Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
(1856)
Eduard Mörike
zugeeignet.
Es giebt ein Buch, vor Zeiten vielbewundert,
Bei Niedrigen und Hohen wohlgelitten,
Ein welterfahrner Tröster, dessen hundert
Geschichtlein sanft in Ohr und Herzen glitten,
In unserm höchst anständigen Jahrhundert
Verpönt indeß ob allzufreier Sitten,
Ein Lustwald voll der schönsten Abenteuer,
Nur, wie die Sage geht, nicht ganz geheuer.
Doch Stellen giebt's in dem verrufnen Hain,
Die selbst der lieben Jugend ungefährlich.
Von Belladonnen sind die Wiesen rein,
Der Weg für guten Wandel unbeschwerlich;
Kein schnöder Faun grins't unverschämt darein,
Der strengen Mütter Aufsicht wird entbehrlich,
Und lose Vögel plaudern von Geschichten,
Zwar auch verliebt, doch zügellos mit nichten. 2
Solch ein Geschichtlein – wenn ihr lauschen wollt –
Gelüstet mich, daß ich im Reim erzähle.
O wären meine Verse helles Gold
Zu würd'ger Fassung diesem Lichtjuwele!
Nie ward der Schönheit Huldigung gezollt
Andächtiger von einer Dichterseele,
Nie hat Boccaz sich höhern Flugs erhoben –
Doch still! Ich will erzählen – ihr mögt loben!
Der Ort ist Cypern, jenes Sonnen-Eiland,
Um das ein Sagenmeer melodisch brandet;
Die Heimath Fortunats, wo kläglich weiland
Der beiden Söhne Lebensschiff gestrandet;
Auch edle Ritter, glühend für den Heiland,
Sind öfter hier, als nöthig war, gelandet.
Wer kennt nicht Cyperkatzen, Cyperweine
Und Venus Cypria mit ihrem Haine!
»Zeit: die poetische!« wie Hebbel sagt,
Und schwerlich meint er die maschinenreiche,
Die sich als überklug und alt verklagt,
Macht sie auch noch die jüngsten dummen Streiche.
Indeß, so leidlich sie mir sonst behagt,
Zuweilen lohnt sich's, daß man ihr entweiche
Zu Menschen in verschollne Zeitenfernen,
Die noch das Leben nicht aus Büchern lernen.
Auf Cypern also und vor grauen Jahren
Gab's einen Kaufmann, reich an Geld und Gut,
Dem stets bewahrt vor Stürmen und Corsaren
Manch wackres Schiff sich schaukelt' auf der Flut.
Und doch die liebsten seiner Güter waren
Ihm seine Söhne, frisch an Seel' und Blut.
Ergötzt uns ja zumeist von allen Gaben
Was wir nächst Gott uns selbst zu danken haben. 3
Nur Einer war zu seinem Gram geboren,
Der Schönste zwar, und doch sein steter Kummer.
Jedwede Mühe schien an ihm verloren,
Den trägen Geist zu rütteln aus dem Schlummer.
Er ging umher, wie mit verschlossnen Ohren,
Verschlossnem Mund ein Tauber und ein Stummer,
Und mußt' er einem ja ein Wörtlein gönnen,
Hätt' ihn ein Kind an Witz beschämen können.
Er hieß Galeso. Doch bei allen Leuten
War's Brauch, daß sie ihn nur Cimone hießen.
Dies dunkle Wort weiß ich euch nicht zu deuten,
Da ich des Cyprischen mich nie beflissen.
So was wie »Tölpel« wird es wohl bedeuten;
Boccaccio sagt es auch, der muß es wissen.
Genug, mit diesem Namen rief man ihn,
Der ihm durchaus nicht ehrenrührig schien.
Der Vater selbst ergab sich in sein Loos,
Von vieren einen dummen Sohn zu haben.
Am Ende ward er wirklich auch zu groß,
Zu hoffen auf noch unentdeckte Gaben.
Er sprach ihn also von dem Lehrer los,.
Der Frucht erzielt an seinen andern Knaben,
Und dessen Kunst im Schreiben, Rechnen, Lesen
Nur bei dem Jüngsten gar umsonst gewesen.
Denn allzu rasch hat Eines angeschlagen:
Der Kinderzucht ultima ratio
So gut in jenen, wie in unsern Tagen.
Cimone, zwar in allen Künsten roh,
Begriff die eine schnell, die Kunst zu schlagen,
Und übte sie an seinem Lehrer so,
Daß dieser wackre, vielerfahrne Mann
Im Schüler bald den Meister sich gewann. 4
Was war zu thun? Man mußt' ihn laufen lassen,
Ein Füllen, dem der Zaum nicht anzuheften.
Die Brüder gingen längst auf fernen Straßen
Der Bildung nach, den Weibern, den Geschäften.
Cimone blieb daheim und schlug gelassen
Die Tage, Wochen, Jahre todt nach Kräften.
Doch sonst unschädlich that er Niemand weh,
Und haßte nichts, als nur das Abece.
Zwar schien er auch von Liebe nichts zu wissen;
Den Vater liebt' er kaum, Gott nicht zu sehr,
Sich selbst am wenigsten. Denn abgerissen
Mit wirren Haaren ging er stets umher.
Sein Sammtrock war, kaum angeschafft, zerschlissen,
Und ein Barett besaß er bald nicht mehr.
Der Vater, ihm den Unfug zu verleiden,
Ließ endlich ihn wie seine Knechte kleiden.
Das war ihm eben recht. Von da an blieb er
Ganz aus den Mauern weg der dumpfen Stadt.
Ein Leben gleich dem ärmsten Bauer trieb er,
Schlief auf dem Stroh, aß sich am Herde satt.
Sein Vater hatt' ein Landgut, wo der Cyper
Auf Felsen reift' an wohlgeschirmter Statt,
Maisfelder wogten und Orangengärten
Ihm Schatten, Blüt' und Frucht zugleich bescheerten.
Da braucht' es Arme, und im Arm Cimone's
War Mark genug, um viere zu beschämen.
Kein Knecht vermaß sich, mit des Herrensohnes
Gewalt'ger Muskelkraft es aufzunehmen.
Er pflegte jedem Tagewerk, obschon es
Oft nicht das feinste war, sich zu bequemen,
Als thät's ihm Noth, den Uebermuth der Kräfte
Zu bändigen durch knechtische Geschäfte. 5
Mit einem Faustschlag fällt' er jedes Thier,
Daß ihm der Schädel tödtlich schütterte,
Und wenn sich losgemacht ein junger Stier,
Der hörnerwetzend Freiheit witterte,
Cimone fing ihn ein im Waldrevier,
Riß ihn zu Boden, daß er zitterte,
Dann führt' er ihn nach Haus, pfiff seinen Hunden
Und wandert' auf die Jagd für lange Stunden.
Denn fast vergaß ich, etwas liebt sein Herz:
Die beiden Rüden, die ihn stets umsprangen.
Bald nahm er sie und warf sie himmelwärts,
Um am Genick sie wieder aufzufangen,
Bald, hingelagert, hatt' er seinen Scherz,
Wenn wüthend sie auf seiner Brust sich rangen,
Und hetzte laut die ungethümen Bestien;
Es schien im Mindsten nicht ihn zu beläst'gen.
Doch auch ein nützlicher Vergnügen fand sich
Für ihn und sie: den stolzen Hirsch zu jagen.
Ein Wölflein auch, ein Luchs und Eber stand sich
Nicht wohl dabei, mit ihnen es zu wagen.
So kam mein junger Wildling in die Zwanzig
Und schien dem Weltlauf wenig nachzufragen,
Von des Gedankens Blaß nicht angekränkelt,
Doch desto breitrer Brust und schlank geschenkelt.
Nun war's im Juni, eines Nachmittags,
Wo Thier' und Menschen große Glut betäubte.
Das müde Meer, im Sonnendunste lag's,
Kein Lüftchen ging, das eine Welle sträubte.
Im tiefen Wald anstatt des Vogelschlags
Klang nur der Bach, der von der Klippe stäubte,
Dem Hirsche, dem Cimon den Rest gegeben,
War heut der Tod bequemer als das Leben. 6
Sein Jäger, sonst ein Freund von Vierzehnendern,
Heut schilt er selbst auf den gewicht'gen Braten.
Es wär' ihm lieber, leer nach Haus zu schlendern,
Zumal er weit ins Land hineingerathen.
Doch da Geschehnes selten mehr zu ändern
Und oft uns drücken unsre besten Thaten,
So geht Cimon, die Hund' ihm nach mit Schnaufen,
Verdrossen leckend an den blut'gen Traufen.
Der Wald zog sich im Innern meilenweit
Die Höh'n entlang, und schirmte so den Rücken
Landhäusern, die, nicht nach der Schnur gereiht,
Mit bunten Gärten das Gestade schmücken.
Die Reichen bargen hier zur Sommerszeit
Sich mondenlang vor des Scirocco Tücken,
Und oft erscholl am Waldsaum ihrer Töchter
Gesang und Tanz und fröhliches Gelächter.
Mehr braucht es nicht, daß allen Nachbarpfaden
Der Menschenfeind Cimone stets entflieht.
Doch heut, mit dem verwünschten Hirsch beladen,
Wählt er den nächsten Weg durch dieß Gebiet.
Zum Glück erscheint in Stein- und Laub-Arcaden
Ihm nichts, was einem Menschen ähnlich sieht;
Ein jedes Haus gleicht einer sichern Veste,
Vor deren Thoren Wache steht die Sieste.
Wie nun ganz friedlich und gedankenlos
Der kleine Jagdzug wandelt seiner Straßen,
Auf einmal stehn in eines Wäldchens Schooß
Die Hunde still und wittern mit den Nasen.
Ihr Jäger stutzt und späht; sie winseln bloß
Und fegen mit dem Schwanz den hohen Rasen.
Da plötzlich schimmernd aus dem grünsten Schatten
Sieht er das Wild, das sie gewittert hatten. 7
Ein Fleck des Waldes war's, den Gärtnerhände
Entwildert schon, allein nicht zahm gemacht.
Ein Quell sprang aus den Büschen vor behende
Und plätschert' in ein Becken, überdacht
Von wilden Rosen. Hohe Lorbeerwände
Umhegten diesen Traum der Waldesnacht.
Von ferne sah das Landhaus eines Reichen
Herüber durch die immergrünen Eichen.
Und hier, ins Moos am Brünnlein hingestreckt,
Lag eine Jungfrau, schlafend in der Hitze.
Ein luftig sommerlich Gewand bedeckt
Den schlanken Leib bis zu der Füßchen Spitze.
Cimone steht wie aus dem Schlaf geweckt,
Wie angesengt von einem flücht'gen Blitze;
Die Hunde selbst, die täppischen Gesellen,
Sehn, daß es hier unziemlich sei, zu bellen.
Ein Künstler, dessen Feuergenius
Manch großes Irrlicht ruhig überragt,
Genelli, den die Zeit verkennen muß,
Weil dieß Geschlecht nichts mehr nach Größe fragt,
Malt' uns den Liebesgott, wie er am Fuß
Der Eiche schläft. Das Waldesdunkel tagt
Von seiner Fackel, die im Boden steht,
Und ihm zur Seite ruht sein Kampfgeräth.
Und eine Löwin, fraßbegierig, schleicht
Am Waldrand zu des Knaben Schlummerstätte.
Allein sobald ihr Scheelblick ihn erreicht –
Als ob sie bang den Gott gewittert hätte,
Hebt sie die Tatze, duckt sich und entweicht.
So mit den blöden Thieren in die Wette
Wird sich Cimon in Tiefen seiner Brust
Zum erstenmal des Göttlichen bewußt. 8
Die Schläferin ließ sich fürwahr nicht träumen,
Welch wilder Sippschaft sie den Weg verlegte.
Fest lag die Wimper mit den schwarzen Säumen,
Kaum daß den Mund einmal ein Seufzer regte,
Wenn sich der Wind, erwachend in den Bäumen,
Mit schwülem Hauch um ihre Brust bewegte.
Den bloßen Armen, die ihr Haupt umfingen,
War viel zu wohl, zu lösen ihre Schlingen.
Das Angesicht war frei; nur daß sich eine
Der dunkeln Flechten um die Stirn verschoben.
Die Wangen schimmerten in Jugendreine,
Die zarte Brust war mädchenhaft gehoben.
Von so viel Adel, Herbigkeit und Feine
War diese selige Gestalt umwoben,
Daß auch ein größrer Kenner als Cimone
Sie nennen mußte: des Geschlechtes Krone.
Und er nun gar, mein armer dummer Junge,
Sonst allen Weibern blind vorbeigerannt,
Er wär' auch jetzt vorbei mit einem Sprunge,
Doch hält ein Zauber seinen Fuß gebannt.
So steht er vor ihr, wie mit blöder Zunge
Der erste Mensch vorm ersten Weibe stand.
Da aber brach Gott Vater selbst das Schweigen;
Und hier – will denn kein Gott sich gnädig zeigen?
O heil'ges Wunder! uralt ist die Welt,
Und dennoch steht am Anfang aller Dinge
Das Herz, in das ein Strahl der Schönheit fällt.
Als ob dich eine Schöpfung neu umfinge,
Wird dir die Brust erschüttert und geschwellt,
Es trifft dich wie ein Schlag von Adlerschwinge,
Die Thräne fühlst du dir im Auge beben –
Nun weißt du erst, lebendig sei dein Leben. 9
Sie aber, die mit himmlischen Organen
Nie in sich saugen diese Lebenskraft,
Die nie, in Gold und Staube wühlend, ahnen
Den reinen Schatz verklärter Leidenschaft, –
Ein dumpfer Nebel liegt auf ihren Bahnen,
Begier allein dünkt ihnen wesenhaft;
Der bleib' uns fern, der nicht zu scheiden wüßte
Die Schönheitstrunkenheit vom Rausch der Lüste!
Es lag auf dieses Mädchens Stirn und Brauen
Unschuld'ge Majestät, selbstunbewußte,
Daß, wer nicht würdig war, sie anzuschauen,
Sich als ein Knecht vor ihr empfinden mußte.
So spürt Cimon ein ungewohntes Grauen,
Dem seine Seele nicht zu wehren wußte;
Ahnt gar vor diesem edeln Menschenbilde
Die eigne dumpfe Niedrigkeit der Wilde?
Ein dunkler Zug der Andacht, der ihn faßte
Zum erstenmal, hält sein Gemüth im Zaum.
Als ob ein schweres Schicksal auf ihm laste,
Steht er von fern und wagt zu athmen kaum,
Obwohl er wie im Fieber darauf paßte,
Daß sich, ermuntert aus dem letzten Traum,
Die Wunderschöne möchte zu ihm neigen
Und was die Wimper noch verhüllt ihm zeigen.
Indessen schlief das Fräulein immer fort,
Wer weiß wie lang. Still war's um diese Stunde;
Kein lebend Wesen nahte sich dem Ort,
Als Freund Cimon und seine biedern Hunde.
Die aber sprachen alle drei kein Wort.
Die letztern nur – verzeihlich war's im Grunde –
Beginnen endlich doch sich langzuweilen,
Da sie die Kurzweil ihres Herrn nicht theilen. 10
Anfangs vermag sie noch ein Blick zu bänd'gen,
Ein Fußtritt und ein Speerhieb zu regieren.
Doch wilder murren schon die Unverständ'gen,
Die endlich heulend die Geduld verlieren.
Die Schläferin erwacht, fährt mit den Händchen
Sich übers Antlitz, sieht bei seinen Thieren
Cimone stehn, und in des Schrecks Erbleichen
Vergißt sie Rufen, Fliehn und all dergleichen.
Auch unser Freund versäumt, was üblich ist;
Sich zu entschuld'gen mocht' er wenig taugen.
Hatt' er doch nur geharrt so lange Frist,
Um endlich auch zu schaun die hellen Augen.
Indeß er alles um sich her vergißt,
Ihr Licht allein in seine Brust zu saugen,
Besinnt das Fräulein sich, und dreist und dreister
Rückkehren die verscheuchten Lebensgeister.
Denn ob Cimone gleich kein Mädchen kannte,
Sie kennen ihn, die alt' und jungen alle,
Und Manche, der er scheu vorüber rannte,
Gestand sich ein, daß er ihr wohlgefalle,
Obwohl die Welt ihn einen Tölpel nannte.
Das Fräulein zwar war nicht in gleichem Falle,
Doch sagte sie zu ihm mit güt'gem Tone
Und holdem Lächeln: Guten Tag, Cimone!
Er aber gab den Gruß ihr nicht zurücke,
Er starrte nur sie an. Zu Häupten schoß
Ein Schwindel ihm von unbekanntem Glücke,
Da wie Musik ihr Grüßen ihn umfloß.
Sie ahnt nicht, was so seltsam ihn berücke,
Und mehr und mehr wird ihre Sorge groß:
Wenn seine Wildheit jetzt ihn überkäme,
Was fängt sie an, daß sie allein ihn zähme? 11
So stellt das kluge Kind sich unbefangen
Und steht mit Hoheit auf von ihrem Quelle.
Ein leichtes Roth entbrennt auf ihren Wangen,
Da sie mit tapferm Schritt, doch nicht zu schnelle,
An ihm vorbeigeht mit geheimem Bangen.
Behüt' dich Gott, Cimone! spricht sie helle.
Doch er, dem alle Menschenfurcht geraubt ist,
Sagt: Ich geleit' Euch, Fräulein, wenn's erlaubt ist.
Das Jungfräulein erschrickt und ist geneigt,
Ein wenig mißzutraun so sanften Sitten.
Doch wenn ein Löwe höflich sich erzeigt,
Wie dürfte sich's ein armes Reh verbitten!
Sie geht voran und staunt bei sich und schweigt,
Er hinter ihr mit seinen Riesenschritten,
Und immer schwankt im Gehn um seine Lenden
Das Hirschenhaupt mit seinen vierzehn Enden.
Der Wald hört auf, und durch des Gartens Gitter
Tritt leichtern Muths das schöne Mädchen nun.
Hier hofft sie loszuwerden ihren Ritter,
Doch pflegt ein ganzer Mann nichts halb zu thun.
Gedankenvoll den Laubengang durchschritt er
Und ließ auf ihr allein das Auge ruhn.
Erst als die Villa wird den Blicken frei,
Besinnt er sich, daß er ein Fremder sei.
Auch lädt sie ihn nicht ein. Mit kurzem Gruße
Schlüpft sie hinein und ach! verschwindet drinnen.
Da steht er nun und hat die schönste Muße,
Des Glückes schnellem Wechsel nachzusinnen.
In so beschaulichem Gedankenflusse
Verfällt er auf ein löbliches Beginnen:
Er hebt den Hirsch von seiner Schulter schnelle
Und legt ihn widmend nieder an der Schwelle. 12
Dann aber macht er eilig sich davon,
Als hätt' er, statt zu bringen, ihn gestohlen.
Ihm brennt der Kopf – er meint bei jedem Ton,
Man setz' ihm nach, um ihn zurückzuholen.
Durchmessen ist der kleine Garten schon,
Er stürmt den Waldweg hin auf flücht'gen Sohlen
Und macht erst Halt an jener Quelle Rand,
Wo er sein himmlisches Verhängniß fand.
Da bückt er sich und trinkt in langen Zügen;.
Nie ist ein Quell so labend ihm erschienen.
Ach, könnte man des Herzens Durst betrügen
Mit schlechtem Wasser – Manchem würd' es dienen!
Die Heil'gen mögen sich damit begnügen,
Poeten zählen selten nur zu ihnen,
Und dürft' ich jetzt die Tradition verletzen,
Ließ' ich Cimon sich in die Schenke setzen.
Dieß Wasser zwar ist kein gewöhnlich Naß,
Denn ihren Athem hat es eingesogen;
Der Duft des Haars, da sie hier niedersaß,
Ihr Schatte selbst ist drüber hingeflogen.
Und dort – was liegt in jenem sel'gen Gras,
Das unter ihrem Füßlein sich gebogen?
Ein Buch, in blaue Seiden eingebunden.
Las sie darin, eh sie den Schlaf gefunden?
Cimone hebt es auf, mit seinen Händen,
Die grob ihm däuchten jetzt zum ersten Mal.
Er öffnet's und beschaut's an allen Enden,
Und auf die Seele fällt es ihm mit Qual:
Wie er es immer drehen mag und wenden,
Es bleibt ihm stumm, es sagt ihm nicht einmal
Den holden Namen jener einzig Lieben,
Der, wie er muthmaßt, vorn ist eingeschrieben. 13
O ihr Dämonen der versäumten Jugend,
Nun stürmt ihr vor! Erhabnes Abece,
Wenn dein erzürnter Geist herniederlugend
Jetzt deinen Spötter so im Elend säh',
Und du, Magister, dessen Lehrertugend
Ihm doch nicht wohl gethan, und dir so weh,
Wenn, sag' ich, ihr ihn Alle säht, den Armen,
Trotz eures Grolls, – ihr müßtet euch erbarmen!
Tiefsinnig steht der gute Junge dort,
Die Hunde können keinen Blick erhaschen.
Wohl konnt' in aller Welt kein andrer Tort
Des Schicksals hämischer ihn überraschen.
Zuletzt besinnt er sich und steckt sofort
Den Fund in eine seiner großen Taschen.
Trotzdem daß Ehrlichkeit am längsten währt,
Hält er, was er gefunden, für bescheert.
Dann geht er fort. Ja, Aermster, gehe nur,
Doch wirst du kaum vor Nacht nach Hause kommen.
Ein schlimmer Schütz ist jetzt auf deiner Spur
Und hat den Jäger auf das Korn genommen.
Er hetzt ihn durch Gebirg und Wald und Flur,
Empor den Klippenweg, den er erklommen –
Hört ihr in Lüften goldne Pfeile klingen?
Wie tief sie trafen, will ich nächstens singen. 14
Ein Stachel ist's in edleren Gemüthern,
Den Dank für reiche Wohlthat nicht zu zollen.
Wer aber segnet uns mit höhern Gütern,
Als wer uns Lehre spendet aus dem Vollen!
Und gehn wir gar der Dichtkunst greisen Hütern
Danklos vorbei, wird uns die Muse grollen.
Nicht weiter führt sie mich des Liedes Pfad,
Bis ich verehrend, Uhland, dir genaht.
Dir dank' ich diese Strophe, die elastisch
Und leicht dem Lied sich an die Hüften schmiegt,
Jetzt seinen Wuchs bezeichnet, streng und plastisch,
Jetzt flatternd als ein Schleier es umfliegt.
Mit ihr hat schon Orlando hochphantastisch
Und üppig Don Juan die Welt besiegt.
Doch wie auch in ihr glänzt der Welsch' und Britte,
Erst Fortunat trägt sie nach deutschem Schnitte.
O warum hat dein Meister, armer Wicht,.
Die Hand so jählings von dir abgezogen!
War unerschöpflich denn der Seckel nicht,
Draus des Humors Goldmünzen klingend flogen?
Und that dein Wünschelhut nicht seine Pflicht
Und trug den Dichter flugs durch Lüft' und Wogen? –
Fortuna selber hat sich abgewendet,
Und Fortunat blieb leider unvollendet. 15
Hier hör' ich Manchen sich ins Fäustchen lachen.
Ei, sagt ein gründlich kunstverständ'ger Mann,
Verdankt Ihr Stoff und Form bei Euern Sachen
Boccaz und Uhland, was ist Euer dann?
Da wär's ein Kinderspiel, Gedichte machen. –
Er mache sie! Wer hindert ihn daran?
»Hier ist der Bogen noch und hier die Ringe!«
Wir aber kümmern uns um bessre Dinge. –
Am Tag nach jenem, wo im Walde drauß
So unerhörte Wunder sich begaben,
Saß in der Hafenstadt im stillen Haus
Cimone's Vater, in sein Buch vergraben.
Er sah gesund und satt und gütig aus
Und übersann zufrieden Soll und Haben;
Nicht den Roman; noch war an Cyperns Strand
Die Firma T. O. Schröter unbekannt.
Wie nun von diesen würd'gen Folioseiten,
Sich auszuruhn, Aug' und Gedanken eben
Hinaus zum Fenster auf die Rhede gleiten,
Die lärmt und wimmelt von geschäft'gem Leben,
Erdröhnt im Vorsaal ein so mannhaft Schreiten,
Daß Thür' und Fenster in den Angeln beben.
Dazwischen knurrt ein seltsam heisrer Ton;
Die Thür geht auf, und es erscheint Cimon.
Verlegen wedelnd, mit verhaltnem Bellen
Hat sich das Rüdenpaar ihm nachgeschlichen.
So standen im Gemach die drei Gesellen
Mit Blicken, die aufs Haar einander glichen.
Doch hat der Jüngling an des Stadtthors Schwellen
Erst Wams und Locken sich zurechtgestrichen,
Und wie die Wangen jetzt ihm scheu entbrennen,
Muß, daß er schön sei, auch der Neid bekennen. 16
Der Vater selbst sieht ihn mit Freuden an,
Doch minder froh die zottige Begleitung.
Er denkt: der Junge wird fürwahr ein Mann.
Wie könnt' ich stolz sein, folgt' er weiser Leitung! –
Mit stillem Seufzer fragt der Gute dann:
Nun, lieber Sohn, was bringst du mir für Zeitung?
Der faßt ein Herz und sagt: Ich hätte gerne,
Wenn du erlaubtest, daß ich lesen lerne. –
Wenn jetzt auf einmal von den Hunden einer
Sich hätt' im Tanz durch das Gemach geschwungen,
Indeß dem andern wär' ein glockenreiner
Tenorgesang aus rauher Brust erklungen,
Das Staunen unsres Mannes wäre kleiner,
Als da er hört, daß seinem großen Jungen,
An dem die Bildung nie hat wollen haften,
Der Trieb erwacht ist zu den Wissenschaften.
Der brave Kaufherr – offen sei's gesagt –
War selbst kein Freund von vielem Bücherwesen.
Ein Buch nur giebt es, das ihm stets behagt,
Drin die Geschichte seines Gelds zu lesen.
Und einzig darum hat er es beklagt,
Daß sein Herr Sohn ein Lernenichts gewesen,
Weil er auch ihm die Lebensfreude gönnte,
Daß er dies Buch verstehn und mehren könnte.
Nun spricht er würdiglich: Mich freut, mein Sohn,
Daß dir verleidet ward dein wildes Treiben.
Zum Lernen wird man nie zu alt, obschon
Du fast schon alt genug, dich zu beweiben.
Gleich geb' ich in Korinthos Commission,
Dir einen Pädagogen aufzutreiben,
Den allertrefflichsten in West und Osten;
Ich lass' es gern mich tausend Drachmen kosten. 17
Nein, Vater, sagt Cimone, spart das Geld,
Ich warte nicht so lang; mir eilt die Sache.
Ich weiß hier einen Mann der Schule hält,
Die Schifferkinder lernen da die Sprache.
Da will ich hin. Und wenn es Euch gefällt,
Befehlt, daß man mir andre Kleider mache.
Ich schäme mich, so durch die Stadt zu traben.
Auch eine neue Mütze möcht' ich haben.
Das war die längste Rede, die zu halten
Der junge Mann sich je die Mühe gab.
Man denke sich den freud'gen Schreck des Alten!
Er küßt den Sohn, läuft selber dann hinab,
Beschickt den Schneider, heißt ihn flugs entfalten
Was er an Kunst und edlen Stoffen hab',
Und läßt den sämmtlichen Verwandten sagen,
Was sich mit seinem Jüngsten zugetragen.
Nun läuft zusammen bis ins dritte Glied
Die ganze Freundschaft, Keiner bleibt zu Haus.
Doch ihm, zu dessen Feier dieß geschieht,
Wird all die Lieb' und Ehre bald ein Graus.
Wie er nun gar die vielen Tanten sieht,
Stürmt er auf einmal blind zum Saal hinaus,
So tölpelhaft wie je, und bleibt verborgen,
Obwohl man nach ihm sucht in großen Sorgen.
Er saß im Pferdestall und schlief die Nacht,
Wie er am liebsten schlief, auf einer Streue.
Die paar Gedanken, die er sich gemacht,
Ich meine fast, sie schmeckten stark nach Reue.
Dann aber fühlt' er in die Tasche sacht
Nach seinem Buch, und über ihn aufs Neue
Kam ein Gewühl von himmlischen Gewalten
Und gab ihm Muth, dem Schlimmsten Stand zu halten. 18
Und in der Früh, da in die Schul' am Hafen
Die Buben schwärmen, wie zum Korb die Bienen,
Sehn höchlich sich verwundernd meine braven
Cypreser Freund Cimone unter ihnen.
Doch er, obwohl ihn alle Blicke trafen,
Geht seines Weges mit gefaßten Mienen
Und mitten in der wilden Jugend Chor
Stellt er beklommen sich dem Lehrer vor.
Das war zum Glück kein leidiger Philister,
Wie jener, der Cimon erzog vor Zeiten;
Denn seines Zeichens ein gewes'ner Priester
Kennt er das Leben von so manchen Seiten.
Und jetzt nach bunten Wechselfällen ist er
Bestellt, den Jugendunterricht zu leiten.
Der kränkende Verdacht blieb stets ihm ferne,
Daß irgend wer bei ihm sich überlerne.
Er kennt Cimone wohl; wer kennt ihn nicht?
Und überdies kommt er mit seinen Hunden.
Der Lehrer macht ein höflich ernst Gesicht
Und weis't die Bestien fort aus seinen Stunden.
Gutwillig thut Cimon auch den Verzicht.
Die Rüden werden draußen angebunden,
Und wie sie winseln, kratzen und rumoren,
Heut hat ihr Herr nur für die Weisheit Ohren.
O goldne Zeit! o wundervolles Land!
Sogar dem Schulzwang nehmt ihr seine Schauer.
Was unter Schulhaus damals man verstand,
War nur ein Hof mit einer schatt'gen Mauer.
Der Himmel lacht herein, vom nahen Strand
Erklingt das Meergebraus; es fliegt kein grauer
Gelehrter Staub den derben Wetterjungen
Hier jugendmörderisch auf Geist und Lungen. 19
Das steht und liegt und kauert durcheinander,
Malt schlecht und recht Buchstaben mit der Kreiden;
Der Lehrer mitten drin. Gar wohl verstand er,
Dem Uebermuth die Flügel zu beschneiden.
Doch keinen Schüler wie Cimone fand er,
So lernbegierig, sittig und bescheiden.
Stillsitzen lernt er heute schon, ingleichen
Vom Alphabet die ersten sieben Zeichen.
Und als das Nützliche nun abgethan,
Will man im Schönen auch sich weiter bringen.
Der Lehrer selbst stimmt einen Hymnus an,
Den man in Kirchen damals pflag zu singen,
Und zu der Kinder fröhlichem Sopran
Läßt er sein altes Geigenspiel erklingen.
Cimonen treibt's, daß er ein Herz sich fasse;
So gut er kann, fällt er mit ein im Basse.
Das war ein Baß! Es wankt bei seinen Tönen
Die alte Lehmwand, die in Risse sprang.
Nie war auf Erden seit den Enakssöhnen
Ein Abeceschütz, der so wacker sang.
Die Hunde hören diese Stimme dröhnen
Und heulen los bei dem bekannten Klang,
Die Brandung selbst hält ein in ihrem Grimme,
Als hörte sie Poseidons Herrscherstimme.
Dann aber geht der Schüler stille fort.
Besorgt, sein kostbar Wissen zu verlieren,
Sucht er sich eilig einen sichern Ort.
Der Weisheit Mutter ist das Repetiren.
Er zieht sein Büchlein vor, am ersten Wort
Beginnt er gleich ein ernstlich Buchstabiren,
Doch wie erheblich viel er auch gelernt,
Vom Ziel des Strebens ist er weit entfernt. 20
Geduld, mein Freund! Es kommt der Tag zum Tage,
Auch der zuletzt, der die Erfüllung bringt,
Wo dir, dem Staunenden, mit Einem Schlage
Die harte Fessel von den Augen springt.
Denkt euch hinein in des Adepten Lage,
Dem endlich Gold aus seinem Tiegel blinkt:
So war dem Jüngling, als sich lösen ließ
Das Räthsel ihres Namens: Flordelis.
Nicht Iphigenie, wie Boccaccio meint;
In diesem Punkte folg' ich andern Quellen.
Und wenn sie allen Reiz der Welt vereint,
Sie darf sich doch nicht neben Jene stellen,
Die wie der Mond am Frauenhimmel scheint,
Verklärend Tauriens unholde Wellen.
Wo ist die Jungfrau, die nicht müßte zagen,
Den Namen dieser Priesterin zu tragen!
Doch dieß beiseit. Was kann dem Herzen auch
Ein Name sein? Schien's unserm Freunde nicht,
Als müss' ihn ganz besel'gen dieser Hauch,
Und ist er selig nun, da er ihn spricht?
Er fühlt es wohl: »Der Nam' ist Schall und Rauch!«
Zu fern, ihn zu erwärmen, flammt das Licht,
Und freilich auch zu fern, die dunkeln Stellen
In seinem armen Kopfe zu erhellen.
Denn, was noch sonst im Büchlein stand geschrieben,
Bleibt leider ihm Geheimniß ganz und gar.
Im Abece ist er nicht stecken blieben,
Doch fremde Worte stellen sich ihm dar.
Und wie er zornig sich die Stirn gerieben,
Die dunkeln Laute werden ihm nicht klar.
Ihm fällt nicht ein, daß etwa fremd die Sprache;
Er denkt nur, daß er Lesefehler mache. 21
Nun war bei seinen andern Schulgenossen
Ein aufgeweckter Bursch von vierzehn Jahren,
In fremdem Lande kräftig aufgesprossen,
Ein Seemannskind; und hier in Cypern waren
Die Eltern ihm gestorben. Ausgestoßen,
Verwais't im Leben, mußt' er bald erfahren,
Wie Vieles man zu lernen hat hienieden,
Um sich auf eigne Faust ein Glück zu schmieden.
So kam es, daß er bald der Erste ward
Und ihn Cimone sah mit stillem Neide.
Doch heut, da er am Meerstrand ihn gewahrt,
Verhofft er Trost von ihm in seinem Leide.
Er lädt ihn ein zu einer kleinen Fahrt
Ins Meer hinaus, ins Schifflein springen Beide,
Cimone stößt mit ganzer Macht vom Lande,
Und bald ist ihre Gondel fern dem Strande.
Und wie sie jetzt auf abendlicher Flut
Hintreiben, wo die Tiefen purpurn blauen,
Faßt unser Liebender sich einen Muth,
Sein Ungeschick dem Knaben zu vertrauen.
Das Büchlein zieht er vor aus sichrer Hut
Und heißt Pedruccio mit hinein zu schauen,
Und ihm zu sagen, wenn er selbst es wisse,
Wie man die schweren Worte lesen müsse.
Kaum blickt der Knab' hinein, so jauchzt er auf,
Klatscht in die Händ' und seine Augen strahlen.
Herr, das sind Lieder, jubelt er darauf,
Wie man sie singt im Land der Provenzalen.
Bei mir daheim an der Durance Lauf
Hört' ich sie klingen zu vielhundert Malen.
Und nun beginnt er mit den muntern Augen
An der vertrauten Schrift sich festzusaugen. 22
Lehr' mich die Sprache! sagt Cimone schnelle;
Fang' an beim ersten Blatt, und dann so fort. –
Gehorsam folgt sein kleiner Schulgeselle
Und lies't und übersetzt ihm Wort für Wort.
Der Andre wiederholt es auf der Stelle
Und birgt's im Geist, wie einen goldnen Hort.
Im Tacte wiegt den Kahn das stille Meer,
Und Abendlüfte schwanken um sie her.
Du aber, was du liesest, weißt du kaum,
Du Waisenkind! Doch weiß es um so besser,
Der dir die Worte nachspricht wie im Traum,
Den Blick versunken in des Meers Gewässer.
Und während über ihm am Himmelsraum
Die Abendglut sich dämpfet, blaß und blässer,
Fährt wie ein Sturm in seine Flamme wieder
Der sanfte Athem dieser Liebeslieder.
Doch endlich setzt das Zwielicht goldner Sterne
Dem Lehrer wie dem Lernenden ein Ziel.
Das Andre morgen! spricht Cimon, und gerne
Gelobt's der Knabe. Heimwärts fährt der Kiel
Des kleinen Boots; noch aber sind sie ferne,
Da trifft ihr Ohr Gesang und Saitenspiel,
Und durch die Flut, von Fackeln überglommen,
Kommt ein bekränztes Schiff dahergeschwommen.
Ein Lustschiff war's, drauf die Cypreserinnen
Der Meereskühle manche Nacht genossen.
Jungfrauen mit den Müttern saßen drinnen,
Und Jünglinge, der ersten Häuser Sprossen.
Cimone sieht's, und plötzlich hält er innen,
Von tiefem Noth das Antlitz übergossen,
Denn wie der Fackelschein ihm deutlich wies:
Sie ist im Schiff, sie selber, Flordelis! 23
Auf einem Teppich ruht sie, dicht am Bord,
Und blickt hinüber in die Meeresweiten.
Zuweilen wechselt sie ein flüchtig Wort
Mit jenen Jünglingen an ihren Seiten.
Auch daß sie lache, meint der Späher dort
Zu sehn, zu hören gar von Zeit zu Zeiten.
Ihm ist, als ob der Wohllaut ihrer Stimme
Durch die Musik hindurch in Lüften schwimme.
Nun sieht er Einen, der die Flöte nimmt,
Und einfällt zu des Citherspiels Accorden.
Ob dieser Ton zu ihrem Herzen stimmt?
Dem Spieler ist ein Blick zu Theil geworden,
So freundlich, daß Cimone tief ergrimmt;
Ihm zuckt die Faust, als gält' es Wen zu morden,
Und seinen Zorn in etwas auszutoben,
Schlägt er ins Meer; hoch spritzt die Flut nach oben.
Dieß schien ein Wink dem kleinen Provenzalen,
Daß seinen Freund nunmehr nach Haus gelüste.
Er rudert emsig; kaum beachtet stahlen
Sie von dem Schiff sich weg zur Inselküste.
Cimone sitzt unthätig und in Qualen,
Als ob Meduse seine Lippen küßte,
Und da sie kaum ihr Boot gelandet haben,
Verläßt er schweigend den betroffnen Knaben.
Die Nacht war schlaflos, – was man selber nämlich
Schlaflos zu nennen pflegt bei zwanzig Jahren:
Daß noch ein Stündlein vor dem Schlaf vernehmlich
Und klar sich Tön' und Bilder um uns schaaren
Und früh uns wecken, wenn zuvor bequemlich
Acht Stunden lang gelös't die Glieder waren.
Doch reift' in dieser nächtlich kurzen Muße
Ein wicht'ger Plan Cimonen zum Entschlusse. 24
Er folgt dem Lehrer, als die Schulzeit aus,
Und sagt, er hab' ein sonderlich Begehren.
Der nimmt ihn freundlich plaudernd mit nach Haus
Und bittet ihn, sich näher zu erklären.
Verlegen kommt Cimon damit heraus,
Ob er ein Instrument ihn wolle lehren.
An Geig' und Cither find' er groß Gefallen,
Doch sei die Flöte sein Geschmack vor allen.
Und Jener sagt: Ich denk', ich kann Euch dienen.
In mancher Kunst hab' ich mich umgesehn,
Und auch das Flötenspiel war unter ihnen;
Was ich Euch lehren kann, soll gern geschehn.
Er öffnet einen Schrank, drin Mandolinen,
Violen, Cithern und Guitarren stehn,
Verschiedne Saiten auch aus Darm und Stahle
Und eine Flöt' im Lederfutterale.
Cimone greift danach, so wie ein Kind,
Das blankes Spielzeug sieht vor Augen blitzen,
Und eh's der Lehrer ihm gezeigt, beginnt
Der junge Musiker den Mund zu spitzen.
Doch wehe! viel zu ungefüge sind,
Zu riesenmäßig seine Fingerspitzen,
Die zu des Lehrers lachendem Erschrecken
Der Flötenlöcher zwei auf einmal decken.
Mit einem Blick wie wenn zu Nacht der arme
Schatzgräber schwinden sieht den goldnen Topf,
Den er schon zitternd wog in seinem Arme,
So steht Cimone, kratzt sich stumm am Kopf
Und legt die Flöte weg in schwerem Harme.
Der Lehrer selbst beklagt den guten Tropf,
Und wie er sinnt, was er ihm Liebes thäte,
Fällt ihm ins Aug' ein seltsam Tongeräthe. 25
Im Winkel stand's, ein Unding von Posaune,
Schier einer Ellen weit der Fuß geschwungen.
Vom glänzenden Metall war schon der braune
Lack hie und da buntscheckig abgesprungen.
Der Lehrer holt sie vor in bester Laune,
Bläs't ab den Staub und reicht sie dar dem Jungen
Und sagt zu ihm: Dieß wird zu Euern Maßen,
Mein junger Freund, vermuthlich, besser passen.
Wohl hat er Recht; sie passen für einander,
Wie einst die Keule zu Alkmene's Sohn,
Bucephalus zum jungen Alexander
Und jener arge Thurm zu Babylon.
Von selber schon den richt'gen Ansatz fand er
Und stieß hervor solch einen freud'gen Ton,
Daß sich der Lehrer stracks die Ohren hält
Und ihn hinausführt in das freie Feld.
Nun gingen sie zusammen viele Wochen
Ins Waldgebirg, der edlen Kunst zu pflegen.
Auch manches Wort wird unterwegs gesprochen,
Und langsam lernt Cimon die Zunge regen.
Am Wissen zwar hat Jener nur gerochen,
Doch braucht' er Kopf und Augen allerwegen;
Er kennt den Weltlauf, fremder Völker Brauch,
Und Ein'ges von Geschichte weiß er auch.
Er war dem Jungen bald so zugethan,
Wie nur ein Bruder kann den Bruder lieben.
Hört, Bester, fing er einst im Wandern an,
Nachdem sie im Gebirg Musik getrieben,
Ihr thatet, wie mir scheint, nicht wohl daran,
Daß Ihr nur immer so für Euch geblieben.
Was ich vermag, will ich Euch gerne geben,
Allein das Beste lernt man doch vom Leben. 26
Geht in Gesellschaft! meidet nicht so scheu
Das junge Volk im Weinhaus und Theater! –
Cimonen war die Rede gar nicht neu,
Allein verdrießlich, wenn sie kam vom Vater.
Dem Freund versprach er's, und dem Worte treu
Den ersten Schritt ins neue Leben that er
Und steuert herzhaft noch denselben Tag
Nach einer Schenke, die am Markte lag.
Er wählte diese, »zu den weißen Lilien,«
Denn Lilienblume das ist Flordelis.
Hier saß die Jugend reicherer Familien,
Die sich den heißen Wein behagen ließ,
Auch einen Zank zuweilen und ein Spielchen.
Cimone trat hinzu, und Mancher stieß
Den Nachbar an, und alle Blicke frugen:
Was treibt den Tölpel plötzlich zu den Klugen?
Er läßt sich nieder, wo die Andern sitzen,
Trinkt still sein Glas und starrt ins Kerzenlicht.
Zuerst umschwirrt's ihn von versteckten Witzen,
Doch bleibt er harmlos, als verstünd' er's nicht.
Er war's gewohnt, an Dornen sich zu ritzen,
Und nicht den Schmerz zu zeigen im Gesicht.
So sieht er freundlich drein in guter Ruh
Und giebt am Ende selbst ein Wort dazu.
Im Grunde zwar ist sein Bemühn, zu sprechen,
Nur kümmerlich und kaum der Rede werth.
Doch seine stille Meisterschaft im Zechen
Wird bald erkannt und nach Verdienst geehrt.
Und als er, da es Zeit ist aufzubrechen,
Das Dutzend Flaschen, das sie heut geleert,
Allein bezahlt, wer ist, der noch bestritte,
Daß unser Held ein Muster feiner Sitte? 27
Und Einer, Leonat, giebt auf die Nacht
Ihm traulich das Geleit und spricht beim Trennen:
Freund, da Ihr Euerm Namen Schande macht,
Wär's tölpelhaft, Euch noch Cimon zu nennen.
So sagt denn, wie Ihr heißt. – Cimone lacht:
Ich würde mich am Ende selbst nicht kennen
Bei anderm Namen. Nennt mich immerzu
Cimon, allein am liebsten nennt mich »Du.«
Unlange währt's, daß unser Menschenhasser
Auf Du und Du ist mit der halben Stadt.
Nie darf er fehlen, wenn zu Land und Wasser
Das junge Volk ein Fest gestiftet hat,
Und, als ein Lebender und Lebenlasser,
Stellt er im Wettspiel oft sich lahm und matt,
Obwohl er nur im Schlaf sich durfte regen,
So fiel der Kranz von selber ihm entgegen.
Auf Eine Palme nur mußt' er verzichten,
Wenn man beim Weine, wie es landesüblich,
Sich überbot in Schnurren und Geschichten.
Doch dieser Makel war ihm kaum betrüblich.
Nur das ertrug er leichten Muths mit nichten,
Daß er nicht gleich den Andern leicht und lieblich
Bei holden Frau'n sich zu benehmen wußte
Und mancher Blödigkeit sich schämen mußte.
Doch nun, wie Herodot sagt, dieß sei dieß!
Unbillig scheint's, daß ein geneigter Leser
Noch allzu wenig weiß von Flordelis,
Um sich daran zu freu'n, daß ein Cypreser
Von solchem Vollblut seinen Wald verließ,
Ein Schulkind ward und ein Posaunenbläser,
Und Freiheit, die im Bergwald ihn umrauschte,
Mit Zwang der Bildung kümmerlich vertauschte. 28
Zwar könnt' ich sagen: ihm gefiel sie nun;
Wer mag darüber mit Verliebten rechten?
Doch würde mir's im Herzen wehe thun,
Wenn Der und Die von seinen Freunden dächten,
Das Kleinod, das ihn bracht' um Rast und Ruhn,
Sei doch im Grunde keines von den echten,
Und sollt' er je es in der Nähe kennen,
Er würde Müh' und Oel verloren nennen.
Hier aber fühl' ich ein bedenklich Zagen.
Ach, wenn es irgend wo noch Musen giebt,
Helft mir, so treu von ihr die Wahrheit sagen,
Daß sich der Leser selbst in sie verliebt.
Ihr wißt es ja, wie oft in jenen Tagen
Ihr Flordelis die lange Zeit vertriebt,
Ihr und die Grazien, und zumeist von ihnen
Schalkheit, die Jüngste, der die andern dienen.
Wo Schalkheit sich mit hoher Schönheit paart,
Blüht eine Zaubermacht unwiderstehlich.
Ein Herz, das andachtsvoll verschüchtert ward
Vom Ernst der Schönheit, – Schalkheit macht es fröhlich.
Was himmlisch fremd die Form uns offenbart,
Wird nun vertraut, die Seele macht uns selig;
Ein Angesicht, das wir bewundern müssen,
Erst durch die Schalkheit wird es schön zum Küssen.
Doch der verkennt die Holde, der da wähnte,
Nur für das Lachen hab' ihr Busen Raum.
Oft ging sie, wo der Dünensand sich dehnte,
Allein, vertieft in einen Mädchentraum,
Der räthselhaft im Innern wogt' und sehnte.
Ihr Sinn war wie das Meer; den leichten Schaum
Wirft's an den Strand in tollem Uebermuth
Indessen feierlich die Tiefe ruht. 29
Anfangs, als ihr in ritterlichen Züchten
Cimone nachgefolgt vom Waldeshange,
Und sie ihn sah im Sturm von hinnen flüchten,
Da lachte sie, doch lachte sie nicht lange.
Und als die Stadt sich füllte mit Gerüchten
Von seinem Schulgang, ward ihr seltsam bange;
Nicht daß sie irgend sich in ihn vergaffte,
Nur daß er öfter ihr zu denken schaffte.
Kam's dann, daß sie ihn traf am dritten Ort,
So machte seine Nähe sie verlegen,
Und sprach er gar ein ungeschicktes Wort,
Befiel sie Scham und Unruh seinetwegen
Fast mütterlich, als habe sie hinfort
Zu wachen über seinem Thun und Regen,
Obwohl sie kaum begriff, geschweig' erzählte,
Daß sie es war, die dieses Bild beseelte.
Zwar ward der Hirsch an ihrer Thür gefunden,
Doch sprach sie keck, sie wisse nichts davon.
Ihr Liederbuch erwies sich als verschwunden;
Wer aber suchte Bücher bei Cimon?
So sehn die Zwei das erste Jahr sich runden,
Das zweite drauf, das dritte naht sich schon,
Und da sie sich beharrlich fremd geberden,
Sieht man nicht ab, wie es soll anders werden.
Dieß aber wird nachgrade wünschenswerth,
Für Freund Cimon, den Leser und den Dichter.
Ich fürchte, wenn die Pause länger währt,
Verlängern sich bedenklich die Gesichter.
Doch, ist Euch noch ein Gran Geduld bescheert,
So haltet Haus damit, gestrenge Richter.
Bald kommt die Handlung dergestalt in Gluten,
Daß ihr noch klagt, es sei zuviel des Guten. 30
Nicht ist der Lenz im Süden, wie im Norden,
Die Zeit, wo Seufzer schaarenweis erwachen,
Wo Liebende, ein fahr'nder Ritterorden,
Die Weg' und Steg' im Wald unsicher machen.
Hier an des Mittagmeers besonnten Borden
Klingt kerngesund des Frühlings goldnes Lachen.
Du siehst ihn nicht in Wehmuth überfließen,
Er lebt nur kurz und will den Tag genießen.
Wohl ist es süß, im blätterlosen Hag
Dem ersten Gruß der Veilchen zu begegnen,
Zu fühlen, wie bei scheuem Vogelschlag
Die starren Lüfte thau'n in lindes Regnen.
Nun kommen schon mit jedem neuen Tag
Des Frühlings neue Boten, die wir segnen,
Doch ängstigt uns sein langsam Liebesmühn,
Und mancher Nachtfrost droht dem jungen Grün.
Wie anders, wo die Erd' und Himmelsmächte
Auf einmal jauchzend in einander glühen,
Die Sonne sich besinnt der alten Rechte
Und herrisch flammt in heil'gen Jahresfrühen.
Dann, wenn die letzte schwand der Winternächte,
Siehst du am Mittagstrahl die Mandeln blühen,
Und hörst es flüstern im Orangenlaube:
Daß hier ein Winter war, ist Aberglaube. 31
Und doch hat dießmal unserm Freund ein schlimmer
Nachwinter seine Freuden eingeschneit.
Seit Wochen sah er Flordelisen nimmer
Und Carneval ward ihm zur Fastenzeit.
Ihr sei nicht wohl, drum hüte sie das Zimmer,
So hört' er sagen bei Gelegenheit,
Und als die ersten Frühlingslüfte flogen,
War sie mit dem Papa aufs Land gezogen.
Wen kann es Wunder nehmen, daß Cimonen
Hinfort die Stadt und Stubenluft beengt.
Er fühlt im Busen eine Schwäche wohnen,
Die er im freien Wald zu heilen denkt.
Und bald erblickt er durch die Baumeskronen,
Zu denen sich von selbst sein Schritt gelenkt,
Das stille Landhaus, das so früh im Jahr
Noch nicht geschmückt für Sommergäste war.
Das Haus lag, wie ihr wißt, am Bergeshang,
Der abwärts stieg in wechselvoller Schichtung.
Auf einer Klippe, die zu Tage sprang,
Fand sich im Eichwald eine breite Lichtung.
Wer hier sich lagert, dessen Blick umschlang
Gebirg und Strand und Meer nach jeder Richtung,
Und – für den Liebeskranken mehr als dieß –
Das Fenster auch der schönen Flordelis.
Hier saß Cimon an manchen lieben Tagen,
Dem vielberühmten Toggenburger ähnlich,
Nur nicht ein Held, wie dieser, im Entsagen.
Den Wissenschaften lag er ob gewöhnlich,
Doch pflegt' es nicht zum Besten anzuschlagen,
Denn von den dürren Blättern schweifte sehnlich
Zur Lilienblume Blick und Geist hernieder,
Und sah er sie, sah er ins Buch nicht wieder. 32
Heut hätt' er ungestört studiren dürfen,
Nur daß Musik aus jenem Fenster kam,
Wie wenn ans Ufer einer Brust sich würfen
Unstäte Wellen eines Meers von Gram.
Und dennoch war's ihm Labsal, einzuschlürfen
Den trüben Saitenklang, den er vernahm;
Denn immer wurd' er traurig, wenn sie lachte,
Und ruhig, wenn sie ernste Miene machte.
So lag er da im Moos. Aus dem Gewand
Hatt' er sein blaues Buch hervorgezogen.
Doch ob auch Süßes drin geschrieben stand,
Von süßerm Denken ward es überwogen.
Er denkt des Tags, wo er die Eine fand,
Die ihn vom Knecht zum Menschen auferzogen,
Den Gottesfunken, der in ihm geruht,
Mit einem Lächeln angefacht in Glut.
Nicht Liebe war's, was damals ihn durchfuhr;
Noch war der Geist nicht in ihm aufgegangen,
Und Liebe würdigt keine Creatur
Sie zu empfahn, die nicht den Geist empfangen.
Was in ihm aufglomm, war im Grunde nur
In tiefer Nacht ein banges Lichtverlangen,
Die erste Regung jener Werdelust,
Die keimt und treibt in jeder Menschenbrust.
Doch jetzt, nachdem zwei Jahre lang in echter
Demüthigung sein Geist geläutert ward,
Dünkt er sich auch nicht besser und nicht schlechter,
Als andre Kinder Gottes seiner Art.
Auch scheinen ihm des Landes schöne Töchter
Nicht mehr zu gut für ihn, zu schön, zu zart,
Nur leider – nach dem Wahn verliebter Thoren –
Bis auf die Eine, die sein Herz erkoren. 33
Indeß – so stärkt er sich im Selbstgespräche –
Wie, wenn ich doch zu hoffen mir erlaubte?
Wo ist der Würd'ge, oder wo der Freche,
Der dieses Kleinod zu verdienen glaubte?
Gesetzt, daß, wenn ich mit dem Vater spreche,
Er mit der Hoffnung mir das Leben raubte,
Viel besser ist's, in meinen jungen Jahren
Dahingehn, als für langen Gram mich sparen.
Doch thu' ich klüger, erst mit ihr zu reden.
Könnt' ich es nur! Ich bin ihr fern und fremd.
Wie gütig, wie geduldig hört sie Jeden,
Der mit Geschwätz sie endlos überschwemmt!
Mich sieht sie kaum, und ich, seh ich mein Eden,
Gleich fühl' ich, wie es mir den Athem hemmt.
Wie soll ich vollends das in Worte fassen,
Was manchmal noch sich kaum will denken lassen!
O Flordelis! – Mit diesem bitterlichen
Stoßseufzer fährt er auf aus seiner Lage.
Doch alle Farb' ist plötzlich ihm entwichen,
Denn hinter ihm tritt Einer aus dem Hage,
Der horchend seine Einsamkeit beschlichen,
In jeder Stirnerunzel eine Frage.
Weh Jedem, der die Tochter sehnend rief,
Und dann dem Vater in die Arme lief!
Und solchem gar, wie unser Ehrenmann,
Mit dem es nicht gerathen war zu spaßen.
Denn an die Sündfluth reicht die Zeit heran,
Seit seine Ahnen hier auf Cypern saßen.
Zwar war auch er, wie sie, ein Handelsmann,
Doch reicher als ein Fürst bekanntermaßen,
Und im Gefühl der angestammten Würde
Hielt er darauf, daß ihr gehuldigt würde. 34
Er maß den Juvenil vom Kopf zur Zehe,
Harrt' auf den Gruß, der gänzlich unterblieb,
Und sprach sodann: Mein junger Herr, ich sehe
Ein Buch bei Euch, das Euch die Zeit vertrieb.
Ein lobenswerther Eifer, ich gestehe;
Doch wäre mir aus manchen Gründen lieb –
Und hier bemüht' er sich den Ton zu schärfen –
Nur einen Blick in dieses Buch zu werfen.
Was höflichst wünscht ein künft'ger Schwiegervater,
Treibt billig jede Weigrung in die Enge.
Cimone zög' es vor, daß jetzt der Krater
Des Aetna sein geliebtes Buch verschlänge;
Allein im Blick ein stumm peccavi pater
Reicht er sie hin, die lieblichen Gesänge,
Und murmelt: Hier im Wald hab' ich's gefunden. –
Der Andre spricht: Ich bin Euch sehr verbunden.
Man findet, fährt er fort, wohl dies und das,
Was man nicht sucht, und sucht, was man nicht findet.
So sucht Ihr, wie mir scheint, hier irgend was,
Das leider Euerm Finderglück entschwindet.
Wißt aber, daß ich selbst dieß Buch besaß
In Jahren, wo uns solch ein Tand entzündet.
Dann hab' ich's meinem Töchterlein geschenkt,
Und weiß, wie schmerzlich der Verlust sie kränkt.
Seht – was bis heut Euch unbemerkt geblieben,
Ihr hättet es ja sonst zurückgegeben –
Hier steht ihr Name deutlich eingeschrieben,
Und meiner auch zum Ueberfluß daneben.
Allein verzeiht; ich darf nun nicht verschieben –
Mit schuld'gem Dank, daß Ihr es aufzuheben
Zwei Jahre lang geschätzt der Mühe werth –
Es der zu bringen, der es zugehört! 35
Des Jünglings Antlitz überschlugen Flammen,
Vom edelsten Gefühle jäh empört.
Die Lippen biß er bebend erst zusammen,
Dann sprach er: Nein, ich will daß Ihr mich hört,
Dann mögt Ihr mir verzeihen, mich verdammen.
Ich wußte längst, wem dieses Buch gehört,
Doch ich behielt's in hoffenden Gedanken,
Der Eignerin einst mehr als dieß zu danken.
Ich weiß nicht, was mir jetzt die Kühnheit giebt,
So frei vor Euch mein Innerstes zu zeigen.
Wenn Ihr mein Blut nicht so in Wallung triebt
Durch Euern Spott, gewiß, noch würd' ich schweigen.
Denn wenn auch Niemand treuer je geliebt,
Bin ich doch unwerth, daß sie sei mein eigen;
Nun aber ist's heraus, Gott sei gepriesen!
Und furchtlos sag' ich: Gebt mir Flordelisen! –
Der Alte wiegte kalt das Haupt und sprach:
Mein werther Herr, ich bin im Ernst betroffen.
Den Antrag, dem es zwar an Form gebrach,
Ich schätz' ihn, wie ich soll. Doch muß ich offen
Euch sagen, daß zu meinem Ungemach
Ich nicht die Ehre darf zu nutzen hoffen;
Denn, was bisher geheim geblieben, wißt,
Daß meine Tochter schon versprochen ist.
Gleich meinen Vätern, die in Gott verstorben,
Hass' ich das Schwatzen von beschlossnen Dingen.
Ein fremder Fürst hat um mein Kind geworben,
Und jedes Schiff kann mir den Eidam bringen.
Es thut mir leid, daß Ihr die Zeit verdorben,
Nach Früchten zielend, die zu hoch Euch hingen;
Doch bitt' ich, wenn Euch künftig kommt die Laune,
Blas't weiter ab von meinem Haus Posaune! – 36
Er neigte sich und ging. Der arme Freier
Stand wie ein Baum, den falsches Frühlingswetter
Verlockte zu voreil'ger Blütenfeier,
Und der nun kläglich hangen läßt die Blätter
Im winterlichen Druck der Nebelschleier.
Er sah dem Alten lange nach, als hätt' er
Nicht recht gehört, und doch zu gut nur fühlte
Er bis ins Mark die Pein, die ihn durchwühlte.
Doch mag sie noch so lebensfeindlich wüthen,
An dieser Muskelkraft wird sie zu Schanden.
Auf fährt Cimon aus seinem stumpfen Brüten,
Und geht waldein. Und als die Häuser schwanden,
Als des Gebirges Blumen ihn umblühten
Und ernst die lichten Wälder ihn umstanden,
Zeigt seine Brust, daß sie lebendig sei,
Die Bande sprengend mit unbänd'gem Schrei.
Im Felsengrund stand eine junge Fichte,
Die jetzt erfährt, wie's in Cimon gewittert.
Daß er nur irgend was zu Grunde richte,
Ringt er mit ihr, die ächzend wankt und zittert.
Ihm schäumt der Mund, der Schweiß strömt vom Gesichte,
Doch nur die Aeste werden abgesplittert.
Verzweifelnd plötzlich läßt er ab von ihr
Und stürzt ins Gras, zu heulen wie ein Thier.
Ja wie ein Thier! Wo blieb, mein armer Freund,
Die menschliche Gesittung, die dich zierte?
Der Eber, den man sicher eingezäunt
Und halb gezähmt, weh, daß er neu verthierte!
Wer ihn jetzt säh', vom Fichtenstaub gebräunt,
Wie er mit blödem Aug' ins Leere stierte,
Hielt' ihn, trotz seinem goldgestickten Wamms,
Für den Kaziken eines Wildenstamms. 37
Vergebne Mühe wär's, aus diesen Zügen
Zu deuten der Gedanken wilde Flucht.
Wenn Sturmwind ras't in irren Wolkenflügen,
Wer ist, der droben nach Gestalten sucht?
Doch sag' ich, wenn nicht alle Zeichen trügen,
Daß er nichts andres, als den Tag verflucht,
Der ihn gebar. So lag der arme Narr
Wohl eine Stunde todtenblaß und starr.
Auf einmal hört er einen muntern Ton,
Der sich in Sprüngen naht aus Waldesgrunde,
Und sieh, durch Zufall ihrer Haft entflohn,
Her stürmen seine zwei getreuen Hunde.
Da kehrt das Leben wieder in Cimon,
Die Freunde zieht er an sein Herz, das wunde,
Läßt ihre rauhe Zärtlichkeit gewähren
Und netzt ihr Fell mit seinen heißen Zähren.
Zuletzt erhebt er sich. Am Firmamente
Steht hoch und herrlich noch der schönste Tag.
Doch er, als ob er ihn nicht wiederkennte,
Geht düster durch den sonnigen Eichenhag.
Ach jener Spiegel, der die Elemente
Uns wiederstrahlt, ist wie auf Einen Schlag
Ihm nun erblindet durch des Unsterns Tücke,
Ein Wunder, daß er nicht zersprang in Stücke.
So kommt er endlich in dem Landhaus an,
Darin er selten mehr sich blicken ließ.
Den Knechten, die ihn freudevoll empfahn,
Dankt nur ein Gruß, der sie zurückewies.
Zu seiner Kammer schreitet er hinan;
Hier in dem Winkel ruht sein Jägerspieß,
Die Armbrust, ellenhoch aus derbem Stahl,
Hirschfänger, Jagdgewand und Horn zumal. 38
Ein wilder Strahl trübsinniger Freude zückt
Bei diesem Anblick über seine Wangen.
Die feine Kleidung, die ihn lang geschmückt,
Muß schimpflich nun am rost'gen Nagel hangen.
Der Sammetrock fällt hin; er aber bückt
Sich nicht einmal, ihn wieder aufzulangen.
Verächtlich sieht er ihn im Staube liegen
Und geht im schlechten Kleid hinab die Stiegen.
Tief im Gebirge, wie er einst gewohnt war,
Bringt er nun wieder seine Tage zu.
Das Waldgethier, das jetzt von ihm verschont war,
Neugierig spielt's um ihn in guter Ruh.
Oft, wenn erblichen schon der späte Mond war,
Kam er erst heim, von Thau durchnäßt die Schuh,
Voll Moos sein Haar, verwildert sein Gewand
Und baarhaupt, wie er sonst den Wald durchrannt.
Er hört dann wohl, daß aus der Stadt inzwischen
Sein Vater liebevoll nach ihm gefragt.
Doch läßt er nie zu Hause sich erwischen,
Und wenn Besuch kommt, der ihm sonst behagt,
Mit dem er öfters saß an lust'gen Tischen,
Entrinnt er wie vom bösen Feind gejagt.
Sein Freund Pedruccio selbst, der Provenzale,
Ist ihm verleidet, scheint's, mit einem Male.
Doch einst, da Nachts er in die Halle trat,
Wo auf dem Herd das Feuer fast verglommen,
Und müd und mürrisch um ein Essen bat,
Fühlt er vertraulich sich beim Arm genommen.
Wild blickt er um: Du bist es, Leonat? –
Ich selbst, Cimon. Man muß wohl zu dir kommen,
Da du nicht kommst. Ja, zieh nur ein Gesicht!
Heut, mein verlorner Sohn, entrinnst du nicht. 39
Sag, welch ein Kobold ist in dich gefahren,
Der dich verführt, in Wildnissen zu hocken?
Ist's wahr, daß Eulen dir im Schooß sich paaren
Und Fledermäuse nisten in den Locken?
O pfui! Ein solches Sonderlings-Gebahren
Bringt alle Lieb' und Menschlichkeit ins Stocken.
Ein Jammer ist's, wie unser Lilienwirth,
Seit du ihm fehlst, tagtäglich magrer wird.
Was focht dich an? Heraus nun mit der Sprache,
Du Waldmensch, Troglodyte, Vogelsteller!
Doch erst gestatte, daß ich Schulden mache
Bei deines braven Vaters edlem Keller. –
Er rief dem Knecht, daß er das Feuer fache,
Der Cyper wird gebracht auf blankem Teller;
Doch bleibt Cimon verfinstert, kalt und stumm,
Und kehrt sich nicht nach Leonaten um.
Nun aber, da im Saal allein geblieben
Das Freundespaar beim trauten Feuer saß,
Füllt Leonat die Gläser: Was wir lieben!
Trinkt er Cimonen zu. Der nimmt das Glas,
Allein von Weh und Leidenschaft getrieben
Wild in den Herdbrand schlendert er das Naß.
Freund, sagt der Andre, denkst du Glut mit Wein
Zu löschen, gieß ihn in dich selbst hinein.
Cimone stutzt dem doppelsinnigen Wort
Und läßt den scheuen Blick zum Freunde gleiten.
Der aber fährt gleichgültig also fort:
Ich habe dir die schönsten Neuigkeiten.
Und da ich, wie mir scheint, an diesem Ort
Die Unterhaltung muß allein bestreiten,
So will ich, was von jeher meine Stärke,
Mit epischem Behagen gehn zu Werke. 40
Beim Ei beginn' ich: Flordelis ist Braut!
Ein Fürst von Rhodus will sie uns entführen.
Dies Factum, dem ich Wirkung zugetraut,
Dich freilich scheint es eben nicht zu rühren.
Doch desto fleiß'ger wird es durchgekaut
In allen Häusern, unter allen Thüren,
Und käm' ans Land ein Krak', ein Meereswunder,
Sie machten nicht so vielen Lärm jetzunder.
Vor einer Woche war's, als man am Meere
Ein sonderbares Fahrzeug inne wird.
Vom Mastkorb bis zum Kiel ist die Galeere
Mit hundert Wappenschildern ausstaffirt.
Sie nähert sich mit ungefüger Schwere
Und landet an; und sieh, heraus spaziert
Vorauf ein Zug geputzter Edelknaben,
Die Myrtenreiser in den Händen haben.
Dann folgt ein Marschall, führend eine Schaar
Von zofenhaft gezierten Weibspersonen.
In ihrer Mitte, schon mit grauem Haar,
Die Allerwürdiglichste der Matronen.
Zum Schluß ein Dutzend Ritter, die fürwahr
Das Eisen ihrer Rüstung wenig schonen
Und während sie mit Blicken uns durchbohren,
Mit Schilden rasseln, klirren mit den Sporen.
Der Hafenpöbel – unsereins desgleichen –
Giebt höflich Raum dem hochgebornen Zug.
Nie war ein Herr von vielen Königreichen,
Der höher, als dies Volk, die Nase trug.
Und während man umsonst nach einem Zeichen
Zur Lösung dieses stolzen Räthsels frug,
Zieht aus der Stadt entgegen hoch zu Rosse
Herr Guido schon mit einem langen Trosse. 41
Sein Töchterlein, die schöne Flordelis,
Saß in der Sänfte, dem Papa zur Seiten.
Als nun ihr Zug auf jenen ersten stieß,
Ein Lustspiel war's, wie man an Höflichkeiten
Sich überbot. Die Lilienblume ließ
Die alte Dame nicht zu Fuße schreiten,
Herr Guido muß sie in die Sänfte heben,
Und er und seine Tochter gehn daneben.
Dann, eh wir alle noch uns recht besonnen,
Fort ist der Spuk. Wir gaffen wie die Narren.
Man weiß, der Alte kennt nicht größre Wonnen,
Als etwas thun, wozu die Leute starren.
Dießmal gelang's. Ich steh' bei meinen Tonnen
Voll Oel und Wein, die der Verladung harren,
Da kommt schon ein Lakay mit goldner Weste
Und läd't mich zu des Fräuleins Hochzeitfeste.
Hochzeit? Ei, sag' ich, dazu braucht es Zwei.
Es scheint mir noch am Bräutigam zu fehlen. –
Fürstliche Hoheit, schmunzelt der Lakay,
Ließ durch die Fürstin Mutter sich empfehlen
Und melden, daß er selbst verhindert sei.
Sie lassen per procura sich vermählen. –
Verhindert? sag' ich. – Ja, Regierungssorgen. –
Der Tausend! Nun, bestell', ich käme morgen.
Ich kam und kam auch noch an fernern Abenden,
Und eben heut stahl ich mich weg vom Tanze.
Guido in seiner löblichen hochtrabenden
Manier spricht nur von seines Hauses Glanze.
Die junkerliche Sippschaft schlürft den labenden
Uralten Chier stumm. So weht durchs Ganze
Ein sanfter Hauch anständ'ger Langerweile,
Und ich bin sicher, daß die Braut sie theile. 42
Ja mehr als das! Ich sah schon Bräute gähnen
Vor Liebeswonnen und Zufriedenheit.
Heut Abend aber perlte was wie Thränen
Auf ein gewisses silberhelles Kleid,
Und schwerlich weint das gute Kind vor Sehnen;
Denn flüchtig nur und vor geraumer Zeit
Hat ihr der Fürst persönlich aufgewartet.
Fern, mit der Mutter ward es abgekartet.
Er schwieg und trank. Allein Cimone schob
Den Sessel fort und wandert nach der Thüre.
Gott steh uns bei, mein Junge, das ist grob!
Ruft Leonat. Das mahnt an deine früh're
Urmenschlichkeit. Ich meinte, daß mir Lob
Für meine schöne Neuigkeit gebühre.
Da läuft zum Dank mein Publicum davon.
Nur zu! Verliebte Leute kennt man schon.
Was sprichst du da? brummt unser Freund geschwind.
Ich will mit Liebe nichts zu schaffen haben. –
Wahrhaftig? lacht der Andre. Theures Kind,
Nun sprichst du ganz nach Art verliebter Knaben.
So schwören, daß sie nicht betrunken sind,
Die Guten, die man liegen sieht im Graben.
Komm, sei gescheit! Willst du dem Freunde hehlen,
Was man auf allen Gassen hört erzählen?
Cimon erglüht. Was schwatzt man auf den Gassen?
Und lässt vom Thürgriff sinken seine Hand. –
Man sagt, erwiedert Leonat gelassen,
Daß ein gewisser junger Mann verschwand,
Seit ein gewisses Schiff sich blicken lassen,
Und für ein Fräulein sich ein Freier fand.
Das dumme Volk zieht gern ins Ungewisse
Aus kleinen Dingen gleich die größten Schlüsse. 43
Verwünscht! fährt Jener auf. – Doch leider wahr!
Sagt Leonat. Komm, eine neue Flasche!
Stoß an, und wachse dir kein graues Haar,
Wenn ich nun die verstohlne Wunde wasche.
Mir altem Sünder war es lange klar,
Kenn' ich dich doch so gut wie meine Tasche.
Auch hätt' ich längst dir meinen Dienst geboten;
Allein wie denkt dein Schatz? Da lag der Knoten.
Heut ward er mir gelös't. Ich will mein Brod
Verdienen müssen als ein Karrenschieber,
Ist ihr der Fürst nicht leider als der Tod.
Ich sprach von dir; da jagte wie im Fieber
Auf ihrem Angesicht sich Weiß und Roth.
Das Eisen glüht; so schmieden wir's, mein Lieber! –
Beim heil'gen Gott, was redest du für Sachen!
Ruft jetzt Cimon. Willst du mich rasend machen?
Ich warb um sie, so magst du es denn hören,
Beim Vater warb ich und – ward abgewiesen.
Was kommst du nun, die Ruhe mir zu stören
Mit eiteln Hoffnungen auf Flordelisen?
Wär's wahr, daß ihre Thränen mir gehören,
Machst du zu allem Jammer mir noch diesen?
Zeigst mir den Quell, und läß'st mich doppelt dürsten?
Was bin ich Tölpel gegen einen Fürsten? –
Ein Mann zunächst, sagt trocken Leonat,
Und eine Puppe nur scheint jener Freier.
Wär' er ein Kerl, der Lieb' im Leibe hat,
Er käme selbst zu seiner Hochzeitfeier.
Zudem, man munkelt in der ganzen Stadt,
Es sei ihm nur um ihre blanken Dreier.
Und wenn ich ihn nach seinen Vettern messe,
Ist's eben nicht weit her mit der Noblesse. 44
Prahlhänse sind sie, kahl und aufgeblasen,
Das lahmste Volk, das jemals Waffen trug.
Spricht man sie an, so rümpfen sie die Nasen,
Doch unser Geld ist ihnen gut genug.
Denk' ich, daß einer dieser wind'gen Hasen
Dies Mädel freit, so schön, so reich, so klug,
Bei Satans Lung' und Milz, so tobt mein Blut,
Obzwar ich nicht verschossen bin, vor Wuth.
Bist du ein Mann, so zeige was du bist,
Und rette Flordelis vor solcher Ehe.
Noch hast du vierundzwanzig Stunden Frist,
Daß etwas Tüchtiges darin geschehe.
Und dies verbürg' ich dir: Nicht einer ist
Von unsrer Jugend, der nicht zu dir stehe,
Wenn du sie abziehn machst mit Schimpf und Schande,
Der Kaufmannssohn die saubern Herrn von Stande. –
Noch eh es tagt, ruft Jener, soll sie frei sein,
Auf, Leonat! Was bleibt noch zu besinnen?
Mit diesen Armen, Freund, und wär's im Beisein
Der ganzen Hölle, trag' ich sie von hinnen. –
Nein, gutes Kind, es muß auch Spaß dabei sein,
Spricht Leonat. Das Spiel ist zu gewinnen;
Doch der Gewinn wird schwerlich uns erlaben,
Wenn wir nicht auch die Lacher für uns haben.
Komm, setz dich her! Ein Plan rumort in mir;
Erst aber laß mich nach den Thüren schauen. –
Er ging und schloß sie ab. So sind auch wir
Nun ausgeschlossen, edle Herrn und Frauen.
Ja wüßte Leonat, wie reichlich ihr
Durch klugen Rath belohntet ein Vertrauen,
Er bät' euch einzutreten ohne Säumniß,
Und zög' auch wohl den Dichter ins Geheimniß. 45
Doch sei es uns nicht leid! Wer weiß, wie Dreistes
Die beiden Brauseköpf' im Schilde führen.
Und geht zuletzt die Sache schief, so heißt es,
Wir seien Schuld an allen Ungebühren.
Dann aber sagen wir getrosten Geistes:
Verhandelt wurde bei verschlossnen Thüren.
Daß wir's im Herzen mit den Schelmen halten,
Das, mein' ich, können wir für uns behalten.
Wer aber hielt' es nicht mit Freund Cimon,
Der ihn jetzt sieht, als Leonat gegangen,
So kummervoll wie je ein Muttersohn
Am Herde stehn, wo längst die Glut vergangen.
Nun röthete ein Strahl der Frühe schon
Dem Liebenden die überwachten Wangen,
Da wirft er sich aufs Bett und stöhnt unsäglich
Und jauchzt: Sie liebt mich! Himmel, ist es möglich!
Des Himmels goldne Pforten sprangen auf
Dem schönen Gott des Lichtes und der Lieder.
Die Sonnenrosse stürmten hin im Lauf
Und sprühten ihren Schaum als Thau hernieder.
Ein Schwarm von Liebesgöttern flog vorauf
Und senkte dann zur Erde das Gefieder,
Um abzulösen ihrer Brüder Schaaren,
Die dort zu Nacht auf ihren Posten waren. 46
So etwa würd' ich den Gesang beginnen,
Wär' die Antike nicht so streng verfehmt.
Ich weiß, daß manche meiner Leserinnen
Sich dieses Zopfs in meine Seele schämt.
Getrost! ich will auf andern Anfang sinnen;
Streicht diesen aus, wenn ihr ihn übel nehmt;
Denn euch gefällig sein ist all mein Sorgen.
Nun denn: Es war ein äußerst schöner Morgen.
Zwar, soll ich ehrlich was ich denke sagen,
Die Strophe war nicht schlecht. Ach, wenn ihr wüßtet,
Wie jetzt wir armen Epiker uns plagen,
Seitdem euch nicht nach Göttern mehr gelüstet!
Nun müssen wir die Helden selber fragen,
Wo sonst ein Gott mit Weisheit uns gerüstet,
Und den erlauchten Seherblick erniedern
Zu nüchtern psychologischem Zergliedern.
Und wär' es euern Ohren zu gering,
Der Amorinen Zwiesprach zu belauschen,
Die, eh der Postenwechsel vor sich ging,
Parol' und Wachtgeheimniß lachend tauschen?
Wie Flordelisens letzte Nacht verging,
Ob sie geseufzt ins traute Meeresrauschen,
Ob Mädchenthränen sahn die späten Sterne –
Wer sagt es uns? Die Wachen sagten's gerne.
Doch fürchten sie, sie fänden schlechten Dank
Und sind zu stolz, sich irgend aufzudringen.
Nun wohl! So muß der Dichter baar und blank,
Was er erkundet hat, zu Markte bringen.
Die Wahrheit ist, die Braut war abschiedskrank;
Doch sprach sie bei sich selbst: Du mußt dich zwingen;
Was du nicht Kraft besessen, zu verhindern,
Sei stark genug, durch Festigkeit zu lindern. 47
Ach, redet so, wer vom Geliebten scheidet
Und dem Verhaßten in die Arme reis't?
Ein Riß, der in das tiefste Leben schneidet,
Heilt ihn so bald ein lebenskluger Geist?
Und fühlt sie nicht, wie viel Cimone leidet,
Am Leiden, das ihr eignes Herz zerreißt?
So hör' ich zweifelnd fragen in die Wette;
Doch wenn ich nun ein Nein zur Antwort hätte?
»Ist's möglich!« war, wie Jeder sich entsinnt,
Das letzte Wort im vorigen Gesange.
Ach wie viel Dinge giebt's, die möglich sind,
Und immer folgt das Herz dem alten Hange,
Der süßern Möglichkeit, mit Willen blind,
Sich zu vertraun in Leichtsinns Ueberschwange.
Auch Leonat, der kühler prüfen sollte,
Sah bei der Jungfrau was er sehen wollte.
Wir aber, treu den Pflichten der Historie,
Erstatten ohne Lieb' und Haß Bericht.
Der Morgen kam in seiner Frühlingsglorie,
Doch ein verweintes Auge fand er nicht.
Freilich begrüßt' ihn auch nicht mehr das vorige
Sorglos verklärte Mädchenangesicht.
Ein Schatten lag darauf: nicht schwarze Trauer,
Nur bangen Vorgefühls helldunkle Schauer.
Ins Segel athmet eine muntre Brise,
Da rauscht das Brautschiff in die offnen Wogen.
Herr Guido, daß er zärtlich sich erwiese,
Hat vors Gesicht sein Taschentuch gezogen.
Am Bord beim Steuermann steht Flordelise,
Und wie die Küsten mehr und mehr entflogen,
Da übermannt auch sie der bittre Gram,
Daß sie von Glück und Heimath Abschied nahm. 48
Der Schwiegermutter dünkt es angemessen,
Ein Trostwort an die Weinende zu wenden.
Mein Täubchen, spricht sie, wollet nicht vergessen,
Ihr seid hier in den liebevollsten Händen.
Zwar ließt Ihr vieles dort zurück. Indessen
Erwägt, wie viel Euch Gott hat wollen spenden,
Und macht beim Eintritt in die höh're Sphäre
Der Wahl des Fürsten, meines Sohnes, Ehre!
Thut einen Wunsch, und jedem geb' ich nach,
Kann Zärtlichkeit das Abschiedsweh verwischen.
Geliebt es Euch, so ziehen wir im Schach;
Sorbet ist auch bereit, Euch zu erfrischen.
Ihr schlagt es aus? Nun denn, vielleicht hernach;
So will ich gehn und etwas ruhn inzwischen.
Ich schick' Euch erst durch einen unsrer Vettern
Das Wappenbuch, gefällt's Euch, drin zu blättern.
Indessen jetzt die würd'ge Dame ruht,
Die Junker gähnend auf dem Deck herumstehn
Und Flordelis hinabweint in die Flut,
Ist's Zeit, daß wir uns nach Cimonen umsehn.
Es nimmt mich Wunder, daß sein heißes Blut
Die Rettungsfrist unthätig ließ herumgehn;
Ich war gefaßt auf nächtliche Entführung,
Brandstiftung, Rettung, Vaterzorn und Rührung.
Hat sich der Tollkopf gar ins Schiff geschlichen
Und bohrt ein Leck, daß Mann und Maus ersaufen,
Um dann, sein Lieb im Arm, mit ritterlichen
Schwimmkünsten sich ihr Leben zu erkaufen?
Ist er nach Rhodus insgeheim entwichen,
Dort mit dem Nebenbuhler sich zu raufen?
Nein, solchem höchst unpraktischen Bestreben
Wird Leonat nie seine Stimme geben. 49
Was aber dann? Wie soll's ein Ende nehmen?
Kann solch ein Strom von Muth im Sand versiegen?
Läßt Leidenschaft gleich einem unbequemen
Gewand sich ausziehn, um im Schrank zu liegen?
Zwar manchen ihrer Freunde wird es grämen,
Wenn sich Cimon und Flordelis nicht kriegen.
Das aber ist zunächst Cimonens Sache
Und thöricht, daß man sich Gedanken mache.
Genießen wir den wundervollen Tag,
Der warm und leuchtend auf den Wogen schwimmt.
Delphine ziehn mit langem Floßenschlag
Dem Schiff vorauf; ihr hoher Rücken glimmt
Im Sonnenschein, daß man sich spiegeln mag.
Manch kleiner Nachen schwankt vorbei und klimmt
Hinaus, hinab die glatten Wellenberge,
Und zu dem Schiff herüber grüßt der Ferge.
Doch als die Küste fern am Horizont
In Duft verschwand und Barken nicht mehr nahten,
Ruft der Matros, der sich im Mastkorb sonnt:
Ein Schiff! Von Süden! Aus den Räuberstaaten!
Vom Maste glänzt es wie ein halber Mond –
Es hält den Curs auf uns – halloh, Piraten! –
Wie Glut in Zunder fällt ins Schiff der Schreck,
Und augenblicks ist Alles auf dem Deck.
Bang starrt das Schiffsvolk der Gefahr entgegen,
Doch die Piraten, scheint's, sind gut gelaunt.
Von Pauken klingt ihr Schiff und Beckenschlägen,
Dazwischen wird getrommelt und posaunt;
Ein Heidenlärm, halb närrisch, halb verwegen.
Hat ihr Prophet den Schurken zugeraunt,
Daß sie ein fürstlich Brautschiff kapern würden,
Und wollen sie's empfahn nach seinen Würden? 50
Ach, wer sich von verruchten Sarazenen
Der Höflichkeit versieht, der kennt sie schlecht.
Heult doch der Wolf auch zwischen seinen Zähnen
Ein Mordlied, eh er sich zum Mord erfrecht.
Und diese Heiden, wilder als Hyänen,
Sind nur so lustig, weil sie scharf gezecht.
Ein Schiff mit Wein vielleicht ward ihre Beute,
Und des Korans entschlugen sie sich heute.
Denn, als sie nah genug, sich zu verständ'gen,
Ertönt es: Halt! und alle Segel bei! –
Den Ruf begleitet drohend mit unbänd'gen
Geberden ein verworrnes Schlachtgeschrei.
Dann ruft der Führer: Eilt uns auszuhänd'gen
Die Jungfrau, die ihr führt, so seid ihr frei!
Der Sultan von Marocco will sie haben;
Eilt – oder Alle wird das Meer begraben! –
In reinem Cyprisch rief's der Mohrenhund,
Sonst braun von Farbe, gleich den andern Teufeln.
Das aber lernt sich wohl und ist kein Grund,
An seiner Sarazenenschaft zu zweifeln.
Die Mannschaft auf dem Rhodusschiffe stund
Bleich wie der Tod, Angstthränen sah man träufeln,
Die Fürstin Mutter lag in schweren Krämpfen,
Allein die Vettern riefen: Laßt uns kämpfen! –
Nun wohl, zum Kampf! Allah il Allah! scholl's;
Ein Dutzend Säbel saus'ten aus der Scheide,
Die Enterbrücke flog und schlug ins Holz
Des Rhodiers der Haken scharfe Schneide.
Bedenkt euch noch einmal! rief höhnisch stolz,
Und wehrte seinem Volk, der grimme Heide;
Doch rath' ich sehr, bedenkt euch kurz und gut:
Gebt uns die Jungfrau, oder euer Blut! 51
Da, eh noch eine flüchtige Secunde
Verstrichen ist, auf einmal mit Geheul
Vor stürzen aus dem Maurenschiff zwei Hunde,
Die Brück' hinan, und mitten in den Knäul
Des Zofenschwarms, der kreischend in die Runde
Bleich auseinanderstiebt vor diesem Gräul.
Die Rüden aber zerren unverschämt
Der Fürstin Kleid, mit Hermelin verbrämt.
Hell schreit sie auf, die Krone alter Damen:
Helft, rettet, helft! Die Thiere würgen mich!
Gebt ihnen Flordelis in Gottesnamen,
Ich nehm' es auf mich, ich befehl' es, ich! –
Da gellt ein Pfiff; sobald sie den vernahmen,
Sofort ins Räuberschiff unweigerlich
Zurücke springen mit gesenkten Ohren
Die Hunde zu dem Größten von den Mohren.
Dies Zwischenspiel, geschwinder noch vorüber,
Als hier erzählt, erwies sich folgenschwer.
Man bringe schleunig Flordelis hinüber!
Herrscht nun die würd'ge Frau und wimmert sehr.
Schon von dem Schreck hab' ich ein Nervenfieber,
Und fließt hier Blut, sieht mich mein Sohn nicht mehr.
Zehn Frauen schaff' ich ihm für Eine wieder,
Doch wer ersetzt mir die gesunden Glieder?
Ist es ein Schimpf, der Uebermacht zu weichen?
Gebt sie heraus, die Unheilstifterin! –
Die Junker sehn sich an. Da mit Erbleichen
Tritt Flordelis vor ihre Schwieger hin.
Sind das, so ruft sie, Eurer Liebe Zeichen,
Die Ihr mir mütterlich gelobt vorhin?
Müßt Ihr, mich opfernd, nicht vergehn vor Scham
Vor Euerm Sohne, meinem Bräutigam? 52
O Ihr seyd ganz von Eigensucht versteint,
Und nicht ein Wort will ich an Euch verschwenden.
Doch ihr, die ihr dem Kleid nach Ritter scheint,
Ich weiß, ihr laßt es nicht so ehrlos enden.
Auf denn und kämpft! Ein Häuflein ist der Feind.
Gebt eine Waffe mir! Den schwachen Händen
Wird Stärke kommen von dem starken Gotte,
Daran zu Schanden wird die Räuberrotte!
So Flordelis, die Thränen der Empörung
Mit Flammen trocknend hohen Heldenmuths.
Schon aus der Ritter Augen blickt Erhörung,
Da ruft die Alte: Wollt ihr trotzen? Thut's,
Und lehnt euch auf in sträflicher Bethörung!
Doch fließt in euch kein Tropfen Fürstenbluts,
Wenn eurer Herrin ihr mit dreister Stirne
Die Treue brecht um eine Bürgerdirne! –
Und – mag, wer's kann, kaltblütig dieß erzählen –
Das völlig Niederträchtige geschieht.
Zwei Junker folgen diesen Schandbefehlen
Und führen sie ins feindliche Gebiet.
Ein Hohngeschrei schallt aus den Mohrenkehlen,
Als eilig drauf das Hochzeitschiff entflieht.
Der Kapitän ruft lachend: Großen Dank,
Und wohl bekomm' euch dieser Fastnachtschwank!
Und was sagt Flordelis? Verachtung stand
Auf ihrem Antlitz, das von Hoheit glühte.
Der Mohren Einer faßt sie an der Hand
Und führt sie stumm hinab in die Kajüte.
Dort auf dem seidnen Polster an der Wand
Zusammensinkt die holde Menschenblüthe;
Doch aus den Schrecken, die ihr Herz umdrohn,
Reißt plötzlich sie ein wohlbekannter Ton. 53
»O Flordelis!« – Und die Gefangne fährt
Verwundert auf aus ihrem wilden Gram.
Da steht, noch mit dem Säbel blank bewehrt,
Der Sarazen, der bei der Hand sie nahm.
Es scheint, daß irgend was sein Herz beschwert,
Den Turban wirft er ab, und – wundersam! –
Ein Wald von Haar fällt auf die Schultern dicht;
So wächs't er doch den Wüstensöhnen nicht.
Was Tausend! ruft mein Leser, wär's Cimon? –
Er ist's, so viel noch übrig ließ das Sehnen
Von seiner einst so stattlichen Person.
Demüthig kniet der Schelm von Sarazenen
Und fleht mit reuevoll zerknirschtem Ton:
O tragt sie mir nicht nach, die Schreckensthränen,
Die Ihr geweint um diesen wilden Scherz!
Nun wird ja Alles gut, geliebtes Herz! –
Ein junges Huhn, das schon im Maul der Katze
Sich völlig drein ergab, verspeis't zu werden,
Doch plötzlich ihr geraubt von rauher Tatze,
Vom Retter sich versieht der gleichen Fährden,
Und dann entdeckt an eines Feindes Platze
Den Hofhund, seinen besten Freund auf Erden,
Kann froher nicht als Flordelis erstaunen,
Da sich Cimon entlarvt in diesem Braunen.
Sie sieht ihn an vom Turban zu den Schuh'n,
Mit Augen lachend, die in Thränen stehen.
Drauf ernsthaft sich besinnend spricht sie nun:
Ich bin erstaunt, Euch hier und so zu sehen.
Cimon – was unterfingt Ihr Euch zu thun?
Wie hofft Ihr gut zu machen, was geschehen? –
Und er: Was kommen wird, bedacht' ich nicht;
Nur Euch zu retten, war mir heil'ge Pflicht. – 54
Retten? Wovor? – Du fragst noch, Flordelis?
Vor jenem aufgezwungnen Ehebunde,
Dem Elend, drein der Vater dich verstieß,
Dem Mann, den du nicht liebst im Herzensgrunde.
Wohl traf es ein, was Leonat verhieß:
Dies Junkervolk sei keck nur mit dem Munde.
Wer nicht für dich daransetzt Blut und Leben,
Darf er den Blick, die Hand zu dir erheben? –
Unsel'ger! rief sie aus, was muß ich hören?
Was für ein Irrsal häuft Ihr auf mein Haupt!
Habt Ihr dies Ehebündniß zu zerstören
Mit einem übermüth'gen Scherz geglaubt?
Und wollt' ich einem Mörder angehören,
Nun wohl, wer seid Ihr, daß Ihr Euch erlaubt,
In meines Lebens Schicksal einzugreifen,
Und vom Altare mich zurückzuschleifen?
Habt Ihr ein Recht auf mich? – Cimone schwieg
Und lag gesunknen Muths zu ihren Füßen.
Verbittert war ihm jetzt der freud'ge Sieg,
Ach, bittre Worte kamen von der Süßen.
Er sprach, indem sein Blut zur Wange stieg:
Ich hofft', Ihr würdet froher uns begrüßen,
Wenn wir der Hand des Fürsten Euch entzogen.
Man sagte mir, Ihr wäret mir gewogen.
Und Flordelis: Erhebt Euch auf der Stelle!
Verlaßt mich, denn ich höre wohl, Ihr ras't.
Seid Ihr noch heut der rohe Waldgeselle,
Wie einst, daß Ihr was Menschen ziemt vergaßt?
Wann war's – gesteht's und dann entfernt Euch schnelle –
Daß Neigung Ihr aus meinen Blicken las't?
Ihr wart mir immer fremd, und jetzo schlimmer
Als das – entfremdet seid Ihr mir für immer! 55
Noch fass' ich's nicht. Ist's möglich, daß Ihr dachtet,
Durch Raub ein freies Mädchen zu erringen?
Habt Ihr mich als ein Beutestück betrachtet,
Als ob wir so von Hand zu Händen gingen?
Und hätt' ich meinen Bräutigam verachtet,
Gehaßt, verwünscht – da doch von diesen Dingen
Ich keines that – nicht hätte Dankbarkeit
Mich überliefert dem, der mich befreit.
Auch Liebe nicht, wenn meines Vaters Segen
Dem Bunde fehlte, den ich selbst erwählt.
Mit welchem Antlitz geht Ihr nun entgegen
Den beiden Vätern, da Ihr so gefehlt?
Wie? dachtet Ihr, ein Frevel, so verwegen
An Mächtigen verübt, sei leicht verhehlt?
Und landen wir zuletzt in Rhodus an,
Was ist die Frucht der ganzen Thorheit dann? –
Er stand vor ihr in der Kajüte Zwielicht,
Von Scham und Reu' und Jammer wie berauscht.
Ich hätte, sprach er, wenn Ihr eingewilligt,
Noch hier an Bord mit Euch den Ring getauscht.
Die Väter hätten's endlich wohl gebilligt;
Wer bliebe taub, der Eurer Stimme lauscht!
Jetzt sag' ich nur, vergebt mir, was geschehn,
Und dann – lebt wohl auf Nimmerwiedersehn! –
So der Verzweiflung wehrlos hingegeben
Stürmt er hinaus. Am Bord bei vollen Flaschen
Sitzt traulich die Piratenschaar, die eben
Ihr Heidenthum sich vom Gesicht gewaschen.
Hoch lassen sie das neue Brautpaar leben,
Da tritt zu nicht geringem Ueberraschen
Der Mohr Cimone wie ein Nachtgespenst
In ihren Kreis, der vom Triumph erglänzt. 56
Nach Rhodus! ruft er. Alles ist vorbei –
Die Hoffnung todt, – mein Stern in Nacht begraben!
Ich log mir vor, daß ich ihr theuer sei,
Den Lügner soll das Meer zum Opfer haben! –
Doch eh er noch geendet, springt herbei
Freund Leonat zusammt dem raschen Knaben
Pedruccio, die mit allen Kräften ihn,
Den Rasenden, vom Bord zurückeziehn.
Zurück! ruft Leonat. Sind wir von Sinnen,
Daß wir den hellen Wahnsinn dulden sollen?
In so viel Zeit, als du verlorst da drinnen,
Hätt' ich wohl ihrer Zehn beschwatzen wollen.
Nach Rhodus? Traun, ein christliches Beginnen,
Sehr würdig einer Närrin, eines Tollen.
Bei meiner Mohrenschaft, das Sprichwort paßt da:
Viel Lärm und wenig Wolle. Damit basta!
Erst red' ich selbst mit ihr ein kurzes Wort.
Ihr steht inzwischen ein für diesen Kranken! –
Er lief hinab, und es erscholl sofort
Sein heftig Schelten durch die dünnen Planken.
Dann kam er wieder, wetternd: Höll' und Mord!
Sie will nach Cypern; doch sie wird mir's danken,
Zieh' ich es vor, mit diesen närrischen Käuzen
Erst noch ein Weniges herumzukreuzen.
Der Weiber Will' ist Wind, und Wind springt um.
Gedenkt an mich, es wird nicht lange dauern,
So bittet uns der Trotzkopf selbst darum,
Sie zu verloben diesem edlen Mauren.
Muth, Bruderherz! Es ist, verzeih mir's, dumm,
Uns ohne Noth hier etwas vorzutrauern.
Mein Seemannswort zum Pfand: Sie haßt dich nicht.
Steh auf, Cimon, und wasche dein Gesicht! 57
Allein kein Trost vermag ihn aufzurichten,
Stumm liegt er, wie entkörpert und entherzt.
Die Andern gehn an ihre Seglerpflichten,
Verstört, wie Leonat auch schilt und scherzt.
So treiben sie im Meer, als unter dichten
Sturmwolken plötzlich sich der Himmel schwärzt
Und, eh sie noch das Segel eingezogen,
Ein Wetter aufsteigt über Schiff und Wogen.
Die weite See heult auf vor seinem Grimme;
Klein ist die Mannschaft, guter Rath wird theuer.
Doch durch den Lärm dringt Leonatens Stimme
Und flößt in ihre Herzen neues Feuer.
Er sorgt, daß Jedem er sein Thun bestimme,
Er und Pedruccio wechseln ab beim Steuer;
Nach Cypern! ruft er. Niemals kam zu Schaden
Ein Fahrzeug, das ein Liebespaar geladen.
Doch sieht es heut um diese Schifferregel,
So tröstlich sie auch klingt, bedenklich aus.
Steil thürmen sich die ries'gen Wellenkegel,
In allen Fugen knirscht das leichte Haus.
In Fetzen flattert längst das große Segel,
Der Mast zersplittert, und der Wellengraus
Spült übers Deck wo der geschäft'ge Gischt
Cimon's moreske Farbe bald verwischt.
Denn unser Freund liegt völlig theilnahmlos,
Von allem Sturm und Drang wie abgeschieden.
Schläng' ihn hinab bis in der Hölle Schooß
Weltuntergang, er wär' es wohl zufrieden.
Indessen spürt er doch den Fersenstoß,
Den Leonat seemännisch ihm beschieden,
Und hört den Ruf: Auf von der Bärenhaut!
Hast du ein Herz, so rette jetzt die Braut! 58
Das wirkt, und bald verspürt das Element,
Wie Liebeskraft ihm trotzt aus Leibeskräften.
Ein Pflug, der scharf das zähe Brachland trennt,
Kann sichrer kaum sich an die Furche heften,
Als jetzt der Kiel, der seinen Meister kennt.
Wenn Nacht und Sturm den Steuermann nicht äfften,
Sie wären bald am Ziel. Doch leider wissen
Sie nicht den Curs mehr in den Finsternissen.
Um Mitternacht erst sehn sie an den Sternen,
Die des Gewitters Ungestüm besiegt,
Daß sie von Cypern stetig sich entfernen,
Da ungehemmt ihr Schiff nach Westen fliegt.
Was aber hilft's, daß sie die Richtung lernen?
Noch herrscht der Wind, und ihre Kraft versiegt
Je mehr und mehr. Nichts bleibt, als sich zu fassen
In Gottvertrauen und sich treiben lassen.
Ermattet zieht das Häuflein nach und nach
Die Ruder ein und legt zum Schlaf sich nieder.
Kaum daß ein Stoßgebet das Schweigen brach
Und lauer Wind mit tönendem Gefieder.
Cimone saß am Steuer ernst und wach,
Auch Leonat blieb aus, und hin und wieder
Horcht' in des Fräuleins Kammer er hinein;
Schon über Tag bracht' er ihr Speis' und Wein.
So ging die Fahrt. Kann Flordelise schlafen?
Fragt meine schöne Leserin in Sorgen. –
Sie schläft, so ruhig wie auf Epitaphen
Ein Marmorbild. Noch trifft der nächste Morgen
Sie auf dem Meer, doch endlich kommt ein Hafen.
Soviel verrath' ich; mehr bleibt noch verborgen.
Und damit heut genug. Wir wünschen nun
Dem Schiffsvolk wie dem Leser wohl zu ruhn! 59
Von einem Jüngling finden wir erzählt –
Mich dünkt, ich las beim Plinius die Stelle –
Den gottlos irre Leidenschaft beseelt
Zum Venusbild in heil'ger Tempelzelle.
Zuletzt, vom ruhelosen Wunsch gequält,
Stahl er die Göttin Nachts vom Fußgestelle,
Und trug sie fort in eine ferne Wildniß,
Mit Küssen frevelnd an dem hehren Bildniß.
Da öffnet' es die Marmorlippen strenge
Und sprach: Elender, du hast mißgethan!
Nur wer die Göttin in mir ehrt, bezwänge
Mein Herz vielleicht, ihm auch als Weib zu nahn.
Wer glaubt, daß er das Höchste sich erränge
Durch Eigenmacht, wird einen Stein umfahn! –
Sie schwand. Durch Priester ward die That verkündigt,
Denn steinern blieb der Mund, der sich versündigt. –
Die Sehnsucht mag ein Marmorbild beleidigen,
Doch ein lebendiges, das lacht und weint?
Wer möchte wohl Cimone's Wahn vertheidigen,
Wenn er als Tempelräuber sich erscheint!
Wir wissen, oft verfiel er schon dem leidigen
Unmaß, das ihm auch jetzt den Mund versteint,
Und ihm nach wohlbestandner Zeit der Lehre
An Lehrgeld kostet mehr als nöthig wäre. 60
Sobald sein Fuß nur erst das Land betreten,
Will er auf ew'ge Zeit auf und davon,
Zu Indern, Kopten, Persern, Massageten,
Nur wo noch fremd ist Frauentrotz und Hohn.
Erinnrung hofft er aus der Brust zu jäten
Wenn er nur erst dem Himmelsstrich entflohn,
Wo jene Sprache klingt, die ihm das Leben
Erweckt, um dann mit Gift ihn zu vergeben.
Bis dahin ach, noch einen langen Tag
Auf hoher See, nur durch ein Brett geschieden
Von ihr, die ihm durch Einen harten Schlag
Für immerdar geknickt den Lebensfrieden!
Doch einmal nur, als heitrer Mittag lag
Auf dem Verdecke, das sie sonst gemieden,
Taucht sie empor an der Kajütentreppe
Und überschaut des Meeres öde Steppe.
Er saß an seinem Steuer tief gebückt,
Kaum daß bei ihrem Anblick auf Secunden
Ihn eine flücht'ge Schmerzensgluth durchzückt;
Dann wieder hält die Lähmung ihn gebunden.
Das Mädchen fragt: Wohin sind wir entrückt? –
Wohin der Meister Wind für gut befunden,
Sagt Leonat; ein Segler ohne Mast
Treibt blindlings hin, wie ein Verliebter fast.
Doch, wenn mir recht ist, sind wir nun am längsten
So fortgetaumelt ins Gelag hinein.
Ihr braucht Euch, bestes Fräulein, nicht zu ängsten,
Auch führen wir noch sattsam Brod und Wein.
Mir ist um unsern Steuermann am bängsten;
Da sitzt er, wie ein Kauz im Sonnenschein.
Besinnt Euch, Fräulein, Eurer Christenpflicht
Und heilt mit einem Wort den kranken Wicht. 61
Ihr aber kommt der Evastöchter Kunst,
Sich taub zu stellen, allzu sehr gelegen.
Fast fürcht' ich, sie verscherzt sich eure Gunst,
Da sie so hart sich zeigt. Sei's ihretwegen
Euch denn bekannt: Es war ein blauer Dunst,
Wenn ich gesagt, daß sie des Schlummers Segen
Genossen wie ein Bild auf Epitaphen;
Mir fehlt' ein Reim auf »schlafen« und auf »Hafen.«
Dies mag uns wohl begegnen in Octaven,
Die, wie bekannt, sehr reimgefräßig sind.
Doch soll die kleine Lüge sich bestrafen,
Lasst mich's entgelten, nicht das gute Kind,
Das schon genug der Schicksalsschläge trafen.
War's Uebermüdung, war's der laute Wind,
Der grelle Mond mit blanken Wolkenschafen –
Genug, ein Etwas störte sie im Schlafen.
Doch um so kecker trieb der lose Traum
Sein Spiel mit ihr. Bald wandelt sie vergnüglich
An eines Mauren Arm am Waldessaum
Und spricht: Seid ihr so stark, holt unverzüglich
Den halben Mond herab vom Himmelsraum;
Doch prahlt Ihr nur, und unterlaßt es klüglich. –
Er aber langt hinauf und holt ihr ohne
Beschwer herab die riesigste Melone.
Kaum haben sie im Grase Platz genommen,
Und denken sich zu laben an der Frucht,
Sehn sie mit großem Hofstaat näher kommen
Den Fürsten, der die Braut im Walde sucht.
Von Angst fühlt plötzlich sie ihr Herz beklommen,
Hilf mir, Cimone! ruft sie, hilf zur Flucht! –
Allein verächtlich lächelt nur der Braune
Und bläs't alsbald ein Lied auf der Posaune. 62
Und Wunder! von des Liedes Zauberkraft,
Indeß die Töne tröstlich sie umfließen,
Wird flugs der Hofstaat in die Luft entrafft
Hoch durch den Wald, wo ihn die Zweige spießen.
Der höchste Ast fängt seine Fürstenschaft,
Wie Absalon; allein zum Glücke sprießen
Ihm nicht, wie dem, natürlich seine Locken,
Und kahl fällt er herunter, hocherschrocken.
Da lacht Cimon und lacht so ungeheuer,
Daß er sich augenblicks zu Tode lacht.
Auf einmal lischt des Mondes goldnes Feuer,
Und Flordelis steht einsam in der Nacht.
Ach, ihr zur Seite todt liegt ihr Getreuer,
Sie rührt den kalten Mund mit ihrem sacht,
Und da er nicht erwiedert ihren Kuß,
Entstürzt ihr bitterlich ein Thränenguß.
Am Kissen, das sie träumend naßgeweint,
Entsinnt sie morgens sich des Traumgesichts.
Ist sie nicht gänzlich vom Verdacht gereint,
Als fühle sie bei fremdem Unglück Nichts?
Wer so betrauert einen todten Feind,
Der hat ein Herz; aus ihren Thränen spricht's,
Und mahnt' auch wohl am Tag: Geh hin, zu spähen,
Ob er denn lebt, den Nachts du todt gesehen!
Nun gab der Aermste zwar kein Lebenszeichen,
Und daß er krank sei, sagt' ihr Leonat.
Doch, ließ sie gleich im Traume sich erweichen,
Nicht um die Welt wär' sie ihm jetzt genaht.
Zwar schmerzt es sie, doch thut sie nicht dergleichen;
Er büße nur, was er gesündigt hat!
Ja, hätt' er nicht die Ehre des Geschlechtes
In ihr gekränkt! Nun geh's den Lauf des Rechtes. 63
So trutzend geht das stolze Kind hinab
Und läßt sich über Tag nicht wieder sehen.
Was ferner noch sich bis zur Nacht begab,
Das zu berichten ist im Nu geschehen.
Man ließ das Schiff in seinem kurzen Trab
In Gottes Namen seiner Wege gehen,
Und war bemüht, durch Trinken, Singen, Lachen
Zum bösen Spiel ein gut Gesicht zu machen.
Es kam die Nacht und Land! erscholl es, Land! –
Fürwahr, Fortuna hält es mit den Dreisten.
Im Frühlingsnebel lag, noch unerkannt,
Die Küste da, der sie entgegenreis'ten.
Bald glitt das Schiff im Hafen an den Strand,
Wo viele Segler ankerten, die meisten
Ohn' ihre Mannschaft, die, wie alle Nächte,
In einer Hafenschenke saß und zechte.
Die Mannschaft auf dem Cyprier verspürte
Geringe Lust, das Handwerk zu begrüßen.
Sie lobte Gott, daß sie noch frisch sich rührte,
Anstatt in Jonä Wallfischbauch zu büßen,
Worauf sich Jeder einen Platz erkürte,
Dem Schlaf sein Recht zu thun, dem nie so süßen,
Der auch Cimone's Abschiedsungeduld
Und Reiselust vorläufig eingelullt.
So schliefen denn die unbußfert'gen Sünder
Den Schlaf, den sonst nur der Gerechte schmeckt.
Es hätte nicht ein Vierundzwanzigpfünder –
Wenn's damals welche gab – sie aufgeweckt.
Die Sonne kommt, ihr Schlaf wird nur gesünder,
Bis plötzlich wilder Lärm ihr Ohr erschreckt;
Unhöflich fühlen sie am Arm sich rütteln
Und sich begrüßt mit Fäusten und mit Knütteln. 64
Sie fahren auf, von Träumen noch umnebelt,
Und sehn das Schiff von fremden Menschen voll.
Man hat im besten Schlafe sie geknebelt;
Heischt man denn hier zu Land so barsch den Zoll?
Gefaßt darauf, daß man sie niedersäbelt,
Denn dieses Volk geberdet sich wie toll –
Wo sind wir? fragen sie. Und in der Runde
Erschallt's: In Rhodus, ihr Piratenhunde!
Wohl ist die Insel Rhodus der Bekanntschaft
Vor andern werth, mit manchem Reiz gesegnet.
Doch lieber, dünkt mich, wär' des Cyprers Mannschaft
Selbst einem schwimmenden Vulkan begegnet.
Denn da man jetzt unsänftlich sie ans Land schafft,
Und es zum Willkomm Hohn und Flüche regnet,
Sehn sie das Hochzeitschiff im sichern Hafen,
Mit dem sie gestern Wand an Wand geschlafen.
Muth, Jungen! ruft nun Leonat und lacht
Aus vollem Hals, noch sind wir unverloren.
Der Witz, den Meister Zufall hier gemacht,
Gehört zu seinen trefflichsten Humoren.
Er wird auch ferner Spaß verstehn, gebt Acht;
Zum Hängen sind wir Alle nicht geboren.
Die Biedermänner werden mildgesinnt,
Wenn sie erfahren, daß wir Christen sind.
Ja wohl, ihr werthen Freund' und Nachbarsleute,
Wir ruhn mit euch in Einer Kirche Schooß.
Aus Cypern sind wir, gute Christenhäute
Und in dem Seeraub Dilettanten bloß.
Und wenn mich einer Tag und Nacht zerbläute,
Kein Wörtlein Maurisch schlüg' er von mir los.
Kurz, Alles war nur eine Maskerade,
Die uns verwünscht langweilig wird nachgrade. 65
Wer aber hört auf ihn, da insgesammt
Die Blicke sich nach Flordelisen wenden.
Die Lieblichkeit, die diesem Aug' entflammt,
Muß ihren Strahl in alle Seelen senden.
Gebenedeit die Mutter, der entstammt
Ein solches Kind! so flüstert's aller Enden.
Die Weiber heben auf den Arm die Kleinen,
Und Jeder neigt sich, sieht er sie erscheinen.
Sie aber spricht zu den verstummten Schaaren:
Ich bitt' euch sehr, gebt die Gefangnen frei!
Ihr seht, sie sind nicht wirkliche Corsaren;
Was sie gethan, es war kein Arg dabei. –
Drauf Einer: Frau, man darf Euch nicht willfahren;
Wir haben strenge Hafenpolizei.
Wollt Ihr im Ernst für diese Schelme flehn,
So müßt Ihr schon bis an den Fürsten gehn.
In tiefes Sinnen nun versenkt durchschreitet
Die Lilienblume rasch den Gafferschwarm,
Der ehrfurchtsvoll sie in die Stadt begleitet.
Sie aber schweigt, indeß ihr Blick voll Harm
Oft zu dem Häuflein der Gefangnen gleitet,
Die hinter ihr, gefesselt Arm an Arm,
Mißhandelt von des Hochzeitschiffs Matrosen,
Trübselig schlendern in den türk'schen Hosen.
Nach trug man ihnen als des Tags Trophäen
Cimon's Posaun', und Becken, Pauken, Geigen.
Gesenkten Haupts die beiden Hunde gehen,
Noch seekrank von der Fahrt, in dumpfem Schweigen.
Ihr Herr ist nicht gelaunt, sie anzusehen;
Er selber schließt halb wie im Traum den Reigen,
Nur Leonat schwatzt noch die tollsten Dinge,
Als ob er wohlgemuth spazieren ginge. 66
So wälzt der Strom sich fort in dunklen Wogen,
Bis er zum See sich auf dem Markte staut.
Hier, von feudalem Zinnenkranz umzogen,
Stehn fürstliche Paläste stolz erbaut.
Von den Altanen, aus den Fensterbogen
Spähn tausend Augen nach der fremden Braut,
Und sieh, ein Flügelthor fliegt auseinander
Und durch die Menge läuft es: Fürst Lysander!
Die Stufen nieder seine Mutter führend
Steigt er herab, ein jugendlicher Mann,
Dem jener Traum, das Haupthaar ihm entführend,
Verleumderisches Unrecht angethan.
Die Fürstin neben ihm blickt mit gebührend
Vornehmer Kälte die Piraten an,
Worauf sie, da die Braut zu Boden sieht,
Sie zärtlich in die Mutterarme zieht.
Erlauchte Tochter, spricht sie, seid willkommen,
Und hochgelobt der Herr, der unser Haus
So sichtbarlich in seinen Schutz genommen!
Den Dank dafür sprech' ein Tedeum aus.
Mein Herz ist mir in Thränen fast zerschwommen,
So oft ich sah ins öde Meer hinaus.
Es trug bereits Hoftrauer, süße Lilie,
Um Euch die ganze fürstliche Familie.
So sprach die Gute. Schweigend stand ihr Sohn.
Von seinen blassen, jünglingshaften Zügen
Schien alle Freudigkeit hinweggeflohn,
Und auch die Kraft gebrach, sie nur zu lügen.
Mein Fürst . . .! haucht Flordelis mit leisem Ton.
Da war's, als ob die Worte weckend schlügen
An eines Schläfers Ohr. Still blickt er auf
Und mit umflorter Stimme spricht er drauf: 67
Fast fing ich an, der Hoffnung zu entsagen,
Euch je zu sehn, mein holdes Ehgemahl.
Zwar sandt' ich, den Piraten nachzujagen,
Fünf Segler aus beim frühsten Morgenstrahl,
Doch wähnt' ich unerreichbar Euch verschlagen.
Nun trieb durch Huld des Himmels aus der Zahl
Der drei Piratenschiffe dies gerade,
Das Euch entführt, ans rhodische Gestade. –
Da tritt, sich höflich neigend, Leonat
Den Andern vor und spricht: Erlauchter Fürst,
Ich weiß nicht, was man dir berichtet hat,
Und minder noch, ob du mir glauben wirst.
Doch wähnst du noch Mitschuld'ge dieser That
Auf andern Schiffen, so vernimm: du irrst!
Wir waren, Herr, und sind bis diese Stunde
In Allem nur zwölf Menschen und zwei Hunde.
Und da ich doch einmal das Wort ergriffen,
So laß mich, edler Fürst, noch dieses sagen:
Ich gebe zu, der Scherz war ungeschliffen,
Wie eben Kaufmannssöhne sich betragen,
Die unter ihren Fässern, Ballen, Schiffen
Jahraus jahrein sich mit Matrosen plagen.
Doch trieben wir's zu wild und tölpelhaft,
War desto zahmer deine Ritterschaft.
Ein Hochzeitsbrauch, in Cypern unvergessen,
Ist's, eine Braut dem Freier wegzufangen.
Doch weß wir uns im Scherze nur vermessen,
Das ließ man höflich uns im Ernst erlangen.
Die Braut kam mit dem Schreck davon. Indessen
Urtheile selbst nach diesen Rosenwangen
Und laß von diesem schönen Mund dir sagen,
Wie sorgsam wir, wie sittsam uns betragen. 68
Drum, überschlagen wir Gewinn und Schaden,
Scheint die Bilanz zu stimmen beiderseits.
Nur unser Segler hatt' es auszubaden,
Doch dem geladnen Gut geschah kein Leids.
Und so, mein Fürst, entlaß uns denn in Gnaden.
Wenn du uns hängst, was thust du da Gescheits?
Denn Lösung zahlen unsre Väter ehrlich
Für lebende, für todte Söhne schwerlich. –
Kaum hat er ausgeredet, als Cimone
In edler Wallung ausruft überlaut:
Mein ist die Schuld, erlauchter Fürst! verschone
Die mir zu Liebe sich dem Meer vertraut!
Begnade sie, und deiner Huld zum Lohne
Vernimm die Wahrheit, daß ich dir die Braut
Nicht nur zum Scherz, nein, in dem Aberglauben,
Sie sei mir hold, gesonnen war zu rauben. –
Schweigt! fällt die Fürstin Mutter ihm ins Wort.
Es ziemt Uns nicht, mit Räubern Pacte machen.
Führt in den Thurm die ganze Bande dort,
Die morgen wird zum letztenmal erwachen! –
Da pflanzt sich durch das Volk ein Murren fort,
Dazwischen flackert auf ein höhnisch Lachen,
Doch ehe Zorn und Mitleid Worte finden,
Sieht man die Herrschaft im Palast verschwinden.
Den Dreien folgt ein dumpfverworrnes Tosen,
Indessen Leonat dem Volk umher
Zum Besten giebt, gewürzt mit vielen losen
Spottreden, ihren Raubzug auf dem Meer.
Schon drängt man drohend sich um die Matrosen,
Die frischen Jungen finden mehr und mehr
Partei im Volk, – da kommen von den Treppen
Bewaffnete, die sie zum Kerker schleppen. 69
Wie im Gewitter Milch zusammenläuft
Und sich in Klumpen ballt, so sehn die Zinnen
Die Menschenflut, die unten sich gehäuft,
Zu kleinen Gruppen alsobald gerinnen.
Die Sonnenglut, die schwer vom Himmel träuft,
Lös't sie nicht auf, kaum spülte sie von hinnen,
Der sonst versteht, Aufrührer heimzufegen,
Der alte Friedensfreund – ein derber Regen.
Jetzt aber thut ein schlimmer Demagoge
Aus dieser stummen Gährung sich hervor.
Mit grimmen Augen aus dem Volksgewoge
Schwingt er sich hoch zum Brunnenrand empor.
Ein Volkstribun, nur ohne Stab und Toge,
Sät er des Hasses Saat in jedes Ohr.
Mitbürger! ruft er, Freunde! Sind wir Memmen,
Daß wir Gewaltthat sehen und nicht hemmen?
Zeit dünkt es mir, daß man ein Ende mache
Mit diesen Herrn und allen ihres Schlages.
Ist Jemand hier, der dieses Fürsten Sache
Verfechten mag – er trete vor und sag' es!
Wer aber meint, ich führte diese Sprache
Der eignen Kränkung eingedenk, der mag es!
Ich hass' ihn, ja, ich hehl' es euch mit nichten,
Und all mein Trachten ist, ihn zu vernichten.
Was soll ich hehlen, was ihr Alle wisst,
Daß meiner Schwester er die Eh' versprochen,
Doch weil sie arm und nicht von Adel ist,
Zuerst sein Wort und dann ihr Herz gebrochen?
Von Adel nicht? O der armsel'gen List!
Er wird nicht ferner auf den Adel pochen,
Seit seine Fürstlichkeit, so hochgeboren,
Die Kaufmannstochter zum Gemahl erkoren! 70
Erkoren? Nein, erkauft, erpreßt, erzwungen.
Ist eine Braut, die willig kommt, so blaß?
Und hörten wir nicht Alle selbst den jungen
Cypreser, der der Jungfrau Herz besaß?
Das hohe Fest wär' auch nur halb gelungen,
Wird seinethalb kein andres Auge naß.
Was ballt ihr doch die Faust, ihr guten Leute?
Ein Lustspiel ist's: Zwei Opfer und zwei Bräute! –
So pfeift es aus! hub Einer an zu schrein,
Den Gott mit wackrem Lungenpaar gesegnet.
Das Heldenstück blies ihm die Mutter ein;
Sie schütz' ihn nun, wenn's faule Aepfel regnet! –
Ja, rief ein Andrer, legen wir uns drein,
Eh man auch uns in gleichem Stil begegnet;
Nur schont der armen Puppe, schont Lysanders;
Das Muttersöhnchen kann und darf nicht anders. –
Ihn schonen? braus't nun auf der erste Sprecher.
Ihm doppelt Fluch, der zu der Mutter Schürze,
Ein feiges Kind, sich flüchtet vor dem Rächer!
Euch aber frag' ich hier, erklärt in Kürze:
Wollt ihr, daß ferner noch den üpp'gen Becher
Der Tyrannei des Elends Thräne würze?
Seht ihr's mit an, daß zwölf blutjunge Seelen
Sich morgen mit des Seilers Braut vermählen? –
Nein! scholl's im Haufen, nein, Valerio!
Wir dulden's nicht! Zur Hölle die Tyrannen! –
Und Jener höhnte: Oft schon rieft ihr so;
Doch schickt die Fürstin eine handvoll Mannen,
So springt ihr weg, wie Körner aus dem Stroh
Vor ein'gen Flegeln. Lauft auch heut von dannen,
Hockt bei den Weibern, spreizt euch in den Schenken
Und schwört, es nächstens ihnen einzutränken! – 71
Dieß riß entzwei die Bande der Geduld,
Die noch die Leidenschaft umschnürt gehalten.
Los brach rings um den Brunnen der Tumult,
Daß die Paläste zitternd wiederhallten.
Doch eh sich uns die Scenen alter Schuld
Zur Sühnung, wie zu hoffen steht, entfalten,
Geleit' ich euch zu einer kurzen Rast
Dem jungen Paare nach in den Palast. – –
Harmloses Lied, wohin bist du verschlagen?
Zu dunkler Tragik wandelt sich dein Spiel.
Die richterliche Binde sollst du tragen,
Statt jenes Kranzes, der dir wohlgefiel.
Dein Knappe Scherz muß seinem Dienst entsagen,
Denn auf dem Gang zu einem dunkeln Ziel
Folgt dir ein andrer nach, das Schwert in Händen,
Und bange fragen wir: Wie wird sich's enden?
Nach fernen Zielen hat der Mann zu schweifen,
Und wo des Lebens Sturm am stärksten braus't,
Die Frucht des Glückes sich vom Baum zu streifen
Mit festem Geist und mit entschlossner Faust.
Das Weib soll nicht hinaus ins Weite greifen,
Auch wenn ihr kaum vor dreistem Wagen graus't;
Sie harre, bis ein treuer Arm den Segen,
Der sie beglückt, ihr will zu Füßen legen. 72
Doch nicht umsonst weissagt in ihren Sinnen
Ein feiner Geist den Werth von jeder Frucht,
In welcher labend lautre Säfte rinnen,
Und welche tückisch wirkt des Lebens Flucht.
Mit ganzer Seele werfe sie von hinnen,
Was lachend roth sie zu verderben sucht.
Ist ihr verwehrt, zu wetten und zu wagen,
So wage sie das Eine: Nein zu sagen.
Denn wo der Mann im Drucke fremder Pflichten
Sich selbst verliert, dem Ganzen sich zu weihn,
Da soll das Weib nie auf sich selbst verzichten,
Nie mit dem eignen Herzen sich entzwei'n.
Ihr Amt ist, diese Schattenwelt zu lichten
Mit lieblich ungebrochnem Sonnenschein;
Vom Streit des Tags durch ihren Herd geschieden,
Ist sie den Ihren Freude, Trost und Frieden.
Nachdem ich dieser Weisheit mich entledigt –
Und warum paßt' in unser buntes Lied
Nicht zur Veränderung auch eine Predigt –
Vernehmt, wie ich ins Predigen gerieth.
Ich dacht' an Flordelis. Ach, nicht entschädigt
Die Fürstlichkeit, der sie entgegenzieht,
Nicht aller Glanz, dazu sie auserkoren,
Die arme Seele, die sich selbst verloren.
Doch was zuvor in rathlos öden Stunden
Als ein unselig Schicksal vor ihr stand,
Daß fremd sie an den Fremden sich gebunden,
Als eine Schuld hat sie es nun erkannt.
Und nicht genug der tiefen Seelenwunden,
Die ihr die Neue schlägt! Ach, sie empfand,
Umlodert von Cimone's Liebesfeuer,
Zu tief, wie sehr ihr der Verstoßne theuer. 73
Zu tief, als daß sie, was so selig schmerzt
Und vollends sie zerstört, sich nicht gestehe.
Doch hat sie denn unrettbar sich verscherzt?
Macht nicht des überkühnen Freundes Nähe,
Sein wilder Todesmuth auch sie beherzt? –
Es ist zu spät, und ob sie untergehe –
Sie sprach ein Jawort, ohn' ihr Herz zu fragen,
Das Frauenrecht verlor sie, Nein zu sagen.
Nun steigt sie bleich am Arme des Gemahles
Empor die hallend weiten Marmorstiegen.
Er aber führt sie zu des Ahnensaales
Gewölbtem Fenster. Ihr zu Füßen liegen
Die Gärten in der Pracht des Morgenstrahles
Und fern das Meer, auf dem sich Gondeln wiegen;
Ein lachend Bild! Und doch verklärt es nicht
Dem jungen Paar Gemüth und Angesicht.
Was ist dem Fürsten? Jetzt am Fenster lehnen
Und in die Wolken spähn, ist's wohlgethan?
Ziehn jene Fernen, die sich vor ihm dehnen,
Mehr als die nahe Lieblichkeit ihn an?
Wär' es nicht schicklich, statt hinauszusehnen,
Mit Gruß und Kuß die Gattin zu umfahn?
Ist's um die Mutter, daß er's noch verschiebt?
Wer aber denkt an Mütter, wenn er liebt!
Und diese Gute läßt zum Ueberflusse
Dem jungen Ehepaar die schönste Ruh,
Beschaut die Teppichschilderei in Muße
Und füttert dort im Ring den Kakadu.
Doch jetzt mit schlecht verhohlenem Verdrusse
Kehrt sie sich rasch den stummen Beiden zu:
Ihr seid so still, mein Sohn, und Ihr nicht minder.
Wollt ihr ins Freie wandeln, meine Kinder? 74
Und Flordelis: Wie soll ich heiter blicken,
Wenn Jene, die mir werth, gefangen sind?
Wie soll mein Herz sich in die Fremde schicken,
Wo mir der Tag so schreckenvoll beginnt?
Lös't diese Sorgen erst, die mich umstricken!
Ach, Ihr seid anders, als Ihr sprecht, gesinnt;
Ihr werdet nicht, Ihr könnt es nicht vollziehen
Das Blutgericht; laßt meine Freunde fliehen!
Dieß stellet Uns anheim, ich bitt' Euch sehr!
Spricht kühl die Fürstin. Kommt, Ihr seid ermattet;
Wir senden Euch die Kammerfrauen her
Zu Euerm Dienst. Hernach, wenn Ihr gestattet,
Geleiten wir Euch in den Park ans Meer.
Die kleine Wolke, die Euch überschattet,
Wird Ruhe, Pfleg' und Blumenduft zerstreuen,
Und auch der Fremde lernt Ihr Euch erfreuen. –
Es kämpft in ihr, als sie den Worten lauscht,
Tiefathmend steht sie da und blickt hinaus.
Da hört sie, wie die Fürstin näher rauscht,
Und alles Weh bricht unaufhaltsam aus.
Nein, spricht sie hocherglühend, nicht vertauscht'
Ich auch mein Herz so wie mein heimisch Haus;
Ich werde nie von der Gewohnheit scheiden,
Beim Unglück meiner Freunde mitzuleiden.
O gebt sie frei, ich flehe noch einmal,
Bestraft die That nicht, die Euch nicht verletzte!
Auf dieser Insel wandeln würde Qual,
Wenn nur ein Tropfen ihres Bluts sie netzte.
Es ist die erste Bitte, mein Gemahl;
Schlagt Ihr sie ab, leicht würd' es meine letzte,
Denn einem Menschen wollt' ich mich verbinden,
Nicht einen Fürsten nur hofft' ich zu finden! – 75
Und jetzt, vom Estrich, wo es wankend irrte,
Hebt sich Lysanders Auge schwermuthsvoll.
Er spricht: Könnt' ich Euch kränken in der Myrte,
O so verdient' ich ewig Euern Groll.
Vergebt, wenn Manches mir den Sinn verwirrte,
Was nun, ich hoff' es, von mir weichen soll.
Bis heut zu sehr dem innern hingegeben,
Bin ich ein Neuling noch im äußern Leben.
Nein, gute Mutter, laßt mich reden jetzt!
Es ist nicht Alles hier, wie sich's gebührte.
Im Tiefsten hat die Kunde mich verletzt,
Daß solch ein Häuflein meine Braut entführte.
Habt Ihr die Macht der Räuber überschätzt –
Ihr seid ein Weib. Doch daß kein Schwert sich rührte,
Den Uebermuth gebührend heimzusenden,
Wird unser Haus beschimpfen allerenden.
Und jetzt – soll ich die eine Schande krönen,
Mit neuer Schmach, Entwaffnete zu morden?
Wir dienen keinem Gott, den zu versöhnen,
Man Blut vergießt, wie jene Scythenhorden.
Nein, Mutter! Wohl geziemt es frommen Söhnen,
Wenn ihre Mannheit reif und mündig worden,
Mit aller Ehrfurcht vor der Mutter Willen,
Die Herrscherpflicht als Männer zu erfüllen.
Erblassend stand die Fürstin, plötzlich ärmer
Um einen Thron, vom eignen Sohn belehrt,
Daß sie verarmt. Ihr werdet warm, und wärmer,
Spricht sie mit Müh', als diese Sache werth.
Nicht allzu mündig scheint der weiche Schwärmer,
Der unter Myrten schlafen läßt das Schwert.
Ihr aber, Fürstin, laßt aus Euerm Wesen
Nicht Schlimmeres als Mitgefühl mich lesen! 76
Den Saal durchmessend, heftig, fährt sie fort:
O recht! Zur Last wird langerprobte Treue.
Was gilt dem Manne noch ein Mutterwort?
Dem welken Alten trotzt das glatte Neue.
Ich seh's, ich bin zuviel an diesem Ort,
Ich weiche willig. Möge nie die Reue
Dir nahn, mein Sohn, auf schlummerlosem Kissen
Und diesen Tag dir wecken im Gewissen! –
Wie sprecht Ihr, Mutter? hub er traurig an.
Hab' ich Euch nicht in allen meinen Tagen
Oft mehr als ich gesollt zu Lieb gethan?
Säumt' ich den liebsten Wünschen zu entsagen
Um Euch? Ungern erinnr' ich Euch daran,
Ihr aber zwingt mich selbst mit Euern Klagen.
Nun faßt Euch, gute Mutter, seht es ein,
Wir dürfen hier nicht strenge Richter sein!
Ein warmer Blick von Flordelis vergütet
Ihm dieses Wort. Da, während ob den drei'n
Im kühlen Saal ein peinlich Schweigen brütet,
Stürmt einer aus der Vetternschaft herein.
Der Pöbel, spricht er hastig, droht und wüthet
Und schickt sich an die Cyprer zu befrei'n.
Hinab, mein Fürst! Vernahmt Ihr nicht hier oben,
Wie die Besessnen am Portale toben? –
Und wie in Lüften hoch ein Brausen klingt,
Wenn Kranichschwärme überm Walde wandern,
Hört man den Aufruhr, der herüberdringt:
Heraus die Cyprer! Nieder mit Lysandern! –
Wohl, spricht der Fürst, laß sehen, wer uns zwingt!
Ruft unsre Nachbarn auf, beschickt die andern
Vom Adel; mir bringt meinen Damascener! –
Es ist zu spät, spricht achselzuckend Jener. – 77
Wann wär's zu spät, als Mann sich zu bewähren?
Fährt heiß Lysander auf. O, ihr zumal,
Ihr thätet wohl, die schlimmverscherzten Ehren
Rückzuverdienen heut mit tapferm Stahl.
Wie? was ich selbst bereit war zu gewähren,
Abtrotzen will man's? Gehn mir auf einmal
Die Augen auf, wohin es kam, indessen
Ich über Büchern jahrelang gesessen?
O Mutter! – Doch der Andre flüstert scheuer:
Erwägt es, Fürst: Valer schürt diese Glut;
Auch Eure Diener sind dem Pöbel treuer,
Als Euch, und unsern Nachbarn sank der Muth,
Denn der Empörer Zahl schwoll ungeheuer! –
Jach von Lysanders Wange wich das Blut.
Dann sprach er dumpf: Auch das! Es ahnte mir,
Die Neige müsst' ich leeren; – gehen wir! – –
Jetzt, da man auf dem Markt schon wetzt die Dolche,
Laßt uns nach den gefangnen Freunden sehn.
Ein Kerker schließt sie ein, zu schlecht für Solche,
Die nur als Sonntagsräuber kapern gehn.
Zwar giebt es keine Schlangen, Ratten, Molche,
Doch kann ein Mann darin nicht grade stehn.
Hier liegt die Schaar beisammen, kummervoll,
Daß Jugend nicht vorm Tode schützen soll.
Auch Leonat ist nicht zum Scherz gestimmt,
Allein zum Schelten bleibt er unverdrossen.
Wenn, brummt er, dies ein albern Ende nimmt,
Wem dankt man's, als Cimones Tugendpossen?
Wenn dir dein Lebenslicht zu lange glimmt,
Wer heißt dich, uns den Leuchter umzustoßen?
Was konnten wir durch Ehrlichkeit erlangen?
Hier heißt es: Mitgegangen, mitgehangen. 78
Hatt' ich nicht Trumpf gemacht aus unsern Karten,
Und standen nicht die Andern wie die Tröpfe?
Allein Freund Tölpel kann es nicht erwarten,
Daß ihm der Henker das Geblüte schröpfe.
Bei Satans Lung' und Milz! wenn ich im Garten
Der Welt je wieder freien Athem schöpfe,
So soll'n die Ohren durch den Hut mir wachsen,
Misch' ich mich wieder in verliebte Faxen.
Doch horch! da draußen tos't und donnert's dumpf,
Als käm' das Meer aufs Land um uns zu retten.
Nur Schade, daß im allgemeinen Sumpf
Auch wir dann untergehn in unsern Ketten. –
Ein Andrer aber lauscht' und rief: Triumph!
Das Volk kommt uns zu Hülfe, will ich wetten.
Schon draußen raunte mir ein Bürger zu:
Seid unbesorgt, daß er euch Leides thu'!
Und eh dem Zaun der Zähne dieß entflohn,
Knarrt schon die Thür, und es erscheint vor ihnen
Ihr Zwingherr, Fürst Lysander, in Person,
Mit tiefem Ernst in seinen bleichen Mienen.
Er spricht in ruhig würdevollem Ton:
Die Fürstin bat für euch; um ihr zu dienen,
Gestatten wir euch Allen heimzureisen,
Sobald ihr wollt. Nehmt ihnen ab die Eisen!
Zeigt euch dem Volke, das euch wohlgesinnt,
Und sagt es ihm, daß euch der Fürst begnade. –
Er sprach's und ging. Von daher weht der Wind?
Lacht Leonat; an uns ist jetzt die Gnade?
Nun denn, wenn wir die Retterengel sind,
Wär's um den Beutel meines Vaters Schade.
Wer noch von Lösung redet, ist ein Pinsel;.
Man liebt uns nicht umsonst auf dieser Insel. 79
Cimon, nur diesmal hab' ein Gran Verstand
Und zeige, daß du stammst von Kaufmannsblut! –
Doch unser Freund ist schon hinausgerannt
Und hört im Corridor des Volkes Wuth.
Er kommt zum Flur, wo bang beisammen stand
Die Dienerschaft, die Fürstin Mutter ruht
Im Sessel sprachlos und die Junker alle
Gehn wenig heiter auf und ab die Halle.
Dort an dem Pfeiler lehnend ohne Regung
Steht Flordelis, er aber sieht vorbei;
Denn vor dem Thor in wallender Bewegung
Tobt noch das Volk mit Steinwurf und Geschrei.
Und jetzt, indem er umblickt, in Erwägung
Ob keine Waffe hier zu Handen sei,
Sieht er am Boden bei den Schiffstrophäen
Die alte Freundin, die Posaune stehen.
Mit ihr bewehrt, reißt er die Pforten auf
Und dämmt zurück das trotzige Gedränge.
Den ganzen Markt bis zum Palast hinauf
Füllt Kopf an Kopf die ungestüme Menge.
Dreimal posaunt Cimon, und gleich darauf
Schweigt jeder Lärm. In seiner vollen Länge
Steht unser Freund allsichtbar auf der Schwelle,
Schwingt die Posaun' und ruft hinunter helle:
Geht heim, geht heim! Was habt ihr hier zu schaffen?
Wer hat zu unsern Rettern euch berufen?
Seh' ich noch Fäuste ballen, Steine raffen,
So fegt euch die Posaune von den Stufen.
Den Frieden brachen wir mit blanken Waffen,
Nun trifft uns Unheil, das wir selber schufen.
Thut nicht der Fürst nach seinen Fürstenrechten,
Die Straßenräuber auf das Rad zu flechten? – 80
Also Cimon. Die guten Leute starren
Den Redner an, als spräch' er aus dem Schlafe.
Ward je herab vom Armensünderkarren
Docirt: das Recht des Sünders sei die Strafe!
Doch schäumend ruft Valer: Was? sind die Narren
So lebensmüde, so geduld'ge Schafe?
Wir sind es nicht, und hält man uns für Hunde,
Wir zeigen, daß wir Wölfe sind, zur Stunde.
Heran, und reißt in Trümmer den Palast,
Das Nest der Tyrannei! – So ruft der Grimme.
Da fühlt er plötzlich seinen Arm umfaßt,
Und bittend hell klingt eine Mädchenstimme:
Halt ein, Valer! Wenn du Besinnung hast,
O so verschlimmre nicht in Wuth das Schlimme.
Laß nicht im Himmel unsre gute Sache
Zur schlechten werden durch die eigne Rache.
Ihr alle, Freund' und Nachbarn, hört mein Flehn
Und helft den armen Bruder mir beschwichten!
Denn was mir auch vom Fürsten Leids geschehn,
Ich bitte Gott, in Gnaden ihn zu richten.
Wohl ist's mein Tod, ihn neuvermählt zu sehn,
Doch will ich eh' auf's Leben selbst verzichten,
Als ihn, der einst mein ganzes Herz besaß,
Gemordet sehn durch meines Bruders Haß! –
So rief das Mädchen. Eine Stille war –
Ein fallend Laub vernähme jedes Ohr.
Cimon, bestürzt, ergriffen wunderbar,
Senkt rathlos nieder das Posaunenrohr.
Da neben ihm mit Augen sonnenklar
Tritt Flordelis aus dem Palast hervor.
Wo ist sie, ruft sie aus, wo ist die Arme?
Hier öffnen sich nach ihr zwei Schwesterarme. 81
Und wie sie jetzt das blonde Haupt gewahrt,
Die sanften Augen, die sie staunend grüßen,
Eilt sie durchs Volk, das sich zur Seite schaart,
Hinab, Valeria ans Herz zu schließen.
Nein, spricht sie, diesen Augen sei's erspart,
Um meinethalb in Thränen zu zerfließen;
Dein Recht ist älter, heiliger und fester;
Mein Recht ein Unrecht; nimm es von mir, Schwester!
Nicht Großmuth schein' es dir, wenn ich ihn räume
Den Platz, von dem ich schuldlos dich verdrängt.
Nie hab' ich meines Herzens liebste Träume,
Die Seele nie an diesen Mann gehängt.
Ich preise Gott, daß er durch weite Räume
Des Meeres meinen Fuß hieher gelenkt.
Ein schweres Unglück hoff' ich zu verhüten,
Und was du littest liebend zu vergüten.
Wenn dich der Fürst der Armuth halb verschmähte,
Sei dein der Brautschatz, den ich mitgebracht.
Nein, weigr' es nicht, als ob ich Großes thäte;
Du gabst mir mehr, du hast mich frei gemacht.
Und immer, wenn ich jetzt zum Himmel bete,
Sei dein, als meiner Retterin gedacht! . . .
Hier unterbrachen Thränen ihre Rede,
Und Mund auf Mund sich küssend weinte Jede.
Da hob sich auf dem Markte buntgemischt
Ein Sturm von Jauchzen, Schluchzen, Beifallstoben.
Manch einer ist, der sich die Augen wischt,
Und ringsum hört man Flordelise loben.
Wohl ist's ein Anblick, der das Herz erfrischt,
Wie sich die Zwei, die Locken dichtverwoben,
Von Rührung glühend aneinanderpressen
Und wie verzückt die Welt umher vergessen. 82
Und als nun Hand in Hand sich innig fassend
Die Mädchen schreiten zum Pallast empor,
Die Eine strahlend, hold in Scheu erblassend
Die Andre naht dem hochgewölbten Thor,
Da tritt, die Mutter ihren Frauen lassend,
Lysander stürmisch aus der Halle vor:
Du bist's! du kommst! du konntest mir vergeben!
Aus welchem Irrsal rettest du mein Leben!
Geliebte! Weib! Ich seh', ich halte dich! –
Und an die Brust der Treuen sinkt sein Haupt.
Fürst, fleht sie leise, Liebster, schone mich!
Wohl weiß ich, welche Macht dich mir geraubt.
Doch daß dein Herz nie von dem meinen wich,
In allen Schmerzen hab' ich's fest geglaubt.
Ach, hoffst du nun der Mutter Sinn zu wenden? –
Ernst blickt er auf: Unwürd'ges will ich enden!
Dann, an der Hand sie haltend, frei und sicher
Spricht er zum Volk: Horcht auf, denn ich will reden!
Mir ist bewußt, daß ich in freventlicher
Melancholie ließ wuchern alte Schäden.
Doch dieser Druck – von meinem Geiste wich er.
Ans Leben neu geknüpft mit starken Fäden
Fühl' ich mir Kraft, in Neigung Haß zu wandeln
Und als ein Fürst an meinem Volk zu handeln.
Doch nicht der Aufruhr ist es, der mich zwingt,
Daß ich die schwerempfundne Schuld vergüte;
Es ist, die brennend mir zu Herzen dringt,
Hier dieser Jungfrau reine Seelengüte.
Euch, Freundin, die Ihr mir die Gattin bringt,
Dank' ich's in unvergeßlichem Gemüthe.
Der Himmel mög' im würdigsten der Gatten,
Worauf Ihr heut verzichtet, Euch erstatten. 83
Zur Stunde soll ein Schiff die Anker lichten,
Vom heil'gen Vater uns Dispens zu bringen.
Und wollt Ihr mich insonders hoch verpflichten,
Verweilt bis sie die Hochzeitsmesse singen;
Dann mögt Ihr heimwärts die Gedanken richten.
Heut bleibt noch Eins zu thun vor allen Dingen:
Hier meine Hand, Valerio, schlag ein,
Und was dich kränkte, laß vergessen sein! –
Hoch! donnert jetzt das Volk, sie leben hoch!
Und aus dem Schloß mit Becken, Trommeln, Geigen
Fällt ein der Tusch. Die Cyprer wollten doch
Auch ihres Theils versöhnlich sich bezeigen.
Da tritt zu Freund Cimon, der immer noch
Versunken steht in hoffnungslosem Schweigen,
Die Lilienblume. Bester, sagt sie leise,
Wir rüsten, wenn es Euch gefällt, die Reise.
Dies hört die Fürstin, aus der Ohnmacht eben
Erwacht, und ruft in sittlicher Entrüstung:
Nie werd' ich diesem Bund den Segen geben,
Der Frucht des Zwangs und schnöder Ueberlistung.
Ihr aber, Fräulein, – mög' Euch Gott vergeben! –
Vergaßt Ihr ganz bei Eurer Reiserüstung,
Wie schlechte Zucht und Sitten es beweis't,
Wenn eine Jungfrau unter Männern reis't?
Doch lächelnd sagt die Holde mit Erröthen:
Ihr nehmt es mit dem Anstand gar genau,
Und hieltet doch die Rücksicht nicht vonnöthen,
Als mich die Mohren fingen, hohe Frau.
Doch, wenn des Hofes Sitten auch verböten,
Daß ich mich alten Freunden anvertrau',
So werden sie es schwerlich doch verdammen,
Wenn Mann und Frau zu Schiffe gehn zusammen. 84
Da reichte sie vor aller Volkesmenge
Cimon die Hand: Wirst du sie auch noch wollen,
Mein Liebster, die sich dir entzog so strenge?
Gott weiß, warum es so hat kommen sollen. –
Und er, als würd' ihm seine Brust zu enge,
Steht vor ihr sprachlos. Dann gleich einem Tollen
Hebt er sie plötzlich auf mit starkem Arm
Und stürmt mit seinem Raube durch den Schwarm.
Muß denn am Ziel der Lehr- und Wanderjahre
Solch arger Rückfall unserm Freund begegnen,
Daß noch einmal der Dämon in ihn fahre?
Sie aber duldet es mit unverlegnen
Geberden; fest um seine Lockenhaare
Schlingt sie den Arm und flüstert dem Verwegnen
Glückselig zu: Nicht alle Welt fortan
Soll deinem Arm mich rauben, liebster Mann!
Und hinter dem Entführer, dessen Hast
Sich mählig legt, strömt jetzt das Volk in bunter
Verwirrung nach. Es scheiden vom Palast
Die Jünglinge, die Hunde bellen munter,
Und Leonat hat die Posaun' erfaßt
Und bläs't drauf los. So kommen sie hinunter
Zum Hafen, wo ein jeder Schiffer jetzt
Sie heimzufahren sich zur Ehre schätzt.
Da, als sie schon vom Lande scheiden wollten,
Kommt eilends mit der Braut Lysander nach.
Nun wird Cimone freundlich ausgescholten,
Daß er den Abschied so vom Zaune brach,
Als hätt' es Flucht vorm bösen Feind gegolten.
Erst, als er bald'ge Wiederkehr versprach,
Läßt man die Schaar mit herzlichem Bezeigen
Und tausend Lebewohl zu Schiffe steigen. 85
Nach Cypern denn, mit Gott! der Wind ist gut,
Und diesmal sind sie sicher vor Piraten.
Ein Sonnenhimmel leuchtet aus der Flut,
Bis die Gestirne klar ins Blaue traten.
Doch heller glänzt der Mannschaft Uebermuth,
Die Funken des Humors, die Leonaten
In ganzen Garben von der Lippe stieben;
Am stillsten sind die Beiden, die sich lieben.
Nicht daß sie stets sich in die Augen schmachten,
Die Hand sich drücken, seufzend oder stumm;
Bei allen Possen, die die Freunde machten,
Sind sie auch jetzt ein dankbar Publicum.
Und wenn Pedruccio jene mehrgedachten
Canzonen singt – nun weiß der Schalk, warum –
Dann fällt die Braut im lieblichsten Sopran
Mit ein und lacht Cimon verstohlen an.
Daß man daheim von ihrem Glück nichts ahne,
Ist kaum der Sorge werth für unser Paar.
Nur Leonat spricht düster vom Orkane
Des Väterzorns, als sträub' er schon sein Haar.
Uns aber malt prophetisch Fee Morgane
Ein Wolkenbild, den Schiffern unsichtbar:
Wir sehn Cimon zur Seite Flordelisen,
Und um sie her drei Buben wie die Riesen.
Und doch vergeht mir nun der Scherz. Denn freilich,
Der Abschied liegt mir bang in allen Gliedern.
Zwar kommt er wohl euch Andern nicht zu eilig;
Die hast'ge Zeit verlangt nach kurzen Liedern.
Allein dem Dichter ist es wohl verzeihlich,
Wenn sich die Strophen ihm zu rasch befiedern,
Steht's ihm bevor, von Herzen sich zu trennen,
Die Gott ihn lehrte wie sein eignes kennen. 86
Doch muß es sein, und also sei es bald,
Sei's auf dem Meer, eh sie ans Land geschwommen.
Hört ihr, wie hell Cimon's Posaune schallt?
Seht ihr die Väter an den Hafen kommen,
Den Lehrer mit der Schule, Jung und Alt?
Ein Festtag ist der ganzen Stadt erglommen.
Nun denn fahrt wohl, und bringt wohin ihr zieht
Die Freude mit! Hier endet unser Lied. 87