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an den Walchensee.
(1858)
Bernhard Windscheid
zugeeignet.
Du klagst, mein Freund, und Manchen hör' ich klagen,
Daß wir so gern nach düstren Stoffen greifen.
Soll nicht die heitre Kunst in dunklen Tagen
Des Lebens Druck uns von der Seele streifen?
Warum ich nur des Lachens mich entschlagen,
Um Nachtgebiete grübelnd zu durchschweifen,
Ich, dessen Jugend hell in Sonne stand,
Und den du stets ein Kind des Glücks genannt?
Wohl! der Tragöde mag die tiefen Quellen
Von Schuld und Schicksal schaudernd rauschen hören.
Doch darf man uns in leidigen Novellen
Mit herbem Mißklang das Gemüth verstören?
Nein, ließe Dichterwaare sich bestellen,
So müsst' ich, sagst du, diesen Hang verschwören
Und fern von Leidenschaft und ihren Grillen,
Gleichsam zur Kur, mich üben in Idyllen. 224
Sei's denn! Mir scheint's ein löbliches Beginnen,
Aus dieser Welt, die Noth und Gräuel häuft,
In ein Gedicht friedfertig zu entrinnen,
Das wie ein Sommerfeiertag verläuft.
Ein Landschaftsbild, ein Stück Staffage drinnen,
Ein Himmel, der von Milch und Honig träuft,
Moral im Sinn der Lebensphilosophen:
Behüt' uns Gott vor allen Katastrophen!
Bist du's zufrieden? Gut! Und nicht besinnt sich
Die müß'ge Muse, frisch ans Werk zu gehen.
Nur eine kleine Frage noch entspinnt sich:
Um Etwas doch muß unser Lied sich drehen.
Ganz ohne Faden, sei er noch so winzig,
Vermag selbst Theokrit nicht zu bestehen,
Man müsste denn in Garten, Wald und Wiese
Beständig schmausen, wie in Voß' Luise.
Ein Dorfgeschichtchen? – »Nichts von Dorfgeschichten,
Die's ohnehin bei jeder Messe schneit!« –
Was aber soll ich von der Stadt berichten,
Die Staub umhüllt und Politik entzweit?
Wir, die wir nicht Culturromane dichten,
Und wenig nur verstehn vom Geist der Zeit,
Wie könnten wir von dort uns Heil versprechen,
Und vollends ein Idyll vom Zaune brechen?
Doch sieh, was kommt aus jenem Thor gefahren?
Ein Berner Wäglein, groß genug für Zwei,
Die es behaglich finden, Raum zu sparen,
Damit nur Herz am Herzen näher sei.
Ein treuer Diener, schon mit grauen Haaren,
Sitzt auf dem Bock in neuer Liverey
Und lässt von Zeit zu Zeit die Peitsche knallen,
Hört er im Wagen was wie Küsse schallen. 225
Denn alles Lieb' und Gute gönnt er ehrlich
Dem jungen Mann, der jüngst ein Eh'mann ward.
Er fühlt sich seiner Herrschaft unentbehrlich,
Ob auch schon längst dem Junker sproß der Bart.
Nun hat er – ein Rival, doch ungefährlich –
Sich in die schöne junge Frau vernarrt
Und schätzt es gleich dem höchsten Gunstbeweise,
Daß man ihn mitnahm auf die Hochzeitsreise.
O Hochzeitsreise, Zaubertraum, durch dessen
Magie wir uns der Wirklichkeit entrücken!
O Lebenssilberblick, du machst vergessen
Die Noth der Zeit, die Schuhe, die uns drücken,
Schlecht Wetter, schlechte Wege, schlechtes Essen!
Wer wünschte nicht, vom breiten Kutscherrücken
Beschirmt, selbander in die Welt zu fahren,
Wie wir's erlebt, mit vierundzwanzig Jahren!
Fahrt zu, ihr Glücklichen! Ihr habt es gut,
Ihr müht euch nicht, Idyllen zu erdenken;
Ihr seid ja selber eins in Fleisch und Blut,
Und keine Noth der Reime darf euch kränken.
Wenn Wange träumerisch an Wange ruht
Und eure Hände zärtlich sich verschränken,
Reimt wohl auch Mund auf Mund, so ungezwungen,
So rein, wie's keinem Dichter je gelungen.
Sagt, wohin geht die Fahrt? – Wie? mir entgegen?
Schon ließt ihr weit dahinten Frau Bavaria
Und athmet auf, da ihr auf wald'gen Wegen
Entronnen seid der städtischen Malaria?
Triumph! Die Straße will ich euch verlegen;
Ihr kommt mir wie bestellt. Dies ist fürwahr ja
Ein Himmelswink, daß aller Zweifel ende;
Läuft mir mein Stoff nicht förmlich in die Hände? 226
Getrost, mein Freund! ins Garn sind uns gegangen
Zwei Hauptfiguren ganz nach deinem Sinn.
Vor Katastrophen braucht dir nicht zu bangen,
Ob sie »sich kriegen«, steht nicht mehr dahin.
Die junge Frau, wie lieblich unbefangen!
Er sorgenlos, trotz seinem bärt'gen Kinn;
Und macht uns ihre Zärtlichkeit Beschwerde,
So sehn wir, gleich dem Kutscher, auf die Pferde.
Die traben lustig fort. Schon liegt Schwaneck,
Schwanthalers zahmes Raubschloß, hinter ihnen.
Nun hebt sich Baierbrunn aus dem Versteck
Des Walds empor, vom frühen Tag beschienen.
Der Isar wilde Wasser brausen keck
In tiefer Felsschlucht. Mit verklärten Mienen
Begrüßt die schöne Frau das Uferland;
Ein jeder Grashalm hier dünkt ihr bekannt.
Denn wo der Isar vielzerrißnes Bette
Zu grünem Wald- und Wiesenthal sich weitet,
Liegt eines Klosters friedenreiche Stätte,
Ein hoher Bau, ansehnlich ausgebreitet.
Herüber blickt ein Streif der Alpenkette,
Der kaum den Wunsch zur Welt zurückeleitet;
Und in der Hut entsagungsvoller Tugend
Blüht still heran manch eine Mädchenjugend.
Hier war's, beim öffentlichen Herbstexamen,
Wo Franz zum ersten Mal Marien sah;
Man sprach dem Wandrer von den frommen Damen,
Und ohne viel zu denken blieb er da.
Vormünder, Mütter und Geschwister kamen,
Neugier'ge strömten zu von fern und nah,
Die Nönnchen strebten Ehre einzulegen,
Denn der Herr Erzbischof war selbst zugegen. 227
Im Saal, in grünen Sonntagskleidern, sitzt
Der Mädchenflor, Erwartung in den Blicken,
Der kleinste Backfisch, tugendhaft erhitzt
Vom Ehrgeiz, heut den Musterstrumpf zu stricken,
Dann die Gereiftern, deren Auge blitzt
Im Vorgefühl, einst Herzen zu bestricken.
An Schönheit hat Marie, ohn' allen Streit,
Den Vorrang; minder an Gelehrsamkeit.
Franz, dessen Auge nicht mehr von ihr weicht,
Nimmt innig Theil an ihren Prüfungsnöthen.
Bei jedem ihrer Schnitzer überschleicht
Sein Angesicht gleich ihrem ein Erröthen.
Die neuen Sprachen spricht sie rein und leicht,
Doch läßt sie Cäsar durch Pompejus tödten;
Auch geographisch sündigt sie gar sehr
Und sucht den Ararat am rothen Meer.
Dann aber, als der ganze Mädchenchor
Zusammenklingt im frommen Festgesange,
Wie glänzt Mariens edler Alt hervor!
Welch ein Geheimniß schläft in seinem Klange?
Durch unsres Wandrers unbewachtes Ohr
Zieht diese Stimme siegend ein, und lange
Staunt er bei sich, wie gut zusammentaugen
Ihr dunkles Lied und ihre hellen Augen.
Was sag' ich mehr? Das Wandern unterblieb.
Am ersten Herd sollt' unser Vogel haften.
Ein offner Brief, den Franz Marien schrieb,
Gestand, wie schnell sich Aug' und Ohr vergafften.
Er habe sie um ihre Stimme lieb
Und nicht so sehr um ihre Wissenschaften.
»Am Schultisch war auch ich,« schloß er mit Scherzen,
»Der Erste nie; – wär' ich's in Ihrem Herzen!« 228
Er war's, und aus dem Kloster in sein Haus
Führt er das Bräutlein mit der Eltern Segen.
Zwar, sein Westphalen liebt er überaus,
Doch fügt er sich des Schwiegervaters wegen
Und tauscht sein Landgut um ein andres aus,
Das wenig Meilen von der Stadt gelegen.
Nun hätt' er, als der Hochzeitlärm verschollen,
Der neuen Heimath gern genießen wollen.
Sie lacht dazu und küßt ihn und entgegnet:
Erst laß die Welt mich sehn, mein Süßer, Treuer!
Nein, eh der Herbst nicht unser Glück verregnet,
Wird mir's im eignen Hause nicht geheuer.
Vielleicht, wenn wir auf Reisen gehn, begegnet
Uns unterwegs ein hübsches Abenteuer.
Du magst sie freilich müde sein. Indessen
Bedenk' doch nur, wie lang ich still gesessen.
Hier läg' es nah, ein ernstes Wort zu sprechen
Und über alle Mädcheninstitute,
Geistlich' und weltliche, den Stab zu brechen.
So manchem zarten Pflänzchen käm's zu Gute.
Doch war, die Welt zu bessern, meiner Schwächen
Geringste stets, zumal wo ich vermuthe,
Daß sie nicht Dank weiß ihren Kritikern;
Ich lasse dies Socialpolitikern.
Auch ist das Paar, das weich im Wagen saß,
Hier auf der Höhe plötzlich ausgestiegen.
Zum Strom hinab den schatt'gen Felsenpaß
Sehn wir Marie am Arm des Gatten fliegen.
Von freud'ger Wehmuth wird ihr Auge naß.
Als nun die Klostermauern vor ihr liegen.
Da sind wir! ruft gerührt die junge Frau aus;
Dort ist die Schule, Franz, und dort das Brauhaus. – 229
Giebt's auch ein Klosterheimweh? Ach, der Ort,
An dem wir jung gewesen, lockt uns immer,
Und wär' es dunkel, kalt und öde dort,
Das Herz verklärt ihn mit geheimem Schimmer.
Sie treten ein; nicht eher will sie fort,
Als bis sie rasch begrüßt die trauten Zimmer,
Und von der Ob'rin bis zur Küchenmagd
Noch Einmal Allen Lebewohl gesagt.
Man sieht, wenn ich hier wenig Lust bezeige,
Polemisch vorzugehn, ist's wohlgethan. –
Nachdenklich klimmt das Paar die jähe Steige
Zum waldbekrönten Uferrand hinan.
Dort liegt ein Weiler tief im Laubgezweige,
Ein blankes Wirthshaus, ein Gehöft daran.
Johann leert seinen Krug, die Peitsche knallt,
Fort geht die Reise sonder Aufenthalt.
Eilt immerhin! Mir aber sei's verstattet,
Nicht ohne Gruß und Abschied mich zu trennen.
Wohl hat's der Ort, so heimlich grün verschattet,
Um mich verdient, bei Namen ihn zu nennen.
Wenn lange Wintermühen mich ermattet
Und Münchens Sommer schwer begann zu brennen,
Dem Lechzenden nach Frieden und Natur –
Du botst ihm Zuflucht, Ebenhausens Flur!
Es mögen Andre andre Stätten loben;
Mir aber sei vor allen du gepriesen,
Du stillster Fleck der Welt! Vom Hügel droben
Wie labt den Blick Walddunkel, Grün der Wiesen,
Und fern, mit zartem Aetherduft umwoben,
Die hehre Kette der Gebirgesriesen!
Tief blaut der Horizont, für jedes kühne
Gewitterschauspiel die erhabne Bühne. 230
Gesegnet seist du mir! – Doch nun im Fluge
Lebwohl! Zu viele Lyrik möcht' uns schaden.
Längst wurden ja verpönt mit gutem Fuge
Buntscheckig lyrisch-epische Tiraden.
Auf, mein Idyll, und jetzt in frischerm Zuge,
Denn sieh, es wimmelt rings auf allen Pfaden,
Und unser Paar hört im Vorübersausen,
Es geb' ein großes Fest in Wolfrathshausen.
Dies Wolfrathshausen, das, so viel ich weiß,
Noch kein Poet gewürdigt zu besingen,
Nährt vierzehnhundert Seelen, oder sei's
Ein hundert drüber, die sich vorwärts bringen
In mancherlei Gewerb. Besondern Fleiß
Bewähren sie mit rühmlichem Gelingen
Im Bierconsum. Auf je zweihundert Seelen
Konnt' ich – beiläufig nur – Ein Brauhaus zählen.
In Anbetracht, wie segensreich er wirke,
Ward dieser Flecken denn an höchster Stelle
Zum Haupt erwählt dem ganzen Landbezirke;
(Gern sitzt die Göttin Themis an der Quelle.)
Und daß man heut die Ehre nicht verwirke
Und neuen Glanz dem alten zugeselle,
That jeder Bürger ungemahnt sein Bestes
Zu würdiger Verherrlichung des Festes.
So manche Kunst versteht das Volk in Bayern,
In der wir Nordische nur Stümper sind.
Fern sei's, den alten Hader zu erneuern,
Ob Süd-, ob Norddeutsch mir den Preis gewinnt.
Doch daß man hier zu Land im Festefeiern
Es uns zuvorthut, weiß ein jedes Kind.
Hoch geht es her im ärmlichsten Gebirgsnest,
Geschweige bei so stattlichem Bezirksfest. 231
Seht, wie das Städtchen bunt in Blumen lacht,
Indeß die Glocke ruft zur Feierstunde!
Ein lauer Wind in goldner Sonne macht
Blauweiße Fähnlein tanzen in der Runde.
Die Flut der klaren Loisach schäumt mit Macht,
Die Wiese kühl umarmend, dort im Grunde;
Hoch ob den Häusern und der grünen Halde
Blickt der Calvarienhügel aus dem Walde.
Und welch Gewühl! Den Rundhut auf den Köpfen
Die Männer, jung und alt in kurzen Jankern,
Mit Zwanzigern gespickt und Silberknöpfen,
Die Frau'n in Ottermützen oder schlankern
Filzhütchen auf den breitgeflocht'nen Zöpfen,
Auch wohl ein Münchner Kind mit seinem blankern
Goldriegelhäubchen – Alles drängt sich munter
Zum Festplatz nach der Insel dort hinunter.
Sieh, unser junges Paar verläßt den Wagen
Und schwimmt im Strome mit, erwartungsvoll.
Man hat im Grunde Hütten aufgeschlagen,
Um die das Fest drei Tage kreisen soll.
Inmitten sieht man ein Gezelte ragen
Für die Behörden. Das Gewühl umschwoll
Die Thier- und Bier- und Akrobatenbuden,
Die mit Trompetenklang zum Eintritt luden.
Wer aber achtet drauf! Denn eben naht
Der Festzug dort, und wie von je geschehen,
Obwohl die Praxis wenig für sich hat,
Hebt sich sofort ein Jeder auf den Zehen.
Voran erscheint in vollem Feierstaat
Mit seidnen Binden, die vom Sattel wehen,
Der Kern der Bürgerschaft zu Roß; es reiten
Ein Dutzend Bauern stolz zu beiden Seiten. 232
Musik begrüßt sie und ein frohes Brausen
Im Volk, da durch den grünen Ehrenbogen
Heranzieht der Senat von Wolfrathshausen.
Flugs theilen sich des Volkes dichte Wogen,
Und vom Calvarienberg in kurzen Pausen
Kommt Böllerknall und Pulverdampf geflogen,
Daß alle Rosse kühn die Ohren spitzen
Und mancher Reiter Noth hat, fest zu sitzen.
Der Cavalcade folgt die Festkapelle,
Darnach ein Wagen, den vier Rosse ziehn.
Des Königs Bild auf blumigem Gestelle
Thront unter goldgesäultem Baldachin.
Langsam bewegt der Bau sich von der Stelle
Fähnlein und Kranzgewind' umflattern ihn;
Vier Kinder stehn mit ländlichem Geräth
Hüben und drüben um die Majestät.
Im nächsten Wagen sitzen reihenweis
In Blumenschmuck zwölf junge Spinnerinnen.
Die Rädchen schwenken sich mit hurt'gem Fleiß,
Als spänn' ein jedes heut am Hochzeitslinnen.
Im dritten geht die Arbeit laut und heiß,
Da viele Hände dort den Flachs gewinnen;
Stumm und bescheiden folgt das vierte Dorf,
Ein Mann von Egling schichtet hier den Torf.
Und jetzt, vom Würmsee abgesandt, zwei Nachen,
Die schönbekränzt blauweiße Wimpel schwenken,
Zwei Schiffermädchen steuern sie und lachen,
Daß sie die Ruder in die Luft versenken.
Die Fischer wollen auch sich Ehre machen,
Hier fällt das Netz, hier dörren sie die Renken;
Ein Räucherofen dampft am Steuer dort,
Und leckre Fische fliegen über Bord. 233
Sieh, welch ein Riesenfaß, an dessen Wucht
Sechs Rappen keuchen, schwankt daher die Gasse!
Das Heidelberger kaum, so viel besucht,
Vergliche sich dem Eurasburger Fasse.
Ein Treppchen führt in seiner Rippen Schlucht,
Einladend, daß man dort sich niederlasse,
Denn drinnen winken gastlich Tisch und Bänke,
Zum kühlen Keller wird die Tonnenschenke.
Auch fehlt es nicht in dieser bunten Menge
An kühnem Schwung symbolischer Ideen.
Dort lassen sich, friedfertig trotz der Enge,
Die Jahreszeiten, dort die Monde sehen,
Und hier, umkränzt von dunklem Laubgehänge,
Lernt man die Bürgertugenden verstehen,
Denn Otterfings Schuljugend stellt den Wehrstand
Figürlich dar, zusammt dem Lehr- und Nährstand.
So ziehn mit Feierklang der Wagen achtzehn
Vorbei; mein Ebenhausen macht den Schluß.
Hier sollt ihr erst die reichste Blumenpracht sehn:
Ein Sennerhüttlein fährt von Kopf zu Fuß
Umlaubt einher. Dahinter schreiten sacht zehn
Bekränzte Kühe. In lebend'gem Fluß
Ein Brünnlein plätschert draußen vor der Hütte,
Und eine schlanke Sennin füllt die Bütte.
Zweimal umkreis't der Zug mit dumpfem Hallen
Der Heerdenglocken stolz den Wiesenplan.
Die Arbeit rührt sich auf den Wagen allen,
Wenn sie den »Spitzen der Behörden« nahn.
Vom Berg tönt unermüdlich Böllerknallen,
Und manch ein Vivatruf steigt himmelan;
Max und Marie läßt man mit Donnern leben,
Und ein gestrenges Landgericht daneben. 234
Marie – wo blieb die unsre? Seht, sie steigt
Mit ihrem Franz dort von der Ehrenbühne.
Wer ist der Fremde, der sich keck verneigt,
Der in der Joppe, der das schiefe grüne
Jagdhütchen trägt? Sein muntres Auge zeigt,
Er sei nichts weniger als Misogyne.
Auch ließ er flugs, da er Marie gesehen,
Zwei schmucke Wolfrathshäuserinnen stehen.
Die junge Frau begrüßt ihn ungezwungen
Und stellt ihn Franz als ihren Vetter vor.
Mit Lachen denkt sie alter Huldigungen
Und spricht von einem Hof- und Gartenthor
Und manchem losen Streich des wilden Jungen.
Franz aber wird einsilb'ger, als zuvor.
Erwachs'ne Vettern glauben gern, sie müssen
Auch noch als Frauen ihre Mühmchen küssen.
Zwar solch ein Aufbruch zärtlicher Gefühle
Ward abgewehrt. Doch blieb er ihr zur Seite,
Führt' aus der Wagen kreisendem Gewühle
Sie im Triumph hinaus, wo an die breite
Festwiese grenzt ein Schattendach voll Kühle,
Und war bemüht, dort, als der Eingeweihte
In jeden Landesbrauch, den Wirth zu machen;
Ja schlimmer noch: er brachte sie zum Lachen.
Sieh, sprach er, da sie nun im Grünen saßen
Und ländlich sittlich »Schweinernes mit Kraut,«
Das einz'ge Festgericht des Tages, aßen,
Wir pflegen hier so friedlich unsrer Haut
Und werden endlich satt, gewissermaßen,
Indeß man dort noch nicht dem Frieden traut
Und väterlich in schwerer Waffentracht
Den Mittagsschlaf des guten Volks bewacht. 235
Dieß, schönes Mühmchen, ist die Bürgerwehr
Von Wolfrathshausen, tapfre Kameraden.
Zwar taugen sie zum Felddienst wenig mehr,
Und pflegen seltner scharf als schwer zu laden;
Doch späh'n sie heute pflichtgetreu umher,
Und wer die Ruhe stört, Gott mög' ihm gnaden!
Er wird die Strenge der Gesetze spüren,
Den Rausch verschlafend bei verschloßnen Thüren.
Wie? winken heut noch größre Heldenthaten?
Welch ein Getümmel! Ein Zigeunerweib,
Das sich gelüsten ließ nach fremdem Braten.
Sie reißen ihr die Kleider schier vom Leib.
Indessen schlägt ihr Sohn – wie wohlgerathen! –
Im Sande Rad; ein würd'ger Zeitvertreib!
Seht, Vetter, dort die kleine Wetterhex'
Im grünen Kleid; kein garstiges Gewächs!
Doch, wie mir scheint, verderben sie die Luft.
Ich dächte, daß wir aus dem Winde gingen.
Cousine, sprich: Willst du den langen Schuft
Von Gaukler sehn ein blankes Schwert verschlingen?
Lockt dich der Seiltanz, wo Bajazzo ruft?
Wie? oder soll'n wir unsre Huld'gung bringen
Der wackren Kuh, die, wie der Zettel zeigt,
Ein Kalb mit zwei lebend'gen Köpfen säugt? –
So plaudert er. Es war kein Arg dabei,
Und arglos lacht Marie. Doch den gestrengen
Ehmann bedünkt, daß es vom Uebel sei,
Uneingeladen hier sich aufzudrängen.
»Sind wir uns selber nicht genug, wir Zwei?
Was braucht der Schwätzer sich uns anzuhängen?
Zur Eifersucht neig' ich wahrhaftig nicht,
Nein! doch entbehrlich scheint mir dieser Wicht.« 236
Noch ärger kommt's. Nachdem er lange Stunden
Im Volksgedräng unlustig ausgeharrt,
Am Pferderennen wenig Trost gefunden
Und auch der Thierschau herzlich müde ward –
Der Sonne Glanz ist schon hinabgeschwunden,
Am Himmel steht ihr blasser Widerpart –
Horch! in den Saal lockt der Musik Geschmetter,
Und einen Tanz versprach Marie dem Vetter.
Sei's um den einen Tanz! Doch keinen zweiten,
Obwohl die Lust ihr aus den Augen blitzt.
Noch liegt ihr Rastort für die Nacht im Weiten,
Und eh' sie vor der Fahrt sich mehr erhitzt,
Eilt Franz, sie an den Wagen zu begleiten,
Wo reisefertig schon ihr Diener sitzt.
Der Vetter merkt zu spät, daß sie entrannen,
Und durch die Nacht rollt ihr Gefährt von dannen.
Welch eine Nacht! Die Sterne feuerwerken
Und spielen Ball mit goldnen Meteoren;
Der Mond beginnt an Macht sich zu verstärken,
Indeß die Berge silbern sich umfloren.
Doch sie, die kaum auf all den Zauber merken,
Sind völlig in ihr junges Glück verloren.
Er küßt die Augen, draus mit Liebesmacht
Sein Himmel ihm gestirnt entgegen lacht.
Doch ihr getreuer Wagenlenker braucht
Sich nimmer zu bemühn mit Peitschenknallen,
Denn während sie von Waldesduft umhaucht
Hinrollen und die Geigen fern verhallen,
Ist er so ganz in Tiefsinn eingetaucht,
Daß schier die Zügel seiner Hand entfallen,
Und Menschenkenner merken's auf der Stelle:
Der Gute saß zu lang heut an der Quelle. 237
Wie nun, mein Freund? Wir hätten Ein Kapitel –
Kein allzu kurzes – glücklich überstanden,
Der Himmel weiß, ein Zwölftel, Neuntel, Drittel
Des Lieds, das aus dem Stegreif wir erfanden.
Nun lege dich mit gutem Rath ins Mittel,
Denn schändlich wär's, bestünden wir mit Schanden.
Ist dies die rechte Sorte von Idyllen?
Wie, oder reut dich unser Pakt im Stillen?
Du schweigst? O nein, sprich unverblümt und offen.
Ach, seit ich lernte meine Strophe bauen,
Hat manch ein kritisch Wetter mich betroffen,
Durch das ich schritt in stillem Gottvertrauen.
Und darf ich heut nicht um so dreister hoffen,
Mich unter deinem Schild herauszuhauen?
Hab' ich die Ausflucht nicht zur Hand: Ei was da!
Es wurde so bestellt, und damit basta –?
»Und dennoch Freund: Aus dem Idyll wird nichts!«
Nichts? das ist wenig. – »Hab' ich's doch gewußt:
Du warst gewärtig milderen Gerichts.
Doch mein' ich, daß du selbst bekennen mußt,
Sehr dunkel sei die Zukunft des Gedichts.« –
Wohl! doch bedenk' den Müh- und Zeitverlust,
Geb' ich es auf. – »So laß den ersten schmucken
Gesang gelegentlich als Bruchstück drucken. 238
»Er ist an sich nicht übel.« – Sehr verbunden! –
»Nein, in der That: du hast ganz art'ge Dinge
Und manchen lobenswerthen Reim gefunden.
Doch dieser Ruhm ist, dünkt mich, nur geringe.
Soll nicht ein Kunstwerk seelenvoll sich runden
Zum Bild der Ewigkeit, zum Schlangenringe?
Dein Faden aber fliegt – du mußt verzeihn –
Wie Weibersommer in den Tag hinein.« –
Wohl wahr! – »Denn siehst du, wohin soll es führen?
Begleiten wir so blindlings unser Paar,
Was willst du machen, wenn sie Lust verspüren
Nach Welschland, nach Florenz, nach Rom sogar?« –
Wohl wahr! – »Dann mußt du, statt das Herz zu rühren,
Was immer doch das Ziel der Muse war,
Ernst Försters Handbuch, nicht genug zu schätzen,
Als Nothbehelf in Stanzen übersetzen.« –
Wohl wahr. Doch alles dies, mein Theurer, hätten
Wir etwas früher nur bedenken sollen.
Ob wir die Stirne runzeln oder glätten –
Der Hochzeitsreisewagen ist im Rollen.
Und käm' ein Gott, er könnte nichts mehr retten,
Zu hoch schon sind die Strophen angeschwollen.
Laß dich geduldig nun vom Strome treiben,
Denn mein Geschmack ist's nicht, Fragmente schreiben.
Zwar wär' es leicht, dieß Flitterwochenlied,
Das unabsehlich scheint, alsbald zu kürzen,
Den Faden, der sich dünn ins Blaue zieht,
Zum Knoten, zum dramatischen, zu schürzen.
Allein, was »Katastrophen« ähnlich sieht,
Ward ja verpönt. Ohn' euch zu überstürzen,
Zieht eure Straße ruhig fort, Octaven!
Ihr seht, die Leutchen haben ausgeschlafen. 239
So gut, daß bei des Herbstes Morgenfrische
Sich Wanderlust in ihren Herzen regt.
Der Wirth betheuert, daß sie noch vor Tische
Ein leichter Schritt bequem nach Kochel trägt,
Und am Gebirge dort der zauberische
Frühduft, der wie ein Schleier sich bewegt,
Verheißt Bestand den klaren Sommertagen;
So senden sie getrost vorauf den Wagen.
Nun also wandern sie. Der runde Hut
Beschattet kühl der jungen Frau die Wangen.
Aus ihrem Blick lacht reinste Lebensglut;
Vom muntern Hauch des Morgenwinds umfangen
Hüpft sie, wie die Forelle durch die Flut,
Dahin die Straße. Keine Vögel sangen,
Nur wilde Tauben schwirrten durch das Laub,
Und Eichelhäher flogen aus auf Raub.
Sie aber sang. Denn stumm des Weges ziehen,
Wer könnt' es, wenn er jung und glücklich ist?
Da singt und klingt die Brust von Melodieen,
Daß sich des kühnsten Jodelrufs vermißt,
Wem nur ein schüchterner Tenor verliehen.
Sie aber wählt den Text mit arger List.
Sie sang: »Kennst du das Land? dahin, dahin –«
Was liegt dem kleinen Feuerkopf im Sinn?
Franz – und ich fürcht', es wird ihm Schande machen
Bei unsrer Leserin – sein Geist entfloh
Der holden Gegenwart, er träumt im Wachen.
Zwar scheint er herzlich seines Lebens froh,
Doch ist er ganz vertieft in andre Sachen,
Waldstreu, Drainage, Guano, Heu und Stroh,
Ob Kalkphosphat zum Düngen hier verwandt wird,
Und was noch Alles denkt ein junger Landwirth. 240
Einst hört' er nicht mit gleicher Seelenruh,
Wir wissen's ja, die »dunkle Stimme« klingen.
Doch einem Ehemann kommt Andres zu.
Sie merkt, sein Herz ist fern von ihrem Singen,
Und plötzlich bricht sie ab: Was meintest du,
Wenn wir »dahin«, o mein Geliebter, gingen? –
Wohin, mein Schatz? – Wo die Citronen blühn. –
Bei meiner Seele, Kind, das find' ich kühn. –
Doch herrlich, Franz! Dort öffnet sich die Mauer
Des Hochgebirgs; das ist Italiens Thor.
Mit jedem Schritte wird der Himmel blauer,
Und drüben stehn die Rosen noch in Flor.
Wie oft sehnt' ich hinüber mich voll Trauer,
Wenn noch im Mai ein Bäumchen uns erfror.
Dann, wenn ich las von den Orangenhainen
Mit ihrem ew'gen Frühling, mußt' ich weinen.
Und jetzt – wer hindert uns? O Franz, nicht wahr?
Ein Honigmond in Rom, ein Honigwinter! –
Du scherzest, Kind. Ein Landwirth, der ein Jahr
Auf Reisen zubringt, keine Seide spinnt er. –
Wär's weiter nichts? Der Vetter meint sogar – –
Wie? unser werther Vetter steckt dahinter? –
Nun ja, ich ließ mir viel von ihm erzählen;
Er rieth, den Seeweg keinenfalls zu wählen. –
Er rieth? Was solch ein Geck sich nur erlaubt!
Wer trug denn schon nach seinem Rath Verlangen?
Der eitle Schwätzer täuscht sich, wenn er glaubt,
Man müss' ihn stets mit offnem Arm empfangen.
Mir bleib' er fern. Es scheint mir überhaupt,
Du seist zu freundlich mit ihm umgegangen. –
Ich? Seh' ich doch nicht ein, was ich verschuldet! –
Hast du ihn nicht den ganzen Tag geduldet? – 241
Und sollt' ich nicht? Was that er uns zu Leide? –
Du fragst, Marie? Nun freilich, ich vergaß:
Es war ein Wahn, daß gestern für uns Beide
Der Tag verloren ging in gleichem Maß.
Wenn ich Gesellschaft neben dir vermeide,
Du wünschest sie, dir ist sie lieb, ich sah's.
Da muß dir's wohl, wenn erst die Flocken treiben,
Zu öde sein, mit mir allein zu bleiben. –
Franz! – Nein gewiß, ich sag' es ohne Groll;
Denn du hast Recht: die Wünsche sind verschieden.
Ich zahlte schon der Weltlust meinen Zoll
Und freute mich auf meines Hauses Frieden.
Du blickst nach allem Neuen sehnsuchtsvoll,
Des Hauses Segen war dir nie beschieden;
Nun wohl, so magst du aus Erfahrung lernen,
Ob unser Glück uns blüht in weiten Fernen! –
Sie schwiegen Beide. Wie geschah es nur,
Daß sie nun nicht mehr Arm in Arme gehen?
Sein Blick verfolgt im Gras des Wildes Spur,
Indeß die Augen ihr in Thränen stehen.
Mit mütterlichem Gram scheint die Natur
Die feindlichen Verliebten anzusehen;
Die schöne Sonne schickt sich übel heute
Zum ersten Trutztag junger Eheleute.
Allein Gottlob, an ihrem linden Strahl
Zerschmilzt sein Unmuth. – Herz, ich that dir wehe;
Vergieb! Mir ist nun dieser Mensch fatal,
Doch deinethalb ertrag' ich seine Nähe.
Nur sei mir hold! – Da blickt sie den Gemahl
Durch Thränen an: Wenn ich dich mißverstehe,
So hab' Geduld mit mir, mein liebster Mann!
Ich bin ein Kind und kindisch dann und wann. – 242
Ein Händedruck, ein Kuß – die Liebe siegt,
Der Friede des Idylls ist neu gerettet.
Nun wieder traulich Arm in Arm geschmiegt
Hinwandern sie, nur inniger verkettet.
Wie still die Welt! Bei seiner Heerde liegt
Der Hirt, der Pflüger ruht ins Heu gebettet,
Die ew'gen Berge wachsen himmelwärts
Und an den Bergen wächs't empor das Herz.
O schönes Wandern dem Gebirg entgegen,
Das ruhig, groß und einsam deiner harrt!
Du fühlst, hier weht der Freiheit reiner Segen
Und eines Gottes stille Gegenwart.
Indeß die Füße sich von selbst bewegen
Und wie gebannt dein Blick zum Gipfel starrt,
Gedenkst du angesichts der Felsenriesen
An Alles, was sich groß und stark bewiesen.
An Liebe, Ruhm, der Jugend Ideale,
Die einst so hoch, so herrlich dir gewinkt.
Wie langsam dann im heißen Mittagsstrahle,
Trug dich der Fuß, so stürmisch erst beschwingt!
Weit ist der Weg, und Manchen trifft im Thale
Die Nacht, so daß er nie zur Höhe dringt;
Denn täuschend liegt der hehre Gipfel da
Noch stundenweit, und scheint zum Greifen nah.
So in die Wolken ragt empor die Wand
Der Alpenburg am Kochelsee-Gestade.
Zu Füßen dem gewalt'gen Herzogstand
Schläft friedenvoll die Flut und lockt zum Bade.
Hier steht das Paar. Beflügelt Hand in Hand
Erklommen sie die letzten Hügelpfade,
Und alle Mühsal langer Wegesstunden
Wie ward sie reich belohnt und rasch verwunden! 243
Sie lagern sich im Gras, sie athmen selig
Die Kühle, die herauf vom Wasser haucht;
Sie sehn dem Vogel zu, der weich und wählig
Die Flügelspitzen in die Wellen taucht.
Da meldet das Bewußtsein sich allmählig,
Daß nicht allein die Seele Nahrung braucht,
Und ihr Johann bringt sehr zur rechten Zeit
Die Botschaft: Herr, das Essen ist bereit.
Allein der Muse würd' es schlecht behagen,
Verweilte sie bei Knödeln, Schmarren, Strauben,
Die man im Herrenstübel aufgetragen.
Zwar nicht von ferne möcht' ich mir erlauben,
Mich über Kochel's Küche zu beklagen;
Doch vor der Venus Wagen flattern Tauben,
Backhähndel nicht. Wir lassen sie beim Schmaus
Und eilen an den Gießbach rasch voraus.
Steil klimmen wir, entgegen seinem Falle,
Den Kesselberg hinan. Zur Seite ragen
Heimgarten, Jocheralp, die Gipfel alle,
Wo niedre Fichten nur zu grünen wagen,
Umsprüht vom Wassersturz, umtos't vom Schalle.
O Lust, sich bis zur Höhe durchzuschlagen,
Und hier, den einen See im Rücken, grüßen
Wir einen neuen schon zu unsern Füßen.
Hoch über seinem sonnigen Nachbar liegt
In finstrer Majestät der Walchensee,
Die purpurgrüne Alpenflut geschmiegt
An dunkle Wände, die ihn drohend jäh
Umufern. Seine Spiegelfläche wiegt
Den Wiederschein von ferner Gipfel Schnee.
Bergeinsamkeit! mit scheuem Fittig schwanken
Hier überm Todesabgrund die Gedanken. 244
Und wo die Tanne schwarz am Felsenhang
Aufragt, die Wächt'rin, die den Hohlweg hütet,
Ruh'n wir im Kühlen aus von unserm Gang.
Sagt, die ihr euch mit uns heraufbemühtet,
Wie wär's, wenn plötzlich mit Gewitterklang
Der See, der drüben stumm und öde brütet,
Anwüchse durch den Paß und seine Wogen
Vom Kesselberg zur Tiefe wälzt' im Bogen?
Denn oft, wenn Sternendämm'rung um die Zacken
Der Alpen spielt, taucht aus der Walchennix
Und krümmt mit Stöhnen seinen schupp'gen Nacken,
Weil ihn die Kochelnymphe keines Blicks
Der Liebe würdigt. Könnt' er nur sie packen,
Wenn sie ihn spöttisch grüßt mit glattem Knix!
Doch reisen Wassergötter, wie bekannt,
Gleich andern Fischen, niemals gern zu Land.
So glaubt sich denn die schöne Nymphe sicher,
Und hört sie Nachts sein schmachtendes Gestöhn,
Verspottet sie's mit silbernem Gekicher,
Daß rings das Echo lacht von allen Höh'n.
Wie aber wär's, wenn jetzt mit fürchterlicher
Gewalt, geschürt vom schwülen Hauch des Föhn,
Zur Rache sich der Walchennix entschlösse
Und durch den Engpaß seine Flut ergösse?
Hin ras'te sie mit wolkenhohen Schäumen
Und donnerte zu Thal ins offne Becken
Des Kochelsees, aus ihren Mittagsträumen
Das schöngeschwänzte Seeweib aufzuschrecken.
Die sieht den Gischt zum Herzogstand sich bäumen,
Sieht ihren Feind die Arme nach ihr strecken
Und stürzt hinaus zur Ebne; doch alsbald
Strömt er ihr tobend nach durch Flur und Wald. 245
Dann wär' es herrlich, hoch im Paß zu stehen
Und auf das wirbelnde Gewühl und Brausen
Vom Jocheralpengrat hinabzusehen,
Wie Bäum' und Felsen in die Tiefe sausen;
Dann – – doch wie würd' es dann dem Paar ergehen,
Das eben jetzt, gestärkt durch Ruh' und Schmausen,
Das Joch erklimmt? Die Hochzeitsreise fände
In Katarakten hier ein traurig Ende.
Der Himmel sei gepriesen, daß zur Frist
Der Kesselberg noch trocken blieb und gangbar,
Und daß die Mähr von diesem Nixenzwist
Ein Traum der Phantasie, ein müß'ger Schwank war,
Kunstmittel, wie ein reimender Tourist
Sie wohl gebraucht, sobald sein Stoff nicht dankbar.
Doch wird es Zeit, daß wir zu Nutz und Frommen
Des Liedes wieder unter Menschen kommen.
Wie geht's euch, meine Freunde? Wohl geruht
Und wohl gespeis't? – So scheint's. Ihr wandert wieder,
Und freilich, nur ein frevler Uebermuth
Vertraut dem Wagen hier gesunde Glieder.
Langsam bergauf müht sich das junge Blut,
Ihr Plaudern schweigt und vollends ihre Lieder,
Und als Marie des Weges Höh' erstiegen,
Sinkt sie ins Moos und seufzt: Hier bleib' ich liegen.
Doch nun hat's keine Noth. Nur wenig Schritte,
So ist der Strand des Walchensees erreicht.
Am Berge dort lehnt eine Schifferhütte,
Und bald trägt sie ein Nachen vogelleicht
Dahin, als ob er stromhinunter glitte.
Die Fergin – dieses Wort, das euch vielleicht
Befremdet, such' ich wieder einzuführen –
Die Fergin scheint die Mühe kaum zu spüren. 246
Dem Blick, der über Bord hinunter irrt,
Schwindelt, versenkt in die smaragdne Tiefe,
Die strudelnd nie ein Ruderschlag verwirrt.
Pfadlos in schroffem Absturz geht die schiefe
Felswand hinunter, und berichtet wird,
Daß wer in jenem Wellenabgrund schliefe,
Von keinem Ankerseil und Taucherblei
In seinem dunklen Bett zu stören sei.
Ja, spricht die Frau, er stellt so fromm sich an
Und ist doch schlimm, wie alle falschen Frommen.
Sein Opfer will er. Erst den Vater, dann
Die Mutter auch hat mir der See genommen.
Ich treib' es halt so fort, so lang ich kann,
Und endlich wird an mich die Reihe kommen,
Weil eine Strömung durch die Wellen geht,
Wen die ergreift, der spricht sein letzt Gebet.
Umwenden möcht' er, und er kann's nicht mehr
Und muß zerschellen an den nackten Wänden.
's ist wie behext. Auch Mancher kommt weither,
Nur um sein armes Leben hier zu enden;
So thut's der See ihm an. Die Sünd' ist schwer,
Doch zieht es ihn hinunter wie mit Händen,
Und weder Spruch noch Weihung hat Gewalt,
Noch die Kapellen drüben unterm Wald. –
Bleich lehnt Marie ihr Haupt an Franzens Wange:
Ist's wahr, daß dieser See auf Opfer lauert?
Mir schlägt das Herz so ahnungsvoll, so bange;
Sieh nur wie rings die öde Landschaft trauert! –
Er aber spricht: Du wandertest zu lange;
Nun hat die Nachtluft kühl dich überschauert.
Schlaf thut dir noth. Glaubst du an Schiffermährchen?
Der See ist zahm und krümmt dir nicht ein Härchen. – 247
Am Ufer steht ein Haus. Die Welle fließt
Breit durch den Thorweg ein, der statt der Wagen
Die Nachen, die gelandet sind, umschließt.
Du siehst genüber an der Straße ragen
Ein stattlich Wirthshaus. Mehr jedoch genießt
Der Aussicht, wer sein Lager aufgeschlagen
Im kleinern Hause dicht am Uferrand;
Er hat Gebirg und See aus erster Hand.
Hier landet unser Paar. Aus niedrem Zimmer
Sehn sie des Himmels Wölbung überm Wasser,
Des Mondes kämpfend zweifelhaften Schimmer,
Den Abendschein, der blasser wird und blasser.
Man hört der Welle Spiel, die plätschernd immer
Die Mauer anspült – wer, wie der Verfasser,
Zu Träumen neigt, der mag an diesem schönen
Einsamen Ort recht seiner Schwäche fröhnen.
Franz aber schickt sein junges Weib zur Ruhe
Und sitzt, bis sie entschläft, an ihrem Bette.
Er starrt vertieft auf ihre winz'gen Schuhe
Und alle Zierlichkeit der Brauttoilette.
Die Zeit ist nicht so fern, wo eine Truhe
Voll Gold er gern darum gegeben hätte,
So nah der Liebsten Schlummer zu belauschen;
Auch jetzt möcht' er mit keinem Gotte tauschen.
Doch dunkelt's um ihn her, eh' er's gedacht,
Kaum sieht er noch ihr Angesicht im Kissen.
Nun steht er auf und schleicht zum Fenster sacht,
Da lockt der See in Mondesdämmernissen
Zur Fahrt hinunter in die laue Nacht.
Sein schlafend Liebchen wird ihn nicht vermissen,
Auch könnt' er hier auf seinem Wächterposten
Nicht Walchensees berühmte Fische kosten. 248
Zurück vom Fenster tritt er schon, da fällt
Sein Blick auf einen flinken Fischernachen,
Der näher kommt und jetzt am Ufer hält.
Wer springt heraus? Ist das des Vetters Lachen?
Der Mensch, der gestern ihm den Tag vergällt,
Muß er auch heut das Land unsicher machen?
Und wenn er nun sie suchte, hier am Ende
Einsam im Schlaf sein schönes Mühmchen fände?
Doch dafür stecken Schlüssel in den Thüren.
Er tritt ans Bett – sie schläft, fest wie ein Kind.
Er kann im Kuß die schöne Stirn berühren,
Sie regt sich nicht. Da stiehlt er sich geschwind
Zur Thür hinaus, ein Boot sich zu erküren
Von denen, die im Haus gelandet sind.
Den Schlüssel, der ihm seinen Schatz verwahrt,
Trägt er mit fort, recht nach der Geiz'gen Art.
Er horcht noch unten – Alles schweigt im Haus.
Sacht lös't er sich ein Fahrzeug von der Kette
Und gleitet in den nächt'gen See hinaus,
Der schlummert in gediegner Spiegelglätte.
Bald streckt er sich im Kahn behaglich aus,
Vom Mantel zugedeckt im schmalen Bette,
Und sicher, daß kein Aug' ihn überrasche,
Zieht er den treuen Schlüssel aus der Tasche.
Er blickt ihn zärtlich an, er steckt ihn wieder
Sorgfältig ein und seufzet: O Marie! –
Wie hell die Nacht! Er schließt die Augenlider
Und denkt im Finstern immer fort an sie.
Die Welle schwankt am Nachen auf und nieder
Und wiegt ihn ein mit leiser Melodie,
Und unvermerkt hat überm schauerlichen
Meertiefen Abgrund ihn der Schlaf beschlichen. 249
Im Jahr des Heils und jenes Prachtkometen,
Der uns gereift des Achtundfünfz'gers Blüte,
Wagt schüchtern nur ein Lied hervorzutreten,
Das nicht vom Hauch des jungen Weines glühte.
Allein zu Ehren eines lang Verschmähten
Gährt mir ein andrer Hymnus im Gemüthe:
Sei mir gegrüßt, du Held im Schaumgelock,
Streitbarer Männer Sieger, edler Bock!
Dich bringt der Frühling mit als Bundsgenossen,
Du thaust den letzten Märzenschnee hinweg.
Der Sonnenschein ist dir ins Blut geflossen,
Und Veilchen sprießen auf an deinem Weg.
Bescheiden ist dein Ruhm; doch unverdrossen
Wirkst du das Gute. Wenn im Winter träg
Der Geist umnebelt, dumpf die Sinne waren,
Du glühst sie auf zum Großen, Schönen, Wahren.
Und nicht das Zwielicht dampfdurchwölkter Schenken,
Den Mittag liebst du und der Gärten Frische.
Hier finden sich auf brüderlichen Bänken
Hoch und Gering in traulichem Gemische;
Den Knechten nah, die seine Pferde lenken,
Der Staatenlenker vom Ministertische,
Pedell, Professor, Famulus, Student –
Du spülst hinweg die Schranke, die sie trennt. 250
Es wird von jenem Trevi-Quell berichtet,
Daraus man ew'ges Heimweh trinkt nach Rom,
Sehnsucht, die unermüdlich denkt und dichtet,
Nur Einmal noch zu schau'n Sanct Peters Dom.
So hat auf München nie ein Herz verzichtet,
Das je hinabgetaucht in deinen Strom.
So rasche Wurzeln hier geschlagen hätt' ich
Nie ohne dich und deinen Freund, den Rettig.
Kurz ist dein Weilen. Wen die Götter lieben,
Der endet jung. Doch eine tiefe Spur
Von deiner Allmacht ist zurückgeblieben;
Denn schwerlich hätten auf der Isarflur
Die Künste je so stolzen Wuchs getrieben,
Gebräch's an solcher Frühlingswunderkur;
Und regnet es Tragödien hier zu Land:
Nun, Bock heißt griechisch Tragos, wie bekannt.
Du zuckst die Achseln, Freund, du wiegst das Haupt,
Daß ich Etymologensprünge mache? –
»Nein, dieß Vergnügen sei dir gern erlaubt;
Von Böcken wimmelt's ja in diesem Fache.
Doch was in aller Welt soll überhaupt
Dein Lobgesang? Wann kommen wir zur Sache?
O Himmel, wenn die Strömung ihn ergriffe!« –
Wen? – »Nun, den Schlafenden im kleinen Schiffe.«
Ach, meinst du Den? Ich muß dir ehrlich sagen:
Vergaß ich ihn, geschah es halb mit Fleiß.
Wie soll mir ein Idyllenheld behagen,
Der selbst am Abgrund nur zu schlafen weiß?
Wir folgten nun dem Paar zu Fuß, zu Wagen,
Zu Schiff – doch ward uns weder kalt noch heiß.
Die Muse, soll sie nicht ein wenig nicken,
Muß sich doch wohl auf eigne Hand erquicken. 251
Und warum nicht an jenem Göttertrank,
Wenn auch der Mai, der ihn kredenzt, noch weit ist?
Das ist der Muse Vorrecht, Gott sei Dank,
Daß sie erhaben über Raum und Zeit ist.
Doch ist sie's auch? Wird ihr Humor nicht krank,
Wenn ihr die Zeit zu lang, der Stoff zu breit ist?
Und diese Krankheit läßt sich schwerlich heilen,
Wenn wir am Walchensee noch lange weilen.
Doch wird die Handlung hoffentlich compacter,
Da sich der Vetter kürzlich blicken ließ,
Der einz'ge wahrhaft praktische Charakter,
Die Schlang' im Flitterwochen-Paradies.
Ich rechne stark auf ihn. Zwar ein vertrackter
Geselle bleibt er; aber darf uns dies
Hier kümmern, wo er hilft, mit ein'gen buntern
Effecten dieß Stillleben aufzumuntern?
Es thut schon wohl, den kecken Schritt zu hören
Mit dem er jetzt das Treppenhaus ersteigt.
Er denkt wohl nicht, im Schlummer sie zu stören,
Ein Dämmerstündchen nur ist er geneigt
Mit ihr zu kosen, Freundschaft ihr zu schwören,
Und auf den See ein Blick hat ihm gezeigt:
Der Gatte kommt fürs Erste nicht dazwischen,
Versucht er's, alte Flammen aufzufrischen.
Er pocht. Still bleibt es drinnen; kein »Herein«!
Er drückt die Klinke sacht – die Thür verschlossen.
Und doch, er weiß, sie muß im Zimmer sein;
Johann verrieth's ihm, unten bei den Rossen.
Er klopft noch einmal. Schloß sie hier sich ein
Und will sich gar verleugnen, ihm zum Possen?
Doch nein, da klingt verschlafen ihre Stimme:
Bist du's? – Ich bin's! antwortet dreist der Schlimme. 252
So komm herein! – Erst öffne mir von innen! –
Wie das? hätt' ich den Riegel vorgeschoben?
Kann ich mich doch wahrhaftig nicht besinnen. –
Er hört, schon hat sie sich vom Bett erhoben,
Zwei Füßchen nahn, zwei Händchen tasten drinnen,
Allein so viel sie ihre Kraft erproben,
Fest bleibt das Schloß. – Wie, Liebster, ging das zu?
Wer hat mich eingeschlossen, wenn nicht du? –
Ich nicht, doch er gewiß, spricht jetzt der Vetter.
Es sieht dem Sultan ähnlich. O Cousine,
Der Himmel sandte mich, daß ich als Retter
Der schwerbedrängten Unschuld hier erschiene.
Wie? schließt man seine Frau beim schönsten Wetter
Im Zimmer ein und fährt mit stolzer Miene
Allein zu Wasser? – Franz? Wie, hör' ich recht?
So ist's. Doch sorge nicht, du wirst gerächt! –
O Gott! – Und wieder schwieg sie. Doch die Thür,
Daran sie lehnte, fühlt' er leis erbeben,
Vor Zorn, so meint er, ob der Ungebühr.
Geduld! ruft er hinein, bei meinem Leben,
Dein Kerker wird gesprengt, ich steh' dafür;
Der dicke Wirth muß seinen Schlüssel geben. –
Er stürmt hinab, er kehrt zurück, und sieh,
Als Sieger tritt er ein: Bon soir, Marie!
Doch wie verwandelt ist sie anzuschauen,
Ach, nicht gelaunt, ihm an den Hals zu fliegen.
Die Stirne bleich, von Angst gespannt die Brauen
Stürzt sie an ihm vorbei hinab die Stiegen.
Was ist dir, ruft er, reizendste der Frauen?
O öffne mir dein Herz, ich bin verschwiegen.
Umsonst, da läuft sie wie der Wind von dannen;
Sie sucht wahrhaftig ihren Haustyrannen. 253
Nun, eine Scene giebt's auf alle Fälle!
So tröstet sich der liebende Verkannte.
Da tritt sie drüben auf des Hauses Schwelle
Hervor, die schöne Tochter seiner Tante.
Ihr folgt, umsprüht von vieler Fackeln Helle,
Wirth und Gesinde. In die Wette rannte
Die Schaar hinab zum Ufer, wo beisammen
Die Kähne friedlich an der Kette schwammen.
Der Vetter stutzt. Was soll dies Aufgebot?
Wer ist verunglückt? Franz? Es ist zum Lachen.
Cousine, du bemühst dich ohne Noth;
Er lenkte ganz vergnügt den kleinen Nachen.
Der Mond ist klar, kein Ungewitter droht –
Willst du zur Fabel Walchensee's dich machen? – –
Sie aber, ohn' ein Wort an ihn zu wenden,
Lös't ihren Kahn in Hast mit eignen Händen.
Da stand er nun am Ufer sehr verdrießlich
Und sah die Fackeln tanzen durch die Nacht.
Der Aufzug schien ihm äußerst unersprießlich
Und abgeschmackt. Er hätte gern gelacht,
Doch es gelang nicht, denn ihm ahnte schließlich:
Um seines Mühmchens Gunst war er gebracht.
O Weiber, wer euch je ergründen lernte!
So rief er grollend, als er sich entfernte.
Wir lassen ihn, denn alle Mitgefühle
Nimmt unsre schöne Schifferin gefangen.
In ihrer jungen Brust welch ein Gewühle
Von Angst und Schmerz! Kein Stündlein ist vergangen,
Daß in demselben Kahn die Abendkühle
Ihr und dem Liebsten fächelte die Wangen,
Und nun – der Mond nur und die Wellen wissen,
Ob er für immer ihrem Arm entrissen. 254
Was trieb ihn fort? Sie wußt' es wohl: der Vetter
War ihm verhaßt. Doch kann er ernstlich wähnen,
Daß ihr gefährlich sei der muntre Spötter?
Nein, ihn ergriff das räthselhafte Sehnen
Nach dieser Tiefe; schadenfrohe Götter
Verlockten ihn zur Fahrt –! Stumm, ohne Thränen
Läßt sie den Blick weit in die Runde schweifen
Und denkt's und glaubt's und kann es nicht begreifen.
Sie sieht im Geist ihn scheiden, da sie schlief,
Zögernd, im letzten Blick den Gram der Liebe.
Und dennoch ging er; sein Verhängniß rief.
Er stahl sich aus dem Zimmer gleich dem Diebe,
Er schloß sie ein! So wohlbedacht, so tief
War Plan und Wunsch, daß keine Rettung bliebe,
Wenn sie, aus bangen Träumen aufgewacht,
Den Freund vermissen würd' in dunkler Nacht.
Und hielt ihn nichts zurück? O nur zu klar
Bricht jetzt Erkenntniß über sie herein:
Ihm, der so völlig Lieb' und Güte war,
Konnt' ihr Gefühl ihm ein Genüge sein?
Wird sie nicht jetzt zum ersten Mal gewahr
Wie innig sie ihm angehört? Wie klein,
Wie schwach und arm scheint ihr das eigne Herz,
Das erst sich selbst erkennt an diesem Schmerz!
Sich selbst und ihn. Ach, ihn verloren gebend,
Ermißt sie erst das Glück, das sie besessen,
So wie die Blum', im Sommerwinde bebend,
Den Sonnenschein, sorglos und dankvergessen.
O könnte sie nur Einmal noch ihn lebend,
Den theuren Mann, an ihren Busen pressen,
Sie wollt' ihm sagen – ach, nun ist's vorbei!
Er hört's nie mehr, daß er ihr Alles sei. 255
Die fern um diese Zeit am Ufer schritten,
Ergötzte wohl die wundersame Schau
Der Fackelkähne, die im Fluge glitten,
Den andern weit voran die schöne Frau.
So wird das Leiden, das ein Herz durchschnitten
Und dem Verlassnen selbst den milden Thau
Der Thräne raubt, ein Schauspiel für die Andern,
Die fremd und ahnungslos vorüberwandern.
Seht Ihr noch nichts? – Nichts gnäd'ge Frau! – Doch jetzt,
Dort, mehr zur Linken; rudert links! – der Alte
Gehorcht. Auf einmal sinken ihm entsetzt
Die Händ' am Ruder, während jäh der kalte
Angstschweiß ihm die gefurchte Stirn benetzt.
Er sinnt, wie er's der Armen vorenthalte –
Es ist zu spät, nichts zu verbergen mehr!
Sie sah den Kahn, sie sah auch: er ist leer.
Sie schwankt zurück, der Alte springt hinzu,
Stumm drückt er auf die Ruderbank sie nieder,
Daß sie im Irrsinn nicht das Aergste thu'.
Ihm selbst, dem Graukopf, schüttelt's durch die Glieder,
Er hebt die Fackel hoch – in guter Ruh
Treibt dunkel dort der Kahn, und hin und wieder
Hört man die Flut, die sich am Kiele bricht;
Ach, eines Menschen Arm erregt sie nicht!
Doch während schaudernd wir den See in diesen
Angstaugenblicken schwarzer Tücke zieh'n,
Hat seine Großmuth schweigend er bewiesen
Und trägt den einen Kahn zum andern hin.
Und jetzt – wie? hör' ich recht? war das ein Niesen,
Und aus dem Nachen dort, der ledig schien?
Gotthelf! – Noch einmal? Spuken nicht Dämonen,
So muß im Holz dort eine Seele wohnen. 256
Und eine Seele noch in Fleisch und Bein,
Denn wem wird Niesen ohne Nase glücken?
O dieser Ton, verachtet insgemein,
Wie sollt' er hier ein traurend Herz entzücken!
Zum dritten Mal schallt in die Nacht hinein
Das Nothsignal. Da springt der Reif in Stücken,
Der ihre Brust umfing: Franz! liebster Mann,
Gottlob, du lebst! Wach auf und sieh mich an! –
Er aber, ohn' ihr Rufen zu vernehmen –
Denn träumend hat er aus dem Schlaf genies't –
Erwehrt sich nur des Rauchs, des unbequemen,
Bis ihm der Fackelschein ins Auge schießt.
Nun springt er auf, als säh' er fremde Schemen
Ihn wild bedräu'n. Doch seinen Hals umschließt
Sein treues Weib. Sie schluchzt: Du bist gefunden!
O Franz, wie furchtbar waren diese Stunden! –
Sacht, gnäd'ge Frau! ruft jetzt der Wirth dazwischen.
's wär' Schade, jetzt noch über Bord zu fallen. –
So warnt er, mit verstohlnem Augenwischen;
Dann läßt er einen Jodelruf erschallen
Aus voller Brust, das Herz sich zu erfrischen
Und kundzuthun den Fackelbooten allen,
Die Jagd sei aus. Er selbst mit festem Seile
Knüpft Kahn an Kahn und rudert heim in Eile.
Sein Nachen leuchtet vor. Das junge Paar
Schwimmt dunkel hinterdrein. Auch sollt' ich denken,
Daß keine Fackel ihm vonnöthen war,
Um Aug' in Auge, Herz in Herz zu senken.
Nicht allzu bald wird Franz die Sache klar;
Doch als er jetzt mit frohem Fackelschwenken
Die Schiffer nah'n sieht und begreift, weßhalb,
Sagt er mit Rührung und mit Lachen halb: 257
Mein armes Herz, sieh, du bezahlst es theuer,
Daß du so kindlich allezeit begehrt
Nach einem wundersamen Abenteuer.
Nun ward dein Wunsch dir unerwünscht gewährt. –
Nein, fällt sie ihm ins Wort mit raschem Feuer,
Was ich davontrug, war des Preises werth:
In diesen Schrecken erst hab' ich erfahren,
Daß wir bisher nur halb verbunden waren.
Seit ich empfand, wie's in mein Leben schnitte,
Wenn du mir stürbst, seitdem erst lebst du mir.
Seitdem ich weiß, daß mich der Gram nicht litte
Allein auf Erden, leb' ich erst in dir.
Mein Herz wird nun an jeden deiner Schritte
Sich hängen, Eins auf ewig wurden wir;
Was mein noch in mir war, nimm Alles hin;
Dein eigen sein ist all mein Eigensinn.
O du hast Recht: Nicht in der weiten Welt,
In uns liegt jedes Glück an deinem Herzen
Ruht meins! Wenn Liebe mir den Tag erhellt,
Sollt' ich nicht fremde Sonnen gern verschmerzen?
Nein, such den Sturm, der mir die Seele schwellt,
In dieser Stunde nicht hinwegzuscherzen!
Ich weine nur, daß überm Wellengrabe
Ich all mein Leben, dich, gerettet habe! –
So stammelt sie. Doch wie? Ist das die Sprache,
Die Eheleuten ziemt? Dieß klingt beinah,
Als ob hier plötzlich Leidenschaft erwache,
Und dieser zu entfliehn gelobt' ich ja.
Ach, bester Freund, bedenklich wird die Sache,
Denn das Idyll ging, eh man sich's versah,
In Flammen auf, ansteckend und gefährlich,
Und völlig unversengt entkommst du schwerlich. 258
Doch brach ich denn auch wirklich mein Gelübde?
Trag' ich die Schuld, wenn sich dein Haar gebäumt
Beim Unheil, das ein Schlafender verübte,
Der unterdeß idyllisch fortgeträumt?
Nun freilich faßt den Nachen die Charybde
Der Leidenschaft, die plötzlich überschäumt
Und, gegen alle Regeln, aus dem Gleise
Zu stürmen droht selbst eine Hochzeitsreise.
Und wär' es so – je nun, was wär' es auch?
Ich brach ein Wort, das sündlich war zu geben.
Ist Leidenschaft denn nur der trübe Rauch,
Der qualmend uns verfinstert Licht und Leben?
Ist sie nicht auch der Jugend-Aetherhauch,
Der uns beflügelt, wenn wir aufwärts streben,
Der starke Föhn, durch den die Knospen springen,
Die Gotteskraft, die hilft den Tod bezwingen?
Nein, der Poet, der je sich ihr entschworen,
Schwur seine Sendung ab. In ihrer Glut
Wird Alles, was die Welt bewegt, geboren,
Sie gießt in dürre Adern neues Blut,
Die Hohe, die verdammt von zahmen Thoren,
Im Stillen dennoch ihre Wunder thut;
Denn sie ist selbst, ob auch der Tage Flug
Einförmig kreis't, Ereigniß sich genug.
O armes Leben, wenn das Band der Ehe
Den Athem heil'ger Leidenschaft erstickt,
Und o des Segens, wenn in Wohl und Wehe
Die Himmlische ein sterblich Herz erquickt,
Daß alle Selbstsucht wie ein Spuk vergehe
Vor ihrem Hauch, vor dem das Ich erschrickt!
Wohl dem, den sie begnaden mag auf Erden –
Doch halt! wir dürfen nicht zu lyrisch werden. 259
Geschwind zurück zu unsern Liebesleuten,
Die heute sich in Wahrheit neu vermählt,
Zwar ohne Kranz und Ring und Glockenläuten,
Doch denk' ich nicht, daß es am Segen fehlt;
Fern sei es mir, dieß weiter auszubeuten,
Da mich die Pflicht der Kürze jetzt beseelt.
Hört ihr den Zuruf wohl der frohen Stimmen
Aus allen Nachen, die ans Ufer schwimmen?
Nur Einer stimmt in diesen hellen Chor
Nicht ein. Ihr kennt ihn. Wie ein Tiefgekränkter,
Ein Feldherr, der die erste Schlacht verlor,
Sitzt er im Haus, und seinen Grimm ertränkt er
Im vollen Krug. Gern schlöss' er ganz sein Ohr
Dem Jubel draus. Was ist zu jubeln? denkt er
Und will hinaufgehn, sich zu Bett zu legen –
Da tritt ihm in der Thür das Paar entgegen.
Um Beider Augen spielt ein Freudenglanz,
Der rings das Fackellicht zu Schanden macht.
Sieh da, der Vetter! ruft mit Lächeln Franz,
Ihr bleibt uns treu; das hab' ich gleich gedacht.
Heiß' ihn willkommen, Frau. Ich aber kann's
Nicht bergen: Hunger hab' ich mitgebracht.
Habt Ihr schon ausgetafelt, soll mir's leid thun,
Doch müßt Ihr uns mit einem Glas Bescheid thun. –
Sie setzen sich zu Tisch. Die Seeluft hat
Besondre Kraft, den Appetit zu schärfen.
Doch ward Marie nicht von der Freude satt?
Ich bitte keinen Stein auf sie zu werfen,
Wenn ich's verneinen muß. Ihr wißt, die Stadt
Hat nie verzärtelt ihre jungen Nerven.
Auch von dem Weine nippt sie nicht zum Spaß;
Sie trinkt unzimpferlich ein volles Glas. 260
Franz schenkt von Neuem ein, und plötzlich faßt
Er freundschaftlich des Vetters beide Hände:
Wie wär's, Cousin, wenn man auf jeder Rast
Am Abend traulich sich zusammenfände?
Wir reisen nicht mit übermäß'ger Hast,
Und Ihr zu Fuß seid wundersam behende.
So laßt Euch denn Quartier von uns besorgen.
Auf Wiedersehn in Partenkirchen morgen!
Halt, Liebster, spricht Marie mit glühnden Wangen,
Da hätt' ich auch ein Wörtlein mitzusprechen.
Mir ist zur Reise jede Lust vergangen,
Und rasch nach Hause wünscht' ich aufzubrechen.
Du weißt: Nicht enden, was man angefangen,
War allezeit ein weibliches Gebrechen.
Der Vetter giebt einmal zu andrer Zeit,
Nicht wahr? uns in den Bergen das Geleit.
Franz blickt sie seitwärts an und lächelt schlau:
Sprichst du im Ernst? Nun, Pflicht geht vor Vergnügen.
Zwar wär' ein Honigwinter lau und blau
In Rom nicht übel; doch man lernt sich fügen.
Beklagt mich, Freund! Auch Euch wird einst die Frau
Pantoffeln, wenn nicht alle Zeichen trügen;
Gedenkt an mich. Einstweilen aber thut
Die Ehr' uns an – besucht uns auf dem Gut.
Schlagt ein, stoßt an! – Mit höchlichem Erstaunen
Hört Jener zu. Wie? täuschen ihn die Sinne?
Er sucht umsonst, wie er dem Blick der braunen
Treuherz'gen Augen seines »Freunds« entrinne.
O dieser Franz steckt voller Wetterlaunen,
Einst wird die arme Frau es auch noch inne.
Wo blieb in aller Welt die Eifersucht,
Die gestern ihn so eilig trieb zur Flucht? 261
Wir Andern wissen, was davon zu denken:
Versunken ist sie tief im Walchensee.
Da mag hinfort ein Jeder sie ertränken,
Der etwa leidet an dem gleichen Weh.
Doch da die Zwei die Fahrt nach Hause lenken,
Geziemt's, daß auch das Lied zu Ende geh',
Und daß wir höflich, eh die Strophen schweigen,
Vor dem geneigten Leser uns verneigen.