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Wie soll ich dich empfangen
Und wie begegn' ich dir,
O aller Welt Verlangen,
O meiner Seele Zier . . .
Wie gern habe ich dieses Lied im Advent gesungen, allabendlich um vier Uhr in der Schule mit vielen andern Kindern zusammen. Der Lehrer selbst sang mit, und unsere jungen Stimmen klangen so froh, als wollten sie einander umarmen.
Wie wundervoll ist es, in der Freude mit vielen einig zu sein und in Erwartung zu singen: Wie soll ich dich empfangen?
Das ist die Liebesfrage im Advent, die immer wieder in uns auftaucht, wenn das Weihnachtsfest nahe bevorsteht.
Es wurde früh dunkel, und doch war es irgendwo licht und hell. Durch das hohe Fenster sah man am Himmel den ersten Stern schimmern. Jeden Abend war er da, wenn wir sangen. Es war der Herold unter den Sternen, der Millionen kommende Sterne ankündigte. Dann wieder war es Gabriels und Mariens Stern. Oder es war derselbe Stern, den die fremden Könige einst gesehen. Die heiligen drei Könige, die einem Sterne nachgegangen waren, und mit ihnen war die Sehnsucht der fernen Völker gewandert, die noch nichts vom Jesuskinde wußten und sich doch schon nach ihm sehnten. Denn die Sehnsucht nach Erlösung lag in jedem Menschen. Das war uns gesagt worden, und jetzt wußten wir es für immer. So sehr von 66 weitem waren sie gekommen, die drei Weisen aus dem Morgenlande, umgeben von fremdländischem Duft, beladen mit Gold, Weihrauch und Myrrhen, singend auf dem Wege: O aller Welt Verlangen . . . Wie reich sie doch waren, diese Sternerfüllten, reich an Liebe und an Gold! Irgendwo aber mußten sie doch ihre Paläste verlassen haben, ihre stolzen, glänzenden Häuser ließen sie leer stehen, da sie nach Bethlehem gingen. Sie waren ja Könige, und doch schienen sie ihre Kronen vergessen zu haben um Jesu willen.
Jeder König sang dasselbe, was wir in der Schule sangen:
Mein Herze soll dir grünen
In stetem Lob und Preis,
Will deinem Namen dienen,
So gut es kann und weiß . . .
Noch stand das Zeichen am Himmel, und nichts war leichter als Sterndeuten. Beim Nachhauseweg von der Schule ging immer der Stern mit mir. Er eilte mir voraus oder folgte mir. Der Stern behielt den Menschen im Auge. Und einmal hatte er über dem Stall zu Bethlehem gestanden, zwischen den Zweigen eines Palmbaumes geglänzt. Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenlande und sind gekommen, ihn anzubeten.
Oh, ich erinnere mich, wie meine liebe Mutter von der Geburt Jesu erzählte. Was waren alle Märchen gegen dieses eine, das die Wahrheit aller Wahrheiten enthielt? Die Kunde war mir noch neu, und ich hatte noch nicht gar viel von Jesus gehört. Es war so tief erstaunlich und schön, daß das Jesuskind alles von mir wußte, immer gewußt 67 hatte. Und daß es dann so klein war, daß man das Verlangen trug, es wie ein Brüderchen zu betrachten.
Nicht genug konnte man davon zu hören bekommen, und Mutter wußte so lieb Bescheid, als wäre sie dabeigewesen. Alles, aber auch alles ließ sie sich abfragen.
»Mutter, sag, warum ist das Jesuskind nicht daheim geboren worden im Hause seiner Eltern? Hätte der liebe Gott nicht machen können, daß Maria und Joseph nicht in Wohnungsnot kamen? Der liebe Gott hätte auch die Volkszählung leicht verlegen können, meine ich. Und daß die beiden mit ihrem Kinde fliehen mußten! Mutter, du hast vergessen zu sagen, ob wohl ein Ofen im Stall zu Bethlehem war? Wenn das Kind auch gut eingehüllt war in Windeln und Wolle, kann es doch nicht recht warm gehabt haben. Und Maria und Joseph. Ob es nicht kalt war in der Nacht?«
Bei uns im Wohnzimmer glühte und wärmte das Feuer. Die Ofentür stand geöffnet, und wir saßen um den Ofen und sahen in die schöne Glut. Die Lampe war noch nicht angezündet. Mutter liebte es, uns Kindern in der Dämmerung zu erzählen, und man sah und dachte nichts anderes als an die wundersame Geschichte von der Geburt Jesu. Wie lieb und warm war es bei uns! Wie leicht hätte hier ein Kind geboren werden können! Es hätte in meinem Kinderbett schlafen können, unter der hübschen blauen Decke. Wie schade, daß wir damals nicht in Bethlehem waren! Wie sehr ich dies bedauerte! Meine Eltern hätten bestimmt das Jesuskind aufgenommen mitsamt seiner holden Mutter und dem heiligen Joseph. 68 Dies wäre schon gegangen, wenn man sich ein wenig eingeschränkt hätte. Wir hatten ja oben eine Dachkammer, und dann die kleine Abseite, und ich hätte mit Rebekka leicht im Holzraum schlafen können. Rebekka war dazu bereit, daran fehlte es nicht. Und in der Küche, auf unserem Herd mit drei Kochlöchern und einem Wasserschiff, war es eine Kleinigkeit, für zwei Familien zu kochen. Einige Teller und Schüsseln hätten wir vielleicht noch gebraucht, aber das war das wenigste. Das hätten die Nachbarn uns ja auch zur Not geliehen. Etwas Geld hätte Vater sich zum voraus geben lassen können vom Werftdirektor, dem man ja leicht erklären konnte, warum man Geld brauchte und wer bei uns zu Gaste war. Onkel Erich, der gleich nebenan wohnte, war Zimmerer und hatte eine eigene große Werkstatt, und ob der heilige Joseph nicht bei Onkel Erich Arbeit annehmen würde? Mutter hielt dies nicht für ausgeschlossen. Onkel Erich hätte den heiligen Joseph so gut wie zum Meister machen können, und beide würden sich dabei nicht schlecht gestanden haben. Aber bei uns hätten alle drei wohnen müssen. O wie wundervoll! Wie unausdenkbar schön! Ob die Heilige Familie wohl einverstanden gewesen wäre? Wenn sie gesagt hätten: »Ja, wir kommen ganz gern –!«
»Mutter, meinst du, daß sie ›Ja‹ gesagt hätten?«
»Ich weiß es nicht, mein Kind. Es kann sein.«
Es kann sein. Es hätte sein können! Ach, wir konnten ja auch nicht dafür, daß wir in eine so späte Zeit geraten waren. Schade, wirklich schade. Aber man konnte doch durch die Jahrhunderte 69 zurücklaufen wie durch eine Allee, bis man nach Bethlehem kam, wo das göttliche Kind im Stall lag.
»Und warum lag es im fremden Stall?«
»Es geschah nach dem Willen Gottes. Und das Jesuskind wollte wohl dadurch zeigen, daß es nur ein Gast und ein Fremdling auf der Erde war. Es kam doch vom Himmel und war bei seinem Vater im Himmel daheim. Auch wir sind nur zu Gaste hier, und einmal müssen auch wir das Haus verlassen . . .«
Und dann brach Mutter das Gespräch ab, um uns das schöne Adventslied zu singen: »Vom Himmel hoch, da komm' ich her . . .« 70