Paul Heyse
Crone Stäudlin
Paul Heyse

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Vierzehntes Kapitel.

So war der Sonntag wieder herangekommen.

Im Wirtsgarten schwirrte und wimmelte es von Gästen aus dem Städtchen, die von dem angekündigten Nachmittagskonzert böhmischer Musikanten sich hatten herauflocken lassen. Auch die Kurgäste waren fast vollzählig in der offnen Halle geblieben. Außer Sascha Bergs gewaltsamem Phantasieren auf dem Pianino unten im Speisesaal bekam man ja hier oben selten einen Ton zu hören, wenn man sich nicht am Stäudlinschen Hause auf den Lauscherposten stellte, während Crone musizierte.

Die fremden Musikanten, Geige, Cello, Klarinette und eine kleine Handpauke, spielten mit vielem Feuer und wurden nach jedem Stück eifrig beklatscht. Es klang auch hübsch in der reinen Abendluft auf dieser freien Höhe, und die Zuhörerschaft wurde so andächtig gestimmt, daß selbst während der flotten Walzer und ungarischen Tänze kein Klappern mit Löffeln und Gläsern sich vernehmen ließ, da alles atemlos zuhörte.

An einem runden Tisch nah beim Hause, der noch aus der Halle hatte herausgeschafft werden müssen, da alle übrigen besetzt waren, hatte sich ein Kleeblatt junger Leute niedergelassen, Korpsstudenten, wie an den Bändern über ihrer Brust zu erkennen war. Sie waren mit ausgesuchter Eleganz gekleidet, in sportsmäßigen Reiseanzügen, und zumal der eine von ihnen, der größte und schönste, der ein schwarzes Hütchen auf dem braunen Krauskopf trug, schien reicher Leute Kind zu sein. Er trug einen Brillantring am kleinen Finger, und in seiner hellen Krawatte steckte eine Nadel mit einer großen schwarzen Perle.

Eine Bowle, der sie fleißig zusprachen, stand vor ihnen, sie rauchten Zigaretten und maßen die übrige Gesellschaft mit etwas hochmütigen Blicken, zumal keine der jungen Spießbürgerinnen durch besondere Reize sich hervortat.

An dem Beifall der anderen beteiligten sie sich nur herablassend, indem sie mit ihren Stöcken ein paarmal auf den Tisch schlugen, daß die Terrine, die die Bowle enthielt, leise klirrte. Sie hatte schon wieder gefüllt werden müssen. Die jungen Herren schienen von einer langen Wanderung einen beträchtlichen Durst mitgebracht zu haben, und besonders das hübsche, offene Gesicht des größten leuchtete von einer Röte, die nicht bloß die Sonne darauf zurückgelassen hatte.

Als wieder ein Stück zu Ende gegangen war, erhob er sich, sah sich im Kreise um, strich das Bärtchen über den vollen Lippen und rief mit lauter Stimme, indem er mit dem Stock auf den Tisch schlug: Silentium! Gaudeamus igitur!

Aller Blicke wandten sich nach ihm. Er aber, unbefangen, als ob er an seinem Seniorenplatz in der Kneipe säße, fing das alte Lied an zu singen, mit einem volltönenden hohen Bariton, neben dem die Begleitstimmen seiner Kameraden kaum zur Geltung kamen.

Auch der Gesang wurde mit Händeklatschen belohnt; nach und nach hatten sich die sämtlichen Kurgäste, die ihr Abendessen beendet hatten, ins Freie herausgemacht und umstanden den Tisch der Sänger, die ohne darauf zu achten fortfuhren, als wären sie ganz unter sich. Besonders eifrig hatte Sascha Berg geklatscht, neben ihm Fräulein Lilli Flügel, die kein Auge von der Siegfriedgestalt des schönen Sängers verwandte. Auch Yvonne war sichtbar von ihm bezaubert, und hinter den Gästen stand Frau Maria mit den Töchtern, während die Dienstleute sich etwas weiter zurück um den Hauseingang geschart hatten.

Es war denn auch begreiflich, daß dieses Gratiskonzert die sämtlichen Insassen des Seehofs mehr anlockte, als die Produktionen der Wandermusikanten. Denn nachdem noch ein paar Studentenlieder auf das Gaudeamus gefolgt waren, stimmte der Vorsänger ein reizendes Volksliedchen an, darauf ein Eichendorffsches mit der Schumannschen Melodie, und so schier unermüdlich ein halb Dutzend der lieblichsten und beliebtesten Gesänge, in denen er allen Zauber seiner herrlichen Stimme entfaltete. Seine Freunde akkompanierten ihn so gut es ging, manchmal nur mit Brummstimmen, ein paarmal, bei einem allbekannten Liede, fiel auch der böhmische Geiger mit einer diskreten Begleitung ein.

Das dichtgedrängte Publikum stand so unter dem Zauber, daß es sogar das Beifallklatschen nach jedem Liede unterließ. Erst als der junge Herr, der während des Singens am Tisch gestanden, sich niederließ, sein Glas von neuem füllte und auf einen Zug austrank, erscholl von allen Seiten ein begeisterter Applaus, der ein paar Minuten anhielt und an dem sich auch das böhmische Kleeblatt heftig beteiligte.

Der so Gefeierte erhob sich wieder, verneigte sich, sein Hütchen schwenkend, nach allen Seiten, ging dann aber nach dem Musikantentisch und nahm von ihm den leeren Teller weg, der zum Einsammeln der freiwilligen Spenden bestimmt und schon einmal herumgegangen war. Zum höchsten Erstaunen aller Umstehenden trat er zunächst zu der Gruppe der Kurgäste, lüftete höflich den Hut und hielt jedem einzelnen den Teller hin. Da man nicht wußte, was man daraus machen sollte, und dem feinen jungen Herrn nicht mit kleiner Münze seinen Gesang belohnen konnte, füllte sich der Teller mit blanken Silberstücken, die zu einem ansehnlichen Häuschen anwuchsen, als er auch bei den Leuten aus der Stadt herumgegangen war. Alle sahen ihm befremdet zu. Er ist nicht mehr ganz zurechnungsfähig, flüsterte der Komponist seiner Nachbarin zu. Sehen Sie, wie schwankend er geht. Erst der Wein und dann sein eigenes Singen hat ihn natürlich montiert. Aber er hat eine gottbegnadete Stimme in der Kehle. Wenn der meinen Ariel gesungen hätte!

Inzwischen war der Sänger zu dem Tisch der Böhmen zurückgekehrt und hatte den vollen Teller in den Hut, den einer von ihnen vor sich stehen hatte, ausgeschüttet. Die armen Gesellen, die sich auf eine so reiche Ernte nicht entfernt Rechnung gemacht hatten, erschöpften sich in Danksagungen, die ihr Gönner mit einer gnädig ablehnenden Gebärde hinnahm. Er sagte dem Geiger leise ein Wort, das dieser mit einem dienstfertigen Kopfnicken beantwortete und seinen Gefährten weiter zuraunte. Sofort machten diese sich mit ihren Instrumenten bereit und begannen die Einleitung zu der großen Arie des Figaro im Barbier, mit der der Sänger dann so frisch und hell einsetzte, als ob seiner Kehle weder die Fluten des Weins noch das lange Singen etwas von ihrer melodischen Fülle zu rauben vermocht hätten.

Er sang das unverwüstlich junge Musikstück auf italienisch, mit allem südlichen Feuer und strahlenden Übermut, die sein Schöpfer hineingelegt hat. Die Zuhörer standen wie gebannt, atemlos, die Augen weit offen auf den jungen Fremdling gerichtet, der ihnen so unvergleichliche, ungeahnte Genüsse bot. Der Magier selbst aber schien von seiner Kunst wie auf Flügeln getragen über der Erde zu schweben, ein siegesfrohes Lächeln spielte um seine Lippen, und sein kühner Blick schweifte flammend in die Runde, bis er plötzlich auf einer Stelle haften blieb, wo eine Mädchengestalt hinter zwei Reihen der Tische die ganze Zeit über unbeweglich gestanden hatte, ebenfalls von der Macht dieser Stimme gefesselt und mit unverwandtem Blick den Sänger anstarrend.

Es war Crone, die von einem späten Spaziergang eben nach Haus zurückgekehrt war und durch den Gesang, der aus dem Wirtsgarten weit über den Wiesengrund tönte, sich hatte heranlocken lassen.

Sie wollte jetzt, da die Arie beendet war und ein stürmisches Klatschen erscholl, sacht sich aus der Menge herauswinden. Doch hatte die Zuhörerschaft sich so dicht hinter ihr geschart, daß sie nicht gleich eine Lücke fand. Auch war sie begierig, zu sehen, was nun noch folgen würde, und fuhr zusammen, als der junge Mann die begeisterte Stimmung und den Beifallstumult selbst unterbrach, indem er laut mit dem Stock auf den Tisch schlug und jetzt, mit einer plötzlich vom Trinken heiseren Stimme ausrief: Silentium! Ex est musica, incipit fidelitas. Die verehrten Herrschaften werden zu einem kleinen ländlichen Ball eingeladen, die Frau Wirtin wird höflichst gebeten, die Speisehalle ausräumen zu lassen, die Tanzmusik zu stellen werden wir uns erlauben.

Vivat hoch die Herren Studenten! klang es aus den Reihen der Stadtleute, und hoch! und abermals hoch! fielen andere ein, junge Bürgerssöhne, denen es höchst erwünscht war, mit ihren Kusinen und Liebchen die schöne Sommernacht zu durchtanzen. Auch Frau Maria gab sogleich die nötigen Befehle. Der Festordner aber erhob sich, sagte seinen Freunden ein Wort, die sich alsbald zu den Damen des Hauses wandten, und schritt selbst ohne sich zu besinnen auf die Stelle zu, wo Crone stand, eben ihre Umgebung bittend, ihr freien Paß zu gewähren.

Im nächsten Augenblick aber stand der Student, dem man ehrerbietig Platz gemacht hatte, vor ihr und sagte, sich vor ihr verneigend, mit etwas unsicherer Stimme: Darf ich die Ehre haben, mein gnädiges Fräulein, Sie um den ersten Tanz zu bitten? Freiherr von Dürenstein, studiosus juris im fünften Semester.

In Crones Gesicht stieg eine flüchtige Röte auf. Sie warf einen raschen Blick auf das erhitzte Gesicht des jungen Herrn, sah dann wieder zu Boden und sagte ruhig: Ich danke, mein Herr, ich tanze nicht.

Tanzen Sie überhaupt nicht, mein Fräulein, oder wollen Sie bloß mit mir nicht tanzen? versetzte er rasch in gereiztem Ton.

Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig, erwiderte sie, durch seine herrische Stimme und Gebärde verletzt. Ich wünsche nach Hause zu gehn.

Wieder wandte sie sich zu denen, die hinter ihr standen. Da fühlte sie sich plötzlich am Arm ergriffen.

Lassen Sie mich, rief sie mit flammender Empörung. Wie können Sie sich herausnehmen –? Sie sind –

Betrunken, wollen Sie sagen, versetzte der Student mit gezwungenem Lachen. Nein, mein verehrtes Fräulein, Sie sind im Irrtum. Wenn ich nicht mehr ganz nüchtern bin – beim Zeus! – Sie selbst sind schuld daran – das heißt, erst die Musik und dann – verzeihen Sie das rohe Wort, aber im Wein ist Wahrheit – berauscht hat mich ihre Schönheit! Ist mir das übelzunehmen, meine Herrschaften? wandte er sich an die Leute, die um sie herum standen. Ist diese junge Dame nicht – Sie kennen Schillers Mädchen aus der Fremde – nun, in einem Tal bei armen Hirten – obwohl Sie selbst weder arm noch Hirten sind – sie reichte jedem eine Gabe, und darum, allerschönste und allerungnädigste Prinzessin, erwartet Ihr untertänigster Knecht – oho! rief er, da es ihr eben gelang, sich von seiner festen Hand loszureißen und ihn zurückzustoßen, – so kommen Sie mir nicht davon! Wenn Sie nicht mit mir tanzen wollen – ein Lösegeld wenigstens müssen Sie mir zahlen – Figaro läßt sich nicht spotten, und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt! –

Bei den letzten Worten, die er so laut hinausgeschrien hatte, daß alle Köpfe im Wirtsgarten sich nach den beiden hinkehrten, hatte er die entsetzt Zurückweichende mit beiden Armen umfaßt und näherte sein glühendes Gesicht dem ihren, das sich heftig abwendete, als plötzlich eine starke Faust in seinen Nacken griff und ihn, der wütend um sich schlug, zurückriß.

Elender Geselle! ertönte Helmbrechts Stimme, zurück von dem Fräulein und auf die Knie vor ihr, sie für dies unverschämte Betragen um Verzeihung zu bitten! Doch nein, ein Betrunkener kann niemand beleidigen. Hinweg und schlafen Sie Ihren Rausch aus! Sie aber, Fräulein Stäudlin, nehmen Sie meinen Arm und erlauben Sie mir, Sie zu Ihrem Vater zu geleiten. Diesen frechen Jungen wollen wir keines weiteren Wortes würdigen.

Mein Herr – hörte man den taumelnd sich Aufrichtenden stammeln – Sie werden mir – Rechenschaft – wie können Sie wagen –

Kommen Sie, Crone! sagte Helmbrecht. Ich bitte, meine Herrschaften, uns den Weg freizugeben.

Es war totenstill um sie her geworden. Die Freunde des nun halb Ernüchterten stürzten zu ihm und sprachen ihm leise zu. Er warf einen wütenden Blick auf seinen Feind, der sich ruhig entfernte, und ließ sich scheltend und tobend nach der Gitterpforte ziehen und den Weg nach dem Städtchen hinabführen. Einer der Studenten kehrte zu der Gesellschaft zurück und bat höflich, die Störung zu entschuldigen. Ihrem Freunde sei etwas Ähnliches nie begegnet. Der weite Tagesmarsch habe ihn aufgeregt und erschöpft, so daß das hastige Trinken und der Gesang ihm die Sinne verwirren mußte.

Man nahm die Entschuldigung willig entgegen, mit dem Bedauern, daß dem jungen Herrn, nachdem er ihnen so viel Genüsse gewährt, etwas Menschliches begegnet sei. An eine Fortsetzung der geselligen Lustbarkeit war freilich nicht mehr zu denken.


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