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14.

Der Justizrath und Lippert waren alte Bekannte; sie freueten sich einander einmal wieder zu sehen, und hatten sich tausend Dinge zu fragen und zu erzählen; aber mitten in ihrer lebhaften Unterhaltung faßte Lippert zuweilen die schöne Julie in das Auge, und je länger und je öfter er sie in Betrachtung zog, und je mehr er sie sprechen hörte, und schalten und walten sah, desto mehr bezauberte ihn ihr Thun und Wesen, desto deutlicher ward ihm, daß ein solches Mädchen einen Feuerkopf, wie Graf Gotthold, wohl aus dem Konzepte bringen könne, und an dem, was er in Juliens Benehmen gegen Gotthold bemerkte, konnte er wohl ziemlich klar abnehmen, daß sie ihm auch nicht gram war. Während der Justizrath mit dem alten Lippert bei einem Fläschchen in der Laube saß, rollten und jagten und scherzten die beiden jungen Leute, lustig wie die Rehe, im Garten herum, begossen die Blumen und sich, und aus hundert kleinen Zügen ergab sich dem aufmerksamen Lippert, mit welcher unnennbaren Liebe das Mädchen dem Jüngling angehöre.

Vater Strenge war im ganzen Kreise, seiner unbestechlichen Unpartheilichkeit, seiner Gradheit, seiner gründlichen Kenntnisse und seiner Umsicht halber, geehrt und geliebt; er genoß überall des unbedingtesten Vertrauens, und es ward kein Geschäft von irgend einiger Wichtigkeit abgemacht, ohne ihn dabei zu Rathe zu ziehen. Darum kam auch jetzt Graf Stufen, der seine in der Nähe befindlichen Güter von neuem verpachten wollte, zu ihm, um ihn die Pachtkontrakt-Entwürfe zur Durchsicht vorzulegen.

Hannchen, Juliens jüngstes Waisenkind, spielte im Hofe und theilte sein eben erhaltenes Butterbrod mit Gottholds ihm wohlbekannter Dogge, und mit Pikas, dem Hausspitz; Graf Stufen hatte seinen großen Wolfhund, Makk mitgebracht, der, gleich beim Eintreten durch sein Knurren, durch das Herabhängen seines Schwanzes, und durch die Bleifarbe seiner Zunge, Julchen zu der besorglichen Frage veranlaßt hatte, ob das Thier etwa krank sey; der Graf hatte sie indessen, ihre Frage verstehend, durch die Versicherung beruhigt, daß das so immer des Hundes Art sey, daß er, wenn er gereizt werde, wohl leicht böse werden könne, daß sie aber nichts von ihm zu fürchten habe.

Makk mochte jetzt zu der, den beiden andern Hunden von dem Kinde gebotenen Bewirthung Appetit bekommen und sich gleichfalls gemeldet haben; die Dogge und der Hausspitz hatten sich, wie, das Dienstmädchen, das den Vorgang von der Küche aus mit angesehen, erzählte, diesen dritten Gast verbeten und ihm die Zähne gewiesen; der tückische Makk hatte das übel genommen, war auf den Hausspitz eingesprungen und hatte diesen sammt dem Kinde über den Haufen geworfen; die Dogge stürzte blitzschnell dazwischen, und so bissen, als auf des Kindes Geschrei und der drei Hunde gräßlichen Lärm, Stufen, Lippert, Gotthold, Julchen und der Justizrath aus dem Garten eilend auf den Hof kamen, die drei großen Pakker, das unglückliche Kind unter sich, mit dem wüthendsten Grimme auf einander.

Julie schrie händeringend: Hannchen, um Gottes willen, wer rettet das Kind! Da sprang Gotthold zwischen die rasenden Thiere, holte das vor Schreck halb todte kleine Wesen unter ihnen hervor, und legte es, zu Aller Erstaunen, unversehrt in Juliens Arme, er aber sank leichenblaß zu ihren Füßen nieder, denn Makk hatte ihm die Hand durch und durch gebissen, und der entsetzliche Blutverlust hatten ihm eine minutenlange Ohn macht zugezogen.

Der Hund ist toll, schlagt ihn todt! schrie ein unterdessen hinzugekommener Bauersmann.

Unser unglückseliger junger Herr ist verloren! ein zweiter.

Ja, wenn Jemand ihm das Gift aus der Wunde saugen könnte, wär' er noch zu retten! ein dritter.

Da zog Julie, neben dem ohnmächtigen Gotthold knieend, seine durchgiftete Hand an ihre Lippen und doch der Vater stürzte herbei und riß ihr die Hand vom Munde und rief, von der Folterqual der schrecklichsten Angst zerrissen: Du trinkst Dir den Tod, den grausamsten Tod! –

Aber Julie hielt Gottholds Hand fest, entgegnete mit stürmischer Hast: Er setzte sein Leben für mich ein, ich bin ihm das meine schuldig! warf, als wollte sie Gott um Kraft und Stärke und um seinen Segen zu ihrer Großthat bitten, einen festen gläubigen Blick zum Himmel, und drückte nun schnell und mit der ganzen Inbrunst der heiligsten, sich selbst verläugnenden Liebe, ihren Purpurmund auf die ihr den unvermeidlichen Tod bringende Giftwunde.

Gotthold erwachte.

Er hatte alles gehört; er hatte die uner meßliche Größe ihres Liebeopfers gefühlt, aber er hatte nicht Kraft gehabt, ihr zu wehren. Jetzt entzog er ihr, ihres Sträubens, ihrer flehentlichen Bitte ungeachtet, rasch die Hand, und ließ sie sich vom Dorfbarbier verbinden. Er fühlte keinen Schmerz mehr, er hatte für alles Irdische keinen Sinn mehr; die Ueberzeugung von Juliens namenloser Liebe hatte ihn der Erde entrückt, hatte ihn verklärt.

Er umschlang, in Aller Gegenwart, das heldenmüthige Mädchen, und erklärte es, zu ihrer und des Vaters unbeschreiblichen Ueberraschung, laut für seine Braut; zu Lippert aber sagte er: Erzählen Sie dem Vater, was Sie gesehen, und er wird meine Wahl billigen. Ob Gott mich und mein Mädchen vor dem Elende, das Ihr befürchtet, bewahren werde, weiß ich nicht; jetzt in diesem Augenblicke bin ich meiner Sinne noch vollkommen mächtig und bei ganz klarem Verstande, und so schwöre ich denn vor Gott und Euch Allen meiner Julie Liebe und Treue bis zum Tode.

Julie sank fröhlich weinend an seine Brust. Jetzt, sie wußte ja nicht wie lange sie noch leben, wie lange sie noch so glücklich seyn werde, von dem, was sie fühlte, einen unverworrenen Begriff zu haben, und sich durch verständige Rede deutlich machen zu können, jetzt gestand sie, Gotthold, und keinen Andern von ihrer Kindheit an geliebt zu haben; sie nannte ihn Du, sie erbat sich den Segen ihres Vaters, umschlang den Geliebten mit beiden Armen, und drückte ihn mit süßer Liebe an das treue Herz.

Dicht neben ihnen fiel ein Schuß. Graf Stufen hatte, ob ihm gleich der Schäfer und der Hirte, zwei im ganzen Kreise weit und breit berühmte Thierarzneikundige, die sich auf ihre Wissenschaft nicht wenig einbildeten, einmüthig versichert hatten, daß Makk nicht toll sey, das böse Thier, das möglicher Weise doch hier unsägliches Elend angestiftet haben konnte, im ersten Unmuthe über seinen unglücklichen Einfall, es mitgebracht zu haben, erschießen lassen.

Lippert traf hinter dem Rücken der Gesellschaft die Veranstaltung, daß der unheilbringende Hund nicht gleich eingescharrt wurde, und jagte den Kutscher mit einem leichten Wagen nach der Kreisstadt, um den Kreisphysikus herauszuholen, der das Thier zergliedern und dem von heimlicher Todesangst gemarterten Brautpaare ärztlich beistehen sollte.

Man eilte wohl, diesem den tröstlichen Schäfer- und Hirten- Ausspruch beizubringen, und beeiferte sich von allen Seiten, bis zur Ankunft des Arztes, die beßten Hausmittel gebrauchen zu lassen; aber Gotthold wie Julie fühlten, daß all diese gutgemeinten Bemühungen wohl erfolglos seyn würden, und Juliens freudiger Trost war, mit dem Geliebten zugleich sterben zu können.

Gotthold – war es die Angst vor der Möglichkeit, in wenig Tagen Verstand und Leben einzubüßen, aber es trieb ihn eine innere Unruhe, den schrecklichen Fall, den Alle befürchteten, sich nahe zu denken. Er bat die, welche nicht zum engeren Kreise gehörten, abzutreten, setzte, von unnennbarer Fiebergluth überflogen, dem Vater Strenge, seinem alten Lippert, dem Grafen Stufen, und dem unterdessen auch herbeigekommenen Pfarrer seine Lage aus einander, und bat, wenn Julie und deren Vater einwilligten, ihrem Bunde, der wahrscheinlich hienieden nur von kurzer Dauer seyn werde, die Weihe der Kirche zu geben. Der Drang der Umstände setzte er hinzu: wird es entschuldigen, wenn die sonst in der Regel vorangehenden Formalien des Proklama dießmal weggelassen werden; ich darf, nach dem Beweise von seltener Liebe, den meine heilig geliebte Julie mir heute gegeben, der Zustimmung meines Vaters entgegensehen; indessen, wenn er, von Standesvorurtheilen befangen, mir diese, wider Wunsch und Erwarten, auch versagen sollte, – ich bin mündig und mein mütterliches Erbtheil, das mir, falls die väterliche Drohung der gänzlichen Enterbung wirklich wahr gemacht werden sollte, rechtlicher Weise nicht verweigert werden kann, reicht hin, um, wenn ich gesund bleibe, damit ein kleines Unternehmen beginnen zu können, das, bei angestrengter Thätigkeit, mir und den Meinen den nöthigen Broderwerb gewährt. Ich werde für die Einbuße des nichtigen Glücks, meinem bevorrechteten Geburt- und Standesrechte gemäß leben zu können, in Juliens Besitz und in dem ehrenwerthen Gefühle, mir selbst meinen Unterhalt zu verdanken zu haben, die vollkommenste Entschädigung finden, und ich werde im ganzen Umfange des Wortes, glücklich seyn, wenn es mir, was ich von der Güte meines Vaters erwarten darf, gelingt, ihn mit der Zeit zu versöhnen. Zufällig spreche ich vor einem mit den Landesgesetzen wohl bekannten Meister der Gerechtigkeit, vor einem Diener der Kirche, vor einem Ebenbürtigen und vor einem Vertrauten meines Vaters. Euch, achtbare Herren und Männer, deren Ausspruch und Entscheidung ich unbedingt ehren werde, Euch lege ich die Frage vor, ob ich, in meiner Lage, sträflich handle, wenn ich, ohne die Zustimmung des Vaters abzuwarten, zu meiner Verbindung mit Julien, um der Kirche Segen bitte, vorausgesetzt, daß Julie selbst in diesen Wunsch mit einstimmt.

Julie schmiegte sich sanft weinend an Gotthold. Mit Dir zu leben, mit Dir zu sterben, sagte sie, den unvermeidlichen Tod in der geängsteten Brust immer gewisser fühlend: ist mein einziges, mein höchstes Glück. Dich im Auge, Dich im Herzen, habe ich nie an Deinen Rang, nie an Deinen Reichthum gedacht; an Deiner Seite, selbst wenn der Mangel uns zuweilen des Lebens Genüsse verkümmern sollte, werde ich mich ewig glücklich preisen; an Deiner Seite werde ich Gutes und Böses – bei des kömmt ja von Gott – mit Dank und Muth tragen, und wären nicht andere Deinem kindlichen Herzen schmerzliche Verhältnisse damit unzertrennlich verknüpft – so wäre mir gerade Deine Entäußerung der Standeshöhe und des Goldglanzes, das Erwünschteste; denn Du steigst dann herab von dem hohen Gipfelpunkte Deiner jetzigen Stellung, und ich stünde dann Dir näher, ich wäre Dir gleicher. – Doch; das alles sind ja nur eitle, leere Ideen, für den kaum denkbaren Fall, daß uns Gott jetzt Leben und Gesundheit der Sinne erhalte. Das Wahrscheinlichere ist der Tod, oder, was noch schrecklicher, die grauenvollste Geisteszerrüttung. Nimm, mein Gotthold – noch weiß ich, was ich fühle, noch weiß ich, was ich denke und spreche – nimm vor Gott, und meinem Vater, vor meinem Beichtiger und vor achtbaren, Dir und mir befreundeten Zeugen, mein Gelöbniß hin, daß ich Dich bis zum Tode, und in allen Verhältnissen des Lebens, wenn es dem Allerbarmer gefallen sollte, mir solches zu fristen, ewig treu lieben, und Dir allein gehören werde, so wahr mir Gott helfe durch seinen Sohn, Jesum Christum.

Ihr habt es gehört, werthe Freunde, hob Gotthold tief bewegt an, und die heißen Thränen rollten ihm über die Wangen: vor dem Allgegenwärtigen ist unser Bund geschlossen, und wir werden an ihm halten fest und bis zum letzten Hauche unsers Lebens. Jetzt sagt uns, ob unserm beiderseitigen, von dem Drange der Umstände in unserm Gewissen gerechtfertigten Wunsche der kirchlichen Weihe gewillfahrt werden könne. Berathet Euch hier unter Euch, und theilt uns dann Euern Beschluß mit.

Der alte Lippert, der zwischen zwei Mühlsteinen, zwischen seiner billigenden Ansicht des vom jungen Paare geäußerten Wunsches, und seiner mißbilligenden Gesandtenpflicht lag, bat, mit Kurierpferden zum Vater eilen und diesem den ganzen Vorgang berichten zu dürfen, wo er dann mit eben der Schnelle zurückkommen wolle, um den hoffentlich gewährenden Bescheid mitzubringen.

Im glücklichsten Falle, entgegnete Gotthold: sind zu dem allen 5 Tage erforderlich; ist der Vater, wie ich aus einigen seiner Aeusserungen folgern darf, während Ihres Hierseyns aber in die Residenz gereis't, oder zögert er, was sehr wahrscheinlich ist, mit der Abgabe seines Bescheides, um sich vorher mit Diesem oder Jenem darüber noch zu berathen; so gehen 8 - 14 Tage darüber hin, ehe Sie wieder hier seyn können, unter der Zeit können wir Beide todt, oder, was noch schlimmer ist, unsers Verstandes beraubt seyn; was geschehen soll, muß heute geschehen, oder vielleicht gar nicht!

Lippert schlug nun vor, wenigstens den Kreisphysikus, nach dem er geschickt zu haben jetzt gestand, abzuwarten, um von dem zu hören, ob die Wunde so gefährlich sey, daß die Ausführung des Gotthold'schen Wunsches, mit Julien vor ihrem Tode oder vor dem Verlust des Verstandes, verbunden zu werden, keinen Aufschub leide; der Graf Stufen aber entkräftete diesen Vorschlag durch die geäusserte Besorgniß, daß der Kutscher wahrscheinlich den Kreisphysikus vor übermorgen nicht herausbringen werde, weil dieser, wie er gehört, zu einem, am entgegengesetzten Ende des Kreises befindlichen, sehr bedeutenden Kranken geholt worden sey.

Der Pfarrer meinte, gegen den muthmaßlich ablehnenden Willen seines Kirchenpatrons, des alten Grafen Ulmenhorst, ohne vorherige Anfrage bei seinem Vorgesetzten, dem Herrn Superintendenten, die Trauung, so sehr er solche für seine Person billige, und durch das Zusammentreffen der vorliegenden Umstände gerechtfertigt finde, nicht vollziehen zu dürfen, und Vater Strenge bat, ihn von jeder Theilnahme an irgend einem Beschluß in der Sache zu entlassen, da er interesse ad causam habe, sein Ausspruch daher, er möge ausfallen, wie er wolle, für partheiisch angesehen werden würde, und er um keinen Preis den Verdacht auf sich laden wolle, als habe er auch nur auf das Entfernteste dazu beigetragen, die in aller Hinsicht so ehrenvolle Verbindung seiner Tochter, die aber, so lange noch Standesvorurtheile in der Welt wären, auf Gottholds Seite immer für eine Mißheirath werde angesehen werden, zu befördern.

Nun, da Ihr Herren Euch alle auf die Hinterbeine stellt, hob der alte Graf Stufen, der sich und seinen verendeten Makk als die unglückliche Ursache des ganzen preßhaften Zustandes ansah, und sich verpflichtet fühlte, das Böse, was mittelbar durch ihn dem von der qualvollsten Angst gemarterten Paare zugefügt worden war, nach Kräften wieder gut zu machen, mit ritterlicher Festigkeit an: so will ich mich vor den Riß stellen. Ich kann in der Sache wohl auch am ersten ein Wort mitsprechen. Ich stehe, dem Range und der Geburt nach, meinem Nachbar, dem Herrn Grafen Ulmenhorst, dem Vater, am nächsten; mein Geschlecht ist so alt als das seine; die Stufen gehören, wie die Ulmenhorste, zu den Gerechtigkeit-Rittern und leisten der Ahnenprobe in jeder Hinsicht volle Genüge, meine Altvordern sind, wie die seinigen, Alle für ihre Person ebenbürtig, und eben so auch ebenbürtig verehelicht gewesen; sein Haus zählt, wie das meine, 64 Ahnen. Beide sind die ältesten im Lande. Ich führe Euch, Herren, das nicht an, um damit zu prunken, ob Ihr uns gleich nicht verargen mögt, daß es ein wohlthuendes, ein herzerhebendes Gefühl ist, in die graue Vorzeit zurückgehen zu können, und überall, wo es deutsches Recht und deutsche Sitte gegolten, von der Geschichte des Vaterlandes auf einen Ulmenhorst, auf einen Stufen hingewiesen zu werden, der für beides ritterlich gefochten und die Pflicht der Fürstentreue als Ehrenmann im Herzen bewahrt und bewährt hat. Ich erinnere Euch bloß daran, um den, der mit der Muttermilch das Vorurtheil seiner Geburt eingesogen und mit der Geschichte seiner Familie die Unantastbarkeit seiner Standesvorrechte gelernt hat, zu entschuldigen, wenn er vermeint, daß der Glanz seines Hauses durch eine sogenannte Mißheirath verdunkelt werde. Ich bin daher auch der Erste, der den hochachtbaren Grafen Ulmenhorst, den Vater, entschuldigt, wenn er im ersten Augenblicke sich gegen die Verbindung erklärte. Kennte er, wie ich, die fleckenlose Jungfrau, der unser Gotthold seine Liebe geschworen; kennte er, wie wir Alle, ihren Werth in seinem ganzen Umfange; kennte er den Vater, der im edelsten Sinne des Worts der Vater unsers ganzen Kreises, und der würdigste Diener der Gerechtigkeit und unsers gerechten allergnädigsten Herrn ist; und hätte er heute gesehen, was unsere Augen gesehen, er würde, wie ich, der Ueberzeugung seyn, daß Julie, die wahrscheinlich unter allen unsern Cour- und Hoffähigen Keine ihres Gleichen finden dürfte, als die Edelste ihres Geschlechts, des Adels, dessen sich unsere beiderseitigen Mütter und Aelter-Mütter zu erfreuen gehabt, vollständig werth sey, und daß sie den Ruhm und den Glanz, und die Ehre seines Hauses statt zu verdunkeln, in vollem Maße verherrliche; er würde seinem Sohne zum Besitze einer solchen, von Gott gegebenen Haus-Ehre, sich zu einer Liebens- und achtungwerthen Schnur, und seinen Unterthanen zu solch einer mild- und huldreichen Mutter von Herzen eben so aufrichtig Glück wünschen, als ich es thun würde, wenn mein Sohn eine gleiche, ihm, mir und meinen Unterthanen segenvolle Wahl träfe. Und so gebe ich denn, Kraft meines Nachbar-, Freundes- und Ebenbürtigteits-Rechts, zu dieser ehelichen Verbindung in seinem Namen und in seiner Seele den Vater-Segen. Herr Pfarrer, trauen Sie das junge Paar im Namen Gottes. Ich vertrete die Folgen und übernehme alle Verantwortung. –

Hiermit führte er Gotthold und Julie dem Pfarrer zu, und dieser begrüßte sie mit frommer Anrede und sprach, mit Hinblick auf das, was Gotthold früher für Julien, und was diese heute für ihn gethan, über die, seit Jahrtausenden noch nicht verklungenen Worte Jesu:

Das ist mein Gebot, daß Ihr Euch unter einander liebet, gleichwie ich Euch liebe. Niemand hat größere Liebe, denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde.

und am Schlusse seiner tief ergreifenden Rede legte er segnend die Hände auf die treu Verbundenen, und weihte sie, nach dem Gesetz der Kirche, der Liebe bis zum Tode; und Gotthold und Julie sanken zu des Vaters Füßen nieder, er beugte sich zu ihnen herab und sprach, ihnen seinen Segen unter Thränen der Freude und des Schmerzes ertheilend: Des Herrn Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.

Nun aber Kinder, rief der alte Graf Stufen: nun seyd fröhlich und guter Dinge; Wein her! Weg mit Thränen und Angst und Sorgen; wir wollen heute leben, als wäre es mit uns Allen morgen all. Und Vater Strenge gab das Beßte, was er im Keller hatte, und Gotthold ließ holen und herbeischaffen, was die Küche und die unterirdischen Tiefen des Gräflichen Schlosses vermochten, und Alle wurden froh und vergaßen der ausgestandenen Angst, und Julie wußte nicht, wie ihr geschehen, und lachte den Dienern des Hauses und den jungen Bäuerinnen, die von der Vermählung gehört hatten, und jetzt mit Blumen und Früchten, mit jungen Tauben und allerlei kleinen Weihgeschenken für die neue Wirthschaft herbeieilten, verschämt in das Gesicht, als sie sie: gnädigste Frau Gräfinn nannten.

Spät am Abend traf der Kreisphysikus ein.

Er erforschte Gottholds Wunde und Juliens Gesundheitzustand genau; er zergliederte Makks sterbliche Reste mit anatomischem Messer, und prüfte den Befund mit strenger Aufmerksamkeit. Alles war auf seinen Ausspruch gespannt; Alles belauschte jede seiner Mienen, und er erklärte bei Verlust seiner Arzt-Ehre und seines Staats-Amtes, daß von der Hundeswuth auch nicht die geringste Spur hier zu finden, und daß daher die gehegte Besorgniß für Gotthold und Julien durchaus ungegründet sey.

Jetzt erst ward die Freude schlackenfrei, sie läuterte sich zur Seligkeit; und als der Himmelsbote, der Kreisphysikus sich von dem stürmischen Jubel, mit dem die, durch seine feste Versicherung hoch entzückten Menschen auf ihn von allen Seiten eingedrungen waren, erholt hatte, und ein in der Kreisstadt mit der Post eingelaufenes, an den Vater Strenge gerichtetes Schreiben hervorbrachte, und der Empfänger solches erbrach, und aus demselben zu seiner und aller Anwesenden großen Ueberraschung vorlas, daß der Fürst ihn, zum Anerkenntniß seiner vieljährigen treuen Dienste, zum geheimen Justizrath beim obersten Gerichtshof in der Residenz erhoben, da brach der ganze Kreis in lautes Entzücken aus, und dem gerechten Fürsten und dem neuen geheimen Justizrathe, dem jungen Paare, dem Vater Ulmenhorst, dem Bruder Ferdinand in Paris, dem Brautwerber Stufen, dem Kreisphysikus und Allen, Allen, erscholl ein Vivat nach dem andern, und das überglückliche junge Ehepaar war längst in die, von der Bettmeisterinn eilig und schleunig festlich bereitete Brautkammer des Gräflichen Schlosses verschwunden, als sich die ersten Morgenstrahlen der Julius-Sonne in den leeren Flaschen brachen, und die vom alten Weine froh berauschten Hochzeitgäste zum endlichen Aufbruche mahnten.


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