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Maria hilft dem Geächteten oder
die Bekehrung des Gonsalvus

»Lilie, die alle andern Blumen übertrifft,
wunderbare Morgenröte, Klarheit ohne Schatten,
du stehst den Sündern bei in allen Nöten,
bist im großen Sturme Hafen der Sicherheit.«

Aus einem Lied der katalonischen Krieger.

Gonsalvus lebte als Jüngling in seiner spanischen Heimat Barcelona, zu der Zeit als Kaiser Karl V. den Thron bestieg. Dieser Fürst war einer der mächtigsten, die je auf der Erde geherrscht haben, und zugleich unter diesen mächtigsten der wenigen einer, dessen Seele sich bis zuletzt nicht blenden ließ von der irdischen Macht, über die er gebot.

Anders Gonsalvus in seiner Jugend. Adelig aber arm von Geburt, nährte er in seinem Herzen einen gewaltigen Ehrgeiz und brannte vor Durst nach großen Taten. Es duldete ihn nicht mehr in der alten Welt, und er hoffte, im fernen Amerika, wohin Columbus damals den Weg gewiesen, zu Reichtum und hoher Stellung zu gelangen. In diesem Drange schiffte er sich ein.

 

Das spanische Amerika unterstand der Herrschaft Karls V. Aber ein gewisser Gonzalez Pizarro machte den Versuch, es dessen Hoheit zu entreißen. Gonsalvus, in seiner heißen Lust an Machtkampf und Abenteuer, trat nach kurzer Besinnung auf die Seite des Gonzalez Pizarro, hoffend, daß ein Erfolg des Unternehmens ihn als Mitkämpfer zu Ehren und Reichtum bringen werde. Viele jener Amerikafahrer dachten nur daran, sich selber groß und reich zu machen, das Wohl der Eingeborenen lag ihnen nicht am Herzen; von jenen Eigennützigen unterschied sich Gonsalvus mehr durch die Kühnheit seiner Träume und hochfliegende Leidenschaft als durch Nächstenliebe. Pizarro bestellte diesen ihm wertvollen Mann zum General über ein Korps Soldaten, das Gonsalvus mit ungewöhnlichem Mute führte, ohne Achtung des eigenen Lebens, aber im verwegenen Glauben an seinen glücklichen Stern. Im Jahre 1548 kam es zur Hauptschlacht zwischen den Truppen des Kaisers und denen des Pizarro und Gonsalvus. Des letzteren Löwenmut konnte die vernichtende Niederlage nicht aufhalten, obschon er bis zuletzt den Kaiserlichen Truppen den fühlbarsten Schaden antat. Aber der Ausgang des Kampfes war entschieden und neigte schon dem bitteren Ende zu, als Gonsalvus, allgemach im Gefechte vereinsamt, den sichern Tod vor sich sah. Im letzten Augenblick gelang ihm auf eine unwahrscheinliche, jedoch seiner Tapferkeit würdige Weise die Flucht. Er rettete freilich nichts als sein Leben, und auch dieses nur mit genauer Not, indem er sich, aus dem Bereiche des eigentlichen Schlachtfeldes entronnen, in fremdes Gewand verkleidete und im dichten Buschwerk am Saume der Wälder verborgen hielt. In dieser Lage hätte er wenig Mühe gehabt, die Täuschungen der Leidenschaft und des Machttraums als solche zu erkennen, wäre er nicht mit der Sorge um sein nacktes Leben zu stark beschäftigt gewesen. Aber auch so noch regte sich manches in ihm, obschon er ungern darauf hörte.

 

Die Schlacht war am Dienstag zu Ende gegangen, und Gonsalvus steckte schon fünf Tage im Buschwerk. Da hörte er am Sonntagmorgen das Glockengeläut von einer ziemlich nahen Kirche, und die friedlichen Töne ergriffen sein Mannesherz in diesem Augenblick mehr, als der Lärm des bestandenen Kampfes es zu erschüttern vermocht hatte. Er betete ein Vater Unser und einige Ave Maria; denn dies war sein gewöhnliches Gebet, und selbst die verzehrende Sehnsucht nach Ehre, Reichtum und Macht hatte nicht vermocht, ihn der Allerseligsten Jungfrau ganz zu entfremden.

Das Gebet weckte aber den herzlichen Wunsch in ihm, zu gehen und dem Meßopfer selber beizuwohnen; er wollte gern bei der Gemeinde des Herrn sein.

Dieser Wunsch war nicht so bald erwacht, da sah Gonsalvus auch ein, daß dessen Befriedigung sein Leben gefährden könne. Aber er dachte, warum solle er nicht auch einmal etwas für Gottes Dienst wagen, nachdem er für Geringeres sein Leben mehr als einmal aufs Spiel gesetzt und trotz allem jedesmal gerettet worden war. Gedacht, getan – er ging. Auf dem Hinweg stieß ihm nichts zu, obwohl er in den Straßen der Siedlung, wozu die Kirche gehörte, etlichen Kaiserlichen Soldaten und Offizieren begegnete; diesen ließ er wenig Zeit, ihn im Vorbeigehen näher zu betrachten, ein flüchtiger Blick aber konnte nicht genügen, um in dem scheinbar müden Fremdling den stolzen General von ehedem zu vermuten.

 

In der Kirche angelangt, blieb er mit Bedacht hinter einer rückwärtigen Säule stehen. Er wurde nicht beobachtet, geschweige denn erkannt, und so begann er sich schon zu freuen, als stiller Gast dieser sonntäglichen Gemeinde an ihrem Opfer in Christo teilzuhaben. Doch wie erschrak er, als nach verkündetem Evangelium und bekanntgegebenen kirchlichen Nachrichten von der Kanzel herab auch eine Verordnung des Vizekönigs verlesen ward, welche allen Rebellen gegen den Kaiser feierlich Verzeihung verhieß, nur ihm allein nicht. Die bloße Nennung seines Namens hätte ihn an diesem Orte schon verwirren müssen, in solchem Zusammenhang jedoch erfüllte sie ihn mit heftigster Bestürzung; denn er wurde als vogelfrei erklärt, der Acht und dem Tode verfallen.

Unsern Gonsalvus hätte niemand der Feigheit bezichtigt, aber ungeachtet allen Mutes ergriff ihn bei Anhörung des Strafurteils ein Zittern. In der begründeten Sorge, daß sein Schrecken, die Blässe seines Angesichts und all seine Benommenheit ihn auf der Stelle verraten könnten, zog er sich eilends in eine kleine Seitenkapelle zurück, wo ein der allerseligsten Jungfrau geweihter Altar stand. Dies war nun der von oben vorherbestimmte Zeitpunkt, wo der Stolze seine Armseligkeit, der Machtdurstige seine Ohnmacht erkennen, und der Mann, trotz vielbewiesener Tapferkeit und kühnen Wollens, zu einem Kinde werden sollte. Wie aber gemeinhin die Gnade die Natur zur Voraussetzung hat, der Glaube des Halben darum nicht selten auch halb bleibt, ein ganzes und warmes Herz sich hingegen auch ganz in den Glauben stürzt, das zeigte und bewies sich hier: indem nämlich unser Gonsalvus auf die Knie fiel, die Augen zur Mutter Gottes erhob und mit dem heißesten Vertrauen des Kindes sie anrief. Das könne nicht sein, sprach er zu ihr aus der Tiefe seines Herzens, das könne nicht sein, daß ein reuiger Sünder vor ihr vogelfrei wäre. Geächtet im ganzen Reiche des Kaisers, auf dem Erdball vom Aufgang bis zum Untergang, sei für ihn nun ihr Mutterherz die einzige bannfreie Zuflucht. Sie könne ihn nimmer verstoßen, deß sei er sicher und völlig gewiß, ihr vertraue er darum sich an. Sie werde auch keinen Feind in diese Kapelle treten lassen, niemand, der ihn erkenne.

 

Unterdessen nahm der Gottesdienst sein Ende. Nur ein paar arme Eingeborene kamen noch in die Marienkapelle, sich der Fürbitte der Jungfrau zu befehlen. Von diesen hatte Gonsalvus nichts zu befürchten, aber er betrachtete sie zum ersten Male mit anderen Augen als bisher. Indem er sie zu Maria flehen sah in ihrem einfältigen Gebete, ganz wie er selber vorhin noch gefleht und gebetet, ging es ihm auf, daß sie Menschen waren gleich ihm – sie, die er bisher nur immer von herrischer Höhe herab zu behandeln gewohnt war. Ach, dachte er, wir sind ja wirklich alle nur Kinder Mariens, alle ihrer Fürbitte bedürftig beim Ewigen Vater.

Von diesem lichten Gedanken war er absonderlich bewegt. In solcher Bewegung faßte er einen plötzlichen Entschluß, der ihn zu einem großartigen Wechsel des Lebens antrieb. Er verließ die Kirche, wanderte durch die dichten Wälder und bewohnten Täler und erreichte glücklich das Hochgebirge der Kordilleren. Dort wählte er eine Felsenhöhle zur Wohnung, wo er, mit Waldfrüchten sein Leben fristend, unter Übungen der Reue und Buße seine künftigen Wege bedachte. Bald nachher wurde er angetrieben, aus seiner Einsamkeit herauszugehen und den Indianern, in deren Sprache er schon geübt war, das Evangelium unseres Herrn zu verkündigen. Diesem schweren und gefahrvollen Werke widmete er sich mit unsäglicher Freudigkeit und ohne Achtung seines Lebens. So tapfer er ehedem gewesen im heißen Streben nach Ehre und Macht, so tapfer erwies er sich jetzt in seinem Willen, nichts anderes mehr zu sein, als Diener Christi und seiner armen indianischen Brüder. Solche Hingabe wurde bald mit wunderbarem Erfolge gekrönt; nichts aber schrieb er sich selbst zu, sondern alles der Fürbitte Marias, welche, nachdem sie ihn einstens gerettet, sich jetzt seiner bediente, um andere zu retten.

Der Ruf des gottseligen Gonsalvus – denn eben dieser ist es ja, von dem hier berichtet wird – drang bis nach Lima, der Hauptstadt des Staates Peru, wo der Vizekönig residierte. Als dieser von der herrlichen Wandlung des Geächteten hörte, beeilte er sich, ihn aus dem Bann loszusprechen; er berief ihn sogleich nach Lima, um dem ehemaligen Feinde ein hohes Staatsamt anzuvertrauen. Eingedenk aber der Hilfe Mariens und des ihr gegebenen Versprechens, schlug Gonsalvus dies Angebot aus. Die Mutter Gottes habe ihn vom alten Ehrgeiz geheilt, erwiderte er, und ihm einen neuen Ehrgeiz geschenkt, dem nachzuleben den innern Frieden nicht zerstöre.

 

Gonsalvus begnügte sich darum, den Indianern Christum zu verkünden. Als das vorgerückte Alter ihm die beschwerlichen Wanderungen verbot, wandelte er sein Versprechen an Maria, die Mutter der Kranken, in ein anderes ihr nicht minder gefälliges um, indem er beschloß, fortan in einem Siechenhause den Kranken zu dienen. Dort endete er sein gottseliges Leben. – Wer gedächte hier nicht gern jener Worte des heiligen Augustinus: »Durch Maria stieg Gott auf die Erde, und durch sie können die Menschen in den Himmel steigen.« Und augenfällig ist Maria der Weg des Gonsalvus gewesen.


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