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7.

Hier, hier, lieber Graf! schrie Mama Landräthinn, als sie, mit den Ihrigen schon sitzend, Gotthold nach langem Warten endlich in den Saal treten sah, und klopfte auf die Lehne des ihm bestimmten Stuhles. Pupchen, seine Nachbarinn, hatte ihm von der ersten Schüssel, aus purer blanker Liebe, einen Haufen auf seinen Teller gelegt, daß, wie der Major sich witziger Weise ausdrückte, kein Landwehrdragoner darüber wegzusetzen im Stande wäre; sie klagte ihm ihre Noth, beim Tanzen immer so entsetzlich schwitzen zu müssen, daß sie jedesmal wie aus dem Wasser gezogen sey, stieß mit ihm auf gute Nachbarn und desgl. an, und kicherte über das sinnreiche und darum von ihr sehr verständlich betonte - und desgleichen mit der Mama um die Wette.

Gotthold aber sah und hörte von allem dem nur die Hälfte, und auch die nur halb, denn er lugte in Einem hinüber nach Auroren, und freute sich, daß sie recht verdrießlich aussah, und sich recht systematisch zu langweilen schien; der Obermundschenk unterhielt sich größtentheils ausschließlich mit der Tante Hofmarschallinn, und der zweite Nachbar, ein invalider Generallieutenant außer Dienst, stocktaub und kurzen Gesichts, der früher vom Vater oder von Lippert dahin postirt worden zu seyn schien, damit die jungen Leutchen recht ungestört hatten mit einander schwatzen können, sprach keine Sylbe, sondern hieb in die vor ihm stehenden Schüsseln ein, als habe er an der Spitze seines Kavallerieregiments Marsch blasen lassen.

Aurora, durch einige ihrer Bekanntinnen, die aus löblicher Neugierde, vor Tische die Tafel umflattert hatten, um zu sehen, wo der und der, und die und die zu sitzen hinkommen werde, bereits vorläufig von der, in Gottholds Person ihr anfänglich bestimmten Nachbarschaft unterrichtet, war nicht wenig überrascht gewesen, statt des erwarteten Gotthold, den alten Obermundschenk angewackelt kommen zu sehn, der sie am rechten, und die Tante am linken Arme zu Tische geführt hatte; sie konnte den alten Mann im Ganzen wohl leiden, aber heute wäre ihr Gotthold neben sich bei Tische doch lieber gewesen. Es war unter den Hunderten, die bald von ihrem persönlichen Reize hingezogen, bald aus Spekulation auf ihre Fürsprache beim Prinzen, täglich zu ihren Füssen lagen, der erste junge Mann, der ihr gefiel, dem sie gut, recht gut geworden war, und den sie meinte, bei näherer Bekanntschaft noch lieber gewinnen zu können, denn er war ihr, trotz der tausend lustigen Dinge, die er vorhin während des Tanzes hatte ausgehen lassen, doch verständig und unterrichtet vorgekommen, und die Gutherzigkeit, die ehrliche Biederkeit, die ehrenfeste Zuverlässigkeit hatten sich in jedem seiner wohlgefälligen Züge, in jeder seiner Aeußerungen ausgesprochen; daß die Etikette von ihm hatte fordern können, seinen Tischplatz dem später unvermuthet gekommenen Obermundschenk abzutreten, sah sie ein; aber daß er sich gerade da unten hinunter, an die zweite Tafel, bei Landrath Zwickels hatte setzen müssen, das wollte ihr nicht als ganz unbedingt nöthig einleuchten. Auch sie freuete sich, daß er verdrießlich aussah; denn, daß er lieber neben ihr, als neben dem doch in Allem auch gar zu sehr zurückgebliebenen Pupchen Zwickel gesessen, lag ihr, alles Selbstgefühl dießmal völlig bei Seite gesetzt, am Tage.

Er stand schon bei der dritten Schüssel hastig, und wenn Aurora sich nicht irrte, verstimmter auf als er sich niedergesetzt hatte; sie hielt das zu ihrer Freude und zu Gottholds Ehre für sehr natürlich; bestimmt hatte das Gänschen Polykarpe von Zwickel so viel Albernes zum Beßten gegeben, daß er es nicht länger hatte aushalten können; er ging von einer Tafel zur andern, stellte sich bald hinter den Stuhl einer ihm näher bekannten Dame, bald hinter einen Herrn, plauderte und spielte den Wirth, und suchte (wenn auch selbst im Innern bis zum Tode erkaltet) die Freuden der Tafel zu beleben. Jetzt – bestimmt kam er nun endlich auch zu ihr. Zweimal war er schon ganz in der Nähe gewesen; jetzt stand er drüben bei der kleinen Goldstein, jetzt mußte er zu ihr herüberkommen, und wenigstens der Artigkeit hal ber bedauern, seinen Platz haben aufgeben zu müssen. Und vielleicht bat er sich, zur Entschädigung seines unermeßlichen Verlustes, nach Tische noch einen Tanz von ihr aus, und aus schuldiger Rücksicht auf den Sohn vom Hause, und wenn er sie recht hübsch bat, hatte sie ihm schon einen aufgehoben.

Aber er kam nicht, er bedauerte nicht, er bat nicht. Von der Goldstein wendete er sich, ohne sie einmal anzusehen, – nein, einen Blick hatte er ihr hinübergeworfen, aber der war so kurios, so ganz sonderbar gewesen, daß sie sich lieber weiß machte, er hätte gar nicht hergesehen, – zu der dritten und vierten Tafel; mit jeder nur irgend interessanten jungen Dame knüpfte er eine kleine Unterhaltung an, nur zu ihr kam er nicht, zu ihr allein nicht.

Er mied sie absichtlich; denn als die Gesellschaft nach aufgehobener Tafel wieder zu tanzen anfing, und der Obermundschenk ihm in das Ohr flisterte, daß die Gräfinn Waiblingen auf den nächsten Walzer noch nicht engagirt sey, that er, als ob es ihm außerordentlich leid sey, sich schon versagt zu haben; und mit wem trat er an? mit einem zwölfjährigen Kinde, das bestimmt ihm und sich kein Haar ausgerauft haben würde, wenn er es unter Vertröstung auf den nächsten Tanz hätte sitzen lassen, und dafür mit ihr gewalzt hätte. Aber es war recht absichtliche Absicht von ihm, ihr aus dem Wege zu gehen, denn in welcher Gegend des Ball-Saales sie sich nur sehen ließ, augenblicklich war er daraus verschwunden.

Aurora – ein Zurückziehen der Art war ihr noch im Leben nicht vorgekommen. In der Residenz, am Hofe, flog ihr alles entgegen, selbst hier hatten sich die Ersten des umliegenden Landadels an sie gedrängt, nur Gotthold, der im ersten Augenblicke ihres Eintretens ihr die unzweideutigsten Beweise der ausgezeichnetesten Aufmerksamkeit, der zartesten Huldigung gegeben hatte, war auf einmal wie umgewandelt, und floh ihre Nähe.

Sie ärgerte sich über sich selbst, daß sie nicht stark genug war, den wandelbaren Menschen im Augenblick wieder aufgeben zu können, aber gerade seine scheinbare Gleichgiltigkeit gegen sie, machte ihn ihr um so interessanter; es lag in diesem auffallenden Benehmen, das sie entweder für erzwungen, oder für die Folge irgend eines ihr unerklärlichen Mißverständnisses hielt, eine Art von Herausforderung, diese Kälte zu schmelzen, oder dieses Mißverständniß aufzuhellen. Allein da er ihr überall auswich, konnte-sie ihren Zweck, wenigstens diesen Abend nicht erreichen.

Sie verließ, sichtbar verstimmt, mit der Tante Hofmarschallinn beim anbrechenden Morgen die Gesellschaft, und stellte sich, als ob sie schliefe, um den wiederholten Fragen der Tante, was ihr fehle, und warum sie so einsylbig dasitze, ein Ende zu machen. Als aber die Tante gesprächweise Brunehilden mittheilte, daß sie Ulmenhorst Vater und Sohn zum nächsten Sonntag eingeladen, und daß der Alte zugesagt habe, da drückte sie die Aeuglein fester zu, huschte in ihren weichen Mantel tiefer hinein, und überdachte sich die Weise, wie sie den räthselhaften Herrn Gotthold recht unbemerklich in die Enge treiben wollte, bis er ihr über sein gar sonderbares Benehmen den gewünschten Aufschluß gegeben, und meinte, daß sich das Uebrige schon von selbst finden solle.


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