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Salve Regina

(Die bittere Geschichte des süßen Gebetes)

Hätte Gott vielleicht nicht auf einem anderen Wege, als durch die Jungfrau, uns den Wiederhersteller des Menschengeschlechtes und Urheber des Glaubens geben können? Nun war es aber der Ratschluß der göttlichen Vorsehung, uns den Gottmenschen durch Maria zu geben, die, fruchtbar geworden durch den Heiligen Geist, Jesus in ihrem Schoße getragen. Darum bleibt uns keine andere Wahl, als daß wir Christus aus den Händen Mariä empfangen.

Pius X.

Es war im Herbst 1013, als einem Ehepaar von Veringen ein gelähmtes Kind geboren wurde. Die Wehmutter erkannte an dem gekrümmten Rücken des armen Knäbleins sein körperliches Schicksal und mit einigen leisen und verlegenen Worten machte sie zuerst den Vater aufmerksam auf diese harte Tatsache. Die Mutter selbst, müd von den Schmerzen der Geburt und doch zugleich wonnig froh, merkte es zu aller Anfang noch nicht, doch als sie wieder ein wenig Kraft gewonnen und das Kindlein zum zweiten Male zu sehen verlangte, fiel es ihr auf. Ein paar Augenblicke sagte sie gar nichts, aber dann kamen ihr die Tränen. Es trat gerade der Vater wieder ins Gemach und als er die Tränen sah, konnte er die seinen auch nicht ganz zurückhalten, indes legte er seine Hand aus das Haupt seines Weibes und streichelte ihr sanft übers Haar, um sie zu trösten. So wurde Hermann von Beringen, zubenannt Contractus, der Zusammengezogene, Gelähmte, bei seinem Erscheinen auf Erden mit Zähren der Liebe und des Kummers begrüßt. Dann aber schlug die Mutter ihrem Eheherrn vor, sie wollten das Kind Maria, der Mutter Gottes, weihen, damit es vom ersten Tage an, weil in seiner Bresthaftigkeit eines besonderen Schutzes bedürftig, dem Schutz Unserer Lieben Frau auch in besonderer Weise unterstellt sei.

Die Eltern versuchten auch, dem Kinde mit natürlichen Mitteln zu helfen, fragten die Ärzte, probierten es mit Bädern und dergleichen, aber das alles half nichts, der Knabe blieb lahm. Als er heranwuchs, konnte er sich nicht selber von der Stelle bewegen, sondern man mußte ihn stützen oder tragen. So hatte er mit seinem gekrümmten Rücken eine traurige Kinderzeit.

 

Seine Mutter aber, da sie sah, wie viel im äußeren Leben diesem Menschenwesen versagt sein werde, bat Gott, daß er sein inneres Leben dafür um so reicher werden lasse, und um hierzu das Ihre nach Kräften beizutragen, flößte sie dem Hermann frühzeitig eine inständige Liebe zu Maria ein; denn diese Frau wußte in ihrem Herzen, daß Maria der Weg zum inneren Leben ist, nämlich zu Christus Jesus, der ja durch Maria zu uns gekommen und zu dem wir nur durch Maria gelangen.

Nebstdem war die Mutter bedacht, die Willenskraft des Knaben so zu stärken, daß er in den Grenzen der beschränkten Möglichkeit die Schwäche des Körpers überwinde. Weit entfernt also, ihr Sorgenkind zu verweichlichen, verlangte sie vielmehr Anstrengungen von ihm; er lernte zum Beispiel ziemlich früh lesen und schreiben, obwohl er bei seinem Zustand dies, besonders zu Anfang, nur mit Schmerzen vermochte.

Endlich aber, weil die Eltern auch in einem reicheren geistigen Leben eine gewisse Entschädigung für die körperliche Beraubtheit und eine natürliche Ergänzung des geistlichen Lebens erblicken, beschlossen sie, daß er studieren solle. Deshalb gaben sie ihn im Alter von sieben Jahren in das Kloster Reichenau in die Schweiz, woselbst die Jünger des Heiligen Benedikt eine ihrer weltberühmten Schulen hatten. Dort zeichnete sich der Knabe nicht nur durch Frömmigkeit aus – gewohnt, wie er war, in Maria zu leben und unter ihrem still wirkenden Schutze –, sondern auch durch Neigung und Geschick zu den Wissenschaften. Der innewohnenden Neigung freilich kam auch jene Härte gegen sich selber zu Hilfe, die man ihm häuslich anerzogen hatte; so vermochte er vieles über und wider seine Schwäche und übertraf an Kenntnissen alsbald andere, die da blühten in ihrer frischen Jugendzeit.

 

Dergleichen klingt nun ganz tröstlich, es bleibt aber nicht weniger wahr, daß Hermann unter unsäglichen Martern heranwuchs, des Körpers wie des Herzens; er hörte den frohen Lärm der Knaben und sah sie herumspringen, in ihrer Glieder Märzenfreude; er sah die Jünglinge fortziehen zu ihren Ausflügen in Berg und Tal und sah sie heimkehren mit geröteten Wangen und geweiteter Brust, Bilder der Jugendkraft. Da mußte er Maria bitten, daß sie ihm helfe, die Armut des Körpers ohne Neid weiterzutragen. Ein tiefes Weh aber blieb eingesenkt in sein Gemüt. Und Maria sprach zu ihm: »O mein Sohn, ich sehe deine Tränen, die du noch immer weinst, und die Wunde deines Herzens, die still innerlich blutet. All dieses tränkt den Garten deiner Seele wundersam, und es sind wenige in dieser großen Schule, deren Seele Gott so köstlich entgegenblüht wie die deine. Sei fest, ich bin dir nahe!« – Indem sie dies sagte, beließ sie ihm aber das Weh, auf daß er ob jenes Trostes nicht in geistlichen Hochmut verführt werde. – Ungeachtet seiner Gebrechlichkeit machte er solche Fortschritte in den Wissenschaften und war von Gottesliebe so erfüllt, daß ihm der Abt erlaubte, die Profeß abzulegen. Dies war wohlgetan. Hermann förderte den Ruf jener benediktinischen Gemeinschaft, denn aus der Zelle, die er körperlich so selten verlassen konnte, wanderte manches schöne Buch hinaus zu den Menschen, als Kundschaft seines tätigen und frommen Lebens; Druckereien gab es damals nicht, so wurden seine Bücher abgeschrieben und weitergegeben an andere Schulen.

 

Seine Leiden freilich verließen ihn nicht. Er trug sie mit einer Geduld, wie sie nur Maria der eigenen Anstrengung verleihen kann. Der Abt sagte einmal bei der gemeinsamen Mahlzeit, an der ja Hermann selber nicht teilnehmen konnte: Wenn sich Tapferkeit ließe in Krüge fassen, so könnte ein Feldherr davon genug aus der Zelle Hermanns forttragen, um eine ganze Armee mit Tapferkeit zu tränken.

Wie dem auch sei – das tiefe Weh über seinen unglücklichen Leibeszustand verblieb unserm Hermann trotz allem. Er hörte nicht auf, die Mutter Gottes mit dem kindlichsten Vertrauen um Hilfe und Änderung anzuflehen.

 

Drei Jahre gingen hin, er fand keine Erhörung. Eines Tages aber schien ihm, als sähe er sich in eine andere Zeit versetzt und in eine große Weite, darinnen er herumging mit einer Kerze und mit ihr unzähligen Menschen, die auch ihr Lichtlein trugen, dieses anzündete. Es war in einem ungeheuren Dom.

Nach diesem Gesichte wandte er sich in seinem Herzen zu Maria und sprach also: O du vielliebe, vielgute Frau, was mag wohl dieses Gesicht nur bedeuten? denn wenn ich so herumgehen kann, unter den unzähligen Menschen, und all ihre Lichtlein entzünden – darf mich dieses nicht dünken, daß mein armseliger Körper zu Geradheit und Kräften kommt? – Da war ihm, als lächelte die Jungfrau, man konnte dies Lächeln wohl für ein Ja nehmen, aber Maria sagte kein Wort, sondern sie lächelte eben nur. – Hermann indes kehrte geduldig zu seiner Arbeit zurück.

Immerhin ertrug er von da an aber alle seine Leiden mit noch größerer Stärke des Gemütes, mit noch friedlicherer Heiterkeit des Geistes als je zuvor. Der Abglanz davon zeigte sich in seinem geschriebenen Wort, das von einer wunderbaren Einsicht und Klarheit in die Wissenschaft des Heiles beseelt war. Und was er schrieb, wurde weitum mit Freude und Staunen gelesen, vieler Menschen Geist entzündete sich daran, und es kam nicht selten vor, daß Menschen von weither in die Reichenau kamen, um ihm selber zu danken in der Abgeschiedenheit seiner Zelle. Das erfüllte Hermann mit Fröhlichkeit. Er glaubte jetzt jenes Gesicht deuten zu können, und zwar dahin, daß sein Wort die Kerze sei, womit er die Lichter der anderen entzünde!

 

In der unsäglichen Dankbarkeit dafür, daß er, obschon gelähmt, so in die Nähe und Ferne wirksam geworden, voll seligsten Trostes und in dem Willen, allen Betrübten und Leidenden die Seligkeit des Trostes, die unzerstörbare Zuversicht in Maria mitzuteilen, dichtete er dieses Gebet:

Gegrüßet seist du, Königin,
Mutter der Barmherzigkeit,
unser Leben, unsere Süßigkeit,
unsere Hoffnung, sei gegrüßt!
Zu dir rufen wir verbannte Kinder
Evas! Zu dir seufzen wir trauernd
und weinend in diesem Tale der Tränen!
O wende denn du, unsere Fürsprecherin!
deine mitleidigen Augen uns zu
und nach diesem Elende zeige uns
die gebenedeite Frucht deines Leibes! –
Jesum. – –

Dieses Gebet des gottseligen Mannes ist in Wirklichkeit zu der Kerze geworden, womit Hermann unzähligen Herzen das Licht entzündet hat! Die Kirche hat es zum Schlußgebet der heiligen Messe erhoben, so wird es seit manchem Jahrhundert von unzähligen Menschen gebetet oder gesungen. Der es aber zum erstenmal sang, der selige Hermann, starb in seinen Leiden früh dahin. Salve Regina! grüßte er im Himmel von Angesicht zu Angesicht die Königin. Salve! – erwiderte sie ihm lächelnd und hieß ihn willkommen.


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