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Kunst und Wissenschaft als Auflösung des Mittelalters

Der Himmel des Geistes klärt sich für die Menschheit auf. Mit der Beruhigung der Welt zur Staatsordnung, die wir gesehen, war noch ein weiterer, konkreterer Aufschwung des Geistes zur edleren Menschlichkeit verbunden. Man hat das Grab, das Tote des Geistes, und das Jenseits aufgegeben. Das Prinzip des Dieses, welches die Welt zu den Kreuzzügen getrieben, hat sich vielmehr in der Weltlichkeit für sich entwickelt: der Geist hat es nach außen entfaltet und sich in dieser Äußerlichkeit ergangen. Die Kirche aber ist geblieben und hat es an ihr behalten; doch auch in ihr ist geschehen, daß es nicht als Äußerlichkeit in seiner Unmittelbarkeit an ihr geblieben, sondern verklärt worden ist durch die Kunst. Die Kunst begeistert, beseelt diese Äußerlichkeit, das bloß Sinnliche mit der Form, welche Seele, Empfindung, Geist ausdrückt, so daß die Andacht nicht bloß ein sinnliches Dieses vor sich hat und nicht gegen ein bloßes Ding fromm ist, sondern gegen das Höhere in ihm, die seelenvolle Form, welche vom Geiste hineingetragen ist. – Es ist etwas ganz andres, wenn der Geist ein bloßes Ding, wie die Hostie als solche, oder irgendeinen Stein, Holz, ein schlechtes Bild vor sich hat oder ein geistvolles Gemälde, ein schönes Werk der Skulptur, wo sich Seele zu Seele und Geist zu Geist verhält. Dort ist der Geist außer sich, gebunden an ein ihm schlechthin andres, welches das Sinnliche, Ungeistige ist. Hier aber ist das Sinnliche ein Schönes und die geistige Form das in ihm Beseelende und ein in sich selbst Wahres. Aber einerseits ist dies Wahre, wie es erscheint, nur in der Weise eines Sinnlichen, nicht in seiner ihm selbst gemäßen Form; und anderseits, wenn die Religion die Abhängigkeit sein soll von einem wesentlich außerhalb Seienden, von einem Ding, so findet die Art Religion im Verhältnis zum Schönen nicht ihre Befriedigung, sondern für eine solche sind ganz schlechte, häßliche, platte Darstellungen das ebenso Zweckmäßige oder das vielmehr Zweckmäßigere. Wie man denn auch sagt, daß die wahrhaften Kunstwerke, z. B. Raphaels Madonnenbilder, nicht die Verehrung genießen, nicht die Menge von Gaben empfangen, als vielmehr die schlechten Bilder vornehmlich aufgesucht werden und Gegenstand der größeren Andacht und Freigebigkeit sind; wogegen die Frömmigkeit bei jenen vorbeigeht, indem sie sich durch sie innerlich aufgefordert und angesprochen fühlen würde; aber solche Ansprüche sind da ein Fremdartiges, wo es nur um das Gefühl selbstloser Gebundenheit und abhängiger Dumpfheit zu tun ist. – So ist die Kunst schon aus dem Prinzip der Kirche herausgetreten. Da sie aber nur sinnliche Darstellungen hat, so gilt sie zunächst als etwas Unbefangenes. Daher ist die Kirche ihr noch gefolgt, trennte sich aber dann von dem freien Geiste, aus dem die Kunst hervorgegangen war, als derselbe sich zum Gedanken und zur Wissenschaft erhob.

Denn unterstützt und gehoben wurde die Kunst zweitens durch das Studium des Altertums (der Name humaniora ist sehr bezeichnend, denn in jenen Werken des Altertums wird das Menschliche und die Menschenbildung geehrt), das Abendland wurde durch dasselbe mit dem Wahrhaften, Ewigen der menschlichen Betätigung bekannt. Äußerlich ist dieses Wiederaufleben der Wissenschaft durch den Untergang des byzantinischen Kaisertums herbeigeführt worden. Eine Menge Griechen haben sich nach dem Abendlande geflüchtet und die griechische Literatur daselbst hingebracht; und sie brachten nicht allein die Kenntnis der griechischen Sprache mit, sondern auch die griechischen Werke selbst. Sehr wenig war davon in den Klöstern aufbewahrt geblieben, und die Kenntnis der griechischen Sprache war kaum vorhanden. Mit der römischen Literatur war es anders, es herrschten hier noch alte Traditionen: Virgil galt als ein großer Zauberer (bei Dante ist er Führer in der Hölle und dem Fegefeuer). Durch den Einfluß der Griechen nun kam die alte griechische Literatur wieder auf; das Abendland war fähig geworden, sie zu genießen und anzuerkennen; es erschienen ganz andre Gestalten, eine andre Tugend, als es bisher kannte; es erhielt einen ganz andern Maßstab für das, was zu ehren, zu loben und nachzuahmen sei. Ganz andre Gebote der Moral stellten die Griechen in ihren Werken auf, als das Abendland kannte; an die Stelle des scholastischen Formalismus trat ein ganz andrer Inhalt: Plato wurde im Abendlande bekannt, und in diesem ging eine neue menschliche Welt auf. Die neuen Vorstellungen fanden ein Hauptmittel zu ihrer Verbreitung in der eben erfundenen Buchdruckerkunst, welche wie das Mittel des Schießpulvers dem modernen Charakter entspricht und dem Bedürfnisse, auf eine ideelle Weise miteinander in Zusammenhang zu stehen, entgegengekommen ist. Insofern sich in dem Studium der Alten die Liebe zu menschlichen Taten und Tugenden kundtat, hat die Kirche daran noch kein Arges gehabt, und sie hat nicht bemerkt, daß in jenen fremden Werken ihr ein ganz fremdes Prinzip entgegentrat.

Eine dritte Haupterscheinung, die zu erwähnen ist, wäre dieses Hinaus des Geistes, diese Begierde des Menschen, seine Erde kennen zu lernen. Der Rittergeist der portugiesischen und spanischen Seehelden hat einen neuen Weg nach Ostindien gefunden und Amerika entdeckt. Auch dieser Fortschritt ist noch innerhalb der Kirche geschehen. Der Zweck des Kolumbus war auch besonders ein religiöser: die Schätze der reichen noch zu entdeckenden indischen Länder sollten, seiner Ansicht nach, zu einem neuen Kreuzzuge verwendet und die heidnischen Einwohner derselben zum Christentume bekehrt werden. Der Mensch erkannte, daß die Erde rund, also ein für ihn Abgeschlossenes sei, und der Schiffahrt war das neu erfundene technische Mittel der Magnetnadel zugute gekommen, wodurch sie aufhörte, bloß Küstenschiffahrt zu sein; das Technische findet sich ein, wenn das Bedürfnis vorhanden ist.

Diese drei Tatsachen der sogenannten Restauration der Wissenschaften, der Blüte der schönen Künste und der Entdeckung Amerikas und des Weges nach Ostindien sind der Morgenröte zu vergleichen, die nach langen Stürmen zum ersten Male wieder einen schönen Tag verkündet. Dieser Tag ist der Tag der Allgemeinheit, welcher endlich nach der langen folgenreichen und furchtbaren Nacht des Mittelalters hereinbricht, ein Tag, der sich durch Wissenschaft, Kunst und Entdeckungstrieb, das heißt, durch das Edelste und Höchste bezeichnet, was der durch das Christentum frei gewordene und durch die Kirche emanzipierte Menschengeist als seinen ewigen und wahren Inhalt darstellt.


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