Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band X
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Der gestohlene Geldbeutel

Was nun den fünfjährigen Knaben anlangt, so kam mir zu Ohren, o König, daß einmal vier Kaufleute gemeinschaftlich tausend Dinare besaßen, welche sie zusammen in einen Beutel gethan hatten, worauf sie selbviert auszogen, um Waren einzukaufen. Als sie unterwegs auf einen schönen Garten stießen, gingen sie in denselben hinein und ließen den Beutel bei der Gartenhüterin. Dann spazierten sie im Garten umher, aßen und tranken und waren guter Dinge, bis einer von ihnen sagte: »Ich habe Salbe bei mir; kommt, wir wollen uns den Kopf in diesem Wasserlauf waschen und uns die Haare salben.« Ein anderer versetzte: »Uns fehlt ein Kamm;« worauf der dritte sagte: »Wir wollen die Gartenhüterin fragen; vielleicht hat sie einen Kamm bei sich.« Hierauf ging einer von ihnen zu der Frau und sagte zu ihr: »Gieb mir den Beutel.« Sie versetzte jedoch: »Nicht eher, als ihr alle da seid oder als es mich deine Gefährten heißen.« Da rief er seinen Gefährten zu, welche die Frau sehen und hören konnten: »Sie will mir nichts geben,« worauf sie zurückriefen: »Gieb ihm nur.« Als die Frau ihre Worte vernahm, gab sie ihm den Beutel, und er nahm ihn und lief mit ihm auf und davon. Als er ihnen nun zu lange ausblieb, gingen sie zur Gartenhüterin und fragten sie: »Warum willst du ihm nicht den Kamm geben?« Sie versetzte: »Er verlangte den Beutel von mir, und ich gab ihm denselben erst, als ihr es mir erlaubtet, worauf er seines Weges ging.« Als sie die Worte der Frau vernahmen, schlugen sie sich vors Gesicht und sagten zu ihr: »Du solltest ihm den Kamm geben;« worauf sie wiederum versetzte: »Er sagte nichts von einem Kamm zu mir.« Alsdann packten sie sie und schleppten sie vor den Richter, dem sie den Fall vortrugen, und der Richter machte sie haftbar für den Beutel und zwang eine Anzahl ihrer Gläubiger für sie einzustehen.

Sechshundertundsechste Nacht

Wie nun die Frau fortging und in ihrer Ratlosigkeit nicht aus noch ein wußte, traf sie einen fünfjährigen Knaben an, welcher sie, als er sie so niedergeschlagen sah, fragte: »Was fehlt dir, meine Mutter?« Sie gab ihm jedoch gar keine Antwort, da er ihr wegen seiner Jugend zu geringschätzig vorkam, bis er sie ein zweites und ein drittes Mal fragte, worauf sie zu ihm sagte: »Eine Anzahl Leute kam zu mir in den Garten und legte einen Beutel mit tausend Dinaren bei mir nieder, wobei sie es mir zur Bedingung machten, den Beutel nur dann auszuhändigen, wenn sie alle zusammen kämen. Hierauf gingen sie in den Garten und vergnügten und belustigten sich, bis einer von ihnen kam und zu mir sagte: »Gieb mir den Beutel.« Ich erwiderte: »Nicht eher als bis deine Gefährten da sind.« Er versetzte: »Sie haben es mir erlaubt.« Da ich mich jedoch weigerte ihm den Beutel zu geben, rief er seinen Gefährten zu und sagte zu ihnen: »Sie will mir nichts geben,« worauf sie mir zuriefen: »Gieb ihm nur.« Da gab ich ihm den Beutel, und er nahm ihn und ging seines Weges. Wie er nun seinen Gefährten zu lange ausblieb, kamen sie zu mir heraus und fragten mich: »Warum willst du ihm nicht den Kamm geben?« Ich erwiderte: »Er hat mir nichts von einem Kamm gesagt sondern verlangte den Beutel von mir.« Da packten sie mich und schleppten mich vor den Kadi, welcher mich für den Beutel haftbar machte.« Der Knabe versetzte hierauf: »Gieb mir einen Dirhem für Naschwerk, und ich sag' dir etwas, wodurch du loskommst.« Da gab sie ihm einen Dirhem und fragte ihn: »Was hast du zu sagen?« worauf der Knabe sprach: »Kehre zum Kadi zurück und sprich zu ihm: »Ich hatte mit ihnen ausgemacht, ihnen nur dann den Beutel wiederzugeben, wenn alle vier zu mir kämen.« Da ging die Gartenhüterin wieder zum Kadi zurück und sprach die Worte des Knaben zu ihm, worauf der Kadi die Kläger fragte: »Hattet ihr dies miteinander ausgemacht?« Sie antworteten: »Ja.« Da versetzte der Kadi: »So schaffet mir den vierten Mann, und ihr sollt den Beutel haben.« Hierauf ging die Gartenhüterin wohlbehalten und ohne den geringsten Verlust ihres Weges.«

Als der König, die Wesire und alle Anwesenden die Worte seines Sohnes vernommen hatten, sprachen sie zum König: »O unser Herr König, siehe, dieser dein Sohn ist der vollkommenste Mann seiner Zeit,« und flehten auf ihn und den König Segen herab. Der König aber preßte seinen Sohn an die Brust, küßte ihn zwischen die Augen und fragte ihn nach dem Vorfall mit dem Mädchen, worauf der Prinz ihm bei Gott, dem Hochherrlichen, und seinem Propheten, dem Gütigen, schwur, daß das Mädchen es war, das ihn zu verführen gesucht hatte. Der König glaubte seinen Worten und sprach zu ihm: »Ich gebe dir Vollmacht sie zu töten, oder, so du es nicht willst, nach deinem Belieben mit ihr zu verfahren,« worauf der Prinz seinem Vater erwiderte: »Verbanne sie aus der Stadt.«

Alsdann führten der Prinz und sein Vater das beste und angenehmste Leben, bis der Zerstörer aller Freuden und der Trenner aller Vereinigungen sie heimsuchte. Und dies ist das Ende der Geschichte, wie sie uns überkommen ist von dem König, seinem Sohn, der Sklavin und den sieben Wesiren.

 


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