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Zu Frau von Zehrens Befremden erwies sich Theophil dem PIane, Ilse nach Weltsöden zu senden, gar nicht geneigt. »Wir haben, ehe der Reichstag in die Osterferien geht, gerade noch ein paar Einladungen angenommen, da müßte solche plötzliche Abreise doch sehr auffallen,« sagte er.
»Ich fände das verhältnismäßig einerlei im Vergleich zu den Gefahren, die ich voraussehe,« entgegnete die Mutter, »glaub mir, mein Theophilchen, sie sind wirklich vorhanden.«
»Aber selbst, wenn du recht hättest, verehrteste Mama, nach den Ferien müßte Ilse doch mit mir hierher zurückkehren, denn ich könnte doch nicht in Berlin leben und meine Frau dauernd in Weltsöden lassen? Ich kann ja nicht mal den Grund dafür anführen, daß sie der Kinder halber auf dem Lande bleibt – da wir doch nun mal keine haben.«
»Leider!« seufzte Frau von Zehren.
»Und warum soll ich schließlich auch das einbüßen, was sie noch am besten versteht: unsere gesellschaftliche Stellung zu stärken.«
»Das hast du doch nicht nötig?« rief die Mutter, »Zehren bleibt Zehren!«
»Gewiß,« antwortete er würdevoll, »aber so viel habe ich hier doch schon gemerkt: eine Frau zu haben, die gefällt, kann immerhin nicht schaden.«
Er empfand bei dem ganzen Gespräch hauptsächlich nur eine gewisse gereizte Langeweile. Die längst eingetretene Gleichgültigkeit gegen seine Frau ließ ihn so gern glauben, daß die Mutter in ihrer geschäftigen Herrschsucht übertreibe und eingebildete Schrecknisse sähe. Die Beliebtheit, deren Ilse sich bei dem aufsteigenden Gestirn der Tolck-Engels, bei der Herzogin Wanda und so manchen anderen erfreute, mochte er nicht missen; sie sollte ihm zur Erreichung von persönlichen Zielen dienen, die ihm vorschwebten, seitdem er in der die verschiedensten Ehrgeize entfesselnden Hauptstadt weilte.
»Ja, wenn du auf meine Vorschläge wirklich nicht eingehen willst,« hub Frau von Zehren von neuem an, »dann muß eben dieser Herr von Walden aus Berlin entfernt werden.«
Theophil schaute erstaunt auf die in streitbarer Feldherrnpose dastehende Mutter. »Das wäre allerdings bei weitem das Beste,« sagte er, »aber wie wolltest du das zustande bringen?«
»Das wäre traurig, liebes Theophilchen,« antwortete sie mit einem tückischen Blick der kleinen Augen, »wenn wir Zehren in Preußen nicht mehr so viel gegen einen Menschen vermöchten, der doch schließlich ein Fremder ist und keinen Anhang hat!«
Gleich nach dieser Unterredung verließ die gnädige Frau Mutter erhobenen Hauptes das Haus, und mit festem Schritt ging sie durch die Straßen Berlins, das aus Weltsöden mitgebrachte Paket Spickgänse unter dem Arm.
Frau von Zehren war mit der Frau eines der Vorgesetzten von Herrn von Walden einst im selben adligen Stift erzogen und eingesegnet worden, und seitdem Herr von Höhenrath, der Mann dieser früher wenig beachteten Schulgefährtin, den Aufstieg begonnen, der zu solcher Größe führen sollte, hatte Frau von Zehren die einstmaligen Beziehungen wieder aufgenommen und eifrig gepflegt. Sendungen von Schinken, Würsten und Spickgänsen gingen jeden Winter aus Weltsöden an das Haus des Staatsmannes; Spargel und Apfel folgten im Laufe der wechselnden Jahreszeiten. Beim Einpacken dieser ländlichen Produkte dachte Frau von Zehren dann jedesmal: Wer weiß, wozu das noch mal gut sein kann! – Denn wie so manches, was das Zehrentum tat, war auch dies ein Ergebnis weiser Voraussicht.
Zu dieser einflußreichen Jugendfreundin hatte sich Frau von Zehren nunmehr auf den Weg gemacht.
Als sie in den mit grünem Plüsch und imitierten Kameltaschen möblierten Salon der Exzellenz mit ihrem Paket unter dem Arm eintrat, saßen mehrere Herren und Damen um die Hausfrau herum. Denn es war deren Empfangstag. Frau von Zehren warf einen einzigen prüfenden Blick auf die Gäste und klassifizierte sie alsobald in Gedanken, ebenso treffend wie verächtlich, als »Nichtpreußen.«
»Meine gute Minette,« rief sie mit lauter Stimme, indem sie unbekümmert zwischen den Fremden auf die Freundin zuschritt. Und ebenso, nur erstaunter, antwortete diese: »Meine gute Gottliebe! Sieht man dich endlich mal!« – Dann umarmten sich die beiden wiederholt, wobei das Paket Spickgänse gegen den breiten Rücken der in grauen Alpakka gekleideten Exzellenz klopfte.
»Ich habe gerade meinen Jour,« flüsterte dabei Minette, »aber sie gehen nu bald.« Und dann machte sie Frau von Zehren bekannt mit Señor und Señora de la Delicias, von der peruanischen Gesandtschaft, Mrs. Landsend, der Frau des amerikanischen Sekretärs, Fehmi Bey von der türkischen Botschaft, Oberst Oki Abunai, dem japanischen Militärattaché.
Es wollte aber kein rechtes Gespräch zwischen ihnen und der Edeldame aus dem Kreise Sandhagen zustande kommen, und die Fremden erfüllten denn auch Frau von Höhenraths Hoffnung, indem sie sich bald empfahlen. Als die letzten gegangen waren, sagte Frau von Zehren, ihnen nachschauend: »Gott, Minette, wenn ich bedenke, daß wir zusammen im Stift gewesen sind und nun sehe, mit was für Menschen du verkehren mußt – da waren ja sogar Heiden darunter!«
»Ja, ein Vergnügen ist's wahrhaftig nicht immer,« antwortete die Exzellenz und atmete erleichtert auf, wobei die große Kameenbrosche an ihrem Halse auf und nieder ging – »aber nu erzähl mal von dir selbst, Gottliebe, du bist wohl gekommen, dich an deinen Kindern zu erfreuen? Dein Sohn wird ja schon viel genannt im Reichstag und deine Schwiegertochter – na, mein Alter und ich haben ja nicht Zeit, viel auszugehen – aber man hört doch so, daß sie sehr gefällt und so musikalisch sein soll.«
Damit hatte sie der Freundin den erwünschten Anknüpfungspunkt gegeben, und Frau von Zehren begann auch alsobald zu berichten: Ja, ja, der Sohn machte sich in der Tat, man prophezeite ihm sogar noch mancherlei Erfolge auf diesem modernen Weg des Parlamentarismus – und die Schwiegertochter – nun ja, sie war ganz hübsch und nett – nur leider keine Kinder und auch wenig Aussicht dazu.
»Wie bedauerlich!« warf Minette teilnehmend ein, während Gottliebe tief seufzte und dann gleich fortfuhr: »Ja, sehr, sehr bedauerlich! Auch wegen Weltsöden – aber – das ist doch noch nicht das Schlimmste!«
»Meine gute Gottliebe, du erschrickst mich.«
»Ja Minette, es ist auch wirklich etwas sehr Trauriges, um was es sich handelt, und eigentlich bin ich eigens aus Weltsöden gekommen, um mit dir darüber zu reden.«
»Sprich, sprich!« und die Kameenbrosche auf dem grauen Alpakka hob und senkte sich wieder.
»Also siehst du,« hub Frau von Zehren an und erzählte nun, daß in dieser Zeit, wo ihr Theophilchen die ländlichen Interessen im Reichstag vertrete, der jungen unerfahrenen Frau von einem höchst gefährlichen und völlig skrupellosen Don Juan nachgestellt würde, der – Gottliebe konnte es nur mit schmerzlichem Bedauern erwähnen – zu den sonst so achtbaren Untergebenen von Minettens Mann gehöre und der, während er bisher im Ausland verwendet worden, unglücklicherweise gerade in diesem Winter nach Berlin berufen worden sei.
Sichtlich entrüstet strich die Exzellenz über ihren tugendsamen glatten Scheitel und rief: »Ja, dann müßte man doch daran denken, wie er am besten von hier entfernt werden könnte!«
»Gott, Minette,« antwortete Frau von Zehren, »ich würde nie gewagt haben, darum zu bitten, aber damit wäre allerdings der Familie der Frieden zurückgegeben.«
»Laß mich nur machen, meine gute Gottliebe,« sagte die Exzellenz mit resolutem Tone, »ein Institut für Ehestörer ist das Auswärtige Amt nicht. Ich werde noch heute mit meinem Alten reden.«