Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Geschichte des vierten Bruders des Barbiers.

»Was meinen vierten Bruder anlangt, o Fürst der Gläubigen, den Einäugigen, so war derselbe Metzger in Bagdad; er verkaufte Fleisch und zog Lämmer auf, und die Großen und Reichen suchten ihn auf, um von ihm Fleisch zu kaufen, so daß er viel Geld verdiente und Vieh und Häuser erwarb. Lange Zeit hatte er in dieser Weise gelebt, als eines Tages, während er im Laden saß, ein Scheich mit langem Barte an ihn herantrat, ihm Geld gab und zu ihm sagte: »Gieb mir Fleisch dafür.« Mein Bruder nahm das Geld, gab ihm das Fleisch, und der Scheich ging wieder fort. Als nun mein Bruder das Geld, das er vom Scheich erhalten hatte, genauer betrachtete sah er, daß es glänzend weiß war, und legte es deshalb für sich beiseite. Fünf Monate lang kam darauf der Scheich zu meinem Bruder, und mein Bruder legte alles Geld von ihm in einen besondern Kasten. Als er es dann herausnehmen wollte, um Hammel einzukaufen, und den Kasten öffnete, sah er, daß sein ganzer Inhalt aus 82 runden weißen Papierstückchen bestand. Wie er sich nun vors Gesicht schlug und schrie, und die Leute bei ihm zusammenliefen, erzählte er ihnen, was ihm zugestoßen war, und sie verwunderten sich darüber.

Darauf kehrte mein Bruder wieder wie sonst in seinen Laden zurück, schlachtete einen Widder und hängte ihn innen im Laden auf; doch schlug er ein Stück Fleisch davon ab und hängte es draußen auf, indem er bei sich dachte: »Vielleicht kommt der Scheich, daß ich ihn ergreifen kann.«

Nicht lange währte es, da kam auch der Scheich mit seinem Silbergeld wieder, und mein Bruder stand aus und schrie, ihn festhaltend: »Ihr Gläubigen, herbei und höret die Geschichte, die mir mit diesem Schurken passiert ist.« Als der Scheich ihn in dieser Weise schreien hörte, sagte er zu ihm: »Was ist dir lieber? Entweder läßt du ab von mir und suchst keine Schande über mich zu bringen, oder ich stelle deine Schande unter den Leuten bloß.« Mein Bruder fragte ihn nun: »Welche Schande wolltest du von mir aufdecken?« Der Scheich antwortete: »Du verkaufst Menschenfleisch für Hammelfleisch.« Mein Bruder entgegnete: »Du lügst, Verfluchter!« Der Scheich antwortete jedoch: »Verflucht ist nur der, bei welchem ein Mensch im Laden aufgehängt ist.«

»Wenn es sich wirklich so verhält, wie du sagst,« entgegnete mein Bruder, »so will ich dir mit Gut und Blut verfallen sein.«

Als sich nun eine große Menschenmenge infolge des Geschreis meines Bruders versammelt hatte, wendete sich der Scheich zu den Leuten und sagte: »Ihr Leute, dieser Metzger schlachtet Menschen und verkauft ihr Fleisch als Hammelfleisch; wollt ihr euch von der Wahrheit meiner Worte überzeugen, so kommt nur in seinen Laden.« Darauf drangen sie in den Laden meines Bruders ein und sahen an Stelle jenes Widders einen Menschen hängen. Sie ergriffen infolgedessen meinen Bruder und schrieen: »Du Ungläubiger, du Schurke!« Seine besten Freunde prügelten ihn, und der 83 Scheich versetzte ihm einen Schlag ins Auge, daß es auslief. Hierauf nahmen die Leute den geschlachteten Menschen, gingen zum Polizeiobersten, und der Scheich sagte zu ihm: »Emir, dieser Mann schlachtet Menschen und verkauft ihr Fleisch als Hammelfleisch. Wir haben ihn zu dir gebracht, daß du aufstehst und Gottes, des Mächtigen und Herrlichen, Recht an ihm vollziehst.« Darauf stieß er meinen Bruder von sich; der Polizeioberst hörte aber gar nicht erst auf meinen Bruder, sondern befahl ihm fünfhundert Streiche zu verabfolgen. Dann nahmen sie all sein Geld, verbannten ihn aus der Stadt und hätten ihn, wäre er nicht so reich gewesen, auch getötet. Niedergeschlagen und ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte, zog mein Bruder aus der Stadt hinaus und wanderte fürbaß, bis er zu einer großen Stadt kam, in welcher er sich als Schuhflicker niederzulassen beschloß. Nachdem er seinen Laden eröffnet hatte und für sein Brot schaffend dasaß, begab es sich, daß er eines Tages in Geschäften ausging und das Gewieher von Pferden hörte. Nach der Ursache hiervon fragend, erhielt er zur Auskunft, daß der König zur Jagd auszöge, und nun stellte er sich auf, um sich an dem Anblick des Reiterzugs zu erfreuen, wobei er sich seines schäbigen Aussehens schämte, dieweil er von dem Metzger- zum Schusterhandwerk übergegangen war. Es traf sich aber, daß des Königs Auge gerade auf das Auge meines Bruders fiel, und sogleich ließ er sein Haupt sinken und rief: »Ich nehme meine Zuflucht zu Gott vor dem Unheil dieses Tages.« Dann wendete er die Zügel seines Rosses um und kehrte mit seinem ganzen Trupp nach Hause zurück. Hierauf befahl der König seinen Pagen meinen Bruder festzunehmen und ihn durchzuprügeln, und sie gaben ihm so jämmerliche Hiebe, daß er halb tot war, ohne den Grund hiervon zu ahnen.

Als mein Bruder dann völlig vernichtet nach Hause ging und einem aus der Umgebung des Königs sein Mißgeschick erzählte, fiel dieser vor Lachen auf den Rücken und sagte zu 84 ihm: »Wisse, mein Bruder, der König kann keinen Einäugigen sehen; ist er aber gar auf dem linken Auge blind, so läßt er ihn hinrichten.«

Als mein Bruder dies vernahm, beschloß er aus jener Stadt zu flüchten; er zog fort und ließ sich in einer andern Stadt, in welcher es keinen König gab, nieder. Nachdem er dort lange Zeit verweilt hatte, ging er eines Tages, in Nachdenken über seine Lage versunken, aus, um sich zu zerstreuen, als er plötzlich wieder das Gewieher von Pferden hinter sich hörte. Mit dem Ruf: »Gottes Beschluß ist gekommen,« rannte er fort und suchte einen Versteck, doch sah er nichts, als eine aufgerichtete Thür. Wie er an dieselbe stieß, fiel sie um, und nun erblickte er hinter ihr einen langen Flurraum, in welchen er hineinlief. Ehe er sich's jedoch versah, hatten ihn auch schon zwei Männer gepackt und schrieen: »Gelobt sei Gott, welcher dich in unsere Hand gegeben hat. Du Feind Gottes, drei Nächte hast du uns schon Ruhe und Schlaf geraubt, daß wir nicht unser Lager aufsuchen konnten, vielmehr einen Vorgeschmack vom Tode erhielten.«

Mein Bruder fragte sie nun: »Ihr Leute, was fehlt euch?« Sie antworteten: »Du lauerst uns auf und willst über uns und den Herrn des Hauses Schande bringen. Hast du noch nicht genug daran, daß er durch dich und deine Genossen arm geworden ist? Jetzt aber heraus mit dem Messer, mit dem du uns jede Nacht bedrohst.« Als sie ihn darauf durchsuchten und das Messer, mit welchem er die Sandalen zuschnitt, in seinen Kleidern fanden, rief mein Bruder: »Ihr Leute, fürchtet Gott in meiner Sache und wisset, daß meine Geschichte wunderbar ist.« Da fragten sie ihn: »Wie ist deine Geschichte?« und er erzählte sie ihnen, in der Hoffnung von ihnen losgelassen zu werden. Sie hörten jedoch gar nicht auf seine Erzählung, sondern prügelten ihn und rissen ihm die Kleider vom Leibe. Als hierbei sein Leib bloß wurde, und sie die Narben von den Geißelhieben auf beiden Seiten gewahrten, riefen sie: »Verfluchter, diese Prügelnarben bezeugen 85 dein Verbrechen.« Dann führten sie meinen Bruder vor den Wâlī, während er bei sich sprach: »Nun werde ich für meine Sünden gestraft, und nur Gott der Erhabene kann mich erretten.« Wie er dann vor dem Wâlī stand, sagte dieser zu ihm: »Schurke, nur ein großes Verbrechen kann dir diese Geißelhiebe eingetragen haben,« und ließ meinem Bruder hundert Peitschenhiebe verabfolgen. Dann setzten sie ihn auf ein Kamel und riefen vor ihm aus: »Das ist die Strafe für den, welcher in die Häuser fremder Leute eindringt.« Ich hatte sein Unglück jedoch schon vernommen und war deshalb zu ihm gereist; die ganze Zeit über, während welcher sie ihn in der Stadt umherführten und solches über ihn ausriefen, begleitete ich ihn, bis sie ihn losließen. Dann zog ich mit ihm heimlich nach Bagdad und setzte ihm ein Bestimmtes für Speise und Trank fest.

 


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