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(1881)
Aubert von Puicibot, Sohn eines Kastellans im Limousinischen, wurde schon als Knabe von seinem Vater in das Kloster zum heiligen Leonhart gethan, um dort Wissenschaften zu lernen und sein Leben dem Dienst der Kirche zu widmen. Als er aber zu seinen Jahren gekommen war und schon im Begriff stand, die Weihen zu empfangen, lockte ihn ein schöner Stern, der plötzlich an seinem Klosterhimmel aufging, aus der Dämmerung seines geistlichen Lebens hinweg in den hellen Tag der Welt, wo er sein Heil suchte und sein Verderben finden sollte.
Es war dazumal einer der größten Barone Frankreichs, Herr Savaric von Mauleon, der im nördlichen Poitou große Güter und Herrschaften besaß und in den Kriegen zwischen Frankreich und England die Tapferkeit seines Armes ebenso glänzend bewährt hatte, wie in Friedenszeiten seine Milde, seine adligen Sitten und die Neigung zu Gesang und höfischen Künsten aller Art, – dieser erlauchte Herr war auf einer seiner Reisen auch nach dem Kloster gekommen, in welchem der junge Aubert erzogen wurde, und hatte seinen zahlreichen Hofstaat mit sich geführt, darunter ein schönes adliges Fräulein, Audiart genannt, das seine Gemahlin, da es eine arme Waise war, zu sich genommen hatte und fast wie ein eigenes Kind in ihrem Hause hielt. Dieses holde Gesicht erblickte der weltfremde Novize bei einem feierlichen Amt in der Klosterkirche und ward augenblicklich von so heftiger Liebe entzündet, daß er, als der Besuch sich wieder entfernte, im Kloster weder Rast noch Ruhe fand, die Kutte, wie man zu sagen pflegt, in die Nesseln warf und den Spuren des erlauchten Herrn folgend, eines Tages vor seinem Angesicht erschien, um ihm zu Füßen zu stürzen und nach einer offenen Beichte ihn um Schutz und Hülfe in seinen Nöthen anzuflehen.
Beides wurde ihm von Herrn Savaric, der den Klöstern abhold und den Ketzereien der Albigenser zugethan war, mit Freuden gewährt, der Flüchtling in die Zahl seines Hofgesindes aufgenommen und mit Gewand und Waffen versehen, in denen seine schmucke Jugend sich stattlicher ausnahm, als in der klösterlichen Vermummung. Von Stund an verlegte sich Aubert mit nicht minderem Eifer, als er die geistlichen Wissenschaften betrieben hatte, auf die »fröhliche Kunst«, Gesang und Lautenspiel, da sein Gönner, der selbst unter den Dichtern seiner Zeit nicht den letzten Rang einnahm, ihm rieth, den Stand der fahrenden Sänger zu wählen, und ihn bereitwillig in der Dichtkunst unterwies. Auch machte Aubert, da er heimlich noch einen anderen, viel erfahreneren Lehrmeister hatte, die Liebe nämlich zu jenem schönen Fräulein, in kurzer Zeit gewaltige Fortschritte, ohne darum in der Gunst der Einen, an der ihm lag, sonderlich gefördert zu werden. Denn obwohl es der jungen Audiart sanft einging, sich in zierlichen und ehrerbietigen Versen gefeiert zu hören und zu wissen, daß sie allein die Umwandlung des Klosterzöglings in ein Weltkind bewirkt habe, stand ihr der Sinn doch höher hinauf, als die Frau eines hab- und heimathlosen Troubadours zu werden und etwa gar von Hof zu Hof mit ihm ihren Unterhalt zu ersingen. Sie erklärte dem ungestüm Werbenden gerade heraus, daß sie nur eines Ritters Weib zu werden gedenke, und da sie trotz ihrer Jugend gar wohl wußte, was sie wollte, und fest auf ihrem eigenen Sinn beharrte, sah er freilich ein, daß aller Dichterruhm der Welt allein sie ihm nicht gewinnen könne, und verfiel darüber in eine tiefe Schwermuth, weil er nicht hoffen konnte, ihren stolzen Wünschen mit seiner geringen Person jemals zu genügen.
Das erfuhr Herr Savaric nicht so bald, als er bei sich beschloß, den Jüngling, den er herzlich liebgewonnen, aus seiner Niedrigkeit zu erheben und ihm zu dem zu verhelfen, was ihm als das einzige Glück des Lebens erschien. Also schlug er ihn an einem festlichen Tage, nachdem er mit seinem Gesang eine große Gesellschaft edler Herren und Frauen ergötzt hatte, feierlich zum Ritter und belehnte ihn mit einem Schlößchen nebst hinlänglichem Gebiet, worauf dann nach kurzer Frist die Hochzeit zwischen ihm und dem geliebten Fräulein gefeiert wurde.
Eine Zeit lang genoß Aubert seines Glückes in vollem Maße, da das alte Wort, daß der Besitz der Feind der Liebe sei, an ihm seine Kraft verloren zu haben schien. Denn wie wenn ein Zauber ihm angethan wäre, hing er mit Seel' und Sinnen an seinem jungen Weibe und ward nicht müde, ihre Lieblichkeit und alle Gaben und Tugenden, die er an ihr fand, in Liedern zu preisen, ganz dem Brauche der Zeit zuwider, der es den Dichtern unziemlich erscheinen ließ, ihr eigenes Eheweib zu besingen. Er konnte keine Stunde sich von ihr entfernen, ohne alle Pein einer armen Seele im Fegefeuer zu erdulden, und erschrak daher, wie wenn es zum Sterben ginge, als eines Tages sein erlauchter Gönner ihm ankündigte, er habe eine vertrauliche Botschaft an den König von Aragon zu senden und wisse Niemand, dem er das Geschäft mit getrosterem Muth übertragen könne, als ihm, der sich überdies bei jenem hohen Herrn, dem Freunde der Dichtkunst und ihrer Pfleger, des besten Empfanges zu gewärtigen habe.
So hart es den jungen Ehemann ankam, da er kaum ein Jahr mit dem geliebten Weibe verbunden war, sie auf Monate zu verlassen, konnte er sich der ihm zugedachten Ehre doch nicht weigern, da es der erste Dienst war, den sein Wohlthäter von ihm verlangte. Auch hoffte er, den Auftrag in noch kürzerer Frist, als Herr Savaric meinte, zu erledigen, rüstete sich in großer Eile und trat, von einem reisigen Diener begleitet, die Fahrt nach Spanien an, nach tausend Küssen und Thränen sein schönes Weib in der Hut ihrer Herrin, der Dame von Mauleon, zurücklassend.
Zu seinem großen Kummer fand er die Dinge am Hofe zu Aragon schwieriger und verworrener, als er sich geträumt hatte, und der dritte Monat brach an, ohne daß ein erwünschtes Ende abzusehen war. Briefe gingen fleißig hin und her zwischen ihm und Herrn Savaric, der eben damals seitab von den streitenden Parteien stand und, weltklug wie er war, seinen Beitritt zu der einen oder anderen um den möglichst hohen Preis zu verhandeln gedachte. Noch eifriger flogen die Blättlein über die böse Mauer der Pyrenäen der jungen Strohwittwe zu, die es ihrerseits an zierlichen Antworten nicht fehlen ließ, wenn sie auch die Kunst nicht verstand, ihre Seufzer in Reime zu bringen. Doch war, was sie auf die sehnsüchtigen Lieder ihres jungen Gatten erwiderte, immerhin lieb und hold genug, um die Flamme, die ruhelos in ihm brannte, zu schüren, so daß zuletzt das ungestillte Sehnen und die Qual hoffnungslosen Hinwartens ihm ein hitziges Fieber zuzog, das von ungeschickten Aerzten mißkannt, ihn auf ein hartes Siechenlager warf. Ja es ging das Gerücht, sein Leben sei in Gefahr und er werde das schöne Frankreich nie wieder schauen.
In dieser Zeit, da Aubert bewußtlos viele Wochen daniederlag, gerieth der schriftliche Verkehr zwischen ihm und seinen Leuten zu Hause völlig ins Stocken. Ihm war zu seinem Trost gesagt worden, man habe der jungen Frau die Kunde von seiner Krankheit verhehlt, sie nicht zu ängstigen, und eine weitere Reise vorgegeben, bis tief in das Herz Spaniens hinein, die es ihm verwehre, wie bisher seine Briefe und Lieder an sie gelangen zu lassen. Da man, als er endlich dem Leben zurückgegeben war, ihm noch die größte Schonung seiner Kräfte zur Pflicht machte, verging wiederum einige Zeit, bis er den ersten Brief mit der Nachricht von Allem, was er ausgestanden, an seine Audiart schreiben durfte. Auf diese Botschaft, der er selbst zu folgen gedachte, sobald er völlig aus der ärztlichen Pflege entlassen sein würde, erfolgte Tag um Tag keine Erwiderung, und auch sein Herr und Gebieter blieb völlig stumm, so daß er in der Angst und Unruhe seines Herzens Brief um Brief jenem ersten nachschickte und endlich mit heftiger Entschlossenheit beim Könige selbst darauf bestand, daß er ihm Urlaub gebe, um mit eigenen Augen zu sehen, was denn seine Liebsten und Nächsten auf der Welt so plötzlich stumm gemacht habe.
Da eröffnete ihm der König, nachdem er eingesehen, daß es vergebens wäre, ihn ferner hinzuhalten, wie traurig, während er krank gelegen, sein Geschick zu Hause sich gewendet habe. Ein reicher engelländischer Baron, der zugleich in allen ritterlichen Künsten hochberühmt sei, habe sich am Hofe des Herrn Savaric eingefunden mit einer Botschaft des Prinzen Johann ohne Land, dem Alles daran lag, den mächtigen französischen Herrn auf seine Seite zu ziehen, so daß er ihm die Würde eines Seneschalls von Aquitanien antragen ließ. Während dieser Handel noch schwebte, habe der Fremde seine überflüssige Muße dazu benutzt, der schönen Audiart angelegentlich den Hof zu machen, doch so, daß die Herrin von Mauleon selbst nichts Arges daran gefunden, da sie sonst das thörichte junge Weib wohl besser in ihre Hut genommen haben würde. Um so bestürzter habe sie eines Tages, da die Unterhandlungen eben zu einem günstigen Abschluß gediehen waren, die Nachricht vernommen, der fremde Herr sei ohne Abschied auf und davon geritten, und mit ihm sei die junge Frau verschwunden, ohne von ihrem Besitz an Kleidern und Geschmeide mehr mitzunehmen, als was sie auf dem Leibe getragen.
Umsonst habe man Alles aufgeboten, die Flüchtige wieder einzufangen und zu ihrer Pflicht zurückzuführen. Weit und breit im Lande habe sich von dem Ehrenräuber und seiner Beute keine Spur entdecken lassen.
Als Aubert diesen Bericht vernommen, schüttelte er ganz sanft mit einem ungläubigen Lächeln das Haupt. Man halte ihn noch für so schwach an Verstande, daß man glaube, ihm ein Märchen aufbinden zu können, oder wolle ihn prüfen, ob jeder Rest des Fiebers gewichen und er fähig sei, einen tollen Traum von der wachen Wahrheit zu scheiden. Also ging er getrosten Muthes von dem Könige hinweg, der vor der Stunde der Eröffnung sich gar sehr gefürchtet hatte, und verfaßte einen langen Brief an Herrn Savaric, in welchem er der Posse gedachte, die der König selbst mit ihm anzustellen geruht habe, die er aber klar durchschaue. Dem Schreiben war eine zärtliche Canzone an seine Audiart beigelegt, die mit der Versicherung schloß, daß er in kurzen Tagen zu ihren Füßen liegen und mit ihr über die einfältigen Thoren lachen werde, die seine Audiart besser zu kennen vorgaben, als sein eigen Herz. Dem Boten, der diesen Brief bestellen sollte, gedachte er in kurzen Tagereisen, wie es seine Genesungsschwäche forderte, zu folgen. Der König aber weigerte ihm den Urlaub, bis wenigstens Herrn Savaric's Antwort eingetroffen wäre, und so fest der Unglückliche bei seinem Wahn zu verharren schien, daß man sich einen argen Scherz mit ihm erlaubt, konnte er doch der wachsenden Unruhe, mit der er der Entscheidung entgegensah, immer weniger Meister werden. Da traf endlich ein Brief seines Herrn und Freundes ein, der mit furchtbarer Gewißheit Alles bestätigte, was er bisher für ein höhnisches Blendwerk gehalten hatte. Hinzugefügt waren gütige Freundesworte, den Unglücklichen zu ermuntern, daß er sein Geschick männlich ertrage und in der Liebe und Huld seines väterlichen Gönners Trost suche für das, was ein wankelmüthiges Weib ihm angethan.
Diese Nachschrift aber verfehlte ihres Zweckes, da der unselige Mann, sie gar nicht las; denn sobald er den tödtlichen Schlag empfangen hatte, schlug er eine wilde Lache auf und preßte das Blatt zu einem Ball zusammen, den er dann wiederholt in die Luft warf und wieder fing, als ob er aus seinem Grame sich ein Spiel zu machen gedenke.
Nachdem er es so eine gute Weile getrieben, auch den Zuspruch des Königs, der auf die Meldung von seinem wirren Wesen bestürzt herbeikam, völlig überhört hatte, brach er plötzlich zusammen, ein Blutstrom entstürzte seinen blassen Lippen, und es gelang nur der eifrigsten Bemühung seiner Aerzte, den Wundquell, der sich in seinem tiefsten Innern erschlossen, zu stauen und das entfliehende Leben zurückzuhalten.
Wiederum lag er Wochen und Monde lang in tiefer Dämmerung seines Bewußtseins, und selbst da das Fieber endlich gewichen war, schienen die Lebensgeister noch lange wie gelähmt, so daß es ungewiß war, ob er die Gegenstände erkenne, auf die sein irrender Blick sich richtete, und die Reden vernehme, die an sein Ohr drangen. Zu Niemand sprach er ein Wort, oder gab sonst ein Zeichen des Antheils an dem, was um ihn her vorging. Doch wurde sein Gesicht nach und nach sanfter, und die Verstörung seines Geistes schien einer stillen Wehmuth zu weichen. Als endlich der Winter vergangen war und jenes Morgens, beim Anbrechen eines strahlenden Sonnentages, die Vögel vor seiner Kammer in ein überlautes Singen ausbrachen, füllten sich zum ersten Mal seine heißen, trockenen Augen mit langsam vorquellenden großen Tropfen; er barg sein Haupt in das Kissen, und das wiedergewonnene Leben ergoß sich in einem unaufhaltsamen Strom, wie ein erstorbener Baum im Frühling durch vorbrechende Thränen anzeigt, daß der Saft in ihm wieder lebendig geworden ist.
Als dies dem König hinterbracht wurde, kam er in großer Freude in Aubert's Kammer, setzte sich an sein Bett und wünschte ihm Glück zu seiner wunderbaren Errettung und Wiedergeburt. Das erste Wort, das der Kranke zu stammeln vermochte, war ein Dank für all die huldreiche Fürsorge, die sein königlicher Wirth ihm bewiesen. Dann verstummte er wieder; seine Miene aber zeigte deutlich an, daß sein Sinn nicht mehr verschlossen war für menschliche Rede. Er hörte geduldig Alles an, was Jener ihm sagte, daß er nun ein neues Leben beginnen werde, über welches die Schatten des früheren keine Gewalt mehr haben sollten. Was er verloren, habe seinen Unwerth klar bewiesen, da es von ihm so tückisch habe abfallen können. Ein ritterlicher Mann dürfe nichts theurer achten, als seine Ehre; die seine sei unverletzt, da er selbst keine Schuld daran trage, daß man ihn verrathen und beraubt habe, und so müsse ihm auch in Zukunft die Ehre über Alles gehen und er der Welt zeigen, indem er sein Haupt ungebeugt auf den Schultern trage, daß er höhere Ziele kenne, als einem falschen Glücke nachzuträumen, – und was der weisen und wohlgemeinten Sprüche mehr waren.
Auch schienen sie auf den siechen Mann, der mit still aufmerkender Miene ihnen ehrerbietig lauschte, den erwünschten Eindruck zu machen. Er erwiderte wenigstens kein Wort, das sie bestritt, und dankte dem hohen Tröster, als er sich entfernte, mit einem matten Händedruck und warmen Blick des trüben Auges. Nunmehr genas er sichtlich von Tag zu Tage, und als wieder etliche Wochen verstrichen waren, erschien er eines Morgens in völliger Reiserüstung vor seinem königlichen Pfleger, ihm nochmals für alle Gutthat zu danken und sich alsdann zu beurlauben, da er entschlossen sei nach Frankreich zurückzukehren. Eine dunkle Röthe stieg in dem bleichen Gesichte auf, als der König ihn fragte, ob er an den Hof des Herrn Savaric zurückzukehren vorhabe. Vor Denen, die ihn früher gekannt, versetzte er, habe er nicht das Herz sich blicken zu lassen, ehe das, was ihm zugestoßen, völlig verschollen und vergessen sei. Zudem sei ihm seine Liederkunst während des siechen Winters abhanden gekommen und er auch sonst zu Hofdiensten nicht wohl tauglich. Vielleicht werde er noch eine Weile auf seiner kleinen Burg still sitzen und warten, was die Zeit bringen möge, vielleicht das Kloster wieder aufsuchen, in welchem er seine Jugend verbracht. Der König, der ihn mitleidig betrachtete: Ihr hättet vielleicht besser gethan, erwiderte er, den Frieden jener heiligen Stätte nie zu verlassen. In dieser für den Autor ungewöhnlichen syntaktischen Form findet sich die Passage im Text. Zu erwarten gewesen wäre z.B.: Der König, der ihn mitleidig betrachtete, erwiderte: Ihr hättet vielleicht besser gethan, den Frieden jener heiligen Stätte nie zu verlassen. - Möglicherweise störte Heyse die Prädikat-Doppelung betrachtete, erwiderte. Ein Fehler des Setzers scheint dagegen nicht vorzuliegen. – D. Hrsg. – Nein, sagte der blasse Mann, und in seinen Augen glühte ein dunkles Feuer, ich hätte dann das Beste, was mein armes Leben mir beschert, nie kennen lernen. – Hieran erkannte der König, daß er die Ungetreue trotz ihres schweren Verraths noch nicht aus seinem Herzen verstoßen hatte und das kurze Glück, das sie ihn kosten lassen, um keinen Preis aus seiner Erinnerung verbannen wollte. So ließ er ihn mit Sorgen scheiden, nachdem er ihn reich beschenkt und seiner steten Huld und Gnade versichert hatte, und empfahl ihm herzlich dringend, vor Allem Herrn Savaric wieder aufzusuchen, von dessen Klugheit er hoffte, daß er über die fernere Genesung des erst halb Geheilten wachen werde. Im Stillen war er überzeugt, es liege dem Hinwegeilenden nichts so sehr am Herzen, als den Entführer seines Weibes aufzusuchen und seine gekränkte Ehre an ihm zu rächen.
Dieser Gedanke aber war, so seltsam es scheinen mag, selbst in seinen wildesten Fieberträumen dem Unglücklichen kaum einmal durch das Hirn gegangen. Denn der Feind, der ihm seinen Frieden zerrüttet, stand nicht in der Larve eines Fremden vor ihm, den er nie geliebt und der ihm nichts schuldig gewesen war, sondern mit den geliebtesten Zügen, die ihre Macht an ihm noch jetzt nicht verloren hatten. Sie blickten ihm freilich jetzt wie verwandelt und durch einen Flor getrübt entgegen. Sein Grimm und Gram aber kehrte sich nicht sowohl gegen den, der das vertrauteste Antlitz ihm so entfremdet hatte, als daß er sich selber grollte, da er es immer noch nicht über sich gewinnen konnte, Die häßlich zu finden, die er hassen mußte. Dann wieder kam eine unsägliche Bitterkeit über ihn, daß er sich in dem, was ihm das Holdeste und Heiligste geschienen, so jammervoll betrogen haben sollte, und ein Schwindel ergriff sein Haupt, da er fühlte, daß der Grund und Boden, auf den er sein irdisches Heil gebaut, ihm unter den Füßen gewichen und in den Schlund, der sich an derselben Stätte geöffnet, Alles, was das Leben ihm werth gemacht, versunken und verschlungen war.
So ritt er als ein Mann, den nichts Freundliches daheim erwartet und der kein Ziel im Herzen trägt, langsam über das Pyrenäengebirge und in die lachenden Fluren der Provence hinab; aber so wund und wüst es in seinem Innern aussah, konnte er doch dem milden Hauch seiner heimischen Lüfte nicht wehren, daß sie nach und nach die Spuren des leiblichen Siechthums von ihm hinwegnahmen.
Er hatte die Richtung nach seiner Burg eingeschlagen und hielt sich von den Höfen fern, wo man, wie er glaubte, von seinem Unglück genug wisse, um ihn jetzt, wenn er sich blicken ließe, mit neugierigem Hohn oder Mitleid zu verwunden. Je näher er den Stätten kam, die ihn in seinem Glück gesehen, je zögernder setzte er die Reise fort, in den kleinsten Städten und unscheinbarsten Burgen am liebsten herbergend, wo er es leichter vermeiden konnte, seinen Namen zu nennen. Gleichwohl ward er hie und da erkannt, da die Straßen von ritterlichen Cavalcaden wimmelten und nur wenige der Vornehmen nicht kürzere oder längere Zeit Herrn Savaric's Gastfreundschaft genossen hatten. Dann gewahrte er mit stiller Genugthuung, daß Niemand ihn um seines häuslichen Unglücks willen scheel ansah und seine Ehre ihm weigerte. Vielmehr suchte ein Jeder ihm die Bahn in das frische Leben zurück so leicht und lockend zu machen, als er selbst nur wünschen konnte, und überließ ihn nur widerstrebend seiner eigensinnigen Weltscheu.
Indessen war die Wunde, an der er litt, noch immer nicht verharscht, und da er einsah, daß es auch nie dahin kommen werde, wenn er jetzt thatenlos in einem Winkel Frankreichs sich einniste und seine jungen Jahre verbrüte, beschloß er zum Herzog von Mailand zu reiten und ihm seine Dienste anzubieten, deren der streitbare Herr in seinen Händeln mit den Genuesen gar wohl bedurfte. Als er diesen Entschluß gefaßt, ward er ordentlich guter Dinge, und wie er Abends in eine kleine Stadt nahe bei Valence einritt, wo er die Nacht über zu rasten dachte, hob er zum ersten Mal seine Augen nicht unfroh gegen die sinkende Sonne auf und sprach zu sich selber: Will's Gott, so streife ich noch einmal den alten Menschen ab, wie eine Schlange ihre welke Haut, und beginne über den Alpen, unter Solchen, die eine andere Sprache reden, ein zweites Leben.
Der Wirth des kleinen Gasthofes, zu welchem ein Knabe ihn gewiesen hatte, empfing den stattlichen Herrn aufs Diensteifrigste, führte ihn selbst in die beste Kammer, die er hatte, und ließ auftragen, was Küche und Keller vermochten. Als dann Herr Aubert in dem leeren Gastzimmer einsam beim Weine saß, trat der Wirth an seinen Tisch heran und begann mit höflicher Neugier ihn auszuforschen, unter Vorgeben, daß er ihm gern bei seinen Geschäften, falls solche ihn hergeführt, an die Hand gehen würde. Seinen Namen verschwieg der Fremde, hatte es aber kein Hehl, daß er aus Spanien komme und in die Lombardei wolle. Ob es wahr sei, fragte der Wirth mit einem verschmitzten Lächeln, daß die Frauen jenseits der Berge so viel rascheres Blut und freiere Sitte hätten, als in Frankreich, und zumal gegen ritterliche Fremde sich auf alle Weise huldvoll bezeigten. – Er selbst, erwiderte Aubert, indem seine Stirn sich ein wenig faltete, habe keine Zeit gehabt, dies zu erfahren, da ihn viele Monate lang eine Krankheit von allen Lebensfreuden abgeschieden habe. Auch sei er nicht um Abenteuer willen nach Aragon gereist. – Hierauf schwieg der Wirth eine Weile, hustete und nestelte an seinem Wamms, als habe er etwas auf dem Herzen, für das er nicht sogleich die passenden Worte finde. Herr Ritter, fing er dann wieder an, ich hoffe, Ihr denkt nichts Unrechtes von mir, als gäbe ich mich mit allerlei Geschäften ab, die nicht ganz ehrbar sind. Aber theils Eure schmucke und adlige Jugend, theils das Mitleiden mit einer unglücklichen Frau, die ein besseres Loos verdient hätte, macht, daß ich nicht schweigen kann, da ich vielleicht zwei Menschen einen Dienst erweisen mag, wenn ich rede. Es lebt in unserer kleinen Stadt eine gar schöne Person, in tiefer Verborgenheit, da sie sich, nachdem ein falscher Freund sie verlassen, ihres Unglücks schämt und sich nicht in den lichten Tag hinauszutreten getraut. Ich selbst, obwohl die Frau, die ihr Herberge giebt, meine leibliche Muhme und Gevatterin ist und ganz in der Nähe von den »silbernen Lilien« wohnt, habe sie nur ein einzig Mal zu Gesicht bekommen, da ich unvermuthet eines Morgens bei ihrer Wirthin eintrat. Zeit meines Lebens habe ich nichts Schöneres von einem Frauenzimmer erblickt und muß mich wundern, daß der Mann, dem sie ihre Liebe geschenkt, sich je wieder von ihr hat abwenden können. Sie erscheint, obwohl sie hier in der Stille eines Kindes genesen, das gleich wieder verstarb, noch so zart und unberührt, wie eine junge Prinzessin, und doch ist sie leider arm wie eines Landfahrers ausgesetztes Kind, so daß ihre Wirthin, die sie schon Monde lang aus ihrem eigenen Vermögen ernährt, sie nicht länger behalten will. Gevatter Matieu, sagte sie zu mir, – denn dies ist mein Name – wenn sich ein vornehmer Herr fände, des armen Weibchens sich anzunehmen, es wäre ein Segen für sie, und wer dazu hülfe, thäte wohl ein christliches Werk. Denn in ihrer rathlosen Noth – sagt sie – wer weiß was sie einmal über Nacht anfängt! Sie selbst ist es von Herzen satt, einer armen Wittib zur Last zu liegen, und da sie zu viel auf sich hält, um ein schlechtes Gewerbe zu ergreifen, geht sie sicher einmal halsüberkopf in ein kaltes Bad, ohne an ihr Seelenheil zu denken. Dies hat meine Gevatterin mir gesagt, und als ich Euch so stolz und hoch zu Rosse an meinem schlechten Gasthof Halt machen sah, da so vornehmer Besuch in unserem Städtchen selten über Nacht bleibt, schoß es mir wie eine Erleuchtung durch den Kopf, ob es etwa der Himmel selbst so gefügt habe, daß endlich ein Retter für die arme Schönheit erscheinen solle.
Diese Rede hatte Aubert in seltsamer Bewegung mit angehört. Denn da seine Gedanken im Stillen immer bei seinem eigenen Schicksal verweilten, kam ihm bei der Schilderung des Wirths die Gestalt seiner verlorenen Liebe wieder in den Sinn, und sein Herz schlug heftig, wenn er dachte, daß er ihr vielleicht nahe sei und mit wenigen Schritten sie erreichen könne. Dann erwog er, wie seltsam und schier einem Märchen gleichend dies Begegnen sein würde, und daß der Räuber seinen Schatz sicherlich fester in Händen gehalten und jenseits des Wassers in seiner engelländischen Heimath geborgen habe. Also erwiderte er dem Wirth mit ernstlichem Kopfschütteln, er sei nicht der Mann, verlorene Weiber am Wege aufzulesen, und er möge Andere suchen, an denen sich leichter ein Kuppelpelz verdienen lasse.
Hierauf blieb er, da der Wirth sich mit gekränkter Miene zurückzog, wohl eine gute Stunde für sich und trank mit düsterem Sinnen die Kanne leer. Der Spuk aber, den die Erzählung heraufbeschworen, wollte nicht von ihm weichen, und da überdies um die siebente Abendstunde das Gastzimmer sich mit Bürgern aus dem Städtchen füllte, die ihren Nachttrunk hier zu halten kamen, stand er plötzlich auf, winkte dem Herbergsvater und sagte ihm draußen auf dem Flur in einiger Verlegenheit: Er habe sich's reiflicher bedacht. Wenn er auch zu einer Liebschaft nicht aufgelegt sei, halte er es doch für seine Ritterpflicht, die Noth einer armen Verlassenen zu lindern, und wofern sich Alles so verhalte, wie der Wirth gesagt, und keine listige Gauklerin es auf seine Arglosigkeit und seinen vollen Beutel abgesehen habe, wolle er das Seinige thun, das unglückliche Weib von einem verzweifelten Streich zurückzuhalten.
Der Wirth, der mit keiner Miene verrieth, daß ihm diese uneigennützige Regung verdächtig vorkomme, erklärte sich sofort bereit, den Fremden nach dem Hause zu geleiten, in welchem sich die geheimnißvolle Schöne befand. In tiefer Beklommenheit schritt Aubert neben seinem Führer durch die dunklen Gassen, und das Blut tobte in ihm, als ob es die Herzkammern sprengen wollte, da sie nun die Schwelle des armseligen Häuschens betraten. Er schalt seine Feigheit, die er doch nicht bezwingen konnte, und athmete ein wenig auf, als die alte Frau ihnen allein mit dem Lämpchen entgegentrat und auf ein leises Wort, das ihr Gevatter ihr zuraunte, den schmucken Fremden mit großer Zuthulichkeit willkommen hieß. Ihr Pflegling sei im Augenblick abwesend, da die arme Seele jeden Abend, so lange die Maiandachten zur heiligen Jungfrau währten, in die Kirche gehe, züchtig verschleiert, wie sie denn ihr Gesicht überhaupt niemals offen auf der Gasse sehen lasse. Bis sie wiederkehre, möge der Herr Ritter nur dort in der Kammer, wo die Fremde nun seit zwei Monaten in aller Tugend und Einsamkeit ihr Loos betraure, sich's bequem machen, da sie erst mit ihr reden und sie auf das unverhoffte Glück und die hohe Ehre vorbereiten müsse.
Als Aubert die Kammer betrat, die mit einfachem Geräth versehen, aber sauber und wohlaufgeräumt war, überkam ihn von Neuem eine unsägliche Angst und Beklommenheit, daß er am liebsten unter einem Vorwande sich wieder entfernt hätte. Es fiel ihm ein, daß er die Alte nach dem Namen der Frau befragen könne. Doch entschlug er sich dessen wieder, da sie sicherlich, falls sie es war und ihr Elend vor aller Welt verbergen wollte, auch ihren Namen verhehlt haben würde. Und was hätte es ihm auch geholfen? Wenn der Wirth Recht hatte und eine himmlische Fügung ihm hierher die Wege gewiesen, durfte er so feige sein, zu fliehen, statt seinem Schicksal fest ins Auge zu blicken? Daß sie ihm hinfort eine Fremde sein mußte, ja ferner und unnahbarer als die Fremdeste, stand im Grunde seines Herzens fest. Gleichsam um sich selbst gegen jede Gefahr zu feien, wiederholte er sich von Zeit zu Zeit das Wort, das der König ihm gesagt und das so tief in seine Seele eingeprägt war, wie eine Devise auf Schild und Wappen, das Wort: Ehre über Alles. So ward er endlich ruhiger und konnte sich bei dem Flimmern des Lämpchens, das die Wirthin ihm überlassen, in dem kahlen Gemach mit Muße umsehen. Im Winkel hinten stand ein breites Bett, wohl der Alten Ehebett, mit einem Teppich überdeckt; die kleinen braunen Säulen, die im Geviert vor Zeiten den Betthimmel getragen hatten, ragten schief und rissig in die Höhe, da sie nichts mehr zu stützen hatten. Eine Truhe stand daneben, die hätte er gern geöffnet, um unter den Habseligkeiten der Bewohnerin nach Zeichen ihrer Herkunft zu spüren. Denn er fand sonst nichts, was ihn auf eine sichere Spur brachte, nur ein paar ärmliche Blumenstöcke, Goldlack und Basilicum, auf dem schmalen Fensterbrett, erinnerten ihn an seine gute Zeit, wo seine junge Frau immer einen kleinen lachenden Garten an ihrem Fenster gepflegt hatte.
Zwischen den Blumen am Fensterkreuz hing noch ein handgroßes Spiegelchen, in Blei gefaßt. Wie er aber mit der Lampe näher leuchtete, sah er einen kleinen Kamm von Elfenbein auf einem der Töpfe liegen, und plötzlich zitterte ihm die Hand so sehr, daß er die Lampe auf den Sims stellen mußte. Er wußte nur zu gut, wer einen solchen Kamm besessen hatte, wie oft er selbst das schönste goldfarbene Haar, wenn es Abends losgebunden über den jungen Nacken fiel, mit diesem kleinen weißen Rechen durchfurcht, und wie er gelacht hatte, wenn sich ein Zahn desselben in dem weichen Dickicht verfing und ein kleiner Schrei und Schlag ihn für sein Ungeschick bestrafte. Am ganzen Leibe brach ihm ein kalter Schweiß hervor, daß er sich an der Lehne des Stuhls vorm Fenster halten mußte. Dann nahm er den Kamm in die Hand und siehe, da glänzte ihm ein langes blondes Haar, wie ein Seidenfaden, entgegen. In demselben Augenblick hörte er die Hausthür gehen. Ein hastiger Schritt erklang in dem Zimmer nebenan, und eine Frauenstimme sagte: Wer ist in meiner Kammer, Frau Ermesind?
Das Blut brauste ihm so heftig vor den Ohren, daß er von den weiteren Reden nichts mehr deutlich vernahm. Auch wurden sie mit halblauter Stimme geführt, und es schien ihm, als ob die Alte sich eifrige Mühe gäbe, unwillige Vorwürfe der Anderen zu beschwichtigen. Er hatte aber kaum Zeit, der Lampe den Rücken zuzudrehen und den Reisehut tiefer in die Stirn zu ziehen, als die Thür der Kammer schon geöffnet wurde und eine weibliche Gestalt, das Gesicht dicht verschleiert, zu ihm eintrat.
Wer Ihr auch sein mögt, mein Herr, hörte er eine leise, vor Aufregung zitternde Stimme sagen, ich erwarte von Eurer Ritterlichkeit, daß ihr dieses Haus, in welches Ihr durch schnöden Irrthum gelockt worden seid, auf der Stelle verlasset. Es ist wahr, daß ich ein armes, von Gott und Menschen verlassenes Weib bin. Aber so sehr mich mein Unglück auch darniedergebeugt hat, mein Sinn ist nicht so erniedrigt, daß der Erste Beste im Vorübergehen nach mir haschen könnte, wie nach einer Frucht, die über die Gartenmauer auf die Heerstraße herabhängt. Wer Euch gesagt hat, daß man Euch hier mit offenen Armen aufnehmen würde, hat Euch betrogen. Und darum bitt' ich, daß Ihr jetzt von mir gehet, denn dies ist nicht der Ort und nicht die Stunde, wo ich mit einem fremden Manne mich unterreden darf. Ihr höret doch, was ich sage?
Sie hatte das Alles hastig vorgebracht, ohne den Fremden, dessen Gesicht ganz im Schatten war, eines näheren Blicks zu würdigen. Da er stumm blieb, zuckte sie leicht die Achseln, als ob sie sagen wollte: Es soll dir nichts helfen, daß du wie eingewurzelt dort an der Wand lehnst! Sie schlug rasch den Schleier zurück, ihm ihr ernstes Gesicht zu zeigen, damit ihre Augen ihm bestätigten, was er ihren Worten vielleicht nicht glaubte. Sie war bleich und ihre reizenden Züge ein wenig schmaler geworden, aber die Augen blitzten noch wie einst von jenem Feuer, das Alles in ihm zu schmelzen wußte. Den Schleier hatte sie auf die Truhe geworfen und trug das kleine blonde Haupt frei auf dem schlanken Halse, ein wenig in den Nacken zurückgebogen, als sie jetzt sich wieder zu dem seltsamen Besucher wandte.
Ihr schweigt, sagte sie. Ich sehe daraus, daß es Euch leid thut, mir einen Schimpf angethan zu haben. Ihr scheint kein unedler Mann zu sein, da Ihr sonst meinen Worten vielleicht nicht glauben, sondern versuchen würdet, durch Schmeichelreden mich zu gewinnen. O, mein Herr, wenn es wahr ist, was die Wirthin von Euch ausgesagt hat, und Ihr wolltet Euch in Wahrheit eines unseligen Weibes annehmen aus ritterlicher Großmuth, so kommt morgen am hellen Tage wieder, und wenn Ihr Euch meines Vertrauens werth zeigt, werde ich der allerheiligsten Jungfrau danken, daß sie mein Gebet erhört und mir eine Stütze und einen Retter gesendet hat, da ich in meiner Noth schier verzagte. Die Frau sagt, Ihr zöget nach der Lombardei. Dahin steht auch mein Verlangen. Denn das Unglück, das über mich gekommen, ist so jammervoll, daß ich unter dem Himmel Frankreichs mich nicht ferner blicken lassen kann. Drüben im Lombardischen, wo Niemand meinen Namen und mein Schicksal kennt, hoff' ich bei irgend einer edlen und gütigen Dame eine Zuflucht zu finden, und da ich in künstlicher Arbeit mit der Nadel erfahren, in Hofsitten auferzogen bin, werde ich auch einem fürstlichen Hause keine Schande machen. Aber ich bin so ganz verarmt, daß ich selbst den elenden Unterhalt in dieser Kammer nicht mehr bestreiten kann, und nachdem ich das Wenige an Schmuck und besseren Kleidern verkaufen mußte, nun nichts besitze, als das nackte Leben und meinen Frauenstolz, der mich hindert, durch Schande reich zu werden. Ueberlegt darum wohl, was Ihr thut, und ob Ihr warten könnt und wollt, bis sich mein Glück wieder wendet und ich Euch Alles zurückerstatten kann, was ihr an meine Erlösung aus diesem Elend wagen müßtet.
Sie hielt inne, da sie nun endlich ein Wort von ihm zu hören erwartete. Sie hatte vor ihm gestanden, nahe genug, aber mit niedergeschlagenen Augen. Da er noch immer schwieg, wurde ihr unheimlich zu Muthe, und sie hob plötzlich die Blicke zu ihm auf und suchte durch das Dunkel unter seinem Hut seine Miene zu erforschen. Da sah sie zwei stille, starre Augen auf sich gerichtet, und jetzt machte er eine Bewegung, wie wenn er eine Waffe in der Hand verborgen gehalten und sie damit überfallen wolle, und: Aubert! schrie sie und wankte mit sträubendem Haar zurück und bewegte die blassen Hände gegen ihn, wie um einen Mörder abzuwehren, und indem ihre strauchelnden Füße sich in den Säumen des Kleides verfingen, wäre sie gegen die Truhe hingesunken, wenn er nicht noch zur rechten Zeit sie in seinen Armen aufgefangen hätte.
Er hielt sie so ein paar Minuten lang, da ihr das Bewußtsein geschwunden zu sein schien, denn ihr Haupt lag regungslos mit geschlossenen Augen an seiner Schulter, und ihr Athem ging stockend und wie bei einer Sterbenden. Als aber ein wenig Röthe in ihre Wangen zurückkehrte, ließ er ihre Glieder auf die Truhe niedergleiten, so daß sie nun wie eine Schlafende mit vorgeneigter Stirn an der Wand saß.
Audiart! sagte er dumpf und zwang seine Kehle zu einem rauhen Ton, kommt zu Euch! Hört, was ich Euch zu sagen habe. Es ist umsonst, mir durch ein Gaukelspiel, als hätte der Schreck Euch ins Leben getroffen, das Herz erweichen zu wollen. Ich habe Euch einst nicht gekannt, da Ihr mein waret, und kenne Euch jetzt desto besser, da Ihr mir eine Fremde seid. Fürchtet nicht, daß ich dessen gedenken will, was Ihr an mir verschuldet. Ich finde, der Himmel hat an meiner Statt Euch vergolten nach Gebühr. So will ich nicht mehr Euer Richter sein, sondern wie mit einer fremden Landfahrerin, die ich halb verschmachtet am Wege fände, meinen wenigen Besitz mit Euch theilen. Ihr mögt dann beginnen, was Euch beliebt, bleiben oder gehen, wohin Euer Irrstern Euch lockt; an guten Freunden, die Euch das Geleit geben, wird es Euch nicht fehlen; ich will nur warten, nach welchem Himmelsstrich Ihr Euer Segel stellt, um nach dem entgegengesetzten zu steuern. Denn noch einmal Euch zu begegnen, wäre eine härtere Strafe, als ich für meine Sünden verdient zu haben glaube.
Diese Worte hatte er mit mannhaftem Ton, an ihrem Klange sein eigenes Herz befestigend, zu Ende gebracht und sie dabei angeblickt, als habe ihr Gesicht allen Zauber über ihn verloren. Wie er jetzt verstummte, schlug sie schüchtern, wie ein gescholtenes Kind, ihre langen Wimpern auf und heftete einen flehenden Blick auf seine Augen, daß er unwillkürlich das Haupt wandte und nach dem Fenster trat. Ach, Aubert! sagte sie mit mühsamer Stimme, ich hatte geglaubt, das Bitterste gekostet zu haben; nun sind all meine Qualen ein Nichts gegen die Pein, die ich bei deinem Anblick erleide, und ich muß glauben, daß ich nicht aus Fleisch und Bein, sondern aus Demant gebildet bin, da ich solche Worte, wie du sie sprachst, habe überleben können. Ach, was ist das Brennen in Höllenflammen gegen die Qual, daß wir nun so beisammen sind, und doch getrennt, daß ich, die du so sehr geliebt, als eine Verworfene und Verstoßene hier die Hände ringen muß, und kann nicht einmal einen Blick von dir gewinnen, und uns wäre besser, das tiefe Meer rauschte zwischen uns, und meine Klagen und Seufzer, die ich zu dir hinüberschickte, verwehte der Wind! Glaube nur nicht, Aubert, daß ich versuchen möchte, mich rein zu waschen von meiner Schuld. Ich weiß, daß keine Reue und Buße sie von mir nehmen kann, und daß ich ein gutes Wort und einen sanften Blick von dir nicht mehr werth bin. Das aber sollst du wissen, daß auch wohl ein besseres Weib als ich dem Versucher erlegen wäre. Denn er war ein Teufel und nicht ein Mensch, und ausgelernt in allen Künsten der Finsterniß. Er zeigte mir, da ich wie in der Wüste nach meinem geliebten Freund und Gemahl verschmachtete, alle Herrlichkeiten der Welt, und ihm zu widerstehen hätte ich sündlos sein müssen, gleich unserem Herrn und Heiland, was einem Menschenkinde nicht gegeben ist. Ich vielmehr, ich hatte Wochen und Monate einsam verlebt und heimlich gegrollt mit meinem Gatten, daß er auf so lange Zeit von mir gehen und Herrendienst höher schätzen konnte, als die Liebe seines jungen Weibes. Und da sagten mir böse Stimmen ins Ohr: es ist gar nicht Krankheit, was ihn fern hält, er ist frisch und fröhlich, und es behagt ihm besser, sich im Netz der hispanischen Frauen zu winden, wie ein Aal, als zu seinem schlichten Herde und zu seiner armen, kleinen Frau zurückzukehren. Und da haßt' ich dich, Aubert, haßte dich aus allzugroßer Liebe, und dieser Haß machte dem Verführer leichtes Spiel. Siehe nun, wie ich es habe bezahlen müssen mit meinem ganzen Vermögen, daß ich heute nackt und bloß wie ein Auswurf meines Geschlechts von dir am Wege gefunden werden konnte und du mir einen Bettelpfennig zuwerfen willst und vorübergehen!
Nach diesen Worten sing sie an zu schluchzen, da sie sich dergestalt in das Mitleid mit sich selbst hineingeredet hatte, daß sie in der That einen Augenblick wünschte, zu sterben. Als er aber still blieb, lebte die Hoffnung in ihr wieder auf, daß sie seinen gerechten Zorn doch vielleicht entwaffnen könne, und sie blickte durch die Finger der Hand, mit der sie ihre überströmenden Augen bedeckte, nach ihm hin, ob er eine Bewegung mache, die ein verwandeltes Gemüth verrathe. Er aber stand am Fenster und starrte unverrückt zwischen den Blumenstöcken auf die Gasse hinaus, wo eben ein leiser Schein den aufgehenden Mond ankündigte.
Auf einmal fühlte er, daß seine Kniee umschlungen wurden und ein zitternder junger Leib sich zu seinen Füßen wand. Er versuchte umsonst, sich aus dieser Umstrickung zu lösen.
Laß mich hier liegen! hörte er die halberstickte Stimme flehen. Ich bin unwerth, daß du mich an dein Herz wieder emporziehst, Aubert! Aber wenn all das, was du mir mit holden Worten und süßen Liedern gesagt, dir wahrhaft aus dem Herzen kam, so habe jetzt nur so viel Mitleid mit Der, die du einst über Alles geliebt hast, daß du ihr zu ihrer Buße und Läuterung verhilfst, damit sie einst in einem anderen Leben gereinigt und begnadigt dir entgegengehen könne. Hilf mir hinweg aus diesem Lande, wo man noch meinen Namen kennt, und bringe mich an einen Ort, wo ich die Unehre, die ich dir gemacht, im Verborgenen mit harter Arbeit im Magdgewande abbüßen kann. Nur laß mich nicht hier zurück, wo harte Menschen mein Unglück sich zu Nutze machen wollen, mich in neue Schande zu verlocken. Ach, Aubert, bedenke, wie jung ich bin und wie unberathen und thöricht ich hinlebte und wie du selbst mich mit deiner zärtlichen Anbetung verleitet hattest, mehr an mich selbst zu denken, als an dich und Gottes Gebot. Und wenn ich wirklich auf ewige Zeit dir verloren bin und du mir –
Steh auf! herrschte er sie an, da er fühlte, daß ihre Stimme und der Druck ihrer Arme seine Starrheit erschütterte. Weil ich noch denke, was du mir einst gewesen, will ich an mich halten und dich nicht mit Gewalt hinwegstoßen. Aber steh auf, wenn ich noch ein Wort mit dir reden soll. Du aber, fuhr er fort, da sie jetzt langsam sich vom Boden aufhob und wieder nach der Wand schlich, du thätest wohl, deine gleißnerischen Worte zu sparen, mit denen du mir das letzte Kleinod abschmeicheln willst, das mir noch geblieben: meine Ehre. Denn ich weiß, worauf du zielst: im Lauf der Tage, wenn du dich bescheiden und gehorsam zeigtest und in deinem Magdgewande dein Jugendreiz nur um so lockender wieder aufblühte, sollte ich vergessen, was ich meinem ritterlichen Namen schuldig bin, und dich zu Gnaden wieder aufnehmen. Du wärest auch mit dem Fremden, für den du mich hieltest, bald so weit gekommen, trotz aller hochtönenden Versicherungen, er werde nie einen anderen Lohn für seinen Ritterdienst erlangen, als einen großen Dank und das Gefühl seiner edlen Gutthat. Nun bin ich dir freilich lieber, als der Erste Beste, und du gedenkst der alten Macht, die du über mich besessen, und getraust dir wohl, sie wieder zu gewinnen. Ich aber – und wenn ich im steinigen Arabien oder unter den Bären am eisigen Pol mit dir zusammenlebte, als mit meinem Weibe, – ich müßte erröthen, so oft ich mein Gesicht in einem stillen Weiher gespiegelt sähe, daß ich das Weib wieder liebkoste, das ein Ehrenräuber mir entführt und nach kurzer Lust wieder weggeworfen. Und wenn ich vor Durst verginge, – den Apfel, den ich angebissen im Staube fände, führte ich nicht an die Lippen, ob er noch so roth und weiß mich anlachte. Ihr mögt darum Eure Thränen trocknen und alle Schlangenkunst, die an mir verschwendet ist, für bessere Gelegenheit sparen. Ich gehe jetzt von Euch für immer. Morgen werde ich Euch durch einen sicheren Boten eine Summe Geldes zustellen lassen, von der Ihr die Wirthin befriedigen und mit dem Uebrigen Euer neues Leben nach Gefallen beginnen mögt. Und damit befehle ich Euch in die Hut und Gnade Gottes, und wenn Euch daran liegt, will ich scheidend Euch noch versichern, daß die Noth, in der ich Euch gefunden, jeden Groll in mir getilgt hat, und daß es mir von Herzen kommt, wenn ich Euch, fern von mir, gute Tage wünsche.
Er drückte den Hut wieder in die Stirn und schritt, ohne sie anzusehen, der Thüre zu. Noch aber hatte er die Schwelle nicht erreicht, als ihre Stimme ihn noch einmal festbannte.
Lebt wohl, Aubert! sagte sie, mit ganz verwandeltem Ton, so fest und klar, wie nur verzweifelte Entschlossenheit zu reden pflegt. Ihr habt Recht, daß Ihr geht und keinen Blick zu mir zurückwerft. Aber glaubt nicht, daß Eure Großmuth mir zu Gute kommen werde. Von jedem Anderen hätte ich eine solche Hülfe um Gotteswillen angenommen, vom Fremdesten und Ungeliebtesten; von Euch nie und nimmermehr. Doch, wenn ich es recht bedenke, so bedarf ich auch keines erbarmenden Herzens mehr. Der Mond scheint so hell, daß ich den Weg zu meinem Frieden wohl finden kann. Ihr aber thätet besser, gleich jetzt hinwegzureiten. Wenn ihr morgen früh noch in der Stadt verweiltet und das Gerücht erginge, Ihr wäret es gewesen, der in der letzten Nacht die fremde Frau besucht, die man früh Morgens aus dem Rhonestrom gezogen, es möchte Eurer Ehre nicht minder nachtheilig sein, als wenn es ruchbar würde, daß Ihr Euer schuldiges Weib begnadigt hättet.
Er wandte sich nach ihr um; das Herz schlug ihm heftig. Er mußte sich gewaltsam fassen, ehe er die Lippen öffnen konnte. Audiart, sagte er, nehmt Vernunft an. Was Ihr im Sinne habt mit Euch und mir, ist unmöglich. Ich wiederhole es, ich zürne Euch nicht mehr, vielmehr gönne ich Euch jedes Glück, das in der weiten Welt noch für Euch zu finden ist. Ihr seid jung und schön und klug; folgt Eurem ersten Plane, reist über die Alpen in das italische Land und sucht dort ein neues Leben zu beginnen. Ich werde dafür sorgen, daß mein Name nie mehr an Euer Ohr schalle und Euch im Vergessen böser alter Dinge störe. Was Ihr aber jetzt vorhabt, ist gottlos, und Ihr verscherzt damit Euer ewiges Heil.
Meint Ihr? sagte sie ruhig. Ich kam soeben aus dem Hause Gottes im Stande der Heiligung, so weit eine Sünderin auf Erden es von sich rühmen kann, denn ich hatte den Leib des Herrn empfangen. Und diese Stunde mit Euch war Fegefeuers genug, daß ich, wenn ich durch meinen Tod eine neue Sünde auf mich lade, gleichwohl der himmlischen Gnade mich getrösten mag. Uebrigens – das ist meine Sache. Da ich Euch fremd bin, habe ich Euch keine Rechenschaft zu geben von dem, was ich thue und lasse.
Er sah sie an. Eine kalte Festigkeit lag in ihrem Gesicht, die großen dunklen Augen blickten gelassen vor sich nieder. Ihm war, als habe er sie nie in so königlicher Schönheit gesehen.
Nun denn, sagte er, so thue Jeder, was er für seine Pflicht hält. Ihr werdet mich bis zum Morgen in Eurer Kammer dulden müssen, da ich entschlossen bin, Euch den Weg zum Flusse zu versperren. Beim ersten Tagesgrauen erfahrt Ihr, was ich weiter mit Euch zu beginnen denke. Bis dahin genießet ruhig des Schlafs, den ich Euch schon zu lange abgebrochen habe. Ich werde mich leise verhalten und Euch nicht im Wege sein.
Er nahm den Hut ab, legte ihn auf ein Tischchen an der Wand und setzte sich dann auf einen niedrigen Stuhl am Fenster, den Blick hinausrichtend gegen den mondhellen Himmel. Den Rücken hatte er gegen das Bett gekehrt und verharrte so in tiefer Versunkenheit, ohne sich zu regen. Er hörte, wie sie nach einer Weile von der Truhe aufstand und in der Kammer hin und her ging. In dem Spiegelchen zwischen den Blumen konnte er dann und wann einen Streifen ihres Gesichts oder ihres Halses erblicken und sehen, daß sie ihr Haar löste und, wie sie gewohnt war, es zur Nachtruhe unter eine kleine Haube zusammenlegte. Im Uebrigen blieb sie, wie sie war, nur daß sie die Schuhe von den Füßen streifte und das Gewand über der Brust ein wenig loser band. Sie sprach kein Wort, nicht einmal ein Seufzer unterbrach die Todtenstille, die zwischen den beiden unseligen Menschen waltete. Auch im Nebenzimmer war Alles stumm und todt. Nur wie sie sich in ihren Kleidern auf das Bett streckte, erseufzte die alte Bettstatt, daß es dem Manne am Fenster einen Stich ins Herz gab. Er ergriff den kleinen Kamm und drückte die blanken Zähne desselben gegen das Fleisch seiner eigenen Hand, daß der leibliche Schmerz sein Herzweh überwinden sollte. Mit einer Art wilden Trotzes sah er ein paar Blutstropfen über das Handgelenk herabrieseln. Mit der anderen Hand zerpflückte er die zarten Blätter und Blüten des Basilicums und horchte dazwischen nach dem Winkel der Kammer, wo sein Weib von ihm geschieden ruhte. Kein Laut von ihren Lippen verrieth, ob sie schlafe oder wache, und er hatte nicht das Herz, sich nach ihr umzuwenden. Als etwa eine Stunde so verstrichen war, hob er sich ein wenig auf den Zehen, bis er in das Spiegelchen blicken konnte. Da sah er unter halb geschlossenen Lidern zwei stille schwarze Augen auf sich gerichtet in herzbrechender Trauer und Sehnsucht. Es durchfuhr ihn wie ein Schlag von eherner Faust, daß er bis in die Fußspitzen erbebte! Er preßte aber die elfenbeinernen Zinken inbrünstig wieder gegen sein eigenes Fleisch, sank still auf den Sessel zurück und schloß die Augen. Als er nach einer geraumen Weile sie wieder zu öffnen wagte, hörte er tiefe und ruhige Athemzüge vom Bette her. Sie kann schlafen! sagte er vor sich hin. Sie ist des Spielens mit mir müde geworden und wie ein Kind, das seine Puppe verloren hat, darüber eingeschlafen. Wohl mir, daß ich wach blieb und meine Ehre nicht einnicken ließ! Und doch – wie schön sie ist!
Nun betrachtete er ihr Gesicht lange im Spiegel, da die Helle des Mondes breit in das Fenster strömte und jeden Gegenstand in der Kammer taghell erleuchtete. Ihr rechter Fuß hing über das Bett herab, er mußte denken, wie oft er ihr geholfen, das zarte Gebilde in den engen Schuh zu kleiden, und wie sie gescherzt hatten, wenn er sich ungeschickt anstellte bei seinem Kammerfrauendienst. Immer schwüler wurde es ihm in der Enge des niederen Gemachs. Er schob leise die Blumen zurück, öffnete das Schiebfensterchen und sog den Athem der Frühlingsnacht in durstigen Zügen ein, da wurde ihm leichter ums Herz. Geräuschlos glitt er wieder auf den Sessel zurück, lehnte den Kopf an die kühlen Scheiben und schloß nun gleichfalls die Augen.
Doch mied ihn der Schlaf. Die Stunden gingen in ängstigenden Halbträumen hin; einmal hörte er die Frau auf dem Bette stöhnen, wohl von einem Angstgesicht im Traume heimgesucht, und schlich zu ihr hin. Da öffnete sie ein wenig die Augen und schien in der Dämmerung ungewiß, wer sie anblicke. Dann aber lächelte sie ganz unschuldig, daß ihre weißen Zähne reizend zwischen den vollen Lippen schimmerten, lallte ein paar unverständliche Worte, und kehrte das Gesicht gegen die Wand. Es griff ihn so an, daß ihm die Kniee einbrachen und er neben dem Bett auf den harten Boden niedersank. Da lag er lange, und im Dunkeln stürzten ihm die bitteren Thränen über die Wangen, bis auch seiner ein kurzer, dumpfer Schlaf sich erbarmte und er das Bewußtsein seines Elends verlor.
Als aber der erste graue Tagesschein in die Kammer sah, fuhr die Schläferin in die Höhe und erschrak ein wenig, da sie sich allein fand. Dann entsann sie sich, daß sie Nachts, da sie einmal aufgewacht, Aubert auf dem Fußboden neben dem Bett hatte liegen sehen, und als sie in ihren Spiegel blickte, sich das Haar zu flechten, wurde sie vollends ihrer Sache gewiß und sagte bei sich selbst: Habe ich ihn schon so weit zu mir herangezogen, wird er endlich ganz wieder der Meine sein! – Sie lächelte ihr schönes junges Bild im Spiegel an und band ihr Haar so zierlich auf, als sie nur konnte. Die rothen Flecken an dem elfenbeinernen Kamme warnten sie nicht. Dann erklang Hufschlag draußen am Hause, sie hörte an die Thüre pochen, die Wirthin trat herein, ihr um den Hals zu fallen und ihr Glück zu wünschen, daß sie einen so schönen und freigebigen Cavalier bezaubert habe, der sich über Nacht entschlossen, sie mit sich zu nehmen und all ihr Noth ein Ende zu machen. Da nickte Frau Audiart sanft und geheimnißvoll; als aber Aubert in die Kammer trat und mit einem düsteren Gesicht zur Eile trieb, damit sie ohne Aufsehen aus der Stadt ritten, kam ihre Zuversicht wieder ins Wanken. Mit niedergeschlagenen Augen gestand sie, da er fragte, wo ihr Reisegepäck sei, sie besitze Nichts, als was sie an sich trage, da sie alles Entbehrliche verkaufen müssen. So gingen sie miteinander vors Haus und bestiegen das Pferd, das draußen gesattelt stand. Aubert stieg zuerst in den Bügel und reichte seiner Gefährtin die Hand, daß sie sich hinter ihn schwingen und auf der Kruppe zurechtsetzen konnte. Seinen Mantelsack hatte er vorn am Sattelknauf festgebunden. Darauf nickte er der Wirthin ein Lebewohl zu und gab seinem Thier die Sporen.
Noch schlief Alles in der kleinen Stadt, denn die Sonne war noch nicht aufgegangen; nur die Brunnen rauschten, und die steinernen Figuren darauf sahen das reisige Paar mit starren Augen an, als es in mäßigem Trabe vorbeiritt. Der jungen Frau war zu Muth, als ob der Mann, hinter dessen Rücken sie saß, auch nur ein Steinbild sei, um dessen Leib sie ihre Arme geschlungen, um sich festzuhalten. Denn es wurde ihr kalt, als sie das Stahlhemd fühlte, das er über seine warme Brust gezogen, und da kein Wort aus seinem Munde kam, merkte sie wohl, daß noch immer ein Abgrund zwischen ihnen war, obwohl sie sich so traulich an ihn lehnen durfte. Sie seufzte ein paar Mal, laut genug, daß er es hören mußte. Er aber blieb steinern. Wie sie nun aus dem Stadtthor kamen, ging eben die schöne Frühlingssonne auf und tauchte Land und Strom und die Zinnen und Thürmchen hinter ihnen in zartes Gold. Da seufzte die Frau wieder, da sie des Morgens nach der Hochzeit gedachte, wo sie aus ihrer eigenen Burg mit ihrem jungen Gatten in den Wald geritten war, und der holden Worte, die er damals zu ihr gesagt. Nun war die letzte Nacht freilich unhold vergangen; aber daß er so völlig stumm bleiben würde, hatte sie doch nicht geglaubt. Als sie daher auf die breite steinerne Brücke kamen, unter welcher die Rhone in hastigen hellgrünen Wellen hinschoß, brach sie selber das Schweigen. Wohin reiten wir? fragte sie schüchtern. Mich dünkt, Aubert, Ihr seid mir unfreundlicher gesinnt heut am hellen Morgen, als gestern in der Nacht, obwohl Ihr nicht, wie Ihr gedroht, mich einsam zurückgelassen, sondern mit Euch genommen habt. Bei den sieben Schwertern, die durch die Brust der Gottesmutter gingen: wenn Ihr mir das Herz brechen wollt mit Eurem starren Haß und Groll, so wäre es besser, Ihr setztet mich hier im Freien ab und sprengtet davon, ohne Euch um mich zu kümmern, als daß Ihr Euch selbst die Last aufbürdet, die Verhaßte noch ferner zu geleiten. Hört Ihr, wie der Fluß unten rauscht? Ein Sprung vom Pferde hinab und in die klaren Wellen, und Ihr wäret meiner los, und ich selbst hätte Ruhe vor meinem eigenen Herzen. Wohin aber wollt Ihr mich bringen, von wo ich nicht auch einen solchen Ruheort erreichen könnte, wenn ich auch noch so gut bewacht wäre? Denn mich noch einmal in das Leben zu schicken, in ein Leben ohne Euch, nachdem ich Euch wiedergesehen, geht über meine Kräfte.
Statt aller Antwort gab er dem Thiere die Sporen, so daß sie im Fluge von der Brücke kamen. Erst als sie drüben zwischen den Saatgeländen eine Weile hingesprengt waren, ließ er das Pferd wieder langsamer gehen und sagte jetzt, ohne sich nach ihr umzuwenden: Ihr werdet nicht allzu lange meine Gesellschaft zu ertragen haben. Zwei Stunden von hier, wie ich genau erkundet, liegt ein Frauenkloster. Dorthin will ich Euch bringen, um Euch vor Euch selbst und den ungezügelten Trieben Eures Herzens zu schützen. Wenn ich Euch frei in die Welt entließe, möchtet ihr neues Unheil anstiften, anderen Arglosen Gefahr bringen und endlich selbst ein trauriges Ende nehmen. Darum will ich die Sorge für Euer Heil sicheren Händen anvertrauen, und vielleicht kommt noch einmal der Tag, wo Ihr es mir dankt, daß ich Euch dazu verholfen habe, wenigstens Euer unsterblich Theil zu retten.
Er dachte, daß sie in heftige Klagen und Bitten ausbrechen würde, aber sie nahm seinen Spruch hin, wie eine Armsünderin, der der Stab gebrochen worden. Nicht einmal ein Seufzer kam von ihren Lippen, und wenn er nicht ihre Arme um seinen Leib gefühlt und ihre kleinen Hände gesehen hätte, die sie vor seiner Brust bescheiden zusammengefaltet hielt, hätte er vergessen können, daß er nicht allein zu Pferde saß. Das machte ihn nachdenklicher und bedrückte ihn härter, als wenn sie sich hartnäckig gegen seinen Willen gesträubt hätte. Immer mußte er auf die beiden Händlein blicken, die so zart und hülflos sich in einander schmiegten, und er bedachte, wie jung das unselige Wesen sei und wie bitter ihre kurze Sünde sich schon gerächt habe. So streng er seine Brust umpanzert hatte, konnte er doch dem Mitleiden nicht wehren, sich durch die Ringe des stählernen Hemdes in sein Herz zu schleichen und verstohlenerweise all die alte Liebe und Leidenschaft mit einzuschwärzen, der er so rauh die Thür gewiesen. Die Vögel wachten in ihren Nestern auf und fingen schmetternd an zu singen, als sie unter den zarten Laubkronen hinritten. Die Sonne stieg höher und machte die Welt umher, die in Blüten stand, zu einem traulichen Paradiese, in welchem sich's gut wohnen ließ. Hatte nicht auch das Weib des ersten Menschen der Schlange gelauscht und dadurch sich und ihm den Garten Gottes verscherzt? Und der erste Betrogene hatte sein Weib nicht verstoßen, sondern sie mit sich genommen, den Fluch der Sünde gemeinsam zu tragen. Nein! rief es in ihm, dies trifft dennoch nicht zu. Sie waren nur zu Zweien damals, und vor keinem Dritten hatte Adam seine erröthende Stirn zu verbergen. Nicht seine Ehre galt es, die erst ins Spiel kam, als die Welt bevölkert war und Ritterthum und adlige Sitten aufkamen, deren Gesetz Niemand ungestraft verletzen darf. Halt aus, Aubert, und laß dein festes Herz nicht schmelzen vom Strahl der Maiensonne und dem warmen Hauch eines jungen Busens, der dir um den Nacken spielt!
Wieder ritten sie stumm und wie durch eine Mauer getrennt, eine weite Strecke dahin. Aber die Luft war zu lau und der Blütenduft, der sie erfüllte, zu süß, als daß sie das Eis, mit welchem der unglückliche Mann sein Herz zu wappnen dachte, nicht zum Thauen gebracht hätten. Er hörte im Vogelgesang ringsum seine eigenen Lieder, die er in der Blütezeit der jungen Minne an Audiart gedichtet; er gedachte an den ersten Kranz, den die blassen Händlein ihm gewunden, und an ihr weiches Kosen, womit sie ihn beseligt hatten. Immer schwüler ward es unter dem Stahlhemd, große Tropfen traten ihm unter dem leichten Hut auf die Stirn, er fühlte das Blut in seinen Adern wie einen Strom rollen, der nach der ersten Frühlingsnacht die Eisdecke lüftet und frei und übermüthig dahinbraust. Und jetzt hörte er hinter sich nach dem langen, demüthigen Schweigen plötzlich ein verstohlenes Weinen, und wie er aus seinem verworrenen Brüten aufblickte, erkannte er gar wohl die Ursache. Vor ihnen, kaum noch eine halbe Stunde entfernt und durch eine lichte Stelle im Walde herüberschauend, lag das Kloster auf einem Hügel, und seine grauen Thürme und Mauern ragten finster in das lachende Himmelsblau empor. Unwillkürlich hielt Aubert die Zügel an. Ein kleiner Buchenhain umgab sie, mit schönen dunkelgrünen Büschen durchwachsen, und weit und breit war keine lebende Seele zu erblicken. Laßt uns einen Augenblick hier im Schatten rasten, sagte er und schwang sich aus dem Sattel. Dann hob er die Weinende herab, deren Thränen sofort zu fließen aufhörten. Sie sank, ohne ein Wort zu sprechen, in das weiche Moos und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Dabei aber schielte sie nach dem finsteren Manne, der mit gekreuzten Armen langsam vor ihr auf und nieder schritt. Der Hut war ihm vom Haupt gefallen, er lüftete das Eisenhemd, das ihm den Athem beklemmte, dann begann er wieder sein düsteres Hin- und Wiederschreiten, wie ein Raubthier hinter dem Käfichgitter. Sie aber hütete sich wohl, die Stille zu unterbrechen. Ihr Gesicht war ruhig geworden, ja sie lächelte sogar verstohlen vor sich hin und fing an mit den schlanken Fingern von den kleinen Blumen zu brechen, die neben ihr auf dem Waldgrunde wuchsen. Da stand er plötzlich vor ihr still, ohne die Arme von der Brust zu lösen, und sagte: Was soll nun werden? Sagt Ihr es mir; denn bei Sankt Leonhart, ich selber weiß es nicht. Ich hatte wohl gedacht, es sei Alles damit abgethan, wenn ich Euch ins Kloster brächte. Euch wüßte ich dort ja auch geborgen. Wer aber schützt mich vor Euch? Wer bürgt mir, daß, wenn ich weiß, wo Ihr zu finden wäret, der alte Wahnsinn nicht wieder ausbreche und ich Mauern und Riegel sprenge, Euch wieder in meine Arme zu ziehen und mit Euch meine Schande ans Herz zu drücken?
Sie sah zu ihm auf, zuerst mit einem ungewissen Blick. Als sie aber die Flamme gewahrte, die aus seinem Auge loderte, ging ein Glanz von triumphirender Freude über ihr Gesicht, und sie sagte mit erkünstelter Demuth: Warum wollt Ihr thun, Aubert, was Euch hernach gereuen würde? Lasset mich, wo ich bin, so soll keine Mauer und kein Riegel dazwischen sein, wenn Ihr heimverlangt nach Eurem armen Weibe. Habe ich Euch nicht schon gesagt, daß ich mich der Ehre, Eure Gattin zu heißen, nicht mehr würdig achte? Wenn ich es nun aber zufrieden wäre, Eure Magd zu sein, wer würde Euch darum schelten?
Sie sah mit ihrem scharfen, klugen Auge, wie ihre Macht über ihn mit jeder Minute wuchs. Da wollte sie das Letzte wagen. Nein, sagte sie, so geht es doch wohl nicht. Ich dank Euch, Aubert, daß ihr noch so viel Liebe für mich bewahrt habt. Aber ich möchte nicht, daß Euch späterhin die Reue anwandelte, wenn Ihr mich aus gutem Herzen begnadigt hättet. Darum ist es besser, Ihr macht gleich heut ein Ende und schafft den Anlaß zu so viel Herzweh und Pein aus der Welt. Fürwahr, lieber als in das Kloster, ginge ich aus diesem Leben fort in ein stilles Grab, und wenn ich von Euren Händen stürbe wäre mir's ein sanfter Tod. Sehet, wir sind hier ganz allein, Niemand kann Euch anklagen, wenn Ihr Euer arges Weib für immer von Euch scheidet, und ich selber, ich will stillhalten wie ein Lamm und die Hand noch küssen, die mich gerichtet hat. Zieht Euer gutes Schwert und stoßt es mir ohne langes Besinnen in die Brust. Ich selber will Euch den Weg zeigen, daß Ihr das Herz nicht verfehlen könnt!
Indem sie dies sagte, faßte sie ihr Kleid oben am Halse mit beiden Händen an und riß es mit einem Ruck über der Brust entzwei, so daß plötzlich ihr junger Busen bis auf den Gürtel entblößt aus dem dunklen Gewande hervorglänzte.
Aber in demselben Augenblick, wo all ihre Schönheit wieder schleierlos vor sein Auge trat, sah er auch das Schlangenlächeln an ihrem rothen Munde, das ihn aus seiner Verzauberung wieder in die wache Wirklichkeit zurückrief.
Buhlerin! schrie er überlaut, du hast deine Künste zur rechten Zeit spielen lassen, mich zu erinnern, welch eine Erniedrigung meiner in deinen Armen gewartet hätte. Ja, du hast Recht, wir Zwei können nicht athmen unter demselben Himmel. Eins muß weichen – und das bist du – und so gnade dir Gott – dir geschieht, wie du gewollt hast – mach Reu und Leid, und ich will dir's erlassen, die Hand deines Richters zu küssen. Mir aber – mir sei der Heiland gnädig!
Er warf sich über sie, die nur noch einen kurzen Angstschrei ausstoßen konnte. Den schwarzen Schleier, der ihr vom Haupt gesunken, hatte er gepackt und um ihren schimmernden Hals geschlungen. Wie ein Wahnsinniger kniete er an ihrer Seite, und unter beständigem Rufen: Mach Reu und Leid! Gott sei uns Beiden gnädig! – erwürgte er sein Weib.
Als sie regungslos vor ihm lag, stand er ruhig auf. Es ist vollbracht, sagte er mit kalter Stimme. Ich habe ihr den Willen gethan, nun wird sie ruhen und mich in Ruhe lassen. Aber so schamlos, wie sie gestorben ist, will ich sie nicht begraben. – Da zog er das zerrissene Gewand wieder über dem weißen Busen zusammen und nestelte es fest. Dann grub er mühsam mit seinem Schwert eine flache Grube unter den Bäumen, wo sie lag, und trug den leblosen schlanken Leib hinein. Erst als sie dort gebettet lag, überfiel ihn ein Grauen vor seiner eigenen That. Mit zitternden Händen raffte er Moos und dürres Laub zusammen und häufte es über das stille weiße Gesicht, das noch im Tode seine Sehnsucht weckte. Als dann eine reiche Decke von Grün und Blumen ihm die Gestalt verbarg, raffte er sich auf und floh von der Stätte des Grauens fort. Sein Pferd ließ er im Walde weiden, Hut und Schwert und Panzerhemd warf er von sich, das Alles fanden Hirten an demselben Tage, aber das Grab lag so versteckt, daß Niemand es entdeckte.
Erst nach sieben Tagen kam eine Prozession der Nonnen, an ihrer Spitze die Oberin, das Heiligenbild tragend, um die Felder zu segnen, durch den Wald und an die Stelle, wo die That geschehen war. Da sahen sie einen ganz verwilderten hohlwangigen Mann neben einem Hügel von Laub und Blumen liegen, dessen Anblick die fromme Schaar wie ein Gespenst in die Flucht trieb. Nur die Aebtin trat zu ihm und fragte nach seinem Namen und Schicksal. Da beichtete er ihr, was er erlitten und gethan, und daß er seit jenem Tage wie ein wildes Thier, von den Schrecken seines Gewissens gehetzt, herumgeirrt sei in Einöden und keine Nahrung mehr über die Lippen gebracht habe, nun aber seinem Ende nahe sei. Er bat, man solle das unglückliche Weib christlich bestatten und ihn selbst zu ihren Füßen, da sie ihn noch im Tode nicht losgelassen, sondern wieder zu sich herangelockt habe. Seinem Freunde aber, dem edlen Herrn Savaric, solle man sein trauriges Ende melden und dem Könige von Aragon sagen, daß er um seiner Ehre willen sein ewiges Heil verscherzt habe.