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An der deutschen Dichtung des letzten Menschenalters haben einige Frauen hervorragenden Anteil, und unter ihnen gehört Emmy Hennings zu den eigenartigsten und unvergeßlichsten Erscheinungen. Ihr Leben verlief außerhalb der normierten bürgerlichen Welt, ein bald abenteuerliches und figurenreiches, bald einsames und höchst verborgenes Leben. Noch ehe sie eine Zeile veröffentlicht hatte, war sie eine bekannte und zu Zeiten umschwärmte Persönlichkeit als Schauspielerin und als Sängerin im Münchener »Simplizissimus«. Während des Krieges kam sie mit Hugo Ball, ihrem Mann, in die Schweiz, und viele erinnern sich noch des Cabaret Voltaire in Zürich, wo Hugo Ball, von seiner Frau treulich unterstützt, in kabarettistischer und grotesker Form seinen großen Protest gegen den Ungeist der Zeit begann, den er dann so einsam, tapfer und vorbildlich bis zu seinem Ende weitergeführt hat. Seit langen Jahren lebt sie im Tessin.
Die Bücher dieser Dichterin haben je und je Aufsehen, Begeisterung und Liebe geweckt, am meisten vielleicht ihr »Gefängnis« (1918); ich erinnere mich noch wohl an die erschütternde erste Lektüre dieses Buches, zu einer Zeit, da ich seine Verfasserin noch nicht kannte. Dies Buch ist, ebenso wie sein Nachfolger, das »Brandmal«, auf wunderliche Art aus der Literatur, oder doch aus dem Buchhandel, wieder verschwunden, es ist seit langen Jahren nicht mehr aufzutreiben. Bei Kösel & Pustet in München erschien ihr »Gang zur Liebe«, ein Buch »von Städten, Kirchen und Heiligen«, sowie »Hugo Balls Weg zu Gott«. Im Verlag S. Fischer, Berlin, kam nach Hugo Balls Tode das liebenswerte, erschütternde, tausend Lesern unvergeßliche Briefbuch heraus »Hugo Ball, sein Leben in Briefen und 8 Gedichten«, ein menschliches und ein Zeit-Dokument hohen Ranges.
Daß nun nach langer Pause wieder ein Buch von Emmy Ball erschienen ist, begrüßen ihre Freunde mit Dankbarkeit. Es wäre schwer zu sagen, was wir Freunde und Verehrer dieser Dichterin an ihren Büchern so sehr lieben, denn sie sind Ausdruck eines Menschen und eines Schicksals mit seinen Widersprüchen. Es sind Bücher, die alle sehr den Charakter von Bekenntnissen haben, und dennoch scheinen sie dann oft wieder wie aus Spiel und reiner Künstlerfreude am Schönen entstanden, aus Freude am Bild, aus Freude an der Sprache, aus zartestem Gehör für ihre Unterströmungen und Melodien. Aber dann sind diese Bücher doch wieder nicht »reine«, nicht vom Leben und seinen Kämpfen gelöste Dichtungen und sind das Gegenteil von »l'art pour l'art«, sie sind ein Kampf um Wahrheit, ein Kampf um Verwirklichung menschlicher und christlicher Ideale, ein Schreien aus tiefer Not, durchbrochen von aufleuchtendem Wissen um Erlösung und göttliche Liebe. Und welch schöne Gedichte hat Emmy Hennings geschrieben! Es wäre sehr an der Zeit, sie in einem Bande zu sammeln.
Niemals hat die Dichterin auf der Sonnenseite gelebt und es leicht gehabt, vielleicht hat sie es auch niemals ernstlich sich gewünscht. Sie lebt lieber unter den Kämpfenden, Armen, Bedrückten, sie liebt die Leidenden, sie fühlt für die Verfolgten und Rechtlosen. Sie bejaht das Leben auch in seiner Härte und Grausamkeit und liebt die Menschen bis in alle Verirrung und Not hinein. Und ich glaube, daß diese aufrichtigen, erlebten und so schönen Bücher uns überleben werden.
Im Sommer 1938
Hermann Hesse