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2

Der Kellner brachte Kaffee für zwei, aber er schenkte nur mir ein. Ich zündete meine Zigarre an, nippte an dem Kaffee und sank in Hedonismus zusammen. Draußen im Saal herrschte dasselbe wilde Treiben wie zuvor. Man warf Konfetti, knüpfte Bekanntschaften an, trank und tanzte. Ich kam mir plötzlich wie ein alter Eremit vor, der von seiner Klause aus das Leben betrachtet. Ich war doch auf einem Maskenball und saß hier und philosophierte in der Einsamkeit. Ich hatte mit einem Herrn, der Antiquitäten liebte, soupiert; keine junge Dame hatte meinen Pfad gekreuzt, seit die Geisha mit dem Vorsitzenden von »Die Freunde der jungen Mädchen, koreanische Abteilung«, verschwunden war. Mit Ausnahme der Nonne natürlich. Allein sie gehörte einer anderen Welt an als die übrigen. Das sagte alles an ihr. Die Augen, die Haltung, die Stimme. Was hatte sie damit gemeint, als sie herauskam und Herrn Pitz und mich so musterte? Ich konnte von ihrem Blick nicht loskommen. Ihre Augen waren etwas Einmaliges. Und ihr Körper unter dem Büßerinnengewand war elastisch wie Stahl. Konnte Stahl von jemand gebogen werden? Es müßte denn von einem Mann sein wie jener, der sich in ihrer Gesellschaft befand. Er war alt, aber ich sah seinen Unterkiefer und seinen struppigen, schweren Schnurrbart vor mir. Wenn er sie küßte, mußte das Risse in ihrer weißen Haut hinterlassen … Sie gehörten einer anderen Welt an als der, in der ich lebte und hie und da liebte.

Ich wurde aus meinen Grübeleien von einem perlenden Lachen gerissen und einer Stimme, die auf dänisch sagte:

»Nein – hier sitzt ja niemand!«

Ich sah auf. Vor mir stand eine üppige, junge Blondine mit roten, lachlustigen Lippen und besonders schönen Armen. Ihr Kostüm war eigenartig, aber was es vorstellen sollte, konnte ich nicht erkennen.

Ihre Ableugnung meiner Existenz verletzte mich bis zu einem gewissen Grade.

»Ich sitze hier«, sagte ich. »Aber ich bin unleugbar einsam, und wenn Sie das meinen, entzückende junge Schöne, so setzen Sie sich, und wir wollen die Logik gemeinsam verachten.«

Die Blondine zog die Vorhänge vor den Eingang und sank auf Herrn Pitz' Diwan.

»Ich weiß nicht, ob ich soll – hat hier nicht vorhin ein Herr gesessen?«

»Ja, warum? Erschreckt Sie das? Sind Sie auch Nonne?«

»Nein, ich bin eine Nebulose.«

»Eine Nebulose! Heil alles Seienden letztem Ursprung! Wenn die Maskerade die Erschaffung der Welt vorstellen soll, so ist es nur recht und billig, daß wenigstens eine junge Dame eine Nebulose darstellt! Das Weib die Nebulose – schönes Symbol! Gestatten Sie mir, Ihnen mein Kompliment zu den luftigen Gewändern zu machen, mit denen Sie selbst Ihre Natur andeuten!«

»Wie Sie reden können!« nickte die Blondine anerkennend. »Ach, einen Durst habe ich! Aber sagen Sie mir, wie konnten Sie mich für eine Nonne halten?«

»Ich gestehe, daß kein besonderer Anlaß dazu vorhanden war. Ich bitte um Entschuldigung. Daß Sie durstig sind, freut mich. Mein ganzer Bekanntenkreis ist durstig, mit Ausnahme des Herrn, der hier saß. Der war hungrig. Kellner, etwas zu trinken!«

»Ja, nicht wahr, vorhin hat ein Herr hier gesessen? Ein dicker in einem schwarzen Kostüm?«

»Ganz richtig. Ein Großinquisitor, der chinesische Antiquitäten sammelt. Warum fragen Sie nach ihm?«

»Nur weil ich sicher wissen wollte, ob – ach, überhaupt, nur so. Ich heiße Kylle.«

»Und ich Richard. Danke, liebe Kylle! Das Leben hat gewisse Augenblicke.«

Die Blondine beugte sich über den Tisch vor und legte ihre weiße Hand nicht allzu weit von meiner nieder.

»Warum sitzen Sie hier?« fragte sie. »Langweilen Sie sich nicht?«

»Was meinen Sie, liebe Kylle? Sehe ich so langweilig aus?«

»Nein, aber wollen wir nicht tanzen?«

»Liebe Kylle, ich habe soeben soupiert. Wenn ich tanze, kann das Essen glauben, daß es in einen Derwisch geraten ist. Und außerdem warte ich auf jemanden.«

»Auf den Dicken?«

»Ja.«

»Wollen Sie sich nicht einstweilen auf meinen Diwan herübersetzen?«

»Nichts könnte mir lieber sein.«

Ich siedelte zu der entzückenden Blondine über. Da sie mir das Vertrauen erwiesen hatte, mich zu sich einzuladen, nahm ich an, daß dies nicht ausschließlich aus ideellen Gründen geschehen war. Ich legte den Arm um ihre Taille, die weidenweich und überaus angenehm anzufühlen war. Ich habe ja schon angedeutet, daß ihre Lippen lachlustig waren. Sie waren auch kußlüstern. Ja, in so hohem Grade, daß ich es für meine Pflicht hielt, sie zu überrumpeln. Sie wich mir jedoch einmal ums andere arglistig aus, es wurde ein förmliches Duell, das mich merklich heiß machte. Sie lachte hell auf, ihr perlendes, zärtlich-dänisches Lachen. Endlich erhaschte ich die Ahnung eines Kusses, aber im gleichen Augenblick wich sie wieder aus. »Wie heiß Sie sind!« rief sie. »So legen Sie doch Ihren dicken Mantel ab, Sie verbrennen ja noch! Ich traue mich nicht, neben Ihnen zu sitzen. Ich fange noch Feuer!«

»Den Mantel ablegen«, keuchte ich, indem ich meine Offensive erneuerte. »Was meinen Sie?«

»Kommen Sie, ich werde es Ihnen zeigen«, lachte sie. Flink wie ein Wiesel schlüpfte ihre Hand durch meinen Ärmel – er war wie gesagt sehr weit. Es kitzelte äußerst pikant. Gleichzeitig legte sie die ausgespreizten Finger der anderen Hand auf mein Gesicht. Ich will nicht verhehlen, daß ich sie eifrig küßte. Bevor ich noch wußte, wie mir geschah, hatte sie den Mantel von meinem linken Arm gezogen. In der nächsten Sekunde war sie vom Diwan aufgesprungen. Ein Ruck, und das Kostüm glitt von mir ab. Ich hörte ein Lachen; ich sah eine weiße Hand, die eine Kußhand zuwarf, und bevor ich mich noch erholt hatte, stand ich allein im Kabinett. Die schöne Nebulose war zehn Minuten, nachdem sie gekommen, mit Onkel Johns Erbe verschwunden. Ich saß in einem Seidenhemd da und fühlte mich wie ein verirrtes Kind.

Was hatte das alles zu bedeuten? Ich brauchte mir diese Frage kaum zu stellen, als schon mein Inneres die Antwort fand: Überlistet – Herr Pitz! Ja, überlistet! Wie Simson von Delila, und noch mehr, sozial unmöglich; denn man kann sich möglicherweise mit kurzgeschnittenem Haar durchschlagen, aber nicht in Hemd, Hose und chinesischen Pantoffeln. Und es mußte Herr Pitz sein, der dahinter steckte. Wer sonst? Kein anderer als er. Der Gedanke, daß die Blondine das Attentat für eigene Rechnung begangen haben sollte, war unsinnig. Daß ein Universitätslehrer sie dazu bewogen hatte, schien genau so unsinnig. Aber es mußte nichtsdestoweniger wahr sein. Wer sollte es sonst getan haben? Jetzt fiel mir ein, daß die Blondine mich gefragt hatte, ob nicht ein dicker Herr in schwarzem Kostüm an meinem Tisch gesessen hätte. Das mußte Herr Pitz sein! Aber war Herr Pitz bei Sinnen? Allerdings ahnte er nicht, daß ich ihn kannte, aber in einer so kleinen Stadt und mit einem solch guten Signalement, wie ich es von ihm geben konnte, war das eine ziemlich gewagte Methode, Antiquitäten zu erwerben. Er mußte verrückt oder Kleptomane sein. Ich erinnerte mich an seinen seltsamen Abscheu vor Detektiven. In dem Lichte seiner späteren Handlungsweise gesehen, erschien er sehr begründet. Wenn der neapolitanische Fischer in der Nähe gewesen wäre, ich hätte ihn sofort in Nahrung gesetzt – aber vorerst wollte ich vermeiden, mich lächerlich zu machen.

Der Kellner erschien in diesem Augenblick mit den Getränken, die ich für die falsche Kylle bestellt hatte. Er war erstaunt, mich in Hemdsärmeln zu finden. Ja, zum erstenmal sah ich einen Ausdruck von wirklicher Gemütserregung in seinen schlaffen Zügen. Ich ließ ihm keine Zeit, Fragen zu stellen.

»Glauben Sie, daß der Portier einen Domino zu verleihen hat?« fragte ich.

»Ja – aber …«

»Es ist gut, verschaffen Sie mir rasch einen, und die Rechnung, bitte.«

Er wollte widersprechen, aber von meinem Blick gebändigt, stürzte er fort. Fünf Minuten später war ich im Besitz eines roten Dominos, der zu meiner orientalischen Unterkleidung pittoresk wirkte. Gott sei Dank hatte ich mein Geld in dieser verwahrt. Ich bezahlte die Rechnung für das Souper – sie verschlang meine Barschaft bis auf ein paar Zehner – und stürzte mich in den Wirrwarr, fest entschlossen, Herrn Pitz, Kylle oder den neapolitanischen Fischer zu finden.

Es sah nun aus, als ginge die Erschaffung der Welt ihrem Untergang entgegen. Der infernalischste Hexentanz drehte sich durch den Hauptsaal. Die Musik vermochte sich kaum Gehör zu verschaffen, obgleich alle drei Kapellen unisono spielten. Die vielfarbigen Scheinwerfer umwanden die Tanzenden wie mit Gürteln. Der Effekt war geradezu futuristisch. Arme, Beine, Gesichter in allen Farben des Regenbogens wirbelten umher, tauchten auf, verschwanden, aber ein zusammenhängender Mensch war ebensowenig zu sehen wie eine zusammenhängende Melodie zu hören. Ich wurde von dem Wirbel eingesogen wie ein widerstandsloses Meteor in einen Sternschnuppenfall. Ich wirbelte zwischen einer halbnackten Bacchantin und einer keuchenden Zigeunerin umher. Ihre Augen brannten in religiöser Ekstase. Ihre Busen wogten. Ich vergaß Herrn Pitz und ließ mich von ihrem Feuer entflammen. Ich wirbelte umher und umher, wiegte mich nach vorn und nach rückwärts, fühlte Arme um meinen Hals und preßte Taillen an mich. Endlich konnte ich nicht mehr. Ich zitterte am ganzen Körper, und mein Hals war vom Evoë-Schreien wie ausgedörrt. Ich bin eben leider nicht mit den richtigen Bockfüßen geboren. Atemlos vor Anstrengung befreite ich mich aus dem Malstrom und rettete mich in den inneren Saal. Dort wurde auch getanzt, jedoch weniger fanatisch. Himmel und Hölle, wie war ich durstig! Meine Zehner waren zum Tode verurteilt, wenn es irgendwo einen freien Tisch gab.

Aber es gab nirgends einen. Jeder Tisch im Saal war bis auf das letzte Plätzchen besetzt. Ich starrte hilflos umher. Sollte ich ein Glas von einem der Tische stehlen? Das war wohl der einzige Ausweg – aber nein! Da, dreimal gesegnet, saß der Hadschi-Sultan, Mr. Graham! Mein bevollmächtigter Detektiv!

Mr. Graham saß bewegungslos, mit starren Augen. Der Schweiß strömte in majestätischen Tropfen von seiner Stirn. Ein riesiger Kühler, vier Champagnerflaschen auf einmal bergend, stand vor ihm. Der Professor und ein anderer Herr, der dem Professor etwas ähnlich sah, beide demaskiert, saßen lächelnd und gestikulierend links und rechts von Mr. Graham. Ich mußte an ein großes, stummes Buddhabild denken – schon wieder Buddha – das von zwei schlauen Tempelwächtern bedient wurde. Von Tempeltänzerinnen sah ich für den Augenblick keine Spur. Ohne Zögern steuerte ich auf den Tisch des Engländers zu.

»Im Namen des Gesegneten«, bat ich, »schenkt einem, der vor Durst stirbt, einen Becher!«

Das Buddhabild fixierte mich fremd aus zwei runden Augen, aber der Professor erkannte mich sofort.

»Ah!« rief er. »Ein bekanntes Gesicht. Setzen Sie sich! Hier ist Champagner.«

Das wievielte Glas Champagner dieses war, weiß ich nicht, nur das weiß ich, daß mir keines der anderen auch nur annähernd so gut geschmeckt hatte.

»Sie sehen echauffiert aus«, sagte der Professor. »Ich gestehe, daß ich mir so etwas an Tanz in Kopenhagen nicht hätte träumen lassen.«

»Es ist nicht nur der Tanz«, erwiderte ich, »es ist etwas anderes. Sie sind mein Seelsorger, wenn es sich um Verbrechen handelt. Sie müssen auch das Neueste auf diesem Gebiet erfahren.«

»Wie beliebt? Sind Sie schon wieder eingebrochen?«

»Im Gegenteil, ich bin beraubt worden.«

»Was meinen Sie? Beraubt? Hier auf dem Kostümball?«

»Ganz richtig. Von einer schönen Blondine.«

»Die Ihnen Ihr Geld abgenommen hat? Das ist aber ein recht vulgäres Abenteuer.«

»Nein, nicht mein Geld. Auch nicht meine anderen unbedeutenden Wertsachen. Ich möchte hundert gegen eins wetten, daß Sie nie erraten, was man mir geraubt hat.«

Der Professor sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.

»Hüten Sie sich zu wetten«, erklärte er, »für viele Menschen der erste Schritt zum Ruin. Sie hören, daß ich Sonntagsschulbücher lese. Einen Augenblick, lassen Sie mich nachdenken! Ich habe Sie heute abend schon gesehen. Das Bild steht mir klar vor Augen. Ich habe das ganze Publikum hier gemustert, auf der Suche nach einer gewissen Person, und ich weiß, daß ich Sie mindestens einmal gesehen habe. Sie sehen, ich habe ein beneidenswertes Personengedächtnis. Aber Sie waren nicht so angezogen wie jetzt. Lassen Sie mich nachdenken: wie waren Sie angezogen? Sie fielen mir auf, weil Sie nicht tanzten, und ich beachtete Ihr Kostüm, weil es echt war – nicht Tailormade wie die anderen Kostüme hier. Aber was hatten Sie nur für ein Kostüm? Grün, blau, weiß? – Aha, ich hab's. Sie trugen einen chinesischen Mantel mit prachtvollen Stickereien. Jetzt treten Sie in einem fertiggekauften roten Domino auf. Sollte man Ihnen etwa Ihr Kostüm gestohlen haben?«

Ich starrte ihn an wie einen Hellseher. Das war unleugbar ein Erlebnis für einen alten Detektivschriftsteller! Ich hatte allen Grund, meinen Stern zu preisen, daß der Professor für mich arbeitete und daß nicht er es war, der die Nachforschungen hinter mir anstellte. Ich verbeugte mich stumm vor ihm.

»Ich werde nie mehr hundert gegen eins wetten«, sagte ich. »Und hätte ich meinen gestohlenen Mantel hier, ich würde ihn Ihnen zu Füßen legen.«

»Zuviel Blumen, zuviel Blumen!« wehrte er ab. »Aber es ist schon recht ungewöhnlich, daß man einem Menschen sein Kostüm vom Leibe stiehlt. Ist Ihnen selber wenigstens klar, was der Zweck sein könnte?«

Nein, davon habe ich keine Ahnung. Aber wer es getan hat, darüber bin ich so ziemlich im klaren.«

»Haha, ein Freund von Ihnen? Zum Spaß?«

»Absolut nicht!«

»Ich muß gestehen, Sie interessieren mich. Haben Sie Lust, mich in Ihre Erlebnisse einzuweihen? Bevor Sie es tun, will ich Ihnen sagen, daß dieser Herr« – der Professor wies mit einer Geste auf den Mann, der ihm ähnlich sah – »Franzose ist und kein Wort Schwedisch versteht. Aber es hätte nichts zu bedeuten, wenn er es verstünde. Er ist Mister Grahams Assistent genau so wie ich.«

Ich trank stumm Herrn Grahams zweitem Assistenten zu. Er lächelte mich liebenswürdig mit einer Reihe weißer Zähne an, während seine schlauen braunen Augen meine Person überflogen. Auch der Chef der Firma beantwortete mein Zutrinken. Sehr majestätisch, aber für einen derart dicken Mann hatte er eine bemerkenswert leichte Handhabung des Champagnerglases. Ich war mehr und mehr indigniert über Herrn Pitz' Verleumdung des Detektivkorps. Das waren ja kultivierte, sympathische Leute. Und was war Herr Pitz selbst? So kurz wie möglich gab ich dem Professor die Details über Herrn Pitz und mein Souper und was sich dann abgespielt hatte, bekannt. Der Professor hörte aufmerksam zu. Ein einziges Mal unterbrach er mich. Das war, als ich – um Herrn Pitz' Eigentümlichkeiten anzudeuten – erzählte, daß ich ihn nach Laplace gefragt hätte und wie die Wirkung meiner Frage gewesen war. Bei dieser Gelegenheit richtete er sich plötzlich auf dem Diwan kerzengerade auf.

»Sie haben ihn nach Laplace gefragt? Was wissen Sie von Laplace?«

Seine Augen waren nicht durchdringend, aber immerhin hatte ich das Gefühl, als könnten sie einem das letzte Geheimnis entlocken.

»Ich weiß nichts von Laplace«, antwortete ich. »Sie selbst haben mich heute vormittag gefragt, ob ich einen alten Franzosen, der Laplace heißt, kenne.«

»Aber warum haben Sie Ihren Tischgenossen danach gefragt?«

Ich wußte nur zu gut, warum ich es getan hatte, aber dieses kleine Geheimnis hatte ich keine Lust preiszugeben.

»Ein reiner Zufall«, log ich. Merkwürdigerweise akzeptierten die forschenden Augen meine Lüge.

»Nun, und als Sie dann Ihren Tischgenossen nach diesem Laplace fragten, benahm er sich so eigentümlich?«

»Er bekam einen seiner nervösen Anfälle. Aber einen Laplace kenne er nicht, sagte er.«

»Hm.«

Der Professor blickte eine Weile in das Gewühl.

»Komischer Platz, um über Laplace zu diskutieren«, meinte er, »und übrigens … Aber fahren Sie fort.«

Ich brachte meine Erzählung zu Ende. Eine Frage schwebte mir die ganze Zeit auf der Zunge: Wer war Laplace? Aber ich konnte den Mut nicht aufbringen, sie zu stellen. Statt dessen sagte der Professor:

»Sie kennen also Ihren Tischgenossen? Ist es ausgeschlossen, daß er es wußte?«

»Ja, ich hatte ihn zufällig heute schon gesehen, und er war nicht sehr maskiert. Übrigens würde es ihm auch schwer fallen, sich gut zu maskieren.«

»Wissen Sie seinen Namen?«

»Ja.«

»Haben Sie etwas dagegen, ihn mir zu nennen?«

»Nein, warum? Er heißt Pitz, und das Eigentümliche ist, daß er einer Menschenklasse angehört, die sich nicht mit Überfällen zu befassen pflegt. Er ist Universitätslehrer.«

»Universitätslehrer?«

»Ja, er liest hier an der Universität Chinesisch.«

»Was in aller Welt …«

Es konnte kein Zweifel sein. Der Professor starrte mich mit unverhohlener Verblüffung an. Ich nickte bekräftigend und genoß einen Triumph, dessen Ursache ich nicht begriff.

»Schmerzt es Sie zu hören, daß ein Universitätslehrer in diesem Grade auf Abwege geraten kann?« fragte ich.

»Mich schmerzen? Warum?«

»Sie sind ja auch Professor?«

Er lächelte und schüttelte den Kopf. Gerade in diesem Augenblick fiel mir etwas ein. Ich hatte doch eine Aufgabe im Saal. Ich hatte mich doch nach Herrn Pitz umsehen wollen. Vielleicht brüstete er sich bereits mit seinen fremden Federn? Was wäre wirkungsvoller, als ihn auf frischer Tat zu ertappen? Ich erhob mich.

»Ich komme gleich zurück«, sagte ich zum Professor.

»Wollen Sie tanzen?«

»Nein, ich möchte eine Tour machen und sehen, ob Herr Pitz hier zu finden ist.«

Er lächelte zerstreut und schüttelte den Kopf, als wolle er sagen: Vergebliche Liebesmüh! Es sah aus, als hätte er sich noch nicht von dem ersten Erstaunen über meine Mitteilung über Herrn Pitz erholt. Das wunderte mich. Ich konnte nicht einsehen, warum sie so merkwürdig sein sollte. Und in welcher Weise konnte sie ihn eigentlich interessieren? Mußte ich zu der Frage: Wer ist Laplace? noch die Frage hinzufügen: Wer ist Herr Pitz?

Ich hatte mich kaum zehn Schritte vom Tisch des Professors entfernt, als ich plötzlich stehenblieb. Es war jedoch nicht der Anblick von Herrn Pitz in seinen geborgten Federn, der mich innehalten ließ. Es war eine Hand, die sich auf meinen Arm legte, eine feste, weiße Frauenhand. Ich drehte mich um in dem Glauben, daß die falsche Blondine zurückgekommen sei und ihr Attentat wiederholen wollte. Aber sie war es nicht. Ich sah in zwei meerfarbene Augen unter einer schwarzen Larve.


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