Hermann Heiberg
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Hermann Heiberg

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Was du nicht willst –

Mit hartem, trotzigen Gesicht stand die Bäuerin Meta Regelsen in dem niedrigen Wohnzimmer des städtisch aufgebauten Bauernhauses und hörte, was ihr Mann sagte.

Immer war's, wenn sie Streit miteinander hatten, um »seine Mutter«, die weiter unten im Dorf auf einem großen Witwenbesitz allein mit zwei unverheirateten Töchtern wirtschaftete, früh mit der Sonne aufstand, nach dem Rechten sah und sich als letzte abends ins Bett legte. Dabei war sie, wie keine, brav, gerecht und gut. Aber weil sie etwas von einer Mannesnatur in sich hatte, nahm sie weder im Reden ein Blatt vor den Mund, noch ließ sie sich etwas von dem abhandeln, was sie als recht und vernünftig erkannt. Und diese meist kurze Art und diese Gradheit in dem Wiedergeben ihrer Meinung gefiel Meta, die schon etwas vom Leben kennen gelernt, und weil sie in städtischen Schulen aufgezogen war, in ihrer Bildung über der Tadlerin stand, durchaus nicht.

Ihre Schwiegermutter sollte sich um ihre eigenen Kochtöpfe bekümmern, sie wollte schon mit ihrem Hauswesen fertig werden!

Bald hatte die alte Frau an den Kindern etwas zu mäkeln, bald gestattete sie sich ein Urteil über Metas Wirtschaft, ihre Kleidung, ihre Gewohnheiten und Geldausgaben. Für Überflüssiges hatte die alte Frau nun einmal ebensowenig Sinn, wie für bequemes Leben und Hang zum Vergnügen. »Willst du einen guten Wochenschluß,« pflegte sie zu sagen, »so mußt du einen guten Anfang geben! Man soll nicht vergessen, daß man auch den nächsten Tag noch gesund, fröhlich und zufrieden sein will.«

Heute handelte es sich um den bevorstehenden siebenzigsten Geburtstag der alten Frau, und der Bauer, ein liebevoller Sohn, der zum äußersten Verdruß der Bäuerin täglich bei seiner Mutter vorsprach, hatte den Wunsch ausgesprochen, daß dieser besonders gefeiert werde. Die beiden Kinder, Anna und Peter, sollten ein vom Schulmeister verfaßtes Gedicht hersagen, er selbst wollte in der mondhellen Nacht das ganze Haus der Alten bekränzen, und seine Frau sollte, nach der bereits seit vielen Wochen andauernden Verstimmung, das erste Wort geben und wieder im Weidenhof unten erscheinen.

Aber Meta Regelsen wollte davon nichts hören. Er und die Kinder möchten thun, was sie wollten, sie aber beträte das Haus nicht eher wieder, als bis die Alte auch ihrerseits sich zur Schuld bekenne und ihre damals gemachte Äußerung zurücknähme. Die alte Frau hatte gesagt: »Ihr fehle die rechte Liebe und die rechte Religion, wenn sie ihrem Mann verwehren wolle, seine alte Mutter so oft zu besuchen, wie er darnach Verlangen habe.«

»Mutter ist bisweilen etwas schroff und wägt nicht jedes Wort,« entgegnete der Bauer. »Sie hat damit doch nur Deine Eifersucht tadeln wollen. – Gieb nach, Meta! Wer weiß, wie lang wir sie noch behalten. Es ist doch nun mal meine Mutter und eine gute, brave Frau, die niemandem zu nahe treten will. Auch Dir nicht! Ich weiß, sie hält viel von Dir, schätzt Deine guten Eigenschaften hoch und ist nur betrübt, daß Du so engherzig über meinen Verkehr mit ihr denkst.«

»Wenn Deine Mutter etwas von mir hielte, dann würde sie sich auch in meine Lage hereinversetzen. Sie hätte, als sie heiratete, es auch nicht gemocht, daß ihr eine andere immer Lehren gegeben und sie hingestellt hätte, als wüßte und könnte sie nichts. Ich bekümmere mich ja auch nicht um ihre Wirtschaft.«

»Na, das ist doch etwas anderes,« wagte Peter Regelsen einzuschalten, »sie hat die lange, reiche Erfahrung für sich. Wir Jungen müssen noch viel lernen. Man lernt aber erst aus der Praxis.«

»Es ist mir grade, als ob ich Deine Mutter sprechen hörte!« warf die Frau gereizt hin. »Alles, was sie thut, ist herrlich! Was ich thue, dafür habt ihr beide nur Tadel. Sie hat Dich ganz in der Tasche. Wenn du ein Mann wärest, so würdest Du deine Frau in Schutz nehmen. Aber Du hängst noch wie ein Knabe an ihrer Schürze, und was das Demütigendste für mich ist, alles besprichst Du mit ihr. Ich bin zu dumm. Weshalb hast Du mich eigentlich geheiratet?«

»Aber Meta!« mahnte der Bauer sanft, trat seiner Frau näher und wollte sie umarmen. Sie aber stieß ihn unsanft zurück, und in ihren Zügen erschien ein Ausdruck von trotziger, mit Haß gegen die alte Frau vermischter Auflehnung.

Doch nun war's auch mit des Bauern Sanftmut am Ende!

»Du solltest Dich schämen!« stieß er heraus und die blauen Augen funkelten zornig. »Und merke Dir, ich habe seit Monaten das alles ertragen, habe dir kein böses Wort gesagt, nur immer wieder gebeten, daß du zur Einsicht kommen und mit meiner Mutter Frieden schließen möchtest. Jetzt aber verlange ich es ohne Widerrede. Entweder gehst Du morgen mit hinüber zum gratulieren, – besondere Worte brauchst Du nicht zu sagen, in Deinem Kommen liegt schon das, warum es sich handelt – oder einer von uns verläßt den Hof. – Ich denke aber, wir wollen darum nicht würfeln.

Du gehst und ich bleibe, wenn Du Dich nicht fügen willst. Dein Vater wird die Thür nicht vor dir abschließen. Vergiß aber nicht zu sagen, weshalb dein Mann dich zurückschicken mußte.«

»So kann ich ja gleich meine Sachen packen!« hauchte die Frau in besinnungsloser Leidenschaft. »Und ich will's auch! Ich habe gedacht, ich würde Dich heiraten, nicht aber Dich und Deine Mutter und noch dazu ihre Magd sein! Ich habe es satt, ein solches Leben weiterzuführen! Sobald Anna und Peter aus der Schule kommen, räume ich das Feld.«

»Anna und Peter? Was haben die damit zu schaffen?« fiel der Bauer mit unheimlich wirkender Ruhe ein. In sein Angesicht trat ein Ausdruck unbeugsamer Entschlossenheit. Seine Mienen nahmen einen so kalten Ausdruck an, daß die Frau trotz ihres kochenden Blutes zusammenfuhr.

Dennoch siegte der Aufruhr in ihrem Innern.

»Die Kinder nehme ich mit mir. Ich brauche nicht zu fragen, bei wem sie bleiben wollen; wenn aber, so wirst Du hören, was sie sagen.«

»Es wird nicht gefragt, und ich will nichts hören! Anna und Peter bleiben hier! Morgen haben sie drüben ihrer Großmutter zu gratulieren, und das ist zudem so wichtig, daß alles andere zurücktritt.«

Der Bauer sprach's eisig, die Worte so wählend, damit er seine Frau um so empfindlicher herabdrücke.

Einen Augenblick fuhr's ihr sengend durch Herz und Gemüt. Sie wußte, wenn sie jetzt auf ihren Mann zueilte und sich versöhnlich an ihn schmiegte, daß alles vergessen sein, daß er sie mit dem alten Gefühl der Liebe wieder aufnehmen werde. Von diesem Augenblick hing ab das alte selige Glück oder eine Zeit voll Thränen, Schmerz und Reue!

Aber da er nun eben sich zu der Kommode wandte und einen Knäuel Bindfaden hervorholte, das er für die Kränze verwerten wollte, die nachmittags für die alte Frau gebunden werden sollten, als sie dadurch an die, welche sie haßte, wieder erinnert wurde, siegte die Leidenschaft über ihre Liebe und den Drang nach Versöhnung.

Mit einem gefühllosen Ausdruck sich zu ihm wendend, stieß sie heraus: »Na, dann ist's also entschieden! Ich verlasse das Haus. Gleich mache ich mich an's Packen. Und damit es schneller geht, kann Klas anspannen und mich nach Ellerup fahren. Oder sind die Braunen zu schade?«

Er warf ihr erst einen verächtlichen, dann einen unsagbar traurigen Blick zu. Aber er sagte nicht nein und er hinderte sie nicht. Er nickte, und jeder ging seines Weges. – –

* * *

Der folgende Tag brach in sonniger Schönheit an. In der Nacht hatte Peter mit den Knechten die hohe, dreieckige Giebelwand und die Thür in dem alten, mächtigen Bauernhause bekränzt, und gegen Mittag wanderte er mit den beiden festlich geschmückten Kindern, die große Blumensträuße in den Händen trugen, hinüber.

Das halbe Dorf hatte sich bei der alten Frau versammelt, und voll stiller Freude nahm die Greisin all die Beweise der Verehrung und Liebe entgegen. Als aber nun auch ihre kleinen Enkel mit ihren unschuldigen Gesichtern eintraten und ihre Gedichte hersagten, strahlten ihre Mienen, und zulegt stahlen sich Thränen der Rührung in die alten Augen. Immer von neuem liebkoste sie ihre Lieblinge, und erst dann erhob sie den fragenden Blick zu ihrem Sohne und forschte nach der Schwiegertochter.

Sie käme am Nachmittag und später auch zum Abendessen, erklärte Peter. Sie ließe grüßen und alles Schöne wünschen. Sie habe gestern eine Botschaft von ihrem Vater aus Ellerup erhalten, daß sie dort notwendig sei. Sie wäre schon gestern dahingefahren.

Erst beherrschte die Frau etwas Mißtrauen. Als sie aber den vor der Welt aufgesteckten unbefangenen Mienen ihres Sohnes begegnete, schwand nicht nur jeder Argwohn, sondern ihre Züge verklärten sich. Wenn Meta kam, war ja auch diese Sorge von ihr genommen. So war's heute ein doppelt herrlicher Tag!

Aber als all die Gäste gegangen, die Bauern und Bauerfrauen, die Hofbesitzer aus der Nähe, auch der Gutsherr mit seiner Familie von Flut – so hieß das Dorf und so hieß dessen Besitz – endlich auch die Armenhausinsassen – letztere gleich heute beschenkt – das Haus verließen, nahm der Mann seine Mutter beiseite, führte sie in den Garten bis zur alten Lindenlaube, setzte sich dort nieder und sagte ihr alles, wie's war.

Es schnitt ihm in die Seele, ihr grade heute ein solches Weh bereiten zu müssen, aber sie durfte nicht aus fremdem Munde erfahren, was geschehen war. Er wußte auch, sie hatte ein starkes Herz, und zudem pflanzte er die Hoffnung auf, daß sie, die seit seiner Knabenzeit allezeit in der Not Rat geschafft und Trost gespendet, sein krankes Gemüt besänftigen, gar etwas zu sagen wissen werde, das die Beschwerung seines Innern in wiederkehrendes Vertrauen auf die Zukunft verwandeln könne.

Die alte Frau saß, nachdem Peter geendet hatte, eine längere Weile regungslos da. Ein Ausdruck tiefen Kummers, der sie plötzlich um viele Jahre älter erscheinen ließ, haftete in ihren Zügen. Zuletzt sank das Haupt langsam herab, und schwere Thränen lösten sich aus ihren Augen.

Von seinem mitleidigen Gefühl hingerissen, beugte sich der Sohn zu seiner Mutter herab, küßte ihre Wangen und streichelte ihre Schultern. »Laß Dich's nicht zu sehr bekümmern,« bat er zärtlich. »Es ist ja nichts gegen Dich. Es ist ihre alte, böse Eifersucht, die nicht weiß, was sie thut. Ich denke, sie wird sich besinnen, alles wird noch gut werden. Nur daß ich Dir heute das anthun muß, macht mir viel Gram!«

Statt Trost zu nehmen, teilte er ihn aus. Sein Herz zuckte, da er sie so traurig sah.

Peter Regelsen war ein selten warmherziger Mensch. Nur wenn das Maß seiner Güte gemißbraucht wurde, verhärtete sich sein Sinn. Sie, seine Frau, hatte den Bogen zu straff gespannt.

Nachdem sich die alte Frau allmählich von dem Schmerz der Enttäuschung erholt hatte, sagte sie fest und mit wieder verändertem Ausdruck: »Wir wollen heute alles beiseite legen, was uns Herzeleid giebt, mein Junge! Grübeln macht's nicht besser, nur handeln kann's ändern. Und handeln wollen wir am nächsten Tage! Ist Deine Frau morgen nicht zu ihren Kindern zurückgekehrt, fahre ich nach Ellerup. Also hoffe auf einen guten Wochenschluß, wenn's auch ein schlechter Anfang war!«

»Was, Mutter, das willst Du thun? Ach, meine liebe, meine gute Mutter,« rief der Mann und sank, von Rührung bezwungen, neben seiner Mutter nieder.

Eher hatte er gedacht, daß die großen Weidenbäume sich in Rosenstöcke verwandeln könnten, als daß seine Mutter mit ihrem unbeugsamen Sinn sich zu einem solchen Schritt verstehen werde.

Aber sie antwortete ihm nur durch den Blick ihres Auges. In ihm schwamm nichts als Liebe, heiße Liebe.

* * *

Peter Regelsen verlebte eine schwere Nacht. Er schlief nicht. Und als der Morgen anbrach, wanderte er unruhig auf dem Gehöft umher, sah in den Stall und nach dem Gesinde, stieg in die Milchkammer und lief durchs Haus, endlich aufs Feld und dann wieder zurück, wo ihm seine Kinder entgegentraten und nach der Mutter fragten.

Und nachdem er ihnen eine Antwort gegeben, an die er selbst nicht glaubte, verzehrte er das Frühstück, ohne zu wissen, was er genoß, und als dann der Postbote vorüberkam und nichts brachte, und als abermals mehrere Stunden vergingen, ohne daß sich erfüllte, was er erhoffte, eilte er das Dorf hinab zu seiner Mutter.

Er hatte mit ihr verabredet, daß seinen Schwestern von Metas Fortgang nichts gesagt werden sollte. Am Tage vorher hatte er erklärt, es müsse wohl etwas Besonderes vorgefallen sein, das sie länger in Ellerup zurückhalte.

Eine Stunde später setzte sich die alte Frau in ihren kleinen, offenen Stuhlwagen, äußerte gegen ihre Töchter, daß sie in der Stadt etwas mit dem Justizrat zu besprechen habe, und fuhr, noch ein Stück von Peter begleitet, davon. Von Flut nach Ellerup hatte man fast anderthalb Stunden einen einsamen, zwischen Wällen eingeschlossenen Weg zurückzulegen. Heute war die Landschaft besonders unbelebt. Es lag etwas Ausgestorbenes über den Feldern; die sonnenlose Luft verhieß durch ihre unheimliche Unbeweglichkeit ein vor dem Ausbruch stehendes Gewitter.

Die Vögel flogen unruhig hin und her, und nach dem Herabfallen einzelner Regentropfen ertönte plötzlich, gleichsam als Einleitung zu dem Gewaltigen, was der Himmel barg, ein furchtbarer Donnerschlag.

Die beiden Schwarzen fuhren zusammen und rissen wie besessen an dem Wagen, und erst im Dorf, als die Frau sich dem Besitz des alten Klüver, des Vaters von Meta, nähere, hatte der Kutscher sie ganz wieder in seiner Gewalt.

Nachdem Frau Regelsen vom Wagen gestiegen war, verständigte sie letzteren, nach dem Krug zu fahren, und nahm selbst, jetzt auch von starkem Regen überrascht, die Schritte nach dem etwas zurück liegenden, von dem alten Klüver, einem Sonderling und früheren Kornhändler bewohnten Hause.

Vor dem sechsfenstrigen, mit einem Giebelausbau versehenen, mit Epheu bewachsenen Gebäude standen alte Bäume, die es ganz verdüsterten.

Ein eigentümlich beklemmendes Gefühl ergriff die alte Frau, als sie die Hand auf die Thürklinke legte.

Wie's draußen in der Landschaft gewesen, so war's auch im Dorf und hier vor dem Hause.

Alles schien tot! Niemand ließ sich sehen, kein Laut ward vernehmbar, kein Federvieh gackerte, kein Hund bellte.

Sie betrat den Flur und klopfte. Keine Antwort. Jetzt auf der andern Seite. Nichts rührte sich. Sie öffnete. Die Stuben waren leer. Nun beschritt sie den Gang und sah in die Küche.

Abermals nichts! Auf dem Herd keine Spur von Asche, geschweige Feuer.

Von zunehmendem Unbehagen ergriffen, trat sie zuletzt, ohne Anklopfen, hinten in des alten Mannes Schlafstube. Und dann prallte sie entsetzt zurück, – er lag, eine Leiche, im Bett. – Sie wußte aus ihrem langen Leben, wie Tote aussehen. Dennoch rief sie ihn, das Grausen bemeisternd, an, trat näher zu ihm, aber sah, daß sie sich nicht getäuscht hatte.

In diesem Augenblick fuhren Blitz und Donner mit einer Gewalt um das Haus, als ob sie es mit einem Schlage zerstören wollten, und unwillkürlich drückte die erschrockene Frau die Hand auf's Herz.

Dann aber floh sie hinaus, und erst nach einigem Besinnen raffte sie sich auf und schwankte die Treppe empor, klopfte gleich links, wo früher Metas Zimmer gewesen, schrak aber heftig zusammen, als ein unruhig stöhnender Laut aus dem Innern hervordrang.

Und auch hier wich sie beim Öffnen wie erstarrt zurück. Auf dem Bett, von dem die Decke halb herabgeglitten, lag ihre Schwiegertochter, irren Auges, niemanden erkennend. aber unter wirren Reden nach Wasser stöhnend.

Und nachdem die alte Frau dann mit todesbetrübtem Herzen, ohne Fragen, weil alles klar durchschauend, die Kranke bequemer gebettet hatte, eilte sie hinab, um das Verlangte herbeizuschaffen, und nachdem das und anderes, was notwendig, geschehen, machte sie sich, dem entsetzlichen Unwetter trotzend, nur von dem Gedanken erfüllt, ihrer Pflicht zu genügen, nach dem Dorf auf, um Hülfskräfte für den Toten und die Schwerkranke zu holen.

Aber es wartete ihrer noch Grausigeres. Als sie eben aus der Thür trat, fiel der Blitz, gleichsam vom Himmel tückisch herabgesendet auf diesen Punkt, ins Strohdach, entzündete es im Nu lichterloh und gab der Frau nur eben noch Zeit, nochmals die Treppe empor zu keuchen.

Atemlos erreichte sie das Bett ihrer Schwiegertochter, hob die Kranke empor, sprach mit liebevollen Worten auf sie ein und beschwor sie, sich zu erheben, sich anzukleiden, das brennende Haus zu verlassen. Schon drang ein brenzlicher Geruch, schon drang Rauch vom Dachstuhl in die Giebelstube.

Erst hörte die Frau dem allen teilnahmslos und wieder irres Zeug sprechend, zu. Auch war sie so schwach, daß sie sich kaum aufrecht zu halten vermochte. Als aber die Alte nochmals auf sie einredete: »Erkenne mich doch, mein Kind! Sieh, wer ich bin, Deine Mutter; es handelt sich ums Leben. Das Haus brennt. Raffe Dich auf! Unten kannst Du Dich ankleiden. Rasch!« kamen scheinbar Vernunft und Besinnung wieder über sie.

Mit einem Ausdruck von Angst und jähem Erschrecken sah sie Frau Regelsen an, ließ sich aus dem Bette heben und schwankte, von der alten Frau gestützt, die Treppe hinab.

Hier angekommen, schrie sie aber jählings wieder auf, schlug um sich, sank zusammen und phantasierte in schrecklicher Weise. Und daneben stand, händeringend, hilflos, verzweifelt, die unglückliche Frau. Das Haus brannte lichterloh. Noch wenige Augenblicke in dem quälenden, die Luft abschneidenden Rauch – dann wäre es ans Leben gegangen –!

* * *

Nach diesen Geschehnissen war eine Reihe von Wochen verstrichen. Der alte Mann war längst begraben, und Frau Regelsen, die ihre Schwiegertochter, welche damals ihren Vater, vom Schlage gerührt, tot im Bette gefunden, und von so viel Herzensweh auf einmal betroffen, sich selbst hingelegt und einem Nervenfieber erlegen war, fast acht Tage mit größter Aufopferung Tag und Nacht gepflegt, war ebenfalls längst zurück und wirtschaftete, wie ehedem, in ihrem Hause.

In dem großen, kühlen Gemach, in das man Meta nach dem Brande gebettet hatte, lag sie noch heute. Und eben heute brach sie zum ersten Male das von ihr nach dem Schwinden der wirren Phantasieen beobachtete starre Schweigen und richtete an die alte Wärterin, die mit einem Strickzeug am Fenster saß und geduldig auf ihr Erwachen wartete, Fragen, die sich nicht, wie bisher, lediglich auf ihre Krankheit bezogen.

»Welchen Tag haben wir heute, Frau Mangels?«

»Montag, Frau Regelsen, Montag,« erwiderte die sauber gekleidete Alte, sich eilfertig emporraffend.

»Hm – wie lange bin ich eigentlich krank gewesen?« fuhr sie nach einer Weile fort.

»Fast fünf Wochen, Frau Regelsen. Übermorgen werden's fünf Wochen, daß Ihre Schwiegermutter Sie hierher nach dem Großbauer Paul Engel trug und in's Bett brachte.«

»Meine Schwiegermutter?« stieß die Frau in höchster Überraschung heraus, und die bereits wieder sanft geröteten Wangen erblaßten.

»Wo kam sie denn her –?«

»Ja, ich weiß nicht –« setzte die Frau ausweichend an. Sie sah, welchen Eindruck ihre Mitteilung hervorgerufen, und sie erinnerte sich der strengen Weisung des Arztes, die Kranke durch nichts aufzuregen. Er hatte darauf bestanden, daß selbst die Schwiegermutter sich still wieder entferne, nachdem die Gefahr vorüber, daß auch der Mann sich nicht, daß überhaupt niemand sich zeige. Er wollte erst ihren geistigen Zustand beobachten. Täglich war von ihm Nachricht nach Flut gesandt und Besserung berichtet, aber immer noch der Kranken auffallende Schweigsamkeit von ihm betont worden. –

Aber Meta Regelsen erwiderte mit klarem Auge und fester Stimme: »Sie können mir alles sagen, Frau Mangels. Ich wünsche es sogar. Nicht wahr, ich lag in unserm Wohnhause? – Mein alter Vater ist tot und begraben –?«

»Ja, er liegt auf dem Kirchhof. Das ganze Dorf war mit, Frau Regelsen. Ein großes Begräbnis. Alle waren dabei.«

»Auch mein –?«

Doch die Kranke sprach den Satz nicht aus. Sie wollte nach ihrem Mann, nach ihren Kindern fragen.

»Und meine, meine Schwiegermutter wo kam die her?«

»Sie trug Sie aus dem brennenden Hause. Es brannte, weil der Blitz eingeschlagen hatte, und sie kam gerade von Flut, um Sie zu besuchen. Da fand sie Sie im Bett schwer krank. Über acht Tage hat sie Tag und Nacht bei Ihnen gewacht –.«

Mit wechselndem Ausdruck hatte Meta Regelsen zugehört. Jetzt holte sie, wie von einem schweren Druck erlöst, tief Atem. Ein milder, glücklicher Ausdruck trat in ihre Züge.

»S–o–so– –« stieß sie weich heraus. Nur diese Worte sprach sie.

»Etwas zu trinken, geben Sie mir, Frau Mangels! Ich danke Ihnen – – Sagen Sie – sagen Sie – haben Sie – einmal – meinen Mann gesehen – meine Kinder?«

»Ja Frau Regelsen! Herr Regelsen war viel hier während Ihrer Krankheit, meist jeden Tag, und die Kinder brachten noch vorgestern allerlei: Hühnersuppe, Wein, Äpfel und die Blumen, die hier auf dem Tisch stehen –« Die Sprecherin ward unterbrochen. Ein stockender Ton drang aus der Kranken Kehle. Ihre Gesichtszüge veränderte sich wie bei einem Kinde, und die Thränen der Rührung, brennender Sehnsucht und Liebe traten in ihre Augen.

»Ach – die süßen, lieben Dinger – – Kommen sie denn nicht mal her – zu mir, Frau Mangels?«

»Der Arzt wollte nicht, daß Sie aufgeregt werden sollten. Alle sollten wegbleiben, bis Sie ganz klar wären. Ach, ich darf nun gewiß nicht mehr sprechen, Frau Regelsen, bitte fragen Sie nicht mehr! Halten Sie sich recht ruhig, dann können Sie bald aufstehen –« Die Kranke nickte sanft. »Geben Sie mir einmal den kleinen Spiegel von der Wand her!«

»Gern, Frau Regelsen! Aber ich sags' gleich. Sie sehen noch man was blaß aus.«

Ein wehmütiger Ausdruck erschien in Metas Zügen, als sie ihr abgezehrtes, einst so blühendes Angesicht vor sich sah.

»Ach, jetzt ist es schon ganz schön. Schrecklich waren Sie herunter –« plauderte die Alte. »Die ersten acht Tage, die waren ganz bös. Immer wollten Sie aus dem Bett, aber Frau Regelsen hielt fix aus. Sie war wirklich ein Engel.«

Die Kranke sagte nichts, aber sie schob sich wieder in die Kissen zurück, legte die Hände zusammen und blickte grad aus, als ob sie ein Gelübde spräche.

Den folgenden Tag hatte sie, völlig klaren Geistes, ein Gespräch mit dem Landarzt, einem alten warmherzigen Manne, dessen Gesicht förmlich strahlte, als diese wahrhaft überraschende Wendung in dem Befinden der Kranken sich zeigte. Er sah, daß er das rechte getroffen, daß er ein Menschenleben, einen Körper und eine Seele, gerettet hatte. Und was sie ihm vortrug, dazu nickte er mit freundlich beipflichtenden Mienen, ja, was sie ihm sagte, bewegte ihn solchergestalt, daß er sanft über ihre Wangen strich, als habe er eine Unmündige vor sich.

Und dann kam der Wochenschluß. Meta war schon seit mehreren Tagen wieder aufgestanden und hatte unter den Gartenbäumen die milde Sommerluft eingesogen. Am Sonnabend morgen erhob sie sich sogar um die gewöhnliche Zeit, hatte Kräfte, zu ordnen und zu packen, war zwar noch etwas durchsichtig in den Farben, aber hatte so leuchtende lebensfrohe, hoffnungsvolle Augen, daß es eine Freude war, das schöne Weib anzusehen. Und als der Spätnachmittag kam, fuhr ein Wagen vor, und die Frau setzte sich, nachdem sie Frau Mangels Schweigen auferlegt, hinein und ließ sich bis an die Grenze des Dorfes Flut fahren, beschritt einen einsamen Feldweg, der sie bis an ihr eigenes Haus führte, und gelangte – vom Zufall begünstigt – unbeobachtet auf den Hof.

So still, so friedlich war's! Nur aus dem Schornstein wälzte sich eben, gradlinig emporsteigend, der Rauch und verteilte sich langsam in der regungslosen Luft. Leise trat die Frau – nun aber mit klopfendem Herzen – an eines der Hinterfenster und schaute hinein. Und da sah sie, was sie sehen wollte, ihre Kinder, die eben zu Bett gebracht wurden, und ein solches Sehnsuchtsgefühl stieg auf in ihrem Innern, daß sie an sich halten mußte, um nicht hinzustürzen und sie an ihre Brust zu drücken.

Dann aber entwich sie, beschritt denselben Weg hinter hohen Dorngebüschen und erreichte nach zehn Minuten den Weidenhof. –

Im Weidenhof saß im Halbdunkel in ihrem großen Stuhl, neben dem Fenster, die alte Frau und wartete, daß ihre beiden in der Küche beschäftigten Töchter zum Essen ansagten. Peter war noch im Garten und plauderte über den Zaun weg mit dem Nachbar.

Nun eben hörte sie an der Thür klopfen und erhob, aus ihrem Sinnen aufgestört, arglos das Haupt.

Es erschien jemand in der Öffnung, eine Frau, nur an der Gestalt, nicht von Angesicht erkennbar.

»Ja, bitte? Wer ist da? Sind Sie's liebe Maas? Sie bringen wohl den Kuchen für meine Schwiegertochter?« setzte die Alte mit ihren Augen das Dunkel durchforschend, an.

Doch erfolgte keine Antwort. Aber die, welche eingetreten, war plötzlich an der Sprechenden Seite, und ebenso plötzlich sank sie neben ihr nieder, drückte den Kopf an deren Schoß und küßte, tief aufstöhnend, ihre Hände. Aber auch Thränen fielen darauf, und zu der alten Frau, deren Brust ein seliges Gefühl durchrauschte, drangen die Worte: »Da bin ich, Deine Tochter, die viel an Dir gesündigt hat. Nimm mich wieder an, Du und Dein Sohn –«

»Mein Kind, mein liebes, gutes Kind!« flüsterte die Frau und beugte sich herab, als ob ihr alles geworden, was es an Glück geben konnte hier auf Erden. Sie herzte und streichelte Meta immer von neuem. Aber als sie dann eben mit Fragen zu der sich wieder Emporrichtenden anheben wollte, trat Peter, hinter ihm die Schwestern, mit Licht in der Hand, in die Wohnstube, sah, wer da war und riß die Wiedergekehrte stürmisch an sein Herz.

Nun war die aus eigenem Antriebe gekommen, welche schon während weniger Tage selbst den Schmerz erprobt hatte: von ihren Kindern getrennt zu werden, sie nicht zu sehen, von ihrer Liebe nicht berührt zu werden – –

 


 


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