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19.

Als Stufen heim kam, und bei einem den jungen Ulmenhorsts auf ihrem Pachtgute abgestatteten Besuche zufällig von seinem Zwiegespräche mit der Hofmarschallinn, und von Victor und Auroren erzählte, wunderte sich Gotthold mit spitzer Verächtlichkeit, daß das sträfliche Verhältniß der Waiblingen zum Prinzen immer noch so ungestört fortdauere.

Wer hat Euch das gesagt? hob der alte Stufen im ernstesten Unwillen an. Es ist ein schändliches Zeichen der Zeit, daß sich Mehrere im Volke eine eigene Freude daraus machen, die Ersten ihres Landes durch allerlei üble Nachrede zu verunglimpfen, und dadurch die Liebe und die Ehrfurcht, mit der sonst der Unterthan seinem Fürsten gehörte, zu schwächen; aber noch gräulicher ist es, wenn, wie hier, solch unsinniges Geschwätz auf Lug und Betrug beruht. In der Regel erzeugt sich derlei Natterngerücht nicht in den niedern Klassen, in denen noch die alte Treue und Anhänglichkeit herrscht, mit, welcher der Deutsche, so lange die Geschichte lebt, sein Herrscherhaus umfängt. Wo solch krebsartiges Uebel sichtbar wird, da kann man immer annehmen, daß es von oben herunter frißt, und seinen Ursprung, seinen Sitz in den höhern Kreisen hat, die dem Verläumdeten näher stehen, und dessen menschliche Schwächen leichter belauschen können. –

Gotthold dachte an Schnüren, und schlug, von des alten Grafen Bemerkung getroffen, die Augen nieder –

Prinz Victor, fuhr Stufen fort: ist der fleckenloseste, der edelste Mensch. Es kann seyn, daß vernachläßigte Erziehung und unvorsichtig gewählter Umgang ihm früher nachtheilig waren, aber seit der Schutzgeist unsers Landes ihm Auroren an die Seite stellte, hat der Prinz, von ihr unmerkbar geleitet, sein inneres Selbst von Jahr zu Jahr veredelt. Er liebt sie nicht, er betet sie an. Doch etwas Unzartes, etwas Unklares ist in diesem Verhältniß darum nicht. Aurora hätte nur Einen Schritt von der rechten Bahn abweichen dürfen, und der Neid, den sie durch ihren Einfluß auf den Prinzen, auf den Hof und auf das ganze Land bei den Großen fast ohne Ausnahme erregt hatte, würde sie bald ertappt, und ihre Schuld mit hämischer Freude laut ausposaunt haben. Aber gehen Sie nur hin, lieber Ulmenhorst, und hören Sie die Großen, von denen sie Manchem, ohne es zu wollen oder zu wissen, im Wege gestanden, und die ihr darum in der Regel nicht alle gar zu hold sind, über den Punkt sprechen; ihre himmelreine Unschuld wagt auch nicht Einer anzutasten; und man darf das Mädchen auch nur sehen, um dem bösen Leumund der Schlechtgesinnten aus eigener Ueberzeugung widersprechen zu können. Unsereins hat doch auch seinen Blick; ich habe in der frühem Zeit meiner Jugend, wo, nach Frankreichs Beispiel, unter der Marquise Pompadour die frechste Zucht- und Sittenlosigkeit zum guten Ton mancher deutschen Hofwelt gehörte, wohl hie und da vornehme Buhlerinnen gesehen, die sich durch ihre Reize, zuweilen auch durch die Vorzüge ihres Geistes zu Favoritsultaninnen erhoben hatten, aber – nein, nein, Keine, auch nicht Eine hätte mit Auroren auch nur den allerentferntesten Vergleich ausgehalten, weil zwischen jenem sträflichen Verhältniß zu den Fürsten an den damaligen, in tiefe Sittenverwilderung versunkenen Höfen, und dem schuldlosem zwischen Victor und Auroren auch nicht die allerentfernteste Aehnlichkeit Statt findet; und dann, was Sie und die Erbärmlichen, die Sie belogen, über dieses sogenannte heimliche Verhältniß ausgekundschaftet haben wollen, das müßte doch wohl auch die Fürstinn Mutter, die um jede Kleinigkeit ihres Hauses weiß, erfahren haben, und ist es wohl wahrscheinlich, ist es wohl nur denkbar, daß die strenge Frau, die dem ganzen Lande ein Muster weiblicher Tugend ist, Auroren vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft bis heute durch die zarte Huld, durch die herzliche Mutterliebe ausgezeichnet haben würde, deren sich das Mädchen zu erfreuen hat? – Nein, Freund Ulmenhorst, den Wahn laßt fahren. Aurora ist eine Heilige, wie ich nächst unserer lieben Julie Keine im Lande kenne. Sie kommt mir – er betonte diese Worte absichtlich, als habe er vielleicht zufällig Gelegenheit gehabt, die Wege, die das edle Kind zu Gottholds künftigem Heile heimlich eingeschlagen, unbemerkt zu verfolgen – Sie kommt mir, wenn sie von Personen verläumdet wird, denen sie Gutes erwiesen, und darum doch im Gutesthun nicht ermüdet, wahrhaftig wie der Heiland vor, der am Kreuze betete: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie thun.

Nun, sie soll auch mir vergeben, wenn ich ihr Unrecht gethan, sagte Gotthold, und reichte dem ritterlichen Verfechter der Unschuld die Hand: und nach dem, was Sie uns über Victor und Auroren mitgetheilt, will ich gern an die Reinheit ihres Verhältnisses glauben. Aurora – er lächelte in der Erinnerung der Vergangenheit freundlich vor sich hin – Aurora hat mir wohl einmal gefallen, aber mein Julchen war es doch nicht.

Ist das wahr, Holdchen? fragte Julie scherzend und legte ihre Schwanenarme auf seine Achseln, und sah ihm mit ihren großen sprechenden Augen mild und lieblich in das Gesicht, und als er sie auf die frischen Korallenlippen küßte und sich mit seinem Blicke in die goldig schimmernde Tiefe ihrer veilchenblauen Seelenspiegel verlor, und ehrlich und fest antwortete: ja, mein Leben, mein einziges Julchen, das ist wahr, und wird wahr bleiben, so lange ich Gotthold heiße! da streichelte sie ihm die blaubärtige Wange mit beiden Händchen und betheuerte in seinen Armen, halb komisch und halb ernst, daß er der allerbeßte und der allerschönste Gotthold auf der ganzen Welt sey.


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