Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Fortsetzung der Geschichte Ghanems, des verstörten Sklaven der Liebe.

Hierauf stellten sie das Licht hin und gruben zwischen vier Gräbern eine Grube entsprechend der Größe der Kiste; Kāfûr grub und Sawâb schaffte die Erde in großen Körben fort, bis die Grube eine halbe Klafter tief war. Dann ließen sie die Kiste in die Grube hinunter, warfen wieder Erde darüber, verließen die Gräberstätte und verriegelten hinter sich das Thor.

Als sie nun den Augen Ghanems, des Sohnes des Ajjûb, entschwunden waren und den Ort für ihn geräumt hatten, und er sah, daß er allein war, beschäftigte sich sein Inneres lebhaft mit dem Inhalt der Kiste, indem er bei sich sprach: »Was mag nur in der Kiste sein?«

Nachdem er noch so lange gewartet hatte, bis die Morgenröte aufleuchtete, und sich ihr Lichtschein hell ausgebreitet hatte, stieg er von der Palme herunter und schaffte die Erde mit seiner Hand fort, bis er die Kiste aufgedeckt und bloßgelegt hatte. Dann nahm er einen Stein und schlug damit so lange auf das Schloß, bis es zerbrach.

Als er nun den Deckel aufhob und hineinschaute, erblickte er ein schlafendes Mädchen, welches man mit Bendsch betäubt hatte; ihre Brust hob und senkte sich, ihre Gestalt war schön und anmutig und ihr Körper mit reichem Goldschmuck behangen, unter dem sich eine Juwelenschnur um den Hals befand, deren Wert dem Reiche des Sultans gleichkam und nicht mit Geld zu bezahlen war.

Als Ghanem, der Sohn des Ajjûb, sie erblickte, erkannte er, daß sie einem Komplott zum Opfer gefallen war, und mühte sich, sobald er dessen gewiß geworden war, so lange an ihr ab, bis er sie aus der Kiste gezogen und auf ihren Rücken gelegt hatte. Bald, nachdem sie in dieser Lage den Windhauch eingeatmet hatte, und die Luft ihr durch Nase und Mund in die Lunge gedrungen war, nieste sie, würgte 167 und hustete, und nun flog aus ihrer Kehle ein so großer Klumpen Bendsch, daß ein Elefant von einer Nacht zur andern hätte schlafen müssen, wenn er nur daran gerochen hätte.

Gleich darauf öffnete sie ihre Augen, ließ ihre Blicke umhergehen und rief mit wohlklingender Stimme:

»Wehe dir, Wind, der du dem Dürstenden keine Labung reichst,
Und den Erfrischten nicht kosend umstreichst!

Wo ist Sahr el-Bustân?«

Als ihr niemand Antwort gab, wendete sie sich zur andern Seite um und rief: »Sabîhe! Schedscheret ed-Durr! Nûr el-Hudā! Nedschmet es-Subh, bist du wach? Nushe! Hulwe! Sarîfe!Sie ruft ihre Sklavinnen. Die Namen lauten deutsch der Reihe nach: 1. Gartenblüte, 2. Schöne, 3. Perlenbaum, 4. Licht der rechten Leitung (nämlich der wahren Religion), 5. Morgenstern, 6. Entzücken, 7. Süße, 8. Feine, Elegante. Redet doch.« Aber keiner gab Antwort.

Nun ließ sie ihre Augen rings umherschweifen und rief: »Wehe mir, ich liege zwischen Gräbern! O du, der du weißt, was in der Brust verborgen ruht, und am Tage der Auferstehung und Erweckung Vergeltung übst, wer hat mich aus den Vorhängen und Haremsgemächern entführt und hier zwischen vier Gräbern niedergelegt?«

Während sie so zu sich kam, hatte Ghanem die ganze Zeit vor ihr gestanden. Jetzt aber redete er sie an: »Meine Herrin, hier sind keine Gemächer, Schlösser und Gräber, hier steht allein dein Sklave Ghanem, der Sohn des Ajjûb, welchen der König, der alles Verborgene weiß, hierhergeführt hat, daß er dich aus diesen Kümmernissen errettete und deine höchsten Wünsche erfüllen dürfte.« Darauf verstummte er.

Als sie nun die volle Wahrheit ihrer Lage begriffen hatte, rief sie: »Ich bezeuge, daß es keinen Gott giebt außer Gott, und bezeuge, daß Mohammed der Gesandte Gottes ist.« Indem sie dann ihre Hände auf die Brust legte, wendete sie sich zu Ghanem und sagte zu ihm mit süßer Stimme: 168 »O junger, gesegneter Mann, wer hat mich hierher gebracht? Ich habe mich jetzt wieder völlig erholt.«

Ghanem antwortete: »Meine Herrin, drei Eunuchen haben diese Kiste hierhergebracht;« darauf erzählte er ihr alles, was sich zugetragen hatte, wie ihn der Abend überrascht hatte, und er so die Ursache ihrer Errettung geworden war, und wie sie ohne ihn hätte ersticken müssen. Dann fragte er sie nach ihrer Geschichte, sie antwortete jedoch: »O junger Mann, gelobt sei Gott, der mich einem Manne gleich dir in den Weg geführt hat! Nun aber mach' dich auf, leg' mich in die Kiste, geh' hinaus auf den Weg und miete den ersten besten Esel- oder Maultiertreiber, daß er die Kiste aufladet und sie in dein Haus bringt. Bin ich erst in deinem Hause, so ist alles gut und ich erzähle dir meine Geschichte und teile dir meine Erlebnisse mit; auch soll es dir von meiner Seite zum besten gereichen.«

Erfreut trat Ghanem auf die Steppe hinaus; inzwischen aber war es lichter Tag geworden, die Sonne war mit ihrem Glanze aufgegangen und die Leute kamen von der Stadt und zogen hinein, so daß er bald einen Mann mit einem Maultier gemietet hatte und mit ihm auf die Gräberstätte zurückkehrte.

Nachdem er das Mädchen, für welches sein Herz bereits in Liebe erglühte, wieder in die Kiste gelegt hatte, lud er die Kiste auf und zog mit ihr fröhlich ab, da sie einen Wert von zehntausend Dinaren hatte und Schmucksachen und Gewänder trug, die ein großes Vermögen gekostet hatten.

Vierzigste Nacht.

Er hatte es kaum erwarten können, daß er zu Hause ankam, und öffnete, endlich angelangt, sofort die Kiste, worauf das Mädchen herausstieg und sich in seiner Wohnnug umsah. Als sie nun die hübsche Wohnung mit den bunten Teppichen, den heitern Farben und der ganzen schönen Einrichtung erblickte und die Zeugballen, die Lasten und 169 dergleichen Dinge sah, merkte sie, daß er ein großer Kaufmann und reicher Herr war; wie sie dann ihr Gesicht entschleierte, ihn anblickte und fand, daß er außerdem auch ein hübscher junger Mann war, gewann sie ihn lieb und sagte zu ihm: »Bring' uns etwas zum Essen.« Ghanem erwiderte: »Auf meinen Kopf und mein Auge,« und ging sogleich auf den Markt, wo er ein gebratenes Lamm, einen Teller voll Süßigkeiten, getrocknete Früchte, Kerzen, Wein und Wohlgerüche kaufte und dann mit all den Sachen wieder heimkehrte.

Als das Mädchen ihn erblickte, lachte sie, küßte, umarmte und liebkoste ihn, und seine Liebe wuchs so stark, daß sie sein ganzes Herz in Besitz nahm. Hierauf aßen und tranken beide, bis es Nacht wurde; beide aber waren von gegenseitiger Liebe erfaßt, da sie in gleichem Alter standen und beide gleich schön waren.

Als es nun Nacht geworden war, erhob sich Ghanem, der Sohn des Ajjûb, der verstörte Sklave der Liebe, und zündete die Kerzen und Lampen an, bis der ganze Raum hell erstrahlte. Dann holte er das Trinkgeschirr, machte den Tisch zurecht und setzte sich mit ihr zum Trinken nieder. Er schenkte ein und reichte ihr zu trinken, und sie schenkte ein und reichte ihm zu trinken, und sie spielten und lachten miteinander und trugen Verse vor, und ihre Fröhlichkeit und Liebe wurde immer größer – Preis Ihm, der die Herzen zusammenführt!

In dieser Weise brachten sie die Nacht hin, bis der Morgen nahe war und der Schlaf sie überwältigte. Nachdem dann jeder von ihnen an seinem Platze bis zum Morgen geruht hatte, erhob sich Ghanem, der Sohn des Aijûb, ging auf den Markt und kaufte dort ihre Bedürfnisse an Gemüse, Fleisch, Wein und dergleichen ein. Nachdem er damit wieder nach Hause gekommen war, setzten sich beide zum Essen nieder, und aßen, bis sie genug hatten. Hierauf holte er den Wein, und sie tranken und scherzten 170 miteinander bis ihre Wangen sich gerötet hatten und ihre Augen schwarz geworden waren.

Da nun aber die Seele Ghanems, des Sohnes des Ajjûb, das Mädchen zu küssen und bei ihr zu ruhen verlangte, sagte er zu ihr: »Meine Herrin, gewähre mir doch einen Kuß auf deinen Mund, daß er das Feuer meines Herzeus kühlt.« Sie entgegnete jedoch: »Ghanem, gedulde dich, bis ich trunken bin und nichts mehr von mir weiß; dann nimm dir heimlich einen Kuß, ohne daß ich es merke.« Darauf stand sie auf, legte einen Teil ihrer Kleider ab, und setzte sich, nur mit einem zarten Hemd und einem Kopftuch bekleidet, wieder hin, so daß Ghanems Sehnsucht nur noch stärker wurde und er bat: »Meine Herrin, willst du mir nicht schenken, um was ich dich gebeten habe?« Sie antwortete jedoch: »Bei Gott, du darfst es nicht, weil auf dem Gürtel meiner Hosen ein hartes Wort geschrieben steht.«

Da zerbrach das Herz Ghanems, des Sohnes des Ajjûb, und seine Sehnsucht wuchs bei der Versagung seines Wunsches. Je mehr sie ihn abwehrte, desto stärker loderte das Feuer in seinem Herzen auf, bis er ganz im Meere der Liebesglut versunken war. Als dann die Nacht mit ihrer Finsternis kam und über das Mädchen den Saum des Schlafes niederfallen ließ, zündete Ghanem die Lampen und die Kerzen an, daß der Raum noch schöner aussah. Darauf nahm er ihre Füße, die ihm weich wie frische Butter vorkamen, küßte sie und bat, indem er dieselben mit seinem Gesicht streichelte: »Ach, meine Herrin, erbarme dich doch eines in deiner Liebe Gefangenen und eines von deinen Augen Getöteten! Ohne dich wäre ja mein Herz gesund.« Darauf begann er zu weinen.

Nun antwortete sie ihm: »Bei Gott, mein Herr und mein Augenlicht, bei Gott, ich liebe dich und verlasse mich auf dich, doch darfst du dich mir nicht nähern; ich will dir nunmehr meine Geschichte erzählen, daß du meine 171 Entschuldigung annimmst.« Darauf warf sie sich an seine Brust, umschlang seinen Hals und küßte und liebkoste ihn, bis sie müde wurden und aufs Lager sanken.

Endlich nach einem Monat, als Ghanem vor Liebesqual fast verging, sagte sie: »Vernimm nunmehr meine Geschichte und erkenne meine Würde; ich thue dir nun mein Geheimnis kund, und du wirst meine Härte verzeihen.« Hierauf ergriff sie ihren Hosengürtel und sprach: »Lies, mein Herr, was auf diesem Ende steht.«

Wie nun Ghanem das Ende des Gürtels in die Hand nahm und es betrachtete, las er dort die goldgestickten Worte: »Ich bin dein und du bist mein, o SohnSohn im Sinne von Nachkömmling. des Oheims des Propheten.« Als er die Schrift gelesen hatte, ließ er die Hand niedersinken und bat: »Enthülle mir deine Geschichte.«

Sie antwortete: »Gut. Wisse, ich bin die Geliebte des Fürsten der Gläubigen, heiße Kût el-KulûbSpeise der Herzen. und wurde im Palast vom Fürsten der Gläubigen erzogen; als ich herangewachsen war und er meine Eigenschaften und die ganze Schönheit und Anmut, die mir mein Herr verliehen hatte, sah, gewann er mich sehr lieb und gab mir ein eigenes Gemach zur Wohnung und zehn Sklavinnen zur Bedienung; außerdem schenkte er mir noch diesen Goldschmuck, den du an mir siehst. Nicht lange darauf verreiste der Chalife eines Tages nach einer andern Provinz, und nun suchte die Herrin Subeide eine meiner Sklavinnen auf und sagte zu ihr: »Wenn deine Herrin Kût el-Kulûb schläft, so stecke dieses Stück Bendsch in ihre Nase oder wirf es in ihren Trank; ich werde dir dafür so viel Geld geben, daß du zufrieden sein wirst.«

Die Sklavin antwortete ihr: »Recht gern,« und nahm das Stück Bendsch, indem sie sich nicht nur über das Geld 172 freute, sondern auch, weil sie ursprünglich ihre Sklavin gewesen war. Dann kam sie zu mir und steckte mir das Stück Bendsch in den Hals, so daß ich zu Boden sank, wobei mein Kopf neben meine Füße zu liegen kam, und ich mich in eine ganz andere Welt versetzt fühlte. Nachdem so ihr Plan geglückt war, legte sie mich in die Kiste, holte insgeheim die Sklaven und bestach sie und die Thürhüter; darauf schafften mich die Sklaven in jener Nacht, in welcher du auf der Palme saßest, hinaus, und es geschah dann, was du weißt; du rettetest mich, brachtest mich in dieses Haus und erwiesest mir im höchsten Maße Gutes. Das ist meine Geschichte; was aber mit dem Chalifen während dieser Zeit vorgegangen ist, weiß ich nicht. So erkenne nun meine Würde und erzähle meine Geschichte nicht weiter.«

Als Ghanem, der Sohn des Ajjûb, die Erzählung Kût el-Kulûbs vernommen hatte, rückte er aus heiliger Scheu vor dem Chalifen abseits und setzte sich allein an eine Seite des Zimmers, indem er sich schalt und über sein Los nachdachte, über seine aussichtslose Liebe, seinen heißen Liebesschmerz und Gram und das ungestillte Verlangen Thränen vergoß, und dabei die Zeit und ihre Feindseligkeit beklagte. Doch Preis Ihm, der allein das Herz der Edeln durch die Liebe versehrt, und das Herz der Gemeinen nicht mit der Last eines Körnchens Liebe beschwert!

Dann sprach er die Verse:

»Des Liebenden Herz verzehrt sich nach der Geliebten,
Und sein Verstand ist von ihrer wunderbaren Schönheit geraubt.
Da einer mich fragte: Wie ist die Liebe? gab ich zur Antwort:
Die Liebe ist süß und doch voll Qualen und Pein.«

Nun begab sich Kût el-Kulûb zu ihm, preßte ihn an die Brust, küßte ihn und offenbarte ihm, von Liebe zu ihm überwältigt, ihr Herz und ihre ganze Liebe zu ihm. Mit ihren Armen umschlang sie seinen Nacken und küßte ihn, er aber wehrte ihr aus Scheu vor dem Chalifen. Dann plauderten sie wieder miteinander, versunken in dem Meere 173 gegenseitiger Liebe, bis der Tag anbrach und Ghanem aufstand und sich ankleidete.

Wie gewöhnlich ging er wieder auf den Markt und kaufte ihre Bedürfnisse ein; als er jedoch wieder nach Hause kam, fand er Kût el-Kulûb in Thränen. Bei seinem Anblick hörte sie auf zu weinen, lächelte wieder und sagte: »Geliebter meines Herzens, du hast mich verwaist gemacht; bei Gott, diese Stunde, die du fortbliebst, ist mir wie ein Jahr vorgekommen. Ich kann mich von dir nicht mehr trennen, und nun, da ich dir gezeigt habe, wie es in meiner heißen Liebe um mich steht, komm' jetzt, laß das Geschehene geschehen sein, und nimm mich ganz hin.«

Ghanem erwiderte jedoch: »Ich nehme meine Zuflucht zu Gott! Das kann nimmermehr geschehen; wie kann sich der Hund auf den Platz des Löwen setzen! Was meinem Herrn gehört, ist mir verboten zu berühren.« Darauf riß er sich von ihr los und setzte sich abseits, während ihre Liebe infolge seiner Zurückhaltung nur noch heftiger wurde. Sie setzte sich deshalb wieder an seine Seite, und nun tranken sie und scherzten sie zusammen, bis sie trunken wurden, und sie sich ihm durch den Gesang dieser Verse ganz hingeben wollte:

»Bald ist das Herz der Gefesselten völlig zerbröckelt,
Ach! diese Härte, wie lange, wie lange noch dauert sie?
O du, der du mich meidest ohne meine Schuld,
Schau, wie die Gazellen sich stets zu einander wenden.
Abneigung und weite Trennung und zärtliche Liebe,
Wie wäre ein Herz imstande, dies alles zu tragen!«

Darauf weinte Ghanem, der Sohn des Ajjûb, und das Mädchen wurde durch sein Weinen ebenfalls zu Thränen gerührt.

Nachdem sie bis zur Nacht miteinander getrunken hatten, erhob sich Ghanem und machte zwei Lager zurecht, jedes Lager an einem besondern Ort. Kût el-Kulûb fragte ihn deshalb: »Für wen soll das andere Lager sein?« Ghanem 174 antwortete ihr: »Dieses hier ist für mich und das andere für dich; von heute an werden wir nur noch in dieser Weise schlafen. Alles, was dem Herrn gehört, ist dem Sklaven verwehrt.«

Darauf sagte sie: »Ach, mein Herr, laß dieses doch; alles, was auch geschehen mag, kommt durch das Schicksal und Verhängnis.« Er aber weigerte sich, so daß das Feuer in ihrem Herzen aufflammte, und ihr Verlangen nach ihm wuchs. Infolgedessen hob sie von neuem an: »Bei Gott, wir wollen zusammen schlafen.« Er erklärte jedoch: »Gott behüte uns davor!« und trug über sie den Sieg davon.

Drei lange Monate lebten sie in dieser Weise, während welcher Zeit fortwährend ihre Liebe und ihr Verlangen wuchs und ihr Weh und ihre Glut stärker wurde; so oft sie aber sich ihm nähern wollte, wehrte er ihr, indem er sprach: »Alles, was dem Herrn gehört, ist dem Sklaven verwehrt.«

Soviel, was Ghanem, den Sohn des Ajjûb, den verstörten Sklaven der Liebe, anlangt. Was aber Subeide anbetrifft, so war sie, nachdem sie in der Abwesenheit des Chalifen mit Kût el-Kulûb in dieser Weise verfahren war, bestürzt geworden und hatte bei sich gesprochen: »Was werde ich nur dem Chalifen sagen wenn er wieder heimkommt und nach ihr fragt? Was soll ich ihm antworten?« In ihrer Ratlosigkeit ließ sie dann eine alte Frau, welche bei ihr im Schlosse lebte, rufen, teilte derselben ihr Geheimnis mit und fragte sie: »Was soll ich thun, nun Kût el-Kulûb dahin ist?«

Als die Alte die ganze Sachlage begriffen hatte, antwortete sie ihr: »Wisse, meine Herrin, die Heimkehr des Chalifen steht nahe bevor; schicke daher zu einem Schreiner und heiße ihn aus Holz eine Figur machen. Laß für dieselbe dann ein Grab graben und rings um dieselbe Kerzen und Lampen anzünden und befiehl allen Leuten im Schloß sich schwarz zu kleiden. Wenn dann deine Sklavinnen und 175 die Eunuchen erfahren haben, daß der Chalife von seiner Reise zurückgekehrt ist, so gieb ihnen Befehl, in den Vorhallen öffentlich zu trauern. Kommt nun der Chalife und fragt, was vorgefallen ist, so werden sie sagen: »Kût el-Kulûb ist gestorben – Gott entschädige dich um so reichlicher für ihren Verlust! Weil unsere Herrin sie so lieb und wert hielt, hat sie sie in ihrem Schlosse begraben.« Wenn er dies hört, wird er weinen, über sie trauern und dann die Koranleser bestellen, daß sie die Nacht über an ihrem Grabe den Koran verlesen. Spricht er aber bei sich: »Meine Base Subeide hat sicherlich in ihrer Eifersucht Kût el-Kulûb beseitigt,« oder wird der Liebesgram in ihm so stark, daß er Befehl erteilt, sie aus dem Grabe hervorzuholen, so fürchte dich davor nicht, selbst wenn das Grab wieder aufgedeckt und jene hölzerne menschliche Figur hervorgeholt werden sollte. Haben sie sie nämlich in ihren kostbaren Leichentüchern herausgeholt und verlangt der Chalife, daß die Tücher abgewickelt werden, damit er sie noch einmal sieht, so wehre ihm, und die andere WeltNämlich die Furcht vor der andern Welt. wird ihr übriges thun. Sprich nur: »Der Anblick ihrer Blöße ist ein Frevel,« er wird dann sicherlich überzeugt sein, daß sie gestorben ist; er wird sie an ihren Platz zurücklegen lassen, wird dir außerdem noch für dein gutes Werk dankbar sein, und du entkommst, so Gott will, aus diesem Schlund.«

Als die Herrin Subeide ihren Vorschlag vernommen hatte und sah, daß es das Richtige war, legte sie ihr ein Ehrenkleid an, schenkte ihr eine beträchtliche Geldsumme und beauftragte sie, es ganz so, wie sie gesagt hatte, auszuführen.

Die Alte machte sich sogleich ans Werk und bestellte bei einem Schreiner eine hölzerne menschliche Figur; sobald dieselbe fertiggestellt war, brachte sie sie ihrer Herrin Subeide, 176 wickelte sie in die Leichentücher ein, zündete Kerzen und Lampen an und breitete rings um die Gruft Teppiche aus. Dann kleidete sie sich in SchwarzSchwarz war die bevorzugte Farbe der Abbasiden; in den großen Parteikämpfen um das Chalifat führten die Abbasiden schwarze Banner. Infolgedessen mochte Schwarz auch eine Zeitlang ihre Trauerfarbe gewesen sein. und befahl ihren Sklavinnen sich ebenfalls schwarz zu kleiden, und so verbreitete sich die Kunde im Schloß, daß Kût el-Kulûb gestorben sei.

Als nun nach einiger Zeit der Chalife von seiner Reise wieder heimkehrte und, nur an Kût el-Kulûb denkend, zum Schloß hinaufstieg, zitterte er, als er die Pagen, Eunuchen und Sklavinnen alle schwarz gekleidet sah, und sank in Ohnmacht bei der Nachricht von Kût el-Kulûbs Tode.

Als er sich wieder erholt hatte, fragte er nach ihrem Grabe, und die Herrin Subeide antwortete ihm: »Wisse, o Fürst der Gläubigen, weil ich sie so lieb und wert hielt, habe ich sie bei mir im Schloß bestattet.«

Nun begab sich der Chalife sofort in seiner Reisekleidung ins Schloß, um Kût el-Kulûb zu besuchen; als er daselbst bei ihrer Gruft die Teppiche ausgebreitet fand und die brennenden Kerzen und Lampen erblickte, dankte er ihr für ihr gutes Werk, doch verblüffte ihn die Sache so, daß er nicht wußte, ob er ihr Glauben schenken oder Zweifel hegen sollte. Endlich, als er immer unruhiger wurde, befahl er das Grab zu öffnen und sie herauszuholen. Wie er aber das Leichentuch sah, stand er, so gern er es hätte abnehmen lassen, um sie zu sehen, aus Scheu vor Gott, dem Erhabenen, von seinem Vorhaben ab, und die Alte sagte: »Legt sie wieder an ihren Platz.«

Hierauf ließ der Chalife unverzüglich die Theologen und Vorleser kommen und saß, während dieselben den Koran verlasen, weinend an ihrem Grabe, bis er ohnmächtig wurde. 177

Einundvierzigste Nacht.

Einen Monat lang hatte der Chalife bereits in dieser Weise an ihrem Grab zugebracht, als es sich fügte, daß er sich, nachdem er die Emire und Wesire aus seiner Gegenwart nach Hause entlassen hatte, in den Harem begab und sich zur Ruhe niederlegte, wobei eine Sklavin ihm zu Häupten und eine andere zu Füßen saß. Nachdem er einige Zeit geschlafen hatte, erwachte er wieder und öffnete die Augen. Da hörte er, wie die Sklavin, die ihm zu Häupten saß, zu der Sklavin zu seinen Füßen sagte: »Wehe dir, Cheisurân!«Rohr, Bambus. Darauf fragte sie die andere: »Weshalb denn, Kadîb?«Gerte, Reis. Die erste antwortete: »Siehe, unser Herr weiß nicht, was geschehen ist; er sitzt die Nacht über an einem Grabe, in welchem sich nichts als eine hölzerne Figur, ein Schreinerwerk, befindet.« »Was aber,« fragte die andere, »ist denn mit Kût el-Kulûb geschehen?« Darauf entgegnete die erste: »Wisse, die Herrin Subeide gab einer Sklavin ein Stück Bendsch, um Kût el-Kulûb damit zu betäuben. Als der Bendsch dann seine Wirkung ausgeübt hatte, legte sie Kût el-Kulûb in eine Kiste und gab sie Sawâb und Kāfûr, daß sie sie auf die Gräberstätte hinausschafften.«

Da rief Cheisurân: »Wehe dir Kadîb, ist die Herrin Kût el-Kulûb also nicht tot?« »Gott behüte ihre Jugend vor dem Tode!« sagte Kadîb, »ich hörte überdies von meiner Herrin Subeide, daß Kût el-Kulûb sich bei einem jungen Manne, einem Kaufmanne, Namens Ghanem von Damaskus, aufhält, und daß dies mit dem heutigen Tage gerade vier Monate her ist. Unser Herr hier aber durchwacht die Nächte an einem Grabe, in welchem kein Toter ruht.«

So unterhielten sich die beiden Sklavinnen über diese Geschichte während der Chalife ihr ganzes Gespräch anhörte. 178

Als sie mit ihrer Unterhaltung fertig waren und der Chalife von der Sache Kenntnis genommen und gehört hatte, daß das Grab ein falsches Grab war, und daß Kût el-Kulûb seit vier Monaten bei Ghanem, dem Sohne des Ajjûb, lebte, ergrimmte er. Sofort stand er auf und befahl den Emiren seines Reiches vor ihm zu erscheinen.

Als demzufolge nun auch der Wesir Dschaafar, der Barmekide, erschien und die Erde vor dem Chalifen küßte, befahl er ihm erzürnt: »Dschaafar, nimm einen Trupp mit dir, erkundige dich nach dem Hause Ghanems, des Sohnes des Ajjûb, stürze dich sofort auf dasselbe und bring' mir mein Mädchen Kût el-Kulûb. Ihn selber muß ich foltern.«

Dschaafar antwortete: »Ich höre und gehorche,« und machte sich sofort mit seinem Gefolge und in Begleitung des Wâlīs auf den Weg, bis er bei Ghanems Haus anlangte.

Ghanem aber war gerade zu jener Zeit mit einem Topf voll Fleisch heimgekehrt und stand im Begriff mit Kût el-Kulûb sein Mahl einzunehmen, als die letztere um sich blickte und erkannte, daß das Unglück ihr Haus umgeben hatte, indem der Wesir, der Wâlī, die Polizeimannschaften und Mamluken mit gezückten Schwertern ihr Haus umstellt hatten, so wie die Pupille vom Schwarzen umgeben wird. Sie erkannte, daß ihr Herr, der Chalife, Kunde von ihr erhalten hatte, und daß ihr sicherer Untergang bevorstand. Die Farbe wechselnd und all ihre Schönheit verlierend, blickte sie Ghanem an und sagte zu ihm: »Geliebter, rette dich!« Ghanem versetzte: »Wie soll ich das anstellen und wohin soll ich gehen, wenn all mein Geld und Gut in diesem Hause ist?« Kût el-Kulûb erwiderte jedoch: »Säume nicht, daß du nicht nur dein Leben verlierst, sondern auch noch dein Gut dazu.« Da klagte er: »Ach meine Geliebte und Licht meiner Augen, wie kann ich denn hinauskommen, wo sie bereits das Haus umzingelt haben?« 179

Sie antwortete jedoch: »Fürchte dich nicht.« Dann riß sie ihm die Kleider herunter, zog ihm abgetragene Lumpen an und stellte ihm den Topf, in welchem das Fleisch gewesen war, auf den Kopf, nachdem sie in denselben ein Stück Brot und eine Schüssel mit Fleisch gepackt hatte. Hierauf sagte sie zu ihm: »Geh in dieser Verkleidung hinaus und sei nicht um meinetwillen besorgt, ich weiß, was ich mit dem Chalifen zu thun habe.«

Als Ghanem diese Worte und diesen Rat von Kût el-Kulûb vernommen hatte, ging er mit dem Topf auf dem Kopfe hinaus und mitten zwischen ihnen hindurch; und der Schützer schützte ihn, so daß er zum Lohne für seine Tugend den Fallen und Mißgeschicken glücklich entkam.

Als nun der Wesir Dschaafar bei dem Hause angelangt war, stieg er von seinem Roß ab und ging hinein. Kût el-Kulûb aber hatte sich unterdessen geschmückt und geputzt und eine Kiste mit Gold, Schmucksachen, Juwelen und Kleinodien von solchen Wertsachen, die leicht zu tragen waren und dabei hohen Wert hatten, gefüllt; nun erhob sie sich, als Dschaafar eintrat und sie ansah, küßte die Erde vor ihm und sagte: »Mein Herr, die Feder hat geschrieben, was Gott beschlossen hat.«

Dschaafar entgegnete ihr jedoch: »Bei Gott, meine Herrin, der Chalife hat mir nur den Befehl erteilt, an Ghanem, den Sohn des Ajjûb, Hand zu legen.«

Kût el-Kulûb sagte nun: »Wisse, er hat Waren gepackt und ist damit nach Damaskus gezogen; etwas näheres weiß ich nicht. Ich wünschte jedoch, daß du mir diese Kiste hütest und sie nach dem Palast des Fürsten der Gläubigen schaffen lassest.«

Dschaafar antwortete: »Ich höre und gehorche;« darauf nahm er die Kiste und befahl sie aufzuladen. Nachdem sie dann das Haus Ghanems geplündert hatten, zogen sie mit Kût el-Kulûb, die sie jedoch mit aller Ehre und Hochachtung behandelten, zum Chalifenschloß. 180

Als sie dort angelangt waren, und Dschaafar dem Chalifen über alles Bericht erstattet hatte, bestimmte der Chalife für Kût el-Kulûb ein dunkles Gemach zur Wohnung und gab ihr eine alte Frau zur Besorgung ihrer Bedürfnisse bei, da er glaubte, daß Ghanem sich mit ihr vergangen hätte. Dann schrieb er an den Emir Mohammed, den Sohn des Suleimân es-Seinī, den Vicekönig von Damaskus, ein Schreiben folgenden Inhalts: »Zur Stunde, da dieses Schreiben in deine Hand gelangt, lege Hand an Ghanem, den Sohn des Ajjûb, und sende ihn her zu mir.«

Als dieser das königliche Handschreiben erhielt, küßte er es und führte es an sein Haupt. Dann ließ er auf den Marktplätzen ausrufen: »Wer plündern will, der mache sich auf nach dem Hause Ghanems, des Sohnes des Ajjûb.«

Als sie nun zu dem Hause Ghanems kamen, fanden sie nur seine Mutter und seine Schwester dort, die sich ein Grabmal hatten errichten lassen und weinend bei ihm saßen, und nicht begriffen, weshalb das Haus geplündert wurde.

Von den Leuten gepackt und vor den Sultan geführt, gaben sie ihm auf die Frage nach Ghanem, dem Sohne des Ajjûb, zur Antwort, daß sie seit einem Jahre keine Nachricht mehr von ihm erhalten hätten, worauf er sie wieder nach ihrer Wohnung entließ.

Was nun aber Ghanem, den Sohn des Ajjûb, anlangt, den verstörten Sklaven der Liebe, so war dieser seiner Güter beraubt, niedergeschlagen und zum Herzbrechen weinend fortgezogen und in einem fort bis zum Abend gewandert. Vom Hunger geplagt und vom Marsche erschöpft, war er endlich in einen Flecken gekommen, wo er nun die Moschee aufsuchte und sich dort auf eine runde Matte setzte. Den Rücken an die Mauer der Moschee lehnend, sank er, überwältigt von Hunger und Mattigkeit, in Ohnmacht und lag daselbst in diesem Zustande, mit vor Hunger zitterndem Herzen, von Läusen überkrochen, mit stinkendem Atem und völlig verändertem Aussehen, bis zum andern Morgen da. 181 Als dann am andern Morgen die Leute des Fleckens in die Moschee kamen, um das Morgengebet zu verrichten, und ihn, vom Hunger geschwächt, aber doch noch die Spuren des Wohlstandes aufweisend, am Boden liegen sahen, und bei näherm Hinzutreten merkten, daß er fror und hungerte, legten sie ihm ein altes Gewand, dessen Ärmel bereits abgenutzt waren, an und fragten ihn: »Woher bist du, Fremdling, und woher kommt deine Schwäche?«

Als er nun seine Augen öffnete und sie erblickte, weinte er, ohne ihnen eine Antwort zu erteilen. Einer von den Leuten aber, der seinen großen Hunger merkte, lief fort und brachte eine Untertasse mit Honig und zwei Semmeln. Während er dann aß, saßen die Leute bis Sonnenaufgang bei ihm, worauf sie an ihre Geschäfte gingen.

In solcher Weise lebte Ghanem einen Monat bei ihnen, doch nahm seine Schwäche und Krankheit fortwährend zu. Die Leute waren aber gütig gegen ihn und pflogen miteinander Rat, was mit ihm zu thun sei, bis sie übereinkamen ihn nach dem Hospital in Bagdad zu schaffen.

Während sie noch miteinander beratschlagten, traten zwei Bettlerinnen ein und setzten sich neben Ghanem; dies waren seine Mutter und seine Schwester. Ohne daß er sie erkannte, gab er ihnen, wie er sie sah, das Brot, das er neben seinem Kopfe liegen hatte, und sie schliefen die Nacht über neben ihm.

Am nächsten Tage kamen die Dorfbewohner mit einem Kamel zu ihm und sagten zum Besitzer des Kamels: »Lade diesen Kranken aufs Kamel und leg' ihn, wenn du in Bagdad angelangt bist, dort vor der Thür des Hospitals nieder, vielleicht wird er wieder gesund, und du verdienst dir Gottes Lohn.«

Der Kameltreiber antwortete: »Ich höre und gehorche,« worauf die Leute Ghanem, den Sohn des Ajjûb, aus der Moschee holten und ihn mit der runden Matte, auf welcher er schlief, aufs Kamel luden. Unter den neugierigen 182 Zuschauern befanden sich auch seine Mutter und seine Schwester, ohne ihn zu erkennen. Als sie ihn jedoch genauer betrachteten, meinten sie: »Sieh, dieser Kranke da gleicht unserm Ghanem; ist er's oder ist er's nicht?«

Was aber Ghanem anlangt, so kam er erst, als er aufs Kamel geladen war, wieder zu sich und hob an zu weinen und wehklagen, und die Leute sahen auch seine Mutter und seine Schwester, ohne daß diese ihn erkannten, Thränen vergießen.

Beide zogen dann weiter bis sie nach Bagdad kamen; der Kameltreiber aber legte, als er ebenfalls dort angelangt war, Ghanem an der Thüre des Hospitals nieder, nahm sein Kamel und kehrte wieder um. Hier lag er nun bis der Morgen anbrach, und die Leute an ihm auf der Straße vorübergingen und ihn neugierig betrachteten, da er so dünn wie ein Zahnstocher geworden war. Als dann nach einiger Zeit auch der Bazarvorsteher vorüberkam, wies er die Leute von ihm fort und sagte: »Ich will mir an diesem Unglücklichen das Paradies verdienen, denn wenn sie ihn ins Hospital schaffen, so bringen sie ihn in einem Tage um.«

Darauf befahl er seinen Burschen ihn aufzuladen und in sein Haus zu schaffen. Als sie ihn dorthin getragen hatten, machte er ihm ein neues Lager mit einem neuen Kissen zurecht und sagte zu seiner Frau: »Bediene ihn gut.« Sie antwortete: »Auf meinen Kopf;« darauf schürzte sie sich die Kleider auf, wärmte ihm Wasser und wusch ihm die Hände, Füße und den ganzen Leib. Nachdem sie ihm dann eins der Kleider ihrer Sklavinnen angezogen hatte, reichte sie ihm einen Becher Wein zu trinken und besprengte ihn mit Rosenwasser, so daß er wieder zu sich kam. Nun aber gedachte er seiner geliebten Kût el-Kulûb, und sein Kummer wuchs.

.Zweiundvierzigste Nacht.

Was jedoch Kût el.Kulûb anlangt, so hatte dieselbe bereits, nachdem ihr der Chalife erzürnt ein dunkles Gemach 183 zur Wohnung angewiesen hatte, in dieser Lage achtzig Tage zugebracht. Da fügte es sich, daß der Cbalife eines Tages an diesem Gemache vorüberging und Kût el-Kulûb Verse vortragen hörte. Als sie dieselben beendet hatte, hörte er sie sprechen: »Ach, mein Geliebter, o Ghanem, wie gut bist du und wie keusch ist deine Seele! Du hast dem Gutes erwiesen, der dir Böses zugefügt hat, du hast die Ehre dessen behütet, der deine Ehre beschimpft hat, und hast die Frau dessen beschützt, der dich und deinen Harem zu Sklaven gemacht hat. Aber sicherlich wirst du und der Fürst der Gläubigen vor einem gerechten Richter stehen und dir dein Recht von ihm verschaffen an jenem Tage, an welchem Gott der Richter sein wird und seine Engel die Zeugen.«

Als der Chalife sie so sprechen hörte und den Inhalt ihrer Klage begriff, erkannte er, daß ihr Unrecht geschehen war. Er schickte deshalb, als er wieder seinen Palast betreten hatte, einen Eunuchen zu ihr, um sie holen zu lassen. Wie sie nun vor ihm stand, senkte sie weinend und bekümmerten Herzens das Haupt. Der Chalife aber sprach zu ihr: »Kût el-Kulûb, ich sehe, daß du mich der Grausamkeit beschuldigst; du wirfst mir Tyrannei vor und behauptest, daß ich dem, der mir Gutes erwiesen hat, Böses zugefügt habe. Wer ist jener, der meine Ehre behütet hat, während ich seine Ehre beschimpfte, und der meine Frau beschützt hat, während ich seinen Harem zu Sklavinnen machte?«

Kût el-Kulûb erwiderte: »Es ist Ghanem, der Sohn des Ajjûb, denn siehe, bei deiner Huld, o Fürst der Gläubigen, er ist mir nicht unkeusch genaht.«

Darauf erwiderte der Fürst der Gläubigen: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott! Kût el-Kulûb, erbitte dir von mir was du wünschest, und ich will es erfüllen.« Da sagte sie: »Ich erbitte mir von dir meinen Geliebten, Ghanem, den Sohn des Ajiûb.«

Als der Chalife ihre Bitte vernommen hatte, sagte er: »Ich will ihn dir, so Gott will, in hohen Ehren 184 herbeischaffen.« Kût el-Kulûb bat darauf: »O Fürst der Gläubigen, wenn du ihn herbeigeschafft hast, so schenke ihn mir.« Der Chalife erwiderte: »Wenn ich ihn herbeigeschafft habe, so schenke ich ihn dir, wie ein Edler schenkt, der seine Gabe nicht widerruft.« Da bat Kût el-Kulûb zum drittenmal: »O Fürst der Gläubigen, erlaube mir, daß ich überall nach ihm suche, vielleicht daß mich Gott wieder mit ihm vereint.« Der Chalife antwortete: »Thue nach deinem Belieben.«

Nun ging Kût el-Kulûb erfreut fort, holte sich tausend Dinare und begab sich damit zu den Scheichen, an die sie das Geld für Ghanems Sache als Almosen verteilte. Am nächsten Tage ging sie zu den Bazaren der Kaufleute und gab dem Bazaraufseher Geld mit dem Auftrage es als Almosen an die Fremdlinge zu verteilen. In der nächsten Woche suchte sie, nachdem sie wieder tausend Dinare mit sich genommen hatte, den Bazar der Goldschmiede und Juweliere auf und fragte nach dem Bazaraufseher. Als er vor ihr erschien, gab sie ihm die tausend Dinare und sagte zu ihm: »Verteile es als Almosen an die Fremdlinge.«

Da schaute sie der Aufseher an, welcher zugleich der Bazarvorsteher war, und sagte zu ihr: »Hättest du nicht Lust in mein Haus zu gehen und dir dort den jungen fremden Mann anzusehen und zu schauen wie fein und vollkommen er ist?« Dieses war aber Ghanem, der Sohn des Ajjûb, der verstörte Sklave der Liebe, ohne daß es der Aufseher wußte, der ihn für einen unglücklichen verschuldeten Mann hielt, dessen Gut eingezogen war, oder auch für einen Liebenden, der von seiner Geliebten getrennt war.

Als Kût el-Kulûb diese Worte von ihm vernahm, pochte ihr Herz und ihr Inneres ward zu ihm hingezogen; sie sagte deshalb zu ihm: »Schicke jemand mit mir, der mich zu deinem Hause führt.« Da gab er ihr einen kleinen Jungen mit, der sie nach dem Hause führte, in welchem der Fremde lag. Wie sie nun ihm dafür gedankt und das Haus betreten hatte, erhob sich auf ihren Gruß die Frau des 185 Aufsehers und küßte, da sie sie kannte, die Erde vor ihr. Kût el-Kulûb aber fragte sie: »Wo ist der Kranke, der sich bei euch befindet?« Da weinte die Frau des Aufsehers und sagte: »Hier ist er, meine Herrin, doch ist er aus guter Familie und zeigt noch die Spuren früheren Wohlstandes.«

Kût el-Kulûb wendete sich nun zu dem Lager, auf welchem er lag, und betrachtete ihn genau, als wenn es Ghanem selber gewesen wäre. Doch hatte er sich völlig verändert und war so dünn und mager wie ein Zahnstocher geworden, so daß sie im Zweifel war und nicht glauben konnte, daß er es war. Sie wurde jedoch von Mitleid zu ihm erfaßt und sagte weinend: »Ach, Fremdlinge sind unglücklich, auch wenn sie Emire in ihrem Lande gewesen sind.«

Nachdem sie dann Wein und Medizinen für ihn verordnet und eine Weile neben ihm gesessen hatte, bestieg sie wieder ihr Maultier, ritt in ihr Schloß zurück und besuchte dann wieder die Bazare, um Ghanem nachzuspüren.

Bald darauf kam der Aufseher mit seiner Mutter und seiner Schwester Fitne zu Kût el-Kulûb und sagte zu ihr: »O Herrin aller wohlthätigen Frauen, heute sind zwei Frauen, Mutter und Tochter, in unsere Stadt gekommen, vornehme Leute, die noch die Spuren von Wohlstand zeigen, obwohl sie härene Kleider anhaben und beide einen Brotbeutel auf dem Nacken tragen; ihr Auge weint und ihr Herz ist voll Trauer. Ich habe sie zu dir geführt, daß du ihnen Obdach gewährst und sie vor der Schande des Bettelns bewahrst, da es sich nicht für sie schickt die Geizhälse ansprechen zu müssen. So Gott will kommen wir um ihretwillen ins Paradies.«

Kût el-Kulûb antwortete: »Bei Gott, mein Herr, du hast mir schon Sehnsucht nach ihnen erweckt; wo sind sie?« Da befahl er ihnen hereinzutreten, und so traten denn Fitne und ihre Mutter bei Kût el-Kulûb ein. Als Kût el-Kulûb sie betrachtete und ihre Schönheit gewahrte, weinte sie über sie und sagte: »Bei Gott, es sind Kinder des Glücks, an denen noch die Spuren früheren Reichtums sichtbar sind.« Der 186 Aufseher aber sprach: »Meine Herrin, wir lieben die Armen und Elenden um der Vergeltung willen. Diesen hier ist vielleicht von den Unterdrückern Unrecht angethan, die sie ihres Reichtums beraubt und ihr Haus verwüstet haben.«

Bei diesen Worten fingen die Frauen an bitterlich zu weinen; an Ghanem denkend, den Sohn des Ajjûb, den verstörten Sklaven der Liebe, schluchzten sie immer lauter, so daß Kût el-Kulûb mit ihnen weinte, bis dann Ghanems Mutter sagte: »Wir bitten Gott, daß er uns mit dem vereint, den wir suchen, mit meinem Sohne Ghanem, den Sohn des Ajiûb.« Als Kût el-Kulûb dies hörte, erkannte sie, daß die Frau die Mutter ihres Geliebten, und die andere seine Schwester war, und weinte, bis sie in Ohnmacht sank. Als sie sich dann wieder erholt hatte, trat sie zu ihnen heran und sagte: »Seid getrost und grämt euch nicht mehr; der heutige Tag ist der erste eures Glückes und der letzte eurer Drangsal.«

Dreiundvierzigste Nacht.

Dann gab sie dem Aufseher Geld und befahl ihm beide in sein Haus zu nehmen und seine Frau zu veranlassen, sie ins Bad zu führen, ihnen schöne Kleider anzulegen und für sie in aufmerksamster Behandlung Sorge zu tragen.

Am andern Tage bestieg sie ihr Maultier und ritt zum Hause des Aufsehers. Bei ihrem Eintreten erhob sich die Frau des Aufsehers vor ihr, küßte ihr die Hände und bedankte sich bei ihr für ihre Güte. Als sie dann die Mutter Ghanems und seine Schwester erblickte, welche die Frau des Aufsehers inzwischen ins Bad gefübrt, und an Stelle der alten Kleider mit neuen versehen hatte, so daß die Spuren ihres früheren Wohlstandes deutlich sichtbar wurden, ließ sie sich nieder und plauderte mit ihnen eine Weile, worauf sie die Frau des Aufsehers nach ihrem Kranken fragte. Sie antwortete: »Sein Zustand ist unverändert.« Nun sagte Kût el-Kulûb: »Kommt, wir wollen nach ihm sehen und 187 ihn besuchen.« Da standen sie allesamt auf, gingen zu ihm und setzten sich an seine Seite.

Als jetzt jedoch Ghanem, der Sohn des Ajjûb, der verstörte Sklave der Liebe, dessen Leib und Gerippe völlig verzehrt war, den Namen Kût el-Kulûbs von den Frauen erwähnen hörte, kehrte ihm das Leben zurück; er hob seinen Kopf von dem Kissen und rief: »Kût el-Kulûb.« Da blickte sie ihn an und, ihn nun erkennend, rief sie laut: »Ja, mein Geliebter.« »Tritt näher zu mir heran,« sagte er. Darauf fragte ihn Kût el-Kulûb: »Bist du nicht Ghanem, der Sohn des Ajjûb, der verstörte Sklave der Liebe?« Er antwortete: »Ja, ich bin es.« Da fiel sie in Ohnmacht. Als seine Mutter und seine Schwester ihr Gespräch hörten, riefen sie laut: »Ach, die Freude!« und sanken gleichfalls in Ohnmacht.

Nachdem sie sich dann wieder erholt hatten, sagte Kût el-Kulûb: »Gelobt sei Gott, welcher uns und deine Mutter und deine Schwester wieder mit dir vereint hat.« Dann trat sie nahe heran und erzählte ihm, wie es ihr mit dem Chalifen ergangen war, und wie sie zu ihm gesprochen hatte: »O Fürst der Gläubigen, ich habe dir die Wahrheit kundgethan.« Er glaubte auch meinen Worten,« fuhr sie fort, »und ist zufrieden mit dir; er wünscht jetzt dich zu sehen und hat mich dir geschenkt.«

Während Ghanem hierüber aufs äußerste erfreut war, sagte Kût el-Kulûb zu den andern: »Bleibt so lange hier, bis ich wieder zu euch zurückkomme.« Dann stand sie sogleich auf, begab sich in ihr Schloß und holte sich aus der Kiste, die sie aus seiner Wohnung fortgeschafft hatte, Geld. Indem sie dasselbe dem Aufseher gab, sagte sie zu ihm: »Nimm dieses Geld und kaufe für jeden von ihnen vier vollständige Anzüge von den besten Stoffen, außerdem noch zwanzig Tücher und dergleichen notwendige Sachen.« Darauf begab sie sich mit ihnen und mit Ghanem ins Bad und befahl sie zu waschen. Als sie dann aus dem Bade 188 gekommen waren, machte sie ihnen Brühen, Chūlindschânwassereine aromatische Pflanze, alpinia galanga. und Apfelsaft zurecht und blieb bei ihnen drei Tage lang, während welcher sie ihnen Hühner und Brühen zu essen und Scherbett aus raffiniertem Zucker zu trinken gab.

Nachdem ihnen dann während dieser Zeit die Lebensgeister zurückgekehrt waren, führte sie sie noch einmal ins Bad und ließ sie ihre Kleider wechseln. Dann ließ sie sie im Hause des Aufsehers allein und begab sich zum Chalifen. Hier vorgelassen, küßte sie vor ihm die Erde und benachrichtigte ihn, daß sie nunmehr ihren Herrn Ghanem, den Sohn des Ajjûb, den verstörten Sklaven der Liebe, gefunden hätte und daß seine Mutter und seine Schwester ebenfalls da wären.

Als der Chalife Kût el-Kulûb angehört hatte, sagte er zu den Eunuchen: »Her mit Ghanem.« Infolgedessen machte sich Dschaafar zu ihm auf den Weg; Kût el-Kulûb kam ihm jedoch zuvor und sagte zu Ghanem: »Der Chalife schickt nach dir, daß du vor ihm erscheinst; laß deine Zunge daher beredt, dein Herz stark und deine Rede süß sein.« Dann kleidete sie ihn in ein kostbares Gewand, gab ihm eine große Geldsumme und sagte zu ihm: »Sei recht verschwenderisch bei deinem Eintritt gegen die Dienerschaft des Chalifen.«

Nun kam auch Dschaafar auf seinem Maultier zu ihnen geritten, und Ghanem erhob sich, ging ihm entgegen, wünschte ihm langes Leben und küßte die Erde vor ihm. Der Planet seines Glückes strahlte hell und das Gestirn seines Ruhmes war hoch aufgestiegen. So begab er sich denn mit Dschaafar zum Fürsten der Gläubigen und senkte, vor ihn geführt, angesichts der Wesire, Emire und Kämmerlinge, der Vicekönige, Großen des Reiches und Heeresobersten das Haupt zu Boden; dann aber blickte er den Chalifen an und trug, da er eine beredte Zunge und ein festes Herz hatte, und feine Redefiguren und hübsche Anspielungen machen konnte, 189 zu seiner Verherrlichung eine Reihe von Versen vor, so daß der Chalife über sein feines Wesen in Entzücken geriet und von der Beredsamkeit seiner Zunge und der Süßigkeit seiner Rede ganz eingenommen wurde.

Vierundvierzigste Nacht.

Er forderte ihn deshalb auf näher zu treten und befahl ihm, als er nahe an ihn herangetreten war, ihm seine Geschichte zu erzählen. Ghanem erzählte ihm alles der Wahrheit gemäß und teilte ihm, vor dem Chalifen sitzend, seine gesamten Erlebnisse von Anfang bis Ende mit.

Da nun der Chalife sah, daß er die Wahrheit gesprochen hatte, legte er ihm ein Ehrenkleid an, ließ ihn nahe bei sich sitzen und sagte zu ihm: »Vergieb mir meine Schuld.« Ghanem vergab ihm, indem er sprach: »O Fürst der Gläubigen, siehe, der Sklave und all sein Gut ist in der Hand seines Herrn.« Erfreut hierüber bestimmte ihm der Chalife ein eigenes Schloß und setzte ihm ein hohes Gehalt und großes Einkommen fest.

Ghanem führte nun seine Mutter und seine Schwester in sein Schloß, da aber der Chalife gehört hatte, daß seine Schwester Fitne durch ihre Schönheit eine wirkliche Verführung war, bewarb er sich bei ihm um sie, und Ghanem antwortete: »Siehe, sie ist deine Sklavin und ich bin dein Mamluk.« Da dankte ihm der Chalife, gab ihm hunderttausend DinareNämlich als Preis für die Braut. und ließ den Kadi und die Zeugen holen, damit sie den Ehekontrakt aufsetzten. An dem gleichen Tage besuchten der Chalife und Ghanem ihre Gemahlinnen, der Chalife Fitne und Ghanem Kût el-Kulûb. Am andern Morgen befahl dann der Chalife, daß GhanemsAnstatt Ghanem ist überall Ghânim zu lesen. ganze Geschichte von Anfang bis Ende datiert und in die Akten eingetragen würde, damit auch die Späteren sie läsen, sich über das Walten des Schicksals wunderten und ihre 190 Angelegenheiten dem Schöpfer der Nacht und des Tages anheimstellten.

Diese Geschichte ist jedoch nicht wunderbarer als die Geschichte des Königs Omar en-Noomân und seiner Söhne Scharrkân und Dau el-Makân nebst allen ihren wunderbaren und seltsamen Abenteuern.

Da sagte der König: »Erzähle.« Und Schehersad erzählte:

Geschichte des Königs Omar en-Noomân und seiner Söhne Scharrkân und Dau el-Makân

 


 

Ende des zweiten Bandes.

 


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