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Maria hilft einem armen Mädchen

Den Sünder umfaßt Maria mit mütterlicher Zärtlichkeit, hilft ihm und verläßt ihn nicht, bis sie ihn mit ihrem Sohne versöhnet hat.

Der hl. Bonaventura.

Im Jahre des Herrn 1696 starb ein armer Bauersmann, eigentlich nur ein Ziegenbauer, in seiner Hütte, die auf der Schattenseite eines Hanges gelegen war. Die Hütte war windschief, und der Wohnraum der Familie nicht viel größer als der Ziegenstall.

Als dieser Bauersmann sterben mußte, da warf er vorher noch einen traurigen Blick auf Weib und Tochter. Er hatte immer gewußt, daß er arm war, aber daß er nun seinen Lieben nichts als Elend hinterlassen konnte, das tat ihm sehr weh, und er dachte bei sich: Ich habe nie etwas gehabt, und wenn ich nun fort bin, werden diese auch nichts haben. Mit der Schattenwiese und den paar Ziegen werden sie es auch zu nichts bringen. Ach Gott. –

Weil nun aber der Bauersmann hierbei nicht murrte in seinem Herzen, sondern nur eben traurig war, darum schaute die Mutter Gottes unsern lieben Herrn für diesen Sterbenden bittend an. Sie brauchte da weiter nichts zu sagen, ihr Blick sagte alles, und um unsern Bauersmann wurde es plötzlich so licht, daß er sich gar nicht mehr auskannte, und war alles so leicht – ei, was nun! dachte er, lächelte und starb.

Was denkst du, daß du so lustig bist? – fragte ihn sein Weib, aber bekam darauf keine Antwort, sondern er war tot.

 

Die Tochter dieser armen Bauernleute zählte damals achtzehn Jahre und war eine schöne Person, aber bislang hatte dieses immer zu ihrem Unglück ausgeschlagen. Gerade wegen ihrer Schönheit hatte sie nämlich noch keinen festen Dienstplatz gefunden, sondern überall schnell wieder fortgehen müssen. Kaum war sie irgendwo eingestellt, vernarrte sich der Bauer oder der Knecht in sie, und in Zürich, wo sie auch gewesen war, ein Stadtherr und sein studierender Sohn. All diese Mannsleute erhofften sich viel von ihrer Einfalt, weniger indes die Hausfrauen, denn sie jagten das Mädchen jeweilen sogleich wieder fort, ohne lang Schuld oder Unschuld zu prüfen – es war nun einmal zu schön. Zu arm aber war das Mädchen auch; denn gelernt hatte es nicht viel in der Hütte daheim, wie sollte es auch – und ein einziges Gewand nannte es sein eigen, das trug es auch schon seit ein paar Jahren auf dem Leibe. Die Zeit, sich ein anderes zu verdienen, hatte ihm die Begierlichkeit der Männer und der Haß der Hausfrauen nirgends gelassen.

Nach dem Begräbnis des Vaters waren Mutter und Tochter heimgegangen in die Hütte. Da saßen sie nun, und es sagte das verwitwete Weib: Jetzt stecken wir also allein in dem Elend. –

Nicht daß es eine böse Frau gewesen wäre, aber verbittert, und es ging ihr zuweilen die Geduld aus, dann zankte sie heftig.

Die Tochter merkte wohl, daß auch jetzt wieder etwas kommen würde, und sie sagte darum gar nichts.

Wie es nun aber so geht – den Unmut ärgert das Schweigen so gut wie das Reden, und nach einer Weile sagte die Mutter: Die Wiese dungen und die paar Ziegen futtern, das kann ich allein, willst du vielleicht das Fräulein spielen und herumsitzen? –

Laß mir doch Zeit, mir wieder eine Arbeit zu suchen! – erwidert die Tochter.

Ist das der ganze Rat, den du weißt? – rief die Mutter erregt.

Was soll ich sonst machen? –

So geh in Teufels Namen, aber bald! – schrie das jähzornige Weib.

Das war nun aber der Tochter doch zuviel, und weil sie sich keiner Schuld bewußt war, so stand sie auf und ging wortlos fort aus der Hütte.

Die Mutter blieb sitzen; denn sie glaubte nicht an diesen Abschied, sondern meinte, das Mädchen werde höchstens in die Nachbarschaft gehen und abends wieder heimkommen. Nach einiger Zeit schämte sie sich natürlich ihres unsinnigen Zornes, stand auf, tat ihre Arbeit, und des Abends wartete sie auf ihre Tochter. Aber diese kam nimmer zurück, weder des Abends noch am anderen Tag, und überhaupt nicht. In der Nachbarschaft war sie nirgends zu finden, sondern sie war fort und verschwunden.

 

Es war aber das Mädchen nach den harten Worten der Mutter über den Hügel gegangen und kam auf das freie Feld.

 

Da schaute es um sich und sagte zu sich selber: Es wachst jeder Halm auf dem Feld und die Mohnblumen mitten im Korn, es verwehrtes ihnen niemand. Ich aber steh da und weiß nicht was machen und gehöre nirgends hin auf der weiten Welt. – Und das Mädchen mußte bitterlich weinen.

Während es aber weinte, kam ein schwarzer Reiter geritten, der war dunkel von Angesicht wie aus einem fernen Land, sein Haar war so schwarz wie sein Kleid, und sein Roß war auch schwarz. Bei dem Mädchen hielt er an, und dieses wischte sich die Augen, weil es sich schämte, daß es sollte beim Weinen gesehen werden.

Der Reiter sah wohl, daß es geweint hatte. Aber als ein feiner Mann tat er, als sähe er es nicht, womit er dem Mädchen ein Gefallen erwies. Und er sagte mit weicher Stimme: Schönes Vreneli, wie freut's mich, daß ich dich eingeholt hab! – Erwidert das Mädchen: Woher wißt Ihr, daß ich Vreneli heiß? –

Ei ja – woher weiß ich? sagte der Reiter und lachte – nun, wer so schön ist wie du, muß Vreneli heißen. – Und er blitzte sie an mit seinen schwarzen Augen, daß sie ganz rot wurde davon.

Ihr seid aber nicht von hier, sagte sie, um etwas zu sagen. – Von hier und von nirgends oder von überall. Denn ich kenne mich auf der ganzen Erde schon aus. –

Ein Mann hat es ja gut, sagte Vreneli, gar wenn er sein Pferd hat wie Ihr, so ein Mann kann überall herumziehn. – Möchtest du das auch? fragte der Reiter. –

Ich hab keine Heimat mehr, erwidert das Mädchen und schwieg. –

Dann geht's dir, wie es mir geht. Laß uns also zusammenbleiben! –

Das Mädchen lachte. Da soll ich wohl neben Eurem Roß einhergehen, wie? –

Ich werde dich zu mir auf das Roß setzen, und wir wollen nach Zürich reiten, und später anderswohin. –

Ihr müßtet Euch schämen mit mir, so einem armen Ding. –

Du sollst in Zürich viel neue Kleider haben, Halsketten dazu und einen Ring mit Opal. Da wird man erst richtig sehen, wie schön du bist, denn du bist sehr schön. –

Darüber errötete das Mädchen und schwieg. Der Reiter aber zog sie an sich und hob sie vor sich aufs Pferd. Dieses ließ sie geschehen, denn sie wußte nicht wohin mit sich selber.

 

Also kamen sie selbander nach Zürich, da kaufte ihr der Reitersmann viel Kleider und Geschmeid und ging in einen stolzen Gasthof mit ihr, wo er dem Wirt seinen Namen angab als ein welscher Graf. Das Mädchen aber vergaß alles und dachte: es ist besser, als allein über Land ziehen und arm sein und dumm. Also wurde sie dieses Mannes Liebste und Schatz.

Eine Zeitlang lebten sie in Zürich, dann zogen sie in die Stadt Genf und noch weiter ins Welsche, dann wieder nach Genf, von Genf aber zurück nach der Stadt Zürich, doch litt es ihn nirgends sehr lange. Das Mädchen aber wurde gehalten in Samt und Seide, trug dazu Perlen und einen Ring mit Opal, und was sie nur wollte, bekam sie. In ihrem Kopf ward es ganz wirr, sie wußte auch kaum mehr, was sie ehedem gewesen. Einige Leute redeten sie Gräfin an. Aber sie war dieses Mannes Schatz, und sie diente seinen Lastern, obschon mit geheimer Furcht und Schauder; denn er kam ihr unheimlich vor, auch so kalt von Herzen und Blut, als sei er ein erloschenes Wesen, kein lebendiger Mensch.

 

Eines Tages aber sagte er zu ihr, sie saßen in einem Zimmer mit Essen und Trinken beschäftigt, auf silbernen Platten war alles gebreitet, und er sagte: Willst du mir aber auch treu sein? –

Da war sie verwundert, denn er hatte sie dieses noch niemals gefragt.

Willst du mir aber auch treu sein? – wiederholte er und schaute sie an, teils lächelnd teils böse.

Sie vermochte hierauf nichts zu entgegnen, so unheimlich kam er ihr wieder vor.

Indes stellte er sich, als nähme er das Schweigen gleich als ein Ja, denn er sagte: Wenn du mir treu bist, so mußt du mir treu sein mit deiner Seele, denn diese ist wichtiger als der Leib, das weißt du schon. –

Was redest du heut von meiner Seel, erwidert das Mädchen, ich wollte, du würdest nicht davon reden, denn so muß ich daran denken, was wir für ein Leben führen, auch hab ich dich niemals beten gesehen. –

Da lachte er bloß und sagte, ebendeswegen, und wenn sie ihn nicht lieb haben wolle mit ihrer Seel, so wolle er sie überhaupt nicht mehr haben, sondern er werde auf und davon reiten. Dann werde sie wieder allein sein, und gewiß wolle niemand etwas mit ihr zu tun haben. –

Sie erschrak und wollte ihn aus andere Gedanken bringen. Nein, erwidert er nur immer, die wahre Liebe, die käme nur aus der Seele, und gehöre ihm ihre Seel nicht, so wolle er gar nichts. So sagte sie endlich: ja, ja – aber sonst sagte sie nichts, obgleich sie sein Schatz war. Indes tat er, als glaube er ihr, und nahm sie beim Wort, darum ergriff er die Feder und schrieb auf ein Papier, daß ihre Seel ihm gehöre für immer – dieses, sagt er, sei jetzt ihr Liebesvertrag, und sie müßt es mit ihrem Blut unterschreiben. Das Mädchen antwortet, es habe nicht schreiben gelernt, aber es ließ doch geschehen, daß er es ritzt mit einem Messerchen, da floß ein Tropfen Blut. Den strich er unter das Geschriebene hin und sagte: jetzt gehörst du mein für immer, dein Blut ist die Unterschrift und das Siegel.

Von diesem Augenblick an aber hatte das Mädchen einen Abscheu vor ihm, und sie gedachte zu fliehen.

Alsbald wurde sie darin vollends bestärkt, denn eines Nachts war sie erwacht, er aber war fort – warum hatte sie ihn nicht gehört? – Nach einer Weile kam er wieder ins Zimmer herein, jedoch in der Weise eines Gespenstes, ohne daß die Tür sich rührte in ihren Angeln. Das Mädchen stellte sich, als ob es fest schliefe, aber vor lauter Angst betete es ein Ave Maria, das hatte es lang nimmer getan, und verlobte sich insgeheim zu Unserer Lieben Frau von Einsiedeln; wenn sie ihr den Mut gebe zur Flucht, solle dorthin ihr erster Gang sein. –

Am andern Morgen aber sagte er, nun wolle er gehen und eine Kutsche kaufen mit zweien festen Rappen, denn jetzt wolle er eine mächtige Reise mit ihr tun.

Da fürchtete sie sich noch viel mehr, und kaum war er fort, packte sie ein paar von ihren Sachen in ein Tüchel und ging aus dem Gasthof, als wolle sie nur an die Luft gehen.

Sie verließ aber eilends die Stadt Zürich und zog der Straße nach, gegen den Etzelberg hin, und sie betete in einem fort zu Unserer Lieben Frau; denn sie dachte, die liebe Mutter Gottes werde dann machen, daß der Schwarze sie nimmermehr finde.

 

Diese Hoffnung trog sie auch nicht. Und nach gar langer Fußwanderung, wobei ihr die Herzensangst nicht minder als ihre Reue und Scham viel Zähren entpreßte, kam sie über die Maßen erschöpft in dem Gnadenort Einsiedeln an.

Da warf sie sich denn auch alsogleich vor dem Heiligtum nieder, es war schon nach dem Gebetläuten, und sie war ganz verstaubt in ihrem feinen Gewand. Weil sie die Hände rang und soviel weinte, wartete auch der Sigrist noch ein wenig mit dem Schließen der leergewordenen Kirche. Endlich stand sie auf und ging fort in den Gasthof.

Im Gasthofe saßen die Pilger am Tisch, sie setzte sich auch zu ihnen hin und nahm ihr Mahl, das schmeckte ihr vortrefflicher als überall, wo sie mit dem schwarzen Manne gewesen. Andern Morgens war sie eine der ersten in der Kirche, und wieder betete sie viel, mit Tränen mehr als mit Worten, und so war es recht. Aber sie konnte sich diesen Tag noch nicht zum Beichten entschließen, welches ihr doch am meisten notgetan hätte in ihrem so gepreßten Herzen. Der Schwarze nämlich konnte ihr zwar in dem Heiligtum durchaus nichts anhaben, doch unsichtbar flüstert er ihr ein, ihre Sünde sei gar zu groß, sie habe ja den Bund mit ihm gesiegelt, mit ihrem eigenen Blute.

In dieser Unschlüssigkeit ging es noch einen zweiten und dritten Tag. Sie betete viel, aber sie konnte den rechten Mut zum Beichten nicht finden.

Am dritten Tag jedoch verlor das Mädchen, vor dem Heiligtum kniend, das Bewußtsein gänzlich und schrie laut. Jedenfalls setzte ihr der Schwarze mächtig zu. Aber in diesem armseligen Zustand erbarmte sich ihrer Unsere Liebe Mutter Gottes erst recht und sagte zu ihr: Jetzt fasse doch endlich Mut. Für mich bist du ein armes Mädchen, was du auch alles getan habest, denn ich weiß es. Sei ruhig, erwache und gehe nur hin in den Beichtstuhl – wie solltest du den Frieden sonst wieder finden! – Das Mädchen erwachte, raffte sich auf, entwand sich den Händen derer, die sie mitleidig hielten, und rannte geradewegs in die Beichtkapelle hinein. Im Beichtstuhl stürzte sie auf die Knie und rief: Helft wir, ich habe zwei Jahre dem Schwarzen gehört und hab es mit meinem Blut unterschrieben!

Nun, sagte der Beichtvater drauf, du brauchst aber nicht so zu schreien, du törichtes Kind, mir allein sollst du das sagen, die andern draußen geht es nichts an. – Er segnete sie schnell und flößte ihr ordentlich Mut ein, daß sie ihm alles erzähle. Als sie ihm aber alles erzählt hatte, da sagte er: Die Mutter Gottes hat dir geholfen, ich kann dir Gottes Verzeihung nicht weigern, aber wisse: wenn ich jetzt die Lossprechung bete über dich, so bist du los und ledig von aller finstern Gewalt. Dann aber nimmst du sogleich den allerheiligsten Leib unseres Herrn, so bleibst du gegen den Bösen gefeit, denn siehst du: Unseres Herrn Jesu Blut, das hat den Taufpakt deiner Seele mit Gott dann aufs neue gesiegelt, und mit diesem Blute ist dann deine Seele gewaschen und rein. Ja, Kind, ich will dich darum lossprechen, daß du den allerheiligsten Leib aufnehmest in dich, so wirst du glücklich und rein. Auch wird mein Gebet dich an den Altar noch begleiten. – Das Mädchen vergoß noch tausend Zähren der Dankbarkeit, und als es sich ausgeweint hatte, entließ es der Priester zum heiligen Mahle.

 

Es blieb das Mädchen noch einen Tag in Einsiedeln oben, dann zog es fort. Sodann verkaufte es alles, was es besaß, denn dieses hatte ihr der schwarze Reiter geschenkt, sie aber schenkte den Erlös dem Kaplan ihres Dorfes für die Armen. Erst dann betrat sie die Hütte ihrer Mutter.

Das arme Bauernweib aber hatte inzwischen ihren Jähzorn gebüßt und verlernt, und war über die Maßen froh, ihr verlorenes Kind wiederzusehen.

Als die Mutter verstarb, ehelichte das Mädchen einen braven Bauersmann, denn der Kaplan sagte zu ihr: Die Ehe ist heilig. Du aber hast, durch Mariä Fürbitt, Gottsohn schon selber empfangen, so bist du gewißlich jetzt wert, eines braven Mannes Weib zu sein und zu bleiben, darum gehöret einander durch sein göttliches Sakrament, Amen!


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