Georg Heym
Gedichte
Georg Heym

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Sehnsucht nach Paris

2. Hälfte Februar 1911

            Wenn durch den Abend Frankreichs, der der Weiße
Der Königslilien ihres Wappens gleicht,
Wie Honig süß, der Sonnentag, der heiße,
In honiggelbe Himmel ferne weicht,

Dann zittern von Montmartre viele Glocken,
Und grüßen ihn und seinen goldnen Glanz.
Doch auf Paris, der alten Schönen Locken,
Glühn rote Wolken wie ein Hochzeitskranz.

Halb März, halb Herbst, voll trauriger Essenzen,
Wer je den Wind in seine Lungen trank,
Wenn rot die Türme Notre Dames erglänzen,
Er ist nach dir vor wilder Sehnsucht krank.

Dein Taumelkelch, umwunden schwarz mit Rosen,
Nachtschattengift erschüttert ihm das Blut,
Und westwärts schaut er immer, wo ihn kosen
Die Winde Frankreichs mit verhaltner Glut.

Paris, Mutter der Kunst, und jeder Größe
Die wie der Sieg auf deiner Stirne schwebt
Und deiner altersgrauen Schläfe Blöße
In einen Wald von Lorbeer stolz begräbt,

Wo tief in deinem Schoß im Sarkophage
Vom Fittich seiner Adler überwacht,
Der Kaiser schläft, und leise Totenklage
Im Dome wandert durch die Mitternacht,

Wo wie ein Wald die alten Fahnen stehen,
Die durch Ägypten trug die Legion.
Sie rauschen manchmal noch, die Tücher wehen
Wie Küsse sanft um deinen toten Sohn.

Doch morgens brennt im Osten auf der Seine
Im Häusermeere wie im Sturm-Fanal
Im Mastenwald, im Meer der schwarzen Kähne
Die Sonne blutig, wie ein großer Gral

Vom roten Wein gefüllt bis an die Borde,
Vom Wein der Freiheit, der das Herz beschwört,
Und auf der weiten Place de la Concorde
Aus Dantons Mund der Städte Zorn empört.

O großer Tag, da rote Donner grollten
Auf deiner Stirn, und blutig, fett und feist,
Des Königs armes Haupt im Sande rollte,
– Großes Paris, das altert und verwaist,

Noch blühn im Sommer deine Boulevards
Mit Linden voll, und zittert noch im Licht
Das Elysée, wenn auf den Champ de Mars
Sich zwischen Wagen drängt die Menge dicht

Und Abend sinkt, wie Veilchen träumerisch,
Wie Veilchen welk. Der hohen Linden Duft
Weht von der Seine Ufern her, die frisch
Der Abendwind bewegt in lauer Luft.

Dann ziehn im Strom der bunten Boote viel
Am Park Vincennes vorbei, mit Immergrün
Den Mast umkränzt, und den gewundnen Kiel,
Wo, klein wie Sterne, rote Lampen glühn,

Aus niederen Spelunken schallt ein Lied,
Auf grauen Stirnen liegt der Lampe Licht
In kleinen Fenstern, die mit Laub umzieht
Ein Weinspalier, das sich im Wind verflicht.

Den Fluß hinab, durch Park und Sommergarten.
Korndampfer schaukeln in den Häfen breit,
Wo Dirnen stehn. Auf ihrem Munde warten
Die Küsse, kalt, voll herber Bitterkeit.

Doch über dir, Paris, und deiner Pracht,
Die im Verblühen noch die Brüste spreizt,
Weit über dir, und der erwachten Nacht,
Die mit Laternenschein die Straßen beizt,

Weit über deinem Haus der Invaliden,
Des schwarzes Totenmal vorüberzieht,
Glänzt wie das Bernsteintor der Hesperiden
Des Abendgottes goldnes Augenlid.

 


 


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