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Arthur Heye

1

»So, da wären wir endlich angelangt. Das ist Parà!« sagte mein Kompagnon Adalbert Bittner, wies mit der qualmenden Zigarre über den Bug des »Generalissimo Teodoro« hinaus und gürtete den Trenchcoat fester. »Nun wollen wir mal kräftig in die Hände spucken und die Sache unverzüglich anpacken, verehrte Herrschaften!«

Seine deutende Gebärde hatte einer Anzahl von Schornsteinen und Kirchtürmen und einem sonderbaren Gebilde gegolten, das aussah wie eine Vogelspinne auf dreißig Meter hohen Beinen. Das Ganze war allmählich über der Mauer in Sicht getreten, die unsern Dampfer schon seit dem ersten Lichtstrahl dieses Morgens an Backbordseite begleitet hatte, die von schwerem, feuchtheißem Dunste überlagerte, dunkelgrüne und dichtgeschlossene Mauer der Urwälder des Amazonas. Was die Sache betraf, die hier angepackt werden sollte, handelte es sich um die Aufnahme eines Naturfilms, und die erwähnten Herrschaften bestanden aus Frau Paula Bittner, Frau Ruth Heye, Herrn Joseph Jungblut und meiner Wenigkeit, und wir alle miteinander stellten eine sogenannte Filmexpedition dar.

Die Vogelspinne war, wie sich beim langsamen Heranmanövrieren des Schiffes herausstellte, das Wasserreservoir der guten Stadt Parà; »Santa Belem do Parà – das heilige Bethlehem von Parà«, wie sie mit ihrem vollen frommen Namen heißt. Rund um die häßlichen eisernen Beine des Monstrums herum und unter die Kronen von zahllosen Palmen, Mango- und flammendblühenden Akazienbäumen geduckt schimmerten weiße Hausmauern aus grünen Schatten heraus. Der Ort war nicht groß und unmittelbar hinter seinen letzten Gärten und Gebäuden stand unzugänglich und unermeßlich wie überall an diesem Strome der Urwald; halbkreisförmig von Süden nach Norden geschwungen, umklammerten seine dunklen Arme das Weichbild der Stadt. Im Vordergrund aber öffnete sich ein Hafen, und als er beim langsamen Beidrehen des Schiffes in volle Sicht kam, brach ein einziger Ausruf freudigen Staunens aus den Kehlen von uns vier Neulingen im Lande. Nur Bittner, der schon hier gewesen war, begnügte sich, seine Zigarre mit gönnerhaftem Stolze über das Panorama hinauszuschwenken, so, als ob er es gewesen wäre, der es erschaffen hätte.

Es war ein mäßiggroßes gemauertes Becken, im Hintergrunde von den riesigen Palmen und Laubbäumen eines kleinen Parkes abgeschlossen, an zwei Seiten eingefaßt von gelb- und blau- und rosagetünchten, oder mit bunten Kacheln verkleideten Fassaden niederer Häuser, und das Becken stellte ein Bild von fast unwirklich anmutender leuchtender Farbenpracht dar. Die ganze Wasserfläche war mit Booten bedeckt, Bordwand an Bordwand gedrängt lagen sie in allen Größen nebeneinander, von stattlichen zweimastigen Barken bis herab zum Einbaum, aus einem Urwaldstamm gehauen, oder zum noch winzigeren, lebensgefährlich aussehenden Rindenkanu, und über dem Gewimmel von Fahrzeugen schimmerten die grellbunten Flächen zum Trocknen gehißter Segel, roter, gelber, blauer, brauner und grüner Segel, und darunter, hoch auf Deck und Boden getürmt, Berge von Früchten, Gemüsen, Blumen, Fischen, Tierhäuten und Vogelbälgen, die Farben und Farbnuancen aufwiesen, für die auch die Sprache eines Malers kaum Ausdrücke haben würde, und zwischen alledem ein Getümmel von halb- und dreiviertelnackten Menschengestalten, deren Hauttönungen kaum weniger bunt abschattiert waren als ihre ganze farbenfrohe Umwelt. »Junge, Junge, so was gibt's doch gar nicht!« sagte Ruth Heye neben mir mit atemloser Stimme und ungläubig aufgerissenen Augen. Dann fing sie an, hastig am Lederkasten ihrer Rolleiflex herumzufingern, doch im nächsten Moment schob sich schon die nüchterne Wellblechwand des Zollschuppens vor das Farbenmärchen, und diese, von der vollen Glut der vormittäglichen Äquatorsonne getroffene Wand strömte eine solch jähe und irrsinnige Hitze aus, daß wir alle miteinander nach Luft schnappend von der Reling zurückwichen.

»Sakrament, Sakrament!« stöhnte Sepp Jungblut – er war ein bayrischer Vetter meiner Frau und, nebenbei bemerkt, der Geldgeber unseres Unternehmens – und schob sich die verschwitzte Baskenmütze, der er auch in den Tropen unentwegt die Treue gehalten hatte, aus der triefenden Stirn. »Sollen wir am End' in dös Krematorium da hinein!?«

»Ja, natürlich! Nur los, daß wir zuerst drankommen!« rief Bittner, drückte seiner protestierenden Paula zwei, drei Handtaschen und den Papageienkäfig in die Arme, nahm in jede Hand zwei Gepäckstücke und polterte den Laufsteg hinunter. »Warum nimmst du denn keinen von den Kerlen da für die Koffer? Ich bin doch kein Lastträger!« rief sie ihm empört nach. Doch sein Trenchcoat war schon im Dunkel des Schuppens verschwunden, und mit einem: »Recht hat er, Ihr Mann! Hier gewinnt, wer der schnellste ist, und außerdem sparen wir a Geld«, schwang sich Joseph seinen überlebensgroßen Wäschesack auf den Buckel und galoppierte Bittner nach.

So etwas von höllischer Glut, wie sie in jenem Zollschuppen herrschte, hatte ich seit den Kesselräumen meiner Seefahrtszeit selten wieder erlebt. Von all unseren Sachen wurde zwar nur der Handkoffer Bittners geöffnet – wie er hernach grinsend sagte, hatte darin eine Zwanzigmilreisnote obenauf und griffbereit gelegen – und so war die ganze Abfertigung in fünf Minuten erledigt, aber dennoch sahen wir alle aus wie gebadete Mäuse, als wir durch die gegenüberliegende Tür aus dem Schuppen wieder hinaus- und auf das erstbeste Taxi zutaumelten.

Wie schon in Rio de Janeiro und in all den Hafenplätzen, wo wir auf unserer zehntägigen Reise nach dem Norden angelegt hatten, war auch hier das erste Taxi so gut wie jedes andere. Es sind durchgängig schwere amerikanische Wagen, immer die letzten Modelle, immer dem brasilianischen Geschmack entsprechend, von hyperluxuriöser Ausstattung, und immer ist die Fahrtaxe so niedrig, daß man sich wundert, wie überhaupt nur die Kosten von Benzin und Öl dabei herauskommen können.

»Hotel da Paz!« beauftragte Bittner den Chauffeur, der seinem Gesicht nach ein reinrassiger Indianer war, Kleidung und Benehmen nach jedoch der Präsident des Völkerbundes sein konnte. Dann brannte er sich eine neue von seinen geliebten einheimischen Zweimännerzigarren an, brummte seiner immer noch leise widersprechenden Frau ein gemütvolles »Na, nun höre mal auf mit deinem Gemecker!« zu, lehnte sich behaglich zurück und schnupperte, die Nüstern in dem gelblichgetönten Gesicht freudig gebläht, die schwere, schwüle, von tausend fremdartigen Düften geschwängerte Luft der Urwaldstadt ein.

»Herrgott, bin ich froh, daß ich endlich wieder hier bin! Ich möchte vor Freude gleich auf eine von diesen dornigen Akazien klettern und meiner Frau einen Blütenzweig runterholen. Was habe ich in den letzten sechs Jahren nicht alles versucht, um wieder hierher zu kommen und einen Film nach meinem eigenen Kopf zu drehen. Und natürlich auch einen für meine eigene Tasche. Na, was an mir liegt, das soll geschehen, daß es eine Sache wird, gegen die meine ›Urwaldhölle‹ noch ein Quark war. Und daß wir mindestens denselben Haufen Zaster, und wenn möglich noch ein bißchen mehr dafür scheffeln wie die Bande von der ›Filmag‹ damals gescheffelt hat! Bei Ihnen beiden bin ich mir wenigstens über den einen Punkt sicher, daß ich von Ihnen nicht so reingelegt werde wie von jenen Schweinen. – Um es gleich hier zu erwähnen, Heye: Zwischen uns beiden hat's leider schon öfters Stunk gegeben, wir wollen uns nicht darüber unterhalten, wer die meiste Schuld daran hatte, wahrscheinlich einer soviel wie der andere. Vielleicht werden wir auch in Zukunft noch manchmal aneinander geraten, aber verdammt nochmal, es sollte doch möglich sein, daß wir wenigstens bei unserer Arbeit an einem Strick ziehen. Schließlich ist's ja unser Karren, den wir aufs Trockne bringen wollen! Meinen Sie nicht auch?«

Ich sah ihn an, die leidenschaftliche Liebe zu seiner Arbeit, die immer wieder aus ihm hervorbrach, packte mich stets aufs neue, und ich wollte ihm das eine sagen, was ich in diesem Augenblick sagen konnte, nämlich, daß der gute Wille bei mir ebenso ehrlich vorhanden war wie bei ihm selbst. Daß die Quelle besagten »Stunkes« zwischen ihm und mir, und eigentlich zwischen uns allen, dem überwiegend von unfreundlichen Gefühlen bewegten Busen von Frau Paula entsprang, konnte ich ihm jetzt und hier nicht gut auseinandersetzen, denn der erwähnte Busen wogte dicht an meiner linken Seite. Aber da fuhr auf einmal Sepp hoch, reckte uns gerührt seine beiden, ständig ein bißchen schweißfeuchten Pratzen entgegen und gröhlte begeistert: »Gut, daß Sie es mal zu einer Aussprach' gebracht haben, Herr Bittner! Sie haben mir ganz aus dem Herzen gesprochen, und doch sicherlich Ihnen auch, Herr Heye, gelt? Geben wir uns die Hände drauf, daß wir uns nun besser vertragen und dahier miteinand was Rechtes schaffen wollen! Es geht mir wirklich nicht nur um das Geld, was ich in die Sach' hineingesteckt hab, wenn auch fünfzigtausend Mark kein Hundedreck sind, aber hier ist ja alles so unglaublich schön und romantisch und unberührt und wie man's sonst heißen will, und wenn ich dran denk', daß wir schon in den nächsten Tagen in diesen fabelhaften Urwald da hineindringen, und alles was darin kreucht und fleucht auf einen Film bringen werden, und der vielleicht wirklich noch packender wird als Ihr erster, Herr Bittner, so könnt ich vor lauter Freud' gradheraus jodeln!« schrie er, das Jungensgesicht teils aus Verlegenheit, teils aus innerlichem Überschwang und teils aus äquatorialer Bullenhitze krebsrot angelaufen, und zu unserer aller Schrecken ließ er anschließend hier, mitten auf der Rua Jao Alfredo, der belebtesten Straße von Parà, dann tatsächlich noch einen urbajuvarischen Jodel los. Beruhigend und mit verständnisvollem Grinsen klopfte ich ihm die Schulter – Vetter Sepp war immerhin erst dreiundzwanzig Jahre alt.

Ruth hatte während der Fahrt kein Wort gesprochen, anscheinend nicht einmal eins von unserer Unterhaltung vernommen und nur mit ganz offenen Augen und halboffenem Munde um sich gestaunt. Im »La Paz« angekommen, war es jedoch an mir, zu staunen, zu wie vielen Fragen, die ich natürlich zumeist nicht beantworten konnte, ihr schon der kurze Weg vom Hafen herauf Stoff gegeben hatte. So interessant auch die hunderterlei merkwürdigen Dinge waren, die sie beobachtet hatte, interessierten mich in dem uns beiden angewiesenen Zimmer aber vor allem die Moskitonetze über den Betten. Ihnen hatte, aus langen und kummervollen afrikanischen Erfahrungen heraus, mein erster Blick gegolten, und ihre Beschaffenheit war derart, daß ich mich mit einem langen Schritt und Griff des Bürschleins versicherte, das unser Handgepäck heraufgebracht hatte und soeben wieder entweichen wollte. Mein, in meinem besten Portugiesisch ausgedrückter Wunsch nach zwei heilen Netzen wurde von dem, lediglich mit einer zerrissenen Hose und einem noch zerrisseneren Hemdchen bekleideten Schokoladenmännlein mit einem erstaunten Blick seiner schwarzen Kulleraugen und dem Hinweis beantwortet, daß diese Netze doch heil genug wären für die paar Moskitos, die es um diese Jahreszeit gäbe! Ich nahm verschiedene stotternde Anläufe, doch meine mehr als kümmerliche Kenntnis der Landessprache Brasiliens reichte nicht aus, um ihm begreiflich zu machen, daß ein Moskitonetz eben völlig heil sein muß, wenn es seinen Zweck erfüllen soll. Schließlich sprang Ruth ein. Ihr jüngerer Kopf hatte in den zwei Monaten, die seit unserer Landung in Rio vergangen waren, immerhin etwas mehr von dem wirklich ziemlich schwierigen brasilianischen Portugiesisch erfaßt als der meine. Der kleine Mulatte verstand auch schließlich, worauf es uns ankam und versank ob des Gehörten in ein längeres ernsthaftes Nachdenken. Wobei er sich zum kichernden Ergötzen Ruths heftig in der Nase bohrte. »Neue Netze haben wir nicht im Hause, Senhora. Ich weiß es bestimmt. Aber wie wäre es, wenn ich eine Nadel und einen Faden besorgte, Senhora?« fragte er zuletzt und betrachtete dabei eingehend das, was er aus seiner Nase zutage gefördert hatte. »Außerdem gibt es in dieser Jahreszeit aber wirklich kaum eine Handvoll Moskitos, Senhora. Kaum drei Fingerhüte voll. Soll ich dennoch Nadel und Faden bringen?«

Jetzt prustete Ruth laut heraus, und ich wußte nicht recht, ob ich dasselbe tun oder das braunhäutige Lumpenbündel, das ungeniert mitlachte, zur Tür hinauswerfen sollte.

»Also, hör nun auf und übersetze ihm bitte: Wenn bis heute nachmittag um drei keine neuen Netze da sind, kaufe ich selber welche ein und ziehe den Betrag von der Rechnung ab. Und wenn dieser unglaubliche Rotzjunge es wagt, uns angesichts der Fetzen, die hier über den Betten hängen, tatsächlich Nadel und Faden herbeizubringen, nähe ich ihm damit die Nasenlöcher zu, daß er nicht mehr – Pardon! – popeln kann!«

Sie gab dem Schokoladenmann meine Drohung in etwas gemilderter Form wieder, er zeigte als Antwort nur lachend seine prächtigen weißen Zähne; Ruth photographierte darauf noch in aller Geschwindigkeit das ganze Stücklein Mensch, und mit dem Versprechen, daß es mit seinem »Padron« reden wolle, und dem Rest einer Pralinepackung in der schmutzigen Faust, schob es ab.

Nach diesem ersten Einblick in die gelassene Menschlichkeit, mit der am Amazonas anscheinend auch Geschäftliches betrieben wurde, gingen wir zum Mittagessen in den Speisesaal hinunter. Da die Zimmer mit voller Pension sich kaum teurer gestellt hätten als ohne, hatte Sepp, der für alle finanziellen Dinge unseres Unternehmens allein zuständig war, natürlich das scheinbar Vorteilhaftere gewählt und war damit, wie sich gleich erweisen sollte, wieder einmal hereingefallen.

Landesüblicherweise gab es kein Menu für die Pensionäre, jeder konnte sich, wenn er wollte, die ellenlange Speisekarte hinunter- und auch wieder heraufessen, es wurde alles prompt gebracht. Aber, es waren samt und sonders einheimische Gerichte, und zu denen gehören eben auch einheimische Zungen und Mägen. Die Gemüse schmeckten entweder wie angekohlte Kokosfasern, gedünstetes Haberstroh oder fauliggewordener Seetang, und die schwärzlichen, verschrumpelten, wie angesengte Schuhsohlen aussehenden Dinger, die als Beefsteaks und Rinderfilets serviert wurden, waren schlechthin nicht entzwei zu kriegen. Nicht einmal mit dem Messer, geschweige denn mit den Zähnen. Ob die verschiedenen Fischarten irgendwelchen eigenen Geschmack aufwiesen, war nicht festzustellen, denn sie wurden in Saucen schwimmend auf den Tisch gebracht, die an Schärfe alles übertrafen, was mir bis dahin zwischen die Zähne gekommen war. Es war einfach fürchterlich. Sepp, der von Natur aus ein bißchen zur Verfressenheit neigte, hatte sofort einen Brocken Brot in eine dieser höllischen Fischsaucen getunkt und ihn leichtsinnigerweise in den Mund geschoben. Er zuckte zusammen, riß entsetzt die Augen auf, fuhr, wie von einer Hornisse gestochen, in die Höhe und durch die weit offene Tür auf die Straße hinaus und sprudelte das Gegessene höchst unkavaliermäßigerweise einer Senhorita vor die Füße, die gerade aus einem Auto ausstieg.

Nachdem unsere Tafelrunde mit immer trübseligeren Mienen alle ausprobierten Vorspeisen, Fleisch und Fisch- und Gemüsegerichte zurückgeschoben hatte, fiel zuletzt jedermann heißhungrig über die gewaltige Schale voll farbenbunter, herrlich duftender Früchte her, die der Kellner, ein tiefschwarzer, in einen tadellosen weißen Anzug gekleideter, aber barfuß gehender Mann, schließlich mit bekümmertem Gesicht auf den Tisch stellte. Die gute Hälfte der Früchte war mir trotz meiner neun Tropenjahre völlig unbekannt, und auch unser Operateur, der doch schon ein halbes Jahr hier verbracht hatte, konnte nicht alle benennen. Ich glaube, es gibt kein Land auf der Erde, das eine derartige Fülle von Fruchtarten aufweist, wie die tropischen Gebiete Brasiliens.

Da ich schon seit mehreren Jahren an einem chronischen Gallenleiden laborierte, hielt ich mich lediglich an meine geliebten und mir immer wohlschmeckenden Papayos, »Mamao«, wie sie hierzulande hießen. Es sind Baummelonen; aus ihrem zartrosaroten Fleisch, mit kleinen schwarzen, kaviarähnlichen Kernen wird das verdauungsfördernde Pepsin gewonnen.

Die andern aber hielten sich vor allem an Bananen, von denen allein es vier oder fünf verschiedene Sorten gab, und ferner an Ananas, Mangos und Guaven, an Gajù, Cajàs, Pitanga, Abacate, Pinhos und wie sie alle heißen, und keiner, auch der landeskundige Kurbelmann inbegriffen, beachtete die tausendundeine Regel, die nach Ansicht der Einheimischen über das Essen von Früchten zu beachten ist. Es ist eine ganze Wissenschaft, welche Frucht und zu welcher Tageszeit und in welcher Beschaffenheit an sich, und weiterhin mit welcher andern zusammen genossen werden darf, was danach zu trinken erlaubt ist und was nicht, und so weiter und so weiter, ohne nach der felsenfesten Überzeugung der Brasilianer einen gräßlichen Tod zu riskieren oder zum mindesten eine galoppierende Kolik oder eine katastrophale Verdünnung davonzutragen. Unser Negerkellner hatte mit sichtlicher Beunruhigung all den lebensgefährlichen Verstößen zugesehen, deren sich unsere Tischgesellschaft auf diesem Gebiet schuldig machte; als aber Bittner nach einer letzten saftigen Mango sich sein gewohntes Glas Helles bestellte, nahm die gute schwarze Haut einen innerlichen Anlauf und machte den Kurbelmann mit leiser höflicher Stimme darauf aufmerksam, daß derjenige, der nach einer Mangofrucht Alkohol zu sich nimmt, einem unrettbaren Tode innerhalb von sechs Stunden verfallen ist. Bittner schüttelte darauf zwar nur unwirsch den Kopf, doch es schienen ihm zuletzt doch Bedenken zu kommen, und er trank das Glas nicht aus. Wie er dann mannhaften Tones versicherte, allerdings nicht wegen dieses blödsinnigen Aberglaubens, sondern aus Protest, weil das Bier, das wie fast allerwärts auf der Welt, so auch hier von einer deutschen Brauerei hergestellt wurde, geradezu unverschämt teuer war.

Wie ich immerhin bemerken muß, ist keiner von uns an diesem Frevel gegen die Speisegesetze des Amazonenstromes gestorben, aber im Laufe des Nachmittags und mehr noch in der folgenden Nacht traten unter der Filmexpedition, mit alleiniger Ausnahme meiner selbst, tatsächlich Leibweh und Übelkeiten von sagenhaften Ausmaßen und abschließend dann ein wahrer Stafettenlauf nach dem Gelaß mit den zwei Nullen auf der Tür ein. Ruth erklärte mir verzerrten Antlitzes, daß sie mir, sobald sie wieder einigermaßen bei Kräften sei, den Schädel einschlagen würde. Ich hätte mich lange genug in aller Welt herumgetrieben, um die Gefährlichkeit von Tropenfrüchten zu kennen und sie pflichtgemäß vorher warnen müssen. Worauf ich ihr ein Opiat und als Zugabe den Bibelspruch einflößte: »Es gehet dir lieblich ein, aber nachher wird es dich grimmen in deinem Bauche.«

Die mittägliche Hitze in dem Speisesaal war trotz der offenen Türen und Fenster und der großen Ventilatoren, die sich unablässig unter der Decke drehten, immer stickiger und zuletzt schier unerträglich geworden. Uns allen lief der Schweiß in Strömen über die Gesichter. Vetter Sepp, der seiner körperlichen Veranlagung nach in den zehn faulen Tagen an Bord bemerkbar feist geworden war, zerrte und würgte fortwährend an seinem verweichten und schwärzlich verfärbten Kragen herum und schimpfte in bayrisch-kernhaften Ausdrücken auf die »saudamischen« Ansichten, die hierzulande über schickliches Bekleidetsein herrschten. Trotz allseitiger Warnungen hatte er in Rio hartnäckig immer wieder versucht, auf der Straße oder sonstwo in der Öffentlichkeit, wenn es ihm zu warm war, einfach seine Jacke auszuziehen und sie über den Arm zu nehmen, so wie es in europäischen Ländern an heißen Tagen allgemein üblich und selbstverständlich ist. In Südamerika, und besonders in Brasilien, denkt man jedoch hierüber aus unerforschlichen Gründen ganz anders. Man kann hier notfalls ohne Schuhe und Strümpfe zum Diner oder in die Oper gehen und niemand wird daran Anstoß nehmen; in Rio ist es sogar möglich, im Badeanzug quer durch die ganze Stadt zum Strand hinunter zu promenieren oder zu fahren, auch das ist zulässig. Nicht aber, sich irgendwo außerhalb der eigenen vier Wände ohne Jackett blicken zu lassen. Als es Sepp dennoch einmal tat, war er auf offner Straße von einem Polizisten höflich, aber bestimmt verwarnt, eines andern Tages aus einem Kaffeehaus hinauskomplimentiert und bei einem dritten, obstinaten Versuche schließlich von einem Tram hinuntergeworfen worden. Was die Brasilianer gegen das Sichtbarwerden von Hemdärmeln haben, habe ich nie herausfinden können.

Als wir den abschließenden sirupsüßen Kaffee einnahmen, verdüsterte sich auf einmal das Tageslicht, ein drohendes, rasch anschwellendes Murren dröhnte durch die Mittagsstille, ein plötzlicher Windstoß fegte die Papierblumen – sie waren hier, in diesem blütenüberschütteten Lande wirklich aus Papier! – von den Tischen herunter, ein Feuerstrahl durchflammte die jäh herniedersinkende Dunkelheit, und, nur Sekunden später, rauschte, prasselte, goß und schüttete es herab, wie es eben nur in den Tropen schütten kann. In kompakter grauer Masse stürzten die Fluten des Himmels nieder, fetzten Laub und Zweige von den Straßenbäumen, bogen die Wedel der Raphia- und Königspalmen auf dem gegenüberliegenden Opernplatz unter ihrer Wucht fast zur Erde nieder, brausten im nächsten Augenblick schon in fußtiefen schäumenden Strudeln auf dem Pflaster dahin, knatterten wie Hagelschlag auf die Dächer und erfüllten das ganze Haus mit einem alles verschlingenden Gedröhne.

Ich war in die Tür getreten, schaute in die Sintflut hinaus und war froh, daß ich dabei ein Dach, und nicht wie so oft in Afrika, nur eine leckende Zeltleinwand oder, noch öfters, lediglich meinen alten Filz über dem Kopf hatte; da tauchte in dem von Blitzen durchglühten Wasserschwall etwas ganz Sonderbares auf. Ein turmhoch beladener Handkarren, von vier halbertrunkenen Gestalten gezogen und geschoben, und ganz zuoberst schwankte etwas Monstruöses, Glitschendes, bedrohlich hin und her, das aussah wie ein urweltlicher Ochsenfrosch, und gerade, als ich den Leuten ein warnendes »Hallo!« zurufen wollte, plumpste das Ding herunter, kollerte in den Rinnstein hinein und wurde von dem bereits knietief angeschwollenen Wasser erfaßt und die abschüssige Straße hinuntergewälzt. Die Ladung bestand aus dem Gepäck unserer Expedition, und was da die Straße hinabgeschwemmt wurde, war Vetter Sepps sagenhafter Wäschesack –! Mit einem »Heda! Was zum Teufel ...!« war Bittner aufgesprungen und zur Türe gelaufen; auf einmal aber stieß er ein Gebrüll aus wie ein angeschossenes Nilpferd, bog sich wiehernd vor Lachen nieder, klatschte sich die Schenkel und japste in das Lokal hinein: »Sie, junger Mann ... haben Sie ... haben Sie das gesehen? – So hilft der Himmel den Seinigen! Er hat Ihnen das Waschen schon besorgt und jetzt haben Sie überhaupt nichts dafür zu bezahlen!« Sepp war mit rotem Kopf aufgefahren und wortlos seinem davonschwimmenden Wäschesack nachgesetzt; ich schaute den immer noch weiterwiehernden Kurbelmann verständnislos an und fragte schließlich: »Sagen Sie mal, was ist an der Sache eigentlich derart lächerlich?«

»Ja, Sie wissen wohl gar nicht, was in dem Sack ist?« fragte er zurück.

»Nun, was wird anderes drin sein als Kleider, Wäsche, Stiefel und so weiter. Oder hat er am Ende seinen geliebten Zaster da reingestopft?«

»Nee, wirklich nur Wäsche. Aber nur dreckige! Seine sämtliche gebrauchte Wäsche seit Berlin! – Mensch, Heye, es klingt natürlich unglaublich, aber dieser Dreckspatz hat es tatsächlich fertiggebracht, den Haufen, der sich bei ihm schon bis Rio de Janeiro angesammelt hatte, nicht einmal dort in die Wäscherei zu geben, und nur darum, weil ich gelegentlich einmal erwähnt hatte, daß hier in Parà auch diese Ausgabe fast wegfallen würde, sobald wir ein Haus gemietet und eine eigene Wäscherin angestellt hätten. Daraufhin hat diese unsagbare Rübe von Kerl den ganzen Berg schmutziger Hemden und Socken noch einmal von Rio aus viertausend Kilometer weiter bis hierher an den Amazonas geschleppt! Nur um eine Wäscherechnung zu schinden! Auf diese Weise hat er schon seit Wochen kein reines Hemd mehr zum Wechseln gehabt, und das ist der Grund, warum unser verehrter Herr Kompagnon geradeheraus gesagt seit einiger Zeit stinkt wie ein Wiedehopf.«

»Mein Gott!« sagte Ruth, die neben uns getreten war, mit leiser Stimme. »Daß der Geiz bei ihm so weit geht, hätte ich wirklich nicht für möglich gehalten. Ich habe ihm schon verschiedene Male zu verstehen gegeben, daß er sich ein bißchen sauberer halten sollte, aber es hat nichts genützt. Jetzt müßt Ihr einmal mit ihm reden, denn das geht doch einfach nicht mehr!«

Da sagte auf einmal eine gereizte Stimme hinter uns: »Wenn Sie es für angebracht halten, sich in die Privatangelegenheiten von Herrn Jungblut einzumischen, so beauftragen Sie bitte Ihren Mann damit, Frau Heye, und nicht den meinen! Ich finde es unerhört, wie hier über einen Teilnehmer an unserer Unternehmung gesprochen wird! Du solltest dich schämen, Adalbert!«

Unserm Kameramann schien ob dieser unerwarteten Verlautbarung seiner Frau einfach der Verstand stehengeblieben zu sein; eine Sekunde lang starrte er sie offenen Mundes an, dann fragte er in leisem, drohendem Tone: »Nun, sag mal, wie kommst denn gerade Du dazu, dem Dreckferkel die Stange zu halten? Du hast doch sonst anders über ihn gesprochen! – Ich kann dir nur sagen ...« Er hatte mit immer lauterer Stimme auf sie eingeschrien, unter den andern Gästen war Totenstille eingetreten; mit beschwörend erhobenen Händen kam der Besitzer aus seinem Bureau herausgeschossen, und mit einem verzweifelten Satze sprang ich aus der unerträglich peinlichen Situation in den Wolkenbruch hinaus und begann geschäftig den vieren am Karren beim Abladen der Kisten mit unserer kostbaren Apparatur zu helfen.

Ruth war bei der widerlichen Szene plötzlich wie vom Erdboden verschwunden, hinter seiner Frau her verhallte die brüllende Stimme Bittners auf der Treppe, die Gäste im Lokal steckten flüsternd die Köpfe zusammen, und mir war über diese Art von Anfang, den unser Aufenthalt hier genommen hatte, ziemlich beklommen zumute. Ich hatte sogleich begriffen, was Frau Bittner zu jener Bemerkung veranlaßt hatte – mir war schon seit langem klar geworden, daß die gegenseitige herzliche Abneigung zwischen den beiden Frauen eine Dynamitpatrone darstellte, die wahrscheinlich unser Unternehmen eines Tages in die Luft sprengen würde.


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