort kam von den Lippen des bleichen Mannes, der wie in einem bösen Traum die Augen auf die hellen Fenster gerichtet hielt. Er hatte die eine Faust aufs Herz gepreßt, als fürchte er, es springe ihm in Stücke. Mit der andern hielt er den Sattelknauf umkrampft, er lehnte an dem starken Pferde, seine Kniee drohten einzuknicken. Endlich warf er der Alten den Zügel zu und bedeutete sie mit einer stummen Geberde, ihm das Thier zu halten, bis er wiederkomme.
Er schritt aber nicht nach dem Haupteingang. Ein Seitenpförtchen führte zu dem Gemach, das er hier manche Woche lang bewohnt hatte. Da stürmte er die Stufen hinauf und trat in seine Kammer, wo Alles lag und stand, wie er es verlassen.
Er wühlte in wahnsinniger Hast in einer Truhe, die neben seinem Bette stand. Als er das Schwert, das er gesucht, endlich hervorzog und die scharfe Klinge aus der Scheide riß, überkam ihn plötzlich der ganze höhnische Jammer seiner Lage. Was sollte es ihm frommen, wenn er jetzt in die Hochzeitshalle stürmte und den glücklichen Rivalen, der ihm die Braut geraubt, oder das arglistige Weib, das ihn so schnöde betrogen, vor allen Gästen niederstieß? Gewann er sich damit sein verscherztes Glück, seinen zerstörten Seelenfrieden zurück? Konnte er den Schimpf, den er seinem edlen Weibe angethan, mit diesem Blute wegwaschen, oder auch nur eine der Thränen aufwiegen, die Gaudairenca um ihn geweint?
Er sank auf das Lager und drückte das Gesicht gegen das Kissen, die Ströme der Wuth und Scham, die ihm aus den Augen brachen, zurückzudämmen. So lag er eine geraume Zeit, dann glaubte er Schritte zu vernehmen, und die Angst, einem Zeugen seiner Schmach ins Gesicht sehen zu müssen, riß ihn endlich in die Höhe. Das Schwert gürtete er um, von den anderen Sachen nahm er Nichts an sich. So schlich er die Wendelstufen wieder hinab, ohne irgend Jemand zu begegnen, und fand unten noch die Alte, wie er sie verlassen hatte. Mit schweren Drohungen schärfte er ihr ein, gegen Niemand verlauten zu lassen, daß sie ihn gesehen. Die Alte gelobte es unter hohen Betheuerungen und steckte das Goldstück, das er ihr zuwarf, eilfertig ein. Deine Seele soll in ewigem Höllenfeuer brennen, wie die der schwärzesten Hexe, wo du schwatzest! rief er ihr noch zu, als er schon im Sattel saß und dem müden Thiere die Sporen gab. Sie hob ihre Schwurfinger auf und legte die andere dürre Hand auf ihre Brust. Er aber war schon aus dem Thor und ritt wie von Rachegeistern gejagt ziellos in die weite Welt.
*
So blieb er verschollen über Jahr und Tag. Die Kunde verbreitete sich, Herr Raimon von Miraval habe sich in Marseille eingeschifft, man erfuhr aber nicht, wohin, ob nach dem heiligen Grabe zu einer Bußfahrt, oder um ein Land zu suchen, wo man seine Geschichte nicht wisse, und wo die Frauen sich gegen edle Sänger holder und redlicher erzeigten. Denn trotz ihres Gelöbnisses hatte die Alte, als sie ihn für immer entfernt glaubte, sein spätes Erscheinen im Hochzeitshause ausgeplaudert, und Herr Olivier, im schadenfrohen Uebermuth, kein Geheimniß seinen guten Freunden daraus gemacht, mit welch feingestricktem Netz seine schöne Frau den gelüstigen Vogel bethört hatte. Darüber war ein großes Hohngelächter erschollen, noch bitterer jedoch und erbarmungsloser klang die Rede, die wegen seiner Verstoßung des eigenen Weibes durch die Provence lief. Herr Gaucelm nämlich, als er seine theure Schwägerin sammt dem Nichtchen vermißt und endlich in Carcassonne wieder aufgefunden hatte und von ihr hörte, um wie nichtiger Vorwände willen ihr Gatte sich von ihr geschieden, schonte den eigenen Bruder nicht, und bald erzählte man sich in der ganzen Gegend, daß die Dichterin von Carcassonne von ihrem Gemahl aus dem Hause getrieben worden sei, weil er sie auf heimlichem Dichten ertappt und ihre schöne Kunst ihr zum Verbrechen gemacht habe. Da ihm nun seit lange seine Brüder in Apoll aufsässig und neidig waren, weil er es ihnen vielfach an schönen Reimen und zierlichen Gedanken zuvorthat, ergriffen sie mit Begierde diese treffliche Gelegenheit, ihr Müthchen an ihm zu kühlen. Mehr als Ein Spott- und Trutzgedicht ging von Hand zu Hand, das ihn aufs Heftigste anklagte wegen dieses groben Verstoßes gegen allen edlen Brauch und die heiligsten Gesetze der Courtoisie. Vor Allem ward ein Sirventes von Peire Duran herumgetragen, das von Hohn und Vorwürfen überfloß, und bis an den Hof seines alten Gönners, des Königs von Aragon, schallte das Rügegeschrei, also daß auch ein spanischer Troubadour, Uc von Mataplana, der einen alten Span mit ihm hatte, die Sache Gaudairenca's mit Eifer ergriff und auf den blöden Thoren, der ein artiges Weib um ihrer Gaben und Künste willen – vielleicht aus Neid und Eifersucht – verstoßen, die Rache des Himmels und die Verachtung der Welt herabbeschwor.
Was dem Verfehmten und Geächteten von all diesen gereimten Bannflüchen zu Ohren kam, ist nie bekannt geworden. Man weiß überhaupt nicht genau, in welchem Schlupfwinkel der schwergetroffene Mann seine Qual verborgen hat, doch ist es das Wahrscheinlichste, daß er, nachdem er einige Zeit in wilden Gebirgsthälern herumgeirrt, – wohl oft mit dem Vorsatz ringend, sein verlorenes Leben in irgend einem tiefen Abgrund zur Ruhe zu bringen, – als die Wunde ein wenig zu vernarben begann, sich in ein Kloster geflüchtet und dort, in harten Bußübungen und Kasteiungen seines Leibes, Sühne der schweren Schuld zu erlangen gesucht habe. Die erste Nachricht wenigstens, die ihn uns wieder nahe bringt, zeigt ihn im Mönchsgewande mit geschorenem Haupt und tief über die Brust herabhängendem Bart, die Wangen so vom Fasten abgezehrt und die Augen so scheu in ihre Höhlen gesunken, daß, als er eines Abends durch das Thor von Carcassonne schritt, Niemand in dem bleichen, schäbigen Kuttenträger den ritterlichen Sänger wieder erkannt hätte, der einst hoch zu Rosse neben seinem gräflichen Gönner hier eingeritten war.
Auch schritt er, als ob er dieser Welt nicht mehr angehöre, ohne weder rechts noch links zu schauen tiefsinnig vor sich hin, keinen Gruß erwidernd, den etwa eine fromme Bürgerin oder ein Kind ihm darbot. Als er aber zu dem Schwertfegerhause kam, an welchem der Rosenstrauch freilich, da es Spätherbst war, nicht mehr mit rothen Blumen ihn anlachte, hielt er an und stellte sich steif wie eine Schildwache neben den Thorpfosten des gegenüberliegenden Hauses. Wieder stand das Fenster offen. Er konnte aber, da es dunkel war, nicht erkennen, wer drinnen war, und von wem die zarten Geigentöne ausgingen, die ihm die Seele so wunderlich bewegten. Es war eine unschuldig süße Volksweise, die ihm aber lieblicher däuchte, als die künstlichste Spielmannsmusik. Er lehnte das Haupt in der Kapuze zurück gegen den kühlen Stein und schloß eine Weile die Augen. Ihm war, als höre er sein verlorenes Glück von drüben herüberlocken und ihn wehmüthig anrufen. Als er endlich wieder aufblickte, war das Zimmerchen drüben erleuchtet. Ein kleines Mädchen stand am Tische, auf welchem ein Notenblatt lag. Es hatte eine halbwüchsige Viola im Arm und führte den leichten Bogen auf und ab mit großer Behendigkeit, und die blonden Härchen fielen ihm frei auf den Steg und das braune Holz herab, daß der Bogen zuweilen sich in die Löckchen verirrte, worauf die Spielerin dann den Kopf zurückwarf und in der Melodie ein kleiner Anstoß entstand. Ihr gegenüber am Tische saß eine schöne, ernsthafte Frau mit einer Näharbeit, und nach einer Weile fing sie an das Geigenspiel mit leisem Gesang zu begleiten, während ein schlanker Mann, dessen starkes blondes Haar rund überm Nacken und über der Stirne abgeschnitten war, hinter dem Tische auf und nieder ging und mit einer Papierrolle sacht den Takt schlug. Es war eine richtige Geigenlection, die der blasse Mann in der Kutte drüben belauschte, und Spiel und Gesang bannten ihn so fest an diese Stelle, daß er sich nicht eher rührte, als bis das Mägdlein die letzte Cadenz gespielt hatte und nun das Instrument in einen Kasten schloß, der auf dem Tische stand. Die Mutter sagte ihm ein Wort. Da ging es zu dem blonden Lehrmeister hin, der es unter die Arme faßte, zu sich hinaufhob und auf die Stirn küßte. Darauf erhob sich auch die Mutter, nahm die Hand des Kindes und führte es hinaus, wohl um es zu Bett zu bringen.
Ein altes Mütterchen kam des Weges, das erschrak ein wenig, als aus dem Schatten der Hausthür eine Mönchsgestalt sie antrat und mit dumpfer, von langem Schweigen heiserer Stimme sie fragte, wer da drüben wohne.
Die alte maß den Fragenden mit einem verwunderten Blick. Ob er denn nicht wisse, daß dies das Haus der Frau Gaudairenca sei, die man die Dichterin nenne? Sie habe freilich kein Glück durch ihre schönen Verse erlangt, vielmehr das schwerste Unglück, das einer guten Frau begegnen könne, da ihr Gatte sie um ihrer Kunst willen, auf die er neidisch gewesen, verstoßen habe. Denn er habe gesagt, an Einem Troubadour sei es genug in einem Hause. Nun lebe sie hier ihre stillen Tage, den Mann aber habe die Strafe des Himmels ereilt, und er dürfe sich nirgend mehr blicken lassen.
Und der Andere? brach es mühsam von den Lippen des Vermummten, Der mit dem blonden Haar?
Das ist der Bruder der wackeren jungen Frau, der hat sie zu sich genommen und sorgt, daß es ihr und ihrem Kinde an nichts fehlt, da er reich geworden ist auf seinen Handelsfahrten. Er ist noch immer so erbost auf den Herrn von Miraval, daß er geschworen hat, er solle es mit dem Leben büßen, was er seiner Schwester gethan, wenn er ihm je vor die Augen trete. Den aber haben wohl längst die Wölfe im Gebirge zerrissen, und es war immerhin schade um ihn, da er ein großer Sänger war, aber Gott sieht nicht auf die Kunst, sondern auf das Gemüth, und wenn er ein elendes Ende genommen, ist ihm Recht geschehen. Christ sei seiner armen Seele gnädig!
Die Alte schlug ein Kreuz und setzte ihren Weg fort. Der in der Kutte aber stand noch eine Weile und starrte das Häuschen an. Als das Licht darin erlosch, verschwand auch er.
Am anderen Morgen aber, als die guten Bürger von Carcassonne zur Messe gingen, da ein Sonntag war, sah man unter den Krüppeln und Bettelleuten, die eine lebendige Hecke vor dem Münster Unserer lieben Frauen bildeten, eine hohe dunkle Gestalt in einer braunen Kutte, die so tief in die Stirn gezogen war, daß kaum die Augen darunter hervorleuchteten. Diese Augen musterten scharf die andächtige Menge, die in die Pforte hineinströmte und der fremden Gestalt nicht achtete. Endlich kam eine schöne Frau in schlichtem aber anständigem Kleide, das Meßbuch in der einen Hand, an der andern ein Jüngferchen führend, das nicht über sechs Jahr sein konnte, ein munteres schlankes Ding, mit so schwarzen Augen, wie die Mutter hatte, nur daß die des Kindes beständig hin und her funkelten und Alles neugierig betrachteten, was in ihren Kreis trat. An der andern Seite der Frau schritt ein stattlicher Mann noch in jugendlichen Jahren, reich, aber ohne Prunk gekleidet, die Züge seines Gesichts dem seiner Begleiterin so ähnlich, daß ihre Geschwisterschaft unverkennbar war. Wie nun diese Drei dem fremden Mönch nahe kamen, stieß die Kleine ihre Mutter heimlich an, wie wenn sie etwas Spukhaftes sähe. Da hob die Frau, die ruhig zu Boden geblickt hatte, ihre Augen auf und spähte nach dem Fremden, und plötzlich erblaßte sie, ihre Hand, die das Büchlein hielt, zitterte, ihr Fuß stockte einen Augenblick. Als aber ihr Bruder fragte, was ihr sei, schüttelte sie hastig den Kopf, zog das Kind näher an sich und eilte mit rascheren Schritten an der Erscheinung vorüber in die offene Kirche hinein, auch auf der Schwelle keinen Blick zurücksendend.
Herr Raimon wartete draußen auf derselben Stelle, bis das Amt vorüber war. Als aber die Gemeinde wieder herauswallte, suchten sein Augen vergebens nach den drei Gestalten. Er trat endlich ins Innere der Kirche, ob sie hier etwa noch verzögen, von irgend einer besonderen Andacht festgehalten. Er fand aber Niemand, als ein paar uralte Kirchenschläferinnen, und mußte sich sagen, daß sie das Münster wohl längst durch eine Seitenpforte verlassen haben würden.
Er wußte nun, daß er nichts zu hoffen hatte. Auch hatte er an der festen und kühnen Miene des Bruders wohl abnehmen können, daß dessen Drohung nicht in den Wind geredet war. Gleichwohl zog es ihn am Nachmittag nach jenem Gartenzaun, an welchem er zuerst ein holdes Wort von seiner verlorenen Liebsten empfangen hatte. Es wäre ihm fast erwünscht gewesen, dem Bruder zu begegnen, daß dieser sein Wort wahr machen und ihn des elenden Lebens überheben konnte. Er spähte aber lange umsonst in das Gärtchen hinein, in welchem jetzt keine Sommerblüte mehr an den Zweigen hing, gelbe Blätter die Pfade überrieselt hatten und nur das immergrüne Lorbeer- und Granatlaub dunkel zwischen den fahlen Beeten stand.
Auf einmal öffnete sich die Thür, die aus dem Hause in den Garten führte, und das Kind trat heraus, in einem sauberen Hausröcklein, die Haare in zwei Flechten um das schlanke Köpfchen gewunden. Sie hatte ein Gießkännchen in der Hand, das sie aus dem fließenden Brunnen füllte, um ein paar Beete zu begießen, auf denen irgend ein spätblühendes Gewächs angepflanzt war. Zierlich wie eine Bachstelze ging sie die schmalen Pfade hin und her, das Kleid mit der Hand aufnehmend, um es nicht zu benetzen. Als sie in die Nähe des Zaunes kam, wo Raimon herüberspähte, erblickte sie plötzlich die dunkle Gestalt und ließ erschrocken das Gefäß fallen. Er aber machte ihr ein bittendes Zeichen, daß sie nicht schreien und davonlaufen sollte, und hob eine kleine goldne Kette mit einem Kreuzchen, die er auf alle Fälle zu sich gesteckt hatte, in die Höhe. Die Kleine begriff, daß der Fremde nichts Böses im Sinne haben konnte, und als er sie immer freundlicher heranwinkte, that sie endlich ein paar zögernde Schrittchen ihm entgegen.
Constanze, hörte sie ihn rufen, warum fürchtest du dich vor mir? Ich bringe dir einen Gruß von deinem Vater, und das Kettlein sollst du zu seinem Andenken tragen. Komm, daß ich es dir selber umhänge, und wenn du ein liebes Kind bist, gieb mir dafür einen Zweig von jenem Granatstrauch, daß dein Vater ihn sich aufheben mag als etwas, das von seinem geliebten Kinde kommt.
Mein Vater? erwiderte die Kleine mit einem ernsthaften Zug um die feinen Brauen. Ich habe ja keinen Vater mehr. Er ist gestorben, nachdem er meiner Mutter sehr weh gethan. Wer aber seid Ihr, daß Ihr so von ihm sprecht? Ich sah Euch schon heute früh vor der Kirche. Die Mutter erschrak sehr, da sie Euch bemerkte.
Sage deiner Mutter, erwiderte er – da wurde ihm das Wort am Munde durchgeschnitten. In der Thür des Hauses erschien Gaudairenca, sie warf nur einen einzigen Blick über das Gärtchen, gleich darauf hörte man sie den Namen des Kindes rufen, scharf und laut, doch ohne daß sie selbst sich von der Stelle rührte.
Es darf nicht sein! flüsterte die Kleine, indem sie sich eilig umwandte. Ich darf Eure schöne Kette nicht annehmen – ich nehme von keinem Fremden etwas – was mir der Oheim nicht giebt, darf ich nicht tragen – lebt wohl! – Damit huschte sie von ihm fort, ergriff ihr Gießkännchen und flog auf die Mutter zu, die beide Arme um sie schlang, wie wenn sie dies kleine Leben vor einer großen Gefahr zu schützen hätte. Dann traten die Zwei ins Haus, und der ausgestoßene Flüchtling draußen am Zaun zog die Kutte tief übers Gesicht, daß Niemand sehen sollte, wie die Thränen ihm über die eingesunkenen Wangen stürzten.
*
Er ward in Carcassonne nicht mehr gesehen. Es währte aber nicht lange, so ging durch die ganze Stadt das Gerücht, Herr Raimon von Miraval sei von den Todten auferstanden und in Toulouse am Hofe seines brüderlichen Gönners, des Grafen Raimon VI. erschienen, um diesem in seinen kriegerischen Nöthen beizustehen.
Zu jener Zeit nämlich war die wilde Fehde zwischen der päpstlichen Macht und den von ihr geächteten Fürsten und Grafen entbrannt, die nach der Landschaft Albigeois, in welcher die neuen Lehren zuerst gepredigt worden waren, der Albigenserkrieg genannt wird. Das zuchtlose Leben der Geistlichen und allerlei Mißbräuche der römischen Kirche hatten einen gährenden Unwillen erzeugt, der zumal in den Städten und Schlössern der Provence immer lauter und heftiger nach einer Reinigung der katholischen Lehre und Abstellung der Aergernisse verlangte. Die gelinderen Mittel, die Papst Innocenz III. zur Beilegung des gefährlichen Zwistes versuchte, Absendung von Legaten und Mahnbriefe, Gegenpredigten und öffentliche Religionsgespräche, erwiesen sich ohnmächtig; da befahl er den Kreuzzug gegen die Ketzer zu predigen, deren Bändigung und Ausrottung ein eben so verdienstliches Werk sei, als der Kampf um das heilige Grab, und da es nicht an mächtigen Herren fehlte, denen der geistliche Vorwand gelegen kam, im Trüben fischend ihre sehr weltlichen Absichten durchzusetzen, waren die gesegneten Fluren Aquitaniens bald der Schauplatz erbarmungsloser Kämpfe, die mehrere Jahre von beiden Seiten mit der ganzen Hitze und Blutgier eines Glaubenskrieges geführt wurden.
Der mächtigste Vorkämpfer für die Partei der Abtrünnigen war Graf Raimon von Toulouse. Ihn hatte gleich zu Anfang der Bannfluch der Kirche getroffen, und der gewaltigste Kriegsmann jener Zeit, Graf Simon von Montfort zog, nachdem er das Gebiet des Vizgrafen von Carcassonne verheert und die wohlbefestigte Stadt mit Sturm genommen, gegen Toulouse, um das Strafgericht der Kirche auch an dem streitbaren Haupt der ketzerischen Secte zu vollziehen.
Bei diesem war, sobald der Kirchenbann über ihn ausgesprochen worden, ein bleicher Mann mit geschorenem Haupt und langem Bart erschienen, in einer schlichten Waffenrüstung auf einem Maulthier reitend, und hatte sich vor ihn hingestellt mit der Frage, ob Graf Raimon einen Kriegsmann brauchen könne. Die Stimme däuchte diesem bekannt. Es währte aber lange, bis er in dem abgezehrten Gesicht des Fragenden die Züge seines alten Freundes und dichterischen Genossen wiederfand. Die Zeit war zu ernst, um alter Thorheiten und Sünden zu gedenken, und der Dichter sorgte dafür, daß Niemand, auch nicht im Uebermuth der Weinlaune, ihm an die alte Wunde rühren mochte. Er focht mit so wilder Tapferkeit, daß nicht nur der Graf, der ihn um seiner Treue willen hoch hielt, sondern alle anderen Herren und Barone sich eingestanden, kein höfischer Mann habe jemals die Verirrungen seiner Jugend mannhafter gesühnt. Nur Raimon selbst blieb düster und freudlos, wie zuvor. Ein einziger Wunsch schien ihn zu beseelen, daß er mit dem Schwert in der Hand den Tod finden möchte. Immer entging er dem Getümmel wie durch ein Wunder unversehrt oder nur mit geringer Verwundung.
Und nicht nur mit den Waffen stand er für den Freund ein. In leidenschaftlichen Rügeliedern rief er die benachbarten Fürsten und Ritter auf, sich zu den Vorkämpfern für die reine Lehre zu gesellen, und schürte mit dem Hauch seiner Verse die Flammen, die von allen Seiten aufloderten. Eines seiner Sirventese mahnte Petrus von Aragon, der mit einer Schwester des Grafen von Toulouse verheirathet war, seiner Verwandtenpflicht zu gedenken und dem bedrängten Schwager zu Hülfe zu ziehen. Und Petrus ließ ein starkes Heer über die Pyrenäen vordringen und erschien selbst in Toulouse, sich öffentlich lossagend von Rom. Einen Augenblick lebten die Hoffnungen der Albigenser auf. Aber die Schlacht von Muret (1213) schlug sie grausam nieder. Die letzten Streitkräfte der Albigenser wurden zugleich mit dem spanischen Hülfsheer vernichtet oder zerstreut, der König selbst fand seinen Tod. Graf Raimon flüchtete mit genauer Roth übers Gebirge nach Aragon zu seiner Schwester; die Sache, die er verfochten hatte, lag unheilbar getroffen danieder, um sich nie wieder aufzurichten.
Aus vielen Wunden blutend war Raimon von Miraval dem grimmen Sieger in die Hände gefallen. Der führte ihn sammt anderen Gefangenen mit sich fort, und da er in dem eroberten Toulouse zunächst seinen Sitz aufschlug, ließ er den Dichter in den Thurm des Schlosses werfen, ihn aufsparend für ein feierliches Hochgericht, bei welchem die vornehmsten Ketzerhäupter fallen sollten, sobald der päpstliche Sendbote von anderen Händeln sich abgemüßigt hätte und Zeuge dieses dem Himmel wohlgefälligen Schauspiels sein könnte.
Ein dumpfes Entsetzen lag über der Provence. Man wußte, daß von dem furchtbaren Gottesstreiter, der in der Magdalenenkirche des erstürmten Beziers siebentausend Menschen verbrannt hatte, keine Gnade zu hoffen war. Hatte doch auch der Abt von Citeaux, als das Morden dort in den Gassen der Stadt kein Ende nahm, auf die Frage, woran man die Unschuldigen von den Ketzern unterscheiden sollte, die gelassene Antwort gegeben: Schlagt nur immer todt, der Herr kennt die Seinen!
Und dieser selbe Priester, der aus einem Hirten zum Schlächter der Heerde geworden war, erschien nun in Toulouse und wurde von dem furchtbaren Grafen mit großen Ehren empfangen. Die beiden Würgengel hatten ein langes geheimes Gespräch mit einander. Dann traten sie auf den luftigen Altan des Schlosses hinaus, wo eine Tafel gerüstet war, an der außer ihnen nur einige vornehme Ritter und der Bischof mit zwei seiner vertrauten Diakonen Platz nahmen. Man sah hier weit in die vom Kriege verheerten Lande, über zerstampfte Saatfelder und verbrannte Dörfer hinaus, während nach der anderen Seite der Blick den Thurm erreichen konnte, in welchem die Opfer der grausen Fehde ihrem nahen Gericht entgegenschmachteten.
Als aber der edle Wein der Garonne die Herzen selbst dieser finsteren Blutrichter zu besänftigen anfing, wurde dem Grafen gemeldet, eine Sängerin sei unten im Hofe angelangt und bitte um die Gunst, den Herren ein Lied vortragen zu dürfen. Sie sei von Noth und Kummer abgezehrt, aber noch eine schöne Frau, setzte der Diener, der seinen Herrn kannte, leiser hinzu, und ein halbwüchsiges Mädchen begleite sie, das lieblich sei wie ein Engel.
Montfort, ohne erst bei seinen Gästen anzufragen, winkte, daß man die fahrende Frau heraufführe, und gleich darauf trat in Trauerkleidern, das Gesicht mit einem durchsichtigen Flor verhängt, Gaudairenca auf den Söller, ihre Tochter Constanze an der Hand, die ihre Geige schüchtern unterm Arm trug und den Blick zu dem gefürchteten Kriegshelden nicht zu erheben wagte. Das Kind war schlank und zart aufgeschossen, in der That einem Engel gleich an Gesicht und Geberde, die Mutter nicht mehr jene blühende Gestalt, die auch nach ihrer Verstoßung in der Stadt Carcassonne die Augen aller Fremden auf sich zog; aber das bleiche Antlitz, da sie jetzt den Schleier zurückschlug, übte mit seiner schmerzlichen Hoheit einen um so tieferen Zauber auf Alle aus, die am Tische saßen, und aus ihrem schwarzen Auge schlug eine unwiderstehliche Flamme, als sie die Lippen öffnete und zu dem leisen Spiel des Kindes, dem der Bogen freilich in den schmalen Händchen zitterte, die folgenden Strophen sang:
Um Gott, Graf Montfort, hört mich an
Und neigt Euch gnädig meinem Flehn!
Er, dessen Thron in Himmelshöhn,
Dem auch die Größten unterthan,
Will den Geringsten nicht verschmähn,
Denn wer vor ihm ist klein und groß?
Drum denkt des Tags, da nackt und bloß
Ihr müßt vor seinem Antlitz stehn.
Ihr schwangt Euch auf, ein stolzer Aar,
Daß rauschend Euer Fittich klang.
Der scharfen Klauen Macht bezwang,
Was weit und breit Euch feindlich war
Dem kecken Sperber wurde bang,
Der Falke schreiend flog zu Nest,
Ihr aber packtet beide fest
Und würgtet Euren stolzen Fang.
Gott hat Euch solche Macht verliehn,
Daß Euch der Sieg ward überall.
Beziers, Toulouse kam zu Fall,
Ihr Trotz ist ihnen schlecht gediehn.
Doch nun vor Eures Schlachtrufs Schall
Verstummt der Lüfte wilde Brut,
Warum verfolgt mit Rachewuth
Der Adler noch die Nachtigall?
Wohl flog sie mit im dichten Schwarm,
Die sonst im Walde friedlich schlug,
Da sie der Sturm ins Freie trug,
Und wetzt' ihr Schnäblein – Gott erbarm'!
Doch ward sie nicht bestraft genug,
Da Sang und Freiheit sie verlor?
Herr, öffnet ihres Käfichs Thor,
Und preisen wird man Euch mit Fug.
Simon von Montfort, hört mir zu
Und nehmt des eignen Heiles wahr:
Nicht ziemt es dem gewalt'gen Aar,
Daß er dem Sänger Leides thu'.
Durch Gnade mach' er's offenbar,
Daß ihm gebührt das Herrscheramt,
Und der ihn feindlich erst verdammt,
Wird ihn nun rühmen immerdar.
Kind, spiele deinen weichsten Ton,
Du spielst um deines Vaters Glück,
Denn sieh, des edlen Grafen Blick
Erglänzt von Gnad' und Milde schon!
Während der letzten Strophe hatte die Stimme sich kaum durch die mühsam zurückgedrängten Thränen durchgekämpft. Jetzt brachen sie unaufhaltsam vor, die unglückliche Frau warf sich vor dem Gewaltherrn nieder und zog das spielende Mägdlein mit sich auf die Kniee, so daß das Ritornell auf der Geige von einem schrillen Mißlaut mitten durchschnitten wurde. Da lagen Mutter und Kind mit gesenkten Häuptern vor Dem, der ihr Geschick in seiner Hand hatte, stumm und ergeben, als wären sie selber des Todesstreichs gewärtig.
Der finstere Abt hatte mit gefurchten Brauen zugehört, Graf Simon aber, der in jüngeren Jahren ritterlicher Sitte gepflogen und noch jetzt nicht allen Regungen der Courtoisie abgestorben war, hob die still fortweinende Frau alsbald vom Estrich auf, beschwichtigte mit tröstendem Wort ihre heftige Angst und fragte dann nach ihren Schicksalen, von denen er wohl gehört, scherzte, warum sie bei ihrer Jugend und Schönheit nicht längst ein neues Eheband geschlossen, ob sie es auch in Zukunft nicht zu thun gewillt sei und wer sie die schönen Verse gelehrt habe und ihre Tochter das liebliche Geigenspiel. Er hatte inzwischen einen Diener herangewinkt und ihm einen leisen Auftrag ertheilt. Während die Sängerin nun auf alle Fragen schicklich und mit ruhigem Ernst antwortete, zog Herr Simon das schlanke Mägdlein auf seinen Schooß, ließ sie aus seinem Becher trinken und steckte ihr von dem Confect und den süßen Trauben eigenhändig in den Mund, sich an der Verwirrung des holden Kindes ergötzend. Auch schlug er einen scherzhaften Ton an, der dem Abt ein Aergerniß war, indem er fragte, ob das Fräulein wohl Lust habe, seine Frau zu werden, er sei zwar nicht mehr der Jüngste, aber da ihre Mutter dem Manne, der ihr Schmach und Undank zugefügt, so eifrig die Treue halte, werde wohl auch sie eine gute und getreue kleine Hausfrau werden, mit anderen Reden mehr, die das Kind nicht verstand, die aber der Mutter das Blut in die Wangen trieben.
Während dies Alles droben auf dem Altan sich zutrug, hatte Herr Raimon in seinem Kerkerthurm einsam vor sich hin gebrütet. Er wußte, das Ende seiner Buße stehe nahe bevor, und da das Leben ihm längst entleidet, seine besten Freunde mit ihm gefangen oder getödtet waren, sah er der letzten Stunde mit weltabgewandter Ungeduld entgegen.
Das Herz in der Brust war schon vor ihm selber hingestorben, wie er meinte, da er weder Freude noch Schmerz, weder Hoffen noch Bangen mehr empfand. Warum durchzuckte es dennoch ein so heftiger Schlag, als plötzlich von weit herüber aus der Höhe, wie wenn eine überirdische Musik schon jetzt ihn begrüßte, ein leise klagender Gesang und das gedämpfte Klingen einer Viola zu ihm herunterwehte? Kein Wort verstand er, und auch die Melodie verschwamm dann und wann in ein undeutliches Seufzen und Summen. Und doch brannte ihm das Herz von Sehnsucht und Erinnerung, daß er selbst sich darüber wunderte und dachte, es müsse wohl ein Fiebertraum sein Spiel mit ihm treiben, daß er zu hören glaube, was doch in Wahrheit nur viele Meilen fern von ihm singen und klingen könne.
Nicht lange aber war dieser wunderliche Spuk verstummt, da ward die feste Thür seiner Zelle aufgeriegelt, und der Thurmvogt kam, im Auftrag des Grafen ihn hinauszuführen und ihm zu sagen, er könne gehen, wohin er wolle.
Es dauerte eine kleine Weile, bis er begriff, daß diese plötzliche Erlösung nicht etwa eine Fortsetzung seines Traumes sei. Erst als der finstere Alte auf sein heftiges Dringen ihm erklärte, wem er dies märchenhafte Glück zu danken habe, konnte er sich zum Glauben bequemen. Es war aber kein Strahl der Freude, der über sein Gesicht ging. Ich wollte, Ihr hättet mich zum Tode geführt, statt in eine Freiheit, die schlimmer ist als Sterben von Henkershand! rief er in dumpfem Gram. War ich nicht beschämt genug? Hatt' ich nicht gethan, was ich konnte, den Schimpf von meinem Schilde abzuwaschen? Nun wird eine neue Last mir aufgebürdet, die mich vollends erdrücken soll!
Er trat ins Freie mit wankenden Knieen, obwohl seine Wunden so gut wie vernarbt waren. Einen langen Blick sandte er nach dem Söller hinauf, von wo er die laute lachende Stimme seines großmüthigen Feindes vernahm. Einen Augenblick war ihm, als sehe er den Glanz von blonden Locken über die Brüstung des Altans auftauchen. Der Vogt aber ließ ihn nicht lange staunen und starren. Er hatte gemessenen Befehl, ihn sofort aus der Burg zu führen mit scharfer Ermahnung, nie wieder sein verfallenes Haupt dem gnädigen Richter vor die Augen zu bringen, der es ihm einzig und allein auf den Schultern lasse, um der Welt zu beweisen, daß er im Lärm der Schlachten nicht taub geworden sei für den Zauber süßen Gesanges.
*
So wanderte der tief Gedemüthigte, dessen Buße immer noch nicht vollbracht sein sollte, von der Stadt Toulouse hinweg, ohne Weib und Kind wieder gesehen zu haben. Er dachte nicht mehr daran, sich vor den Augen der Welt zu verstecken. In jenem Thurmverließ war alle irdische Eitelkeit von ihm abgefallen. Auch hatte die arme Menschheit in der Noth dieser Zeit zu viel mit ihren eigenen Sorgen zu schaffen, um hämische Blicke auf einen armen Landfahrer zu werfen, der, wenn er mehr gesündigt, als Manche, auch härter gezüchtigt worden war.
Nach vielen in der Irre durchwanderten Tagen fand er sich endlich in der Gegend von Miraval. Der Burg selbst sich zu nähern durfte er nicht wagen. Er hörte, daß sie von den Schaaren Simon von Montfort's besetzt, sein Bruder Gaucelm, der sie zu behaupten gewagt, nach hartnäckigem Kampf gefallen sei. Der alte Burgvogt habe sich mit schweren Wunden in eine Jagdhütte tief im Forst zurückgezogen.
Den suchte er nun auf und bat ihn um Herberge, die der treue Mann seinem müden, schweigsamen Herrn mit Freuden gewährte. Die Kunde erging bald auch nach Carcassonne, Herr Raimon wohne wie ein gehetztes Wild im dichten Forst. Es kümmerten sich aber nur Wenige darum, denn auch in der Stadt, die schwer unter dem Zorn des grimmen Montfort gelitten, hatte Jeder mit sich zu thun.
Graf Simon aber, nachdem er nun seinen Kreuzzug vollendet und die ganze Provence von der Pest der Ketzerei gesäubert hatte, wurde von Toulouse abgerufen durch Hader seiner eigenen Mitkämpfer, die sich um die Beute stritten. Er war nicht gewillt, sie ihnen zu lassen, da er das Amt eines Streiters für die rechtgläubige katholische Kirche einzig und allein übernommen hatte, um sich selbst eine große Herrschaft zu gründen. So zog er nach Carcassonne, die Stadt einem der Barone wieder abzunehmen, dem er sie nicht anvertraut hatte, um sie für immer zu verschenken.
Die schwer heimgesuchte Bürgerschaft empfing den Gefürchteten mit großer Angst, beim Streite der beiden Wölfe werde das Lamm wieder Blut und Wolle hergeben müssen. Montfort aber, nachdem er den unbotmäßigen Vasallen schon durch sein bloßes Herannahen weggeschreckt hatte, erwies sich wider Erwarten blutscheu und menschenfreundlich, verhieß dem Rath und den Schöffen der Stadt ein mildes und gnädiges Regiment und versicherte, sie bei ihren alten Gerechtsamen erhalten zu wollen. Am Abend des ersten Tages aber, nachdem er die drängendsten Geschäfte abgethan hatte, ließ er sich nach dem Hause führen, in welchem Frau Gaudairenca wohnte. Er wußte selbst nicht, was er dort suchte, er fühlte nur einen dunklen Trieb, unter all dem Wüsten und Unholden, was zu seinem Handwerk gehörte, sich einmal wieder an einem reinen Bilde zu erquicken und die liebliche Frauenstimme wieder zu hören, die ihm lange im Ohre nachgeklungen war. Während die dichte Menge des Volkes, die ihn staunend und bange bis zu dem Haus mit dem Rosenstock begleitet hatte, auf der Gasse stehen blieb, trat er mit seinem gastlichsten Gesichte hinein und entschuldigte, da die Hausfrau ihm in ihrer stillen Art entgegentrat, die späte Störung. Er habe ihr den Besuch, den sie ihm in Toulouse gemacht, zurückgeben und sich auch erkundigen wollen, ob das junge Fräulein es sich inzwischen überlegt und den Muth gefaßt habe, Gräfin von Montfort zu werden.
Dieses Scherzwort, das er mit einem Kuß auf die Stirne des elfjährigen Kindes begleitete, beschwichtigte alsbald jede Besorgniß, daß der Eintritt des Gebieters dem Schwertfegerhause Unheil bedeute. Auch fuhr der Herr, indem er sich in den Ledersessel niederließ, der den gichtkranken Alten jahrelang aufgenommen, in behaglichster Laune fort, mit den Insassen des bescheidenen Gemachs zu plaudern, fragte den Bruder, der sich ihm mit bescheidenem Ernst vorstellte, nach seinen Reisen, die Hausfrau nach ihren Plänen für die Zukunft und ob sie immer noch keinen stattlichen Bewerber erhören wolle, die unzweifelhaft sich's zur Wonne und Ehre rechnen würden, die Dichterin von Carcassonne ihren ersten nichtsnutzigen Gemahl vergessen zu machen.
Gaudairenca erwiderte auf all diese heiteren Reden mit einem zerstreuten Lächeln. Sie ging endlich hinaus, ihrem vornehmen Gast einen Imbiß und einen Trunk Wein, wie das Haus ihn vermochte, zuzurüsten, und brach aus dem Garten die ersten Blumen des Frühlings. Als sie damit wieder eintrat, fand sie die junge Constanze wieder auf dem Schooß des Grafen sitzend, der das Kind mit nicht immer feinen Reden unterhielt, sich an ihrer Verwirrung ergötzend. Er schlug aber die Kollation mit artigem Danke aus, nur einige der Blumen nahm er und steckte sie, nachdem er das Näschen des Kindes damit gestreichelt, in sein Sammtgewand.
Wenn ihr mich bewirthen wollt, lachte er, müsset Ihr mir auftischen, was nirgend so gut zubereitet und angerichtet wird, wie im Hause einer Dichterin. Laßt mich noch einmal Euren Gesang vernehmen, und meine kleine spröde Braut da soll zeigen, ob sie über den Winter noch zugelernt hat auf der Viola. Ein solches Duett zu hören, thut meinem alten Haupte sanfter, als wenn die edelsten Weine mir zu Kopfe steigen.
Das Mädchen warf einen fragenden Blick auf ihre Mutter. Als diese mit sinnendem Auge ihr zuwinkte, sprang sie rasch nach dem Schränkchen in der Ecke, wo ihre Geige verwahrt lag, und stellte sich zum Spielen fertig. Frau Gaudairenca machte ihr ein Zeichen, das sie wohl verstand. Da begann sie ein zartes, schwermüthiges Vorspiel, und jetzt öffnete die edle Frau die Lippen und sang, mit einer leicht umflorten Stimme, die erst gegen das Ende des Liedes voller und mächtiger erklang, so daß man draußen auf der Gasse nicht nur die Melodie vernehmen, sondern in der großen Stille jedes einzelne Wort verstehen konnte.
Ich tret', o Herr, zum andern Mal
Mit scheuer Bitte hin zu dir.
Laß wieder leuchten über mir
Wie damals deiner Gnade Strahl!
Gedenkst du noch der Stunde,
Da ich mit bangem Munde
Losbat von dir die Nachtigall?
Du gönntest ihr nach langer Qual,
Zu flattern aus der engen Haft.
Wohl hat sie frisch sich aufgerafft
Und flog dahin durch Berg und Thal.
Doch, da zum alten Neste
Sie kam, gar wilde Gäste
Fand sie im Schloß zu Miraval.
Kein schirmend Dach, kein häuslich Mahl
Ward in der Heimath ihr gewährt!
Da hat sie bang sich abgekehrt
Und irrt nun unstät, krank und fahl.
Wie soll es ihr gelingen,
Dem Retter Dank zu singen,
Wenn man das warme Nest ihr stahl?
Herr Graf von Montfort, ohne Zahl
Sind Städt' und Burgen dir bereit.
Nicht wird der Adler sehn mit Neid
Das arme Nest der Nachtigall.
Laß dort sie wieder wohnen.
Und hold wird sie dir's lohnen
Mit süßem Sang zu Miraval.
Beim Blute des Gekreuzigten! rief Montfort, indem er in die Höhe sprang, der Vogelsteller hat sich in sein eigenes Netz verstrickt, und das Nachtigallenweibchen wird ihm noch die Augen auspicken, wenn er sich nicht schleunig den schnürenden Maschen entwindet. Ist das auch Recht, Frau Hinterlist, einem arglosen Gast, statt ihm ein Gastgeschenk zu reichen, so hohen Zoll abzufordern?
Ich wäre zu Euch gegangen mit diesem Liede, Herr Graf von Montfort, wenn Ihr mir nicht so gnädig zuvorgekommen wäret, versetzte die Frau, indem sie ihre dunklen Augen mit demüthigem Ernst auf den seinen ruhen ließ. Ein hoher und gewaltiger Herr, der sich einer Bittenden zuneigt, wird sich nicht mit halber Gnade begnügen. Ich habe Euer hochsinniges Gemüth schon in Toulouse erkannt. Ihr werdet es unter meinem eigenen armen Dache nicht verleugnen, schon wegen des unschuldigen Kindes, das Ihr nicht verarmen lassen werdet um der Schuld seines Vaters willen.
Da lachte der furchtbare Graf so laut auf, daß die Drei im Zimmer erschraken, denn sie wußten nicht, ob es Hohn sei oder gute Laune. Es war aber die letztere. Nun bei allen Teufeln und Heiligen! rief er, Ihr kennt mich wahrlich besser, als ich mich selbst. Was Ihr da von der Nachtigall gesungen, rührt mich wenig. Denn dieser lose Vogel, der Klauen hat wie ein Sperber und eine kriegerische Stimme, gleich dem Schrei des Falken, der auf Beute stößt, – nach seinem Lobgesang lüstet mich wenig, und wenn eine Eule im wilden Wald ihn zu Nacht verspeiste, geschähe ihm nach Verdienst. Aber das Weibchen des Sprossers hat mir's angethan, das weiß die Listige nur zu gut, und dieser unflügge Nestling, den ich auf meinen Knieen geschaukelt, sieht mich mit so lieblich gespitztem Schnabel an, daß ich mir von ihm die reifste Beere aus dem Munde stehlen ließe. Schütze mich der Himmel davor, dieser gefährlichen Brut je wieder zu begegnen! Ich glaube, wenn sie mit ihrem Zwitschern es darauf anlegte, mir die halbe Provence abzubetteln, ich wäre Narr genug, mir's gefallen zu lassen. Für diesmal komm' ich noch glimpflich weg mit einer einzigen Burg, die der Kriegsbesen scharf genug ausgefegt hat. So mag es drum sein. Das verschlagene Bettlergesindel aber, das mich darum gebracht, soll erst noch meine Rauhheit zu spüren bekommen.
Damit faßte er die tief erglühende Frau in seine Arme und küßte sie dreimal auf den Mund. Darauf ließ er sie los und ergriff die kleine Constanze, deren Stirn und Wangen er mit seinem struppigen Bart übel zurichtete. Dann setzte er sein Barett mit der wallenden Feder auf, nickte dem Bruder Gaudairenca's einen Abschiedsgruß zu und verließ, heimlich vor sich hin murrend, doch nicht mit unfreundlicher Miene und Geberde, das Haus.
Am nächsten Morgen hatte er die Stadt mit seinem Gefolge und einem Trupp Gewaffneter geräumt. Es war, als fürchte er sich vor einem neuen Liede der Dichterin von Carcassonne.
Drei Tage waren vergangen. In der Stadt hatte man von nichts Anderem gesprochen, als von dem Besuch des furchtbaren Grafen in dem Schwertfegerhause und dem Gesang, den er dort zu hören bekommen. Da sahen die guten Bürger in der hellen Nachmittagssonne einen Mann zum Thore hereinschreiten, der ein Pferd am Zügel führte. Er trug ein schlichtes schwarzes Gewand, das Haupt unbedeckt und die Füße unbeschuht. Einige glaubten in der seltsamen Figur Herrn Raimon von Miraval zu erkennen, Andere bestritten es, bis der Mann an dem Hause mit dem Rosenstock anhielt, das Pferd an einem Stabe des Spaliers fest band und, nachdem er den Klopfer erschallen lassen, ohne Zögern über die Schwelle trat.
Er fand die drei Bewohner desselben in dem vorderen Zimmer beisammen, die Frau am Spinnrade, das Mädchen aus einem großen Buche ihr vorlesend, den blonden Bruder beschäftigt, ein Schwert von Rostflecken zu reinigen.
Als dieser Letztere den Besucher ins Auge faßte, fuhr er mit gerunzelter Stirn in die Höhe, seine Hand suchte den Schwertgriff, es schien, daß ein feindseliger Gedanke ihm das Blut empörte. Der Fremde aber veränderte keine Miene, noch fuhr er zurück, um sich gegen einen jähen Anfall zu decken.
Ich wage es hier einzutreten, sagte er mit ruhiger Stimme, obwohl zu Anfang ein wenig stockend, als ob er seine Worte suchen müsse, – ich bitte nur um ein kurzes Gehör, da es nicht in eigener Sache ist, daß ich rede. Was hier geschehen ist vor wenigen Tagen, ist mir nicht bloß durch das Gerücht zu Ohren gekommen. Der siegreiche Feind hat mir selbst einen Boten geschickt, mir anzuzeigen, daß seine Leute aus Miraval fortgezogen seien und die Burg mir wieder offen stehe. Ich habe es durch meine eigene Schuld und Thorheit verscherzt, darin zu wohnen. Da sie aber nicht herrenlos bleiben soll, habe ich mich aufgemacht, die rechte Herrin aufzusuchen und sie einzuladen, daß sie sich von mir dort wieder einführen lasse, von wo ich sie so schnöde vertrieben. Ich habe ein Pferd mitgebracht, und wenn es ihr gefällt, soll sie schon die nächste Nacht wieder unter dem Dache ruhen, das einst bessere Tage gesehen und nun mit Gottes Gnade wieder sehen soll, wenn auch der frühere Besitzer sie nicht mehr mit ihr theilen darf.
Er schwieg und wagte nicht auf dem Gesicht der Frau zu forschen, welchen Eindruck seine Rede gemacht habe. Da hörte er sie nach einer kleinen Weile sagen:
Es steht Euch wohl an, Herr Raimon, daß Ihr so denkt und redet. Ihr werdet aber verzeihen, wenn ich Eurer Einladung nicht zu folgen vermag. Die Welt soll nicht sagen, für mich selbst hätte ich die Burg ersungen, die Eurem Geschlechte gehört, von dem ich für immer ausgestoßen bin. Erwägt es besser, und nehmet unbedenklich an, was der Himmel Euch zurückgegeben hat. Für den Rest meiner Tage habe ich ausgesorgt unter diesem schlichten Dach, das ich, wenn ich besser berathen gewesen wäre, nie hätte verlassen sollen. So geht mit Gott, Herr Raimon, und wenn Euch daran liegt, so wisset, daß ich ohne Feindseligkeit Euer gedenke und den Himmel in meinem Gebet anflehe, Euch noch ein glückliches Loos zu bescheren.
Es ahnte mir, daß Ihr so sprechen würdet, versetzte er dumpf. Ich habe es nicht um Euch verdient, daß Ihr meine Buße endet und die Last Eurer Großmuth, die mich schier erdrückt, von meiner Seele nehmt. Aber wenn Ihr für Euch selbst jede Erinnerung an das verbannt, was wir einst einander gewesen sind, Eurem Kinde seid Ihr es schuldig, ihm zu erhalten, was ihm gebührt. Erlaubt mir, daß ich Constanze in die Burg ihrer Väter einführe und sie dort als Herrin von Miraval vor dem ganzen Lande bestätige.
Die Frau wechselte einen Blick mit ihrem Bruder. Dann, nach einem kleinen Schweigen: Ihr habt Recht hierin, Herr Raimon, sagte sie, und ich danke Euch, daß Ihr voraussichtiger und billiger handelt, als ich gethan hätte. Das Kind soll sich fertig machen, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr es auf der Stelle mitnehmen.
Sie erhob sich nun, suchte einige Kleider und Weißzeug zusammen, das sie in ein Bündel that, und befahl dem Mädchen, das mit großen Augen in seltsamer Bestürzung bald den Vater und bald die Mutter betrachtete, ihre Geige nicht zu vergessen. Als sie ihr dann auf das Pferd geholfen und den Packen hinter dem Sattel festgebunden hatte, wobei eine rasch anschwellende Volksmenge sie umgab, flüsterte sie ihr noch ein Wort ins Ohr, während sie sich selbst im Bügel erhob, das Kind zum Abschiede zu küssen. Dann nahm der Vater den Zügel wieder in die Hand und lenkte das Thier, das seine leichte Last willig trug, im Schritt durch die Gaffer hindurch, von denen mehr mitleidige als böse Blicke ihm nachfolgten.
Der Frühling blühte vor den Thoren und alle Vögel sangen. Vater und Tochter aber sprachen kein Wort. Das Mädchen hatte die Geige auf dem Schooße ruhen und sah mit rothen Wangen vor sich hin, denn es schämte sich heimlich, daß es auf dem Pferde saß, während der Vater barfuß nebenher schritt. Gern hätte es ihn eingeladen, sich zu ihr in den Sattel zu setzen. Aber die Mutter hatte ihr eingeschärft, ihn gewähren zu lassen, was er auch thue. So waren sie eine halbe Stunde gezogen, da traten dem guten Kinde die Thränen in die Augen, indem sie das erbärmliche Schicksal ihres Vaters erwog, und Alles, was sie je an Groll gegen ihn in der Brust getragen, schmolz in diesen weichen Fluten dahin. Da sie nun nicht wußte, wie sie ihren Kummer vor ihm verbergen sollte, und zugleich ihn gern hätte wissen lassen, daß sie nicht als ein fühlloses Püppchen da oben thronte, während er die scharfen Steine des Wegs mit nackten Sohlen trat, nahm sie plötzlich ihr Instrument zur Hand und spielte eine so wehmüthig sanfte Melodie, daß es dem Vater war, als finge die eigene Seele seines Kindes an zu klingen, und er einen dankbar aufleuchtenden Blick zu ihr hinaufschickte. Da lächelte sie mitten unter ihren Thränen, und die Beiden sahen sich unverwandt an und wußten ohne Worte, was Jedes dem Andern gern gesagt hätte.
So waren sie endlich an den Fuß des Hügels gekommen, von welchem die Burg mit zerschossenen Zinnen und leeren Fensterhöhlen traurig herniedersah. Das Mädchen hatte, durch den Anblick trübe gestimmt, ihre Geige abgesetzt und that nur dann und wann mit den schlanken Fingern einen spielenden Griff in die Saiten. Als sie aber jetzt die Höhe erreichten, hob sie plötzlich wieder das Instrument an ihr Hälschen, und nun strich sie mit dem Bogen einen so hellen Klang und fingerte so luftig die munterste Tanzweise, die sie wußte, daß Herr Raimon, der das Haupt wieder gesenkt hatte, verwundert aufsah, denn wohl erkannte er die Melodie, die an jenem ersten Abend ihn gebannt hatte. Und als er eben fragen wollte, was sein liebes Kind auf einmal so froh mache, sah er den Grund mit eigenen Augen und hielt in heftiger Bewegung den Zügel an.
Aus dem dunklen Thorbogen trat Gaudairenca ihnen entgegen. Sie hatte einen grünen Kranz von Lorbeern und Granatzweigen in der Hand, mit dem sie leise den Nahenden winkte, vollends heraufzukommen. Wie nun das Pferd, muthiger als sein Herr, sich wieder in Bewegung setzte und endlich vor der Zugbrücke hielt, ward auch die Gestalt des Bruders in dem alten Gemäuer sichtbar, der den Hut schwenkend die Einziehenden begrüßte.
Die schöne Frau aber, jetzt nicht mehr mit blassen Wangen, sondern von Güte und Freude über und über erglühend wie eine Braut, rief ihrem Gatten zu:
Ihr seid langsam gereist, Herr Raimon. Wir haben indeß auf einem Umweg uns getummelt, Euch den Vorsprung abzugewinnen. Denn wahrlich, es war ein thörichtes Wort, daß ich Euch erlaubte, das Kind hier allein als Herrin walten zu lassen. Wo die Tochter ist, muß auch die Mutter sein, zumal es eine erfahrene Hausfrau braucht, um die Schäden dieses alten Schlosses auszubessern und das Nest wieder wohnlich zu machen für die Nachtigall. Ihr braucht darum aber nicht zu fürchten, daß ich Zeit behalten werde zum Singen, und daß hinfort mehr als Ein Troubadour unter diesem Dache hausen werde. Kommt also und ruhet aus, und laßt Euch die Füße waschen, die des steinigen Weges nicht gewohnt waren.
Gaudairenca! rief er mit ersticktem Laut – ist's möglich? – ist's abgebüßt?
O Raimon! flüsterte sie, indem sie sich an seinen Hals warf. Ich weiß nicht, du böser Mann, ob deine Buße lang genug war; die meine aber, da ich doch nichts verbrochen, hat mich fast das Leben gekostet! Nun sollst du mir, ob auch in grauen Haaren, Lust und Lachen wieder zurückbringen!