Emmy Ball-Hennings
Blume und Flamme
Emmy Ball-Hennings

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Die Vorstellung

Eines Tages fand ich eine Stellung in der Duburger Straße bei Frau Oberlehrer Brünning. Das heißt, Frau Brünning selbst war keine Lehrerin. Sie unterschrieb sich nur mit dem Titel ihres Mannes. Bei Brünnings sollte ich zwei Kinder betreuen und im Haushalt mithelfen. Duburg war ein modernes Viertel mit vielen Neubauten. Ich war schon oftmals hier gewesen als Kind, wenn ich mit der Schulklasse einen Ausflug nach der Marienhölzung gemacht hatte. Da war ich ja auch am Hause Brünnings vorbeigegangen. An diesem Morgen aber, da ich mich hier vorstellte, war alles anders als sonst. Zunächst sah ich mir die Gegend so aufmerksam an, als gehöre dieses schon zu meinen kommenden Pflichten. An der Kaserne sah ich, daß es erst neun Uhr früh war. Vielleicht war Frau Brünning noch nicht aufgestanden oder hatte soeben erst Kaffee getrunken. Brünnings hohe Fensterscheiben waren einfacher zu putzen als unsere daheim. Diese hier waren viel höher und größer. Brünnings hatten Cremegardinen. Gelbe Rosen in einem schmalen Vorgarten, doch war es nicht sicher, ob dieser Garten Brünnings gehörte. Bald würde ich es wissen. Brünnings gegenüber war ein Mädchenpensionat, das war mir bekannt von früher her. Mehrmals hatte ich hier junge Mädchen im Garten Ball spielen sehen. Das würde ich von jetzt an öfter sehen können, wenn ich Einkäufe machte.

Langsam ging ich die Straße zurück bis zur Kaserne, wo die Schildwache gemütlich auf und ab 206 schritt und nichts anderes zu tun hatte, als die frische Morgenluft zu genießen. Ja, und Brünnings mußten vorerst mit der vielen Arbeit noch ohne mich fertig werden. Frühestens um halb zehn Uhr würde ich mich vorstellen. Das dürfte die richtige Besuchszeit bei vornehmen Leuten sein. Ob ich wohl gleich eintreten mußte? Wenn das Haus nur nicht zu elegant für mich war, aber man mußte sich ja doch einmal an die Eleganz gewöhnen. Warum nicht gleich? Ein Soldat sprach mich an, ob ich ein Kommißbrot kaufen wolle. Dies war nichts Ungewöhnliches. Die Soldaten pflegten manchmal ihr dunkles, kräftiges Brot, das sehr beliebt war, zu verkaufen. Mir fiel ein, daß Mutter vielleicht froh darum war, wenn ich dieses gute Brot mit heimbrachte, das sonst in Geschäften nicht zu haben war. Ich hatte aber nur vierzig Pfennig bei mir, die Mutter mir als Straßenbahngeld gegeben hatte. Und das Brot kostete eigentlich fünfzig Pfennig. Ich sagte dem Soldaten, daß es möglich sei, daß ich gleich Handgeld von Frau Brünning bekomme. Sicher sei ich freilich nicht, aber er könne mich vor dem Hause erwarten, wenn er wolle und Zeit hätte. Falls dies nicht ginge, müsse ich auf das Brot verzichten.

»Aber nehmen Sie nur das Brot, Fräulein. Und die übrigen zehn Pfennig schenke ich Ihnen, Glücksgeld.«

So kam es, daß ich mit einem ziemlich großen Schwarzbrot im Arm bei Frau Brünning ankam. Ich hätte das Brot in einem Laden abgeben und mir später abholen können, aber auf diesen Einfall kam ich nicht. Auf mein Läuten an der Etagentür kam ein Mädchen heraus, das mir sofort sagte: 207

»Wir brauchen kein Brot.« Und schon hatte sie die Tür wieder geschlossen. Ich klingelte eindringlich, zweimal nacheinander, gehörig und anhaltend, da nicht geöffnet wurde. Endlich erschien das Mädchen nochmals, und ich sagte, daß ich die Frau des Hauses sprechen möchte und daß ich wegen der Stellung komme.

»Ach soooo. Na, da kommen Sie man 'rein.«

Gute Manieren hatte das Mädchen nicht. Ob sie alle Besucher so barsch empfing oder nur mich? Sie ließ mich in ein Zimmer treten und begab sich dann zu Frau Brünning, um mich zu melden. Es war ein großes Zimmer, beinahe ein Saal, in dem ich mich befand. Ein langer Eßtisch, mit nicht sonderlich sauberem Tischtuch bedeckt, und um diesen Tisch etwa zwanzig Stühle. Ein langweiliges Büfett, sehr nüchtern. Immerhin war an der Wand ein Plakat angebracht, auf dem zu lesen stand: Bete und arbeite. Das war wohl die Devise des Hauses. Da man mir keinen Platz angeboten hatte, stand ich einige Minuten, die mir sehr lang vorkamen, und überlegte, ob ich nicht mein Brot aufs Büfett legen könne.

Ich sah hin und entdeckte eine hübsche Postkarte der Schauspielerin Steffi Margreiter und daneben zwei Eintrittskarten fürs Theater, Plätze im Parkett. Es gab also Theaterbesucher im Hause. Vielleicht hatte Steffi Margreiter persönlich hier einen Besuch gemacht. Wie ein kleiner Detektiv sah ich mir alles genau an, bis endlich die Tür geöffnet wurde und eine kleine, etwa dreißigjährige Dame erschien, in grauem Wollkleid. Das war Frau Brünning. 208

Ich sagte ihr mein Anliegen, und darauf führte sie mich in ein anderes Zimmer, in dem es viel schöner war. Hier gab es tiefgrüne Plüschmöbel und ein Gestell mit vielen Blattpflanzen. Auch ein Ledersessel war da, in dem Frau Brünning Platz nahm, während sie mir einen der herrlichen Plüschstühle anbot. Da ich zunächst wartend dasaß, sah Frau Brünning mich lächelnd an und fragte, ob ich nicht mein Brot etwas ablegen wolle. O ja, das wollte ich gerne. Wohin ich es legen dürfe. Verlegen bemerkte ich, daß das Brot wirklich nicht in diese feine Stube paßte, aber ich konnte es dann doch auf den Tisch legen.

Frau Brünning fragte mich, ob ich Zeugnisse mitgebracht habe.

»Ja, das habe ich«, antwortete ich innerlich erregt, aber nach außen hin recht gefaßt und ruhig. Ich überreichte Frau Brünning als empfehlenden Ausweis den zweiten Schwimmpreis, den ich bei einem Wettschwimmen errungen hatte. Frau Brünning setzte eigens ihren Zwicker auf, um sich das Schreiben näher anzusehen. Sie schien sehr kurzsichtig und auch etwas zerstreut zu sein.

»Ja, was soll ich denn mit diesem Schwimmzeugnis?«

»Oh, ich dachte, es spricht für mich, daß ich gut schwimmen kann. Ich kann es doch den Kindern beibringen.«

»Das ist wahr«, gab Frau Brünning zu,« aber es ist nicht das Wichtigste.«

»Das mag sein. Aber das Schwimmen ist sehr gut für die Gesundheit, und man kann doch einmal in Lebensgefahr geraten, zum Beispiel auf dem Wasser. Dann ist man gewiß froh darum, wenn 209 man schwimmen gelernt hat . . . Ich war noch nicht in Stellung, und darum habe ich noch keine Zeugnisse. Nur noch das Abgangszeugnis der Schule. Hier ist es.«

Dieses schien Frau Brünning besser zu gefallen. Sie fragte mich noch mancherlei nach meinen sonstigen Fähigkeiten, schien mit meiner Auskunft zufrieden und erkundigte sich dann nach meinen Lohnansprüchen. Hierauf war ich nicht vorbereitet. Sie merkte es und fragte, ob mir zwölf Mark im Monat recht seien.

Das mußte ich mir eine Weile überlegen, bis ich erklärte, damit leider nicht einverstanden zu sein.

»Ja, was ist denn? Ist es Ihnen zu wenig? Es ist ja nur ein Anfangsgehalt. Bin ich mit Ihnen zufrieden, werde ich Ihnen Zulage geben . . . Aber schließlich . . . Was haben Sie sich denn gedacht? Sagen Sie es mir nur klar heraus.«

Darauf sagte ich Frau Brünning, daß zwölf Mark mir im Anfang zuviel sein könnten, da meine früheren Schulkameradinnen beinahe alle weniger verdienten und ich doch nicht sicher sei, ob ich das leisten könne, was Frau Brünning von mir erwarte. Ich möchte es nicht darauf ankommen lassen, gleich im zweiten Monat entlassen zu werden, was für beide Parteien nicht angenehm sein würde . . . Außerdem bekäme ich für meine Kleider die Schiffstruhe meines Vaters mit, die neu lackiert worden sei, die aber doch nicht viel unnötigen Transport vertragen könne. Auch wäre es mir meiner Eltern wegen peinlich, wenn es sich herausstellen sollte, daß man mich hier im Hause nicht brauchen könne. Meine Schwester sei seit einigen 210 Jahren in Hamburg an ein und demselben Platz, und meine Schwester sei so sehr tüchtig. Ich sei allerdings nur ihre Halbschwester, aber immerhin . . . Wie das käme? Ja, meine Eltern seien beide vorher verheiratet gewesen und so halt. Meine Schwester? Ja, sie sei sieben Jahre älter als ich, und ihre Herrschaft schicke sie sogar in den Ferien mit den Kindern allein auf Reisen . . . Wohin? Nach Westerland. Ich wolle das ja nicht verlangen, obwohl man auch mich auf Reisen schicken könne, zumal ich drauf und dran gewesen wäre, mit einer Dame, die beinahe in Amerika geboren sei, nach Ägypten zu reisen. Die Dame habe ein großes Interesse für mich gezeigt, und es sei nicht ausgeschlossen, daß sie noch einmal auf mich zurückkommen werde. Mein Vater? Mein Vater sei auch viel gereist. In meinem Fall habe er gemeint, es sei besser, wenn ich im Lande bleibe und mich redlich nähre . . .

Frau Brünning hatte eine eigentümliche Art, mich zum Sprechen anzuregen, doch wars begreiflich, sie wünschte mich kennen zu lernen, da ich mit ihren Kindern umgehen sollte. Es waren zwei kleine Mädchen von drei und vier Jahren. Sie hießen Gertrud und Irmgard. Es tat mir leid, daß ich die Kinder nicht gleich sehen konnte, da sie spazierengegangen waren. In vierzehn Tagen aber sollte ich wieder kommen.

Ob ich etwas Handgeld wolle.

Oh, es sei nicht grad nötig, ich würde ohnehin sicher eintreffen, da ich es versprochen habe. Wenn Frau Brünning mir aber etwas Geld gleich geben wolle, wäre ich froh drum. 211

Während sie mir fünf Mark gab, fragte sie mich, ob ich tatsächlich Norddeutsche sei, wie ich angegeben hatte.

»Gewiß doch. Es steht ja auch auf meinem Geburtsschein, den ich vorzeigen kann, wenn Sie es wünschen.«

»Nein, ich zweifle nicht daran. Das ist es nicht. Es fällt mir etwas auf, daß Sie völlig dialektfrei sprechen.«

Ich antwortete verlegen, daß ich hiervon gar nichts wisse. Hierauf wurde ich freundlich verabschiedet, nahm mein Brot und ging. Unten vor dem Hause aber sah ich den Soldaten auf und ab gehen. Beinahe wie ein alter Bekannter kam er mir freundlich entgegen und fragte: »Nun, wie war's?«

»Also, ich hab' die Stellung bekommen«, erzählte ich vergnügt.

»Na, da gratuliere ich«, sagte er und gab mir die Hand.

»Danke, danke. Ich könnte Ihnen jetzt die zehn Pfennig geben.«

»Nein, nein«, wehrte er ab, »deswegen kam ich nicht. Ich wollte nur sehen, ob Sie gut untergekommen sind.«

»O ja, sehr gut. Danke schön.« Und damit ging ich meiner Wege. 212

 


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