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13

Brehms Tierleben sagt über den Pyranha, Piraya oder Pirai, wie er auch genannt wird, daß er zu der gefährlichen Raubfischart der Sägesalmler oder Karibenfische (Serrasolminae) gehört, und sein Äußeres wird beschrieben: »Ein kurzer und gedrungener Fisch von 30 cm Länge, mit seitlich zusammengedrücktem, tiefem Körper und stumpfer Schnauze, in der die messerscharfen Zähne in einer Reihe stehen.« Brehm fährt dann fort: »Wird ihnen nichts zugeworfen, so sieht man höchstens einige zerstreute Tiere hier und da, mit erwartungsvoll gerichteten Köpfen; sobald aber irgendein Abfall vom Boote aus ins Wasser geschüttet wird, dunkelt sich dieses durch ihre Heere, ein wütender Kampf beginnt um den Bissen, und oft noch glückt es dem einen, Nahrung zu stehlen, die ein anderer schon halb verschlungen hat. Wenn eine Biene oder Fliege nahe dem Spiegel dahinzieht, springen sie tobend nach ihr, so gleichzeitig, als würden sie durch einen elektrischen Schlag aufgerührt.« A. von Humboldt hat lange vor diesem Bericht Bates Ähnliches erzählt. »Gießt man«, sagt er, »ein paar Tropfen Blut ins Wasser, so kommen sie zu Tausenden herauf, an Stellen, wo der Fluß ganz klar und kein Fisch zu sehen war. Warfen wir kleine blutige Fleischstückchen ins Wasser: in wenigen Minuten waren zahlreiche Schwärme da und stritten sich um den Fraß.«

Nicht selten soll es, laut Gumila, der die Karibenfische zuerst beschrieb, geschehen, daß, wenn ein Ochse, ein Tapir oder ein anderes großes Tier schwimmend unter einen Schwarm dieser fürchterlichen Fische gerät, es aufgefressen wird. »Seiner Kraft beraubt durch den infolge unzähliger Bisse erlittenen Blutverlust, kann sich das Tier nicht mehr retten und muß ertrinken. Man sah solche Tiere in Flüssen, die kaum dreißig bis vierzig Schritt breit waren, zugrunde gehen oder, wenn sie das andere Ufer glücklich erreichten, als halbe Gerippe hier zu Boden stürzen ...«

Nach einigen weiteren Berichten anderer Gewährsmänner schließt Brehm das Kapitel über die Pyranhas mit den Worten: »Ähnliches berichtet auch A. Kappler aus Surinam, obwohl er schon eine Einschränkung in bezug auf die gegen Menschen gerichteten Angriffe macht. Er sagt von den Karibenfischen: ›Sie sind die gefährlichsten Raubfische der südamerikanischen Flüsse, leben meist von Fischen, beißen aber Schildkröten, ferner Enten und andern Wasservögeln die Füße ab oder Stücke aus dem Leibe und werden selbst dem badenden Menschen gefährlich, wenn dieser nicht immer in Bewegung bleibt, und sind überhaupt sehr frech ... ‹« Wie Kappler, so beschränkt auch der vorsichtig berichtende Karl Sachs sein Urteil über die Gefährlichkeit der Karibenfische in gewissem Sinne. Er schreibt: »Die Kraft ihres Gebisses, das wie eine scharfe Säge geformt ist, übertrifft alle Vorstellung; ein fingerdicker Stecken festen Holzes, den ich einst einem schon erschöpften Fische vorhielt, war im Nu durchgebissen; auch dicke stählerne Angelhaken widerstehen ihren Zähnen nicht. Die Menge und Gefährlichkeit dieser Fische ist wohl in manchen Reisebeschreibungen mit allzu schauerlichen Farben gemalt worden; doch ist Tatsache, daß wohl jeder Llanero, der sich mit Fischerei beschäftigt hat, an seinem Körper Narben von ihren Bissen aufzuweisen hat. Glücklich, wer in solchen Fällen dem Ufer nahe genug ist, um sich rasch retten zu können! Denn das dem Wasser mitgeteilte Blut lockt sofort einen großen Schwärm dieser Fische herbei, die in unglaublich kurzer Zeit die furchtbarsten Verstümmelungen bewirken. Menschen oder Tiere, die beim Überschreiten eines Flusses, noch weit vom Ufer entfernt, von Karibenfischen überfallen werden, sind unrettbar verloren, da selbst im Falle, da die zugefügten Verletzungen nicht tödlich sind, der Blutverlust sie am Schwimmen hindert ...«

Das Vorstehende las ich in einem »Großen Brehm« nach, den ich an einem der folgenden Tage zu meiner Freude in Landsbergers Hausbibliothek entdeckte. Im allgemeinen war es eine Bestätigung der Schauergeschichten, die mir der unwillkommene Schwiegervater an Bord von Murphys Boot auf der Rückfahrt verzapft hatte. Mir war seitdem der Gedanke nicht mehr aus dem Sinn gekommen, welche Wirkung ein Filmstreifen erzielen würde, der das unheimliche Treiben dieser Raubfische veranschaulichte, und so war ich froh, als mir unser Operateur bei meinem Besuche, den ich ihm zusammen mit Sepp im Spital abstattete, sagte, daß er in den nächsten Tagen entlassen würde. Geheilt und wohlauf war er zwar durchaus noch nicht, sein noch hagerer und gelber gewordenes Gesicht und sein hypernervöses Gebaren wollten mir ganz und gar nicht gefallen. Aber er brannte vor Arbeitseifer, und auch er war dafür, als nächstes die Pyranhas vor die Linse zu nehmen.

Wie Dom Pedro nachträglich festgestellt hatte, gab es in dem Tümpel, in den Manuelo damals samt unserer aufs Korn genommenen Teufelskralle hineingefallen war, tatsächlich »Muito pyranhas« – »Viele Pyranhas«, und da das Ufer relativ zugänglich war und das Wasser nur wenig Strömung aufwies, beschlossen wir, die Sache dort in Szene zu setzen. Als hauptsächlichstes Requisit für die Aufnahmen brauchten wir den Kadaver eines größeren Tieres. Als aber Bittner vorschlug, zu diesem Behufe in der Markthalle einen Hammel oder ein Schwein zu erwerben, erhob Sepp unter Hinweis auf unsere bisherigen unvorhergesehenen Mehrausgaben und Verluste einerseits, und die hierzulande doch sicherlich vorhandenen jagdlichen Möglichkeiten anderseits energischen und unbeirrbaren Einspruch.

»Mensch, bei Ihrem ewigen Klagegeheul um jeden dreckigen Milreis kann man allmählich das große Kotzen kriegen!« fuhr Bittner schließlich auf. »Gehen Sie also in Gottes Namen los und versuchen Sie's einmal, hier in dieser Art von Waldlandschaft einen Tapir oder sonst ein ansehnliches Vieh aufzustöbern und zur Strecke zu bringen. – Sie werden dabei Ihre blauen Wunder erleben!«

Vetter Sepp, der unbeirrbar an seinem Gedanken festhielt, erlebte wirklich in den nächsten Tagen seine blauen Wunder. Er hatte sich von Landsberger einen Drilling geliehen, und begleitet von Manuelo und Dom Pedro war er tags darauf zu seinem ersten Jagdzuge aufgebrochen. Ich selbst hatte in richtiger Erkenntnis der unvermeidlichen, damit verknüpften Strapazen und des wohl ebenso unvermeidlichen Mißerfolges abgelehnt, mitzukommen. Seit jener Bootsfahrt mit Murphy hatten zwar meine internen Beschwerden überraschenderweise erheblich nachgelassen und von dem Schlag an den Schädel war mir nur noch eine gewisse Unsicherheit und Benommenheit beim Gehen zurückgeblieben; ich wollte aber die Besserung nicht durch sofortige große Anstrengungen aufs Spiel setzen, und außerdem war mir die auf bloßer Sparsamkeit beruhende Jagdleidenschaft Vetter Sepps genau so widerlich wie Bittner.

Der Jüngling setzte seine Bemühungen, kostenlos zu dem benötigten Kadaver zu kommen, drei Tage hindurch hartnäckig fort. Nach seiner Rückkehr am Abend des ersten sagte er mir, vor Müdigkeit hin und her schwankend, nur kurz, daß es für ihn fast unmöglich gewesen wäre, mit den beiden Caboclos, die unterwegs natürlich von ihrem Jagdeifer übermannt wurden, Schritt zu halten. Morgen würde er sie aber besser im Zaume halten und sicherlich mit einer Beute heimkommen. Am Abend darauf bekam ich ihn jedoch gar nicht zu Gesicht, denn er langte erst in später Nacht, und zwar wiederum mit leeren Händen, an, und am nächsten Abend kam er samt seinen Begleitern überhaupt nicht heim. Die beiden brachten ihn erst tags darauf zu Mittag in einem Taxi, und zwar in einem unbeschreiblichen äußeren und inneren Zustand.

Wie sie erzählten, hatten sie gestern nachmittag, als es ihnen gelungen war, einen jungen Tapir in einem Schilfdickicht zu stellen, plötzlich bemerkt, daß sie Senhor José unterwegs verloren hatten. Nachdem Manuelo den Tapir mit einem Schuß aus dem Drilling, den er für Sepp trug, erledigt hatte, waren sie auf die Suche nach dem Vermißten gegangen, hatten ihn aber erst gegen Abend, an einem Tümpel liegend und von schrecklichen Schmerzen gefoltert, wieder aufgefunden. Wie schon seinerzeit bei seiner kopflosen Verfolgung des Faultieres, war dieser schier sagenhafte Pechvogel wiederum in ein Gebüsch von Urwaldnesseln geraten – verglichen mit der Wirkung dieses heimtückischen Gewächses ist die unserer europäischen Brennessel wirklich nur ein sanftes Kitzeln zu nennen. Mit völlig zugeschwollenen Augen war er, unaufhörlich um Hilfe rufend, noch eine Weile blindlings herumgetappt, dabei natürlich von allerlei Dorngezweig noch übel zugerichtet worden und zuletzt in den Tümpel hineingestolpert und beinahe ertrunken.

Die beiden hatten ihm die ganze Nacht hindurch Kompressen von feuchter Walderde auf die verschwollenen und entzündeten Stellen gemacht und ihn dann bei Tagesanbruch zu einem Flüßchen und schließlich per Boot in die Stadt hineingeschafft. Nunmehr lag er, stöhnend vor Qual, in seiner Hängematte; Ruth und Lucy hatten seine weitere Behandlung übernommen. Manuelo und Pedro gingen nach einem schnellen Imbiß sogleich wieder los, um nach Möglichkeit den erlegten Tapir für uns zu retten, sie kamen aber in tiefer Nacht ergebnislos zurück – der Kadaver des Tieres war von Feuerameisen entdeckt und in der verhältnismäßig doch so kurzen Zeitspanne sozusagen leer gefressen worden.

Bittner, der am gleichen Tage aus dem Spital heimkehrte, konnte es sich nicht verkneifen, unserm Junior vorzurechnen, daß er für den Anschaffungspreis eines neuen Anzugs – der, den er an diesem Unglückstag getragen hatte, bestand natürlich nur noch aus Fetzen – plus der Miete für das Boot und das Taxi, drei Hammel oder zwei Schweine als Pyranhaköder in der Markthalle hätte kaufen können. Von dem eigenen geschundenen Fell gar nicht zu reden, da das, Gott sei Dank, umsonst nachwuchs!

Am Nachmittag fuhr ich mit dem Operateur hinaus und zeigte ihm die Pyranha-Lagune. Auch er fand die Stelle sehr geeignet, allerdings mußte nach seiner Ansicht am Fuße des Holzhaufens noch eine Art von festverankertem Floß konstruiert werden, um die Sache so ausführen zu können, wie wir sie planten. Manuelo erhielt einen entsprechenden Auftrag und ging sogleich weg, um ein paar Hilfskräfte herbeizuholen. Dann ließ sich Bittner, den der kleine Fußmarsch nach seinem langen Zubettliegen begreiflicherweise ziemlich mitgenommen hatte, schwer aufseufzend am Ufer nieder und wischte sich den strömenden Schweiß von dem fahlen Gesicht.

»So, nun fehlen bloß noch die Pyranhas und mir selber die Kräfte, um ein anständiges Stück Film von ihnen zu drehen. – Herrgott von Bentheim, ist das ein gottverfluchtes Land! Seitdem ich hier bin, habe ich mich eigentlich dauernd so be – na, sagen wir, bescheiden gefühlt wie in meinem ganzen Leben nicht! Und doch war ich so froh, als ich den alten Amazonas wiedersah, und jeden Tag entdecke ich hier immer noch neue fabelhafte Möglichkeiten für die Kamera«, stöhnte er. »Aber hoffen wir dennoch das Beste, lieber Leser. – Also, wo sind Ihre Pyranhas, Heye?«

»Wie ich hoffe, da drin!« sagte ich, zog ein Fläschchen mit Hühnerblut, das ich mir aus der Küche mitgenommen hatte, aus der Tasche und entleerte es in die leise ziehende moorfarbene Flut zu unsern Füßen.

Der Erfolg war verblüffend, fast augenblicklich huschten aus allen Richtungen die schattenhaften Formen von Fischen herbei, immer mehr und mehr wurden es, und binnen wenigen Sekunden war die rotgefärbte Stelle ein einziges quirlendes Getümmel von Hunderten der hungrigen Räuber, die nach dem Körper suchend, der das Blut verloren hatte, und dabei unaufhörlich nacheinander schnappend, wild hin und her schossen.

In stummem Staunen schüttelten wir beide den Kopf – wie friedlich und harmlos hatte dieses stille Urwaldgewässer ausgesehen!

»Großer Brahma, dort wimmelt's ja nur so von den Biestern! Wenn die Chose so geht, wie wir sie ausgeknobelt haben, gibt das eine Serie von Bildern, bei denen dem Publikum die Haare zu Berge stehen werden!« murmelte Bittner auf dem Rückwege vor sich hin. »Ich denke, daß das Floß bis morgen abend fertig sein kann, wenn wir selber dabei bleiben und die Brüder ein bißchen antreiben. Dann könnten Sie übermorgen früh auf dem Markte den Köder einkaufen und ihn am besten mit einem Taxi bis vorn ans Maschinenhaus befördern. Ich schaffe unterdessen mit den Leuten die Apparatur heraus, und dann könnte die Sache so gegen Mittag steigen. – Vorausgesetzt, daß ich mich nicht weiter so saumäßig fühle wie jetzt. Entschuldigen Sie, es ist lachhaft, aber ich muß erst wieder ein paar Minuten verschnaufen«, schloß er, hockte sich auf einen Stamm nieder, stützte den Kopf in die Hände und starrte mit einem wahrhaft verzweifelten Blick vor sich hin.

»Hören Sie, Bittner, fahren Sie jetzt stracks heim, packen Sie sich in Ihre Hängematte und schonen Sie sich bis übermorgen noch so viel wie möglich! Ich bleibe allein hier und beaufsichtige die Floßkonstruktion; ich weiß ja Bescheid. Schicken Sie mir zu Mittag irgend jemand mit etwas zu futtern heraus. Kommen Sie, ich kutschiere Sie mit der Draisine bis ans Maschinenhaus, und bis ich wieder zurück bin, wird auch Manuelo mit den Leuten da sein. Und keine Widerrede, bitte!« entschied ich.

Daß sich dieser so selbstbewußte und eigensinnige Mensch fügte, wenn auch nur zögernd, zeigte mir besser als alles andere, in welch reduzierter Verfassung er sich befinden mußte.

Nachdem ich ihn vorn abgeladen und dann noch bis an das Tram gebracht hatte, kehrte ich zu der Lagune zurück. Manuelo war noch nicht eingetroffen, so vergnügte ich mich eine Weile damit, Insekten einzufangen und dann zuzusehen, wie die Mördergesichter der Pyranhas – denn von solchen kann man bei diesen Geschöpfen, obgleich es Fische sind, wirklich sprechen – mit blitzartigen Bewegungen herzuschossen und den Bissen wegschnappten. Der Tag war bereits vom frühen Morgen an unerträglich schwül und stickig gewesen, ich hatte schon Ströme von Schweiß vergossen und wurde allmählich so durstig, daß ich mich schließlich auf die Suche nach einer Liane, diesem unschätzbaren Trinkwassersyphon des Urwaldes, machte. Lianen gab es ringsum zwar genug, der ganze Ufersaum der Lagune bestand fast nur aus Lianen, aber ein anderes Ding war es, aus den mehr als armdicken Stämmen, die ungefähr die Zähigkeit und Festigkeit von Kupferkabeln besaßen, mit einem Taschenmesser ein Stück herauszuschneiden. Ich probierte es mit verschiedenen Arten ohne Erfolg, und bemüht, eine weniger starke zu finden, drang ich immer tiefer in den Wald ein. Zuletzt entdeckte ich zwischen den Wedeln einer Bambuspalme, die in schöngeschwungener Kurve wie die Strahlen eines Springbrunnens aus dem Boden aufsprangen, doch ein kaum fünf Zentimeter starkes Exemplar, das sich wie eine Schlange am Boden hinwand.

Den Blick zweifelnd auf die stumpfgewordene Schneide meines Messers gerichtet, stieß ich mit dem Fuße an das kurze Stück der Pflanze, das zwischen den Palmschößlingen sichtbar war – und flog in eisigem Schrecken sofort wieder zurück! Es war tatsächlich eine Schlange! Wenigstens der Schwanz von einer, und zwar, wie ich unter wildem Herzklopfen erkannte, der Schwanz einer Boa! Sie hatte ihn bei der unsanften Berührung beiseitegeschlagen, zwischen Palmwedeln, Schlingpflanzengerank und totem Laub sah ich auch ein Stück des glänzenden, ornamental gezeichneten und reichlich schenkeldicken Leibes hervorschimmern; wo aber der Kopf lag, konnte ich nicht herausfinden, so sehr ich auch die Augen anstrengte.

Hier werden keine Schauermärchen erzählt und deshalb sei bemerkt, daß nach allem, was ich jemals mit afrikanischen Riesenschlangen selbst zu tun gehabt, und von vertrauenswürdigen Leuten gehört oder gelesen habe, mir kein einziger verbürgter Fall bekannt ist, daß ein solches Tier auch nur Miene gemacht hätte, einen Menschen anzugreifen, geschweige denn, ihn zu umschlingen und ihm alle Knochen im Leibe zu zerbrechen. Von dem halben Dutzend Boas, die ich in langen afrikanischen Jahren zu Gesicht bekommen habe, sind fünf bei meinem Näherkommen schleunigst ausgerissen, und die sechste, die liegen blieb, konnte nicht ausreißen, weil sie sich den Bauch allzu voll gefressen hatte. Nebenbei bemerkt, mit den Insassen meines eigenen Entenstalles.

Da auch die beinahe auf den Schwanz getretene hier sich nicht davonmachte, schloß ich, daß sie durch einen übermäßig großen Bissen im Magen bewegungsunfähig war, und nachdem sich mein erster instinktiver Schrecken gelegt hatte, wurde ich ruhig und sachlich und überlegte, daß in diesem Palmdickicht vier- bis fünfhundert Milreis nur darauf warteten, gepackt, heimgeschafft und nach Europa verfrachtet zu werden.

Wie ich allerdings diesen sicherlich drei gute Zentner schweren Wurm bei meiner immer noch erheblichen Schlappheit packen und überwältigen sollte, war mir unklar. Schon bei dem bloßen Gedanken brach mir der helle Angstschweiß aus. Ich hatte noch nie eine Boa constrictor selber gefangen und auch noch keine fangen gesehen; ich wußte nur vom Hörensagen, daß zwei Mann dazu gehörten: Wenn der eine sie am Halse und der andere sie gleichzeitig am Schwanzende packte und das ein wenig auflupfte, konnte der seiner Stütze beraubte Leib des Reptils angeblich nicht mehr die gewaltigen Muskeln anspannen, um entweder davonzugleiten oder die Angreifer zu umschlingen, und war wehrlos. Es klang sehr einfach, ob es auch stimmte, mochte der Teufel wissen, und außerdem gab es hier keinen zweiten Mann. Und auch wenn einer vorhanden gewesen wäre, bezweifle ich stark, ob ich den außerdem dazu gehörigen Mut aufgebracht hätte. Wenigstens den für das Kopfende nötigen!

Damit aber »meine« Riesenschlange, zu der ich hier gekommen war wie das bekannte blinde Huhn zum Korn, nicht etwa doch noch entwischte, ehe Manuelo mit seinen Leuten kam, brach ich mir vorerst einen gewaltigen Prügel ab, entschlossen, ihr eins auf den Schädel zu geben, sobald sie sich rührte. Weil ich aber immer noch nicht wußte, wo eigentlich der Kopf des Ungetüms lag, begann ich mit dem Knüttel vorsichtig im Dickicht herumzustochern. Doch wo ich auch grub, überall stieß ich nur auf die schimmernden Wölbungen des Leibes. Kopfschüttelnd und triefend vor Schweiß richtete ich mich schließlich auf – und sah direkt in die kaltglitzernden Augen der Schlange hinein. In halber Mannshöhe über dem Boden schauten sie mich, zwischen dem Gerank einer Schlingpflanze hervor, unverwandt an.

Einen Moment setzte mir der Herzschlag aus – das Tier war bewegungsunfähig, sonst hätte es natürlich schon längst irgend etwas unternommen, denn der Kopf befand sich in gerader Linie über dem Schwanzende, auf das ich vorhin fast draufgetreten war, aber es war doch ein lähmendes Gefühl, hier im mittagsstillen Urwald, und so ganz allein, diese Augen auf mich gerichtet zu sehen.

In gebückter Stellung, den Knüppel schlagbereit in der Hand, verharrte ich eine Weile regungslos, und unverrückt ruhte währenddem der Blick der enggeschlitzten Reptilaugen auf mir. Dann kam mir eine Idee und unverzüglich ging ich an ihre Ausführung. Manuelo konnte, durch irgend etwas aufgehalten, möglicherweise heute überhaupt nicht mehr hierherkommen, also mußte ich meinen Fund, so gut es ging, zu sichern versuchen.

Ohne die Boa jemals länger als eine Sekunde aus den Augen zu lassen, riß ich ein paar Lianenranken herunter, knüpfte eine Gleitschlinge hinein, schnitt dann einen langen Palmschößling so ab, daß zwei Fiedern am Ende stehen blieben, legte die Schlinge sorgfältig darauf, trat langsam auf das Tier zu, schob mit dem Knüppel noch einen hindernden Zweig über seinem Kopf beiseite und ließ die Schlinge sachte darüber gleiten. Sie öffnete den Rachen und stieß ein heiseres Fauchen aus, aber dennoch ging alles über Erwarten gut und glatt. Erst als ich behutsam die Schlinge ein wenig anzog, begann die Boa unruhig den Hals zu drehen und mit der Zunge zu spielen.

Natürlich hätte die eine schwache Lianenranke, so eisenfest sie war, niemals eine Riesenschlange festhalten können, wenn sie wirklich wegwollte. So knüpfte ich das Ende an einem Aststumpf fest und fing aus Leibeskräften an, mit meinem stumpfen Messer auf einem zweiten, stärkeren Lianenexemplar herumzusäbeln. – Wie mein Riesenschlangenfang schließlich ausgegangen wäre, steht dahin, jedenfalls war ich, schwitzend und fluchend, noch immer beim Säbeln, als ich von der Lagune her den schwachen Laut von Menschenstimmen vernahm.

Ich muß daraufhin ein Gebrüll erhoben haben, als wenn mir ein Jaguar im Nacken säße, denn Manuelo kam unter gellenden Schreckensrufen wie ein Wildeber durch die Büsche herangebrochen, und er stierte mich ganz fassungslos an, als er mich ruhig dastehen und die Brillengläser putzen sah.

»Que tem, Senhor Arturo? – Was gibt's?« fragte er atemlos.

»Boa!« antwortete ich und wies nonchalant mit der Fußspitze auf das Dickicht hin, so, als ob ich alle Tage eine Riesenschlange einfinge.

Er spähte hinein, und bei dem unbestreitbar komischen Anblick, den der massive Schlangenkopf mit der dünnen Liane um den Hals bot, brach er in ein schallendes Gelächter aus. Die drei mit Buschmessern bewaffneten Caboclos, die ihm keuchend auf dem Fuß folgten, stimmten fröhlich mit ein, und da die allgemeine Heiterkeit eigentlich auf meine Kosten ging, beteiligte ich mich schließlich ebenfalls daran.

Dann machten sich die vier mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit an die Verwahrung meiner Boa, als ob es sich darum handelte, einen alten Baumstamm abzutransportieren. Vor und hinter der tonnenartigen Aufschwellung ihrer Magengegend bekam sie je ein handfestes »Buschtau« umgelegt, Manuelo schritt mittlerweile voraus und räumte die größten Hindernisse aus dem Wege, dann spannten sich die drei ein und schleiften das Reptil, das alles widerstandslos über sich ergehen ließ, einfach hinter sich her der Lagune zu. Am Ufer angekommen, schickte Manuelo einen der Leute weg, um ein Kanu herbeizuholen. Da auch unser Pyranha-Tümpel, wie fast alle Urwaldgewässer, durch verschlungene Wasserläufe mit dem Strom in Verbindung stand, war es die müheloseste und schonendste Art, das Tier bis zur Stadt zu bringen.

Bei all meiner Freude über diesen Fang, bei dem offensichtlich mehr Glück als Verstand im Spiele gewesen war, fiel mir jetzt doch ein, daß mich ein wahrhaft kannibalischer Durst und Hunger plagte, und daß vorn am Bromeliahügel vermutlich schon seit langem ein Mittagessen und ein Kaffee auf mich warteten. So maß ich, so gut es ging, meine Boa rasch noch aus; es ergab sich, daß sie eine Länge von knapp vier Metern aufwies. Während ich dann schwitzend meiner Atzung zustrebte, stand mir schon das profitgierige Gesicht vor Augen, das Vetter Sepp bei Empfang des Schecks von der Berliner Tierhandlung machen würde.

Wie ich jedoch vorgreifend und mit Bedauern sagen muß, hat mein Riesenschlangenfang niemals einen profitlichen Abglanz auf dem Gesicht unseres Juniorpartners hervorgerufen. Denn schon am Tage darauf bemerkten wir, daß der Leib der völlig apathisch daliegenden Boa, statt mit der fortschreitenden Verdauung dünner zu werden, nur immer unförmiger aufschwoll, und ungefähr eine Woche später fanden wir sie verendet in ihrem Käfig liegen und einen derartigen Geruch ausströmen, daß ich mich nicht dazu bringen konnte, sie zu sezieren, um nachzusehen, was sie im Magen gehabt hatte.

Ganz unvorbereitet traf mich dieses betrübliche Endergebnis insofern nicht, als Dom Pedro, der mit Ruth zusammen mein Mittagessen herausgebracht hatte, nach sachverständiger Besichtigung und Befühlung des Reptils ein auffallend zweifelhaftes Gesicht machte. Befragt, was ihm denn an meiner Boa nicht gefiele, erklärte er, daß diese Schlange da so faul und gleichgültig wäre, als ob sie einen ganzen ausgewachsenen Tapir verschlungen hätte. Da ein solcher aber in ihrem Bauche doch gar nicht Platz fände, müsse sie etwas gegessen haben, was ihr nicht bekommen wäre. – Von dieser bedenkenerregenden Diagnose ließ sich der kleine Bursche auch durch alle gegenteiligen Einwendungen der drei Arbeiter nicht abbringen, und, wie die Zukunft lehrte, war sie völlig richtig gewesen.

Ruth dagegen gebärdete sich über diesen glückhaften Fang, als ob ich damit eine ganz unerhörte und einzigdastehende Heldentat vollbracht hätte. Selbstverständlich wollte sie unbedingt bei der triumphalen Einbringung meiner Beute in unser Haus dabei sein. Da aber das Kanu neben Ruderer und Cargo nur noch für einen zweiten Passagier Platz bot, konnte sie ihren Leibpagen auf dieser Fahrt nicht mitnehmen.

Der Ausdruck oder, richtiger, die gewöhnte Ausdruckslosigkeit seines breitflächigen Gesichtes änderte sich bei dieser Eröffnung zwar in keiner Weise, dafür sorgte die starke Dosis stoischen Indianerblutes in seinen Adern, aber wie sich sein Kopf senkte, als das Fahrzeug hinter der nächsten Krümmung verschwunden war, und wie er, reglos stehend, mit seinen nackten Zehen still im toten Laube wühlte, sagte mir deutlich genug, daß dieser Knabenseele die kurze Trennung von seiner erwählten Herrin nahe ging.

Schließlich wandte er sich mit der Frage an mich, ob er mir hier irgend etwas helfen könne. Früher hatte er, wie alle die andern Buben, nur jeweils das von ihm gesammelte Futter oder gefangene Tier bezahlt bekommen; seitdem er jedoch zum ständigen Begleiter meiner Frau erkoren war, erhielt er einen festen kleinen Monatslohn. Natürlich aus meiner eigenen Tasche, Vetter Sepp hatte ganz unnötigerweise auf diesen Punkt prompt und ausdrücklich hingewiesen. Dom Pedro, der, wie alle Eingeborenen, Zusammenhänge dieser Art auch ohne spezielle Erläuterung sogleich erfaßte, rührte seitdem für die Firma als solche grundsätzlich keinen Finger mehr und nahm auch von niemand anderem als von uns beiden noch irgendwelche Befehle entgegen.

Er dauerte mich, wie er so betrübt dastand, und seine Frage brachte mich auf den Gedanken, ihm zum Troste eine Chance für einen kleinen Extraverdienst zu verschaffen. So erklärte ich ihm unter roher Mißhandlung seiner Muttersprache, daß wir übermorgen unbedingt einen Pyranhaköder brauchten. Er solle doch noch einmal versuchen, einen zu erjagen. Ich würde dann Sorge tragen, daß er dafür mindestens die Hälfte von dem Preis erhalte, den ich andernfalls in der Markthalle für irgendein Schlachttier bezahlen müsse. Er begriff sogleich, fragte nur nochmals, ob die Senhora ihn heute bestimmt nicht mehr brauchen würde, und verschwand auf meine verneinende Antwort hin ohne noch ein Wort zu verlieren, wie ein Schatten im Walde. – Wie Ruth am Abend erwähnte, war er jedoch am Nachmittag noch einmal daheim aufgetaucht und hatte ihre Zustimmung für den Fall eingeholt, daß er die Nacht und vielleicht auch noch den folgenden Tag auf der Jagd verbringen müsse.

Bei der Konstruktion unserer schwimmenden Plattform ergaben sich allerlei unvorhergesehene Schwierigkeiten, und ich war dadurch so in Anspruch genommen, daß ich an den Buben gar nicht mehr gedacht hatte. Durch dauerndes Antreiben der Leute und wildes Mitschaffen gelang es mir schließlich, mit dem allerletzten Strahl von Tageslicht das Werk zu vollenden; ich konnte vor Müdigkeit und Überanstrengung kaum noch ein Glied bewegen, als ich mit Manuelo auf unserm Schienenwägelchen in tiefer Dunkelheit dann endlich heimwärtsrollte.

Aber heim sollte ich dennoch heute nacht nicht mehr kommen, denn wir waren noch nicht lange unterwegs, als Manuelo plötzlich stoppte und lauschend den Kopf erhob. Hinter uns war der atemlose Ruf einer hellen Stimme und das Patschen eilender nackter Füße vernehmbar, und aus der Finsternis tauchte zuletzt keuchend und schweißtriefend Dom Pedro auf. Der kleine Kerl war so gelaufen, daß er mehrere Male zu der Meldung ansetzen mußte: »Ich habe ein Schwein erlegt, Senhor Arturo. Doch ich kann es nicht allein wegbringen. Es wird dort, wo es liegt, noch für eine Stunde oder zwei sicher sein, aber nicht länger.«

»Ach, du großer Brahma!« seufzte ich. »Und wie weit ist es von hier bis zu jener Stelle?«

»Ich habe eine Stunde gebraucht, Senhor. Wenn man aber nicht trabt, werden es beinahe zwei Stunden, und für Sie, Senhor, noch eine halbe Stunde mehr sein. Es ist ein Wasserlauf dort in der Nähe. Man könnte das Tier ein kleines Stück durch den Wald bis ans Ufer ziehen und es dann mit einem Boot direkt bis an das Floß in der Lagune fahren«, antwortete er und sah mich hoffnungsvoll an. »Es ist ein sehr großes Schwein, Senhor, und es hat mich noch attackiert, ehe es an dem Giftpfeil starb. Aber ich war der Schnellere!« setzte er mit kindlichem Stolz hinzu.

Ich brachte es nicht übers Herz, dem tapferen kleinen Kerl zu sagen, er solle sein zweieinhalb Wegstunden entferntes Schwein in Gottes Namen den Jaguaren, Geiern oder Ameisen überlassen; ich würde ihm dennoch das Versprochene, und sogar noch etwas mehr auszahlen, wenn ich nur jetzt nach Hause gehen, mir etwas in den leeren Magen tun und meine müden Knochen in der Hängematte ausstrecken könnte.

Nachdem die beiden sich darüber verständigt hatten, daß man ebensogut mit dem beim Floßbau gebrauchten Kanu, das dort noch verankert lag, auch den Hinweg machen konnte, gab ich Manuelo Auftrag, rasch noch zur Arbeiterkantine zu fahren, etwas zu essen einzukaufen, eine Taschenlampe zu leihen und uns dann nachzukommen. Dann stieg ich mit einem unterdrückten Seufzer aus dem Wagen, tappte mit dem Knaben zusammen durch kohlrabenschwarze Urwaldnacht wieder zur Lagune zurück und verfluchte jedesmal, wenn mich ein Biest stach, mir eine Ranke ins Gesicht peitschte oder plötzlich ein Bein im Schlamm versank, meine Sentimentalität aufs neue.

Daß diese anschließende nächtliche Irrfahrt auf labyrinthischen Urwaldgewässern keine so qualvolle Anstrengung für mich wurde, wie ich befürchtet hatte, verdankte ich dem segensreichen Einfalle Manuelos, in Ermangelung von etwas anderem Trinkbarem in der Kantine eine Flasche brasilianischen Weines zu erstehen. Und dieser sonderbar schmeckende, öligdicke, aber erstaunlich süffige Rebensaft hatte es in sich. Auf die Dose »Skippered Herrings« und die zunderdürren Biskuits hin, die er mir als Nachtessen mitgebracht hatte, erwachte ein solch kamelhafter Durst in mir, daß ich im Verlaufe einer Viertelstunde die ganze Pulle leerbecherte, daraufhin natürlich wie ein Sack um- und in einen abgründigen Schlaf fiel. Weder die auf mich gestellten Füße der beiden Ruderer, noch die quetschende Enge des trogartigen Fahrzeuges, noch die unzähligen geflügelten Blutsauger des nächtlichen Urwaldes, die eine wahre Orgie an mir feierten, waren imstande, mich daraus zu erwecken.

Erst auf das Rufen und Schütteln Manuelos und das gleichzeitige, schakalhaft kreischende Gebelfer von drei oder vier Hunden, unmittelbar über meinem Gesicht, fuhr ich schlaftrunken empor. Die Köter gehörten einem Caboclo, an dessen einsamer Fazénda wir nach fast dreistündiger Fahrt gelandet waren. Schwankend und taumelnd und ohne auch nur das Allergeringste von Weg und Umgebung wahrzunehmen, stolperte ich dann den beiden nach. Das erste, was mir, an Ort und Stelle angelangt, einigermaßen klar ins Bewußtsein drang, war die wirksame Art, mit der der kleine Pedro seine Jagdbeute vor ungeladenen Gästen gesichert hatte. Einfach, indem er um den Kadaver des wirklich gewaltig großen Sumpfschweines einen Ringwall nicht völlig trockenen, langsam brennenden Holzes errichtet und dann angezündet hatte.

Und wie ich ebenfalls erst dort bemerkte, war der Caboclo durch das Krakeelen seiner Hunde geweckt worden und uns nachgegangen. Er legte bereitwillig mit Hand an; trotz seiner Mithilfe wurde ich aber bei dem Transport des gut drei Zentner schweren Schweinetieres bis zum Fluß endgültig und völlig wach – es war eine barbarische Schinderei. Am Landungsplatze angekommen, sanken wir selbander mit pumpenden Lungen einfach über unserm Sumpfschwein zusammen und streckten alle viere von uns.


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