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Zur Stunde des Affen (vier Uhr nachmittags), am folgenden Tage, wurde ich von dem Eunuchen Hsu in die Privatgemächer des Himmelsgeborenen gerufen. Ich war aufs äußerste erstaunt, ich glaubte, im selben Augenblick, da der letzte Becher seiner Hand entfiel, seinem Gedächtnis entschwunden zu sein.
Ich fand Seine Majestät mit bleichem Antlitz in einem Diwan zurückgelehnt. Neben dem Diwan stand ein geschnitzter Tisch mit Porzellanschalen voll Rosenwasser. Als ich eintrat und bei der Tür niederkniete, musterte er mich durch die halbgeschlossenen Augenlider. Mehrere Minuten verstrichen, ohne daß ein Wort fiel. Ich hielt den Blick zu Boden gesenkt, wie es die Zeremonien verlangen, und verhielt so regungslos, daß Seine Majestät mich mit einem einzigen Schwertstreich hätte töten können, wie es im Li-Ki geschrieben steht.
Endlich hörte ich die Stimme Seiner Majestät: »Sieh auf! Ich will über ernste Dinge mit dir sprechen. Was ist heute nacht in Mao-Changs Haus vorgegangen? Mein Gedächtnis ist wie die Gefängnishöhlen Li-Lien-Yings, es will nichts ausliefern. Sage mir also, was bei Mao-Chang geschehen ist.«
»Der Sohn des Himmels«, begann ich unsicher, »geruhte sich an einem ausländischen Wein zu ergötzen.«
»Daran erinnere ich mich. Wieviel habe ich getrunken?«
»Ich weiß es nicht. Viele Becher.«
»Wie viele?«
»Sechs oder sieben, scheint mir.«
»Nicht mehr? Es müssen mehr gewesen sein! Mein Kopf dampft und schmerzt, als hätte ich ein Faß dieses ausländischen Giftes getrunken.«
»Vielleicht waren es auch zwölf oder vierzehn. Wenn der Erhabene es sagt, waren es sicherlich vierzehn oder sechzehn.«
»Übertreibe deinen Eifer nicht. Nun, und was weiter?«
»Dann geruhte der Erhabene in den Palast zurückzukehren.«
»Ich habe keine Erinnerung daran. Aber was trug sich sonst noch zu, während ich in Mao-Changs Haus weilte?«
»Verschiedene Personen waren anwesend«, stammelte ich.
»Du hast Angst, sie bei Namen zu nennen. Der Franzose Laplace und der Amerikaner Nevill waren da. Hast du sie gemeint?«
»Ja.«
»Warum wagst du es nicht zu sagen?«
»Der Sohn des Himmels erinnert sich ja selber daran.«
»Aber wenn ich mich nicht entsonnen hätte?«
»Dann wäre es wohl deshalb gewesen, weil der Himmelsgeborene es aus seiner Erinnerung zu löschen wünschte.«
Seine Majestät betrachtete mich streng.
»Mißbilligst du das Betragen deines Herrn?«
»Es steht einem verächtlichen Gewürm nicht zu, die Hand zu tadeln, die es leben läßt. Der Wille des Himmelsgeborenen ist sein eigenes Gesetz, und der Gegenstand Sung genannt hat keinen Willen.«
Seine Majestät lächelte plötzlich.
»Ich weiß nicht, warum du mir von dem ersten Augenblick an gefallen hast«, meinte er, und ich zuckte zusammen wie in einem phantastischen Traum. »Vielleicht, weil du jung bist wie ich, oder noch jünger. Antworte mir, warum, glaubst du, besuche ich Mao-Changs Haus?«
»Der Wille des Himmelsgeborenen ist sein eigenes Gesetz«, wiederholte ich, unfähig, einen anderen Ausdruck zu finden.
Tung-Chih erhob sich vom Diwan und blickte mich an.
»Mein Wille ist alles eher als sein eigenes Gesetz!« sagte er. »Und dies ist der Grund, weshalb ich Mao-Changs Haus besuche. Verstehst du?«
»Gewiß«, stammelte ich, »ist der Sohn des Himmels Herr über alles, was sich im Lande befindet«.
»Über alles, außer über mich selbst«, unterbrach Tung-Chih und trank eine der Schalen mit Rosenwasser aus. »Die Qualen in meinem Kopf lassen sich nur mit den Qualen einer Frau vergleichen, die ein Kind gebärt. Möge mein Kopf Gedanken gebären, die im Verhältnis zu den Geburtswehen stehen. Was sprachen der Franzose Laplace und der Amerikaner?«
»Sie bezeigten dem Erhabenen ihre Ehrfurcht und Ergebenheit«, erwiderte ich. »Im übrigen führten sie eine Sprache, der ich nur schwer folgen konnte.«
»Du kannst ein neuer Li werden, wenn du älter wirst«, meinte Tung-Chih und runzelte die Stirn. »Verstehe, was ich von dir wünsche, wenn du meiner Gunst teilhaftig bleiben willst, ist Aufrichtigkeit und nichts anderes. Sage, was du weißt, mir und niemand anderem, dann kannst du meiner Wohlgeneigtheit gewiß sein.«
»Die weißen Personen ergingen sich in äußerst unpassenden Reden über ein hochstehendes Wesen«, murmelte ich. »Im Zusammenhang damit bezeigten sie dem Erhabenen ihre Treue.«
Tung-Chih schaute mich lange und durchdringend an.
»Und wo wäre im Zusammenhang damit deine Treue?« fragte er schließlich.
Ich fiel zur Erde und sagte:
»Immer und unter allen Umständen ist meine Verächtlichkeit bereit, sich für den Himmelsgeborenen zu opfern.«
»Vielleicht sprichst du die Wahrheit. Vielleicht werden wir Gelegenheit haben, uns davon zu überzeugen. Jetzt erinnere ich mich genügend an das, was bei Mao-Chang vorgegangen ist. Hast du zu jemand anderem darüber gesprochen?«
»Zu niemandem.«
»Die Eunuchen Hsu und Wei waren gleichfalls anwesend. Glaubst du, daß sie verstanden haben, was gesprochen wurde?«
»Nicht ein Wort.«
»Es ist gut. Mein Kopf kommt mir jetzt wie ein Samenkorn vor, das seine Hülse sprengen will. Geh!«
Ich erhob mich aus der knienden Stellung, die ich die ganze Zeit getreu den Zeremonien eingenommen hatte, und verließ rücklings das Gemach. Tung-Chih leerte eine der Rosenwasserschalen und sank wieder in die Kissen des Diwans.