Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band II
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Geschichte des dritten Bruders des Barbiers.

Was nun meinen dritten Bruder anlangt, den Blinden, so führte ihn das Schicksal und die Bestimmung einmal zu einem großen Hause, an dessen Thür er pochte, um den Herrn des Hauses zu sprechen und etwas von ihm zu erbetteln. Auf sein Pochen fragte der Hausherr: »Wer ist an der Thür?« Da ihm mein Bruder keine Antwort erteilte, rief er mit lauter Stimme: »Wer ist da?« Mein Bruder gab auch diesmal keine Antwort und hörte nun seine Fußtritte, bis er an die Thür kam, sie öffnete und fragte: »Was wünschest du?« »Etwas um Gottes, des Erhabenen, willen,« antwortete mein Bruder. Darauf fragte er: »Bist du ein Blinder?« Mein Bruder antwortete: »Ja.« »Dann gieb mir deine Hand,« sagte der Hausherr. Als mein Bruder ihm nun die Hand gereicht hatte, führte er ihn ins Haus und stieg mit ihm von Treppe zu Treppe hinauf, bis er die oberste Plattform erreicht hatte, während mein Bruder glaubte, 78 er wolle ihm etwas zu essen geben oder schenken. Oben angelangt, fragte er dann meinen Bruder: »Was wünschest du, Blinder?« Mein Bruder antwortete: »Etwas um Gottes, des Erhabenen, willen.« Darauf antwortete er ihm: »Gott wird öffnen!«d. h. du erhältst nichts von mir. Nun sagte mein Bruder zu ihm: »Ach, warum hast du mir das nicht unten gesagt?« Der Hausbesitzer antwortete ihm darauf: »Elendester der Elenden, warum hast du mich nicht um etwas um Gottes willen gebeten, als ich auf dein Pochen zum erstenmal fragte: »Wer ist an der Thür?« Mein Bruder entgegnete nun: »Und jetzt, was willst du mit mir thun?« Er antwortete: »Ich habe nichts dir zu geben.« »So führe mich zur Treppe,« sagte mein Bruder. Er versetzte: »Der Weg ist vor dir.« Darauf erhob sich mein Bruder und ging zu den Treppen. Schon war er so weit hinuntergestiegen, daß nur noch zwanzig Stufen zwischen ihm und der Thür lagen, da glitt er mit dem Fuß aus und zerschlug sich, die ganze Treppe hinunterstürzend, den Kopf.

Wie er hinaustrat und nicht wußte, wohin er sich wenden sollte, stießen einige seiner blinden Gefährten zu ihm und fragten ihn, wie es ihm den Tag über ergangen sei. Da erzählte er ihnen sein Mißgeschick und sagte: »Meine Brüder, ich möchte etwas von dem Gelde, das wir zu Hause aufbewahrt haben, nehmen und für mich verwenden.« Der Hausbesitzer war aber meinem Bruder nachgefolgt, um näheres von ihm zu erfahren, und vernahm meines Bruders Worte, ohne daß mein Bruder merkte, daß ihm jemand nachging; er merkte es auch nicht, daß er mit ihm in seine Wohnung eintrat, in welcher er seine Gefährten erwartete.

Als nun dieselben ankamen, sagte er zu ihnen: »Verriegelt die Thür und durchsucht das Haus, ob nicht etwa ein Fremder uns gefolgt ist.« Als der Mann diese Worte meines Bruders vernahm, stand er auf und hängte sich an 79 ein Seil, welches von der Decke niederhing, so daß sie, ohne beim Durchsuchen des ganzen Hauses jemand gefunden zu haben, wiederkehrten und sich an der Seite meines Bruders niedersetzten. Dann holten sie ihr Geld hervor, zählten es und fanden etwas mehr als zehntausend Dirhem. Nachdem ein jeder von dem Überschuß einen Teil für seine Bedürfnisse genommen hatte, vergruben sie die zehntausend Dirhem wieder in einem Winkel des Hauses, beschafften sich etwas zum Essen und setzten sich zur Mahlzeit nieder. Plötzlich hörte mein Bruder eine fremde Stimme neben sich und fragte seine Freunde: »Ist etwa ein Fremder unter uns?« Dann streckte er seine Hand aus, und, wie er nun die Hand des Hausbesitzers zu fassen bekam, schrie er seinen Gefährten zu: »Hier ist ein Fremder!« und sie fielen mit Schlägen über ihn her und prügelten ihn so lange, bis es ihnen über wurde; dann schrieen sie: »Ihr Gläubigen, ein Dieb ist zu uns eingedrungen, der uns unser Geld nehmen will.«

Als nun eine große Menschenmenge zu ihnen eindrang, stellte sich der fremde Mann ebenfalls blind, damit ihn keiner in Verdacht haben könnte, und schrie: »Ihr Gläubigen, ich rufe Gott und den Sultan an, ich rufe Gott und den Wâlī an, ich rufe Gott und den Emir an, ich habe dem Emir einen wichtigen Rat zu erteilen;« und ehe sie sich's versahen, waren auch schon die Leute vom Wâlī da, umringten sie und führten alle mitsamt meinem Bruder vor den Wâlī. Auf die Frage des Wâlīs, was es gäbe, sagte der fremde Mann: »Höre mein Wort, o Wâlī! wie es sich in Wahrheit mit uns verhält, wirst du nur durch Schläge herausbekommen. Wenn du es willst, so fange mit mir an und schlage mich zuerst vor meinen Gefährten.« Der Wâlī befahl infolgedessen: »Werfet diesen Menschen zu Boden und peitscht ihn aus.« Sie thaten es, und, als ihn die Hiebe schmerzten, öffnete er das eine seiner Augen und nach weiteren Hieben das andere. Da sagte der Wâlī zu ihm: »Was hat diese Verstellung zu bedeuten, du Schurke?« Er 80 antwortete: »Begnadige mich, so will ich es dir ansagen.« Darauf begnadigte ihn der Wâlī, und er sagte nun aus: »Wir vier stellen uns blind, um auf diese Weise in die Häuser einzudringen, daß wir die Frauen zu sehen bekommen, sie mit List verführen und Geld von ihnen erhalten; auf diese Weise haben wir bereits viel Geld – zehntausend Dirhem – zusammengebracht. Als ich nun von meinen Gefährten zweitausendfünfhundert Dirhem als meinen Anteil verlangte, fielen sie mit Schlägen über mich her und nahmen mir mein Geld. Deshalb bitte ich Gott und dich um Schutz; du verdienst meinen Anteil eher als meine Gefährten. Wenn du die Wahrheit meiner Worte erfahren willst, so schlage nur jeden von ihnen mehr als mich, dann werden sie schon ihre Augen öffnen.«

Hierauf erteilte der Wâlī Befehl sie zu züchtigen, und der erste, der geprügelt wurde, war mein Bruder, den sie nicht eher losließen, bis er halb tot war. Dann sagte der Wâlī zu ihnen: »Ihr Schurken, verleugnet ihr Gottes Wohlthat und stellet euch blind?« Mein Bruder rief: »Gott! Gott! Gott! unter uns ist keiner, der sieht;« sie aber warfen ihn von neuem nieder und peitschten ihn zum zweitenmal, bis er ohnmächtig wurde, und der Wâlī sagte: »Lasset ihn jetzt in Ruhe, bis er wieder zu sich kommt und seine dritte Tracht erhält.« Darauf ließ er jedem seiner Genossen mehr als dreihundert Hiebe versetzen, während der Sehende ihnen zurief: »Öffnet eure Augen oder es setzt neue und schlimmere Hiebe.« Dann sagte er zum Wâlī: »Schicke jemand mit mir, daß er dir das Geld bringt, denn diese hier öffnen aus Furcht vor der Schande vor den Leuten doch nicht ihre Augen.«

So schickte denn der Wâlī jemand mit ihm, und, als ihm dieser das Geld gebracht hatte, nahm er es und gab dem Manne davon zweitausendfünfhundert Dirhem als seinen AnteilDen Rest behielt er für sich. 81 gegen den Willen der andern; meinen Bruder aber und seine beiden Gefährten verbannte er aus der Stadt. Da ging ich, o Fürst der Gläubigen, ihm nach und fragte ihn, was mit ihm vorgefallen wäre; als er mir seine Geschichte erzählt hatte, führte ich ihn heimlich in die Stadt zurück und setzte ihm für Speise und Trank ein Bestimmtes auf Lebenszeit fest.«

Der Chalife lachte über meine Geschichte und sagte: »Gebt ihm ein Geschenk und laßt ihn fortgehen.« Ich aber sagte: »Bei Gott, ich nehme nicht eher etwas an, als ich nicht dem Fürsten der Gläubigen die Erlebnisse meiner andern Brüder erzählt und ihm klargelegt habe, daß ich ein Mann weniger Worte bin.« Darauf sagte der Chalife: »Spalte unsere Ohren mit deinen lustigen Schwänken und laß uns noch mehr von deinen Schnacken und Schnurren hören.«

Darauf fuhr ich fort:

 


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