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»Glückseliger König, es kam mir zu Ohren, daß einmal ein Goldschmied lebte, der den Weibern und dem Wein zugethan war. Eines Tages, als er einen seiner Freunde besucht hatte, fiel sein Blick auf eine der Wände von dessen Haus, und er sah dort das Bild eines Mädchens aufgemalt, wie kein Auge ein schöneres, anmutigeres und liebreizenderes gesehen hatte. Entzückt über das schöne Bild, mußte er immer und immer wieder nach ihm hinschauen, bis sich sein Herz so heftig in dasselbe verliebte, daß er krank wurde und dem Tode nahe kam. Da besuchte ihn einer seiner Freunde und fragte ihn, indem er sich ihm zu Häupten niedersetzte, wie es ihm erginge und was ihm fehlte, worauf der Goldschmied versetzte: »Ach mein Bruder, meine ganze Krankheit und all mein Leiden kommt allein von der Liebe her, denn ich verliebte mich in ein Bild, das auf eine Wand im Hause meines Bruders So und So gemalt ist.« Da tadelte ihn sein Freund und sagte zu ihm: »Das kommt aus deinem Unverstand; wie konntest du dich in ein Bild auf einer Wand verlieben, das weder schaden noch nützen, weder sehen noch hören, weder nehmen noch versagen kann?« Der Goldschmied versetzte: »Der Maler hat das Bild sicherlich nach einem hübschen Frauenzimmer gemalt.« Sein Freund erwiderte jedoch: »Vielleicht hat der Maler das Bild aus dem Kopfe gemalt;« worauf der Goldschmied entgegnete: »Auf jeden Fall liege ich hier und sterbe vor Liebe; lebt aber das Original dieses Bildes in der Welt, so bitte ich zu Gott, dem Erhabenen, daß er mich so lange leben läßt, bis ich es gesehen habe.« Wie nun die Anwesenden ihn verlassen hatten, erkundigten sie sich nach dem Maler jenes Bildes, und erfuhren, daß er nach einer andern Stadt gereist war. Da schrieben sie einen Brief an ihn, in welchem sie ihm den Zustand ihres Freundes klagten, und fragten ihn, wie es sich mit jenem Bild verhielte, ob es ein Erzeugnis seiner Phantasie wäre oder ob er das Original davon irgendwo in der Welt gesehen hätte. Da schickte er ihnen die Antwort zurück: »Ich habe dieses Bild nach einer Sängerin eines Wesirs in der Stadt Kaschmir im Lande Indien gemalt.« Als der Goldschmied, der in einer Stadt Persiens lebte, dies vernahm, machte er sich zurecht und zog aus gen Indien, bis er endlich nach großen Mühsalen in Kaschmir anlangte. Nachdem er sich dort häuslich niedergelassen hatte, ging er eines Tages zu einem Drogisten jener Stadt, einem intelligenten und scharfsinnigen Menschen mit hellem Kopf, und fragte ihn nach ihrem König und seinem Wandel. Der Drogist erwiderte: »Was unsern König anlangt, so ist er gerecht, rechtschaffen in seinem Wandel, gütig gegen das Volk seines Reiches und unparteiisch gegen seine Unterthanen; das einzige, was er in der Welt verabscheut, sind die Zauberer, und so ein Zauberer oder eine Zauberin in seine Hand fällt, läßt er beide in eine Cisterne außerhalb der Stadt werfen und dort des Hungers sterben.« Alsdann erkundigte er sich bei ihm nach seinen Wesiren, worauf ihm der Drogist eines jeden Wesirs Wandel und Weise schilderte, bis die Rede auch auf die Sängerin kam und er ihm sagte: »Sie gehört dem und dem Wesir.« Da geduldete sich der Wesir einige Tage, während welcher er sich einen Plan ausdachte; hierauf nahm er in einer stürmischen Regen- und Gewittersnacht Diebeszeug zu sich und schlich sich zum Haus des Wesirs, dem das Mädchen gehörte. Hier angelangt, warf er das Fangeisen aus, an welchem sich die Diebesleiter befand, und stieg auf das Schloßdach, von wo er in den Schloßhof hinunterstieg. Er fand alle Mädchen auf ihrem Lager schlafend vor, und gewahrte unter ihnen auf marmornem Pfühl ein Mädchen gleich dem aufgehenden Vollmond in der vierzehnten Nacht, das mit einer goldgestickten Decke zugedeckt war und zu Häupten und Füßen je eine Kerze aus Ambra in einem Leuchter von gleißendem Gold zu stehen hatte, während in einer silbernen Büchse unter ihrem Kopfkissen all ihr Schmuck aufbewahrt lag. Da hob er die Decke auf und holte sein Messer hervor, mit dem er ihr eine tüchtige Wunde im Hinterteil beibrachte, so daß sie in Furcht und Schrecken erwachte. Als sie ihn erblickte, fürchtete sie sich laut zu schreien und schwieg zuerst. Dann aber sagte sie zu ihm, da sie glaubte, er sei gekommen ihre Wertsachen zu stehlen: »Nimm das Kästchen mit seinem Inhalt; mein Tod bringt dir keinen Nutzen, und ich bin unter deinem Schutz und Schirm.« Da nahm der Mann das Kästchen und ging fort.
Fünfhundertundsiebenundachtzigste Nacht
Am nächsten Morgen zog er seine Sachen an und begab sich mit dem Schmuckkästchen zum König jener Stadt, zu dem er, nachdem er die Erde vor ihm geküßt hatte, sagte: »O König, ich komme als guter Ratgeber zu dir. Ich stamme aus dem Lande Chorâsân, und wanderte von dort, angezogen von dem Ruf deines Wandels und deiner Gerechtigkeit gegen deine Unterthanen, zu deiner Gegenwart aus, um unter deinem Banner zu leben. Um die Abendzeit traf ich bei dieser Stadt ein und fand das Thor bereits verschlossen, so daß ich draußen schlafen mußte. Wie ich nun zwischen Schlafen und Wachen dalag, gewahrte ich mit einem Male vier Weiber, von denen die eine auf einem Besenstiel, die zweite auf einem Weinkrug, die dritte auf einer Feuerschaufel und die vierte auf einer schwarzen HündinDiese Stelle ist der Macnaghtenschen Ausgabe entlehnt. Nach der Būlâker reitet die eine auf einem Besen, die zweite auf einem Fächer. Das Reitobjekt der beiden andern wird nicht erwähnt. Diese Hexen scheinen fast sich vom Blocksberg nach Kaschmir verirrt zu haben. ritt, und erkannte, daß es Hexen waren, die in deine Stadt ritten. Eine von ihnen näherte sich mir und gab mir einen schmerzhaften Fußstoß und einen heftigen Schlag mit einem Fuchsschweif, den sie in der Hand hielt, worauf ich ihr, wütend über den Schlag, einen Hieb mit meinem Messer versetzte, der sie ins Hinterteil traf, als sie gerade den Rücken zur Flucht wendete. Als sie die Wunde spürte, floh sie vor mir, wobei ihr dieses Kästchen mit seinem Inhalt entfiel; da hob ich es auf und öffnete es, um diesen wertvollen Schmuck in ihm zu finden. So nimm du ihn, da ich seiner nicht bedarf, dieweil ich ein Pilgersmann im Gebirge bin, welcher die Welt aus seinem Herzen gethan und allen ihren Gütern entsagt hat und allein Gottes, des Erhabenen, Angesicht sucht.« Nach diesen Worten ließ er das Kästchen vor dem König und ging fort. Als er den König verlassen hatte, öffnete dieser das Kästchen, holte allen Schmuck, der sich darin befand, heraus, und kehrte ihn in seiner Hand um und um, wobei er unter den Schmuckstücken auch ein Halsband fand, welches er dem Wesir, dem das Mädchen gehörte, geschenkt hatte. Da ließ er den Wesir rufen und sagte zu ihm, als er vor ihm erschienen war: »Dies ist doch das Halsband, das ich dir schenkte?« Als der Wesir es sah, erkannte er es und erwiderte: »Ja; ich schenkte es einer meiner Sängerinnen.« Da befahl ihm der König: »Bring' das Mädchen sofort her.« Als das Mädchen vor dem König erschien, befahl er dem Wesir: »Decke ihr Hinterteil auf und schau nach, ob sie dort eine Wunde hat oder nicht.« Wie nun der Wesir ihr Hinterteil aufdeckte, sah er daselbst eine von einem Messer herrührende Wunde und sagte zum König: »Ja, mein Gebieter, sie hat am Hinterteil eine Wunde.« Da sagte der König zum Wesir: »Sie ist ganz zweifellos eine Hexe, wie es mir der Asket gesagt hat.« Hierauf erteilte er Befehl, sie in den Hexenbrunnen zu werfen, und sie schleppten sie noch desselbigen Tages dorthin. Wie nun die Nacht anbrach, und der Goldschmied sah, daß seine List gelungen war, begab er sich mit einem Beutel voll tausend Dinaren in der Hand zu dem Wächter des Brunnens, und setzte sich neben ihn zum Plaudern. Als aber das erste Drittel der Nacht vorüber war, brachte er die Sache zur Sprache und sagte zu dem Wächter: »O mein Bruder, schau, jenes Mädchen ist frei von der Schuld, die ihr zur Last gelegt wird, denn ich bin es, der dieses Unglück über sie gebracht hat.« Hierauf erzählte er ihm die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende und sagte zu ihm: »Mein Bruder, nimm diesen Beutel, in dem sich tausend Dinare befinden, und gieb mir das Mädchen, damit ich mit ihr in mein Land heimkehren kann; diese Goldstücke sind dir nützlicher, als daß du hier ihren Kerkermeister spielst; laß dir Gottes Lohn für das gute Werk an uns nicht entgehen, und auch wir beide wollen für dein Glück und Wohlergehen beten.« Höchlichst über diese gelungene List sich verwundernd, nahm der Wächter den Beutel mit seinem Inhalt und überließ ihm das Mädchen unter der Bedingung, daß er sich mit ihr keine einzige Stunde mehr in der Stadt aufhielte. Der Goldschmied aber nahm sie sofort und gelangte mit ihr nach eiliger Reise in seine Stadt, in dieser Weise seinen Wunsch erreichend.
Betrachte daher, o König, die List und Verschlagenheit der Männer. Heute hindern dich wohl deine Wesire daran, mir mein Recht zu verschaffen, morgen jedoch werden ich und du vor einem gerechten Richter stehen, der mir mein Recht an dir verschaffen wird.«
Als der König ihre Worte vernahm, befahl er seinen Sohn hinzurichten; da aber trat der fünfte Wesir zu ihm ein, küßte die Erde vor ihm und sprach: »Großmächtiger König, verzieh und übereile nicht deines Sohnes Tod, denn Eile zieht oft Reue nach sich; so fürchte ich auch für dich, du möchtest es einst bereuen, wie jener Mann, welcher sein ganzes Leben lang nicht mehr lachte.« Da fragte ihn der König: »Wie war das, o Wesir?« Und der Wesir erzählte: