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Tausend und eine Nacht. Band X
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Sindbads zweite Reise

»Wisset, meine Brüder, so führte ich, wie ich es euch gestern erzählte, ein Leben herrlich und in Freuden, –

Fünfhundertunddreiundvierzigste Nacht

bis es mir eines Tages wieder beikam, ins Land der Menschen zu reisen, und meine Seele von Sehnsucht erfaßt wurde, Handel zu treiben, Geld zu verdienen und die Städte und Inseln zu schauen. Mit solchem Beschluß holte ich einen Haufen Geld hervor, kaufte dafür die für eine Reise erforderlichen Waren und Handelsartikel ein und verpackte sie in Ballen; dann begab ich mich an den Strand, und, als ich dort ein hübsches und neues, reichbemanntes, wohlausgerüstetes und mit Segeln aus hübschem Linnen versehenes Schiff fand, ließ ich auf demselben meine Lasten verladen und segelte noch an demselben Tage zugleich mit einer Anzahl Kaufleute fort. Wir hatten eine gute Fahrt und zogen ununterbrochen von Meer zu Meer und von Insel zu Insel, und überall, wo wir beilegten, trafen wir auf die Kaufleute, die Großen des Reiches und Käufer und Verkäufer, und wir kauften und verkauften daselbst und trieben Tauschhandel. In dieser Weise trieben wir es, bis wir vom Geschick zu einer hübschen, reich mit Bäumen bestandenen Insel gelangten, auf welcher die Früchte in scharlachner Reife schimmerten, die Blumen dufteten, die Vögel in süßen Weisen sangen und der Bäche Spiegel flimmerten, doch war keine SterbensseeleWörtlich: Kein Feueranbläser; ein sprichwörtlicher Ausdruck, die gänzliche Unbewohntheit bezeichnend. auf ihr zu entdecken. Der Kapitän ging an dieser Insel mit uns vor Anker, und die Kaufleute und Passagiere stiegen auf die Insel, lustwandelten unter den Bäumen, lauschten dem Gesang der Vögel, lobpreisten Gott, den Einigen, den Allbezwinger, und bewunderten die Allmacht des allgewaltigen Königs. Infolgedessen stieg ich ebenfalls mit den andern ans Land und setzte mich an einen klaren Quell, der unter den Bäumen floß, und aß daselbst, da ich etwas zum Essen mitgenommen hatte, von der Gabe, die Gott, der Erhabene, mir hatte zuteil werden lassen. Der Wind aber wehte dort so wohlig und lind und ich fühlte mich so leicht und froh, daß mich Schläfrigkeit überkam, und ich mich dort ruhte und in tiefen Schlaf versank. So genoß ich den wohligen Windhauch und den würzigen Duft; als ich mich jedoch wieder erhob, fand ich daselbst weder Menschen noch Dschinn, denn das Schiff war mit allen Passagieren fortgefahren, ohne daß sich irgend jemand von den Kaufleuten oder den Matrosen meiner erinnert hätte. In dieser Weise von ihnen auf der Insel zurückgelassen, wendete ich mich nach rechts und links; da ich jedoch außer mir selber kein menschliches Wesen wahrnahm, wurde ich von dem heftigsten Schmerz erfaßt, daß mir beinahe vor Sorge und Trauer und Trübsal die Gallenblase geplatzt wäre, zumal da ich weder etwas von irdischen Habseligkeiten noch Speise und Trank bei mir hatte. In meiner Verlassenheit sprach ich, in meiner Seele müde und am Leben verzweifelnd: »Nicht alleweil bleibt der Krug heil; bin ich auch das erste Mal mit dem Leben davongekommen und traf jemand an, der mich von der Insel mit sich mitnahm und mich zu Menschen in eine kultivierte Gegend brachte, so steht es doch diesmal in weitem, weitem Felde, daß ich jemand finde, der mich in ein bewohntes Land bringt.« Hierauf fing ich an, mein Los zu beweinen und bejammern, bis ich in Wut geriet und mir Vorwürfe machte, daß ich mich wieder in die Plagen der Reise eingelassen hatte, nachdem ich ruhig zu Hause und daheim gesessen hatte und mir's bei feinen Speisen, feinen Weinen und feinen Kleidern hatte gut sein lassen, ohne irgend etwas an Geld oder Gut zu entbehren. Ich bereute es bitterlich, daß ich die Stadt Bagdad verlassen hatte und wieder aufs Meer hinausgefahren war, nachdem ich so viel Drangsale auf meiner ersten Reise ausgekostet und das Verderben nahe vor Augen gehabt hatte, und sprach: »Wir sind Gottes und zu Ihm kehren wir zurück!« und gebärdete mich wie ein Wahnsinniger. Hernach erhob ich mich, durchwanderte die Insel nach rechts und links, da ich nirgends ruhig zu sitzen vermochte, und stieg schließlich auf einen hohen Baum, aus dessen Gipfel ich nach rechts und links Umschau hielt, doch gewahrte ich nichts als Himmel, Wasser, Bäume, Vögel, Inseln und Sandstriche. Als ich jedoch schärfer ausspähte, bemerkte ich auf der Insel einen großen, weißen Gegenstand in der Ferne; da stieg ich von dem Baum herunter und ging auf denselben zu, bis ich ihn erreicht hatte, und siehe, da war es eine große, hoch in die Luft ragende weiße Kuppel von mächtigem Umfang. Nahe an sie herantretend, schritt ich rings um sie herum, doch fand ich weder eine Thür an ihr, noch hatte ich die Kraft und Gelenkigkeit, sie bei ihrer großen Glätte zu erklettern. Ich machte mir nun an der Stelle, an welcher ich stand, ein Zeichen und schritt rings um die Kuppel herum, um ihren Umfang zu messen, welcher fünfzig starke Schritte maß. Dann erwog ich hin und her, wie ich wohl hineinzukommen vermöchte, – der Tag ging aber bereits auf die Neige und die Sonne näherte sich ihrem Untergang, – als mit einem Male die Sonne vor meinen Blicken verhüllt wurde und verschwand, und die Luft sich verfinsterte. Erst glaubte ich, die Sonne wäre von einer Wolke bedeckt, da es jedoch gerade die Sommerszeit war, verwunderte ich mich und hob meinen Blick, scharf ausschauend, gen Himmel, wo ich nun einen riesigen Vogel von gewaltigem Leibesumfang und weitklafternden Schwingen daherschweben sah, der in seinem Fluge das Sonnenlicht über der Insel verfinsterte. Ich verwunderte mich hierüber noch mehr und gedachte dabei einer Geschichte, –

Fünfhundertundvierundvierzigste Nacht

welche ich vor langer Zeit einmal von Pilgern und Reisenden vernommen hatte, daß nämlich auf einer Insel ein riesiger Vogel, der Roch geheißen, lebte, der seine Jungen mit Elefanten atzen sollte; und ich erkannte nun, daß die Kuppel vor meinen Augen nichts anderes war als ein Rochei. Während ich mich noch über die Werke Gottes, des Erhabenen, verwunderte, ließ sich der Vogel auf die Kuppel nieder, breitete seine Schwingen zum Brüten darüber und schlief auf ihr ein, indem er dabei seine Füße nach hinten auf die Erde streckte, – Preis Ihm, der nimmer schläft! – Als ich dies gewahrte, erhob ich mich, löste den Turban von meinem Haupte, faltete ihn zusammen und drehte ihn, bis er einem Strick glich; dann gürtete ich ihn mir mitten um den Leib und band mich fest an die Füße des Vogels, indem ich bei mir sprach: »Vielleicht wird er mich in ein Land mit Städten und Bewohnern tragen, was besser sein wird, als daß ich hier auf dieser Insel sitze.« Aus Furcht, daß ich einschlafen und der Vogel, ohne daß ich es merkte, mit mir fortfliegen könnte, brachte ich die Nacht über wach zu; als nun aber das Frührot aufstieg und der Morgen anbrach, erhob sich der Vogel mit einem gewaltigen Schrei von dem Ei und stieg mit mir so hoch in die Luft empor, daß ich schon glaubte, er hätte die Wolken am Himmel erreicht; alsdann ließ er sich langsam mit mir zur Erde nieder, bis er sich auf die Spitze eines hohen Berges setzte. Sobald ich den Boden erreicht hatte, löste ich schnell, vor Ängsten zitternd, wiewohl der Vogel nichts von mir merkte, meinen Turban von seinen Füßen und machte mich aus dem Staube. Der Vogel aber packte nun etwas auf dem Boden der Erde mit seinen Klauen und stieg zu den Wolken des Himmels empor; und, wie ich den Gegenstand ins Auge faßte, sah ich, daß es eine Schlange von ungeheurer Länge und mächtigem Leibesumfang war, mit welcher er zum Meere flog. Verwundert hierüber schritt ich weiter und gewahrte, daß ich mich auf einer Anhöhe befand, zu deren Füßen sich ein großes, breites und tiefes Wadi ausdehnte, welches von einem ungeheueren, hoch in die Luft ragenden Gebirge flankiert wurde, dessen Gipfel wegen ihrer unermeßlichen Höhe niemand mit seinem Auge erreichen konnte, geschweige denn, daß jemand imstande war, sie zu erklimmen. Bei diesem Anblick machte ich mir über mein Unterfangen Vorwürfe und sprach: »Ach, wäre ich doch auf der Insel geblieben; sie war besser als dieser wüste Ort, da es doch auf ihr mancherlei Früchte zu essen und auch Wasser aus Bächen zu trinken gab; an diesem Ort aber giebt es weder Bäume, noch Früchte, noch Flüsse. Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! So oft ich aus einer Drangsal errettet werde, stürze ich in eine neue größere und schlimmere.« Hierauf erhob ich mich und wanderte, meine Seele stärkend, in jenes Wadi, wobei ich fand, daß sein Boden aus Diamant bestand, jenem Steine, mit welchem man Minerale, Edelsteine, Porzellan und den Onyx durchbohrt, da er ein harter und spröder Stein ist, in welchen weder Eisen noch Felsgestein einen Eindruck macht, und von dem wir weder etwas abschneiden noch abbrechen können, es sei denn mit Hilfe des Bleisteins. Das ganze Wadi wimmelte von Schlangen und Vipern, von denen eine jede so lang wie ein Palmbaum war, daß sie wegen ihrer Größe einen Elefanten hätte verschlucken können. Jene Schlangen kamen nur des Nachts zum Vorschein, während sie sich am Tage vor dem Vogel Roch und vor Adlern versteckten, aus Furcht, von ihnen gepackt und zerrissen zu werden; weshalb, das weiß ich nicht. Voll Reue über mein Unterfangen verweilte ich nun im Wadi und sprach bei mir: »Bei Gott, ich habe mein eigenes Verderben beschleunigt!« Der Tag neigte sich bereits, so daß ich mich nunmehr bei meiner Wanderung nach einem Ort umschaute, wo ich die Nacht zubringen konnte, da mich die Furcht vor den Schlangen so stark gepackt hatte, daß ich in der Besorgnis um mein Leben weder an Speise noch an Trank dachte. Plötzlich gewahrte ich nahe bei mir eine Höhle und fand, als ich näher hinzutrat, daß sie einen engen Eingang hatte. Da trat ich in sie ein und verbarrikadierte den Eingang mit einem großen Stein, den ich neben demselben liegen sah, indem ich bei mir sprach: »Nunmehr, wo ich diesen Ort betreten habe, bin ich in Sicherheit; sobald es morgen tagt, will ich hinausgehen und sehen, was Gottes Allmacht thun wird.« Wie ich mich nun aber nach dem Innern der Höhle wendete, sah ich am gegenüberliegenden Ende eine riesige Schlange auf ihren Eiern liegen, so daß mein Leib erschauderte, und ich, mein Haupt erhebend, meine Sache dem Schicksal und Verhängnis anheimstellte. Schlaflos verbrachte ich die ganze Nacht, bis die Morgenröte aufstieg, worauf ich den Stein, den ich vor den Eingang der Höhle gewälzt hatte, wieder fortrückte und wie ein Trunkener aus der Höhle ging, taumelnd von dem langen Wachen und von Hunger und Schrecken. Während ich nun in solchem Zustande durchs Wadi wanderte, fiel mit einem Male ein großes Stück Fleisch vor mir nieder, ohne daß ich jemand bemerken konnte. Ich verwunderte mich höchlichst hierüber, doch fiel mir dabei eine Geschichte ein, die ich vor langer, langer Zeit einmal von Kaufleuten, Reisenden und Pilgern vernommen hatte, daß nämlich die Diamantenberge voll fürchterlicher Schrecken wären, und daß niemand dorthin gelangen könne; daß indessen die Kaufleute, die in Diamanten Handel treiben, durch List zu den Diamanten gelangten, indem sie ein Schaf schlachteten, es abhäuteten und zerschnitten, worauf sie die frischen Fleischstücke von jenen Bergen auf den Boden des Wadis würfen, an denen dann einige jener Steine festklebten. Dort ließen die Kaufleute sie bis zur Mittagszeit liegen, um welche Zeit die Geier und Adler sich auf jenes Fleisch niederließen, es mit den Krallen packten und dann auf die Gipfel der Berge flögen. Sobald die Kaufleute dies bemerkten, kämen sie dann herbeigelaufen und verscheuchten mit lautem Geschrei die Vögel von dem Fleisch, worauf sie die Steine, die an dem Fleisch hafteten, abläsen und, das Fleisch den Vögeln und Raubtieren überlassend, mit den Steinen heimkehrten; und niemand sei imstande anders als durch diese List zu den Diamanten zu gelangen.

Fünfhundertundfünfundvierzigste Nacht

Wie ich nun dieses Stück Fleisch vor mir liegen sah und dabei an die erwähnte Geschichte dachte, trat ich näher herzu und füllte eifrig meine Taschen, meinen Gurt, Turban, die Falten meiner Kleider und alle meine Sachen mit einer großen Menge der erlesensten Steine, als mit einem Male ein neues großes Stück niederfiel. Da band ich mich schnell mit meinem Turban an das Stück Fleisch fest, indem ich mich auf den Rücken legte, das Fleisch auf meine Brust nahm und mich daran festhielt, so daß das Fleisch sich hoch über dem Boden befand. Und mit einem Male kam auch schon ein Adler auf das Fleisch niedergefahren, packte es mit seinen Fängen und stieg mit ihm in die Luft empor, während ich an dem Fleisch hing. Er hemmte seinen Flug nicht eher, als bis er den Gipfel eines Berges erreicht hatte, wo er das Stück losließ und sich anschickte auf dasselbe einzuhacken. Da erhob sich jedoch hinter ihm auf dem Berge lautes Geschrei und Holzgeklapper, so daß der Adler erschreckt aufflog. Während ich mich nun von dem Kadaver losband und mit blutbesudelten Kleidern neben ihm stand, kam mit einem Male der Kaufmann, der den Adler durch sein Geschrei verscheucht hatte, herangeschritten. Als er mich erblickte, konnte er vor Entsetzen und zitternd vor Furcht kein Wort sprechen, doch trat er an den Tierkadaver heran und kehrte ihn um. Wie er nun aber nichts an ihm fand, stieß er einen lauten Schrei aus und rief: »Ach wie schade! Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Zu Gott nehmen wir unsere Zuflucht vor dem gesteinigten Satan!« und jammerte über sich und schlug Hand wider Hand und klagte: »Ach, welch ein Jammer! Wie kommt dies nur?« Da trat ich an ihn heran, und nun fragte er mich: »Wer bist du, und weshalb kommst du hierher?« Ich antwortete ihm: »Fürchte dich nicht und sei unverzagt, denn ich bin ein Mensch von den besten meines Geschlechts; ich bin ein Kaufmann und hab' eine absonderliche Mär und eine seltsame Geschichte erlebt, und die Weise, wie ich zu diesen Bergen und in das Wadi gelangte, ist wunderbarlich zu hören. So fürchte dich nicht, du sollst von mir erhalten, was dich erfreuen wird, denn ich habe einen großen Haufen Diamanten bei mir und will dir davon schenken, was dich zufriedenstellen soll; denn jeder einzelne Diamant, den ich bei mir habe, ist besser als alles, was du sonst hättest bekommen können. Fürchte dich nicht und sei unverzagt.« Der Mann dankte mir für meine Worte und segnete mich; dann unterhielten wir uns miteinander, als plötzlich die andern Kaufleute, welche ebenfalls ihre Fleischstücke heruntergeworfen hatten, und die mich nun mit ihrem Gefährten reden hörten, herbeikamen, mich begrüßten und zu meiner Rettung beglückwünschten. Hierauf nahmen sie mich mit sich, und ich erzählte ihnen meine ganze Geschichte, alle meine Reiseabenteuer und, wie ich in jenes Wadi gekommen war. Alsdann gab ich dem Eigentümer des Stückes Fleisch, an welches ich mich festgebunden hatte, eine Menge von meinen Steinen, worüber er hocherfreut mich segnete und mir dankte. Die Kaufleute aber sagten zu mir: »Bei Gott, dir ist ein neues Leben geschenkt, denn niemand gelangte vor dir an diesen Ort und kam mit seinem Leben davon; jedoch, gelobt sei Gott für deine Rettung!« Ich verbrachte nun die Nacht, in höchster Freude über meine Rettung und mein Entkommen aus dem Schlangenthal in ein bewohntes Land, mit den Kaufleuten an einem hübschen und sichern Ort; am nächsten Morgen aber erhoben wir uns und zogen über jenes hohe Gebirge, wobei wir im Wadi eine Menge Schlangen erblickten, bis wir zu einem Garten auf einer großen und hübschen Insel gelangten, in welchem Kampferbäume wuchsen, die so groß waren, daß unter jedem Baum hundert Mann Schatten finden konnten. Wenn jemand etwas Kampfer von ihm nehmen will, so bohrt er mit einem langen Gegenstand oben in den Stamm ein Loch und fängt den flüssigen Kampfer, welcher der Saft jenes Baumes ist, auf, der sich hernach wie Gummi verdickt; der Baum stirbt jedoch ab und wird als Brennholz benutzt. Ferner gewahrten wir auf jener Insel eine Art wilder Tiere, Rhinozeros geheißen, welches dort weidet wie bei uns Rinder und Büffel; doch ist der Leib jenes Tieres größer als der Leib eines Kamels. Es ist ein gewaltiges Tier mit einem dicken Horn von zehn Ellen Länge mitten auf seinem Haupt, in welchem sich das Bild eines Menschen befindet. Ferner lebt auf jener Insel auch eine Art Rind, und die Schiffsleute und über Berg und Thal fahrenden Pilger erzählten uns, daß jenes sogenannte Rhinozeros einen großen Elefanten auf sein Horn zu spießen imstande ist und dann ruhig weiter auf der Insel und dem Meeresgestade weidet. Stirbt aber der Elefant auf seinem Horne und läuft sein Fett, das in der Sonne schmilzt, dem Rhinozeros aufs Haupt und dringt in seine Augen ein, so wird es blind und muß am Strande liegen bleiben, worauf dann der Vogel Roch kommt, es mitsamt dem Elefanten auf seinem Horn in seine Fänge packt und es seinen Jungen zur Atzung bringt. Ferner sah ich noch auf jener Insel vielerlei Büffel, wie sie bei uns nicht vorhanden sind. Ich tauschte hier die Diamanten, welche ich aus dem Schlangenthal mitgenommen und in meiner Tasche versteckt hatte, mit den Gütern und Produkten jenes Landes ein und erhielt auch Silber und Gold dafür, und die Kaufleute luden meine Waren auf, worauf ich mit ihnen weiter von Wadi zu Wadi und von Stadt zu Stadt zog, überall kaufend und verkaufend und das Land der Menschen und Gottes Werke in Augenschein nehmend, bis wir nach der Stadt Basra gelangten, von wo ich, nach einem Aufenthalt von wenig Tagen, weiter nach Bagdad zog.

Fünfhundertundsechsundvierzigste Nacht

In Bagdad, der Stätte des Friedens, angelangt, suchte ich sofort mein Viertel auf und kehrte in mein Haus wieder ein, reichbeladen mit Diamanten und Gold, Gütern und Waren, die sich sehen lassen konnten. Nachdem ich alle meine Angehörigen und Freunde wiedergesehen hatte, teilte ich Almosen aus und machte Spenden und Präsente und beschenkte alle meine Angehörigen und Freunde. Dann begann ich gut zu essen und trinken, kleidete mich in hübsche Kleider, pflegte mit meinen Freunden und Bekannten geselligen Verkehr und vergaß heiteren Gemütes und fröhlichen Herzens bei Spiel und Scherz und allem, was das Leben angenehm macht, alle meine früheren Leiden. Jeder aber, der von meiner Heimkehr vernommen hatte, besuchte mich und fragte mich nach meinen Reiseerlebnissen und den Verhältnissen in fremden Ländern, und ich erzählte und berichtete ihnen alle meine Abenteuer und meine Drangsale, worauf sie mich, verwundert über all die Fährnisse, die ich ausgestanden hatte, zu meiner wohlbehaltenen Heimkehr beglückwünschten. Dies ist das Ende der Erlebnisse meiner zweiten Reise, und morgen, so Gott will, der Erhabene, erzähle ich euch meine dritte Reise.«

Als Sindbad der Seemann Sindbad dem Landmann die Geschichte seiner zweiten Reise zu Ende erzählt hatte, verwunderten sich alle über dieselbe. Dann speisten sie zusammen zur Nacht, und Sindbad befahl dem Lastträger wieder hundert Goldmithkâl zu überreichen, worauf derselbe mit dem Geschenk seines Weges ging, indem er sich dabei über all die Drangsale, die er auszustehen gehabt hatte, verwunderte und ihm selbst noch in seinem Hause dankte und Segen von Gott erflehte. Als aber der Morgen anbrach und es licht ward und tagte, erhob sich Sindbad der Lastträger, verrichtete das Frühgebet und begab sich wieder zum Hause Sindbads des Seemanns, wie er es ihm befohlen hatte. Bei ihm eintretend, bot er ihm den Morgengruß, worauf Sindbad der Seemann ihn willkommen hieß und sich mit ihm setzte, bis seine andern Freunde und Gäste vollzählig eingetroffen waren. Alsdann aßen sie und tranken, und als sie nun heiter und fröhlich und guter Dinge waren, nahm Sindbad der Seemann das Wort und begann:

 


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