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Die erste Reaktion ist die der besonderen Nationalität gegen die allgemeine fränkische Herrschaft. Es scheint zwar zunächst, daß das Frankenreich durch die Willkür der Könige geteilt worden ist; das andre Moment aber ist, daß diese Teilung populär war und ebenso durch die Völker behauptet worden ist: sie war also nicht bloß ein Familienakt, der unklug erscheinen konnte, indem die Fürsten ihre eigne Macht dadurch geschwächt haben, sondern eine Wiederherstellung der eigentümlichen Nationalitäten, die durch einen Zusammenhang übermächtiger Gewalt und das Genie eines großen Mannes waren zusammengehalten worden. Ludwig der Fromme, Sohn Karls des Großen, teilte das Reich unter seine drei Söhne. Später aber erhielt er aus einer zweiten Ehe noch einen Sohn, Karl den Kahlen. Da er auch diesem ein Erbteil geben wollte, so entstanden Kriege und Streitigkeiten mit den andern Söhnen, welche des schon Erhaltenen beraubt werden sollten. Diese Kriege hatten so zunächst ein individuelles Interesse, aber die Nationen nehmen auch aus dem ihrigen heraus daran Anteil. Die westlichen Franken hatten sich bereits mit den Galliern identifiziert, und von ihnen ging eine Reaktion gegen die deutschen Franken aus, sowie später eine von Italien gegen die Deutschen. Durch den Verduner Vertrag im Jahre 843 wurde zwar eine Teilung unter den Nachkommen Karls des Großen gemacht, aber dennoch wurde später das ganze fränkische Reich mit Ausnahme einiger Provinzen auf einen Augenblick unter Karl dem Dicken wieder vereinigt. Nur kurze Zeit indessen vermochte dieser schwache Fürst das große Reich zusammenzuhalten; es wurde in viele kleinere Reiche zersplittert, die sich selbständig ausbildeten und erhielten: in das Königreich Italien, das selbst in sich geteilt war, die beiden burgundischen Reiche, Hochburgund, wovon die Hauptpunkte Genf und das Kloster St. Maurice in Wallis waren, und Niederburgund zwischen dem Jura, dem Mittelmeer und der Rhone, ferner Lothringen, zwischen dem Rhein und der Maas, die Normandie, Bretagne. Zwischen diesen Reichen war das eigentliche Frankreich eingeschlossen, und so beschränkt fand es Hugo Capet vor, als er den Thron bestieg. Ostfranken, Sachsen, Thüringen, Bayern, Schwaben blieb dem deutschen Reiche. Also zerfiel die Einheit der fränkischen Monarchie.
Auch die inneren fränkischen Einrichtungen verschwanden nach und nach gänzlich, besonders die Organisation der Kriegsmacht. Bald nach Karl dem Großen sehen wir von vielen Seiten her die Normannen Einfälle in England, Frankreich und Deutschland machen. In England regierten ursprünglich sieben Dynastien angelsächsischer Könige, aber im Jahre 827 vereinigte Egbert sämtliche Herrschaften in ein einziges Reich. Unter seinem Nachfolger machten die Dänen sehr häufige Einfälle und plünderten das Land aus. Tapferen Widerstand fanden sie erst unter Alfred dem Großen, aber der Dänenkönig Knut eroberte später ganz England. Gleichzeitig waren die Einfälle der Normannen in Frankreich. Sie fuhren auf leichten Kähnen die Seine und die Loire hinauf, plünderten die Städte, verheerten die Klöster und zogen mit ihrer gemachten Beute davon; sie belagerten selbst Paris, und die karolingischen Könige mußten schimpflich den Frieden erkaufen. Ebenso verwüsteten sie die an der Elbe liegenden Städte; vom Rhein aus plünderten sie Aachen und Köln und machten sich Lothringen zinsbar. Zwar ließ der Reichstag zu Worms 882 ein allgemeines Aufgebot an alle Untertanen ergehen, dennoch mußte man sich aber zu einem schimpflichen Vergleiche bequemen. Diese Stürme kamen von Norden und Westen. Im Osten brachen die Magyaren herein. Mit Weib und Kindern zogen diese barbarischen Völker auf Wagen herum und verwüsteten das ganze südliche Deutschland. Durch Bayern, Schwaben, die Schweiz gelangten sie bis ins Innere von Frankreich und nach Italien. Von Süden her drängten die Sarazenen. Sizilien befand sich schon längst in ihren Händen, von da aus faßten sie festen Fuß in Italien, bedrohten Rom, das durch einen Vergleich sie von sich abwendete, und waren der Schrecken Piemonts und der Provence.
So rückten diese drei Völker in großen Massen von allen Seiten in das Reich ein und stießen in ihren Verheerungszügen fast zusammen. Frankreich wurde von den Normannen bis an den Jura verwüstet; die Ungarn kamen bis nach der Schweiz, und die Sarazenen bis nach Wallis. Denken wir an jene Organisation des Heerbannes, und betrachten wir dabei diesen traurigen Zustand, so müssen wir uns über die Wirkungslosigkeit aller dieser hochgerühmten Einrichtungen verwundern, indem sie nun gerade am wirksamsten sich hätten zeigen sollen. Man könnte geneigt sein, die Schilderung von der schönen, vernünftigen Verfassung der fränkischen Monarchie unter Karl dem Großen, die sich als stark, groß und ordnungsvoll nach innen und außen gezeigt hat, für eine leere Träumerei zu halten; dennoch hat sie bestanden, aber diese ganze Staatseinrichtung war nur durch die Kraft, die Größe und den edlen Sinn dieses Individuums gehalten und war nicht auf den Geist des Volkes gegründet, nicht lebendig in denselben eingegangen, sondern nur ein äußerlich Auferlegtes, eine apriorische Konstitution, wie die, welche Napoleon Spanien gab, die sogleich unterging, als sie nicht mehr durch die Gewalt aufrecht erhalten wurde. Was vielmehr die Wirklichkeit einer Verfassung ausmacht, ist, daß sie als objektive Freiheit, substantielle Weise des Wollens, als Verpflichtung und Verbindlichkeit in den Subjekten existiert. Aber für den germanischen Geist, der nur erst als Gemüt und subjektive Willkür war, war noch keine Verpflichtung vorhanden, noch keine Innerlichkeit der Einheit, sondern nur eine Innerlichkeit des gleichgültigen, oberflächlichen Fürsichseins überhaupt. Auf diese Weise war jene Verfassung ohne festes Band, ohne den objektiven Halt in der Subjektivität; denn es war überhaupt noch keine Verfassung möglich.
Dies führt uns zur zweiten Reaktion, welche die der Individuen gegen die gesetzliche Macht ist. Der Sinn für Gesetzlichkeit und Allgemeinheit ist durchaus nicht vorhanden, ist in den Völkern selbst nicht lebendig. Die Verpflichtungen jedes freien Bürgers, die Befugnisse des Richters, Recht zu sprechen, die des Gaugrafen, Gericht zu halten, das Interesse für die Gesetze als solche zeigten sich als unkräftig, sobald die starke Hand von oben nicht mehr die Zügel straff hält. Die glänzende Staatsverwaltung Karls des Großen war spurlos geschwunden, und die nächste Folge davon war die allgemeine Schutzbedürftigkeit der Individuen. Eine gewisse Schutzbedürftigkeit ist sicherlich in jedem wohlorganisierten Staat: jeder Bürger kennt seine Rechte und weiß auch, daß zur Sicherheit des Besitzes der gesellschaftliche Zustand überhaupt notwendig ist, Barbaren kennen dieses Bedürfnis, einen Schutz am andern zu haben, noch nicht; sie sehen es als eine Beschränkung ihrer Freiheit an, wenn ihre Rechte ihnen von andern zugesichert werden sollen. So war also der Drang nach einer festen Organisation nicht vorhanden, die Menschen mußten erst in den Zustand der Schutzlosigkeit versetzt werden, um das notwendige Erscheinen des Staates zu empfinden. Die Staatsbildung fing wieder von ganz vorne an. Das Allgemeine hatte durchaus keine Lebendigkeit und Festigkeit in sich und im Volke, und seine Schwäche offenbarte sich darin, daß es den Individuen keinen Schutz zu geben vermochte. Die Bestimmung der Verpflichtung war im Geiste der Germanen, wie gesagt, nicht vorhanden; es kam darauf an, sie herzustellen. Der Wille konnte nun zunächst nur an dem Äußerlichen des Besitztums festgehalten werden, und bei der Erfahrung der Wichtigkeit des Staatsschutzes ward er gewaltsam aus der Stumpfheit gerissen und durch die Not zum Bedürfnis einer Verbindung und einer Gesellschaftlichkeit getrieben. Die Individuen mußten daher selbst ihre Zuflucht zu Individuen nehmen und wurden unter die Macht einiger Gewalthaber gestellt, welche aus der Autorität, die früher dein Allgemeinen angehörte, einen Privatbesitz und eine persönliche Herrschaft bildeten. Die Grafen haben als Staatsbeamten bei ihren Untergebenen keinen Gehorsam gefunden, aber ebensowenig verlangt, sondern nur für sich haben sie denselben gewollt. Sie haben die Gewalt des Staates für sich selbst genommen und die ihnen verliehene Macht zu einem erblichen Besitze gemacht. So wie früher der König, oder andre hohe Personen, Lehen zur Belohnung an ihre Dienstmannen gaben, so gaben nun umgekehrt die Schwächeren und Ärmeren den Mächtigen ihr Besitztum, um dadurch einen starken Schutz zu gewinnen; sie übergaben ihre Güter einem Herrn, Kloster, Abt, Bischof ( feudum oblatum) und erhielten sie zurück, belastet mit der Verpflichtung einer Leistung an diese Herren. Sie wurden aus Freien Vasallen, Lehnsleute, und ihr Besitztum wurde ein geliehenes. Dies ist das Verhältnis des Feudalsystems. Feudum ist mit fides verwandt; die Treue ist hier eine Verbindlichkeit durch Unrecht, ein Verhältnis, das etwas Rechtliches bezweckt, aber zu seinem Inhalt ebenso sehr das Unrecht hat: denn die Treue der Vasallen ist nicht eine Pflicht gegen das Allgemeine, sondern eine Privatverpflichtung, welche ebenso der Zufälligkeit, Willkür und Gewalttat anheimgestellt ist. Das allgemeine Unrecht, die allgemeine Rechtlosigkeit wird in ein System von Privatabhängigkeit und Privatverpflichtung gebracht, so daß das Formelle des Verpflichtetseins allein die rechtliche Seite davon ausmacht. – Da jeder sich selbst zu schützen hatte, so wurde auch der kriegerische Geist wieder erweckt, der in der Verteidigung nach außen aufs schmählichste verschwunden schien; denn die Stumpfheit wurde teils durch die äußerste Mißhandlung aufgerüttelt, teils durch die Privathabsucht und Herrschsucht. Die Tapferkeit, die sich jetzt zeigt, galt nicht dem Staate, sondern den subjektiven Interessen. In allen Gegenden entstanden Burgen, wurden Befestigungen aufgerichtet, und zwar zur Verteidigung des Besitzes, zum Raub und zur Tyrannei. Auf die eben angeführte Weise verschwand das Ganze in solchen Punkten der Einzelheit, als welche hauptsächlich die Sitze der Bischöfe und Erzbischöfe zu nennen sind. Die Bistümer hatten die Immunität von den Gerichten und aller Amtswirksamkeit erhalten; die Bischöfe hielten sich Vögte und ließen denselben vom Kaiser die Gerichtsbarkeit übertragen, welche sonst die Grafen ausgeübt hatten. So gab es abgeschlossene geistliche Territorien, Gemeinden, die einem Heiligen angehörten (Weichbilder). Ebenso bildeten sich späterhin weltliche Herrschaften aus. Beide traten an die Stelle der ehemaligen Gaue oder Grafschaften. Nur in wenigen Städten, wo die Gemeinden der freien Männer für sich stark genug waren, Schutz und Sicherheit auch ohne des Königs Hilfe zu gewähren, blieben Reste der alten freien Verfassung. Sonst verschwanden überall die freien Gemeinden und wurden den Prälaten oder den Grafen und Herzögen, den nunmehrigen Landesherren und Fürsten, untertan.
Die kaiserliche Gewalt wurde im ganzen für etwas sehr Großes und Hohes ausgegeben, der Kaiser galt für das weltliche Oberhaupt der gesamten Christenheit; je größer aber diese Vorstellung war, desto weniger galt die Macht der Kaiser in der Wirklichkeit. Frankreich gewann außerordentlich dadurch, daß es diese hohle Anmaßung von sich entfernt hielt, während in Deutschland das Fortschreiten der Bildung durch jene Scheingewalt gehemmt wurde. Die Könige und Kaiser waren nicht mehr Oberhäupter des Staates, sondern der Fürsten, welche zwar ihre Vasallen waren, aber eigne Herrschermacht und Territorialherrschaften besaßen. Indem nun alles auf partikulare Herrschaft gegründet ist, so konnte man glauben, daß eine Fortbildung zum Staate sich nur so hätte machen können, daß jene partikularen Herrschaften in ein amtliches Verhältnis zurückgetreten wären. Dazu wäre aber eine Übermacht erforderlich gewesen, welche nicht vorhanden war, denn die Dynasten bestimmten selbst, inwiefern sie noch abhängig seien vom Allgemeinen. Es gilt keine Macht des Gesetzes und des Rechts mehr, sondern nur die zufällige Gewalt, die eigensinnige Rohheit des partikularen Rechts, und diese strebt gegen die Gleichheit der Rechte und der Gesetze. Eine Ungleichheit der Rechte in der ganzen Zufälligkeit ist vorhanden, und aus dieser kann die Entwicklung der Monarchie nicht so geschehen, daß das Oberhaupt als solches die besonderen Gewalten unterdrückt, sondern es sind diese allmählich in Fürstentümer übergegangen und mit dem Fürstentume des Oberhauptes vereinigt worden, und so hat sich die Macht des Königs und des Staates geltend gemacht. Während nun das Band der Einheit im Staate noch nicht vorhanden war, haben sich die besonderen Territorien für sich ausgebildet.
In Frankreich ging das Haus Karls des Großen wie das Chlodwigs durch die Schwäche der Regenten unter. Ihre Herrschaft war zuletzt nur auf die kleine Herrschaft Laon beschränkt, und der letzte der Karolinger, Herzog Karl von Lothringen, der nach Ludwigs V. Tode die Krone in Anspruch nahm, ward geschlagen und gefangen. Der mächtige Hugo Capet, Herzog von Francien, wurde zum König ausgerufen. Der Titel König gab ihm jedoch keine wirkliche Gewalt, denn seine Macht war nur auf seinen Besitz gegründet. Später wurden die Könige durch Kauf, Heirat, Aussterben der Familien Eigentümer mehrerer Herrschaften, und man fing besonders an, sich an sie zu wenden, um vor den Gewalttätigkeiten der Fürsten Schutz zu suchen. Die königliche Gewalt wurde in Frankreich früh erblich, weil die Lehnsherrschaften erblich waren, doch haben im Anfange die Könige noch die Vorsicht gebraucht, ihre Söhne bei ihren Lebzeiten krönen zu lassen. Frankreich war in viele Herrschaften geteilt: in das Herzogtum Guyenne, Grafschaft Flandern, Herzogtum Gascogne, Grafschaft Toulouse, Herzogtum Burgund, Grafschaft Vermandois; Lothringen hatte auch einige Zeit zu Frankreich gehört. Die Normandie war von den Königen von Frankreich den Normannen eingeräumt worden, um auf einige Zeit Ruhe vor ihnen zu haben. Von der Normandie aus ging Herzog Wilhelm nach England hinüber und eroberte dasselbe im Jahre 1066. Er führte hier durchweg ein ausgebildetes Lehnssystem ein, dessen Netz zum großen Teile noch heute England umgarnt. Auf diese Weise standen aber die Herzoge der Normandie mit einer großen Macht den schwachen Königen von Frankreich gegenüber.
Deutschland war aus den großen Herzogtümern Sachsen, Schwaben, Bayern, Kärnten, Lothringen, Burgund, der Markgrafschaft Thüringen usf., aus vielen Bistümern und Erzbistümern zusammengesetzt. Jedes dieser Herzogtümer zerfiel wieder ebenso in viele, mehr oder weniger unabhängige, Herrschaften. Mehrere Male hatte es den Anschein, als vereinigte der Kaiser mehrere Herzogtümer unter seiner unmittelbaren Herrschaft. Kaiser Heinrich III. war bei seiner Thronbesteigung Herr mehrerer großer Herzogtümer, aber er schwächte selbst seine Macht, indem er diese wieder an andre verlieh. Deutschland war von Hause aus eine freie Nation und hatte nicht wie Frankreich den Mittelpunkt einer erobernden Familie; es blieb ein Wahlreich. Die Fürsten ließen sich das Recht nicht nehmen, ihr Oberhaupt selbst zu wählen; bei jeder neuen Wahl machten sie neue einschränkende Bedingungen, so daß die kaiserliche Macht zum leeren Schatten herabsank.
In Italien war dasselbe Verhältnis; die deutschen Kaiser hatten Ansprüche darauf, ihre Gewalt ging aber nur so weit, als sie sich durch unmittelbare Kriegsmacht verschafften, und als die italienischen Städte und der Adel in der Unterwerfung einen eignen Nutzen sahen. Italien war wie Deutschland in viele größere und kleinere Herzogtümer, Grafschaften, Bistümer und Herrschaften geteilt. Der Papst vermochte äußerst wenig, weder im Norden noch im Süden, welcher lange Zeit zwischen Longobarden und Griechen geteilt war, bis späterhin beide von den Normannen unterworfen wurden. – Spanien kämpfte während des ganzen Mittelalters, teils sich behauptend, teils siegreich mit den Sarazenen, bis diese endlich der konkreteren Macht christlicher Gesittung unterlagen.
Alles Recht verschwand so vor der partikularen Macht, denn Gleichheit der Rechte, Vernünftigkeit der Gesetze, wo das Ganze, der Staat Zweck ist, war nicht vorhanden.
Die dritte Reaktion, deren wir oben Erwähnung taten, war die vom Element der Allgemeinheit aus, gegen die in Partikularität gesplitterte Wirklichkeit. Diese Reaktion kam von unten herauf aus dem partikularen Besitze selbst und wurde dann hauptsächlich durch die Kirche aufgestellt. Es ist durch die Welt gleichsam ein allgemeines Gefühl der Nichtigkeit ihres Zustandes gegangen. Zu dem Zustande vollkommener Vereinzelung, wo durchaus nur die Gewalt des Machthabers galt, haben die Menschen zu keiner Ruhe kommen können, und gleichsam ein böses Gewissen hat die Christenheit durchschauert. Im elften Jahrhundert verbreitete sich allgemein durch ganz Europa die Furcht vor dem herannahenden jüngsten Gericht und der Glaube an den nahen Untergang der Welt. Das innerliche Grauen trieb die Menschen zu den widersinnigsten Handlungen. Einige haben ihr ganzes Besitztum der Kirche geschenkt und ihr Leben in beständiger Buße hingebracht, die meisten haben sich der Schwelgerei ergeben und ihr Besitztum verpraßt. Die Kirche allein gewann dabei an Reichtum durch Schenkungen und Vermächtnisse. Nicht minder rafften um diese Zeit fürchterliche Hungersnöte die Menschen dahin: auf den Märkten wurde öffentlich Menschenfleisch verkauft. In diesem Zustande war nichts als Rechtslosigkeit, viehische Begierde, roheste Willkür, Trug und List bei den Menschen anzutreffen. Am greulichsten sah es in Italien, dem Mittelpunkte des Christentums, aus. Jede Tugend war dieser Zeit fremd, und so hatte virtus seine eigentümliche Bedeutung verloren: es hieß im Gebrauch nichts andres als Gewalt, Zwang, zuweilen sogar Notzucht. In gleicher Verdorbenheit befand sich die Geistlichkeit, ihre eignen Vögte hatten sich zu Herren auf den geistlichen Gütern gemacht und hausten daselbst nach ihrem Belieben, indem sie den Mönchen und Geistlichen nur einen sparsamen Unterhalt zukommen ließen. Klöster, welche keine Vögte annehmen wollten, wurden dazu gezwungen, indem die benachbarten Herren sich selbst oder ihre Söhne zu Vögten machen ließen. Nur Bischöfe und Äbte erhielten sich im Besitz, indem sie sich teils durch eigne Macht zu schützen wußten, teils durch ihren Anhang, da sie meist aus adeligen Familien waren.
Die Bistümer waren weltliche Territorien und somit auch zu Reichs- und Lehnsdiensten verpflichtet. Die Könige hatten die Bischöfe einzusetzen, und ihr Interesse erheischte es, daß diese Geistlichen ihnen zugetan seien. Wer ein Bistum wollte, hatte sich deshalb an den König zu wenden, und so wurde ein förmlicher Handel mit den Bistümern und Abteien getrieben. Wucherer, welche dem Könige Geld vorgestreckt hatten, ließen sich dadurch entschädigen, und die schlechtesten Menschen kamen so in Besitz von geistlichen Stellen. Allerdings sollten die Geistlichen von der Gemeinde gewählt werden, und es gab immer mächtige Wahlberechtigte, aber diese zwang der König, seine Befehle anzuerkennen. Nicht besser ging es mit dem päpstlichen Stuhl, eine lange Reihe von Jahren hindurch besetzten ihn die Grafen von Tusculum bei Rom entweder mit Mitgliedern ihrer Familie oder mit solchen, an welche sie ihn für teures Geld verkauft hatten. Dieser Zustand wurde am Ende zu arg, daß sich Weltliche sowohl wie Geistliche von energischem Charakter demselben widersetzten. Kaiser Heinrich III. machte dem Streite der Faktionen ein Ende, indem er selbst römische Päpste ernannte, die er, wie sie auch vom römischen Adel gehaßt wurden, dennoch durch seine Autorität hinreichend unterstützte. Durch Papst Nikolaus II. wurde bestimmt, daß die Päpste von den Kardinälen gewählt werden sollten; da diese aber zum Teil aus herrschenden Familien waren, so treten bei der Wahl immer noch ähnliche Zwistigkeiten der Faktionen ein. Gregor VII. (schon als Kardinal Hildebrand berühmt) suchte nun die Unabhängigkeit der Kirche in diesem grauenvollen Zustande besonders durch zwei Maßregeln zu sichern. Zuerst setzte er das Zölibat der Geistlichkeit durch. Schon von den frühesten Zeiten an hatte man nämlich dafürgehalten, daß es gut und angemessen wäre, wenn die Geistlichen nicht verheiratet seien. Doch melden die Geschichtschreiber und Chronisten, daß dieser Anforderung wenig Genüge geleistet wurde. Nikolaus II. hatte schon die verheirateten Geistlichen für eine neue Sekte erklärt; Gregor VII. aber vollendete mit seltener Energie diese Maßregel, indem er alle verheirateten Geistlichen und alle Laien, die bei diesen Messe hören würden, in den Bann tat. Auf diese Weise wurde die Geistlichkeit auf sich angewiesen und von der Sittlichkeit des Staates ausgeschlossen. – Die zweite Maßregel war gegen die Simonie gerichtet, nämlich gegen den Verkauf oder die willkürliche Besetzung der Bistümer oder des päpstlichen Stuhles selbst. Die geistlichen Stellen sollten fortan nur von den sie verdienenden Geistlichen besetzt werden, eine Bestimmung, welche die Geistlichen in großen Streit mit den weltlichen Herrschaften bringen mußte.
Diese zwei großen Maßregeln sind es, durch welche Gregor die Kirche vom Zustande der Abhängigkeit und Gewalttätigkeit befreien wollte. Gregor machte aber noch weitere Anforderungen an die weltliche Macht: es sollten nämlich alle Benefizien nur durch die Ordination des kirchlichen Oberen dem Neueingesetzten zufallen, und nur der Papst sollte über das ungeheure Vermögen der Geistlichkeit zu disponieren haben. Die Kirche wollte als göttliche Macht die Herrschaft über die weltliche, von dem abstrakten Prinzipe ausgehend, daß das Göttliche höher stehe als das Weltliche. Der Kaiser mußte bei seiner Krönung, welche nur dem Papste zukam, einen Eid leisten, daß er dem Papste und der Kirche immer gehorsam sein wolle. Ganze Länder und Staaten wie Neapel, Portugal, England, Irland kamen in ein förmliches Vasallenverhältnis zum päpstlichen Stuhle.
Die Kirche erhielt so eine selbständige Stellung: die Bischöfe versammelten in den verschiedenen Ländern Synoden, und an diesen Zusammenberufungen hatte der Klerus einen fortdauernden Anhaltspunkt. Auf diese Weise kam die Kirche zum größten Einfluß in den weltlichen Angelegenheiten, sie maßte sich die Entscheidung über die Krone der Fürsten an, machte die Vermittlerin zwischen den Mächten in Krieg und Frieden. Die nähere Veranlassung, welche die Kirche zu dieser Einmischung in die weltlichen Angelegenheiten hatte, war die Ehe der Fürsten. Es kam nämlich oft vor, daß die Fürsten von ihren Gemahlinnen geschieden sein wollten, und dazu bedurften sie der Erlaubnis der Kirche. Diese nahm nun die Gelegenheit wahr, auf ihren sonstigen Forderungen zu bestehen, und so ging sie weiter und wußte ihren Einfluß auf alles auszudehnen. Bei der allgemeinen Unordnung wurde das Dazwischentreten der Autorität der Kirche als Bedürfnis gefühlt. Durch die Einführung des Gottesfriedens wurde die Unterbrechung der Fehden und der Privatrache wenigstens für gewisse Wochentage und Wochen erlangt; und die Kirche behauptete diesen Waffenstillstand mit allen ihren geistlichen Mitteln des Bannes, des Interdikts und andrer Drohungen und Strafen. Durch die weltlichen Besitzungen kam aber die Kirche in ein ihr eigentlich fremdes Verhältnis zu den andern weltlichen Fürsten und Herren, sie bildete eine furchtbare weltliche Macht gegen dieselben und war zunächst so ein Mittelpunkt des Widerstandes gegen Gewalttätigkeit und Willkür. Insbesondere widerstand sie den Gewalttätigkeiten gegen die Stifter, die weltlichen Herrschaften der Bischöfe; und wenn die Vasallen der Gewalt und Willkür der Fürsten ihre Gewalt entgegensetzten, so wurden sie dabei vom Papste unterstützt. So aber setzte sie selbst nur gleiche Gewalt und Willkür entgegen und vermischte ihr weltliches Interesse mit dem Interesse der Kirche als geistlicher, d. h. göttlich substantieller Macht. Die Dynasten und Völker haben das Wohl zu unterscheiden gewußt und in der Einmischung der Kirche die weltlichen Zwecke erkannt. Sie haben daher die Kirche unterstützt, insofern es ihr eigner Vorteil war, sonst aber den Bann und die geistlichen Mittel wenig gescheut. Am wenigsten wurde die Autorität der Päpste in Italien geachtet, und die Römer sind am schlechtesten mit ihnen umgegangen. Was so die Päpste an Land und Gütern und an direkter Herrschaft gewannen, verloren sie an Ansehen und Achtung.
Wir haben nun wesentlich die geistige Seite der Kirche, die Form ihrer Macht zu betrachten. Das Wesen des christlichen Prinzips ist schon früher entwickelt wurden, es ist das Prinzip der Vermittlung. Der Mensch wird erst als geistiges Wesen wirklich, wenn er seine Natürlichkeit überwindet. Diese Überwindung wird nur durch die Voraussetzung möglich, daß die menschliche und göttliche Natur an und für sich eins seien, und daß der Mensch, insofern er Geist ist, auch die Wesentlichkeit und Substantialität hat, die dem Begriffe Gottes angehört. Die Vermittlung ist eben durch das Bewußtsein dieser Einheit bedingt, und die Anschauung dieser Einheit ist dem Menschen in Christo gegeben worden. Die Hauptsache mm ist, daß der Mensch dieses Bewußtsein ergreife, und daß es beständig in ihm geweckt werde. Dies sollte in der Messe geschehen: in der Hostie wird Christus als gegenwärtig dargestellt, das Stückchen Brot, durch den Priester geweiht, ist der gegenwärtige Gott, der zur Anschauung kommt und ewig geopfert wild. Es ist darin das Richtige erkannt, daß das Opfer Christi ein wirkliches und ewiges Geschehen ist, insofern Christus nicht bloß sinnliches und einzelnes, sondern ganz allgemeines, d. h. göttliches Individuum ist; aber das Verkehrte ist, daß das sinnliche Moment für sich isoliert wird und die Verehrung der Hostie, auch insofern sie nicht genossen wird, bleibt, daß also die Gegenwart Christi nicht wesentlich in die Vorstellung und den Geist gesetzt wird. Mit Recht ging die lutherische Reformation besonders gegen diese Lehre. Luther stellte den großen Satz auf, daß die Hostie nur etwas sei und Christus nur empfangen werde im Glauben an ihn; außerdem sei die Hostie nur ein äußerliches Ding, das keinen größeren Wert habe, als jedes andre. Der Katholik aber fällt vor der Hostie nieder, und so ist das Äußerliche zu einem Heiligen gemacht. Das Heilige als Ding hat den Charakter der Äußerlichkeit, und insofern ist es fähig, in Besitz genommen zu werden von einem andern gegen mich, es kann sich in fremder Hand befinden, weil der Prozeß nicht im Geiste vorgeht, sondern durch die Dingheit selbst vermittelt wird. Das höchste Gut des Menschen ist in andern Händen. Hier tritt nun sogleich eine Trennung ein zwischen solchen, die dieses besitzen, und solchen, die es von andern zu empfangen haben, zwischen der Geistlichkeit und den Laien. Die Laien sind dem Göttlichen fremd. Dies ist die absolute Entzweiung, in welcher die Kirche im Mittelalter befangen war, sie ist daraus entstanden, daß das Heilige als Äußerliches gewußt wurde. Die Geistlichkeit stellte gewisse Bedingungen auf, unter welchen die Laien des Heiligen teilhaftig werden könnten. Die ganze Entwicklung der Lehre, die Einsicht, die Wissenschaft de« Göttlichen ist durchaus im Besitze der Kirche, sie hat zu bestimmen und die Laien haben nur schlechtweg zu glauben: der Gehorsam ist ihre Pflicht, der Gehorsam des Glaubens, ohne eigne Einsicht. Dies Verhältnis hat den Glauben zu einer Sache des äußerlichen Rechts gemacht und ist fortgegangen bis zu Zwang und Scheiterhaufen.
Wie die Menschen so von der Kirche abgeschnitten sind, so sind sie es von allem Heiligen. Denn da der Klerus überhaupt das Vermittelnde zwischen den Menschen und zwischen Christus und Gott ist, so kann sich auch der Laie nicht unmittelbar zu demselben in seinen Gebeten wenden, sondern nur durch Mittelspersonen, durch versöhnende Menschen, Verstorbene, Vollendete, – die Heiligen. So kam die Verehrung der Heiligen auf, und zugleich diese Unmasse von Fabeln und Lügen, die Heiligen und ihre Geschichte betreffend. Im Morgenlande war schon früh der Bilderdienst herrschend gewesen und hatte sich nach langen Streitigkeiten behauptet; das Bild, das Gemälde gehört noch mehr der Vorstellung an, aber die rohere abendländische Natur verlangte etwas Unmittelbareres für die Anschauung, und so entstand der Reliquiendienst. Eine förmliche Auferstehung der Toten erfolgte in den Zeiten des Mittelalters, jeder fromme Christ wollte im Besitz solcher heiligen irdischen Überreste sein. Der Hauptgegenstand der Verehrung unter den Heiligen war die Mutter Maria. Sie ist allerdings das schöne Bild der reinen Liebe, der Mutterliebe, aber der Geist und das Denken ist noch höher, und über dem Bilde ging die Anbetung Gottes im Geiste verloren, und selbst Christus ist auf die Seite gestellt worden. Das Vermittelnde zwischen Gott und dem Menschen ist also als etwas Äußerliches aufgefaßt und gehalten worden: damit wurde durch die Verkehrung des Prinzips der Freiheit die absolute Unfreiheit zum Gesetze. Die weiteren Bestimmungen und Verhältnisse sind eine Folge dieses Prinzips. Das Wissen, die Erkenntnis der Lehre ist etwas, dessen der Geist unfähig ist, sie ist allein im Besitz eines Standes, der das Wahre zu bestimmen hat. Denn der Mensch ist zu niedrig, um in einer direkten Beziehung zu Gott zu stehen, und, wie schon gesagt worden ist, wenn er sich an denselben wendet, so bedarf er einer Mittelsperson, eines Heiligen. Insofern wird die an sich seiende Einheit des Göttlichen und Menschlichen geleugnet, indem der Mensch als solcher für unfähig erklärt wird, das Göttliche zu erkennen und sich demselben zu nähern. Bei dieser Trennung, in der der Mensch sich vom Guten befindet, wird nicht auf eine Änderung des Herzens als solche gedrungen, was voraussetzte, daß die Einheit des Göttlichen und Menschlichen im Menschen befindlich wäre, sondern es werden die Schrecken der Hölle mit den furchtbarsten Farben dem Menschen gegenübergestellt, aus daß er ihnen, nicht etwa durch Besserung, sondern vielmehr durch ein Äußerliches, – die Gnadenmittel, entgehen solle. Diese jedoch sind dem Laien unbekannt, ein andrer, – der Beichtvater, muß sie ihnen an die Hand geben. Das Individuum hat zu beichten, muß die ganze Partikularität seines Tuns vor der Ansicht des Beichtvaters ausbreiten und erfahrt dann, wie es sich zu verhalten habe. So hat die Kirche die Stelle des Gewissens vertreten, sie hat die Individuen wie Kinder geleitet und ihnen gesagt, daß der Mensch von den verdienten Qualen befreit werden könne, nicht durch seine eigne Besserung, sondern durch äußerliche Handlungen, opera operata, – Handlungen nicht des guten Willens, sondern die auf Befehl der Diener der Kirche verrichtet werden, als: Messe hören, Büßungen anstellen, Gebete verrichten, Pilgern, Handlungen, die geistlos sind, den Geist stumpf machen, und die nicht allein das an sich tragen, daß sie äußerlich verrichtet werden, sondern man kann sie noch dazu von andern verrichten lassen. Man kann sich sogar von dem Überfluß der guten Handlungen, welche den Heiligen zugeschrieben werden, einige erkaufen, und man erlangt damit das Heil, daß diese mit sich bringen. So ist eine vollkommene Verrückung alles dessen, was als gut und sittlich in der christlichen Kirche anerkannt wird, geschehen, nur äußerliche Forderungen werden an den Menschen gemacht, und diesen wird auf äußerliche Weise genügt. Das Verhältnis der absoluten Unfreiheit ist so in das Prinzip der Freiheit selbst hineingebracht.
Mit dieser Verkehrung hängt die absolute Trennung des geistigen und weltlichen Prinzips überhaupt zusammen. Es gibt zwei göttliche Reiche, das intellektuelle in Gemüt und Erkenntnis und das sittliche, dessen Stoff und Boden die weltliche Existenz ist. Die Wissenschaft ist es allein, welche das Reich Gottes und die sittliche Welt als eine Idee fassen kann, und welche erkennt, daß die Zeit darauf hingearbeitet hat, diese Einheit auszuführen. Die Frömmigkeit aber als solche hat es nicht mit dem weltlichen zu tun; sie tritt darin wohl in der Weise der Barmherzigkeit auf, aber diese ist noch nicht rechtlich sittliche Weise, noch nicht Freiheit. Die Frömmigkeit ist außer der Geschichte und ohne Geschichte, denn die Geschichte ist vielmehr das Reich des in seiner subjektiven Freiheit sich gegenwärtigen Geistes, als sittliches Reich des Staates, Im Mittelalter nun ist nicht diese Verwirklichung des Göttlichen, sondern der Gegensatz unausgeglichen. Das Sittliche ist als ein Nichtiges aufgestellt wurden, und zwar in seinen wahrhaften drei Hauptpunkten.
Eine Sittlichkeit ist nämlich die der Liebe, der Empfindung in dem ehelichen Verhältnisse. Man muß nicht sagen, das Zölibat sei gegen die Natur, sondern gegen die Sittlichkeit. Die Ehe wurde nun zwar von der Kirche zu den Sakramenten gerechnet, trotz diesem Standpunkte aber degradiert, indem die Ehelosigkeit als das Heiligere gilt. Eine andre Sittlichkeit liegt in der Tätigkeit, in der Arbeit des Menschen für seine Subsistenz. Darin liegt seine Ehre, daß er in Rücksicht auf seine Bedürfnisse nur von seinem Fleiße, seinem Betragen und seinem Verstande abhänge. Diesem gegenüber wurde nun die Armut, die Trägheit und Untätigkeit als höher gestellt und das Unsittliche so zum Heiligen geweiht. Ein drittes Moment der Sittlichkeit ist, daß der Gehorsam auf das Sittliche und Vernünftige gerichtet sei, als der Gehorsam gegen die Gesetze, die ich als die rechten weiß, nicht aber der blinde und unbedingte, der nicht weiß, was er tut, und ohne Bewußtsein und Kenntnis in seinem Handeln herumtappt. Dieser letztere Gehorsam aber gerade galt als der Gott wohlgefälligste, wodurch also die Obedienz der Unfreiheit, welche die Willkür der Kirche auferlegt, über den wahren Gehorsam der Freiheit gesetzt ist.
Also sind die drei Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams gerade das Umgekehrte dessen, was sie sein sollten, und in ihnen ist alle Sittlichkeit degradiert worden. Die Kirche war keine geistige Gewalt mehr, sondern eine geistliche, und die Weltlichkeit hatte zu ihr ein geistloses, willenloses und einsichtsloses Verhältnis. Als Folge davon erblicken wir überall Lasterhaftigkeit, Gewissenlosigkeit, Schamlosigkeit, eine Zerrissenheit, deren weitläufiges Bild die ganze Geschichte der Zeit gibt.
Nach dem Gesagten zeigt sich uns die Kirche des Mittelalters als ein vielfacher Widerspruch in sich. Der subjektive Geist nämlich, wenn auch vom Absoluten zeugend, ist dennoch auch zugleich endlicher und existierender Geist, als Intelligenz und Wille. Seine Endlichkeit beginnt damit, in diesen Unterschied herauszutreten, und hier fängt zugleich der Widerspruch und das Erscheinen der Entfremdung an; denn die Intelligenz und der Wille sind nicht von der Wahrheit durchdrungen, die für sie nur ein Gegebenes ist. Diese Äußerlichkeit des absoluten Inhalts bestimmt sich für das Bewußtsein so, daß er als sinnliches, äußerliches Ding, als gemeine äußerliche Existenz vorkommt und doch auch so als Absolutes gelten soll: diese absolute Zumutung wird dem Geiste hier gemacht. Die andre Form des Widerspruchs betrifft das Verhältnis in der Kirche als solcher. Der wahrhafte Geist existiert im Menschen, ist sein Geist, und die Gewißheit dieser Identität mit dem Absoluten gibt sich das Individuum im Kultus, während die Kirche nur das Verhältnis einer Lehrerin und Anordnerin dieses Kultus einnimmt. Aber hier ist vielmehr der geistliche Stand, wie die Brahmanen bei den Indern, im Besitze der Wahrheit, zwar nicht durch Geburt, sondern durch Erkenntnis, Lehren, Übung, aber so, daß dies allein nicht hinreichend ist, sondern nur eine äußerliche Weise, ein geistloser Besitztitel, den Besitz erst wirtlich konstituiert. Diese äußerliche Weise ist die Priesterweihe, so daß die Konsekration wesentlich als sinnlich am Individuum haftet, sein Inneres mag beschaffen sein, wie es will, – irreligiös, unmoralisch, unwissend in jeder Rücksicht. Die dritte Art des Widerspruch« ist die Kirche, insofern sie als eine äußerliche Existenz Besitztümer und ein ungeheures Vermögen erhielt, was, da sie eigentlich den Reichtum verachtet oder verachten soll, eine Lüge ist.
Auf ähnliche Weise ist der Staat des Mittelalters, wie wir ihn betrachtet, in Widersprüche verwickelt. Wir haben oben von einen, Kaisertum gesprochen, das der Kirche zur Seite stehen und ihr weltlicher Arm sein soll. Aber diese anerkannte Macht hat den Widerspruch in sich, daß dieses Kaisertum eine leere Ehre ist, ohne Ernst für den Kaiser selbst oder die, welche durch ihn ihre ehrsüchtigen Zwecke erfüllen wollen, denn die Leidenschaft und Gewalt existieren für sich, ununterworfen durch jene bloß allgemein bleibende Vorstellung. Zweitens ist aber das Band an diesem vorgestellten Staat, das wir Treue nennen, der Willkür des Gemüts anheimgestellt, welches keine objektiven Pflichten anerkennt. Dadurch aber ist diese Treue das Allerungetreueste. Die deutsche Ehrlichkeit des Mittelalters ist sprichwörtlich geworden: betrachten wir sie aber näher in der Geschichte, so ist sie eine wahre punica fides oder graeca fides zu nennen, denn treu und redlich sind die Fürsten und Vasallen des Kaisers nur gegen ihre Selbstsucht, Eigennutz und Leidenschaft, durchaus untreu aber gegen das Reich und den Kaiser, weil in der Treue als solcher ihre subjektive Willkür berechtigt und der Staat nicht als ein sittliches Ganze organisiert ist. Ein dritter Widerspruch ist der der Individuen in sich, der der Frömmigkeit, der schönsten und innigsten Andacht, und dann der Barbarei der Intelligenz und des Willens. Es ist Kenntnis der allgemeinen Wahrheit da und doch die ungebildetste, roheste Vorstellung über Weltliches und Geistiges vorhanden: grausames Wüten der Leidenschaft und christliche Heiligkeit, welche allem Weltlichen entsagt und ganz sich dem Heiligen weiht. So widersprechend, so betrugvoll ist dieses Mittelalter, und es ist eine Abgeschmacktheit unsrer Zeit, die Vortrefflichkeit desselben zum Schlagwort machen zu wollen. Unbefangene Barbarei, Wildheit der Sitte, kindische Einbildung ist nicht empörend, sondern nur zu bedauern; aber die höchste Reinheit der Seele durch die greulichste Wildheit besudelt, die gewußte Wahrheit durch Lüge und Selbstsucht zum Mittel gemacht, das Vernunftwidrigste, Roheste, Schmutzigste durch das Religiöse begründet und bekräftigt, – dies ist das widrigste und empörendste Schauspiel, das jemals gesehen worden, und das nur die Philosophie begreifen und darum rechtfertigen kann. Denn es ist ein notwendiger Gegensatz, welcher in das Bewußtsein des Heiligen treten muß, wenn dies Bewußtsein noch erstes und unmittelbares Bewußtsein ist; und je tiefer die Wahrheit ist, zu der der Geist sich an sich verhalt, indem er zugleich noch nicht seine Gegenwart in dieser Tiefe erfaßt hat, desto entfremdeter ist er sich selbst in dieser seiner Gegenwart, aber nur aus dieser Entfremdung gewinnt er seine wahrhafte Versöhnung.
Wir haben nun die Kirche als Reaktion des Geistigen gegen die vorhandene Weltlichkeit gesehen, aber diese Reaktion ist in sich so beschaffen, daß sie das, wogegen sie reagiert, sich nur untertänig macht, nicht aber dasselbe reformiert. Indem sich das Geistige, durch ein Prinzip der Verrückung seines eignen Inhalts, die Gewalt erwirbt, hat sich auch eine weltliche Herrschaft konsolidiert und sich zu einem Systematischen, dem Feudalsystem, entwickelt. Da die Menschen durch ihre Isolierung auf individuelle Kraft und Macht reduziert sind, so wird jeder Punkt, auf welchem sie sich in der Welt aufrecht erhalten, ein energischer. Wenn das Individuum noch nicht durch Gesetze, sondern nur durch seine eigne Kraftanstrengung geschützt ist, so ist eine allgemeine Lebendigkeit, Betriebsamkeit und Erregung vorhanden. Da die Menschen durch die Kirche der ewigen Seligkeit gewiß sind und dazu ihr nur geistig gehorsam zu sein brauchen, so wird andrerseits ihre Sucht nach weltlichem Genuß um so größer, je weniger daraus für das geistige Heil irgendein Schaden entsteht; denn für alle Willkür, allen Frevel, alle Laster erteilt die Kirche Ablaß, wenn er verlangt wird.
Vom elften bis zum dreizehnten Jahrhundert entstand ein Drang, der sich auf vielfache Weise äußerte. Die Gemeinden fingen an, ungeheure Gotteshäuser zu erbauen, Dome, errichtet zur Umschließung der Gemeinde. Die Baukunst ist immer die erste Kunst, welche das unorganische Moment, die Behausung des Gottes, bildet; dann erst versucht es die Kunst, den Gott selbst, das Objektive der Gemeinde darzustellen. Von den Städten an den italienischen, spanischen, flandrischen Küsten wurde ein lebhafter Seehandel getrieben, welcher wiederum eine große Regsamkeit der Gewerbe bei ihnen hervorrief. Die Wissenschaften begannen einigermaßen wieder aufzuleben, die Scholastik war im Schwunge, Rechtsschulen wurden zu Bologna und an andern Orten gestiftet, ebenso medizinische. Allen diesen Schöpfungen liegt als Hauptbedingung die Entstehung und wachsende Bedeutung der Städte zugrunde; ein Thema, das in neueren Zeiten sehr beliebt geworden ist. Für dieses Entstehen der Städte war ein großes Bedürfnis vorhanden. Wie die Kirche stellen sich die Städte nämlich als Reaktionen gegen die Gewalttätigkeit des Feudalwesens dar, als erste in sich rechtliche Macht. Es ist schon früher des Umstandes Erwähnung geschehen, daß die Gewaltigen andre zwangen, Schutz bei ihnen zu suchen. Solche Schutzpunkte waren Burgen, Kirchen und Klöster, um welche herum sich die Schutzbedürftigen, die nunmehr Bürger, Schutzpflichtige der Burgherrn und Klöster wurden, versammelten. So bildete sich an vielen Orten ein festes Zusammensein. Aus den alten Römerzeiten hatten sich noch viele Städte und Kastelle in Italien, im südlichen Frankreich und in Deutschland am Rhein erhalten, welche anfänglich Munizipalrechte hatten, späterhin aber dieselben unter der Herrschaft der Vögte verloren. Die Städter waren Leibeigene geworden wie die Landbewohner.
Aus dem Schutzverhältnis erwuchs jedoch nunmehr das Prinzip des freien Eigentums, das heißt, aus der Unfreiheit die Freiheit. Die Dynastien oder adeligen Herren hatten eigentlich auch kein freies Eigentum; sie hatten alle Gewalt über ihre Untergebenen, zugleich waren sie aber auch Vasallen von Höheren und Mächtigeren, sie hatten Verpflichtungen gegen dieselben, die sie freilich nur, wenn sie gezwungen wurden, erfüllten. Die alten Germanen hatten nur von freiem Eigentum gewußt, aber dieses Prinzip hatte sich zur vollkommenen Unfreiheit verkehrt, und erst jetzt erblicken wir wenige schwache Anfänge eines wiedererwachenden Sinnes für Freiheit. Individuen, welche durch den Boden, den sie bebauten, einander nahe gebracht waren, bildeten unter sich eine Art von Bund, Konföderation oder Konjuration. Sie kamen überein, für sich das zu sein und zu leisten, was sie früher allein dem Herrn geleistet hatten. Die erste gemeinsame Unternehmung war, daß ein Turm, in dem eine Glocke aufgehängt war, erbaut wurde; auf das Läuten der Glocke mußten sich alle einfinden, und die Bestimmung des Vereins war, auf diese Weise eine Art Miliz zu bilden. Der weitere Fortgang ist alsdann, daß eine Obrigkeit von Schoppen, Geschwornen, Konsuln eingesetzt wird und die Einrichtung einer gemeinschaftlichen Kasse, die Erhebung von Abgaben, Zöllen usw. sich findet. Gräben und Mauern werden als gemeinsame Schutzmittel gezogen, und dem Einzelnen wird verboten, besondere Befestigungen für sich zu haben. In solcher Gemeinsamkeit sind die Gewerbe, die sich vom Ackerbau unterscheiden, einheimisch. Die Gewerbtreibenden mußten bald einen notwendigen Vorrang vor den Ackerbauern gewinnen, denn diese wurden mit Gewalt zur Arbeit getrieben; jene aber hatten eigne Tätigkeit, Fleiß und Interesse am Erwerb. Die Erlaubnis, ihre Arbeit zu verkaufen und sich so etwas zu verdienen, mußten früher die Gewerbsleute auch erst von dem Herrn einholen, sie mußten ihnen für diese Freiheit des Marktes eine gewisse Summe entrichten, und außerdem bekamen die Herren noch immer einen Teil des Erworbenen. Diejenigen, welche eigne Häuser hatten, mußten einen beträchtlichen Erbzins dafür entrichten; von allem, was ein- und ausging, erhoben die Herren große Zölle, und für die zugestandene Sicherheit der Wege bekamen sie Geleitsgeld. Als späterhin diese Gemeinheiten erstarkten, wurden den Herren alle Rechte abgekauft oder mit Gewalt abgenötigt; die Städte erkauften sich allmählich die eigne Gerichtsbarkeit und befreiten sich ebenso von allen Abgaben, Zöllen, Zinsen. Am längsten erhielt sich noch die Einrichtung, daß die Städte den Kaiser und sein ganzes Gefolge während seines Aufenthalts verpflegen mußten und auf dieselbe Weise die kleinen Dynasten. Das Gewerbe teilte sich später in Zünfte, deren jede besondere Rechte und Verpflichtungen erhielt. Die Faktionen, welche sich bei der Wahl der Bischöfe und andern Gelegenheiten bildeten, haben den Städten sehr oft zu diesen Rechten verholfen. Wenn es nämlich oft geschah, daß zwei Bischöfe für einen gewählt wurden, so suchte jeder die Bürger in sein Interesse zu ziehen, indem er ihnen Privilegien und Befreiung von Abgaben zugestand. Späterhin treten auch manche Fehden mit der Geistlichkeit, den Bischöfen und Äbten ein. In einzelnen Städten erhielten sie sich als Herren, in andern blieben die Bürger Meister und machten sich frei. So befreite sich zum Beispiel Köln von seinem Bischof, Mainz jedoch nicht. Nach und nach erstarkten die Städte zu freien Republiken: in Italien ganz besonders, dann in den Niederlanden, in Deutschland, Frankreich. Sie treten bald in ein eigentümliches Verhältnis zum Adel. Dieser vereinigte sich mit den Korporationen der Städte und machte selbst, wie z. B. in Bern, eine Zunft aus. Bald maßte er sich in den Korporationen der Städte eine besondere Gewalt an und gelangte zur Herrschaft, die Bürger lehnten sich aber dagegen auf und erlangten für sich die Regierung. Die reichen Bürger ( populus crassus) schlossen nun den Adel aus. Wie dieser aber in Faktionen, besonders in Ghibellinen und Guelfen, wovon jene sich dem Kaiser, diese dem Papste anschlossen, geteilt war, so zerfielen nun auch wiederum die Bürger in sich. Die siegende Faktion schloß die unterliegende von der Regierung aus. Der patrizische Adel, welcher im Gegensatz des Adels der Dynasten auftrat, entfernte das gemeine Volk von der Leitung des Staates und machte es so nicht besser als der eigentliche Adel. Die Geschichte der Städte ist eine beständige Abwechslung von Verfassungen, je nachdem dieser Teil der Bürgerschaft oder jener, diese oder jene Faktion die Oberhand bekam. Ein Ausschuß von Bürgern wählte anfänglich die Magistratspersonen, aber da bei diesen Wahlen immer die siegende Faktion stets den größten Einfluß hatte, so blieb, um unparteiische Beamte zu bekommen, kein andres Mittel übrig, als daß man Fremde zu Richtern und Potestaten wählte. Häufig geschah es auch, daß die Städte fremde Fürsten zu Oberhäuptern erwählten und ihnen die Signoria übergaben. Aber alle diese Einrichtungen waren nur von kurzer Dauer; die Fürsten mißbrauchten bald ihre Oberherrschaft zu ehrgeizigen Plänen und zur Befriedigung ihrer Leidenschaften und wurden nach wenigen Jahren ihrer Herrschaft wieder beraubt. – Die Geschichte der Städte bietet so einerseits in der Einzelheit der fürchterlichsten und schönsten Charaktere erstaunlich viel Interessantes dar, andrerseits stößt die notwendigerweise chronikenartige Abfassung dieser Geschichte zurück. Betrachten wir dieses unruhige und veränderliche Treiben im Innern der Städte, die fortwährenden Kämpfe der Faktionen, so erstaunen wir, wenn wir auf der andern Seite die Industrie, den Handel zu Lande und zu Wasser in der höchsten Blüte sehen. Es ist dasselbe Prinzip der Lebendigkeit, das, gerade von dieser inneren Erregung genährt, diese Erscheinung hervorbringt.
Wir haben jetzt die Kirche, die ihre Gewalt über alle Reiche ausdehnte, und die Städte, wo ein rechtlicher Zustand zuerst wieder begann, als die gegen die Fürsten und Dynasten reagierenden Mächte gesehen. Gegen diese beiden sich feststellenden Gewalten erfolgte nun eine Reaktion der Fürsten: der Kaiser erscheint jetzt im Kampfe gegen den Papst und die Städte. Der Kaiser wird vorgestellt als die Spitze der christlichen, das heißt, der weltlichen Macht, der Papst dagegen als die der geistlichen Macht, die nun aber ebenso eine weltliche geworden war. Es war der Theorie nach unbestritten, daß der Römische Kaiser das Haupt der Christenheit sei, daß er das dominium mundi besitze, daß, da alle christlichen Staaten zum Römischen Reiche gehören, alle Fürsten ihm in ziemlichen und billigen Dingen untergeben sein sollen. So wenig die Kaiser selbst an dieser Autorität zweifelten, so hatten sie doch zu viel Verstand, sie ernsthaft geltend zu machen; aber die leere Würde eines Römischen Kaisers galt ihnen doch genug, um alle ihre Kräfte daran zu setzen, sie in Italien zu gewinnen und zu behaupten. Die Ottonen besonders haben den Gedanken der Fortsetzung des altrömischen Kaisertums aufgenommen und haben die deutschen Fürsten immer aufs neue zum Römerzuge aufgefordert, wobei sie dann oft von diesen verlassen wurden und schimpflich wieder abziehen mußten. Eben solche Täuschung haben die Italiener erfahren, welche vom deutschen Kaiser Rettung von der Pöbelherrschaft in den Städten oder von der allgemeinen Gewalttätigkeit des Adels hofften. Die italienischen Fürsten, welche den Kaiser herbeigerufen und ihm Hilfe zugesagt hatten, ließen ihn wieder im Stich, und die, welche vorher Rettung für das Vaterland erwartet hatten, erhoben dann bittere Klagen, daß ihre schönen Länder von Barbaren verwüstet, ihre gebildeten Sitten mit Füßen getreten wurden, und daß auch Recht und Freiheit, nachdem der Kaiser sie verraten, zugrunde gehen müßten. Rührend und tief sind besonders die Klagen und Vorwürfe, welche Dante den Kaisern macht.
Die andre Beziehung zu Italien, welche zugleich mit der ersten vornehmlich von den großen Schwaben, den Hohenstaufen, durchgekämpft wurde, war das Bestreben, die selbständig gewordene weltliche Macht der Kirche wieder unter den Staat zu bringen. Auch der päpstliche Stuhl war eine weltliche Macht und Herrschaft, und der Kaiser hatte den noch höheren Anspruch auf die Wahl und Einsetzung des Papstes in die weltliche Herrschaft. Diese Rechte des Staates waren es, um welche die Kaiser kämpften. Aber der weltlichen Macht, welche sie bekämpften, waren sie zugleich als geistlicher unterworfen, so war der Kampf ein ewiger Widerspruch. Widersprechend wie die Handlungen, in denen die Aussöhnung beständig mit den wieder erneuten Feindseligkeiten wechselte, waren auch die Mittel des Kampfes. Denn die Macht, mit welcher die Kaiser ihren Feind bekämpften, die Fürsten, ihm Diener und Untertanen, waren in sich selbst entzweit, als zugleich dem Kaiser und dem Feinde desselben mit den höchsten Banden Untertan. Die Fürsten hatten zu ihrem Hauptinteresse eben dieselbe Anmaßung der Unabhängigkeit vom Staate und standen zwar dem Kaiser bei, solange es sich um die leere Ehre der kaiserlichen Würde oder um ganz besondere Angelegenheiten, etwa gegen die Städte, handelte, verließen ihn aber, wenn es ernstlich um die Autorität des Kaisers gegen die weltliche Macht der Geistlichen oder die andrer Fürsten zu tun war.
Wie die deutschen Kaiser in Italien ihren Titel realisieren wollten, so hatte Italien wiederum seinen politischen Mittelpunkt in Deutschland. Beide Länder waren so aneinander gekettet, und keines konnte sich in sich konsolidieren. In der glänzenden Periode der Hohenstaufen behaupteten Individuen von großem Charakter den Thron, wie Friedrich Barbarossa, in welchem sich die kaiserliche Macht in ihrer größten Herrlichkeit darstellte, und welcher durch seine Persönlichkeit auch die ihm untergebenen Fürsten an sich zu halten wußte. So glänzend die Geschichte der Hohenstaufen erscheint, so lärmend der Kampf mit der Kirche war, so stellt jene doch im ganzen nur die Tragödie der Familie dieses Hauses und Deutschlands dar, und dieser hat geistig kein großes Resultat gehabt. Die Städte wurden zwar zur Anerkennung der kaiserlichen Autorität gezwungen, und die Abgeordneten derselben beschworen die Schlüsse des ronkalischen Reichstags, aber sie hielten sie nur so lange, als sie dazu gezwungen waren. Die Verpflichtung hing nur von dem unmittelbaren Gefühle der Übermacht ab. Als Kaiser Friedrich I., wie man erzählt, die Abgeordneten der Städte fragte, ob sie die Friedensschlüsse nicht beschworen hätten, da sagten sie: Ja, aber nicht, daß wir sie halten wollten. Der Ausgang war, daß Friedrich I. im Kostnitzer Frieden (1183) ihnen die Selbständigkeit so ziemlich einräumen mußte, wenn er auch die Klausel hinzufügte: unbeschadet der Lehnspflichten gegen das deutsche Reich. – Der Investiturstreit zwischen den Kaisern und den Päpsten wurde am Ende im Jahre 1122 von Heinrich V. und dem Papste Calixtus II. so ausgeglichen, daß der Kaiser mit dem Zepter, der Papst aber mit Ring und Stab belehnen sollte; es sollten die Wahlen der Bischöfe durch die Kapitel in Gegenwart des Kaisers oder kaiserlicher Kommissarien geschehen; alsdann sollte der Kaiser den Bischof als weltlichen Lehnsträger mit den Temporalien belehnen, die geistliche Belehnung aber blieb dem Papste vorbehalten. So wurde dieser langwierige Streit zwischen den weltlichen und geistlichen Fürsten beigelegt.