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(1863)
Johannes Kugler
zugeeignet.
O Rom, der Städte Königin,
Wie schwebt auf deinen Hügeln jetzt
Mit Flügeln, die der Südwind netzt,
Melancholie so bang dahin!
Durch deine stillen Gassen weht
Die Asche todter Majestät;
Und wenn der Flug der Vögel ruht,
Schweift eines Irrlichts bleiche Flamme
Ob deiner Tiber gelbem Schlamme
Und mahnt an unversöhntes Blut.
Wo war die weltgepriesne That,
Die deine Schwelle nicht betrat,
Und wo ein Gräul so gottverflucht,
Der nicht Asyl bei dir gesucht?
Die herrschgewalt'gen Geister all
Sahst du an deinem Throne knieen;
Sie wußten: Wem du Macht verliehen,
Deß Nam' umflog den Erdenball.
Heut eine Greisin tiefgebeugt,
Kahlhäuptig mit verdorrter Brust,
Die nie mehr ein Lebend'ges säugt,
Verstummt, versteint für Leid und Lust,
Von Kummerspur gefurcht die Wangen, 169
Drin längstvergessne Zähren hangen –
Die öden Gräber hütest du
In schlaflos reueloser Ruh.
Es trägt das Band um deine Scheitel
Das Königssprichwort: Alles eitel!
Dein Stab, der einer Welt gedräut,
Zur morschen Krücke ward er heut
Und gräbt nur Zeichen ohne Sinn
In Staub und Moder vor sich hin.
Wem jetzt dein Hauch die Seele streift,
Der wird ernüchtert, wird gereift,
Und wenn er jung und lachend kam,
Er geht, als hätt' er Schuld zu sühnen,
Wie wer mit frevelndem Erkühnen
Vom Saisbild den Schleier nahm.
Doch manchmal, wenn zur Sommernacht
Im Strom sich kühlt der Sterne Pracht,
Wenn rings des Nachtthau's weiche Wellen
Der Greisin hagren Leib umschwellen,
Wacht in den Augen, einst so kühn,
Noch auf ein mattes Freudenglühn.
Bekränzt mit Veilchen immerjung
Lehnt neben ihr Erinnerung
Und singt und sagt dem stumpfen Ohr
Ein Lied verschollner Tage vor.
Ein hoher Reigen wallt vorbei
Von Männern, Weibern, kühn und frei,
Die aus dem Kelche, den sie bot,
Das Leben schlürften und den Tod.
Gepaart, geschaart ziehn sie dahin
Und neigen sich der Königin;
Die starrt sie an, nickt wie im Traum –
Die eignen Kinder kennt sie kaum.
Doch sieh, ein Jüngling schwebt herzu. 170
Da plötzlich, bebend, öffnen sich
Die kalten Lippen mütterlich
Und lallen: Rafael – auch du?
Die braunen Locken hangen
Um seine sanften Wangen,
Sein dunkles Auge, feuchtverklärt,
Ist wie mit Himmelsglut genährt.
Er winkt der Alten mit der Hand
Und hat sich still hinweggewandt.
Sie blickt ihm nach mit langem Blick;
Die Tage dämmern ihr zurück,
Da er zuerst, noch scheubeklommen,
Auf ihren Ruf von fern gekommen,
An Jahren jung, an Ruhm ein Mann,
Und wie der Herrliche begann
Die junge Kraft zu stärken
An hocherlauchten Werken,
Daß bald vor seinem Morgenglanz
Erblich der alten Sterne Kranz,
Durch Rom sein Name siegend flog
Und selbst der Neid den Nacken bog.
Er aber ging die hohe Bahn,
Und wie den Lufthauch, der die schwüle
Gedankenvolle Stirn ihm kühle,
Ließ er den Ruhm gelassen nahn.
Doch jener Tag, – gedenkst du sein? –
Der eingrub nieverlöschte Spuren
Der jungen Brust? Von ihm erfuhren
Du und der Dichter nur allein.
Der Tag war's, da im Vatican,
Rom, deine Augen hochentzückt
Das erste Werk vollendet sahn,
Das hier der jungen Hand geglückt.
Gewonnen war der erste Sieg. 171
Doch als er Abends niederstieg
Die Marmorstufen am Palast,
Wie schreitet er mit banger Hast,
Ein Flüchtling, dem der Boden brennt
Im Wahn, daß man ihn kennt und nennt?
Nur manchmal bückt er sich verstohlen
Und taucht mit tiefem Athemholen
In einen Kranz sein glühend Haupt,
Den, gleich als hätt' er ihn geraubt,
Er heimlich in der Linken trägt.
Wer hat die Rosen nur, die rothen,
Der stummen Liebe liebste Boten,
Ihm Morgens vor sein Bild gelegt?
Umsonst im Hause forscht' er nach:
Wer stahl sich ein in dies Gemach?
Stand über Nacht ein Fenster offen,
Und bracht' ein wandernd Schwalbenpaar
Urbino's Heimathgruß ihm dar?
Er hob das Kränzlein auf, betroffen,
Und sah ein goldgewirktes Band
Verschlungen zwischen zarten Blättern,
Darauf in leichtgezognen Lettern
Nur »Heute Nacht!« geschrieben stand.
Und wie er stutzt, und wie er sinnt,
Sein Denken wird ein Labyrinth.
Die Hand will heut zum Werk nicht taugen,
Die Inschrift dämmert ihm vor Augen;
Der Kirchenväter ernste Schaar,
Die Heiligen des Himmels gar,
Des Volkes lauschendes Gedränge –
Auf allen Lippen lies't er nur,
Wie neckend, dieser Worte Spur.
Ja mitten in der würd'gen Menge,
Wo ausgestellt das höchste Gut
Auf des Altares Linnen ruht, 172
Glaubt er mit widerwill'gem Grauen
Des Kranzes Räthselwort zu schauen.
Der Tag verrann. Was galt ihm heut
Des Papstes Staunen, Lob und Huld?
Sein Herz entbrannt' in Ungeduld,
Bis spät die Gaffer sich zerstreut.
Es treibt ihn durch versteckte Gassen,
Er will sich von den Freunden nicht
Wie sonst zum Weine locken lassen,
Den Hutrand zieht er ins Gesicht,
Und unaufhaltsam eilt sein Fuß
Zum kleinen Haus am Tiberfluß.
Hier wohnt' er, Monde schon, allein.
Den Diener selbst hatt' er entsandt
Mit einer Botschaft über Land;
Und dennoch trat er spähend ein
Als hofft' er einen Gast zu finden
Und traute seinen Augen kaum,
Da ihn umfing der leere Raum.
Er öffnete den Abendwinden
Die Pforten und die Fenster weit.
Dann saß er in der Einsamkeit
Auf seinem Ruhebette nieder
Und las die beiden Worte wieder.
Auf einer Schale erznes Rund
Legt' er den räthselhaften Fund
Und frischt' aus seinem Kruge dann
Die halbverlechzten Blüten an.
Alsbald ergoß sich Rosenduft
Schwül durch die eingefangne Luft,
Als ob der Kranz, der neuerquickte,
Zum Dank sich an zum Sprechen schickte.
Doch von den rothen Lippen weht 173
Ein stummer Hauch, der nichts verräth,
Und nur die Inschrift tröstet sacht:
Herz, sei geduldig! Heute Nacht!
Geduld! O wer dies Wort ersann,
War nie in heißen Jugendnächten
Ein Spiel den herrisch wilden Mächten,
Wenn Stund' um Stunde leer verrann.
Geduld! Dem Bettler mag sie frommen,
Im Kerker ist ihr Trost willkommen,
Die Seele, die in Qualen stöhnt,
Wird an Entsagen streng gewöhnt,
Und in den kargen Schlummer lullt
Den ärmsten Dulder die Geduld.
Doch wen das Glück verheißungsvoll
Mit goldnem Fittig schon gestreift,
Sag, wie sich Der gedulden soll,
Eh er den Wunsch mit Händen greift?
Wie grausam täuschte dich, wie oft
Die Stunde, die du heiß erhofft?
Der Sturm der Sehnsucht schürt dein Blut,
Der Zweifel summt, der arge Spötter,
Das alte Lied vom Neid der Götter,
Und tief im Busen stirbt der Muth.
So ihm, seit bei des Hochamts Feier
Still unter dem gehobnen Schleier
Die Flamme jenes Blicks ihn traf!
Trüb war sein Wachen, hell sein Schlaf.
Dies Bild, so eigen schwebt's ihm vor,
Als hätt' er's seit den jüngsten Tagen
Verhüllt in seiner Brust getragen,
Und plötzlich risse nun der Flor.
Kaum konnt' er glühend sich bezwingen,
Durch alles Volk zu ihr zu dringen, 174
Die nach ihm blickend unverwandt
Fern in dem Chor der Frauen stand.
Doch als verstummt der Orgel Klänge
Und das Gewühl ins Freie wallt',
Umsonst verfolgt' er in der Menge
Die Spur der einzigen Gestalt,
Umsonst mit ruhelosem Sinn
Irrt' er die Gassen auf und nieder;
Die Augen grüßten ihn nicht wieder,
Und jede Hoffnung schwand dahin.
Und heut, die duft'ge Gabe dort –
Verbürgt sie, daß die Qual sich ende?
Sind's wirklich die geliebten Hände,
Die schrieben jenes Räthselwort?
Längst über Strom und Hügeln blaut
Die linde Nacht; der Aether thaut.
Der Lärm der Gassen ist verschollen,
Und lautlos an den Ufern rollen
Der Tiber Wogen träg vorbei.
Man hört von fern der Unke Schrei,
Den Nachtgesang der Grillen
Durch die Campagne schrillen.
Das ist die Zeit, da pfeilbewehrt
Der Dämon mit der Knabenhand
Im Sturmflug durch die Lüfte fährt
Und lodern läßt den alten Brand;
Die Zeit, der Jene wohl gedacht,
Die Rosen auftrug: »Heute Nacht!«
Doch Niemand pocht am kleinen Haus,
Darin der junge Meister sitzt,
Die Stirne fiebernd aufgestützt,
Bang lauschend in die Nacht hinaus.
Und plötzlich fährt's ihm durch den Sinn:
Wie? wenn ich nun betrogen bin? 175
Wenn lose Spötter, mich zu äffen,
Erdacht dies schnöde Gaukelspiel,
Um, ihrem Witz ein wehrlos Ziel,
Mich einsam harrend hier zu treffen?
Verwünscht! Und wär' es mehr als Trug –
Wer weiß, ob ich mich selbst nicht trüge?
O wär' ich endlich Manns genug,
Daß ich der Hoffnung mich entschlüge,
Des Wahnsinns, der nun tagelang
Besinnung, Freude, Kraft verschlang!
Ein Spuk nur war's der Phantasie,
Mit diesen Händen fass' ich's nie;
Und ist der Tand hier werth der Mühe,
Daß ich in Ungeduld verglühe?
Fort, Kuppler! Du bethörst mich nicht!
Und du lisch aus, einsames Licht!
So sprechend stand er auf und trat
Voll Unmuth an des Hauses Schwelle.
Durch hohe Myrthen lief ein Pfad
Zum Fluß hinab in Sternenhelle,
Und schon will er den Kranz erheben,
Dem Spiel der Flut ihn preiszugeben,
Da plötzlich hält er an und lauscht.
Es kommt wie Ruderschlag gerauscht,
Und an der Wasserpforte jetzt
Legt ein geschwinder Nachen an,
Deß Schnabel sacht die Stufen wetzt.
Drin sitzen, dunkel angethan,
Zwei Frau'n dem Fährmann gegenüber
Und spähen nach dem Haus hinüber.
Es scheint, sie halten flüsternd Rath;
Die Eine dann betritt den Garten,
Und während stumm die Andern warten,
Durchwandelt langsam sie den Pfad. 176
Den Kranz wie zum Empfang bereit,
Von wechselnder Gefühle Streit
Erschüttert, lehnt der Jüngling dort,
Und ihm versagt zum Gruß das Wort.
Sie aber, noch vom Schleier dicht
Verhangen Brust und Angesicht,
Hub also an zu sprechen:
Ich wag' hier einzubrechen,
O Meister, recht nach Diebesart,
Und wohl auf Raub geht meine Fahrt.
Denn seit ich weiß von Eurer Kunst,
Schien mir's die höchste Himmelsgunst,
Ein Werk zu schauen lebenslang,
Das Eurem Bildnergeist entsprang.
Geweiht ist schmerzlichem Entsagen
Der arme Rest von meinen Tagen,
Und weil ich, wenn die Nacht sich hellt,
Von Rom soll scheiden und der Welt
Und man am Tag mich streng bewacht,
Komm' ich zu Euch im Schutz der Nacht.
Ihr seid enttäuscht, Ihr schweigt betroffen;
Der Kranz betrog wohl Euer Hoffen.
Statt eines frohen Liebchens tritt
Ein Weib zu Euch, das Viel erlitt.
Mir aber ist's die letzte Gabe,
Die ich vom Glück zu hoffen habe,
Daß Eure Kunst mir helle
Die trübe Klosterzelle.
Und wär's auch nur ein flüchtig Blatt,
Euch zu gering, es aufzuheben,
Wie köstlich schmückt es noch ein Leben,
Das allen Schmuck verloren hat!
Sie sprach's, und wie berauschend drang
Ans Herz ihm dieser Stimme Klang. 177
Es wogt in silberner Cadenz
Die süße Rede von Florenz,
Doch fremde Laute mischen
Verstohlen sich dazwischen.
Und endlich spricht er: Tretet ein,
Vieledle Frau! Mein Haus ist klein,
Doch was sein niedres Dach umfaßt,
Das eignet meinem edlen Gast.
Nur – wenn es nicht zu kühn erscheint –
Entfernt des Flors verhaßte Falten.
Wir Maler sind den Schleiern feind,
Die unser Recht uns vorenthalten;
Und auf dem Tisch das kleine Licht,
Vertraut ihm dreist; es plaudert nicht.
Da schlug sie freundlich alsobald
Den Flor zurück, der sie umwallt;
Es überhaucht ein züchtig Roth
Das Antlitz, das sie frei ihm bot.
Sie sprach: Nicht gern stellt eine Frau,
Einst wohl verwöhnt durch Lob der Männer,
Euch, aller Schönheit tiefstem Kenner,
Verblühten Jugendreiz zur Schau.
Wer aber selbst zu bitten kommt,
Weiß, daß Versagen ihm nicht frommt.
So trat sie ein. Doch unverrückt
Stand er am Eingang, wie verzückt.
Sie war's, nur schöner tausendmal,
Nur sehnsuchtwerther ihm genüber,
Als da ihr Blick in stummer, trüber
Schwermuth von fern sich zu ihm stahl.
Der Kranz war seiner Hand entsunken.
Wie junge Bienen sommertrunken
Sich sonnend Honig saugen, 178
So schwärmen seine Augen.
Um diese Lippen roth und frisch
Spielt, wenn sie lächeln, Frühlingsluft,
An diesen Wangen zauberisch
Hängt noch der Jugend zarter Duft;
Die breitgeschwungnen Augenlider
Gehn still und langsam auf und nieder,
Gleich sammetweichen Schwingen
Von nächt'gen Schmetterlingen.
Unstäten Flugs bewachen sie
Der dunklen Augen schönes Licht,
Die Augen aber lächeln nie,
Auch wenn der Mund von Liebe spricht;
Und vor Gedanken wie erschrocken,
Die traurig mahnend sie umschwirr'n,
Birgt sich im Schatten blonder Locken
Geheimnißvoll die hohe Stirn.
Sie trägt nicht Goldschmuck noch Gestein,
Die Schönheit ist ihr Schmuck allein:
Nur an der Linken blaß und schmal
Glänzt ein Smaragd in grünem Feuer
Und äugelt mit des Lämpchens Strahl.
Und jetzt, da er noch stets in scheuer
Versunkenheit von ferne stand,
Ließ sie, vom dunklen Florgewand
Umhüllt, die schlanken Glieder
Auf einem Sessel nieder
Und schien den Pfühl ihm frei zu lassen.
Doch er, unmächtig sich zu fassen,
Sprach vor sich hin, und wußt' es kaum:
Ihr Götter, ist dies mehr als Traum?
Sie hört' es lächelnd und begann:
Ihr botet Euer Haus mir an
Und würdigt's nicht mit mir zu theilen. 179
Wohl weiß ich, Künstler sind zuweilen
In menschenscheuer Laune Bann.
Ich bitt' Euch, sprecht ein halbes Wort,
Und wie ich kam, so geh' ich fort, –
Ungern, ich darf's bekennen.
Wer möchte leicht sich trennen,
Wo sichtbar Eure Seele webt?
O wie Ihr schön und einsam lebt!
Hier ist der Freiheit Heiligthum;
In diesen ungeschmückten Wänden
Kehrt ein das Glück, die Macht, der Ruhm.
Hier streift wohl auch mit weichen Händen
Die Liebe schmeichelnd Euch vom Haupt
Den jungen Lorbeer, dichtbelaubt,
Und windet mit verschwiegnem Kuß
Den schönsten Kranz dem Genius.
Doch wie? Vernehmt Ihr meine Worte?
Noch steht Ihr schweigend an der Pforte.
Ich ahne, ob Ihr's auch verhehlt,
Daß ich die Stunde schlecht gewählt.
So scheid' ich denn nach kurzer Rast;
Vergebt dem unwillkommnen Gast!
Und schon erhob sie sich, da sprang
Die Fessel ab von seinen Gliedern.
Er konnt' ein bittend Wort erwiedern,
Das halb noch wie Verstörung klang.
Dann, ihrem Wunsch genugzuthun,
Holt er vom Sims die alten Rollen,
Die Mappen, stattlich angeschwollen,
Drin leichtentworfne Blätter ruhn.
Er öffnet und durchwühlt sie alle
Und findet nichts, das ihm gefalle.
Für sie – was mag sich schicken,
Die den bestürzten Blicken 180
Ein überirdisch Wunder scheint!
In Wahrheit, stammelt er mit Zagen,
Ich bin wohl ärmer, als Ihr meint.
Die Blätter sind aus jüngern Tagen,
Noch fehlt das Leben, fehlt die Kraft,
Und jeder Strich ist knabenhaft. –
Und sie: Ein Thor ist, wer Euch glaubt.
Ihr könnt von keinem Blatt Euch trennen;
Ihr fühlt's Euch auf der Seele brennen,
Sobald Ihr denkt, daß man es raubt. –
Nein, edle Frau, Ihr irrt fürwahr. –
Wohlan, so zeigt mir's offenbar.
Ich suche mit, wenn Ihr's vergönnt,
Dann wett' ich, daß Ihr finden könnt.
Nun stand sie auf und trat ihm nah,
Und langsam mit den schlanken Händen
Begann sie Blatt um Blatt zu wenden;
Wie reiche Schätze fand sie da!
Doch er, da sie beisammen stehn,
Fühlt selig ihren Athem wehn;
Er sieht des Lichts bewegtes Spiel
Auf ihrem sinnenden Profil,
Den Busen, der mit zarter Fülle
In Wogen hebt die zücht'ge Hülle,
Und diesen Nacken, stolzgeschwellt,
Umwallt von goldnen Lockenringen –
Er wagt' es nicht für eine Welt,
Mit dreistem Arm sie zu umschlingen;
Ihm ist, als ob er sterben müßte,
Wenn dieser rothe Mund ihn küßte!
Doch als ihr Auge lang geschweift,
Bald still geweilt, bald nur gestreift,
Wo fessellos Natur in freier 181
Unschuld verschmähte jeden Schleier,
Hebt sie mit hellem Freudenlaut
Ein Blatt hervor aus all den vielen,
Drauf man im Kreise der Gespielen
Der Jungfrau Hochzeitfeier schaut,
Den bärt'gen Priester in der Mitte,
Die Ringe tauschend nach der Sitte.
O Meister, spricht sie, könnt' ich sagen,
Wie einst mich dieses Bild bewegt,
Wie ich es tief im Busen hegt' –
Ihr gönntet mir's davonzutragen.
Hier webt ein Himmelsfrieden,
Der niemals mir beschieden;
Und dennoch, dürft' ich immerdar
Die Freude der erwählten Schaar,
Dies Fest von allen Festen sehn,
Mir würd' ein großes Heil geschehn:
Ich mein', ich könnt' auf Erden
Nie ganz unselig werden!
Und er darauf mit raschem Feuer:
Dies Blatt und jedes hier ist Euer.
Doch wie Ihr seht, zur Hälfte fast
Sind diese Linien gar verblaßt;
Verweilt ein Stündlein hier im Haus,
So bessr' ich diese Schäden aus.
Sie sprach: Ich bleibe gerne.
Noch ist der Morgen ferne,
Und diese letzte Nacht ist mein;
Ich mag sie schlafend nicht vergeuden,
Denn morgen muß geschieden sein
Auch von des Lebens ärmsten Freuden.
Erlaubt Ihr mir, Euch zuzuschauen?
Denn ich bekenn' Euch im Vertrauen, 182
Ich gäb' als eine Pfuscherin
In Eure Schule gern mich hin.
O wüßtet Ihr, wie dankbewegt
Die Hand, die man in Fesseln schlägt,
Nach jeder Blume pflegt zu haschen,
Die Glückliche auf ihrem raschen
Triumphgang in die Winde streun,
Es reut' Euch nicht mich zu erfreun.
Doch still! Wer Geister will beschwören,
Soll, wenn sie nahn, ihr Werk nicht stören.
Und er: Nein, lasset mehr mich hören!
Mir ist, wenn Eure Stimme klingt,
Daß meine Seele sich beschwingt,
Daß, wenn sie ewig mich umklänge,
Das Höchste mühlos mir gelänge.
Darauf verstummten beide tief,
Und Keines sah das Andre an.
Sie horchten, wie die Nacht entschlief
Beim alten Schlummerlied der Sterne,
Die in erhabner Himmelsferne
Melodisch wallten ihre Bahn.
Dem Lämpchen nah hatt' er inzwischen
Den niedren Sessel vorgerückt
Und saß auf seine Knie gebückt,
Die zarten Linien aufzufrischen.
Sie aber, auf dem Pfühl genüber,
Beugt regungslos das Haupt herüber,
Und wie in Andacht folgt gespannt
Ihr Blick dem Zuge seiner Hand.
Da sah er plötzlich auf zu ihr
Und sprach: Ich kann das Herz nicht zähmen.
Es treibt mich innige Begier,
Von Eurem Schicksal zu vernehmen. 183
So jung, so schön, so werth des Glücks –
Wo ist die Macht, die hinterrücks
Ein Leben, daß zur Sonne strebt,
In dumpfer Klostergruft begräbt?
Ihr schweigt; aus diesem Angesicht,
Um Aug' und Lippe zuckt ein Wehe.
O glaubt, wenn ich euch lachen sähe,
Nach Euren Räthseln forscht' ich nicht.
Sie sprach: Das Herz, das Abschied nahm
Von jeder Hoffnung, stählt der Gram.
Ich bin mit meiner Gruft versöhnt,
Des Lachens freilich längst entwöhnt,
Doch nicht im Tiefsten so versteint,
Dem Sonnenstrahl zu widerstehen,
Der mich aus fremdem Glück bescheint.
Wohlan! wollt Ihr mich heiter sehen,
So sprecht von Euch, dem treugesinnt
Ein Freudenloos die Parze spinnt.
Laßt Alles mich erfahren
Aus Lehr- und Wanderjahren,
Erzählt von Freunden und Gefährten,
Von Augen, die zum ersten Mal
Die junge Seele seufzen lehrten;
Von Allem müßt Ihr ohne Wahl
Und ohne Scheu mir Kunde geben;
Und seht, schon hellt sich mein Gemüth
Im Glanze, der aus Eurem Leben
So lachend mir entgegenblüht.
Und er, mit einem leichten
Erglühn, hub an zu beichten.
Er ging zurück mit schlichtem Wort
Von Jahr zu Jahr, von Ort zu Ort
Die stillen Pfade seiner Jugend, 184
Des Vaters Kunst, der Mutter Tugend,
Die Freunde, die sich früh gesellt,
Das Licht, das blendend ihn erhellt,
Da er im ersten Jugendlenz
Betrat die Gassen von Florenz
Und heiß von Staunen übermannt
Vor Lionardo's Werken stand
Und sich vor Buonarotti beugte,
Daß von ihm wichen Schlaf und Ruh,
Bis ihm geheim der Geist bezeugte:
Getrost! ein Maler bist auch du!
Dann, wie er auf des Papstes Ruf
In Rom, wo seit den großen Alten
Ein jeder Geist sein Höchstes schuf,
Begann die Flügel zu entfalten
Zu freudig ungehemmten Flügen.
Sie hing indeß an seinen Zügen,
Und nur, wenn seine Rede stockte,
Warf sie ein sinnig Wort dazwischen,
Das den Bescheidnen weiterlockte.
Um ihren Mund, den träumerischen,
Durch ihrer Augen müden Flor
Bricht eines Lächeln Glanz hervor,
Daß er der Arbeit ganz vergaß
Und schauend ihr genüber saß,
Verstummend wie zu Anbeginne.
Die holde Klugheit ward es inne,
Und plötzlich stand sie auf und sprach:
Die Nacht verschwindet allgemach.
Meister, es ist nun Scheidens Zeit;
Auch seh' ich, daß Ihr fertig seid.
So bitt' ich, nennt mir nun den Preis.
Ihr seid kein Kaufmann, wie ich weiß,
Auch ahn' ich, daß Ihr sagen wollt,
Das Blatt sei Euch nicht feil um Gold. 185
Doch bleibt ihr eigensinnig,
Noch zehnfach stolzer bin ich,
Und was Ihr immer sagt und denkt:
Dies Kleinod nehm' ich nicht geschenkt!
Da fuhr er wie gerührt vom Blitz
Jählings empor von seinem Sitz.
Ist's wahr? rief er in lautem Schmerz,
Ist's möglich? könnt Ihr mich verlassen,
Und morgen soll mein einsam Herz
Die Welt, der Ihr entsagt, nicht hassen?
O scheidet sonst ein schönes Glück,
Die Hoffnung läßt es doch zurück,
Und Ihr erschient nur, um zu gehn,
Und sprecht: Auf Nimmerwiedersehn?
Bei Christi Blut, dies trag' ich nicht;
Das finstre Schicksal will ich kennen,
Das Euch vom Leben wagt zu trennen
In schnöd erzwungenem Verzicht!
Und kühner, da er Worte fand,
Trat er ihr nah, die unbeweglich
Ihr Herz bekämpfend vor ihm stand.
Sie sprach: Wie sagt' ich, was unsäglich?
Ich weiß: Ein Herz, das edel schlägt,
Wird leicht von fremdem Leid bewegt
Und fühlt sein Mitleid doppelt scharf,
Wenn es nicht helfen kann und darf.
Ich aber – könnt' ich mir's verzeihn,
Ließ' ich zum Dank so hoher Güte
Euch einen Stachel im Gemüthe?
Drum muß es rasch geschieden sein.
Nur Eins noch hält mich – dieses Bild,
Und seid Ihr wirklich fest gewillt,
Zu schenken, was unschätzbar ist, 186
Nehmt diesen Ring – zum Angedenken,
Obwohl ich weiß – und darf mich's kränken? –
Wie schnell ein Glücklicher vergißt!
Vergessen! rief er, heil'ger Gott!
Treibt Ihr mit meinem Jammer Spott?
Wo soll ich hinfliehn unterm Himmel,
In Meergebraus, in Schlachtgetümmel,
In welches Leid, in welche Lüste,
Daß dieser Stimme goldner Ton
Mir nicht bethörend folgen müßte?
Zu lang, zu selig trank ich schon
Den Lebensathem deiner Schöne,
Daß ich mich jemals sein entwöhne.
Und wenn hinfort nach öden Tagen
Der Abendstern verheißend winkt,
Wie soll ich eine Nacht ertragen,
Die dich mir niemals wiederbringt!
Wardst du nicht inne, was du thatst,
Als diese Schwelle du betratst?
Sie lud dich gastlich zu mir ein,
Und jetzt – in Flammen steht der Stein!
Weißt du nicht, daß Dämonen
In dieser Hütte wohnen,
Die, wenn der Schönheit Blick sie traf,
Abschütteln ihren leisen Schlaf?
O wohl, den Künstler suchtest du;
Was gilt dir auch des Menschen Ruh?
Die Wimper zuckt dir nicht einmal,
Verglüht ein Herz an ihrem Strahl;
Die Lippen sind gewohnt zu sprechen
Ein stolzes Wort, wenn Herzen brechen.
Ist's deine Wahl, ist's dein Verschulden,
Wenn, die dich schauten, Qual erdulden?
Doch nein, heut sollst du büßen! 187
Hier lieg' ich dir zu Füßen
Und weiche nicht, bis ich vernahm,
Daß dich Erbarmen überkam,
Daß diese Glut, so wehevoll,
An deinem Mund sich kühlen soll.
Sie blieb noch immer regungslos,
Die Hände hingen still im Schooß,
Die Augen, thränenüberflossen,
Hielt sie so rührend fest geschlossen,
Wie wer den Tag zu schauen bebt
Nach Träumen, drin er froh gelebt.
Ein halb ungläubig Lächeln stund
Um ihren athmend heißen Mund.
Sie will nicht Worte tauschen,
Will träumen nur und lauschen;
Sein Schweigen selbst ist ihr Musik,
Ihr Aug' empfindet seinen Blick
Durch der gesenkten Wimpern Hülle.
O sterben, jetzt, in Lebensfülle!
Doch plötzlich fährt sie jäh zusammen,
Erweckt von seines Kusses Flammen.
Sie kann nicht mehr von hinnen fliehn,
Da schlingt sie selbst den Arm um ihn,
Und keiner Fessel mehr bewußt
Ruht Mund an Mund und Brust an Brust.
So hielten sie sich fest umschlungen,
Von Leid und Leidenschaft bezwungen,
Der edle Mann, das blüh'nde Weib,
Einander werth an Seel' und Leib,
In Zweien Eine Creatur,
Die sich gesucht auf fremder Spur,
Bis sie nach irrem Wandern
Ausruhen Eins im Andern 188
Und durch ein Wunder neu vermählt
Ihr Leben tauschen neubeseelt.
Doch, wie von Zweifeln noch bedrängt,
Lös't sie den Arm, der ihn umfängt.
Sie lächelt ihn durch Thränen an
Und spricht: Was haben wir gethan?
Kann ich denn wieder gehen,
Da mir so hold geschehen,
Zur unhold fremden Welt zurück,
Ich, die den Himmel offen schaute?
Ach, daß ich meiner Kraft vertraute,
Die nie sich maß an einem Glück! –
Nein! rief er, sprich von Scheiden nichts!
Der Glanz nur deines Angesichts
Kann mir hinfort die Tage lichten.
Du bleibst, ich lasse dich mit nichten,
Und wer hier findet deine Spur
Und dich begehrt – er komme nur!
Sie sprach: Die Stund' ist viel zu schön
Und wird zu rasch vorübergehn,
Um sie mit Klagen zu verstören;
Und dennoch sollst du Alles hören.
Ausschütten will ich auf einmal
In deinen Busen meine Qual.
Dein Herz, so stark, so göttlich groß,
Um Erd' und Himmel zu umfassen,
Wird vor der Hölle nicht erblassen,
In der ich schmachte hoffnungslos.
Mir aber, einsam, glückverwais't,
Ist's Labsal, daß du Alles weißt.
Komm! Laß uns Wang' an Wange lehnen,
Ich netze nimmer sie mit Thränen,
Und wenn ein Grau'n mich übermannt,
Leg' deine still in meine Hand, 189
Dann weiß ich, daß dem ärmsten Leben
Doch eine Stunde Glücks gegeben.
Nun auf das Polster sank sie wieder
Und zog den Freund zu sich hernieder.
Er drückt' in Sehnsuchtsüberschwange
Sein brennend Aug' an ihre Wange.
Ihr Athem, da sie sprach, umhauchte
Sein Antlitz, das in Glut sich tauchte.
Er dacht' an Küssen nicht und Kosen,
Er lauschte nur mit ruhelosen
Herzschlägen, was die Liebste sprach,
Nur ihre Hände hielt er beide,
Sie an sich pressend, wenn vor Leide
Ein Seufzer ihr vom Herzen brach.
Und sie: O süßer Freund, begann
Die Liebliche ihr Loos zu klagen,
Wie hell sah ich das Leben tagen,
Das so in Nacht und Noth verrann!
Mein Vater, edel, stolz und reich,
In Chios lebt' er fürstengleich.
Die Mutter, die nur mich geboren,
Hab' ich als junges Kind verloren.
Doch war der Liebe rings genug,
Die mich auf weichen Händen trug.
Ich aber blieb ein trotzig Kind,
War keinem Menschen holdgesinnt.
Am liebsten lange Tage
Lauscht' ich dem Wogenschlage
Und schwamm im wilden Sturmgebraus
Weit in die offne See hinaus.
Dann konnt' ich stundenlang mit Wonnen
Am schroffen Hang der Küste liegen,
Wo Fischer nie sich hin verstiegen 190
Und Schlangen nur am Fels sich sonnen.
Die Amme schalt, kam ich zur Nacht
Verwildert heim; ich aber lacht'
Und sprach: Ihr lebt hier in der Gruft,
Und ich will frei sein, wie die Luft,
Mich keinem Zwang bequemen;
Ihr werdet nie mich zähmen,
So wenig, wie des Meers Delphin
Anschirren, euren Kahn zu ziehn.
Der Vater, sah er so mich schweifen,
Die Locken los, die Stirn verbrannt,
Nur lächelnd droht' er mit der Hand
Und sprach: die Sonne wird sie reifen.
So wuchs ich ungezügelt auf
Und merkte kaum der Jahre Lauf.
Ich lernte nichts von Frauenkünsten,
Von Weben, Sticken, Goldgespinnsten,
Nicht tanzen, aller Mädchen Lust.
Ich hab' auch wahrlich nie gewußt,
Was Andre schon so früh verstehn,
Nach schmucken Männern auszuspähn.
Der Meerwind war mein Buhle gut.
Wie schlug mein Herz, wenn seine Schwingen
Mich schwül und ungestüm umfingen,
Hinab mich lockend in die Flut.
Und da ich längst herangeblüht
Zu Jahren, wo sich im Gemüth
Ein unbekanntes Sehnen regt,
War ich noch wie die Möve wild,
Die herrenlos die Flügel schlägt
Und tanzt, wenn hoch die Woge schwillt.
Da war's an einem Sommertag,
Daß ich ermattet nach dem Bade
Am einsam brandenden Gestade 191
In tiefen Schlaf versunken lag.
Und plötzlich fühl' ich aufgeschreckt
Den Boden unter mir erschwanken
Und find' auf eines Schiffes Planken,
Das eilig flieht, mich hingestreckt.
Corsaren hatten, in der Bucht
Anlandend, einen Quell gesucht
Und schlafend mich hinweggeführt.
Die taube See hätt' ich gerührt
Mit meinem Flehn und Stöhnen;
Sie sagten mir mit Höhnen,
Daß ich zu schön zum Mitleid sei,
Und setzten alle Segel bei.
Denn hinter ihnen her mit Macht
Kam meines Vaters flinke Yacht.
Ich, als ich sie erkannte, rang
Laut betend die gebundnen Hände,
Daß Gott des Retters Werk vollende,
Der schon von fern die Waffe schwang.
Ach, wohl erreicht' er unser Schiff;
Schon hört' ich seine stolze Stimme
Das Räubervolk bedräun voll Grimme,
Doch eine tückische Kugel pfiff,
Ein Wehruf scholl von drüben her,
Ein schrilles Ach – ein Fall ins Meer –
Ich schrie, ich rüttelt' an den Banden,
Bis mir im Schmerz die Sinne schwanden.
So taucht' ein einz'ger Augenblick
In ew'ges Irrsal mein Geschick.
Heimath und Freiheit mir geraubt,
Des edlen Vaters theures Haupt,
Und selbst der Trost in letzter Noth:
Ein freierwählter stolzer Tod!
Das Maß, ließ ich mir träumen, 192
War voll zum Ueberschäumen.
Doch da nach stürmevoller Fahrt
Wir landeten in Trapezunt, –
Kaum denkt's die Seele, sagt's der Mund –
Das Aergste war noch aufgespart:
Als Waare ward ich ausgestellt,
Umgafft, umfeilscht für schnödes Geld.
Den Blick selbst, den die Wucht der Schmach
Zu Boden schlug, doch ach, nicht brach,
Ward ich gezwungen aufzuschlagen,
Um höh'res Blutgeld einzutragen.
Zuletzt, nicht marktend um den Preis,
Erkaufte mich ein würd'ger Greis,
Der ungesäumt zu Schiff mich nahm
Und schweigend schonte meinen Gram.
Ein Florentiner Kaufherr war's,
Der Jahr um Jahr nach der Levante
Der Güter reiche Ladung sandte.
Beim Anblick seines grauen Haars
Wähnt' ich, daß ich den Vater sähe,
Und schluchzend lös'te sich mein Wehe.
Er aber sprach: Du bist mein eigen,
Doch nur, daß ich dein Sklave sei.
Sobald wir aus dem Schiffe steigen
Am Strand Italiens, bist du frei.
Zum Dank begehr' ich Eines nur:
Daß du zum Ehebunde
Schon heut mit Hand und Munde
Dich mir verlobst in heil'gem Schwur.
Von Stund' an, was ich hab' und bin,
Als dein Besitzthum nimm es hin. –
Ich nahm die Hand, die er mir bot;
Die Lippe schwur – das Herz war todt. 193
Und er hielt Wort. Als sein Gemahl
Betrat ich seines Hauses Saal.
In Sammet und in Seiden
Mußt' ich mich fürstlich kleiden,
Von Goldschmuck und Juwelen
Das Köstlichste mir wählen.
O diese bunte blanke Lüge
That nicht der armen Brust Genüge,
Die, einst an freien Hauch gewöhnt,
Nun bang dem fremden Zwange fröhnt.
Denn er hielt Wort, allein nicht ganz:
Frei war ich nicht in meinem Glanz.
Und ob ich auch in Treu' und Ehren
An ihm, der mich gerettet, hing,
Ein Argwohn schien ihn zu verzehren,
Der Tag' und Nächte mit ihm ging.
Erst hütet' er mich streng im Haus,
Dann bracht' er, sichrer mich zu hegen,
Auf einen Landsitz mich hinaus,
Im wilden Waldgebirg gelegen.
O hätt' er dort mich ausgeschieden
Von aller Welt, ich hätt' ihm warm
Gedankt den langersehnten Frieden,
Darin verblutet jeder Harm.
Doch ward ein Hüter mir bestellt,
Der mir die Einsamkeit vergällt',
Ein Mann, vor dessen Blick mir graute,
Ein Teufel, dem er, blind genug,
Allein von Allen mich vertraute,
Weil Einer Mutter Schooß sie trug,
Weil er von Kindesbeinen an
Ein Lebenlang ihm wohlgethan,
Ein Bruder, mehr als väterlich; –
Er sollt' es büßen, er und ich. 194
Doch als ich in den Bergen droben
Zum ersten Mal den Blick erhoben,
Wie grüßte mich so tröstlich da
Die offne Weite, die ich sah!
Wie sog die Brust so voll und rein
Den Balsam dieser Lüfte ein!
Von der Altane dicht am Haus
Blickt' ich bis an das Meer hinaus,
Das Meer, das noch wie damals blaute,
Da es mich frei und glücklich schaute.
Und dort am Fels in Schluchtentiefen
Die Haine silberner Oliven,
Der Strom, aus ihren Schatten blinkend,
Und fern des Domes Kuppelbau,
Erhaben ernst herüberwinkend –
Nie ward ich satt so reicher Schau!
Da schien ich mir ein selig Weib,
Und bald zu Zeit- und Leidvertreib
Begann ich deine Kunst zu üben;
Ich zeichnete die Berge drüben,
Das Haus, die Heerde sammt dem Hirten,
Den Brunnen überdacht von Myrten;
Mein zager Stift ward dreist und dreister.
Du hättst gelächelt, lieber Meister,
Doch lebt' im Haus ein Capellan,
Ein Greis, im Malen wohlgeübt,
Eh sich sein Augenlicht getrübt;
Der spornte meinen Eifer an,
Und kam mein Herr dann aus der Stadt,
Wie lobt' und pries er jedes Blatt
Und ließ mir schöne Farben bringen;
Mich aber freute mein Gelingen.
Sucht doch ein ungestilltes Herz
Trost seinem Kummer allerwärts.
Der Schwäher mußt' es wohl gestatten. 195
Ich liebt' es, stundenweit zu gehn,
Um neuem Ausblick nachzuspähn,
Und immer folgt' er wie mein Schatten.
Dann lag er neben mir im Gras,
Zum Schein tief in ein Buch versunken,
Allein sein Auge sprühte Funken,
Wie Neigung bald, und bald wie Haß.
Doch wagt' er's nie, so kühn er war,
Mir seinen Sinn zu offenbaren;
Daß er und ich geschieden waren,
An meiner Stirne las er's klar.
Zwei Jahr hielt dieser Mann in Haft
Die niegekühlte Leidenschaft,
Bis sie zuletzt, entlodert,
Ihr Opfer wild gefodert.
Denn eines Tags kam mein Gemahl
Zu uns heraus mit frohem Herzen;
Wir speis'ten bei dem Schein der Kerzen
Zu Dreien Nachts im lust'gen Saal.
Das Mahl, der Wein hatt' ihn erquickt,
Die Diener waren fortgeschickt;
Ich mußt' ihm, was ich malte, zeigen.
Er scherzte: Sieben Stunden weit
Hast du nun Alles conterfeit,
Nun sollst du mit zu Schiffe steigen,
Dein Aug' an neuer Schau erfrischen,
Zu neuem Werk die Farben mischen.
Mein theurer Bruder, weil wir fern,
Versieht im Haus die Pflicht des Herrn. –
Der Bruder, der am Schenktisch stand,
Ward bleich und schweigsam wie die Wand.
Und da es kam um Mitternacht,
Mein Herr stand auf, zu Bett zu gehen.
Er sprach: Wie ist mir denn geschehen? 196
Ist's Wein nur, was mich taumeln macht?
Ein Schauder fuhr mir durch den Sinn,
Ich sah sein Antlitz sich verfärben,
Und plötzlich rief er: Ich muß sterben!
Und mir zu Füßen stürzt' er hin.
Ich sah den Schwäher ruhig nahn
Und sprach nur: Das hast du gethan!
Er aber gab kein Wort darauf,
Er hob den Hingesunknen auf
Und trug ihn selbst in sein Gemach.
In halber Ohnmacht wankt' ich nach.
Ich stand am Bett des Kranken
In wogenden Gedanken,
Ich sah die Qualen, die er litt,
Da Tod und Leben um ihn stritt;
Die letzten Kräfte mußt' er sammeln,
Um mir ein Lebewohl zu stammeln.
Er faßte meine Hände.
»Mein Weib, es geht zu Ende.
Dich aber hab' ich so geliebt,
Daß Eifersucht mir das Geleit
Hinüber zu den Schatten giebt.
Mir ist, wenn dich ein Andrer freit,
Müßt' ich aus tiefstem Grabesschooß
Erstehn und wandeln ruhelos.
Dem Einz'gen nur in aller Welt
Sah' ich dich ohne Neid gesellt,
Dem Bruder, der mir theuer war.
Nach deinem stillen Wittwenjahr
Vergönn' ihm deiner Treue Pfand;
Wo nicht – in diese kalte Hand
Gelobe mir's: Kein Mann auf Erden
Soll meines Schatzes Hüter werden. 197
Im Schleier sei des Himmels Braut,
Der dich mit Gnaden überthaut,
Wenn dies Gelübd' aus deinem Munde
Mir sanfter macht die Scheidensstunde.«
An meinen stummen Lippen hing
Sein Blick, den halb schon Nacht umfing.
Ich sah der Angst geheimen Krampf
In jeder Nerve tödtlich zittern –
O durft' ich ihm den letzten Kampf,
Ihm, der mich so geliebt, verbittern,
Ihm sagen: Dem du mich vereint,
Der hieß dein Bruder, war dein Feind?
Wie leicht, ach wie erwünscht erschien
Die Wahl: Ein Kloster – oder ihn! –
So sprach ich das Gelübd' ihm nach;
Er lallte Dank – sein Auge brach.
Kaum deckte den Entschlafnen – nein,
Den Hingemordeten der Stein,
Da trat der Schwäher ein zu mir,
Sein Mund war bleich, sein Auge stier,
Sein Haupt hing auf die Brust herab.
Da ich ihn sah, wandt' ich mich ab.
Er aber, heuchlerisch und sacht,
Sprach: Frau, Ihr habt gar unbedacht
Dem Bruder ein Gelübd' gegeben,
Mit kurzem Wort ein langes Leben
Geopfert eifersücht'gen Grillen
Und selbst gebunden Euren Willen.
Ich weiß, Ihr habt mich stets gemieden
Und längst in Eurem Sinn entschieden,
Die Welt zu fliehn um meinethalb.
Doch kennt Ihr sie und mich nur halb.
Ihr dürft in weltentlegnen Mauern 198
Nicht diese Probezeit vertrauern.
In Lebenslust, in Jugendwonnen
Soll Eure Seele frei sich sonnen,
Die Herrlichkeit der Erden
Soll mir ein Anwalt werden.
Dann hoff' ich, daß die Freude warm
Euch locken wird in allen Sinnen,
Dem Klostergrabe zu entrinnen
In eines Freundes treuen Arm.
Ich schwieg und ließ mit mir geschehn,
Mein Wille blieb im Herzen stehn.
Wir reis'ten viele Monden lang,
Nie hört' er meiner Stimme Klang.
Wie der Versucher einst dem Herrn
Die Welt gezeigt von Bergeszinnen,
So sucht' auch er mich zu gewinnen; –
Glatt war die Schale, taub der Kern.
Er ließ mich der Provence Auen,
Die liederfrohen Städte schauen,
Lombardiens blüthenreichen Kranz,
Venedigs meergewiegten Glanz,
Und wenn der Lärm des Tags verhallt,
Dann lockten hundert Fackeln bald
Zu märchenhaften Festen.
Wie gern wär' ich den Gästen,
Den müßig schwatzenden, entflohn!
Es klang mir wie ein bittrer Hohn,
So oft sie meine Schönheit priesen.
O was erlitt ich nicht um diesen
Verhaßten Schmuck, und immer noch
Um ihn allein seufzt' ich im Joch.
Und doch, mit jedem Tage neu,
Blieb mir noch Eine Freude treu. 199
Mein Blut fühlt' ich erhöhter wallen,
Wenn ich durchschritt die reichen Hallen,
Paläste, Kirchen, Wand an Wand
Geschmückt von hoher Meister Hand.
Gar oft vor einem Bild geschah's,
Daß ich der ganzen Welt vergaß,
Mit innigem Vergnügen
Hing an den lautren Zügen,
Und meine Sehnsucht rasten ließ
Im längst verlornen Paradies.
Dann konnt' ich lange Zwiesprach halten
Mit stillen Frau'n auf goldnem Grund,
Und oft mit Seufzen sprach mein Mund:
Ich neid' euch, selige Gestalten!
Ihr glänzt in unberührter Zier
Und weckt nicht Habsucht und Begier.
Um euch, die überirdisch schweben,
Stehn Brüder nicht sich nach dem Leben.
Frei wie das Licht, das Allen nah,
In ew'gem Frieden blüht ihr da!
In solcher Stunde, reichgesegnet,
Bist du, mein Holder, mir begegnet.
Noch kannt' ich nichts, als deinen Ruhm.
Da bin ich einst, um still zu beten,
Mit ahnungsvollem Geist getreten
In jenes Klosterheiligthum,
Das an den Oelwald angeschmiegt
Bei Città di Castello liegt.
Das Wunder, das mir dort geschehn,
Soll nun durchs Leben mit mir gehn,
Das Bild, das vom Altar mich grüßte,
Mir folgen wie ein Stern der Wüste.
Doch als ich sie zuerst geschaut,
Die benedeite Himmelsbraut, 200
Die ihre Hand von Scheu bewegt
In des Erkornen Rechte legt,
Die jungfräulichen Mienen
Von Göttlichkeit umschienen, –
Da maß ich aus mit Einem Blick
Mein eigen jammervoll Geschick,
Da wußt' ich erst, was ich verloren,
Als ich dem Todten mich verschworen,
Ein Glück, in dieser bangen Welt
Vom Himmel selbst zum Trost bestellt:
Zwei edle Herzen frei vereint!
Da brachen auf die alten Wunden;
Ich fühlt', ich würde nie gesunden,
Und weinte, wie ich nie geweint.
Den Thränen, die so bitter flossen,
Ist dieser Stunde Glück entsprossen.
Mir war's, dich selbst hätt' ich gesehn.
Den Schönen dort im Brautgeleite,
Deß Augen sinnend in die Weite
Wie nach verhüllten Sternen spähn,
Mit deinem Namen nannt' ich ihn,
Und Nachts in meinen Träumen schien
Dies Augenpaar mit süßen
Huldblicken mich zu grüßen,
Daß ich empor vom Lager fuhr
Und seufzend rief: Ach, träumt' ich nur?
Und in mir klang es fort und fort:
Nach Rom, nach Rom! denn Er ist dort.
Da meinem Stolz gewann ich's ab
Und ließ zur Bitte mich herab:
Eh ich ins Kloster müsse treten,
An des Apostels Grab zu beten.
Der Schwäher hörte mich gelassen 201
Und sprach: Nach Rom? Begehrt Ihr nur
Dem Papst die Kniee zu umfassen,
Daß er Euch lös't von Eurem Schwur?
Es naht die Frist, Euch zu entscheiden;
Ihr liebt mich nicht. Das aber wißt:
Spinnt immerhin geheime List, –
Mein Dolch wird das Gespinnst zerschneiden.
Wohlan, nach Rom!
Wir brachen auf.
Mein Herz schlug bis zur Schläf' hinauf,
Als meine Augen, die entzückten,
Die Zinnen Roms von fern erblickten.
Was war mir diese Welt von Stein?
Doch schloß sie meine Sehnsucht ein.
Die Straße, da wir ritten,
Ist Er vielleicht geschritten;
Wer weiß, er geht an mir vorbei,
Ich ahn' es nicht, wie nah er sei.
Werd' ich ihn sehn, und wann, und wo?
So in Gedanken bang und froh
Hab' ich in Rom die erste Nacht
Ein Raub der Zweifel durchgewacht.
Der Schwäher hütete mich strenger;
Mit jedem Tage ward ihm bänger
Um seines Frevels schnöde Frucht.
Zu all den Stätten hochgefeiert
Mußt' ich ihm folgen dichtverschleiert;
Ich aber dachte nicht an Flucht,
Nur wie ich noch das Glück erwürbe,
Dir zu begegnen, eh ich stürbe,
Und nirgends, ach, erschienst du mir.
Da eines Tags durchwandeln wir
Mit einer bunten Menge
Die offnen Hallengänge 202
Im weiten Hans des Vatican.
Und als wir aus den Fenstern sahn,
Vernehm' ich hinter mir das Wort:
Siehst du im Hof den Jüngling dort?
Das ist er, das ist Rafael,
Des Papstes Liebling. – Blitzesschnell
Erkannt' ich dich. Du schrittest eben
Vom klarsten Sonnenlicht umgeben
Die Stufen zum Portal hinan
Und weiltest sinnend dann und wann.
Es flog dein Blick in heitrer Ruh
Den Schwalben am Gesimse zu,
Und an die Brustwehr angelehnt
Sahst du ihr schwebend Nest sie bauen.
Ich aber durfte satt mich schauen
Am Anblick, den ich lang ersehnt.
O deine Züge, kühn und klar,
Vom Winde leisbewegt dein Haar,
Dein Lächeln, als du an der Pforte
Zum Schweizer sprachst zwei kurze Worte –
Wie hab' ich diesen Mann beneidet,
Die Vögel selbst, an deren Flug
Dein schönes Auge sich geweidet!
Kaum bändigt' ich das Herz genug,
Daß es nicht ausbrach aus der Brust
Und aufschrie laut in Qual und Lust!
Doch als du warst zur Thür hinein,
Schwand plötzlich mir der Tagesschein.
Ein Schwindel kreis'te mir ums Haupt,
Ich hielt mich an den Pfeilerwänden,
Und Eins nur stöhnt' ich sinnberaubt:
Verlornes Herz, wie soll dies enden!
Und heut – und jetzt, in herberm Schmerz
Wie soll dies enden? klagt mein Herz. 203
O hätte mich der Gott mit raschen
Geschossen hingestreckt in Aschen,
Anstatt mich aufzusparen
Zu tödtlichern Gefahren!
Ich war der Welt von Herzen feind,
Ich hätte nicht ihr nachgeweint,
Mein Haupt der Scheere gern geboten,
Mein Herz gebettet zu den Todten.
Wußt' ich denn je, was Leben heißt?
Ich lernt' es erst an deinen Küssen,
Und zehnfach werd' ich sterben müssen,
Wenn mich der Tag von hinnen reißt.
Warum mit nächtlich kühner List
Sucht' ich, was so verderblich ist,
Beschwor mit ungestümem Flehn
Die treue Magd, den Gang zu wagen,
Die Rosen vor dein Bild zu tragen
Und diese Nachtfahrt zu bestehn?
Warum in deines Hauses Pforte
Ludst du die Fremde freundlich ein
Und sprachst so arge Liebesworte,
Die mich berauscht wie junger Wein?
Auf! ende diesen kurzen Trug!
Ich büß' ihn dennoch lang genug.
Erbarm' dich! noch ist's nicht zu spät;
Stoß' mich hinweg von deiner Seite,
Gieb rauhe Worte zum Geleite
Der Seele, die ins Elend geht.
Dann werd' ich einen Muth gewinnen,
Mich auf mein Schicksal zu besinnen,
Und zu mir sprechen: Flieh hinaus!
Das Leben selber stößt dich aus!
So rief sie, und im wildem Harm
Entglitt sie plötzlich seinem Arm 204
Und sank, von Todesqual durchzückt,
Vom Pfühl herab zu seinen Füßen.
Er weckte sie mit heft'gen Küssen,
Und tief zu ihr hinabgebückt
Raunt' er beschwörend ihr ins Ohr:
Stirb nicht! stirb nicht! O blick' empor
Und hinter dich wirf alle Pein;
Von heut an ist dein Leben mein.
Sobald der neue Tag erschien,
Will ich mit flehentlichen Bitten
Am Stuhl des heil'gen Vaters knie'n,
Ihm sagen, was ein Weib gelitten,
Auf daß er lösend von dir nimmt
Den Schwur, um den mein Herz ergrimmt.
Und mag der Feind dann Rache brüten,
Ich lache nur zu seinem Wüthen,
Ich weiß, daß er erliegen muß.
Denn wer von deinem Hals sich lös'te,
Dem in die stolze Seele flößte
Triumph dein Lächeln, Sieg dein Kuß.
Er hob das schöne Weib empor;
Sie sah ihn an, wie nie zuvor.
Sie sprach: Mein Freund, es ist vergebens.
Und riefst du aller Engel Schaar,
Sich zu erbarmen meines Lebens,
Verfallen ist's auf immerdar.
Der Feind, dem dieses Haupt verpfändet,
Hat schon zu theuren Preis verschwendet;
Und hab' ich Zeugniß wider ihn
Vorm heil'gen Stuhl, und darf ich's wagen,
Ihn jenes Gräuels zu verklagen,
Deß ihn mein ahnend Herz geziehn?
Ja, macht' ich's wie die Sonne klar,
Und stellt' ich hundert Zeugen dar, 205
Sein Gold, sein Nam' und, stärker noch,
Sein Muth der Bosheit siegte doch.
Ich bin, wie in des Geiers Kralle
Das Reh, das überm Abgrund schwebt,
Das, bringt ein Wunder ihn zu Falle,
Der Räuber stürzend mitbegräbt.
Des Bruders Schatten höhnt ihm zu:
»Es gilt! Ein Kloster oder du!«
Und nie erträgt sein wilder Geist
Daß mich ein Andrer ihm entreißt.
Würd' er in deinem Arm mich sehn,
Die Hölle rief' er unter Waffen,
Ihm Rache grauenvoll zu schaffen,
Und um uns Beide wär's geschehn.
Wie aber? Hab' ich denn geweint?
Schilt meinem Kleinmuth, süßer Freund!
Daß ich geklagt, war Gotteslästern.
Denn mir vor allen meinen Schwestern
Ward ja ein unermessnes Heil
Hoch über meinem Werth zu Theil.
Wie manchem Weib fällt in den Schooß
Ein vielbeneidet goldnes Loos,
Und willst du nach dem Glück sie fragen,
Sie muß die Augen niederschlagen.
Und ich, nach dunklen Lebensmühn
Hab' ich den Quell der Sel'gen schlürfen
Und Seel' und Sinne tauchen dürfen
In Flammen, welche nie verglühn.
Nun komme was da kommen mag,
Ich bin gefeit seit diesem Tag;
Nun komme was da kommen muß,
Ich bin geweiht durch deinen Kuß,
Die Braut, das Weib und ach, wie schnell
Die Wittwe meines Rafael!
Du aber, wenn auf deinem Pfad 206
Dir Schönheit winkt und Liebe naht,
Den flücht'gen Rausch nur gönnst du ihr,
Dein tiefstes Sehnen weilt bei mir;
Denn niemals wird dein Herz vergessen
Der Stunde, da du mich besessen!
Das Lämpchen losch; schwül war's im Haus.
Ins Freie traten sie hinaus.
Die Myrten rauschten um sie her,
Die Nacht floß wie ein stilles Meer
Um einer sel'gen Insel Strand,
Darauf sie gingen Hand in Hand.
Ihr Flüstern selbst verstummt gemach,
Nur ihre Herzen blieben wach
In sel'gem Pochen ohne Rast.
Und da nun Stern an Stern verblaßt,
Stand hoch im dämmernden Azur
Einsam der Stern der Liebe nur.
Die Nacht verging, der Morgen kam.
Da saß, versunken tief in Gram,
Den keine Lebensfreude stillt,
Der Jüngling vor dem hehren Bild.
Die himmlischen Gestalten sehn
Auf seine Trauer ernst hernieder,
Als sprächen sie: Was ist geschehn?
Blick' auf! Wir kennen dich nicht wieder.
Er aber hebt die Blicke nicht,
Ihn lockt umsonst das Sonnenlicht.
Der Mund, der nicht mehr küssen kann,
Fängt unbewußt zu dichten an,
Das Herz, das stumm an ihrem ruht',
In Rhythmen strömt es seine Glut,
Und ein beschriebnes Blatt nur liegt 207
Auf Knieen, die sein Glück gewiegt.
Da öffnet sich die Thür in Hast.
Hereinstürmt, heut ein leid'ger Gast,
Ein Freund, mit dem er manchen Tag,
Wenn er am Werk sich heiß gemüht,
Vertrauter Reden gerne pflag.
Heut aus den offnen Zügen glüht
Begeistrung wundersam ihn an.
Er aber, wie ein siecher Mann,
Hebt kaum das Haupt, sein Gruß klingt schwach,
Er birgt das Blatt, das er beschrieben.
Doch Jener, wie vom Sturm getrieben,
Durchmißt beflügelt das Gemach.
O, ruft er, Meister, Theurer, Lieber,
Erdulde mich, ich bin im Fieber.
Es hat's ein Weib mir angethan,
Schön, wie es diese Augen nimmer,
Auch nicht an Hellas' Küsten sahn.
O hätt' ich nur den blassen Schimmer,
Wie ihn zurück die Welle strahlt,
Den Schatten dieser Frau gemalt,
Um eines Herzogthums Gewinn
Gäb' ich das einz'ge Bild nicht hin.
Denk', als ich heut, nichts Arges ahnend,
Durch müß'ges Volk den Weg mir bahnend,
Hinunter die Ripetta schritt, –
Mein Bruder Carlo schlendert mit,
Wir plaudern, was man eben spricht,
Von deinem Bild, von schönen Frauen,
Da rennt das Volk und schaart sich dicht,
Der stolzen Barke nachzuschauen,
Die schon das Ankertau gelös't
Und eben jetzt vom Ufer stößt;
Ein Prachtschiff, aufs Verdeck gestellt
Ein schimmerndes Brocatgezelt, 208
Mit Teppichen belegt der Bord,
Und – heil'ge Venus! wer steht dort?
Ist's eine Göttin? ist's ein Bild?
Der Flor nur, der im Winde schwillt,
Der Blick, der still ins Weite strebt,
Sagt' uns: die Göttliche, sie lebt!
Wie schön der Glanz ihr Haupt umfing!
Im Kreis von Mund zu Munde ging
Ein staunendes, beklommnes Ach!
Sogar die Kinder riefen's nach,
Und hätten sie den Himmel offen,
Der Engel Reigentanz gesehn,
Sie konnten sel'ger nicht betroffen,
Nicht athemlos entzückter stehn.
Mir aber, der seit manchem Jahr
Der süßen Schwäche Meister war,
Mir in den Adern tobt' es heiß,
Die Stirn benetzte kalter Schweiß,
Den Sinnen kaum zu trauen wagt' ich.
Ich riß den Freund im Sturm hinweg,
Drang vor bis an den Ufersteg,
Und einen von den Schiffern fragt' ich:
Wer ist die Frau? Wohin die Fahrt? –
Malanno! flucht' er in den Bart,
Ist's nicht um aus der Haut zu fahren,
Wenn solch erles'ne Creatur
Zum Teufel geht in jungen Jahren,
Will sagen, in ein Kloster nur?
Der Teufel aber weiß, warum,
Ich nicht; die Dienerschaft war stumm!
Vom Kloster sprachen sie, nichts weiter,
Kein Wort, wohin die Barke schwimmt,
Und wo die Frau den Schleier nimmt.
Ein finstrer Herr war ihr Begleiter,
Reich, aber böse. Seht ihn dort! 209
Just steht er neben ihr an Bord. –
Ich sah's, er trat an sie heran;
Er durfte dieses Weib geleiten –
Ich fühlt', ich haßte diesen Mann.
Und als das Schiff mit sanftem Gleiten
Stromabwärts trieb, folgt' ich dem Schwarm
Dem Strand entlang an Carlo's Arm.
Ist's möglich? auf den Engelsmienen
Kein Hauch von Schwermuth, die beklagt,
Daß sie so jung der Welt entsagt,
Um einem strengen Gott zu dienen?
Wie nach erkämpften Siegen war
Ihr Auge frei und sonnenklar,
Ein Lächeln schwebt' um ihren Mund,
Als wär' ihr wohl in Herzensgrund,
Als trüge sie hinweg das Glück
Und ließe leer die Welt zurück.
O Rafael, wem sind bewußt
Die Räthsel einer Menschenbrust!
Und als vom frischen Wind gezogen
Das Schiff umglitt den weiten Bogen,
Da wo die letzten Häuser stehn,
Ließ sie ein weißes Tüchlein wehn,
Ein Lebewohl – doch wem? – zu winken.
Die Mauern hemmten mich; mir war,
Als säh' ich einen Stern versinken,
Versinken, ach, auf immerdar!
Was aber seh' ich? Theurer, sprich,
Du glühst? Mein Fieber – schüttelt's dich?
Du kehrst dich schweigend nach der Wand?
War sie dir nur zu wohlbekannt,
Die Himmlische, und frische Wunden
Riß auf mein ahnungsloses Wort?
O bleibe! Sie ist längst entschwunden – – 210
Umsonst! Wie sinnlos stürmt er fort.
Wär's möglich? – – Ein verlornes Blatt
Am Boden dort, von Thränen satt,
Sonette, heiße Liebesklagen –:
»Nach kurzem Glück – welch ein Entsagen!
O warum bin ich aufgewacht?
O warum kamst du in der Nacht
Und brachtest niegeahnte Wonne?
Da längst versank die Eine Sonne,
Wie ging die andre strahlend auf – –«
Er hielt das Blatt und starrte drauf,
Von tiefer Rührung übermannt;
Es bebte still die Freundeshand.
Es ist so, sprach er vor sich hin;
Dem Reichsten ward auch der Gewinn;
Wer hat, der soll in Fülle haben,
Um aus dem Vollen uns zu laben.
Wir sehn am Strand vorübergleiten
Ein Glück, das unerreichbar winkt;
Er braucht den Arm nur auszubreiten,
Damit es an die Brust ihm sinkt.
Hinweg, elender Neid! Was haben
Wir für ein Recht auf solche Gaben?
Nur wer Unsterbliches vollbracht,
Dem tagt ein neu Gestirn zu Nacht,
Der wird, die wir umsonst begehrt,
Des Lebens Goldfrucht brechen können,
Und wir – wir müssen sie ihm gönnen,
Denn Er allein ist ihrer werth! 211