Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Tür hatte sich kaum hinter ihr geschlossen, da erhob sich Helmbrecht von seinem Sitz. Willst du schon gehn, Onkel Hans? Es ist ja noch nicht aus! sagte der Knabe verwundert. Er hatte das Programm gelesen und wußte, daß die schöne Gräfin, der er sehr zugetan war, den Schluß machen sollte.

Bleib nur sitzen, Hänsel! erwiderte Helmbrecht. Ich komme wieder – damit schob er seinen Stuhl zurück und wandte sich hinaus. Er sah und hörte nichts von allem, was ihn umgab, an Frau Maria, die an der Eingangstür stand und ihn befremdet anblickte, ging er vorbei, ohne sie zu bemerken, und schlug draußen den schmalen Weg zwischen dem Haus und der Halle ein, wo die Dienstleute auf ihrem Lauscherposten standen.

Der Himmel hatte sich mit einem durchsichtigen silbernen Duft umsponnen, durch den der Mond mit feuchtem Glanz hindurchschimmerte. Ein zarter Nebelschleier war über die weite Wiesenfläche gebreitet, dahinter stieg die schwarze Wand der Fichten düster in die Höhe und jede schlanke Spitze zeichnete sich wie aus Eisen geschmiedet gegen die fahle Blässe des Himmels ab.

Helmbrecht sah von dem allem nichts. Das Wogen und Wallen in seinem Innern, das bis in die Tiefe aufgewühlt war, verschloß sein Bewußtsein gegen alle äußeren Sinneseindrücke. Er hatte nur ins Freie gestrebt, um völlig mit sich allein zu sein und zu versuchen, ob er seiner Bewegung Herr werden könnte. Wie unendlich hatte er während Crones Spiel gelitten, wie Unsägliches genossen! Er verstand jeden Ton ihrer Geige, alle Süße und Klage und Sehnsucht, die von ihr ausströmte, er wußte auch deutlich, daß sie nur für ihn spielte, um ihm Geheimes zu gestehen, was sie nicht über die Lippen gebracht hatte. Und die Flamme, die durch diese rührende Stimme in seinem Herzen entfacht wurde, verzehrte jedes kluge Bedenken, jeden feigen Entschluß, auf dies hohe Glück zu verzichten. Wie in einem Traum, der das Wirkliche von allen Hemmnissen befreit und alle Abgründe überbrückt, durchdrang ihn nur das eine beseligende Gefühl, daß solch ein Mädchen auf Erden lebte, und daß dieses Mädchens Herz ihm gehörte.

Als er in dieser taumelnden Stimmung den Waldrand erreicht hatte und nun zuerst aufblickte, sah er kaum fünfzig Schritt vor sich auf dem Fußwege, der an den unteren Bäumen hinlief, sie selbst, die all seine Gedanken erfüllte. Sie ging langsam vor ihm her, ihr rotes Kleid erschien schwarz in diesen Schatten, in die nur zwischen den Lücken der Stämme ein blasser Mondschimmer hereinfiel. Ein paarmal blieb sie stehn, als ob auch ihr Herz schwer sei und ihr den Atem hemmte. Als sie dann den Pavillon erreicht hatte, stieg sie die zwei Stufen hinauf und setzte sich, ihm abgewendet, der hinter ihr her kam, auf eine Bank.

Im nächsten Augenblick hatte er sie erreicht, strauchelte über die Schwelle und blieb zu ihren Füßen liegen. Sie hatte unwillkürlich die Hände ausgestreckt, wie um ihn aufzurichten, er ergriff sie aber, drückte seine heiße Stirn gegen ihre zarten Finger und stammelte: Crone! Liebe, liebe Crone! Was hast du aus mir gemacht!

Sie sah still zu ihm nieder, entzog ihm eine ihrer Hände und legte sie sanft auf seinen Kopf.

Kommst du endlich, Liebster? sagte sie. Ich habe dich lange erwartet. Ich wußte ja, daß du zu deiner Crone kommen würdest, aber es tat mir weh, daß du gezögert hast, ich habe dich so entbehrt. Ich hatte dir so viel zu sagen.

Er blickte zu ihr auf. Und ich, Crone, ein ganzes Herz voll! Aber ich hielt's unter Schloß und Riegel, ich wußte ja nicht, wie es um dich stand, und dann –

Er wandte die Augen ab und erhob sich endlich. Da hörte er sie sagen: Mußte denn gesprochen werden zwischen dir und mir? Wußte ich nicht alles seit der Stunde vorm Jahr, als du zum letztenmal zu mir kamst, da ich noch matt und schwach in der Genesung lag, und du nahmst meine Hand und sagtest: Werde nur bald wieder ganz frisch und gesund, Cronchen, schon um meinetwillen, da du mir so große Not und Angst gemacht hast. Du weißt gar nicht, wie lieb ich dich habe! Und dann neigtest du dich zu mir herab und küßtest mich auf die Stirn. Seitdem habe ich keinen Augenblick gezweifelt, daß du mich liebst, oh, und ich –!

Sie drückte die Augen ein und legte mit einer rührenden Gebärde die Hand aufs Herz. Komm! sagte sie dann, setz dich neben mich, laß uns eine Weile nicht sprechen – mir ist so selig zumut, wie wenn die Erde unter mir versänke und ich schwebte in der freien Höhe und hörte nur Lerchen um mich her jubilieren. O mein Liebster, ist es denn wirklich wahr?

Er war neben ihr auf die Bank gesunken, hatte den einen Arm um ihre schlanke Schulter gelegt und mit der anderen Hand ihre beiden gefaßt. So saßen die beiden Liebenden innig verbunden, doch ohne andere Liebkosung, als daß er ein paarmal ihre Hände erhob und einen Kuß darauf drückte. Der Mondglanz warf kleine Lichter auf ihr junges Gesicht, das still vor sich hin blickte. Sie erschien ihm so überirdisch schön, daß alle sehnsüchtigen Wünsche in seinem Herzen verstummten, ihm die Wonne genügte, seine Stirn an ihre weiche Wange drücken zu dürfen. Kind! flüsterte er von Zeit zu Zeit – Crone – meine geliebteste Braut!

Dann sagte sie endlich: Ich habe es wohl gewußt, weshalb du mir fern bliebst so viele Tage. Du hast dir vorgestellt wie es werden würde, wenn du zu meinem Vater gingest und um seine Tochter würbest, daß der Ätti dann sehr erschrecken würde bei dem Gedanken, mich hergeben zu sollen. Und darum, weil du so gut und edel bist und ganz selbstlos nur an das Wohl und Weh anderer denkst, hast du lieber verzichten wollen, als deinem alten Freunde den großen Schmerz bereiten. Denn freilich, er kann nicht von Italien lassen, schon um seiner Kunst willen, und wie sollte er sich denn einsam ohne mich behelfen? Aber könntet ihr mich denn nicht teilen, daß du mich ihm ein paar Monate ließest und er im Sommer dann wieder mit uns lebte, wie hier oder in der Stadt? Oder besser noch, wär's nicht möglich, du siedeltest an unsre Riviera über mit deinem ganzen Ospedale, da es auch bei uns an kranken Kindern nicht fehlt, desto mehr aber an Hilfe für sie? Sag, wär's nicht gut gewesen, du hättest deine Zweifel mir oder dem Ätti offen gestanden, und ihr hättet gemeinsam überlegt, was das beste wäre?

Er nickte nur, und eine peinliche Empfindung regte sich in ihm. Er durfte ihr ja nicht gestehn, daß diese Rücksicht ihm nicht von fern in den Sinn gekommen war, da eine viel schwerere Sorge ihm den Mund verschlossen hatte.

Kind, sagte er, ich war so verworren und beklommen in meinen Gedanken, ich fand keinen Ausweg. Und dann – du irrst, wenn du meinst, ich wäre deines Herzens so sicher gewesen, wie du des meinen. Wenn ich mich neben dir sah, den unjungen, unscheinbaren Mann neben deiner Jugendblüte –

Sie legte ihm sanft die kleine Hand auf den Mund. Still, sagte sie lächelnd. So was will ich nicht hören. Wer nur ein Wort sagt, das meinen Liebsten herabsetzt, ist mein Feind. Zur Strafe werd' ich dir gar nicht sagen, was ich alles an dir geliebt und bewundert habe, seitdem ich dich kenne, nein, so recht erst seit zwei Jahren, denn vorher war ich ja noch ein ganz dummes Maidli und hatte immer eine geheime Furcht, du möchtest mich gar zu einfältig finden. So recht für immer zu tiefst dich ins Herz geschlossen und das Schlüsselein in den See geworfen hab' ich erst, da du im Sommer vorm Jahr einmal ernsthaft wie mit einer erwachsenen Person mit mir gesprochen hast und mein Spiel gelobt und gesagt, es sei ein Gottesgeschenk und ich müsse es dadurch danken, daß ich es ausbildete mit allem Fleiß. O mein Geliebter, seit der Stunde habe ich jedes Wort, das du mir gesagt, unvergänglich in mir aufbewahrt und immer die Miene, die du dabei gemacht hast, und zwanzigmal hab' ich dein liebes Gesicht zu zeichnen versucht, und nie bin ich damit zustande gekommen. Auch daß diese Stunde kommen würde, hab' ich fest geglaubt, nun sie aber erschienen ist, ist sie süßer und seliger, als ich je geahnt habe.

Sie bückte sich und drückte ihren Mund auf seine Hand.

Als sie ihr Gesicht dann wieder erhob, begegnete sein Mund ihren zarten jungen Lippen, und sie erwiderte mit schüchterner Innigkeit seinen Kuß. Dann stand sie rasch auf. Ich muß nach Haus, sagte sie. Der Ätti wird sich Sorge machen, wo ich hingeraten bin. Er ahnt nicht, wie es zwischen uns steht. Nur die Cattina ist eingeweiht, schon seit dem vorigen Sommer. Sie fand mich kurz nach deinem Abschied in Tränen und sagte mir auf den Kopf zu, ich weinte um dich. Wie hätt' ich es leugnen können! Und es machte sie auch so froh, denn sie liebt dich schwärmerisch, für ihren Sor Giovanni ginge sie durchs Feuer. Es wär' auch ein Wunder, wenn es anders wäre. Aber komm, komm! Sieh, wie herrlich die Nacht! Der Himmel hat einen Brautschleier ausgespannt um uns her. Wenn ich jetzt meine Geige hätte, da solltest du hören, wie's in mir jubelt! Mit Worten kann man das nicht aussprechen.

Sie faßte ihn an der Hand, und so gingen sie langsam, Schulter an Schulter gelehnt, quer über die taufunkelnde Wiese dem Hause zu. Sie sprachen nichts mehr. Nur einmal blieb Crone stehn und sagte: Heut abend soll es der Vater nicht mehr erfahren, nur die Cattina. Er würde kein Auge zutun vor Aufregung. Morgen aber geh zu ihm. Mein Glück ist noch nicht vollkommen, bis er's weiß.

Damit erreichten sie das Haus. Cattina stand unter der Tür neben Fulvo, der mit lautem Freudegebell auf sie lossprang.

Kommt la piccina endlich nach 'ause? sagte die Getreue. 'at sich aufhalten mit Sor Giovanni? Der Babbo ist schon worden unruhig, ist auch sehr spät, le nove e mezza –

O Cattina, flüsterte das Mädchen, indem sie ihr um den Hals fiel, es ist ja nun alles zwischen uns gesagt, du kannst deiner Coroncina Glück wünschen – gib ihr die Hand, Liebster!

Die Magd stieß einen Freudenruf aus und ergriff Helmbrechts Hand, sie an ihre Lippen zu ziehen, während sie aus der Fülle ihres Herzens eine Flut von italienischen Freud- und Dankesworten hervorsprudelte. Er aber entzog sie ihr rasch und sagte: Euch hab' ich zu danken, Cattina, von Euch als von ihrer zweiten Mutter muß ich den Segen für mein Glück erbitten. Ihr habt gesorgt, daß dies geliebte Kind so rein und schön an Leib und Seele aufgeblüht ist, und ich bin stolz darauf, daß Ihr sie mir gönnt. Und in aller Zukunft –

Man hörte im Innern des Hauses die Stimme des Vaters, der nach Cattina rief. Helmbrecht legte den Finger auf den Mund, umfing noch einmal die geliebte Gestalt und entfernte sich dann eilig von dem Hause, auf dem Fußwege. der nach dem Seehof führte.


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