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Das war ein Ball!
Lange schon hatte der alte Graf die Schönen der Umgegend auf Gottholds Rückkunft von dessen Reisen vertröstet, die er mit einem Tanzfeste verherrlichen wolle, wie weit und breit seit Menschengedenken keins gefeiert worden, und der alte Herr hielt Wort. Mit breiter Beredsamkeit hatte er ihnen die fünf Hauptstücke auseinandergesetzt, aus denen ein ordentlicher Ball bestehen müsse; nämlich geräumiger Platz, sonnenhelle Beleuchtung, die beßtmögliche Musik, ein erquickendes Glas Wein, und die schönsten Mädchen und Frauen des Landes; und in dem prächtigen Ahnensaale, mit dem spiegelglatten Fußboden, strahlte das blendend freundliche Licht von tausend Wachskerzen, und das, aus der Residenz weither verschriebene, funfzig Mann starke Gardemusik-Corps steigerte bald das Entzücken der wunderholden Tänzerinnen, die sich beim schäumenden Champagner, den der Graf gleich nach der ersten Polonaise, statt des ihm verhaßten Thees, herumgeben ließ, einmüthig gestanden, daß der liebenswürdige Wirth auch das sechste, von ihm mit Stillschweigen übergangene Hauptstück, die flinksten Tänzer, nicht vergessen habe, denn von nah und fern, aus allen umliegenden Rittersitzen und Garnisonen, war hier die Blüthe der männlichen Jugend beisammen; alles blanke, rüstige Springinsfeld, die mit Lust und Liebe auf dem Platze waren, und ihren Schönen unter den sinnigsten Huldigungen betheuerten, heute auch auf dem Plane bleiben zu wollen. Doch, so unwiderstehlich sie auch zu seyn sich einbildeten, dem jungen Grafen Gotthold erkannte man doch einstimmig den Preis zu. Eins lobte seine äußere Anmuth, seine Gewandtheit, das Andere seine kräftige Jugend; die ältern Damen waren von der feinen Artigkeit entzückt, mit der er sie unterhielt; die jüngern, von der frohen Laune, von dem gutmüthigen Scherz, von dem fröhlichen Witz, der seiner muntern Rede Leben und anziehendes Interesse gab, und die Männer von der Bescheidenheit und dem Ernste, die den weiten Umfang seines gediegenen Wissens in ein eigenes Licht setzten. Er schien die Pflicht der Stelle zu fühlen, die ihm der heutige Tag angewiesen; die ihm zu Ehren geladenen Gäste waren ihm alle gleich lieb und werth, er zeichnete Keinen aus, er war gegen Alle gleich freundlich und herzlich, und gewann so das Wohlwollen Aller.
Da rissen die reichgallonirten Diener des gräflichen Wirthes die Flügelthüren des Saales auf, und es trat ein die Hofmarschallinn Excellenz, an ihrer Linken ihre Eingeborene, die bleiche Brunehild, und an ihrer Rechten ihre blühende Nichte, die Gräfinn Aurora von Waiblingen.
Die Excellenz entschuldigte beim gastlichen Wirth ihr spätes Erscheinen und die Freiheit, die sie sich genommen, die aus der Residenz heute Nachmittag zufällig bei ihr eingetroffene Nichte uneingeladen mitgebracht zu haben; wenn man aber dieser überschlauen Frau hätte bis auf den Grund ihrer Seele sehen können, so wäre aus diesem Folgendes zu lesen gewesen: Unserer Verabredung gemäß, lieber alter Graf, hat mir Aurorens Vater das Kind heute zugeschickt; hier ist es; seine späte Ankunft verzögerte meine Abfahrt von unserm Gute, daher sind wir die Letzten. Aurora weiß von unserm Plane nichts; wir wollen erst sehen, ob sich die jungen Leute von selbst finden; sollte dieß wider Hoffen nicht der Fall seyn, so müssen wir überlegen, wie wir auf eine feine Weise nachhelfen können. Der Hof, überzeugt, daß, so lange das kleine Verhältniß zwischen dem Erbprinzen und Auroren obwaltet, ersterer an eine, seines Hauses würdige, standesmäßige Vermählung nie denken werde, wünscht um jeden Preis Aurorens Verheirathung, und wird unserm lieben Gotthold alle Wünsche erfüllen, die er zur Bedingung dieser Verbindung macht. Dem Erbprinzen, der von unserem gemeinschaftlichen Plane ebenfalls nichts weiß, wird es ein schmerzliches Opfer seyn, Auroren aufzugeben. Er wird alles in Bewegung setzen, um die Verbindung zu hintertreiben; wir müssen daher, um ihn uns für die Zukunft nicht zum Feinde zu machen, unsere Maßregeln, dem Hofe gefällig zu seyn, an einem höchst delikaten Wege treffen. Für heute mögen sich Gotthold und Aurora bloß kennen lernen. Was weiter zu thun, wollen wir, nach Maßgabe der Umstände, sodann unter uns im Stillen berathen.
War es Aurorens Tannenwuchs, war es die ungezwungene Grazie ihrer schönen Haltung, war es das Geistvolle ihres sprechenden Auges, war es die himmlische Gutmüthigkeit, die in den Zügen dieses Engelköpfchens lag, war es die Strahlenpracht ihres reichen Brillant-Schmuckes, war es die frische Fülle des jugendlichen Körpers, die blendende Weiße der Lilienhaut, das blühende Roth der Gesundheit und engelreinen Unschuld, das, wie vom Morgenkusse ihrer frühen Namenschwester ihr auf die Wangen gehaucht, dem ganzen Gesichtchen einen namenlosen Liebreiz gab, – Gotthold stand versteinert, als er das Mädchen erblickte. Der Vater stellte ihn der Excellenz und deren jungen Begleiterinnen vor, und Gotthold hätte sich, so oft er späterhin an diese verwünschte Vorstellung dachte, die Finger abbeißen mögen, denn er meinte, sich dabei so links und lächerlich benommen, und soviel Albernheiten bei der Gelegenheit gesagt zu haben, daß ihn Aurora für einen Menschen ohne alle Erziehung gehalten haben müsse; und gerade diese Verlegenheit, diese Verwirrung hatten dem feinfühlenden Mädchen wohlgethan; sie waren ihr die sprechendsten Beweise von dem Eindruck gewesen, den ihr Liebreiz auf den schönen jungen Mann gemacht hatte, der von jetzt an nur Augen für sie allein zu haben schien und die übrigen Damen alle vernachlässigte.
Noch vor zehn Minuten hatte Frau von Stetefisch ihrer Kunigunde in das Ohr geraunt: der Gotthold ist ein lebendiger Engel, Du gefällst ihm; er hat dein Tanzen über alle Maßen gelobt. Die Baronesse von Pfortenrode hatte ihn, als sie ihn mit ihrem Renzchen beim lustigen Länderer so fröhlich tändeln und tosen gesehen, im Stillen schon als ihren leibhaften Schwiegersohn betrachtet, und ihn laut den ersten jungen Mann im ganzen Lande genannt; und die Landräthin war mit huldreicher Glorie in den enggeschlossenen Kreis von Papchen, Pip chen, Popchen und Pupchen getreten, und hatte ihnen vertraut, daß sie nach den schmeichelhaften Aeusserungen, die Gotthold über das vierblättrige Kleeblatt habe fallen lassen, über seine ernsten Absichten jetzt keinen Zweifel mehr hege, Gotthold sey ein kompleter Halbgott; es drücke ihr fast das Herz ab, ihm das in das Gesicht zu sagen.
Und jetzt, da Gotthold mit keiner Ballschöne mehr sprach, da der Strahl seines Auges nur auf Auroren fiel, da er für die Musik und für den Scherz der Gäste kein Ohr hatte, sondern wie eingewurzelt stand, und die schöne Waiblingen vom mächtigen Solitair, der in der Mitte des, von den Ringellocken des seidenen Haupthaares leicht umrankten Diadems funkelnd blitzte, bis zur Spitze des niedlichen Füßchens in stummem Entzücken betrachtete, als wolle er das Götterkind mit den Augen verschlingen, und die Quadrille, auf die er mit Pupchen engagirt gewesen war, in den Tod vergessen, und dafür bei dem Quarré unter den Zuschauern, in süße Träumereien versunken, gestanden hatte, in dem Aurora mit der bezauberndsten Anmuth tanzte, da meinten seine eben erwähnten drei Lobpreiserinnen und manche andere Mutter im Saale, daß der Gotthold, bei näherer Bekanntschaft, doch ein sehr gewöhnlicher junger Mensch sey, der die Regeln der guten Lebensart so weit vergesse, daß er über das hübsche Lärvchen einer Erz-Kokette die Pflicht der Aufmerksamkeit, die er der übrigen Gesellschaft schuldig sey, augenfällig verletze.
Das von Gotthold böslicher Weise verlassene Quarré warb sich, nachdem es ihn lange vergeblich gesucht, am Ende ein anderweites viertes Paar, und Pupchen blieb sitzen.
Die Landräthin kochte vor Wuth. Die fürstliche Buhlerin hat ihm den Kopf verdreht, sagte sie zu der Sitzengebliebenen: aber ich will ihm denselben wieder zurecht setzen lassen. Ungebetene Gäste gehören nach altem Sprichwort hinter den Ofen. Was will die Person hier? kein Mensch hat sie eingeladen; sie kann gehen, wohin sie gehört. Aber wir kennen die feine Frau Hofmarschallin, wahrscheinlich ist der Erbprinz des Mädchens, das sich ihm an den Hals geworfen haben mag, nun überdrüssig; Ihre Excellenz hat von ihm den heimlichen Auftrag, die Lästige auf gute Manier unter die Haube zu bringen, und dazu kömmt Graf Gotthold der spekulirenden Hofmarschallin recht gelegen. Ich wette, dieser weiß von dem saubern Verhältniß, in dem Aurora zum Erbprinzen steht, kein Wort; der Mensch ist ja seit vier, fünf Jahren außer Landes gewesen; aber ich will ihm den Staar stechen lassen; rennt er dann mit sehenden Augen in sein Unglück, nun so hat er es bei sich selbst zu verantworten. Aber warnen müssen wir ihn, denn fängt ihn die höfische Kreuzspinne in ihren Netzen, so ist er auf ewig verloren. Sey ruhig, Pupchen, und laß Dir deinen Verdruß nicht merken; er muß Dir Abbitte thun, das ist seine Schuldigkeit, und wenn er kommt, so maule ein bischen, doch nicht zu lange; sey bald wiederfreundlich und gib Dir Mühe, beim Schmollen recht interessant zu seyn. Machst Du deine Sachen gut, so kann Dir die verpaßte Quadrille mehr einbringen, als wenn Du sie getanzt hättest.
Mutter! knirschte Pupchen heimlich, und krampfte die kleine Rechte zusammen, daß in den Glanz-Handschuhen zwischen zwei Fingern alles Nächte platzten: die Aurora – schon als Kind ist sie mir unausstehlich gewesen, könnte ich sie unterkriegen, mit beiden Füßen wollte ich die Schlange zertreten.
Ruhig, ruhig, flüsterte ihr Mama in das, vor Groll und Grimm bis zum dunkelsten Purpur geröthete Ohr, winkte ihren künftigen Eidam, den Major v. Schnüren, zu sich, und sandte ihn mit mündlichen Aufträgen auf seinen Posten.