Paul Heyse
Novellen in Versen
Paul Heyse

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Urica.

(1851)

Es war ein Schloß voll Geigenklang und Glanz
Im schlafenden Paris. Wie überwacht
Mit rothen Fenstern blickt' es in die Nacht;
Und drinnen fiebert noch der heiße Tanz,
Wird noch gescherzt, gelächelt und gelacht,
Da schon die Schatten aus den Gräbern steigen
Der Opfer, die der Morgen stumm gemacht,
Und dräuend tanzen ihren Reigen.

Wen stört der Spuk? – Festordner ist der Wahn.
Die bleichen Schatten aus den Gräbern dort
Weis't am Portal er wie Gesindel fort,
Wie Bettler, die nicht festlich angethan.
Und raunt ein Ahnender ein banges Wort
Ins Ohr des Nachbars, wie von Schuld und Sühne,
Treibt er zu hellerm Bogenstrich sofort
Die Geiger droben auf der Bühne.

Er hat auch sie bethört, die greise Frau,
Die Herrin des Palastes. Still und hehr
Durchwandelt sie den Saal und blickt umher
Mit edlen Augen. Sie sind dunkelblau,
Wie Luft nach Wettern. Denken sie nicht mehr
Der trüben Chronik dieses Menschenlebens,
Dran sie sich wund gelesen, thränenschwer,
Und wund und thränenschwer vergebens? 133

Ja sie vergaßen, weil vergessen muß,
Wer hoffen will. Und noch wie unerschlafft
Fühlt diese Frau des Hoffens holde Kraft;
Wie rein von Zweifel noch und Ueberdruß
Durchglüht sie der Begeistrung Leidenschaft!
Sie sah getrost in der Geschicke Schwanken,
Als wär' ihr graues Haupt so jugendhaft,
Wie diese stürmenden Gedanken.

War doch zu stolz zum Hochmuth dieses Herz!
Und als die Freiheit, jung und schön und wild,
Mit Füßen trat ihr gräflich Wappenschild,
Sah sie den Tand zertrümmern ohne Schmerz.
Oft kamen Träume, künft'ger Tage Bild
Wie ein gelobtes Land ihr zu entschleiern.
Sie will, so lang noch Leben in ihr quillt,
Mit Festen ihre Träume feiern.

Sieh! nun entwirrt sich das Gewühl im Saal.
Die greise Wirthin lädt zu sitzen ein,
Wo sich die dunkeln Sammetpolster reihn
An Wand und Nischen in der Kerzen Strahl.
Im Blick der Alten – welch ein Freudenschein?
Wen grüßt er von den schlanken acht Gestalten,
Die seltsam schreiten in den Saal herein,
Gepaart sich an den Händen halten?

Ein buntes Bild! Kein Paar dem andern gleich.
Das eine trägt in Zöpfen reiches Haar,
Bemalte Wangen, Waffen wunderbar
Und Schmuck von Federn. Jenes Paar ist bleich;
Sakontala trug solchen Putz fürwahr.
Das dritte dunkel, wie im winterlosen
Hoch-Afrika, und nur das vierte Paar
Hat Tracht und Farbe der Franzosen. 134

Sie treten zur Quadrille zierlich an.
Ein Ruf des Staunens wandert durch den Kreis
Der Schauenden, indeß die Geiger leis
Die Saiten prüfen. So! Nun ist's gethan,
Und flugs entfesselt sich der Tanz, als sei's
Nicht die Quadrille mit den zahmen Touren,
Die höfische; – das Auge sieht sich heiß,
Das folgt den wirbelnden Figuren.

Wie Sturm im Frühling durch die Lande fährt,
Zusammenstäubend loser Blüthen Flor
Von Wipfeln, die sich nie berührt zuvor,
Die andres Licht und andre Luft genährt:
So rauscht und säuselt um der Tänzer Ohr
Der zügellose Tact der hellen Geigen,
Und jagt der Masken buntgeschmückten Chor
Zum raschen Weltverbrüdrungsreigen.

Und wär's ein Traum – so ist er träumenswerth!
Stiehl' dich nur fort, du mit dem Leidenszug
Um deine Denker-Augen. Wär's ein Trug,
Hat seine Dämmrung doch die Welt verklärt,
Wie wache Wahrheit nie. Bist du zu klug,
Zu lächeln und zu hoffen? Geh von hinnen!
Der Garten draußen dunkelt tief genug,
Daß einsam deine Thränen rinnen.

Kein Auge folgt dir. Magisch festgebannt
Staunt jedes hin und her und späht entzückt,
Wie jetzt der Federkranz des Wilden nickt
Aus dem Gewühl, und jetzt das Gürtelband
Sakontala's vorflattert goldgestickt,
Jetzt Frankreichs Kind mit seinen Fingerspitzen
Die Mohrin streift, in deren Haar verstrickt
Die weißen Perlenschnüre blitzen. 135

Und die als Mohrin tanzt – wie zart an Wuchs!
Wie ihr die Maske steht! Du dächtest nicht,
Sie trüge nur geborgtes Angesicht;
So alle Täuschung des Erröthens trug's
Auf den belebten Wangen, so gebricht
Den vollen Lippen ganz die rothe Frische.
Wie hold den ernsten Augen widerspricht
Das Lächeln dort, das träumerische!

Im Saale flüstert's: Das ist Urica,
Der Gräfin Pflegekind! – Und Weiberneid
Bespöttelt wohl die fremde Lieblichkeit,
Und zuckt die weißen Achseln hie und da.
Der Tanz verklingt. Im Saale weit und breit
Schallt Beifallsruf. Es hat die glüh'nden Wangen
Der Tänzer Urica's vom Flor befreit;
Was bleibt er nur auf ihren hangen?

Komm, tritt ihr näher, der du so gefragt,
Dem Schwarm, der sie umringt, geselle dich.
Siehst du die Maske nun, der ewiglich
Sich zu entkleiden ihr Natur versagt?
Die Tropenblume, wie verlor sie sich
In Frankreichs fernen Garten und verdunkelt
Der Andern Helle, wo sie zauberlich,
Die Königin der Nächte, funkelt?

Nun naht die Gräfin ihrem schlanken Kind,
Und ehrerbietig weicht der bunte Schwarm.
Den dunkeln Liebling schließt sie in den Arm,
Und liebkos't ihr, und mütterlich gesinnt
Spricht sie ihr zu: O Kind, wie bist du warm!
Du hast zu wild getanzt. Geh auf und nieder
Und kühle dich, und denk' an meinen Harm,
Lägst du am Morgen krank danieder. 136

Sie steht und hört die Worte wie im Traum.
Sie küßt die liebe Hand und athmet bang:
O mir ist wohl! – Doch unstät irrend drang
Ein Blick durch ihrer Wimper dichten Saum,
Als sucht' er wen den weiten Saal entlang,
Indeß das Herz, das ihn auf Kundschaft sandte,
Sein ungeduldig Klopfen kaum bezwang,
Denn fruchtlos forscht der Abgesandte.

Vorschnelle Kinderthränen sind ihr nah,
Und Jedem doch gönnt sie ein kluges Wort;
Nun dem beredten Girondisten dort,
Nun dem Vicomte mit Schmink' und Chapeaubas.
Doch klingt der Freude schmeichelnder Accord
Ihr mißgestimmt, so viel die Lippen scherzen;
Aus der Bewundrer Menge schleicht sie fort,
Geängstet von den grellen Kerzen.

Sie schlüpft in ein Gemach, drin Mondenschein
Und Lampenzwielicht falb zusammenfloß.
Hinüber blickt sie nach dem Thurmgeschoß
Des stillen Hofes, wo der graue Stein
Manch altes Fenster hochgewölbt umschloß.
Kein Kerzenstrahl fällt auf Gesims und Mauer;
So kann er dort nicht sein. Im weiten Schloß
Wo birgt er sich und seine Trauer?

Er liebt den Garten und so blasse Nacht
Wie heut. Wohl weiß sie, was er liebt und haßt.
Hinab das Treppchen fliegt sie nun in Hast,
Huscht durch die Pforte, wo kein Pförtner wacht,
Und bebt, wie draußen sie der Nachtwind faßt
Mit weichem Fittig, feucht und kühl vom Thaue.
Kein Frieden hält in ihren Sinnen Rast,
Wie heiter auch der Himmel blaue. 137

Oed ist der Park. Auch die Fontäne ruht.
Entlang den Taxushecken schleicht der Strahl
Des feuchten Monds, der Kiesweg blinkt so fahl,
Gedämpft ist längst der rothen Rose Glut,
Jasminenduft nachtwandelt. Manches Mal
Schreit wo ein Vogel, schluchzt es in den Winden,
Wie wer den Tag verweint in kranker Qual
Aufseufzt und kann den Schlaf nicht finden.

Und dort die Bank, wo einer aus dem Schwarm
Der Dienerschaft vom lauten Feste weit
Mit einem Liebchen sich vertreibt die Zeit
Und kos't und flüstert, traulich Arm in Arm.
Sie eilt vorbei; doch in des Busens Streit
Mischt sich das Bild; und plötzlich aus den Hecken
Vor tritt ein Mann in einfach dunklem Kleid
Und sieht sie stehn in süßem Schrecken.

Begegn' ich dir im Garten, Urica,
Und dachte dich beim Tanz und Narrenfest? –
Herb klang das Wort, als sei das Herz gepreßt
Von bittrem Weh. Doch unverschüchtert sah
Sie zu ihm auf und hielt die Hand ihm fest:
Etienne, ich suchte dich. Du mußt mir sagen,
Was bei den Frohen dich nicht weilen läßt;
Dein Scheiden scheint sie zu verklagen.

Du weißt, wie lang die Mutter sich gefreut
Auf diesen Tanz, wie viel sie sorgt' und sann
Um seinethalb – und sahst ihn nicht mit an!
Ich weiß, ich tanzte besser nie als heut;
Dir zu gefallen dacht' ich. Böser Mann!
Da warst du längst nicht mehr beim Feste droben,
Und ließest Andren, die ich missen kann,
Die Pflicht, dein Schwesterchen zu loben. 138

Er zog die Hand aus ihren Händen fort,
Die schmale, weiße, unberingte Hand.
Er sah hinweg. Vor seiner Seele stand
Ein blut'ger Schatten. Jedes muntre Wort,
Das ihn noch mahnt' an dieser Erde Tand,
Schien ihm Entweihung seiner heil'gen Schmerzen,
Und jetzt, als sie ihn ansah unverwandt,
Brach es hervor aus tiefstem Herzen.

Ja tanze, Kind; doch nicht, wie man es lehrt,
Nein zornig stampfend. Dieser sanfte Schritt
Liebkos't die Erde, wie ein leiser Tritt
Bei Liebenden; und sie ist hassenswerth!
O eine saubre Mutter, die es litt,
Daß ihrer Kinder Leichen sie entehren,
Und die noch immer tanzt den Reigen mit
Und mitsingt die Musik der Sphären!

Es ist ja nicht ums rothe Menschenblut.
Es fließe, wenn es Gott zum Opfer raucht,
Weil er die Sünde haßt und Sühne braucht
Und sein Gericht vollzieht durch unsre Wuth.
Die Freiheit, tief in diesen Styx getaucht,
Wird unverwundbar. Doch ich weiß von Thaten,
Aus denen so die Pest der Lüge haucht –
Geh! geh! dir will ich's nicht verrathen.

Geh du zum Fest! das Lächeln kleidet dich,
Und weißt du Das, du lächelst nimmermehr.
Geh, Urica! du tanztest gern bisher,
Und weißt du Das, so zerrt dir ewiglich
Ein Graun den Fuß zu Boden zentnerschwer.
Was hängst du dich an meinen Arm mit Zittern?
Von Süßigkeit ist meine Seele leer –
Ich will die deine nicht verbittern! – – 139

Sie gingen hastig durch die Schatten hin.
Da bei der Sphinx am Brunnenrande blieb
Der Düstre stehn, als ob das Bild ihn trieb',
Ihr zu enträthseln den verhüllten Sinn.
Sanft streichelt' er ihr Haar und sprach: Vergieb!
Wer bliebe weich in diesen harten Tagen!
Ich war auch hart zu dir, die mir so lieb –
Vergieb, und laß dir Alles sagen!

Nun an die Sphinx gelehnt ließ er den Arm
Auf ihren Schultern ruhen wie gelähmt.
Kaum grämt es sie, daß sich der Theure grämt,
Da sie ihn stützen darf in seinem Harm.
Sie sieht sein Auge, das sich stets geschämt,
In unbezwungne Thränen auszubrechen,
Wie es die schweren Tropfen kaum bezähmt;
Und tonlos hebt er an zu sprechen:

Du kanntest ihn! Ich führt' ihn einst zu dir,
Noch von der langen Fahrt nicht ausgeruht.
Er trug ja deines Stammes Farb' und Blut,
Nur bleich vermischt. Zu stürzen dacht' er hier,
Wo manches fiel, den schnöden Uebermuth,
Der sein Geschlecht zu Markt bringt und verhandelt.
Da er dich sah – ich weiß es noch so gut,
Wie du sein traurig Herz verwandelt.

Ha, sagt' er mir, so war es doch kein Wahn,
Daß Neger Menschen sind. O wären viel
Dem Mädchen gleich, so wär' das niedre Spiel
Mit hohen Worten rascher abgethan!
Eh' nicht die letzte Sklavenkette fiel,
Ist's Hohn, was man hier jubelt auf den Gassen.
Doch laßt mir Zeit, ich bring' es noch zum Ziel! –
Sie eilten, ihm nicht Zeit zu lassen. 140

Hörst du's, du armes Mädchen? Er ist hin!
Ogé ist todt! Vor dem Mulatten bricht
Hinfort die weiße Pflanzerpeitsche nicht.
Ogé ist todt! – Hörst du es, Negerin?
Gemordet, weil nicht weiß sein Angesicht,
Gemordet von dem Volk, das mit Geprahle
So brüderlich von Menschenrechten spricht
Und dazu tanzt im Ahnensaale.

Tanzt nur, ihr Braven! 's ist auch viel zu weit
Bis Sant Domingo. Wer vernimmt den Schrei
Der schwarzen Brüder, die das Bruderblei
Zum Vater heimschickt? O! 's ist Tanzens Zeit!
Wen kümmert's, ob ein Mann gemordet sei,
Der, da die Welt Mulattenwort nicht hörte,
Zum Trotz der übermächt'gen Tyrannei
Mit einem Häuflein sich empörte!

Tanzt nur! Wohl weiß ich, daß die Melodie
Von Flöt' und Geige viel vergnügter macht,
Als diese Botschaft, die mir kam zur Nacht.
Und wenn ich's jetzt euch in die Ohren schrie':
Ogé ist todt! vom Henker umgebracht!
Ihr würdet eilig mir den Rücken wenden,
Eh ihr das unbequeme Wort bedacht,
Noch einen Cotillon zu enden.

Doch du bist nicht wie sie! dich kenn' ich ja.
Dir von den ersten Knabenträumen an
Vertraut' ich, was ein Mensch nur sagen kann,
Auch mein unsäglich Leiden, Urica! –
Und überwältigt drückt der starke Mann
Sein Haupt an ihre Schulter, schluchzt gewaltsam,
Wie Männer schluchzen, und in Thränen dann
Bricht's aus den Augen unaufhaltsam. 141

Wie? denkt sie ihn zu trösten, wenn sie nun
Sein Haupt auf einmal an das ihre preßt,
Aus langen Küssen ganz erfahren läßt,
Was kurze Worte halb zu wissen thun?
Wohl stockt die Fluth, die sein Gesicht genäßt,
Wie sie ins Ohr ihm ihre Beichte flüstert;
Doch ruht sein Blick auf ihr so seltsam fest,
Trostloser als zuvor verdüstert.

»Sprichst du im Traum? Gilt mir, was du gesagt?
Sind diese Küsse mehr als schwesterlich?
O, du bist krank! Es hat ein Fieber dich
In diese wilde Phantasie gejagt.
Erwache, Schwester!« – Doch die Arme wich
Von seinem Halse nicht und stöhnt' in Schmerzen
Und rief: Etienne, ach, du verleugnest mich,
Mit diesem hingegebnen Herzen?

Und starr von Schreck und Mitleid kann er nicht
Sie von sich stoßen. Wie betäubt im Geist
Horcht er, indeß ihm Wahn auf Wahn zerreißt,
Wie ihre Täuschung so beweglich spricht:
Ach nicht dies Schweigen, das mich schweigen heißt!
Ach nicht den Blick, der niederschlägt den meinen!
Hast du nicht lang gewußt, was du nun weißt,
Und will dir's heute fremd erscheinen?

Zürnst du, daß ich der Sitte gar vergaß?
Zum Herzen stürmte mir dein Herzeleid,
Dort auszutilgen jede Schüchternheit.
Ach! als du weintest, – welch ein Uebermaß
Von Angst befiel mich, daß der wilde Streit
Mir gar zu früh dein theures Leben stehle!
Nun weicht dein Blick mir aus? und allezeit
Suchte doch sonst mich deine Seele! – 142

Und er, in Qualen: Daß es dahin kam!
Ich ahnt' es nie, und hätt' es doch gesollt.
Gesollt? – Umsonst! das Rad des Schicksals rollt;
Dich hätt' es doch zerschmettert. Warum nahm
Die Mutter dich ins Haus! Warum so hold
Kam Freundschaft mit den traulichen Geberden,
Und schien so probewerth, so rein wie Gold,
Und will nun Leid und Liebe werden? –

Wie sie das hört, von seinem Nacken fällt
Wie hingewelkt der jungen Arme Kranz.
Er schaudert vor des Auges todtem Glanz,
Er sieht, sie taumelt; doch die Glieder hält
Das Herz noch aufrecht, denn nicht glauben kann's
Dies gläub'ge Herz, daß er es kam zu brechen.
Hör' mich! stößt er hervor, o hör' mich ganz!
Sie aber winkt ihm, nicht zu sprechen.

Sie sieht ihn an, als wollt' in seine Brust
Sich graben dieser Blick. Dann spricht sie leis:
Nein, lüge nicht! es ist dir fremd, ich weiß;
Drum hör', Etienne, was du mir sagen mußt.
Ich frage dich vor Gott: Wär' ich so weiß,
Wie du, Etienne, würdst du mich lieben können,
Und ist nur deine Liebe nicht so heiß,
Der – Negerin dein Herz zu gönnen?

Er schwieg. Wohl fühlt' er, wie er vor ihr stand,
Noth sei's, zu lügen. Doch er kann es nicht.
Sie hängt in Todesangst ihm am Gesicht,
Bis abgewandt er's barg in seine Hand.
Da stöhnt sie auf. Das trübe Mondenlicht
Verlischt vor ihrem Blick, sie strebt von hinnen,
Wankt – stürzt – und wie ihr Leib zusammenbricht,
Wird's tiefe Nacht um Herz und Sinnen. 143


Der Morgen röthet sich. Seit Stunden schon
Zerstoben vom Portal die Wagenreihn
Mit matten Lampen. Wie der Hähne Schrei'n
Phantome jagt, so brach der bange Ton,
Der Hülfe rief, ins frohe Fest hinein.
Wüst dehnen sich die alten Prunkgemächer.
Ein kecker Morgenwind tanzt noch allein
Um welke Blumen, leere Becher.

Gesinde stöbert schläfrig durch den Saal,
Die Kerzen löschend an der Spiegelwand,
Die blinzelnd in den Tag hineingebrannt.
Und Andre schmausen vom verlassnen Mahl,
Und Andre lauschen auf dem Flur, gespannt
Um eine Thür geschaart, dem Murmeln drinnen,
Bis dann der Schlaf die Neugier übermannt.
Da flüsternd schleichen sie von hinnen.

Sie aber saß am Bette, schlummerlos,
Die edle Gräfin. In dem jähen Gram,
Der um ihr dunkles Kind sie überkam,
Vergaß sie sich, band nicht die Spangen los,
Nicht Kett' und Perlenhalsband. Wundersam
War's anzuschaun, wie dort am Krankenbette
Das Leben prahlt', als ob es keine Scham
Vorm ernsten Blick des Todes hätte. 144

Da lag das Kind, im Aug' so öden Schein,
Als ob's in bodenlose Tiefen säh'.
Halboffen stiert der Mund; doch diesem Weh
Versagt sich selbst die Wohlthat, aufzuschrei'n.
Und wie ein Büßender tief in die See
Den Mammon senkt, der ihn zur Schuld getrieben,
Verschmäht dies Antlitz allen Reiz, der je
Ihm schmeichelte, man könn' es lieben.

Und ihre finstre Farbe war nicht leer
An Lieblichkeit, da noch verstohlnes Roth
Vom Herzen zu den Wangen aufgeloht,
Wie Freudenfeu'r in Nächten. Ach, nunmehr
Erlosch der Glanz, die Nacht ist trüb und todt,
Kein Lächeln schmückt die Lippen mehr, die blassen.
Das Leben nur blieb treu in solcher Noth,
Wo seine Zierden sie verlassen.

Die Alte sieht's, im Innersten entsetzt;
Vor ihre Stirn tritt kalt der bange Schweiß.
Sie fühlt, des Mädchens Schläfe klopft so heiß,
Als züngle schon des Todes Fackel jetzt
Nach diesem Haupt. Und doch, die Arme weiß
Das Weh noch nicht, von dem die Pulse beben,
Den Winter nicht, der dies verfrühte Reis
Betrogen um ein frisches Leben.

Das Fieber sagt ihr's. Horch! aus starrem Ruh'n
Reißt es sie auf zu Klagen wild und schwer.
Weh! ruft sie, weh! Sie brachten mich hieher
Ins weiße Bett – die Tücke kenn' ich nun!
Bleich, bleich das Bett – die Hand bleicht nimmermehr.
Habt ihr mir nicht gegönnt, in Nacht zu sterben?
Die ist von meinem Stamm, die zürnt nicht sehr,
Wenn auch die Schwarzen sie beerben. 145

Ich will zu ihr. Du, rühre mich nicht an!
Mir ist, ich kenne dich. – Laß immerhin!
Ich will ja nicht zu ihm. Liegt dir's im Sinn,
Als hätt' ich wohl ein Recht auf diesen Mann?
Ach, Unrecht nur hat eine Negerin.
Doch graut der Tag – ich muß dem Tag entrinnen,
Bis ich im Land der Mitternächte bin;
Der Sonnenschein bringt mich von Sinnen.

Die Perlen fort! die lust'ge Seide fort!
Ich weiß ja doch, daß es der Kaufpreis war,
Das Blutgeld für die Sklavin. – Ha, wie klar
Blickst du mich an, Etienne! Blickt so der Mord?
Laß, laß! Komm, scheere mir das Lockenhaar;
Dann halt' ich auch dem Opfermesser stille.
Ich thu' es, weil du's willst. Ach, immerdar
Zwang mich dein lieber harter Wille. –

Darauf ein Lachen, schaurig, wie ein Klang
Aus andren Welten. Tief ins Auge sah
Die Mutter ihr: Wo bist du, Urica?
Kennst du mich nicht? – Da horcht sie stumm und bang.
Es ist, als trät' ihr die Erinnrung nah
Im Fiebertraum. Sie deutet mit dem Finger
Auf ihre Pflegerin: Dich kenn' ich, ja,
Du bist das Schließerweib im Zwinger!

Dich kenn' ich wohl; du hast das Opferlamm
Bekränzt, gefüttert, und der Pöbel schrie:
Die edle Frau! Wie hegt und hätschelt sie
Den Findling, der verwais't nach Frankreich schwamm!
O meine arme Mutter, hättst du nie
Das Schiff bestiegen, wo du starbst in Kummer!
Wär' ich bei dir, wo sacht die Melodie
Der Meeresflut uns wiegt' in Schlummer! 146

Du da am Bett, die hellen Edelstein'
An deinem Hals, die sind wohl reich und echt,
Doch deine Thränen falsch und lügen schlecht.
Geh fort! du mußt bei deinem Feste sein.
Tanzt nur Verbrüderung; o schön! o recht!
Die ganze Welt ein großes Hans voll Brüder.
Doch denkt an Kain! Lächelt nur und sprecht:
Stiefschwesterlein tanzt nimmer wieder.

Laß mich hinweg! der Boden hier ist glatt,
Wie blankes Eis. Mein unbeholfnes Leid
Kann da nicht wandeln – Winter weit und breit –
Ich bin des Gleitens in dem Schneewind satt.
Wüst ist mein Sinn. Mir gab das schwarze Kleid
Die Wüstensonne. Bin ich zahm gewesen
Zu meiner Qual so böse lange Zeit,
In Wildheit will ich neu genesen.

Genesen nicht, nein sterben, doch zu Haus,
Dort, wo das gier'ge Schakal mich begräbt.
Der Boden, dem ihr hier mich übergäbt,
Er stieße wohl den schwarzen Fremdling aus.
Fort, fort von hier, bevor ich ausgelebt!
Sonst wird auf den geduld'gen Stein geschrieben,
Mit frommen Sprüchen heuchlerisch durchwebt,
Der Lügenvers von euerm Lieben.

Gnade vor eurer Liebe! – Wimmernd rief's
Der heiße Mund. Da mit ersticktem Ach
Sank sie ins Pfühl; das Auge flammte schwach,
Dann von der Wimper sanft beruhigt schlief's.
Der Arzt trat forschend wieder ein und sprach:
Der Geist ist willig zwar zum Tod gewesen;
Allein getrost! das Fieber weicht gemach:
Der Leib ist stark – sie wird genesen! 147


Es kamen Tag und Nacht und neuer Tag.
Die Gräfin trug man, wie der Sohn befahl,
Vom Bett der Kranken, da der Seelenqual
Die müde Kraft des Alters schier erlag.
Der junge Graf, die Wangen kummerfahl,
Empfing die Mutter harrend vor der Kammer.
Sein Blick, der bange durch die Thür sich stahl,
Sog Nahrung nur zu neuem Jammer.

Man brachte sie zu Bett; sie fiel in Schlaf,
Der sie bisher geflohn. Etienne saß
Die langen Stunden dort, gedankenblaß,
Aufzuckend, wenn sein Ohr der Name traf,
Den auch im Traum die Alte nicht vergaß;
Indeß das arme Kind, dem er gegeben,
Vom Traum verschont, in tiefem Schlaf genas,
Mit todter Seele fortzuleben.

So schlief sie noch die zweite Mitternacht.
Da, als der Sterne bester Glanz verblaßt,
Schlägt sie die Augen auf und blickt in Hast
Umher. Die Wärtrin, die am Bett gewacht
Anstatt der Gräfin, hat der Schlaf erfaßt;
Kein Laut im Schlosse. Vor dem Fenster schwanken
Sieht sie des Gartens Laub – erdrücken fast
Will sie die Schwere der Gedanken. 148

Das Schicksal, das ihr Herz zu plündern kam,
O warum raubt' es die Erinnrung nicht,
Die schadenfrohe Mitgift – wie ein Wicht
Von Wegelagrer, der uns Alles nahm,
Uns wirft den leeren Beutel ins Gesicht:
So aus dem Leeren blickt sie an die Summe
Verlornen Glücks. Die Lippen schließt sie dicht,
Daß ihr gequältes Herz verstumme.

Sie sinnt nicht nach. Es ist, als hätte still
Der Geist im Schlummer den Entschluß gereift.
Ein Morgengrau, das durch den Vorhang streift,
Drängt, was in ihr noch weibisch zaudern will.
Geräuschlos hebt sie sich vom Bett, ergreift
Den weiten Mantel, hüllt sich in die Falten;
Ihr Auge fragt, das in die Runde schweift:
Wer ist, der's wagte, mich zu halten?

Und jetzt entlang den Corridor und sacht
Zum Park hinab. Ach, muß sie wiedersehn
Den Ort, wo ihr so bitterweh geschehn?
Sie flieht vorbei wie sinnlos durch die Nacht,
Und wie die Bilder ihr vorübergehn
Verschwundner Nächte, ballen sich die Hände
Ihr unbewußt. Aufathmend bleibt sie stehn;
Erreicht ist nun des Gartens Ende.

Die Thür der Mauer liegt im Schlosse fest,
Der Schlüssel rostet. Nie erschloß er ihr
In bessrer Zeit dies schattige Revier
Und widersteht auch heut. Verzweifelnd läßt
Die Hand vom Thürgriff. Da – der Schläge vier
Auf Notre Dame! Gewarnt von diesen Stimmen
Knüpft sie den Mantel um; das Weinspalier
Der Mauer strebt sie zu erklimmen. 149

Es trägt den schlanken Leib. Sie achtet's nicht,
Daß sie zerdrückt der frühen Traube Saft
Mit nackter Sohle; an der Rebe Schaft,
Der mit dem Stabwerk sich zur Leiter flicht,
Hat sich die Fliehende ernporgerafft,
An hurt'gen Sehnen und an Menschenhasse
Dem Panter gleich. Dann mit gelenker Kraft
Schwingt sie sich nieder in die Gasse.

Nun ist sie frei. Und doch, so freudelos
Ist ihr die Freiheit, wie dem Sträfling nur,
Der Jahr auf Jahr das öde Meer befuhr;
Und feilt man ihm vom Arm die Kette los
Und setzt ihn aus auf blüh'nder Erdenflur,
Wohl kann er gehn, wohin sein Herz begehre;
Ach, ihm verlöschte seiner Heimath Spur
Die neue Heimath, die Galeere.

Doch ruhen läßt's ihn nicht. Er geht und geht,
Denn Freiheit heißt ihm, daß er wandeln kann.
Und so that Urica. Ihr Geist besann
Sich keines Ziels. Der Gasse, drin sie steht,
Folgt sie begierig, und der nächsten dann,
Lautlosen Gangs. Ihr ist, als kläng' im Winde
Das Drohen der Verfolgung dumpf heran
Und Ruf der Mutter nach dem Kinde.

Den letzten Rundgang hielt die Hüt'rin Nacht
Durch Märkt' und Straßen. Wen sie jetzt noch fand
Ohn' Obdach kauernd an der Häuser Wand,
Auch wohl verirrt auf seinen Weg bedacht,
Den schnob sie grimmig an. Mit rauher Hand
Von Schläfern säubert sie die Treppenschwellen.
Denn bald ist Wachens Zeit. Der Dächer Rand
Beginnt schon leise sich zu hellen. 150

Wohl spürt sie aus die wankende Gestalt,
Die dunkel durch die blassen Schatten irrt,
Die Blicke vor sich hin, wie geistverwirrt,
Bald müde schleichend, und im Fluge bald.
Kalt haucht der Wind, der ihr zur Seite schwirrt,
Das Mädchen an, schürt neu des Fiebers Flammen,
Bis Schwindel ihres Hauptes Meister wird;
Da sinkt sie klagelos zusammen.

So lag sie still. Und wie die Nacht geflohn
Und linder Glanz des Morgens um der Stadt
Paläst' und Thürme sich gelagert hat,
Weckt die Verlassne einer Stimme Ton
Und eine rauhe Hand. Nur scheu und matt
Lös't ihre Wimper sich; sie sieht mit Schrecken
Den Tagsschein um die kalte Lagerstatt
Und dort die Hände, die sie wecken.

Ein Weib steht neben ihr und prüft sie scharf
Und schüttelt dann das Haupt bedauerlich.
Seltsam in ihren Zügen paaren sich
Rohheit und Gütigkeit. Der Morgen warf
Sein Licht auf dünnes Haar, das schon verblich,
Auf grobes Tuch und Kleid, doch unzerrissen.
Netz und Geräth, das Fischgeräthen glich,
Ließ deutlich ihr Gewerbe wissen.

He, rief sie aus, hast du so hitzig Blut,
Daß du die Nacht hier auf den Steinen bliebst?
Komm, komm! Steh auf, wenn du dein Leben liebst! –
Doch wie? 'ne Mohrin? Seht den Thunichtgut!
Weiß Gott, wie du die Weile dir vertriebst.
Es gehn wohl Morgens schmucke junge Kinder
Vom Schatz nach Haus. Wem du die Nächte giebst –
Sag', ist's ein Sonderling? ein Blinder? 151

Wild fuhr das Mädchen auf, dann seufzt' es laut
Und schloß die Augen und bedacht' entsetzt,
Wie sie verwais't. Das Weib, neugierig jetzt,
Befühlt ihr feines Kleid, die zarte Haut,
Das Haar, den seidnen Mantel, reichbesetzt,
Und blickt verwundert auf die Füßchen nieder,
Die nackten, die der Morgenthau benetzt,
Und auf die schlanken jungen Glieder.

Da plötzlich springt das Mädchen auf vom Stein
Und spricht: Ich bitte mich bei dir zu Gast;
Sag', ob du eine Hausmagd nöthig hast,
Doch fern von hier muß deine Wohnung sein.
O nimm mich mit dir! Ohne Ruh und Rast
Der schwersten Arbeit will ich mich bequemen,
Will keinen Lohn und bin dir nicht zur Last;
Es wird auch bald ein Ende nehmen.

Frag' mich nicht aus nach Namen und Geschick.
Sieh, ich bin schwarz – und Alles ist gesagt.
Und wenn auch dir die Farbe nicht behagt,
So laß mich schaffen fern von deinem Blick.
Gieb mir ein Kleid, wie ihr's im Regen tragt,
Und nimm dafür den Mantel hier von Seide.
Er schickt sich schlecht für eine Fischermagd,
Und ach, er that mir viel zu Leide!

Sie schwieg, denn Herz und Stimme ward zu schwach.
Gewonnen war das Fischerweib im Nu.
Sie sprach: Komm mit mir, armes Närrchen du!
's ist da noch eine Kammer unterm Dach,
Wohin ich dir ein wenig Betten thu'.
Wer Nachts gefischt, muß sich bei Tag erholen;
Mein Mann sieht gern der Guillotine zu.
Ein leeres Nest wird leicht bestohlen. 152

Ich selber sitz' am Markt tagaus tagein,
Und komm' nach Hause nicht vor dunkler Zeit.
Wir wohnen an der Seine, das ist weit,
Da darf man Abends schon zu müde sein
Zum Nöthigsten und gar zur Sauberkeit;
Du kannst an Herd und Haus dein Heil versuchen.
Doch sage: Macht dir's auch kein Herzeleid,
Wenn wir die Adligen verfluchen?

Mein Mann – sanft wie ein Lamm! Doch außer sich
Bringt ihn das bloße Wort: Aristocrat.
Und du, bist du auch schwarz – so reicher Staat
Von Seid' und Spitzen ist nicht bürgerlich.
Die Hand ist weich, weil sie nicht Arbeit that,
Wie unsereins. Noch kannst du dich bedenken.
Geh' lieber heim, Kind! folge gutem Rath;
Es möcht' auch deine Sippschaft kränken.

So schneidend lachte die Verlassne da –
Das Weib der Hallen kam ein Grauen an.
Und plötzlich ernst und langsam sprach sie dann:
So ist es recht, die Schule fehlt mir ja.
Sag, schöne neue Flüche weiß dein Mann?
Sie stahlen mir die Seligkeit auf Erden; –
Nun wohl: verwünschen will ich sie fortan,
Sonst kann ich dort nicht selig werden!

Sie faßte sie am Arm und drängte stumm
Zur Flucht, denn mit dem Tag wuchs die Gefahr.
Hell ward's mit Macht. Das wundersame Paar
Ging abgelegne Gassen, eng und krumm.
Und wer des Weges kam, dacht' er auch gar,
Er säh' verspätete Gespenster schreiten,
Schlug kaum ein Kreuz. Denn mit dem Schauder war
Die Welt vertraut in jenen Zeiten. 153


Und der September kam mit seiner Schmach,
Der Januar, deß blut'ger Hochverrath
Am Enkel sühnte Väter-Missethat.
Und als der Mai auch die Gironde brach,
Ward, wer noch träumte, seiner Träume satt.
Doch stille war's ob einer Greisin Haupte,
Die um so manchen Wahn getrauert hatt'
Und um ihr Kind, das todtgeglaubte.

Und von dem Grab, das lang schon überblüht
Der dunkeln Veilchen Flor, schied um die Nacht
Ein adlig hoher Mann in niedrer Tracht,
Mit feuchtem Aug' und dankendem Gemüth.
O Jene, die man hier zur Ruh gebracht,
Möcht' er ins Leben sie zurückbeschwören?
Von hinnen geht der Trauernde so sacht,
Als könnt' er noch die Todte stören.

Die Vorstadt blinkt von Lichtern. Schaarenweis
Schwärmen die Laster gassenaus und -ein.
Tief aus der Stadt hört er herüberschrein
Die wüsten Lieder zu des Mordes Preis.
Wo führt ein Weg zu den entschlossnen Reihn,
Die gen Paris zum Kampf bewaffnet rücken
Aus der Vendée, die Freiheit zu befrein?
Gesperrt sind alle Thor' und Brücken. 154

Er kommt zur Seine, die so trübe floß.
Die kleinen Hütten dort verschleiert ganz
Mondlose Nacht. Im trägen Wellentanz
Schwimmt hie und da an Strick und Kettenschloß
Ein Nachen, und der schwarzen Netze Kranz
Taucht aus der Fluth in weitgespanntem Bogen,
Von Fischern über Tag entlang des Strands
Den Fischen zum Verderb gezogen.

Von Menschen leer dehnt sich Gestad und Fluß,
Und dort im Kahn die kauernde Gestalt
Scheint schlafbetäubt; denn ungehört verhallt
Vor ihrem Ohr des späten Wandrers Gruß.
Sie sitzt im Mantel, der im Winde wallt,
Doch schläft sie nicht. Horch, wie sie wild und leise
Mitsingt das Lied, das aus der Ferne schallt,
Die trotzige Marseiller-Weise.

Der Fremde zaudert noch am Ufer hin
Und späht umsonst, ob ihn ein loses Boot
Verstohlen retten will; denn Tücke droht
Der Nachenhütrin Sang. Sein fester Sinn
Mahnt ihn zu wagen, mächtig drängt die Noth.
He, ruft er, seid Ihr taub, Ihr dort im Nachen?
Habt Ihr nicht Lust, wenn Euch ein Patriot
Bezahlt, noch eine Fahrt zu machen?

Das dunkle Wesen reckte sich empor:
Wer ruft da? – Schaurig war der Stimme Klang,
Und eine trübe Ahnung überdrang
Den Flüchtling. Doch er rief, laut wie zuvor:
Ich bin ein Bursch vom Gärtner Jacques Legrand.
Ihr kennt sein Haus jenseit der letzten Brücke.
Fahrt mich dahin. Beim Wein saß ich zu lang
Und kann durchs Thor nicht mehr zurücke. 155

Sie wandte rasch ihr dichtverhüllt Gesicht
Dem Ufer zu. Den Mann bedünkt' es fast,
Als säh' er taumeln ihres Nachens Mast,
Und seltsam schwankt das Weib. Doch sprach sie nicht.
Es war, als hab' ein Krampf sie angefaßt.
So stand sie da in räthselhaftem Schweigen
Und sann. Dann hob sie ihren Arm in Hast
Und winkt' ihm, in den Kahn zu steigen.

Er kam, und stieg hinein. Doch reichte sie
Ihm nicht nach Fährmannsbrauch dienstfert'ge Hand.
Stumm blickte sie aufs Ruder unverwandt,
Und immer noch erbebten ihr die Knie.
So in der Finsterniß unschlüssig stand
Sie lange Zeit, wie wohl ein Wetter droben
Gefährlich zögert an der Berge Rand,
Bis es in milde Fluth zerstoben.

Denn plötzlich lös't sie ihren Kahn und stößt
Das lange Ruder heftig auf den Grund.
Auf seiner Enge fuhr der Kahn zur Stund,
Glatt wie ein Fisch, aus seinem Netz erlös't.
Kein Laut ging aus der beiden Menschen Mund,
Die nun hinglitten auf des Stromes Weite.
Doch gab herüberklingend aus der Rund
Die Marseillaise das Geleite.

Dort saß der Flüchtling auf dem schmalen Brett
Und starrte vor sich in die tiefe Fluth,
Die nun entehrt von edlem Menschenblut
Sich murrend wälzte in dem alten Bett.
Tief drückt' er in die Stirn den breiten Hut,
Um Blicke mit den Bildern nur zu tauschen,
Die ihm der Nachtwind vor die Seele lud
Und dieser Strom mit seinem Rauschen. 156

Da horch, der stäte Ruderschlag bricht ab,
Und träger treiben sie dahin die Bahn.
Das Weib fährt in die Höh'. Was ficht sie an?
Sie blickt ins Weite, spähend stromhinab.
Um blickt auch er. Und aus dem Dunkel sahn
Sie drunten aufgehn Schein von Fackelbränden,
Und näher schwimmt's – ein heller schneller Kahn,
Gerudert von viel starken Händen.

Und er erkennt die rothen Mützen dort
Auf Stirnen, die von gleicher Farbe glühn,
Die nackten Arme, drin die Fackeln sprühn;
Er hört das tolle Lärmen an dem Bord
Des Jacobinerkahns – und von den Mühn
Der Fahrt ruht noch das Weib, stiert in die Flammen!
O lenkt sie nicht zum Ufer, rasch und kühn,
Die Strömung führt sie bald zusammen.

Wie? Strafte seine Stimme, schlechtverstellt,
Die Maske Lügen? Hat die Fischermagd
Verstanden, was der bange Blick gesagt
Des adligen Gesichts, das sich erhellt,
Da nun vom Wiederschein das Dunkel tagt?
Sie zaudert lange – doch es siegt die Gnade.
Zum Ruder greift sie nun in Eil und jagt
Den Kahn seitabwärts zum Gestade.

Er aber flüstert: Da ist Gold für dich,
Verräthst du nicht, was du errathen, Weib!
Sorg', daß der Kahn aus ihrem Gleise treib'
In jene Schatten, und befreist du mich,
Glaub, daß ich ewig dir verschuldet bleib'! –
Sie lässt das Gold vom Schooß zu Boden rollen
Und spricht kein Wort; warum erbebt ihr Leib,
Da er die Hand ihr fassen wollen? 157

O wie sie auch das Ruder heftig regt,
Zu fern sind sie dem Land, zu stark der Zug
Des tiefen Stroms, der sie hinunter trug!
Man sieht sie drüben schon; Gelächter schlägt
Aufjauchzend an ihr Ohr; des Kahnes Bug
Lenkt nach dem ihren, und im Schein der Lichter
Erkennen sie genüber klar genug
Die wüsten höhnischen Gesichter.

He, fangt den Kahn! das freche kleine Ding,
Seht wie es listig auf die Seite weicht.
Wer Teufel lenkt's? Ein Emigrant vielleicht?
Hoho, mein Bürschchen, rudre nicht so flink,
Daß nicht 'ne Kugel deinen Bord bestreicht.
Leg' bei! Verbotne Waare willst du paschen?
Heran und beichte, Schuft! Und nach der Beicht
Schlagt ihm den Schädel ein mit Flaschen!

Ein wiehernd Lachen schallt. Aufrauscht mit Macht
Die widerspänst'ge Woge, eingeengt
Vom einen Kiel, der zu dem andern drängt.
Und wie nun Bord und Bord zusammenkracht,
Ruft Einer, der die Mütze lachend schwenkt:
Nun sacrebleu! das heiß' ich fehlgerathen.
Die schwarze Hex' ist's, die den Nachen lenkt;
Die schmuggelt nicht Aristokraten.

Seht ihr die Blouse nicht? He, schönes Kind,
Laß sehn, wen du behext! O die ist schlau,
Die weiß, bei Nacht sind alle Katzen grau.
Da, Bürger, trink einmal; doch dann geschwind
Den Mund gewischt, und küsse deine Frau! –
Und er, die Flasche leerend, ruft entschlossen:
Schön oder nicht – ich nehm's nicht so genau;
Komm, küsse mich, und laß die Possen! – 158

Er schlägt den Arm um sie; da bricht ein Schrei
Von ihren Lippen, der nach Wahnsinn klingt.
Sie stößt den Arm hinweg, der sie umschlingt –
Es fällt ihr Tuch – ein schwarzes Haupt wird frei,
Von krausem, glänzendem Gelock umringt,
Draus funkelt ihm ein Augenpaar entgegen –
Er kennt es nun! Sein letzter Muth versinkt,
Da wild die Lippen dort sich regen:

Zurück! du lügst! Hat dich die Todesangst
Geheilt vom Ekel vor der Negerin,
Daß ich nun gut genug zum Küssen bin,
Da du vorm Kusse der Verwesung bangst?
Hat Elend mich gebleicht? Sieh hin, sieh hin,
Um welch ein niedrig Liebchen du geworben.
Rühr' sie nicht an! Sie ist von stolzem Sinn,
Ob auch zur Grafenbraut verdorben! –

Sie stöhnt's irr in die Nacht. Dann hält sie ein,
Von Ahnung dessen, was sie that, umgraut.
Verworrne Stimmen, Flüche werden laut,
Und Einer springt in ihren Kahn hinein.
Da faßt sie wild das Ruder, schwingt's und haut
Den Frechen nieder, der dem Flüchtling drohte.
Der taumelt hin. Doch wie's die Bande schaut,
Los bricht's im Jacobinerboote.

Toll ist die Hexe! Schlagt sie auf das Hirn,
Das heilt Verrückte. Packt den Schurken gut,
Zur Guillotine mit der Grafenbrut! –
Ein kurzer Kampf. Mit schwergetroffner Stirn
Zu Boden sinkt das Mädchen. Strömend Blut
Umnebelt ihr die Augen und Gedanken,
Bis Morgens sie erweckt fern auf der Fluth
Des ruderlosen Kahnes Schwanken. 159


Hell auf den Boulevards liegt Abendschein.
Des kaiserlichen Frankreichs schöne Welt
Lustwandelt lachend. Lachend ausgestellt
Sind Frücht' und Blumen, Savoyarden schrein,
Und in dem Hut des Bettlers klimpert Geld.
Ein alter Bauer wendet dem Getreibe
Den Rücken, tritt zu einem saubern Zelt
Und plaudert mit dem Blumenweibe.

Sagt, gute Frau, wer ist die Mohrin dort?
Das arme Ding, seht, wie es stiert und starrt.
Das sitzt da stundenlang und schweigt und harrt.
Wirft man ihr was in Schooß, sie nimmt's nicht fort.
Wißt Ihr, wovon ihr Hirn verdunkelt ward?
's ist gar beweglich! Wirre weiße Locken
Und so ein schwarz Gesicht! Parbleu! 's ist hart,
Wenn Wahnsinn lebt von Bettelbrocken!

Mitleidig nickt die Frau dem Alten zu.
Ja, alter Vater, 's ist so, wie Ihr meint.
Das arme Wesen hat zu viel geweint,
Das Herz sich ausgeweint, das Hirn dazu.
Ist auch noch gar so alt nicht, wie sie scheint.
Denn Haare, wißt Ihr, sind schon oft verblichen
In Einer Nacht, in der der böse Feind
Ein zärtlich Menschenkind beschlichen. 160

Wie's kam bei der – man sagt so dies und das.
Damals, da's in Paris nicht lustig war,
Wie heutzutag, hatt' sie noch schwarzes Haar,
Und auch ein Herzchen, flink zu Lieb und Haß.
Das hing die wilde Kleine ganz und gar
An einen Grafen, wie die Leute sagen.
Der trieb so lange Spaß mit der Gefahr,
Bis man das Haupt ihm abgeschlagen.

Und seht, das sah das Jüngferchen mit an.
Verliebt wie's war – von Sinnen bracht' es sie.
Man sagt, sie fiel vorm Henker auf die Knie
Und bettelt' um den Tod. Der arge Mann
Besah ihr Angesicht und lacht' und schrie:
Geh, häng dich auf, wenn du die Welt verschworen.
Verdienst dir doch die Guillotine nie,
Denn die ist viel zu gut für Mohren.

Der Mann war grob. Doch wer war damals fein?
Und seht, zu schaffen hatt' er schon vollauf
Mit all den Weißen. Nun – die Kleine drauf,
Wie sie das hört, lacht still in sich hinein,
Fällt um wie todt, und stand doch wieder auf,
Nur weiß von Haar – und dunkel war's da innen.
Da setzt man sie seit manchem Jahreslauf
Dorthin, ihr Brod sich zu gewinnen. –

Der alte Bauer sprach kein einzig Wort
Und grüßt' und ging. Doch in der Mohrin Näh'
Hält es ihn fest. Freigebiger als je
Wirft er sein Geldstück in die Büchse dort.
Sie sieht nicht auf. Ein plötzlich zuckend Weh
Belebt nur selten ihre starren Züge.
Zwei Worte spricht sie dann: Egalité!
Egalité! und: Lüge! Lüge! 161

 


 


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