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(1880)
Am Hofe des dichterfreundlichen Königs Alfons II. von Aragon lebte um die Wende des zwölften Jahrhunderts ein wunderlicher Heiliger, den seine Mönchskutte und selbst die Priorwürde, zu der er im Lauf der Jahre gelangte, nicht hinderten, das Gewerbe eines fahrenden Sängers zu üben und sich mit hitziger Leidenschaft in die allerweltlichsten Handel zu mischen.
Als der verarmte Sprößling eines edlen Hauses aus Vic in Auvergne war er schon in jungen Jahren in die Abtei von Orlac eingetreten. Aber das härene Hemd und die strenge Disciplin, die ihm dort zu Theil wurden, hatten das Feuer seines ritterlichen Blutes nicht zu dämpfen vermocht. Auch hinter den Klostermauern verfolgte er den Lauf der Welt mit eifrigem Antheil, und da er die Waffen nicht mehr führen durfte, entlud er seinen thatenlosen Grimm und was er an politischen Wünschen und Meinungen auf dem Herzen hatte in schneidigen Liedern zu Schutz und Trutz, Sirventese genannt, die seinen Namen bald durch die ganze Provence bekannt und, je nach der Partei, die er verfocht oder angriff, geliebt oder gefürchtet machten.
Nicht seinen weltlichen Namen zwar, der spurlos verschollen ist. Damals wie heute wurde er nach dem Kloster, zu dessen Prior der Abt von Orlac ihn geweiht hatte, nur der Mönch von Montaudon genannt. Da nun die Fürsten und Barone der Nachbarschaft gar wohl erkannten, von wie großem Nutzen es ihnen sein mußte, die fernhintreffende Dichtkunst dieses kecken Parteigängers in ihre Dienste zu nehmen und nach ihren Zielen und Zwecken zu lenken, luden sie den Mönch von Montaudon ein, sein Kloster zu verlassen und sich, so lang es ihm gefiele, bald hier bald dort an den Höfen seiner Gönner aufzuhalten. Hiezu gab der Abt von Orlac um so williger seine Zustimmung, als der dichtende Prior alle Geschenke und Gaben, die seine Kunst ihm eintrug, dem dürftigen Kloster und baufälligen Kirchlein von Montaudon zu Gute kommen ließ, auch getreulich, wenn er etliche Jahre fern gewesen war und seine Verse gleichsam wie das Glöckchen am Klingelbeutel munter hatte läuten lassen, in seine Priorzelle zurückkehrte, dort nach dem Rechten zu sehen und wieder eine Zeit lang einer gottseligen Beschaulichkeit zu fröhnen.
So kam es, daß endlich auch der Herr von Aragon auf den Troubadour in der Kutte aufmerksam wurde und ihm freundliche Botschaft sandte, er möge an seinen Hof kommen, dort unter anderen gefeierten Sängern sich's kurz oder lang als Gast seines königlichen Gönners gefallen zu lassen. Auch hiergegen hatte der würdige Abt nichts einzuwenden, ja er entband den Prior ausdrücklich von der strengen Observanz und wies ihn an, sich in Allem den Wünschen eines so hohen und gnädigen Fürsten zu fügen. Alfons nun, der einen lebensfrohen und zu mancherlei Humoren aufgelegten Sinn hatte, befahl alsbald seinem mönchischen Gast, sich wieder in die weltlichen Bräuche zu schicken, das strenge Fasten zu meiden, den Damen sich höflich zu bezeigen und sich sogar in Liebesliedern zu versuchen.
In dies neue Leben sich einzugewöhnen, scheint den geistlichen Herrn nicht sonderliche Ueberwindung gekostet zu haben, wobei die adlige Erziehung, die er als Knabe genossen, ihm wohl zu Statten kam. Auch war das klösterliche Kleid, das er im bunten Gewühl des Hofes nicht ablegte, kein Hinderniß, daß er den Damen gefiel und für seine zärtlichen Canzonen Gehör fand. Was in diesen uns heutzutage seltsam anmuthet, eine gewisse lehrhafte Trockenheit und scholastische Spitzfindigkeit, wurde durch die ansehnliche Erscheinung des Dichters aufgewogen, der ein hochgewachsener Mann war, mit feurigen Augen und einem braunen, wallenden Bart, nur durch ein Muttermal an der linken Schläfe in Gestalt einer purpurrothen Himbeere ein wenig entstellt. Vielleicht auch wurde gerade die Künstlichkeit seiner verliebten Lieder ihm zum Verdienst angerechnet. Er rühmt sich wenigstens, »schöne Augen und Wangen geküßt und manche Wallfahrt unternommen zu haben, nur um Gott zu bitten, er möge das Herz seiner Dame wissen lassen, wie treu er sie liebe«.
So hätte er wohl noch lange Zeit das vergnüglichste Leben von der Welt führen können, wenn auch nicht zur größeren Ehre Gottes, doch zu Nutz und Frommen der armen Klosterbrüder, die gleichfalls bessere Kutten trugen und einen minder sauern Wein tranken, seitdem ihr Prior die Füße unter eines Königs Tafel streckte. Mitten aber in aller Pracht und Ehre seiner Hofdichterschaft stach ihn ein mönchischer Kitzel, auch einmal wieder ein wenig zu predigen, freilich in Versen und auf eine muntere Art, doch immerhin so, daß er es mit der schöneren Hälfte seiner höfischen Gemeinde heillos verdarb.
Schon damals nämlich war die Unsitte des Schminkens stark im Schwange, wie sie denn zu keiner Zeit und unter keinem Himmelsstrich völlig außer Uebung gekommen ist. Was unsern dichtenden Prior reizte, gerade an dieser, doch nicht wohl zu ewiger Höllenstrafe verdammten Schooßsünde der Frauen ein satirisches Müthchen zu kühlen, ist nicht überliefert worden. Dagegen haben sich die beiden gereimten Gespräche (Tenzonen) erhalten, in denen der Dichter keinen Geringern als Gottvater selbst mitreden läßt, vielleicht um etwaige Proteste der beleidigten Damen durch das Ansehen des höchsten Richters von vorn herein niederzuschlagen.
Der Schauplatz beider heiliger Conversationen ist der Himmel, wo den Frauen ein förmlicher Prozeß gemacht und ihre Sache zunächst von dem Dichter selbst vertheidigt wird. Denn die erste dieser Tenzonen lautet wie folgt:
Durch gutes Glück hatt' ich einmal
Ein Gespräch im Himmel droben,
Wo die Mönche Klag' erhoben,
Die Weiber schminkten sich zumal;
Vollführten da ein groß Geschrei:
Die Farben stiegen schon im Preis,
Weil sie die Wänglein roth und weiß
Bemalten, was doch sündlich sei.
Gott sprach zu mir mit offnem Sinn:
Mönch, ich hab' es wohl vernommen,
Daß ihr seid zu Schaden kommen.
Drum mir zu Lieb' geh eilends hin,
Verbiete solches Thun den Frau'n.
Genug der Klagen hört' ich an,
Und lassen sie nicht ab fortan,
Sie sollen schlimme Dinge schau'n!
Mein Herr und Gott, sprach ich, erwägt
Billiglich, daß alle Frauen
Lieben zierlich auszuschauen,
Das hat Natur in sie gelegt.
Drum sei es Euch kein Aergerniß,
Und schweigen sollt' der Mönche Schaar!
Daß sie den Weibern immerdar
Gehässig waren, ist gewiß.
Mönch, sprach der Herrgott, Thorheit nur
Hat dir jetzt im Sinn gelegen,
Daß sich meinem Schluß entgegen
Soll schmücken meine Creatur.
Sie gliche ja mir selber ganz,
Wenn sie, die täglich altern soll,
Mit bunten Farben listenvoll
Sich schüfe neuen Jugendglanz. –
Ihr redet, Herr, so gar ergrimmt,
Weil Ihr thront so hoch im Blauen,
Und doch lassen nie die Frauen
Vom Schminken, wenn Ihr nicht bestimmt,
Daß ihre Schönheit nicht verfällt,
Bis sie der Tod ruft ab von hier.
Wollt Ihr das nicht, so müsset Ihr
Die Farben tilgen von der Welt.
Hieran schließen sich noch ein halb Dutzend Strophen, in denen die Sache in einem Tone weitergeführt wird, der heutzutage weder auf Erden noch vollends im Himmel als wohlanständig angesehen würde, gegen die Hofsitte jener Zeiten aber so wenig verstieß, daß der Dichter nicht nur den Beifall seines männlichen Publikums gewann, sondern auch die Gunst der Frauen noch nicht verscherzte, obwohl sie den Schalk in der Maske des Fürsprechers wohl witterten. Dieser Erfolg aber machte ihn übermüthig und reizte ihn, das verfängliche Thema in einer zweiten Tenzone zu behandeln, nun freilich mit einer so beißenden Schärfe, daß es den Betroffenen über den Spaß gehen mußte.
Wiederum wird im Paradiese vor Gottes Angesicht offenes Gericht gehalten zwischen den Mönchen als Klägern und den Weibern als Beklagten.
»Jene klagen, daß sich die Weiber der Malerei, einer mönchischen Erfindung, bemächtigt hätten und durch die Röthe ihrer geschminkten Wangen die Votivgemälde der Kapellen verdunkelten; die Frauen behaupten dagegen, sie seinen vor der Erfindung der Votivgemälde im Besitz der Malerei gewesen, und Eine von ihnen bemerkte, sie sehe nicht ein, was die Mönche verlören, wenn sie den Spöttern zum Trotz sich die Falten unter den Augen zu bemalen und zu verstecken wisse. Nun legte sich Gott in's Mittel: er forderte die Mönche auf, den Frauen, die nicht über fünfundzwanzig Jahre alt seien, dreißig Jahre zum Schminken zu vergönnen; allein die Mönche weigern sich und wollen nur aus Gefälligkeit für Gott zehn Jahre unter der Bedingung zugestehen, daß sie alsdann in Frieden gelassen würden. Endlich bringen St. Peter und St. Lorenz einen Vertrag zu Stande, jede Partei giebt fünf Jahre nach, und so vereinigt man sich auf fünfzehn; allein dieser Vertrag wurde, wie der Dichter weiter bemerkt, von Seiten der Frauen, welche er betrifft, bald überschritten. Sie legen so viel Weiß und Roth auf, wie kein Votivgemälde enthält; sie mischen zu dem Ende Quecksilber mit verschiedenen Färbestoffen, oder Pferdemilch mit einer Art Bohnen, welche den alten Mönchen zur Speise dienten; wenn man alle ihre Salben zusammenrechnet, so kommen über dreihundert Büchsen heraus. Nie war es St. Petrus' oder St. Lorenz' Ansicht, die Alten, welche längere Zähne haben als ein Eber, in den Vertrag mit einzuschließen. Der Dichter behauptet, sie hätten den Safran so vertheuert, daß man sich im heiligen Lande darüber beklage, und fordert sie auf, die Waffen zu ergreifen, über das Meer zu setzen und diesen Färbestoff zu erfechten.«
Daß der Bußprediger durch diesen bitterbösen Ausfall, wenn er auch in der Sache nichts änderte, wenigstens die Lacher auf seine Seite brachte, ist nicht zu verwundern. Auch verhielten sich die Angegriffenen kluger Weise so still, daß man fast hätte glauben sollen, sie seien in sich gegangen und hätten die beschämende öffentliche Verhandlung ihrer Sünde als eine gerechte Buße hingenommen. Auch fühlten sie sich freilich zu schwach, um dem unhöflichen Feinde mit seinen eigenen Waffen zu begegnen, und wenn es unter den weltlichen Sängern auch nicht an Solchen fehlen mochte, die in Hoffnung eines zärtlichen Dankes gern eine dichterische Lanze mit dem streitbaren Mönch gebrochen hätten, wehrten sie doch all solche Anerbietungen ab, um den Gegner, dem eine Niederlage durch weibliche Kunst und List zugedacht war, vollends sicher zu machen, als habe er das schwächere Geschlecht für ewige Zeit gedemüthigt.
So saß er eines Morgens in seinem hellen, wohlausgestatteten Gemach, als ein Diener bei ihm eintrat mit der Meldung, in der nahen Kirche des heiligen Lorenz harre seiner eine vornehme Dame, die eigens hiehergereist sei, um dem Herrn Prior ihre Beichte abzulegen. Da dieser am Hofe, obwohl er täglich in der Frühe eine Messe las, kaum noch in seiner geistlichen Eigenschaft figurirte, wunderte ihn dies seltsame Begehren. Doch folgte er alsbald dem Boten und sah, als er in die Kirche trat, die Fremde schon im Beichtstuhle knieen, in ein eifriges Gebet versunken, so daß sie nicht einmal den Kopf wandte, als seine Schritte an den hohen Wölbungen wiederhallten. Sie war ganz in schwarzen Sammet gekleidet, das Gesicht durch einen dichten schwarzen Schleier verhüllt, den die gefalteten weißen Hände hoch über der Stirn an das Gesicht drückten. Nur so viel vermochte der Prior im Vorbeiwandeln zu erkennen, daß sein Beichtkind vom schönsten Wuchse war und in der Blüte der Jahre, da eine Fülle blonder Haare wie Gold durch die seidenen Maschen des Schleiers erglänzte.
Er hatte kaum seinen Sitz eingenommen und das Ohr gegen das Gitterfensterchen geneigt, als die Fremde zu reden anfing, mit einer halblauten, schüchternen Stimme, die aber lieblich klang, wie das erste Girren und Zwitschern eines kleinen Vogels zwischen Nacht und frühem Tag.
Hochwürdiger Herr Prior, sagte sie, ich habe Euch um Verzeihung zu bitten, daß ich Euch hieher bemüht habe, meine Beichte zu vernehmen, da doch der Pfarrer dieser Kirche bei der Hand gewesen wäre und Ihr jetzt andere Dinge zu thun habt, als eine reuige Sünderin zu absolviren. Da aber die Todsünden, die mein Gewissen belasten, Vergehungen gegen Euch selbst, Eure Person und Eure geistliche Würde sind, habe ich es als eine Verschärfung meiner Buße betrachtet, wenn ich mich gerade vor Euren eignen Ohren als Diejenige darstellte, die ohne Eure und Gottes Barmherzigkeit für ewig verdammt sein wird.
Dem Prior, da er diesen seltsamen Eingang vernahm, versagte jedes Wort der üblichen Ermahnung, die er überdies bei einer so zerknirschten Sünderin sparen zu können meinte. Auch war er allzu begierig zu erfahren, in wie fern er selbst, der Wildfremden gegenüber, in ihre Beichte mit verwickelt sein möchte, als daß er durch ein überflüssiges Wort die Lösung des Räthsels hätte aufhalten mögen. Sprich, meine Tochter, sagte er. Gottes Gnade ist unerschöpflich, und ich selbst bin ein armer Sünder, der verzeihen muß, auf daß auch ihm verziehen werde. Da fuhr sie mit noch leiserer Stimme fort: Wisset, hochwürdiger Herr, daß, die zu Euch spricht, die Gräfin Faidide von Limoges ist, die bis vor wenigen Jahren sich für eine der glücklichsten Frauen unter dem Monde hielt, da sie Alles besaß, was ihr Herz begehrte, und von keinem Verlangen träumte, das ihr jemals unerfüllt bleiben sollte. Nun aber hat der Himmel für gut befunden, ihren freudigen Sinn zu dämpfen, indem er ihr eine schwere Versuchung schickte.
Hier schwieg sie ein wenig, als ob eine weibliche Scheu ihr die Zunge schwer mache. Dann sprach sie weiter:
Ich bin einfach erzogen worden, trotz meines Ranges und Reichthums, und der Gemahl, den meine Eltern mir wählten, war ein Vetter von mir, jung und lebensfroh, der Jagd und ritterlichen Hebungen ergeben, aber ein Tropfen Tinte hat nur selten seine Finger befleckt, und den Wissenschaften und Werken der Dichter ist er fremd geblieben. So hatte auch ich bisher den Liedern der Troubadours nicht viel anders mein Ohr geliehen, als man dem Vogelgesang oder dem Rauschen eines Springbrunnens lauscht, bis ich eines Tages eine Canzone vernahm, die eine Dame, ein Gast unseres Hauses, auswendig wußte, ein Liebeslied von so eigenem Klang und Sinn, wie ich noch keines je vernommen. Ich gestehe Euch, hochwürdiger Herr, daß ich nachdenklich wurde und zum ersten Mal darauf verfiel, von allen Freuden des Lebens möchte es doch noch eine geben, die mir versagt geblieben, die nämlich, in so schönen Worten und Bildern gefeiert und um Liebe gebeten zu werden. Wie aber erstaunte und erschrak ich, als ich hörte, der Dichter, der diese süße Weise ersonnen, sei nicht ritterlichen Standes, sondern gehe in Kutte und Tonsur durch die Welt. Von Stund' an verfiel ich in eine tiefe Schwermuth. Denn ich konnte mir nicht verhehlen, daß ich keinen anderen Gedanken mehr hatte, als an Euch, was doch in Wahrheit eine schwere und zwiefache Sünde war, einmal gegen meinen Gatten, dem ich meine Treue in Zeit und Ewigkeit verpfändet, und ferner gegen Euch, da ich es stets als eine Todsünde erachtet habe, in weltlicher Liebe zu einem Geistlichen zu entbrennen. Mag immerhin Euch selbst von Euren Oberen ein Indult gegeben sein, als ein höfischer Sänger schönen Frauen zu huldigen, so werden doch diese selbst der Verantwortung nicht enthoben, wenn sie Eurer Weihen vergessend nur auf die edlen Gaben Eures Geistes und Eurer Person blicken. Und dies ist meine erste große und schwere Schuld, die ich überdies weder bereuen noch von mir abwälzen konnte, da ich Euch flüchtig einmal in Puy Sainte-Marie gesehen und eines Eurer Gedichte selbst habe vortragen hören.
Sie verstummte wieder, und nur ein Seufzer gab zu erkennen, daß die Beichte sie fühlbar erleichtert hatte. Der treffliche Prior aber, dem bei diesen raschen, flammenden Worten ein wenig warm unter der Kapuze geworden war, hatte nicht Zeit, auf eine schickliche Antwort zu sinnen, die zugleich der Pflicht seines geistlichen Amtes genügt und die schöne Sünderin nicht allzu sehr in ihrer Zerknirschung bestärkt hätte, da er die Früchte einer so unverhofften Gunst durchaus nicht zu verscherzen wünschte. Denn ehe er noch den Mund öffnen konnte, hatte sein Beichtkind sich schon wieder gefaßt, und er vernahm jetzt mit nicht geringerem Erstaunen, daß hier Nichts mehr für ihn zu hoffen sei.
Er brauche sich nicht zu bemühen, sagte die Fremde, die sündige Neigung in ihrer Brust zu bekämpfen. Ihm selber sei dies schon viel früher gelungen, und zwar, indem er einer sehr von ihr geliebten Person einen schweren Kummer zugefügt habe. Sie besitze eine jüngere Schwester, Brunessinde von Venzenac, seit Kurzem vermählt, aber durch die Geburt eines Kindes in eine langwierige Krankheit verfallen, von der sie nur kümmerlich wieder genesen sei. Um nun den Verfall ihrer Schönheit dem eigenen Manne, dem die blassen Wangen und matten Augen verhaßt seien, zu verbergen, habe sie ihre Zuflucht zu allerlei weiblichen Künsten genommen, die ihr gar unschuldig erschienen, zumal sie von so Vielen ihres Geschlechtes geübt würden. Sie habe ein wenig Roth und Weiß aufgelegt und durch einen Strich unter dem Augenlide den Glanz ihres Blickes zu erhöhen gesucht, nur um die Neigung ihres Mannes nicht zu verlieren. Und nun stellt Euch vor, hochwürdiger Herr, fuhr die Knieende fort, wie tödtlich sie betroffen wurde, als eines Tages bei der Tafel ihr eigener Gemahl Eure beiden Tenzonen zum Besten gab! Nicht nur daß sie fürchtete, sein Blick möchte dadurch geschärft werden, so daß er hinter ihre harmlosen Schliche käme: auch das strenge Gericht, das Ihr Gott den Herrn über unsere Malkunst halten lasset, fiel ihr schwer aufs Herz, und es fruchtete wenig, daß ich sie tröstete: Ihr selber könntet das so genau nicht wissen, vielmehr hättet Ihr das himmlische Parlament nur erdichtet, um uns armen Frauen einen Tort anzuthun, – sie blieb dabei, daß sie hinfort es nicht mehr wagen dürfe, ihrer armen erblichenen Schönheit ein wenig aufzuhelfen, und gerieth darüber in so heftigen Zwiespalt ihrer Aengste und Wünsche, daß sie nach kurzer Zeit von Neuem das Bett hüten mußte und noch immer nicht wieder aus der Dämmerung ihres Krankenzimmers an das helle Licht des Tages hervorgehen mag.
Nun sehet, hochwürdiger Herr, als ich dies erfuhr, hat sofort meine unerlaubte Liebe zu Euch sich in einen Haß verwandelt, der, wenn auch durch die Liebe zu meiner armen Schwester ein wenig entschuldigt, doch einem Geweihten des Herrn gegenüber nicht minder strafbar sein dürfte, als jenes frühere Gefühl. Dieselbe Kunst, die mein Herz Euch zugewendet, hat es Euch nun wieder entfremdet, ja mit so bösen Wünschen zu Eurem Schaden erfüllt, daß es nicht an meinem Willen liegt, wenn Ihr noch keine Strafe des Himmels für diese gehässigen Rügelieder erlitten habt. Noch mehr aber lud ich auf mein Gewissen, indem ich, um der Schwester zu zeigen, daß das Schminken unmöglich in den Augen des gütigen Gottes ein Gräuel sein könne, nun auch meinerseits mich darin übte und kecklich vor aller Welt mit meinem schimmernden Farbenschmuck erschien. Der Himmel aber hat nicht ungestraft seiner spotten lassen. Denn durch eine wundersame Gewalt haben sich das Weiß und Roth und die zarte Tusche, mit der ich meine Brauen dunkel machte, damit sie gegen mein lichtes Haar verführerisch abstächen, dergestalt in mein Gesicht eingegraben, daß ich sie nun nicht mehr wegzuwaschen vermag und als eine von Gott Gezeichnete bis an meines Lebens Ende herumgehen muß. Mit diesen Worten schlug sie den Schleier zurück und zeigte ihr Gesicht zum ersten Male frei und offen ihrem Beichtvater, dessen Augen selbst in dem Zwielicht der alten Kirche und durch das Gitter des Beichtstuhls hindurch an diesem hellen Antlitz so viel zu bestaunen fanden, daß seine Lippen darüber das Reden vergaßen. Er meinte, nie ein reizenderes Frauenbild gesehen zu haben, und wenn es eine Buße des Himmels war, daß die gottlosen Farben von Wangen und Lippen nicht weichen und die feinen schwarzen Bogen über den saphirenen Augen nie wieder ihre Goldfarbe gewinnen sollten, so war dies ganze Teufelswerk doch so listig angestellt und vollendet durchgeführt, daß selbst ein geschworener Feind solcher Künste davon bezaubert werden mußte.
Doch hatte er noch Besonnenheit genug, seine Bewegung nicht zu verrathen, sondern zu thun, was seines Amtes war: mit gemessenem Ton einen geistlichen Spruch und ernstliche Ermahnung an den büßenden Engel zu richten, von jener ersten Sünde ihrer Liebe zu ihm sie zu entbinden und auch für die größere des Hasses ihr Indulgenz zu verheißen, falls sie dieselbe ernstlich bereuen und hinfort nur mit freundlichen Gedanken sich seiner erinnern wolle. Nachdem er ihr noch das Beten etlicher Rosenkränze und Litaneien an die heil. Jungfrau auferlegt, erhob er sich, mit einigem Zögern, da es ihn einen kleinen Kampf kostete, von dieser holden Frau zu scheiden, ohne sich nun auch in weltlichem Tone mit ihr unterhalten zu haben.
Auch die Fremde hatte sich von den Knieen erhoben, aber die Geberde, mit der sie ihm gegenüberstand, verrieth, daß sie noch etwas auf dem Herzen habe. Also blieb auch er wieder stehen und befragte sie – jetzt mit aller Courtoisie, die seine Seelsorgerpflicht bis dahin ihm untersagt hatte, – ob er noch etwas für sie thun und, da sie von ferne hergekommen, ihr etwa bei Hofe gefällig sein könne.
Sie lächelte zum ersten Mal, und eine kleine Schalkheit, die ihr aus den Augen blitzte, machte ihr Gesicht noch tausendmal holdseliger.
Ich hätte wohl noch ein Anliegen, hochwürdiger Herr, sagte sie mit leichtem Erröthen, aber ich weiß in der That nicht, ob ich Eurer Güte und Geduld so viel zumuthen darf. Eine erfahrene alte Frau, der ich meine Noth geklagt, hat mir gesagt, ich würde die leidige Tünche meines Gesichts nur wieder verlieren, wenn eine geistliche Hand sie mit geweihtem Wasser bestriche. Wolltet Ihr nun in der That einer verirrten armen Seele zu ihrer Rettung behülflich sein, so tauchet dies Tüchlein in den Weihbrunn dort und versucht, ob Ihr das höllische Blendwerk aus meinem Antlitz zu tilgen vermögt.
Sie reichte ihm mit diesen Worten ein kostbares seidenes Tuch, mit goldenen Fäden durchwirkt und mit einer duftigen Essenz getränkt, das er, ohne ein Wort zu erwidern, nahm und in den nächsten Weihkessel neben dem Beichtstuhl tauchte. Als er sich wieder nach ihr umwendete, sah er sie auf den Marmorfliesen knieen, wie ein Lämmlein, das geschoren werden soll, recht mitten im Hochsommer, wo es sein Vließ mit Freuden hergiebt. Auch hielt sie den Schalk, der hinter ihren Lippen und Augen lauerte, so gut im Zaume, daß er ganz davon überzeugt wurde, sie erwarte von ihm einen großen Dienst. Sofort beugte er sich zu ihr nieder und versuchte mit dem genetzten Tüchlein ganz ernstlich ihre leuchtenden Wangen abzuwaschen. Doch schien es, als erhöhe er nur den Glanz der Haut durch sein eifriges Bemühen, und auch die zarten Härchen in den Augenbrauen blieben so dunkel wie zuvor. Ihm selbst stieg dabei das Blut ins Gesicht, das rothe Muttermal an der Schläfe brannte wie Feuer, und seine Hand zitterte.
Es ist umsonst, sagte er endlich. Ihr müßt dieses Zeichen Eurer Thorheit nun an Euch behalten, und wenn ich nicht wüßte, welch sündigem Vorsatz es seine Entstehung verdankt, würde ich sagen, daß manche Frau Euch darum beneiden könnte.
Meint Ihr das im Ernst? erwiderte sie, indem sie sich leicht wie eine Feder vom Knieen erhob. Nun, so will ich hinnehmen, was der Himmel über mich verhängt hat, und mir weiter keine Sorge darum machen. Vielleicht, wenn die dreißig Jahre verstrichen sind, die St. Petrus und St. Lorenz uns bei Gottvater ausgewirkt haben, verschwindet diese garstige Malerei von selbst. Und somit habt Dank, mein theurer Beichtvater, und schließt die arme Fadide in Euer Gebet ein. Sie selbst wird hinfort sich ewig als Eure Schuldnerin bekennen.
Damit neigte sie sich vor ihm mit einem bezaubernden Lächeln, wobei sie die schönsten jungen Zähne sehen ließ, zog den Schleier wieder über ihr blondes Haupt und war mit leichten Schritten, wie ein schlankes Rauchwölkchen schwebt, aus dem Portal der Kirche entschwunden.
Der Prior machte nicht sein klügstes Gesicht, als er ihr nachschaute. Wie er jetzt ihre Beichte sich zurückrief, kamen ihm starke Zweifel, ob es mit der ersten Sünde ganz so ehrlich gemeint gewesen sei, wie mit der zweiten, und vollends ihre Bitte, die weiß' und rothe Teufelei zu beschwören, die ihn von ihren Wangen anlachte, schien ihm auf einmal so verdächtig, daß er sich ingrimmig schämte, ihr willfahrt zu haben. Aller Aerger und Unmuth aber, sich von einem übermüthigen Weibe genarrt zu sehen, ging alsbald in Rauch auf, da die Funken, die ihr schalkhaft-andächtiger Blick in ihm zurückgelassen, eine große Flamme in seiner Brust anfachten und bald nur der Eine Gedanke in ihm lebendig war, daß er nie einer holderen Frau begegnet sei, und daß er sie wiedersehen müsse, es koste was es wolle.
Denn wenn er bisher Frauendienst nur zu seiner Ergötzung, und weil es zu den Pflichten eines fahrenden Sängers gehörte, betrieben hatte, empfand er jetzt zum ersten Mal, was es mit jenem dous cossire auf sich habe, dem süßen Sehnen, das dem Guillem von Cabestaing das Leben gekostet. Es währte auch nicht lange, so hatte er die Glut, die ihm Tag und Nacht keine Ruhe ließ, in ein Lied ergossen, das er seinem Beichtkinde durch einen eigenen Boten nachsandte. Kein Wort stand darin von Rosenkränzen und englischen Grüßen, vielmehr hatte das Blatt sich so völlig gewendet, daß er selbst der Beichtende und Büßende geworden war, der nach einem Wort der Indulgenz schmachtete, sehnsüchtiger als ein armer Sünder, der von einer Blutschuld losgesprochen werden mochte, ehe er das Haupt auf den Block legt.
Auf dieses erste Geständniß aber kam keine andere Antwort, als ein kühler und kurzer Dank durch den Mund des Boten, so daß der ungeduldig Harrende, der sich eine große Wirkung von seiner Confession versprochen, in tiefe Melancholie versank. Diese gebar ihm eine zweite Canzone, der in kurzer Frist eine dritte und vierte folgten, sämmtlich in einem Stil, der dem kecken Satiriker auch in seinen galanten Abenteuern bisher gänzlich fremd gewesen war. Da das Schloß des Grafen von Limoges unfern von der Stadt, wo Alfons II. Hof hielt, höher im Gebirge gelegen war, konnte der Bote, der die drei neuen dichterischen Ergüsse der Gräfin zu Füßen legen sollte, am zweiten Tage mit der Antwort zurück sein. Doch verbrachte der leidenschaftliche Mann auch die Nacht, die dazwischen lag, in wahrem Fieber und ritt dem Boten schon in aller Frühe den halben Weg entgegen. Als dieser ihm aber statt jedes Zeichens einer freundlichen Aufmunterung nur wieder einen Gruß der geliebten Frau brachte und als ein Geschenk von ihr einen kunstvoll aus Sandelholz gearbeiteten und mit Perlmutter eingelegten Rosenkranz, den einer ihrer Oheime vom heiligen Grabe mit nach Hause gebracht habe, sah er in dieser frommen Gabe nur einen Hohn auf sein gar irdisches Bemühen um ihre Gunst, eine Aufforderung, durch geistliche Uebungen sein sündiges Blut zu zügeln, und da er eine Herausforderung nie abzulehnen vermochte, beschloß er, den Kampf in Feindesland zu verpflanzen und zu sehen, ob seine mündliche Beredtsamkeit sieghafter sein möchte, als alle gereimten Briefe.
Also schickte er den Boten unverzüglich wieder zurück mit der Anfrage, ob sein Besuch auf dem Schlosse willkommen sei. Dessen wurde er in den artigsten Ausdrücken versichert, und noch am Abend desselben Tages begrüßte ihn das gräfliche Paar an der Schwelle der einsam gelegenen, aber mit aller Pracht damaliger Zeiten ausgestatteten Burg. Der Graf empfing seinen berühmten Gast so treuherzig, daß dieser kein Arg hatte, die schöne Frau möchte sein poetisches Minnewerben dem Gemahl verrathen haben. Da der Herr von Limoges, wie wir wissen, mehr der Jagd und anderen adligen Vergnügungen, als den Musenkünsten hold war, schien er den Troubadour im Priorgewande wie ein fabelhaftes Wesen, etwa wie einen wundersamen Centauren zu betrachten, statt dessen ihm ein ganz alltäglicher Mann auf einem schlichten Gaul erwünschter gewesen wäre. Fadide nickte dem Gast mit Lächeln wie einem alten Bekannten zu und dankte ihm, daß er sie in ihrer Wildniß aufgesucht habe. Es fehle darin freilich nicht an mancherlei Kurzweil, sie fürchte nur, daß er selbst nicht das finden werde, was er wünsche.
Dies war nun freilich der Fall, da das muntere Leben, das durch die Gastlichkeit seiner Wirthe auf dem Schloß unterhalten wurde, dem neu Hinzugekommenen keine Gelegenheit bot, sich, wie er gehofft hatte, der Herrin seines Herzens zu nähern. Denn sie war beständig umschwärmt von anderen höfischen Galanen, die sie freilich alle gleich kurz hielt, immerhin aber als eine Art Leibgarde gegen jeden Ueberfall ihres geistlichen Freundes gebrauchen konnte. Die Klagen über diese untrauliche Entfernung, die der getäuschte Liebende in schöne Reime brachte, erhielten nie eine andere Erwiderung, als einen drohend aufgehobenen Finger oder ein Kopfschütteln, von einem Lächeln begleitet, wie man Unarten eines Menschen ahndet, den man für unverbesserlich hält, aber wegen anderer guter Eigenschaften nicht zu hart zurechtweisen mag. Daß die schöne Frau jedes dieser beschriebenen Blätter in ihrem stillen Schlafgemach dem Gatten vorlas, der über die anmaßliche Verblendung des Mönchs von Montaudon zuerst aufbrauste, dann aber in das Lachen seines klugen Weibes einstimmte, ahnte der Dichter freilich nicht, so wenig wie alles Uebrige, was im Rathe Gottes, mit dem er in seinen Tenzonen auf so gutem Fuße stand, zu seiner Läuterung beschlossen war. Denn da er, durch seine früheren Erfolge verblendet, nicht anders dachte, als daß die Gräfin nur aus Furcht vor ihrem Gemahl und vielleicht auch aus den alten Gewissensscrupeln sich ihm entziehe, im Herzen aber Nichts sehnlicher begehre, als seinen Wünschen Erhörung schenken zu dürfen, brach er eines Tages durch alle Schranken durch, indem er unangemeldet in ihrem Gemach erschien, wo die Kammerfrau sie eben zu einem Feste schmückte. Er gab vor, er habe eine geistliche Sache mit der Gräfin zu besprechen, konnte aber kaum abwarten, bis sie allein waren, um ihr in den beweglichsten Worten, die wie ein lang zurückgestauter Bergstrom dahinbrausten, sein Herz auszuschütten und ihr vorzustellen, daß Leben oder Tod an ihrem Gewähren oder Versagen hange, daß die Verzweiflung, wenn sie ihm jede Hoffnung entziehe, ihn in sein zeitliches und ewiges Verderben jagen werde.
Fadide hörte ihn mit theilnehmender Miene an, wie einen Freund, der ihr von einer schweren Krankheit erzählte. Dann seufzte sie ein wenig, schlug die Augen nieder, spielte mit dem silbernen Kamme, den sie langsam durch die Spitzen ihres noch aufgelösten blonden Haares zog, und erwiderte dann wie eine Frau, die plötzlich einen Entschluß faßt, nachdem sie lange in ihrem zweifelnden Gemüthe damit gerungen:
Mein hochwürdiger Freund, ich sehe mit Schmerz, daß Ihr Euch in einem kläglichen Zustande befindet, den zu lindern und von Euch zu nehmen Christenpflicht wäre, wenn auch die herzliche Bewunderung, die ich für Eure edlen Gaben empfinde, mich nicht zur Teilnahme antriebe. Doch muß ich Euch offen gestehen, daß ich immer noch schwere Bedenken trage, ob Eure Wünsche vor dem Richterstuhle Gottes nicht als sehr strafbar erscheinen möchten. Ihr seid in den geistlichen Wissenschaften hochgelehrt, ich aber bin nur eine einfache Frau. Falls Ihr mich aus den heiligen Büchern und den Werken der Kirchenväter belehren könnt, es sei keine Sünde, wenn eine Ehefrau ihre Tugend hintansetzt, um die Liebe eines kirchlichen Würdenträgers zu erhören, vielleicht bringe ich die Stimme meines Innern, die mich vor Euch warnt, zum Schweigen. Schwerlich aber werde ich mich daran gewöhnen, einen Mann zu meinen Füßen zu sehen, der mir weltliche Gefühle in geistlichem Gewande beichtet. Ein Duft von Weihrauch, der Eurer Kutte anhaftet, wird selbst im Dunkel der Nacht mich erschrecken und der wallende Bart mich daran erinnern, daß Ihr eher dazu geschaffen seid, als Einsiedler Litaneien zu singen, als ein zärtliches Zwiegespräch zu halten. Das rothe Mal an Eurer Schläfe, das Euch ganz artig steht, wird mir dann wie ein Feuerzeichen entgegenglühen, zur Warnung von meinem eigenen Schutzengel entfacht. Kurzum, ich werde Euch nie, wie es in der Liebe geschehen soll, mit selbstvergessener Freude in meiner Nähe sehen, und wenn Ihr auch mein Herz bethört, meine Sinne werden stets gegen Euch auf der Hut bleiben.
Diese Worte erfüllten den thörichten Mann mit der frohesten Hoffnung. Er wollte sofort beginnen, ihre Bedenken wegen der Sündhaftigkeit eines solchen Einverständnisses durch spitzfindige theologische Gründe und Beispiele aus dem Leben berühmter Heiliger zu widerlegen, als sie ihm lächelnd bemerkte, hiezu sei jetzt weder Ort noch Zeit geeignet, da man sie bei Tafel erwarte. Morgen Abend aber stehe eine große Festlichkeit bevor. Ihre Schwester Brunessinde habe ihren Besuch angekündigt, und zur Feier ihrer Wiedergenesung werde es hoch hergehen auf der Burg. Im Gewühl des Reigentanzes sei es ihr leicht, unbemerkt sich in den Garten hinauszustehlen und ein halbes Stündlein ihren Gästen sich zu entziehen. Da er selbst wohl kaum Verlangen trage, der Frau, der er so schweren Kummer bereitet, unter die Augen zu treten, möge er sich mit Unwohlsein entschuldigen und bis zum Abend auf seinem Zimmer bleiben, dann aber bei den Cypressen drunten am Rande des Blumengartens auf sie warten. Sie verspreche ihm, eine gelehrige Schülerin zu sein und die Aussprüche heiliger Männer, falls sie sie gegründet finde, zu beherzigen. Auch für ein Gewand, das sie nicht sofort an seinen Stand erinnere, werde er vielleicht Ruth zu schaffen wissen.
Hiermit entließ sie ihn und rief der Kammerfrau, um ihren Putz zu vollenden. Der Prior aber eilte in sein Gemach zurück, das Herz von stolzem Glück geschwellt, und da er im Laufe des Tages sein verwandeltes Gemüth nicht zu verbergen vermochte, mußte er sich von seinem Wirth befragen hören, ob ein Fieber ihn befallen habe, da seine Wangen glühten und ein unstätes Leuchten aus seinen Augen strahle. Er machte sich dieses alsbald zu Nutz, um unter dem Vorwande eines Unwohlseins den ganzen folgenden Tag für sich allein zu bleiben, der Weisung seiner Geliebten getreu. Und noch auf andere Art bediente er sich dieser willkommenen Muße in ihrem Sinne. Er hatte nämlich fest bei sich beschlossen, das Aergerniß, das sie an seiner geistlichen Kleidung nahm, aus dem Wege zu räumen. Wie er nun, eifrig darüber nachdenkend, auf welchem Wege er sich ein weltliches Gewand verschaffen möchte, seine Kammer auf und ab wandelte, fiel sein Blick zum ersten Mal auf einen Schrein, der in die Mauer eingelassen und mit einer künstlich beschlagenen Thür und durch ein Schloß, in welchem der Schlüssel steckte, verwahrt war. Als er die Thüre öffnete, sah er mit frohem Erstaunen mehr als einen Anzug, wie er einem ritterlichen Herrn geziemte, vollständig vom Hut bis zu den Schuhen darin aufgespeichert, von verschiedenen Farben und mannichfaltigem Schnitt, Alles reich und köstlich, so daß er erkannte, er sei in der Gewandkammer des Schloßherrn einquartiert worden. Zugleich fuhr es ihm wie ein Blitz durch die Seele, dies habe seine kluge Freundin von Anfang an so gefügt, damit er, falls ihm eine Vermummung räthlich schiene, sich gleich der unverdächtigsten Maske ihres eigenen Herrn und Gemahls bedienen könne. Diese vorausblickende List, weit entfernt, ihm den ganzen Handel sündhafter erscheinen zu lassen, galt ihm nur als ein neues Zeugniß für die verstohlene Erwiderung seiner Gefühle. So zögerte er nicht, einen der stattlichsten Anzüge zu wählen, ganz aus pfirsichfarbenem Sammet mit schwarzem Atlas bordirt und ausgeschlagen, eine Krause von den zartesten Spitzen und einen Gürtel von feinem Stahl, an welchem ein Toledaner Dolch an zierlichen Ketten hing. Ein modischer Hut mit kleiner Feder deckte, wie nach seinem Maße gemacht, sein geschorenes Haupt, daß auch das letzte Abzeichen der Klosterwürde unter der ritterlichen Zierde verschwand. Und jetzt, da er sich in einem kleinen Wandspiegel betrachtete, mußte er seiner Geliebten Recht geben, daß er in dieser Erscheinung mehr zu einem begünstigten Liebhaber tauge, als in dem traurigen Mönchshabit, das dunkel wie ein Häufchen Bettlerlumpen im Winkel lag. Nur sein Bart bewahrte noch den geistlichen Anstrich. Also nahm er eine Scheere und kürzte ihn unbedenklich um gute zwei Drittheile, ihn nach dem Muster zustutzend, das er täglich an den jungen Baronen und Rittern vor Augen hatte. Immer mehr fand er Gefallen an seiner verwandelten Person, die ja, wie wir berichtet, von der Natur nicht karg ausgestattet worden war, und nur jenes Muttermal an der Schläfe, über das er sich sonst nie gegrämt, däuchte ihm plötzlich in dem ganzen wohlgelungenen Werk ein garstiger Schandfleck. Er erinnerte sich, daß die schöne Frau es ein Feuerzeichen genannt hatte, von ihrem Schutzengel entflammt, um sie vor Irrwegen zu warnen. Es schien ihm daher höchst nothwendig, diesen Rest seiner früheren Erscheinung zu tilgen, und da er in einem Kästchen eine Anzahl Töpfchen und Tiegelchen fand mit Farbstoffen und Pinseln, wie sie zu den Malkünsten der Damen gebraucht wurden, besann er sich keinen Augenblick, eine helle Tünche zu mischen, die aufs Haar seiner Gesichtsfarbe glich, und damit die verrätherische Himbeere so lange zu überpinseln, bis jede Spur von ihr verschwunden und die linke Schläfe so glatt und blank wie die rechte war.
Während er dieses Teufelswerk so eifrig betrieb, daß ihm dabei nicht ein einziger von all seinen Stachel-Versen gegen das Schminken das Gewissen ritzte, hörte er draußen auf den Gängen und drunten im Burghof den Schall der festlichen Begrüßungen und empfand eine kleine Neugier, die Schwester der Schloßfrau, jene Brunessinde, die er so schwer gekränkt, zu sehen, und den Wunsch, mit ihr Frieden zu schließen, da er in seiner glückseligen Verfassung gern überall Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen gestiftet hätte. Doch mußte er in der freiwilligen Haft ausharren, bis die Sonne gesunken war. Eine Flasche Xeres, ein Brod und ein Teller voll Oliven war Alles, was er als vermeintlicher Kranker zu seiner Stärkung sich erbeten hatte. Dann aber, als es Nacht geworden war, öffnete er sacht den Riegel an seiner Thür und horchte in das Haus hinüber. Die Halle, worin das Fest von Statten ging, lag nach der anderen Seite; so konnte er unbemerkt die Stiegen hinunterschreiten. Nur als er an der Thür, die sich in den Garten öffnete, einem der Mundschenken begegnete, der ihn wohl kannte, weil er ihm den Becher häufig von Neuem füllen mußte, zog er den Hutrand tiefer ins Gesicht und sprach ein paar Worte Provenzalisch, also daß ihn der Mann, der ein Spanier war, für einen der fremden Herren hielt, die mit der Frau von Venzenac bei ihrer Schwester zu Gaste gekommen waren.
Auch scheute er sich nicht, aufrechten Hauptes und mit gemessenem Schritt den Hofraum zu durchwandeln, der klar vom Monde beschienen war. Erst wie er den Garten betrat, beschleunigte er seinen Gang, nicht aus Furcht, sondern aus sehnsüchtiger Ungeduld, Der Ort, wohin Fadide ihn bestellt hatte, schien noch öde zu sein. Kaum aber hatte er die Cypressen erreicht, so trat eine schlanke Gestalt, in schwarze Schleier gehüllt, ganz so wie sie ihm zuerst in der Kirche begegnet war, hinter dem Lorbeergebüsch hervor und begrüßte ihn flüsternd mit einem freundlichen Vorwurf, daß er sie habe warten lassen. Doch schien sie auf die zärtliche Rede, die er begann, indem er ihre Hand ergriff und sie an seine Lippen zog, kaum hinzuhören, einzig damit beschäftigt, seine Person zu mustern. Sie machte sich von ihm los, ging von allen Seiten um ihn herum, wobei es fast wie ein unterdrücktes Lachen unter dem Schleier hervorklang, und sagte endlich: Verzeiht, Herr Prior, aber Ihr seid in der That unwiderstehlich, und hätte ich gewußt, welchen Eindruck Ihr in ritterlichen Kleidern auf mein schwaches Herz machen würdet, ich hätte Euch diesen Wink fürwahr nicht selbst gegeben. Nun aber lasset uns die kostbare Zeit nicht mit eitlen Possen vergeuden, sondern sagt mir, was Ihr mir zu sagen habt, um mein Gewissen zu beschwichtigen, welches durch Eure höfischen Kleider nur ein wenig eingelullt ist, aber einen gar leisen Schlaf hat. Immerhin würde ich auch einem echten und richtigen Ritter gegenüber Bedenken tragen, meinen bestochenen Augen und Sinnen mehr zu folgen, als der Stimme meiner Pflicht, die mich an die gelobte Treue mahnt.
Mit diesen Worten zog sie den Schleier fest um ihre Schultern und begann den dunklen Baumgang hastig hinunterzuschreiten, so daß sie ihm, der seinen Arm um ihre Gestalt zu schlingen suchte, schmiegsam wie eine Eidechse dem haschenden Knaben beständig entglitt. Es blieb ihm Nichts übrig, als seinen Vortrag, den er sorgsam vorbereitet, stoßweise und ziemlich athemlos zu beginnen, wobei sie ihn oft durch eine scheinbar harmlose Frage oder einen unschuldigen Einwand in Verwirrung brachte. Dieses ganze Gespräch, das uns über die damalige mönchische Sittenlehre unschätzbare Belehrung geben würde, ist leider nicht aufbewahrt worden. Genug, daß der Redner nach einer halben Stunde seinen ganzen Köcher voll scharfer casuistischer Pfeile verschossen hatte und kaum einen schwachen Eindruck auf das wohlgepanzerte Herz der klugen Frau gemacht zu haben schien.
Mein frommer und gelehrter Freund, sagte die Gräfin endlich, indem sie stehen blieb und durch den Schleier hindurch ihn schalkhaft anblitzte, sparet Euren Athem und lasset uns diesen ziellosen Disput unerledigt abbrechen. Alles, was Ihr mir vorgestellt, um aus Weiß Schwarz und Sünde gar noch zu einer Tugend zu machen, kann mich hartnäckiges Geschöpf nicht von meinem Glauben abbringen, daß ich den lieben Gott und meinen theuren Gemahl schwer kränken würde, wenn ich Euch Gehör gäbe. Hinwiederum habt Ihr mir Eure Liebe auf eine so eindringliche Weise in Versen und ungebundener Rede erklärt und mir durch Eure Nachgiebigkeit gegen eine bloße Laune, da ich an Eurer Kutte Anstoß nahm, einen so starken Beweis von der Redlichkeit Eurer Gefühle gegeben, daß Ihr mich wirklich dauert und ich Euch gern begnadigen würde, wenn die Ehre meines Geschlechtes nicht auf dem Spiele stünde. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich gelobt habe, Euch für jenen Angriff auf uns arme Weiber eine kleine Strafe zu ertheilen, und dies Gelübde, so gern ich wollte, darf ich nicht brechen. Indeß will ich es Euch so sanft als möglich machen, da Ihr vielleicht ein schlimmer Priester, aber ein liebenswürdiger Mann seid, der, wenn er kein geschorenes Haupt trüge, wohl verdiente, von Frauenlist ungeschoren zu bleiben. Wie es nun einmal steht – aber horch! mich dünkt, ich höre Schritte nahen. Bei allen Heiligen, ich wollte nicht, daß man uns hier beträfe und Euch, den man im Fieber liegend sich vorstellt, als einen abenteuernden Cavalier –
Sie verstummte, als ob vor Schrecken ihr die Stimme versagte. In der That näherte sich der Schall schwerfälliger Schritte dem Ort, wo sie standen. Rasch zog die Gräfin den verstummten Liebhaber, den ihre zweideutigen Worte betroffen gemacht hatten, sich nach, durch Gänge und Veranden des weitläufigen Gartens, in welchem er selbst sich nimmermehr zurechtgefunden hätte, bis sie ein Treibhaus erreichten, wo die hohen Citronen- und Orangenbäume, sorgfältig mit Strohbündeln überdacht, den rauhen Winter durchdauerten. Jetzt war der spitze Hüttenbau völlig leer und dunkel, und hierhin drängte die Gräfin ihren Freund, warf die Thür hinter sich ins Schloß und schob den Riegel vor. Dieser heimliche Schlupfwinkel schien ihm nicht unerwünscht; er neigte sich zum Ohr der Gräfin herab und flüsterte ihr ein verwegenes Wort ins Ohr. Sie aber schien auf weit bedenklichere Laute zu horchen. Wir sind verloren! rief sie plötzlich und drängte ihn von sich hinweg. Dieses Pflanzenhaus stößt an eine lange Galerie, die mit der großen Halle, worin getafelt wurde, in Verbindung steht. Es scheint, den Gästen ist es drinnen zu schwül geworden; um sich zu lüften, sind sie in die Galerie hinausgetreten und wollen durch diesen Raum den Garten gewinnen. O mein Gott, wohin habe ich mich durch Euch fortreißen lassen!
Faßt Euch, Geliebte! raunte er ihr zu. Noch ist nichts verloren. Den Riegel dort zurück, und wir sind vor ihnen im Freien.
Er wollte nach der Thüre zustürzen, sie aber, als ob die Angst ihr den Sinn verwirrte, ergriff seine beiden Hände, klammerte sich fest an ihn an und flehte mit verworrenen Worten, sie zu beschützen, sie nicht zu verlassen, daß er schon tausendmal dies Abenteuer verwünscht hatte und allen Ernstes mit ihr rang, sie von sich abzuschütteln, als plötzlich die Thür nach der Galerie sich öffnete und zwei Knaben, die Fackeln trugen, an der Schwelle des Treibhäuschens erschienen.
Das Paar hatte nur eben Zeit gehabt, eine unverdächtige Stellung anzunehmen, da sah man schon das vergnügliche Gesicht des Hausherrn, etwas vom Mahle geröthet, all seinen Gästen voran zwischen den Fackeln aufleuchten. In demselben Augenblick trat seine Gattin ihm entgegen.
Mein Gemahl, sagte sie, ich bringe Euch noch einen Gast, der trotz seines späten Erscheinens Euch willkommen sein wird.
Aller Augen waren auf den Unglückseligen gerichtet, der sich hundert Klafter tief unter die Erde wünschte. Die hellen Tropfen traten ihm auf die Stirn, er bedachte daß es ihm nicht einmal erlaubt war, sich hinter die Ausflucht eines Mummenschanzes zu retten, da man vom Carneval weit entfernt war. Wie eine arme Seele, die am jüngsten Tage ihr Urtheil erwartet, stand er vor dem Herrn des Hauses. Der schien sich an seinem kläglichen Verstummen zu weiden, bis endlich, auf einen Wink Fadide's, eine gutmüthige Regung die Oberhand gewann.
Wer ist dieser ritterliche Gast, liebe Frau? sagte er mit einem Lächeln, das dem Angstblick des Priors nicht entging. In der That, er gleicht gar sehr unserm berühmten Freunde, dem hochwürdigen Troubadour, der leider an diesem Abend unter uns vermißt wird, eines bösen Fiebers wegen; fast möchte ich glauben, der geistliche Herr habe sich in einer phantastischen Laune, wie sie Fieberkranke anwandelt, in weltliche Gewande geworfen, um unsere Lustbarkeit zu theilen.
Nicht doch, mein Gemahl, fiel ihm die Gräfin ins Wort. Wie könnt Ihr unsern frommen Gast auch nur im Fiebertraum im Verdacht eines so weltlichen Possenspieles haben? Sehet Ihr nicht, daß mein Begleiter nicht nur Hofkleider trägt, sondern auch einen zierlich gestutzten Bart, wie es der armen Eitelkeit eines Weltkindes verziehen werden mag, nimmermehr aber der gestrengen Zucht eines Bußpredigers? Auch hat der Herr Prior ein rothes Mal an der Schläfe, das er um keinen Preis verstecken würde, da ihm das Uebertünchen natürlicher Flecken und Beschönigen garstiger Stellen eine Todsünde scheint. Daß aber dieser schöngeschmückte Herr Euch an unsern frommen und schlichten Freund gemahnt, geht mit ganz rechten Dingen zu, da er ein Bruder des Priors von Montaudon ist, mit Aufträgen des Abts von Orlac an ihn gesandt. Weil er ihn nun unpäßlich fand, wünschte er sich uns nur im Fluge vorzustellen, um sich alsbald wieder zu seinem kranken Bruder zu begeben. Erlaubt, daß wir in die Halle zurückkehren, ihn mit einem Becher Weins willkommen zu heißen, um so herzlicher, da wir ihn so bald wieder verlieren sollen.
Die ganze Gesellschaft hatte diese kluge Rede der schönen Frau mit angehört, ohne eine Miene zu verziehen, so daß dem ertappten Sünder, obwohl ihm die Augen darüber aufgingen, in welches Netz er sich verstrickt hatte, ein Stein vom Herzen fiel und er sich eilig faßte, die ihm zugeschobene Rolle mit guter Manier durchzuführen. Nur im Gesicht des Grafen sah er einen Zug, der ihm verdächtig schien, als ob sein edler Wirth mit in die Verschwörung verwickelt sei. Doch sagte dieser kein Wort mehr, das dem Beschämten neue Noth gemacht hätte, sondern wandte sich nur zu einer Dame, die ihm zunächst stand, und sagte: Ich bedaure, liebe Schwägerin, daß Ihr nicht schon heute dem eifrigen Seelsorger, der Euch so viel Reue und Kummer verursacht, Euren Dank für seine Bußpredigt abstatten könnt. Doch ist morgen wohl auch Zeit dazu! Für jetzt wollen wir seinem trefflichen Bruder die Ehre anthun, die ihm gebührt.
So nahmen die höflichen Wirthe ihren vermummten Gast in die Mitte, führten ihn unter freundlichen Gesprächen in die Halle zurück und boten ihm Speise und Trank, was er alles in freier und scheinbar heiterer Haltung mit höfischer Sitte hinnahm und genoß. Alsdann aber beurlaubte er sich von ihnen, da er seinen Auftrag dem Bruder nur erst unvollkommen ausgerichtet habe, und bedauerte zu wiederholten Malen, schon in aller Frühe das Schloß wieder verlassen zu müssen. Doch werde dieser Abend und die Huld, die er hier erfahren, ihm unvergeßlich bleiben.
Dies konnte er freilich in aller Wahrheit versichern. Denn als er sich dem festlichen Gewühl entwunden und sein einsames Gemach wieder erreicht hatte, war es ihm nicht anders als einem ertappten Schacher, der die peinliche Frage erlitten und die Spuren der glühenden Zange, mit der man ihn gezwickt, unauslöschlich eingebrannt auf seiner armen Haut davonträgt. Er war auch sofort entschlossen, noch diese Nacht sich davonzumachen, schrieb ein artiges Briefchen an den Herrn des Hauses, darin stand, die Nachrichten, die sein Bruder ihm gebracht, nöthigten ihn, unverweilt in sein Kloster zurückzukehren, so daß er nur schriftlich sich beurlauben und bei dem werthen Paar, dessen Gastfreundschaft er genossen, um ein gütiges Erinnern bitten könne. Dann vertauschte er sein höfisches Gewand, das wie das Hemd des Nessus ihm am Leibe klebte, mit der ehrwürdigen Kutte, in welcher ihm freilich auch nicht sogleich wieder behaglich werden konnte, wusch die Farbenkruste von seiner linken Schläfe und gedachte, als er die rothe Himbeere wieder hervorleuchten sah, dieses Warnungszeichen seines Schutzengels, das er so sträflich übersehen, nun bis an sein Ende in reuigem Muthe vor Augen zu behalten. Als die letzten Geigentöne des ausklingenden Festes verhallt waren, schlüpfte er durch ein Hinterpförtchen ins Freie und wanderte die ganze Nacht, als fürchte er die listige Stimme der holden Feindin, die ihn so schwer hatte büßen lassen, noch einmal zu vernehmen, mit triumphirendem Hohn seine eigenen Verse ihm nachrufend.
Seitdem blieb der Mönch von Montaudon allen Welthändeln fern, einzig auf die Ausübung seines geistlichen Amtes bedacht. Auch weiß man nichts mehr von Liedern, die er gedichtet und im Lande herumgeschickt hätte. Als aber der Tag jenes Festes sich jährte, empfing die schöne Gräfin, zum Dank dafür, daß sie seither von dem ganzen Abenteuer schonend geschwiegen hatte, ein Pergamentblatt aus dem Kloster von Montaudon, darauf stand in schönster Mönchsschrift und zierlichen Reimen geschrieben, wie der Dichter nach seinem Abscheiden von dieser Welt ans Thor des Paradieses gekommen, von St. Petrus aber angehalten worden sei, da er sein Fegefeuer noch nicht absolvirt habe. Der Mönch habe erwidert: er habe einmal in einem gewissen Schloß eine Stunde erlebt in so scharfer Pein, daß sie wohl tausend Jahre, an jedem anderen Läuterungsorte verbracht, aufwöge. Hierauf habe der himmlische Pförtner ihm den Eintritt nicht länger geweigert, auf die Frage des Mönches aber, ob er Frau Fadide hier oben finden werde, geantwortet, sie sei zwar eine große Sünderin, und da sie schon auf Erden es so wohl verstanden, armen Seelen die Hölle heiß zu machen, habe der Böse verlangt, daß sie zu ihm hinunterfahre in den glühenden Abgrund, ihm bei der ewigen Marter der Verdammten zu helfen. Gott Vater aber habe sie ihm abgestritten, da sie ein so liebliches Lächeln und so holde Augen habe, daß er zur Belohnung der seligen Geister sie nicht entbehren könne. Und so habe er sie in seinen himmlischen Garten eingeführt, wo sie auch den armen Prior mit ihrem Gruß beseligen und alle irdische Noth, die sie ihm gemacht, vergüten werde.
So hatte die Courtoisie des Dichters über den Groll des Mönchs am Ende doch den Sieg davongetragen.