Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band X
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Das alte Weib und der Kaufmannssohn

»Mir kam zu Ohren, o König, daß einmal ein reicher Kaufmann lebte, welcher einen Sohn hatte, den er sehr liebte. Eines Tages sagte dieser Sohn zu seinem Vater: »Mein Vater, ich habe eine Bitte an dich.« Da fragte ihn sein Vater: »Was ist's, mein Sohn, daß ich dir's gebe, und wäre es auch mein Augenlicht, um nur deinen Wunsch zu erfüllen?« Der Sohn erwiderte: »Ich bitte dich mir etwas Geld zu geben, daß ich mit den Kaufleuten nach Bagdad reise, um mir die Stadt und die Chalifenpaläste zu besehen, denn die Kaufmannssöhne haben mir die Stadt geschildert, und ich sehne mich sie zu schauen.« Da entgegnete ihm sein Vater: »O mein Sohn, wer kann deine Abwesenheit ertragen?« Sein Sohn erwiderte jedoch: »Ich habe dieses Wort gesprochen, und ich muß nach Bagdad reisen, sei es mit deinem oder ohne deinen Willen; in meiner Seele ist solch ein leidenschaftliches Verlangen entbrannt, daß es nur gestillt wird, wenn ich nach Bagdad reise.«

Fünfhundertundneunundneunzigste Nacht

Als nun sein Vater sah, daß es nicht anders ging, machte er ihm Waren im Werte von dreißigtausend Dinaren zurecht und ließ ihn mit Kaufleuten, in die er Vertrauen setzte, ziehen, indem er ihn den Kaufleuten anempfahl. Dann nahm er von seinem Sohne Abschied und kehrte in seine Wohnung zurück, während dieser mit seinen Gefährten den Kaufleuten ununterbrochen reiste, bis sie die Stadt Bagdad, die Stätte des Friedens, erreicht hatten. Hier angelangt, begab sich der Jüngling auf den Bazar und mietete sich ein Haus, das so schön und einladend war, daß man den Verstand darüber verlieren konnte, und das den Beschauer verblüffen mußte; Vögel zwitscherten darin, und es enthielt einander gegenüberliegende Wohnzimmer, deren Boden mit buntem Marmor getäfelt war, während die Decken vergoldet und mit Lapislazuli eingelegt waren. Als er den Pförtner fragte, wie hoch die Monatsmiete für das Haus wäre, antwortete er ihm: »Zehn Dinare.« Da sagte der Jüngling zu ihm: »Sprichst du die Wahrheit oder treibst du deinen Scherz mit mir?« Der Pförtner versetzte: »Bei Gott, ich spreche die Wahrheit, denn niemand wohnt in diesem Hause länger als eine oder höchstens zwei Wochen.« Nun fragte ihn der Jüngling: »Und was ist die Ursache hiervon?« Der Pförtner entgegnete: »Wer hier wohnt, kommt nicht anders als krank oder tot heraus, weshalb das Haus bei allem Volk verrufen ist und niemand darin zu wohnen kommt, so daß der Mietpreis so tief gesunken ist.« Als der Jüngling dies vernahm, verwunderte er sich höchlichst und sprach: »Unbedingt muß es irgend eine Ursache dafür geben, daß die Leute in diesem Hause erkranken und sterben.« Nachdem er jedoch mit sich zu Rate gegangen war und seine Zuflucht zu Gott vor dem gesteinigten Satan genommen hatte, ließ er alle Bedenken fahren und wohnte ruhig in dem Hause, mit Kaufen und Verkaufen beschäftigt. Nachdem er in dieser Weise eine Reihe von Tagen in dem Hause zugebracht hatte, ohne daß ihm irgend etwas von dem, was ihm der Pförtner erzählt hatte, zugestoßen war, traf es sich, daß, als er eines Tages vor der Thür saß, eine alte ergrauende Vettel an ihm vorüberging, als wäre sie eine gefleckte Schlange, die Gott in einemfort pries und heiligte und die Steine und alles, was sonst Schaden bringen konnte, aus dem Wege räumte. Als sie den Jüngling vor der Thür sitzen sah, betrachtete sie ihn verwundert, so daß er sie fragte: »Frau, kennst du mich oder verwechselst du mich mit einem andern?« Als sie seine Worte vernahm, kam sie zu ihm herangetrottet und fragte ihn, nachdem sie ihn begrüßt hatte: »Wie lange wohnst du schon in diesem Hause?« Er antwortete: »Seit zwei Monaten, meine Mutter.« Da sagte sie: »Hierüber verwundere ich mich gerade; denn ich kenne dich weder, mein Sohn, noch kennst du mich; und ebenso wenig verwechselte ich dich mit einem andern, vielmehr wundere ich mich darüber, daß du der erste bist, der in diesem Hause wohnt und es nicht tot oder krank verläßt. Ohne Zweifel, mein Sohn, hast du deine Jugend aufs Spiel gesetzt. Gehe doch einmal zum obern Stock hinauf und schaue vom Belvedere, das sich dort befindet, aus.« Nach diesen Worten ging die Alte ihres Weges, der Jüngling aber hing ihren Worten nach und sprach bei sich: »Ich bin noch gar nicht oben auf dem Hause gewesen und weiß nicht, daß sich dort ein Belvedere befindet.« Alsdann trat er unverzüglich ins Haus und suchte überall an den Ecken desselben umher, bis er in einer derselben eine kleine Thür fand, vor welcher sich ein Spinnengewebe von einem Pfosten bis zum andern zog. Als er diese Thür gewahrte, sprach er bei sich: »Vielleicht hat die Spinne ihr Gewebe nur deshalb vor die Thür gezogen, weil das Schicksal dahinter lauert.« Dann aber stärkte er sich mit dem Worte Gottes, des Erhabenen: »Sprich: Nichts soll uns treffen als allein, was Gott für uns niedergeschrieben hat,«Sure 9, 51. und stieg, die Thür öffnend, auf einer schwarzen Treppe aufs Dach, auf welchem er ein Belvedere erblickte, in das er sich setzte, um sich auszuruhen und die Aussicht zu genießen. Da gewahrte er ein feines und sauberes Haus, auf dessen Dach sich ebenfalls ein hohes Belvedere befand, welches ganz Bagdad überschaute, und in dem eine Dame, schön wie eine Huri, saß, deren Anblick sein ganzes Herz gefangen nahm, ihm Sinn und Verstand raubte und ihn in Hiobs Qualen und Jakobs Trauer versenkte. Als der Jüngling sie erblickte und genau betrachtete, sprach er bei sich: »Wenn die Leute sagen, daß jeder, der hier wohnt, nur tot oder krank das Haus verläßt, so ist gewiß diese Dame daran schuld. Ach, daß ich doch wüßte, wie ich loskommen könnte, denn schon ist mein Verstand dahin.« Hierauf stieg er in Gedanken versunken vom Dach herunter und setzte sich ins Haus; da er es jedoch hier nicht auszuhalten vermochte, ging er hinaus und setzte sich niedergeschlagen vor die Thür, als mit einem Male die Alte herankam, beim Gehen Gott anrufend und lobpreisend. Als der Jüngling sie sah, erhob er sich auf seine Füße und sagte zu ihr, nachdem er ihr zuerst den Salâm geboten und ihr langes Leben gewünscht hatte: »O meine Mutter, ich war wohl und gesund, bis du mir den Rat gabst die Thür zu öffnen; ich that es, und als ich das Belvedere sah, öffnete ich es ebenfalls und sah von seinem höchsten Punkt aus etwas, was mich völlig verwirrte, und nun ist mir's als ob ich sterben müßte, und ich weiß, ich habe keinen andern Arzt als dich.« Als die Alte seine Worte vernahm, lachte sie und sagte zu ihm: »Dir soll nichts Schlimmes widerfahren, so Gott will, der Erhabene.« Da erhob sich der Jüngling und ging ins Haus, worauf er mit hundert Dinaren in seinem Ärmel wieder herauskam und zu ihr sagte: »Nimm dies, meine Mutter, handele an mir wie Herren an Sklaven handeln und hilf mir geschwind, denn, so ich sterbe, wird mein Blut am Tage der Auferstehung von dir gefordert werden.« Die Alte versetzte: »Recht gern; jedoch wünschte ich, mein Sohn, daß du mir mit einem kleinen Dienst behilflich bist, durch den du deinen Wunsch erreichst.« Da fragte er sie: »Was wünschest du, meine Mutter?« Und sie erwiderte: »Ich wünsche, daß du zum Seidenbazar gehst und nach dem Laden Abul-Fath bin Keidâms frägst. Wenn sie dich dorthin gewiesen haben, so setz dich auf die Ladenbank, begrüße ihn und sprich zu ihm: »Gieb mir den golddurchwirkten Schleier, den du bei dir hast.« Er hat nämlich in seinem Laden keinen schönern. Kauf diesen Schleier von ihm für den teuersten Preis, mein Sohn, und behalt' ihn bei dir, bis ich morgen, so Gott will, der Erhabene, zu dir komme.« Hierauf ging die Alte fort, und der Jüngling verbrachte die Nacht als ob er sich auf Ghadākohlen wälzte. Am nächsten Morgen steckte er tausend Dinare in seine Tasche und begab sich zum Seidenbazar, wo er sich nach dem Laden Abul-Faths erkundigte. Einer der Kaufleute gab ihm Auskunft, und, als er zu ihm gelangte, fand er in ihm einen Mann von würdevollem Äußern, von Pagen, Eunuchen und Dienern umgeben; denn er war sehr vermögend, und seines Glückes Krone war jenes Fräulein, derengleichen nicht bei Prinzen gefunden wurde. Als der Jüngling ihn erblickte, begrüßte er ihn, worauf ihm der Kaufmann den Salâm erwiderte und ihn aufforderte sich zu setzen. Da setzte er sich an seine Seite und sagte zu ihm: »O Kaufmann, ich möchte mir einen Schleier, der so und so aussieht, ansehen.« Infolgedessen befahl er einem Sklaven, ihm ein Paket Seide aus dem Hintergrund des Ladens zu holen, und als er es ihm gebracht hatte, öffnete er es und holte eine Anzahl Schleier daraus hervor, deren Schönheit den Jüngling in Erstaunen versetzte. Als er den gesuchten Schleier unter ihnen gewahrte, kaufte er ihn für fünfzig Dinare von dem Kaufmann und kehrte fröhlich mit ihm heim, –

Sechshundertste Nacht

und siehe, da kam auch schon die Alte an. Als er sie sah, erhob er sich vor ihr auf die Füße und gab ihr den Schleier, worauf sie zu ihm sagte: »Bring mir eine glühende Kohle.« Als er ihr die Kohle gebracht hatte, hielt sie die Ecke des Schleiers nahe an dieselbe und verbrannte sie, worauf sie den Schleier faltete, wie er zuvor gewesen war, und mit ihm zum Hause Abul-Faths ging. Dort angelangt klopfte sie an die Thür, und die junge Frau, deren Mutter mit der Alten befreundet war, öffnete ihr, als sie ihre Stimme hörte, da sie sie kannte, und sagte zu ihr: »Was wünschest du, meine Mutter? Meine Mutter ist von mir nach ihrer Wohnung gegangen.« Die Alte versetzte: »Meine Tochter, ich weiß es wohl, daß deine Mutter nicht bei dir ist, da ich bei ihr war; ich komme nur zu dir aus Furcht, die Gebetszeit zu versäumen, und möchte die Waschung bei dir vollziehen, da ich weiß, daß du sauber bist und daß deine Wohnung rein ist.« Da erlaubte ihr die junge Frau einzutreten, während die Alte sie begrüßte und ihr Gottes Segen wünschte. Hierauf nahm sie den Eimer und ging in den Abtritt, wo sie die Waschung und das Gebet verrichtete. Dann kam sie wieder heraus und sagte zu der jungen Frau: »Ich glaube die Dienerinnen sind dort, wo ich betete, gewesen und haben den Ort verunreinigt. Weise mir daher einen andern Platz zum Beten an, denn das Gebet, das ich verrichtet habe, hat keinen Wert.« Da faßte die junge Frau die Alte bei der Hand und sagte zu ihr: »Meine Mutter, komm hierher und bete auf meinem Teppich, auf dem mein Gatte zu sitzen pflegt.« Nun stellte sie sich auf den Teppich und betete, rief Gott an und machte die Verbeugungen und Prostrationen, bis sie mit einem Male, als die junge Frau nicht acht gab, den Schleier unbemerkt unter das Kissen schob. Als sie dann ihr Gebet beendet hatte, erhob sie sich und verließ sie unter Segenswünschen.

Gegend Abend trat ihr Gatte, der Kaufmann, ins Haus und setzte sich auf den Teppich, worauf ihm seine Frau das Essen brachte. Nachdem er sich satt gegessen und die Hände gewaschen hatte, lehnte er sich ans Kissen, als mit einem Male die Ecke des Schleiers unter dem Kissen hervorsah. Da zog er den Schleier hervor und erkannte ihn, als er ihn erblickte. Voll Argwohn rief er seine Frau und fragte sie: »Woher hast du diesen Schleier?« Da schwur sie ihm hoch und teuer, daß niemand außer ihm zu ihr gekommen sei, worauf der Kaufmann aus Furcht vor öffentlichem Ärgernis schwieg, indem er bei sich sprach: »Wenn ich dieses Kapitel aufschlage, gerate ich in ganz Bagdad in Schimpf und Schande.« Der Kaufmann gehörte nämlich zu den Vertrauten des Chalifen, so daß er nichts besseres thun konnte als schweigen. Infolgedessen erwiderte er seiner Frau, die den Namen Mahsîje führte, kein Wort, sondern rief sie nur und sagte zu ihr: »Mir kam zu Ohren, daß deine Mutter an Herzweh krank zu Bett liegt, und daß alle Frauen bei ihr sind und über sie weinen. Ich befehle dir daher ebenfalls zu ihr zu gehen.« Da begab sich die junge Frau zu ihrer Mutter, die sie jedoch wohl zu Hause antraf. Nachdem sie eine Weile bei ihr gesessen hatte, kamen mit einem Male Lastträger an, welche ihre Sachen und ihre ganze Ausstattung aus dem Hause des Kaufmanns zu ihrer Mutter hinüberschafften. Als ihre Mutter dies sah, fragte sie die junge Frau: »Meine Tochter, was ist vorgefallen?« worauf dieselbe beteuerte, sie wisse es nicht. Da weinte ihre Mutter und bekümmerte sich über die Trennung ihrer Tochter von jenem Mann; nach einigen Tagen aber besuchte die Alte die junge Frau in dem Hause ihrer Mutter und fragte sie, nachdem sie sie innigst begrüßt hatte: »Was fehlt dir, meine Tochter, mein Liebling? Du hast mein Gemüt betrübt.« Dann trat sie zu ihrer Mutter ein und sprach zu ihr: »Meine Schwester, was ist vorgefallen? Was hat sich zwischen deiner Tochter und ihrem Mann zugetragen? Ich hörte nämlich, daß er sie entlassen hat. Was hat sie denn verbrochen, daß dies geschehen mußte?« Da versetzte ihre Mutter: »Vielleicht kehrt ihr Gatte sich ihr wieder durch deinen Segen zu; bete daher für sie, meine Schwester, denn du fastest und betest die ganze Nacht über.« Wie nun die drei beisammensaßen und miteinander schwatzten, sagte die Alte mit einem Male zu der jungen Frau: »Meine Tochter, gräme dich nicht, so Gott will, der Erhabene, bringe ich dich noch in diesen Tagen mit deinem Gatten wieder zusammen.« Hierauf begab sie sich zum Jüngling und sagte zu ihm: »Mach uns ein hübsches Zimmer zurecht, ich bringe sie dir noch heute Nacht.« Da sprang er auf und besorgte alles, was an Speise und Trank für sie erforderlich war, worauf er sich setzte und beide erwartete. Die Alte aber war inzwischen wieder zur Mutter der jungen Frau gegangen und sagte zu ihr: »Meine Schwester, wir feiern bei uns ein Fest, schicke daher deine Tochter mit mir mit, daß sie sich zerstreut und ihren Kummer und Gram verliert. Ich will sie dir wieder zurückbringen, wie ich sie von dir fortnahm.« Da erhob sich ihre Mutter und kleidete und schmückte ihre Tochter mit den prächtigsten Kleidern und schönsten Schmucksachen und Gewändern, worauf sie mit der Alten fortging, während ihre Mutter sie bis zur Thür geleitete, und sie der Alten dringend anempfahl, indem sie zu ihr sagte: »Hüte dich, daß sie irgend jemand von Gottes, des Erhabenen, Geschöpfen sieht, denn du weißt, welche hohe Stellung ihr Mann bei dem Chalifen einnimmt; und säume auch nicht, sondern bring sie so schnell als möglich zurück.« Hierauf führte sie die Alte zur Wohnung des Jünglings, während die junge Frau glaubte, es wäre das Haus, in welchem die Hochzeit stattfinden sollte. Als sie aber das Haus betrat und in das Wohnzimmer gelangte, –

Sechshundertunderste Nacht

sprang der Jüngling ihr entgegen, umarmte sie und küßte ihr die Hände und Füße, während die junge Frau von der Schönheit des Jünglings verwirrt wurde und den Raum und alle Blumen, Speisen und Getränke darin für einen Traum hielt. Als die Alte ihre Verwirrung sah, sagte sie zu ihr: »Gottes Name sei auf dir, meine Tochter! Fürchte dich nicht, ich werde hier sitzen bleiben und dich nicht für einen Augenblick verlassen; du bist seiner und er ist deiner wert.« Hierauf setzte sich die junge Frau tief beschämt, der Jüngling aber scherzte mit ihr und lachte sie an und unterhielt sie so lange mit Versen und Geschichten, bis sich ihre Brust ausdehnte und sie wieder fröhlich ward. Dann aß und trank sie, und als der Wein ihr wohl gemundet hatte, nahm sie die Laute und sang und neigte sich zärtlich der Schönheit des Jünglings zu. Als er aber dies gewahrte, ward er trunken ohne Wein, und sein Leben galt ihm ein leichtes Ding, worauf die Alte beide allein ließ. Erst am nächsten Morgen kam sie wieder zu ihnen, wünschte ihnen einen guten Morgen und fragte die junge Frau: »Wie hast du die Nacht verbracht, meine Herrin?« Sie erwiderte: »Gut, durch deine Hilfe und deine treffliche Kupplerei.« Hierauf sagte sie zu ihr: »Steh auf, wir wollen zu deiner Mutter zurückkehren.« Als aber der Jüngling die Worte der Alten vernahm, langte er hundert Dinare hervor und gab sie ihr mit den Worten: »Laß sie noch die kommende Nacht bei mir.« Da ging die Alte zur Mutter der jungen Frau und sagte zu ihr: »Deine Tochter läßt dich grüßen, doch hat die Brautmutter sie beschworen noch diese Nacht bei ihr zu bleiben.« Da antwortete ihr ihre Mutter: »Meine Schwester, grüße beide, und wenn sich das Mädchen amüsiert, so kann es ja nichts schaden, wenn sie noch eine Nacht dort bleibt, um sich zu vergnügen, und ganz nach Belieben heimkehrt. Ich fürchte ja nichts weiter, als daß sie sich über den Zorn ihres Gatten bekümmert.« In dieser Weise brachte die Alte bei ihrer Mutter eine Entschuldigung nach der andern vor, bis die junge Frau sieben Tage bei dem Jüngling geblieben war, während sie selber für jeden Tag hundert Dinare einsteckte. Als aber die sieben Tage verstrichen waren, sagte die Mutter der jungen Frau zur Alten: »Bring mir sofort meine Tochter her; mein Herz ist voll Unruhe über ihr langes Ausbleiben, und die Sache kommt mir verdächtig vor.« Da ging die Alte erzürnt über ihre Worte zu ihrer Tochter und legte ihre Hand in die der jungen Frau, worauf beide den Jüngling verließen, während er berauscht von Wein auf seinem Bett dalag und schlief. Als sie bei ihrer Mutter anlangten, empfing diese sie fröhlich und in höchster Freude und sagte zu ihr: »Ach, meine Tochter, mein Herz war deinethalben voll Unruhe, so daß ich meiner Schwester mit verletzenden Worten zu nahe trat.« Da antwortete ihr ihre Tochter: »Steh auf und küsse ihr die Hände und Füße, denn sie hat wie eine Dienerin alle meine Bedürfnisse besorgt; thust du nicht, was ich dir befehle, so bin ich nicht mehr deine Tochter, und du bist nicht mehr meine Mutter;« worauf sich ihre Mutter sofort erhob und sich mit der Alten aussöhnte.

Als sich nun der Jüngling aus seinem Rausch erhob, fand er die junge Frau nicht mehr an seiner Seite, doch beglückwünschte er sich, daß er sein Begehr an ihr gestillt hatte. Nicht lange nachher trat die Alte bei ihm ein und sprach zu ihm, nachdem sie ihn begrüßt hatte: »Was sagst du zu meinem Streich?« Er versetzte: »Du hast das prächtig ausgeheckt und zu Wege gebracht.« Hierauf sagte sie zu ihm: »Komm, nun wollen wir wieder, was wir verdarben, in Ordnung bringen und dieses Mädchen ihrem Gatten wiedergeben, denn wir waren die Ursache ihrer Trennung.« Der Jüngling fragte sie: »Und wie willst du das anstellen?« Sie versetzte: »Geh in den Laden des Kaufmanns, setz' dich zu ihm und begrüße ihn; ich will dann an dem Laden vorübergehen, und, so du mich siehst, komm aus dem Laden auf mich losgestürzt, pack' mich, zerr' mich an meinen Kleidern, schilt mich, droh mir, fordere den Schleier von mir zurück und sprich zu dem Kaufmann: »Mein Herr, erinnerst du dich nicht an den Schleier, den ich von dir für fünfzig Dinare kaufte? Es traf sich, daß meine Sklavin ihn umband und dabei seine Ecke verbrannte, worauf sie ihn dieser Alten gab, damit sie ihn zu einem brächte, der ihn wieder ausbesserte. Die Alte aber ging mit dem Schleier fort, und seit jenem Tage sah ich sie nicht mehr.« Der Jüngling erwiderte ihr hierauf: »Recht gern,« und machte sich sofort zum Laden des Kaufmanns auf, neben den er sich setzte. Nach einer Weile kam denn auch die Alte mit einem Rosenkranz in der Hand, mit Hilfe dessen sie betete, an dem Laden vorüber, und der Jüngling sprang, als er sie sah, sofort auf, lief aus dem Laden und zerrte sie an ihren Kleidern, indem er sie dabei schalt und schmähte, während sie ihn zu besänftigen suchte und zu ihm sagte: »Mein Sohn, du bist zu entschuldigen.« Wie sich nun das Volk, das sich auf dem Bazar befand, um sie versammelte und fragte, was los wäre, versetzte der Jüngling: »Ihr Leute, ich kaufte von diesem Kaufmann einen Schleier für fünfzig Dinare und gab ihn meiner Sklavin, die ihn nur eine ganz kurze Weile getragen hatte, als sie sich setzte, um ihn zu parfümieren. Hierbei flog jedoch ein Funken auf den Schleier und verbrannte eine Ecke desselben, worauf sie den Schleier dieser Alten gab, damit sie ihn zu jemand brächte, der ihn ausbesserte, und ihn uns dann wiederbrächte. Seit jener Zeit sahen wir sie jedoch nicht wieder.« Da versetzte die Alte: »Dieser Jüngling hat die Wahrheit gesagt; jawohl, ich nahm den Schleier von ihm und ging mit ihm in eines der Häuser, die ich zu besuchen pflege, doch vergaß ich ihn dort und weiß nun nicht mehr, in welchem Hause ich ihn liegen ließ; da ich aber eine arme Frau bin, fürchtete ich mich vor dem Besitzer des Schleiers und mied sein Angesicht.« Alles dies aber wurde vor den Ohren des Kaufmanns, des Gatten der jungen Frau verhandelt.

Sechshundertundzweite Nacht

Als er die Geschichte, welche die verschlagene Alte mit dem Jüngling ausgesonnen hatte, vernommen hatte, sprang er auf und rief: »Gott ist groß! Ich bitte Gott, den Hochherrlichen, um Verzeihung für meine Sünden und meinen Argwohn!« und lobte Gott dafür, daß er ihm die Wahrheit enthüllt hatte. Alsdann trat er an die Alte und fragte sie: »Pflegst du uns zu besuchen?« Sie erwiderte ihm: »Ja, mein Sohn, ich besuche dich und andere um milder Gaben willen; doch seit jenem Tage gab mir keiner von dem Schleier Auskunft.« Da versetzte der Kaufmann: »Hast du jemand in unserm Hause nach dem Schleier gefragt?« Die Alte entgegnete: »Mein Herr, ich ging wohl zu deinem Hause und fragte nach ihm, doch sagten mir die Leute, der Kaufmann hätte sich von der Hausherrin geschieden; da ging ich wieder fort und fragte hernach keinen weiter bis auf den heutigen Tag.« Da wendete sich der Kaufmann zum Jüngling und sagte zu ihm: »Laß diese Alte laufen, denn der Schleier ist bei mir.« Hierauf holte er ihn aus dem Laden und gab ihn vor allen Anwesenden dem Ausbesserer. Dann aber begab er sich zu seiner Frau, gab ihr etwas Geld und nahm sie wieder zu sich, nachdem er sie einmal um das andere um Entschuldigung und Gott um Verzeihung gebeten hatte, ohne daß er wußte, was die Alte gethan hatte.

Dies, o König, ist ein Beispiel von der Arglist der Weiber.

 


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