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Wisse, o Fürst der Gläubigen, daß mein ältester Bruder, der Lahme, von Beruf ein Schneider in Bagdad war. Er hatte sich von einem reichen Manne einen Laden gemietet und nähte daselbst; der reiche Mann aber wohnte über dem Laden, und unten im Hause war eine Mühle.
Als nun mein Bruder eines Tages in seinem Laden saß und nähte, sah er, wie er seinen Kopf hob, in dem Fenster des Hauses eine Frau gleich dem aufgehenden Vollmond, welche die Leute beobachtete. Bei ihrem Anblick wurde das Herz meines Bruders von Liebe zu ihr ergriffen, so daß er sie den ganzen Tag über anblickte und seine Näharbeit bis zum Abend ruhen ließ.
Am andern Morgen öffnete er wieder seinen Laden und setzte sich zum Nähen hin, doch blickte er nach jedem Stich 70 zum Fenster hinauf, so daß er nichts schaffte, was auch nur einen Dirhem eingebracht hätte.
[Nach der Breslauer Ausgabe.Als er am dritten Tage wieder an seinem Platze saß, und die Frau merkte, daß er sie unablässig ansah, lachte sie ihm ins Gesicht; nun lachte er ihr auch ins Gesicht, worauf sie verschwand und ihm ihre Sklavin mit einem Tuch schickte, in welchem Stoff zu einem Kleide war. Die Sklavin bestellte ihm einen Gruß von ihrer Herrin und setzte hinzu: »Bei ihrem Leben beschwöre ich dich, schneide ihr von diesem Tuch ein Kleid zu und nähe es.« Mein Bruder antwortete: »Ich höre und gehorche;« darauf schnitt er ihr ein Kleid zu und nähte den ganzen Tag daran.
Am andern Morgen in der Frühe kam die Sklavin wieder zu ihm und sagte: »Meine Herrin läßt dich grüßen und bei dir anfragen, wie du die Nacht verbracht hast; sie hat gar keinen Schlaf um deinetwillen zu kosten bekommen, da ihr Herz fortwährend mit dir beschäftigt war. Nun läßt sie dir sagen, du möchtest ihr auch Hosen zuschneiden und nähen, daß sie sie zugleich mit dem Kleide anziehen kann.« Er antwortete: »Ich höre und gehorche;« darauf schnitt er sie zu und machte sich eifrig an seine Arbeit. Nach einer Weile spähte die Frau aus dem Fenster, begrüßte ihn und ließ ihn nicht eher fortgehen, als bis er die Hosen fertig hatte und ihr herüberschickte. Dann ging er niedergeschlagen in seine Wohnung, da er nichts hatte, um sich eine Mahlzeit zu beschaffen. Schließlich borgte er sich etwas von einem seiner Nachbarn und kaufte sich dafür zu essen.]
Am nächsten Morgen kam der Hausherr selber zu meinem Bruder mit Linnen und sagte zu ihm: »Schneide mir hiervon Hemden zu und nähe sie.« Mein Bruder antwortete: »Ich höre und gehorche,« machte sich sofort ans Werk und schnitt bis zum Abend zwanzig Hemden zu, ohne das geringste zu genießen. Als ihn dann der Hausherr fragte: 71 »Wieviel beträgt dein Lohn?« schwieg mein Bruder, und die junge Frau blinzte ihm zu, nichts anzunehmen, obwohl er nicht das geringste Geldstück mehr besaß. Drei Tage lang aß und trank er dann so gut wie nichts, um sich mit seiner Arbeit zu beeilen, bis er sie fertiggestellt hatte und ihnen die Hemden brachte.
Nun hatte aber die junge Frau ihrem Manne mitgeteilt, wie es um meinen Bruder stand, ohne daß mein Bruder darum wußte, und hatten sich beide verabredet, meinen Bruder umsonst für sich nähen zu lassen und ihn obendrein noch auszulachen. Als er daher mit ihren Aufträgen fertig war, spielten sie ihm einen Streich, indem sie ihn mit ihrer Sklavin verheirateten und zu ihm sagten, als er die Nacht bei ihr verbringen wollte: »Bleibe die Nacht über in der Mühle, morgen kommt das Gute.« In dem Glauben, daß sie etwas gutes mit ihm vorhätten, begab sich mein Bruder denn auch allein zur Nacht in die Mühle. Der Mann der jungen Frau ging aber zum Müller und bedeutete ihm, meinen Bruder die Nacht über mahlen zu lassen. Als daher die Mitternacht kam, ging der Müller in die Mühle und rief: »Der Ochs da ist faul, während so viel Weizen daliegt, und die Leute ihr Mehl haben wollen; ich will ihn in die Mühle spannen, daß er den Weizen mahlt.« Darauf spannte er ihn in die Mühle und mahlte mit ihm bis zur Morgenfrühe. Dann kam der Hausbesitzer, sah zu, wie mein Bruder in der Mühle eingespannt war, und der Müller ihn mit der Peitsche schlug, und ging wieder fort. Hernach kam die Sklavin an, mit welcher er kontraktlich verbunden war, band ihn los und sagte: »Ich und meine Herrin sind sehr betrübt über das, was dir widerfahren ist, und tragen deinen Kummer mit dir;« meinem Bruder aber versagte vor der Menge der Prügel die Zunge, um ihr Antwort zu geben. Als er dann in seine Wohnung gegangen war, kam plötzlich der Scheich an, der den Ehekontrakt geschrieben hatte, begrüßte ihn und sagte: »Gott schenke dir langes Leben! Gesegnet sei deine 72 Vermählung! Nun hast du die Nacht vom Abend bis zum Morgen in Freuden, Liebkosungen und Umarmungen zugebracht.«
Mein Bruder antwortete darauf: »Gott verdamme den Lügner! Du tausendfältiger Kuppler, bei Gott, ich habe an Stelle des Ochsen bis zum Morgen mahlen müssen.« Nun sagte der Scheich zu ihm: »Erzähle mir deine Geschichte.« Als mein Bruder ihm sein Mißgeschick mitgeteilt hatte, meinte der Scheich: »Dein Stern paßt eben nicht zu ihrem Sterne; wenn du es aber wünschest, so ändere ich das Horoskop deines Ehekontrakts, daß eure Sterne besser zu einander passen.« Mein Bruder antwortete darauf: »Sieh zu, ob du einen Ausweg findest.« Dann verließ er ihn und ging wieder in seinen Laden, ob jemand ihm eine Arbeit brächte, für deren Lohn er sich etwas zum Essen kaufen könnte. Plötzlich kam die Sklavin wieder an, die sich mit ihrer Herrin zu einem neuen Streich verabredet hatte, und sagte zu ihm: »Meine Herrin hat Sehnsucht nach dir und ist bereits aufs Dach gestiegen, um dein Gesicht aus dem Fenster zu sehen.« Kaum hatte mein Bruder dies vernommen, da schaute sie auch schon zum Fenster heraus, weinte und sagte: »Weshalb hast du unsern Verkehr abgebrochen?« Doch gab er ihr keine Antwort. Da schwur sie ihm, daß sein ganzes Mißgeschick in der Mühle nicht von ihr angestiftet wäre, und mein Bruder vergaß beim Anblick ihrer Schönheit und Anmut alles, was ihm widerfahren war, ließ ihre Entschuldigung gelten und freute sich sie wieder zu sehen. Darauf begrüßte sie ihn und plauderte mit ihm, während er dasaß und an seiner Näharbeit schaffte. Nach einiger Zeit kam die Sklavin wieder zu ihm und sagte: »Meine Herrin läßt dich grüßen und dir sagen, daß ihr Mann vorhat, die heutige Nacht bei einem seiner Freunde zuzubringen. Wenn er zu ihnen fortgegangen ist, so komm' zu uns und führe mit meiner Herrin bis zum Morgen das herrlichste Leben.«
Ihr Mann aber hatte zu ihr gesagt: »Wie sollen wir es anstellen, daß er zu dir kommt, und ich ihn dann ergreife 73 und zumWâlī schleppe?« Darauf hatte sie erwidert: »Laß mich nur machen, ich will ihm einen Streich spielen, wodurch er öffentlich beschämt und in dieser Stadt publik gemacht wird.« – Mein Bruder aber wußte nichts von dem Falsch der Weiber.
Als es nun Abend wurde, kam die Sklavin zu meinem Bruder und führte ihn zu ihrer Herrin, die ihn mit den Worten empfing: »Bei Gott, mein Herr, ich trage großes Verlangen nach dir.« Er antwortete: »Um Gott, zu allererst schnell einen Kuß!« Kaum aber hatte er die Worte beendet, da kam auch schon der Mann der jungen Frau aus dem Hause seines Nachbars, packte meinen Bruder und schrie ihn an: »Bei Gott, ich laß dich erst vor dem Polizeiobersten los.« Ohne auf die demütigen Bitten meines Bruders zu hören, schleppte er ihn zum Wâlī, der ihn auspeitschen und auf einem Kamel durch die Straßen von Bagdad führen ließ, wobei das Volk laut ankündete: »Das ist die Strafe für alle, die in anderer Leute Harem eindringen,« bis er schließlich vom Kamel fiel, sich das Bein brach und lahm wurde. Darauf verbannte ihn der Wâlī aus der Stadt, und er ging fort, ohne zu wissen wohin. So erzürnt ich war, ging ich ihm doch nach, bis ich ihn eingeholt hatte, nahm ihn mit mir und übernahm es, ihn mit Speise und Trank bis auf den heutigen Tag zu verpflegen.«
Der Chalife lachte über meine Erzählung und sagte: »Das hast du brav gemacht.« Ich aber sagte: »Ich nehme dieses Lob nicht eher an, als bis du dein Ohr mir auch für die Erzählung der Erlebnisse meiner andern Brüder geliehen hast, damit du nicht denkst, daß ich ein Mann vieler Worte bin.« Hierauf sagte der Chalife: »Erzähle mir die Erlebnisse aller deiner Brüder und schmücke meine Ohren mit diesen lustigen Sachen, doch wandle bei der Erzählung dieser Späßchen den Pfad der Zeltstricke.d. h. spanne den Faden deiner Erzählung lang aus.«
Darauf erzählte ich: 74