Karl Borromäus Heinrich
Menschen von Gottes Gnaden
Karl Borromäus Heinrich

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Das längste Gespräch

Schlagintweit, der Treubesorgte, mußte jetzt, wo der Lauf eines Schultages ihn und Baron Frangart nicht mehr zusammenführte und gemeinsame Erlebnisse ausblieben, oft lang nachdenken, bis er irgendeinen scherz- oder ernsthaften Grund fand, Jenen aufzusuchen. Der junge Baron seinerseits sehnte sich jetzt noch weniger nach Gesellschaft als bisher. Einige Male drang Schlagintweit bei ihm ein, unter dem erlogenen Vorwand, Geld entleihen zu wollen. In ein paar Tagen würde er es bestimmt wieder zurückerstatten. Er steckte das Geliehene aber nur in die Tasche, um es ungenutzt wiederbringen, also Frangart nochmals besuchen zu können. Für einen der glücklichsten Tage seines Lebens hielt er den, an welchem er auf die List kam, aus einem einzigen Darlehen drei Besuche bei Frangart herauszuschinden: nämlich den, der zum Entleihen nötig war; einen zweiten sodann, um sich zu entschuldigen, daß er es doch noch nicht, wie versprochen, zurückgeben könne; einen dritten endlich, um das Geborgte heimzuzahlen.

Frangart gab bei seiner Ankunft niemals ein Zeichen des Unwillens; aber, wie schon öfters gesagt, nur selten ließ er sich verleiten, mehr als die Höflichkeit gerade erforderte, zu sprechen. »Sie sind zu beneiden, Schlagintweit,« sagte er eines Tages, als ihm dieser von seinen philosophischen Studien an der Universität erzählte. »Sie sind zu beneiden um Ihre Freude am Denken, am Philosophieren.« – »Aber was tun Sie, Herr Baron, wenn Sie die viele Zeit allein im Zimmer sitzen oder spazieren gehen. Ich vermute, daß Sie da auch denken, wahrscheinlich mehr als ich, der ich immer mit dem Leben zu tun habe.« – »Im Gegenteil!« erwiderte der Baron, »ich bemühe mich möglichst wenig zu denken und habe überhaupt sehr wenig Lust dazu.« – »Wieso?« erlaubte sich Schlagintweit zu fragen. – »Nun, überlegen Sie einmal, wieviel Dinge von vornherein für mich wegfallen, die Sie sehr oft beschäftigen, zum Beispiel Sorgen um das äußere Leben in Gegenwart und Zukunft; dann so vieles, was Sie aus Liebe zu Anderen denken und tun; auch die und jene Ihrer Passionen, denen Sie gerecht werden müssen.« – »Aber von alledem abgesehen steht das eigentliche Denken, das Philosophieren Ihnen so offen wie mir, ja noch mehr, da Sie nicht abgelenkt werden.« – »Ach, Schlagintweit!« versetzte der Baron abwehrend, »ich habe die bestimmte Gewißheit, daß der größte Teil allen Philosophierens von der Not des Lebens und des Herzens ausgeht und sich konkret oder abstrakt mit ihr beschäftigt. Wo diese Nöte fehlen, bleiben auch viele Anlässe zum Philosophieren aus ... Und dann habe ich ja meinen Glauben,« setzte er mit Nachdruck hinzu. – »Ja schon – aber gerade das müßte interessant sein, zu untersuchen, nachzuforschen, inwieweit der Glaube philosophisch begründet werden kann, sich mit der profanen Erkenntnis deckt und inwieweit nicht.« – »Das überlasse ich den Leuten, die den Glauben nicht haben.« – »Verzeihen Sie, Baron, wenn ich diesmal hartnäckig bin! Warum beschäftigen Sie Sich nicht mit einer Untersuchung, warum andere den Glauben nicht haben?« – »Das hieße Gott fragen, warum Er gegen mich gnädig war und gegen die Andern nicht. Gott weiß das, und es wäre eine Vermessenheit, Ihn danach zu fragen. Ich habe schon immer die Überzeugung gehabt, daß zuviel Denken oder Philosophieren unanständig, ein Zeichen von Armut ist und hauptsächlich bei Revolutionären vorkommt.« – »Ach ja, Sie haben recht, und jetzt weiß ich, warum ich ein so illoyaler Mensch bin,« rief Schlagintweit verzweifelt aus und schwieg.

»Nein!« sagte Baron Frangart nach einer Weile mit erhobener Stimme, »nein, bei Ihnen ist das nicht so. Sie müssen viel denken, weil Sie ein weiches Herz haben, das jedenfalls immer von den Andern mißbraucht wird. Natürlich nötigt Sie das zum Denken. Und wenn Sie sonst noch denken, tun Sie es, weil Sie den Glauben verloren haben und ihn wiederfinden wollen, wenn nicht den gleichen, so doch irgendeinen.« – »Woher wissen Sie das, Baron?« – »Ich weiß nicht woher, ich habe nie darüber nachgedacht. Ich weiß sogar, daß es Ihnen Kopfzerbrechen schafft, wenn jemand von Ihrem Herzen überhaupt keinen Gebrauch machen will, wie ich zum Beispiel meistens ...,« sagte Baron Frangart lächelnd. »Ja, an Ihnen ist Hopfen und Malz verloren!« rief Schlagintweit, aus Notwehr scherzend, um seine Rührung zu verbergen. Aber sogleich bereute er den ungeschickten vertraulichen Ton, der dieses einzige längere Gespräch, das er mit Baron Frangart geführt hatte, zu einem zweifellos inconvenablen Abschluß brachte.


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