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17.

Erzählen Sie uns doch, sagte die Hofmarschallin, die den Grafen in einer kleinen, mit der Gegenwart des Erbprinzen beehrten Soiree beim Großceremonienmeister fand: in Ihrer, Gegend haust ja wohl der junge Ulmenhorst. Wie geht es denn dem Sonderling mit seiner Justizprinzessinn?

In Gegenwart unsers gnädigsten Prinzen, erwiederte der alte Stufen in seiner ländlichen Derbheit, durch die er sich schon früher dem jungen Viktor lieb und werth gemacht hatte: erlaube ich mir nicht zu antworten, wie es die gar sonderbar gestellte Frage wohl verdiente, und wenn es jetzt zum guten Tone der höhern Gesellschaftkreise gehören sollte, wackere Menschen, die hier Niemand beleidigt haben, vor ihrem künftigen Herrn zu verunglimpfen, so will ich machen, daß ich bald wieder auf meine Hufe komme, wo wir uns freuen, wenn wir vom Nachbar und Mitmenschen nur Gutes hören, und Gutes sprechen können. Von hausen, von Sonderling und von Justizprinzessinn darf gar keine Rede seyn, wenn des jungen Grafen Ulmenhorsts Erwähnung geschieht, denn er und seine Gattin sind ein Ehrenpaar, wie wir wenige im Reiche haben. Wohl dem Lande, in dem lauter solche Muster-Menschen wohnen; es dürfte hier in der Residenz gar wenige von der Gediegenheit geben!

Und nun erzählte er mit hinreißender Lebendigkeit und glühendem Wahrheitgefühl die Geschichte ihrer Liebe und ihres glücklichen Stilllebens, und der ganze Kreis rückte enger zusammen, und hörte mit immer gespannterer Aufmerksamkeit zu; der alte Stufen aber wußte nicht, zu welchen Stacheln seine Worte bei den Hauptpersonen des kleinen Zirkels wurden. Die Hofmarschallinn hörte mit Widerwillen den Menschen loben, durch dessen übereilte Verbindung alle ihre geheimen Pläne mit einemmale und wahrscheinlich auf immer und ewig gescheitert waren; Aurora gewann für Julien eine schwärmerische Vorliebe; sie fühlte sich stark genug, für den, den sie mit ihrer ganzen Liebe umfange, auch ihr Leben einsetzen zu können; sie beneidete die junge Frau um die edle Großthat, und um das belohnende Gefühl, ihrem Gatten so sprechende, so überzeugende Beweise von Hingebung und Liebe haben geben zu können, die ihn an sie mit ewiger Treue fesseln mußten, und als sie jetzt von dem reinen Glücke des seltenen Paares, von dem ungestörten Frieden ihres musterhaften Lebens, von der idyllischen Seligkeit ihrer gegenseitigen Liebe, den wackern Greis in seiner hohen Begeisterung sprechen hörte, schwamm ihr schönes Auge in hellen Thränen; sie glaubte, daß Gotthold, als er sie auf jenem Balle so auffallend vermieden und vernachlässigte, seine Julie schon im Herzen gehabt habe, und sie verzieh ihm darum jetzt mit voller Seele seine damalige Kälte, sie ehrte die in den heutigen Tagen, unter jungen Männern ihres Standes so seltene Treue, mit der er seinem Mädchen so ausschließlich angehört hatte, daß er für ein anderes gar keinen Sinn hatte haben wollen; und sann im Geheim darauf, wie sie diesen beiden achtungwerthen Menschen irgend ein Anerkenntniß ihrer Theilnahme an deren Schicksale, bereiten, und die Verbesserung ihrer Lage, oder die Aussöhnung mit Vater Ulmenhorst auf mittelbarem Wege bewirken könne.

Was weinen Sie, Aurora? fragte der Prinz, und drückte ihr unvermerkt die Hand, und wer die geheimsten Fäden der hier berührten Verhältnisse gekannt, würde die Marterqual haben ermessen können, die dem armen Viktor diese Frage abpreßte; sie klang so weich und mild, als stiegen ihm selbst die Thränen aus dem mitfühlenden guten Herzen, in die Augen, aber das Zittern seiner Stimme, mit der er die Frage that, war nichts als die Dröh nung, die im Tiefsten seines Innern auf den Gedanken folgte, dem er lange schon heimlich Raum gegeben hatte, und der jetzt sein Herz blutig zerriß, auf den Gedanken, daß Aurora den jungen Grafen Ulmenhorst liebe, und daß ihre Thränen seinem Verluste gälten.

Der Hofmarschallin dringender Brief, in dem sie Auroren damals eingeladen hatte, sie auf dem Lande zu besuchen, und den ihm Aurora mitgetheilt, war ihm schon verdächtig gewesen, weil die ihm verhaßte Frau jede Gelegenheit benutzte, Auroren von ihm zu entfernen. Der Obermundschenk hatte damals einem seiner Bekannten in der Residenz, über jenen Unglücks-Ball einen weitläufigen schriftlichen Rapport abgestattet, und darin unter andern gemeldet, daß er Auroren, an Gottholds Seite im Cotillon gefunden, daß sie an dem Tage schöner und heiterer und reizender als je gewesen, daß, nach aller Anwesenden einstimmiger Bemerkung, Gotthold in das Mädchen wie toll und thörig verliebt gethan, daß Aurora ihn vor allen andern jungen Männern des Kreises, durch entgegenkommende Freundlichkeit ausgezeichnet, daß man von mehrern Seiten die Hofmarschallinn scherzweise gefragt, ob sie zu der Verbindung der verehrten Nichte Waiblingen Glückwünsche annehme, und daß die Excellenz über dergleichen spaßhafte Anfragen sichtlich erfreut, nicht geradezu Ja, aber auch nicht Nein gesagt habe.

Alles dieß war ihm, da man des Obermundschenken gründlichen Ballbericht in mehrern Zirkeln vorgelesen, bald zu Ohren gekommen, und daß an dem, was darin Auroren betraf, etwas, viel, sehr viel Wahres seyn mußte, las er zu seinem geheimen Schreck auf Aurorens Wangen, die sich, seit ihrer Rückkehr vom Landsitze der Tante Hofmarschallinn, jedesmal mit dunklem Purpur übergossen, wenn auf Gotthold zufällig die Rede kam; er wäre wohl gern so boshaft gewesen, sie, wo es sich thun ließ, nach der Ursache dieses schnellen Erröthens zu fragen, aber er hatte nie den Muth dazu gehabt, denn er fürchtete, Aurora würde daraus die Veranlassung nehmen, ihm mit der ihr eigenen Offenheit, ihre Verlobung mit Gotthold zu bekennen, und diesen furchtbaren Augenblick, der ihn um die ganze Seligkeit seines Glaubens an Aurorens Liebe gebracht ha ben würde, hatte er so weit hinaus als möglich zu schieben gesucht. Später hatte ihn Gottholds Verbindung mit Julien, die in der Residenz bald ruchbar und von hundert verschiedenen Seiten verschieden beurtheilt und besprochen, zuletzt aber, wie das in allen großen Städten der Fall ist, über andere neuere Tag-Ereignisse vergessen worden war, seiner Angst, Auroren an Gotthold zu verlieren, überhoben, und er hatte Gotthold, der ihm, ohne das sich selbst recht deutlich zu machen, als ein heldenstarkes Vorbild vorgekommen, lieb gewonnen.

So gut, wie dieser sich über die Standesvorurtheile des grauen Mittelalters wegzusetzen den Muth gehabt habe, eben so gut, meinte er, versenkt in den Schmerz seiner Schwärmerei, der in das Geheimste seines Gemüthes sich um so tiefer einwühlte, als er keinem Menschen der Welt sein Herz vertrauen durfte, die gordischen Knoten, die ihn, in Konvenienz und altes Herkommen geschützt, fest hielten, mit einem Gewaltstreich zerhauen und Auroren seine fürstliche Hand bieten zu können.

So widrig Gotthold, der vermeintliche Räuber seines ganzen Erdenglücks ihm früher gewesen war, so ehrenwerth war er ihm später geworden, und er hatte, wenn einmal aus der stillen Zurückgezogenheit, in der Ulmenhorst auf seinem Pachtgütchen lebte, eine Nachricht von dem Sonderling-Paare, wie man es in den gewöhnlichen Residenz-Cotterieen nannte, zufällig an den Hof kam, dem festen freisinnigen jungen Manne immer eine besonders rege Theilnahme geschenkt.

Jetzt erzählte Stufen von den Versuchen, die Ulmenhorst, der Vaters mache, Gottholds Ehe zu trennen, und von den Hoffnungen, die der Alte, wie man sage, haben solle, mit diesem Plane durchzukommen, und Victors eingeschläferte Sorglosigkeit erwachte, von Aurorens stillen Thränen seltsam aufgeschreckt, mit einemmale wieder; Stufen beschwichtigte den in ihm aufbrausenden Sturm in etwas durch die Meinung, daß der Alte, nach seiner Ansicht, seinen herzlosen Plan doch nicht so schnell werde durchsetzen können, und polterte in seiner Heftigkeit heraus: Wenn es, so weit kommen sollte, so müßten wahrhaftig alle rechtschaffene Ritterbürtige im Lande zusammentreten, und dem Starrkopf vollgiltig demonstriren, daß er Unrecht habe. Julie, die junge Gräfinn von Ulmenhorst, hat, im Sinne des uralten deutschen Herkommens, und der ehrwürdigen Observanz, die Ahnenprobe vollkommen bestanden; was waren denn deren zwei Hauptbedingnisse in der ältesten Zeit des Ritterthumes? freie Geburt und Ritterart. Vater Strenge ist ein freier Mann, folglich ist Julie, seine Tochter, freigeboren; mithin ist der erste Punkt in Ordnung und Richtigkeit, und der zweite, die Ritterart? – Nun, weiß der Herr im Himmel, wenn Julie diese nicht im ganzen Umfange des Worts erwiesen, so dürfen sich alle Jungfrauen unserer edeln Geschlechter im ganzen Reiche, nicht für adelig erklären, denn was das Mädchen gethan, thut keins von Euch allen hier. Halte nur Einer, der sich einbildet, von einer Edeln unserer Klasse, geliebt zu seyn, die giftdurchtränkte Hand hin; es wird keine sie an ihre Lippen drücken, um den Geliebten zu retten, und sich, auf Kosten ihres Lebens, den Tod in seinem Blute zu trinken. Was kann des Mädchens Ritterart mehr beurkunden als diese edle Großthat! Was war denn der Hauptcharakterzug des deutschen Ritterthums in seiner schönsten Blüthe anders; als fester Glaube, treue Liebe, und unerschüt terliche Selbstverläugnung! Und liegen nicht alle diese idealisch schönen Züge offen da in dem Thun und Wesen des ritterlichen Mädchens? Sonst war es Sitte, daß bei Streitfragen über die Aechtheit des Adels, eine adelige Genossenschaft zusammentrat, welche den Zweifel untersuchte und darüber entschied. Wäre heute jene gute alte Sitte noch an der Tagesordnung, ich wollte bald aus unsern ritterbürtigen Freien eine solche Genossenschaft zusammenbringen, die Juliens Adel einmüthig aussprechen und bestätigen sollte, und dann wäre dem alten Ulmenhorst mit einemmale der Mund gestopft; er müßte seine Scheidung-Idee von selbst aufgeben, und die Versöhnung zwischen dem Vater und den Kindern würde nicht ausbleiben, und alle drei würden in Frieden und Freude leben, bis an ihr seliges Ende.

Nimmermehr, eiferte die Hofmarschallin, des Aergers über den ihr unerträglichen Schwätzer, der ihr alle Hoffnung auf Gottholds Trennung von Julien, und auf dessen ihr in tausendfacher Hinsicht höchst wichtige Verbindung mit Auroren, gewaltsam zu entreißen drohte, kaum mehr Meister: der alte Ulmenhorst hat jetzt mehr als je Ursache und gesetzliche Gründe, die verwünschte Mißheirath zu annulliren; Ferdinand, sein ältester Sohn, der Legationrath in Paris, kränkelt an der Halsschwindsucht, und ist, wie die dortigen Aerzte versichern, unrettbar ein Kind des Todes; stirbt dieser aber, so fallen, da Gotthold enterbt ist, die ganzen großen Lehngüter an den Staat zurück, und sind der Familie Ulmenhorst auf ewig verloren. Das kann der Vater Ulmenhorst bei seinen Vorfahren, wie bei seiner Nachkommenschaft nicht verantworten; die Enterbung kann er aber, so lange Gotthold das Band, das ihn an die ehemalige Mamsell Strenge fesselt, nicht lös't, auch nicht zurücknehmen, das ist er seiner väterlichen Autorität schuldig. Folglich wird und muß Gotthold nachgeben, und er wird sich am Ende dem väterlichen Willen aus besserer Ueberzeugung freiwillig fügen, wenn ihn nicht unbesonnene Rathgeber, mit ihren Träumereien einer neumodischen, Gott sey Dank noch nie existirten Ahnenprobe, und mit ihren romantischen Ansichten von dem Adelwesen unserer Zeit, in seinem stöckischen Sinne bestärken und auf neue Irrwege verleiten.

Der alte Stufen nahm, von der Hitze überwallt, einen gewaltigen Ansatz zu einem derben Ausfall auf die bittern Anzüglichkeiten der Hofmarschallinn; doch es traten mehrere Theegäste ein, und das sehr lebendig gewordene Gespräch war abgebrochen.

So lange Stufen gesprochen, war der Prinz, dem dessen Rede recht behaglich vorgekommen, über den bewußten Punkt seiner Besorglichkeit ziemlich ruhig geworden; die Hofmarschallinn aber hatte ihm mit ihren Nachrichten wieder alles Blut in die Adern gejagt; er durchschauete jetzt mit klaren Augen ihren Plan; die zornige Gluth, die sich in ihrer Rede ergoß, brannte ihm des längst gehegten Verdachtes Gewißheit in das verzagende Herz ein. Die Hofmarschallinn galt bei seinen fürstlichen Aeltern, in derlei Angelegenheiten, Alles; was sie hinsichtlich der in Rede stehenden Ehescheidung bewirken wollte, bewirkte sie durch ihren Einfluß gewiß, und daß sie den Willen dazu hatte, lag ihm jetzt außer Zweifel. Bei ihrer gewöhnlichen Raschheit war Gefahr im Verzuge. Er durfte also, wenn er eine Gegenmine anlegen wollte, keinen Augenblick versäumen.

Er rieb sich, vor heimlicher Freude, den überfeinen Riegel gefunden zu haben, mit dem er dem alten Ulmenhorst, und der überschlauen Frau Hofmarschallinn, und ihrem ganzen Anhange den Scheideweg versperren wollte, die Hände unter dem Theetische; der Stuhl brannte unter ihm; er mußte sogleich Hand ans Werk zu legen.

Aurora saß, ohne auf das Geschwätz der Theerunde, das sich um Theater und dergleichen Alltagsachen drehte, jetzt weiter zu hören, tief in sich versunken, und grübelte an dem Plane, wie es möglich seyn möchte, die Trennung dieses schuldlosen Paares zu verhindern, und es seinem verdienten Loose, dem ungetrübtesten Glücke entgegen zu führen.

Beide, Victor und Aurora arbeiteten auf Ein Ziel hin, doch beide aus verschiedenen Beweggründen; jener, um des gefürchteten Gottholds Rückkehr zu Aurorens Füßen unmöglich zu machen, diese aus der engelreinen Absicht, der Tugend ihren Lohn zu gewähren.


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