Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das makedonische Reich

Nach Athens Unglück übernahm Sparta die Hegemonie, mißbrauchte aber, wie schon gesagt worden ist, dieselbe auf eine so selbstsüchtige Weise, daß es allgemein verhaßt wurde. Theben konnte die Rolle, Sparta zu demütigen, nicht lange behaupten, und erschöpfte sich am Ende in dem Kriege mit den Phokensern. Die Spartaner und Phokenser waren nämlich, jene, weil sie die Burg von Theben überfallen, diese, weil sie ein dem delphischen Apoll gehöriges Landstück beackert hatten, zu namhaften Geldstrafen verurteilt worden. Beide Staaten verweigerten aber die Bezahlung, denn das Amphiktyonengericht hatte eben nicht viel mehr Autorität als der alte deutsche Reichstag, dem die deutschen Fürsten gehorchten, soviel sie eben wollten. Die Phokenser sollten nun von den Thebanern bestraft werden, jene gelangten aber durch eine eigentümliche Gewalttat, nämlich durch Entweihung und Plünderung des Tempels zu Delphi, zu einer augenblicklichen Macht. Diese Tat vollendete den Untergang Griechenlands, das Heiligtum war entweiht, der Gott sozusagen getötet; der letzte Haltpunkt der Einheit wurde damit vernichtet, die Ehrfurcht für das, was in Griechenland gleichsam immer der letzte Wille, das monarchische Prinzip gewesen war, außer Augen gesetzt, verhöhnt und mit Füßen getreten.

Der weitere Fortgang ist nun der ganz naive, daß nämlich an die Stelle des herabgesetzten Orakels ein andrer entscheidender Wille, ein wirkliches gewalthabendes Königtum auftritt. Der fremde makedonische König Philipp übernahm es, die Verletzung des Orakels zu rächen, und trat nun an die Stelle desselben, indem er sich zum Herrn von Griechenland machte. Philipp unterwarf sich die hellenischen Staaten und brachte sie zu dem Bewußtsein, daß es mit ihrer Unabhängigkeit aus sei, und daß sie sich nicht mehr selbständig erhalten könnten. Die Kleinkrämerei, das Harte, Gewaltsame, politisch Betrügerische, – dies Gehässige, das dem Philipp so oft zum Vorwurf gemacht worden ist, fiel nicht mehr auf den Jüngling Alexander, als sich dieser an die Spitze der Griechen stellte. Dieser hatte es nicht nötig, sich dergleichen zuschulden kommen zu lassen; er brauchte sich nicht damit abzugeben, sich erst ein Heer zu bilden, denn er fand es schon vor. Gleichwie er den Bukephalos nur zu besteigen, denselben zu zügeln und seinem Willen folgsam zu machen brauchte, ebenso fand er jene makedonische Phalanx, jene starre geordnete Eisenmasse vor, deren kräftige Wirkung sich schon unter Philipp, der sie dem Epaminondas nachgebildet, geltend gemacht hatte.

Von dem tiefsten und auch umfangreichsten Denker des Altertums, von Aristoteles, war Alexander erzogen worden, und die Erziehung war des Mannes würdig, der sie übernommen hatte. Alexander wurde in die tiefste Metaphysik eingeführt, dadurch wurde sein Naturell vollkommen gereinigt und von den sonstigen Banden der Meinung, der Rohheit, des leeren Vorstellens befreit. Aristoteles hat diese große Natur so unbefangen gelassen, als sie war, ihr aber das tiefe Bewußtsein von dem, was das Wahrhafte ist, eingeprägt und den genievollen Geist, der er war, zu einem plastischen, gleich wie eine frei in ihrem Äther schwebende Kugel, gebildet.

So ausgebildet stellte sich Alexander an die Spitze der Hellenen, um Griechenland nach Asien hinüberzuführen. Ein zwanzigjähriger Jüngling führte er eine durch und durch erfahrene Armee, deren Feldherrn lauter bejahrte und in der Kriegskunst wohlbewanderte Männer waren. Alexanders Zweck war es, Griechenland für alles, was ihm von Asien seit langer Zeit angetan worden war, zu rächen und den alten Zwiespalt und Kampf zwischen dem Osten und Westen endlich auszukämpfen. Wenn er dem Orient in diesem Kampfe das Übel vergalt, das Griechenland von ihm erfahren, so gab er ihm auch für die Anfänge der Bildung, welche von daher gekommen, das Gute zurück, indem er die Reife und Hoheit der Bildung über den Osten verbreitete und das von ihm besetzte Asien gleichsam zu einem hellenischen Lande umstempelte. Die Größe und das Interesse dieses Werkes stand im Gleichgewicht mit seinem Genie, mit seiner eigentümlichen jugendlichen Individualität, die wir in dieser Schönheit nicht wieder an der Spitze eines solchen Unternehmens gesehen haben. Denn in ihm waren nicht allein Feldherrngenie, der größte Mut und die größte Tapferkeit vereinigt, sondern alle diese Eigenschaften wurden durch schöne Menschlichkeit und Individualität erhöht. Obschon seine Feldherrn ihm ergeben sind, so waren sie doch die alten Diener seines Vaters gewesen, und dies machte seine Lage schwierig; denn seine Größe und seine Jugend ist eine Demütigung für sie, die sich und was geschehen für fertig hielten; und wenn ihr Neid, wie bei Clitus, zur blinden Wut überging, so wurde auch Alexander zu großer Heftigkeit gezwungen.

Alexanders Zug nach Asien war zugleich ein Entdeckungszug, denn er zuerst hat den Europäern die orientalische Welt eröffnet und ist in Länder, wie Baktrien, Sogdiana, das nördliche Indien, die seitdem kaum wieder von den Europäern berührt worden sind, vorgedrungen. Die Art der Verfolgung des Zuges, nicht minder das militärische Genie in der Anordnung der Schlachten, in der Taktik überhaupt, wird immer ein Gegenstand der Bewunderung bleiben. Er war groß als Feldherr in den Schlachten, weise in den Zügen und Anordnungen und der tapferste Soldat im Gewühl des Kampfes. Der Tod Alexanders, der im 33. Jahre seines Lebens zu Babylon erfolgte, gibt uns noch ein schönes Schauspiel seiner Größe und den Beweis von seinem Verhältnisse zum Heere, denn er nimmt von demselben mit dem vollkommenen Bewußtsein seiner Würde Abschied.

Alexander hat das Glück gehabt, zur gehörigen Zeit zu sterben; man kann es zwar ein Glück nennen, aber es ist vielmehr eine Notwendigkeit. Damit er als Jüngling für die Nachwelt dastehe, mußte ihn ein frühzeitiger Tod wegraffen. Sowie Achill, was schon oben bemerkt wurde, die griechische Welt beginnt, so beschließt sie Alexander, und diese Jünglinge geben nicht nur die schönste Anschauung von sich selbst, sondern liefern zu gleicher Zeit ein ganz vollendetes fertiges Bild des griechischen Wesens. Alexander hat sein Werk vollendet und sein Bild abgeschlossen, so daß er der Welt eine der größten und schönsten Anschauungen darin hinterlassen hat, welche wir nur mit unsern schlechten Reflexionen trüben können. Es würde zu der großen weltgeschichtlichen Gestalt Alexanders nicht heranreichen, wenn man ihn, wie die neueren Philister unter den Historikern tun, nach einem modernen Maßstab, dem der Tugend oder Moralität messen wollte. Und wenn man, etwa um sein Verdienst zu verringern, anführte, er habe keinen Nachfolger gehabt und keine Dynastie hinterlassen, so sind eben die nach ihm in Asien sich bildenden griechischen Reiche seine Dynastie. Zwei Jahre hat er in Baktrien Feldzüge gemacht, von wo aus er mit den Massageten und Skythen in Berührung kam; dort ist das griechisch-baktrische Reich entstanden, welches zwei Jahrhunderte bestanden hat. Von hier aus kamen die Griechen in Verbindung mit Indien und selbst mit China. Die griechische Herrschaft hat sich über das nördliche Indien ausgebreitet, und Sandrokottus (Chandraguptas) wird als derjenige genannt, welcher sich zuerst davon befreit habe. Derselbe Name kommt zwar bei den Indern vor, aber aus Gründen, welche schon angeführt worden sind, kann man sich sehr wenig darauf verlassen. Andre griechische Reiche sind in Kleinasien, in Armenien, in Syrien und Babylonien entstanden. Besonders Ägypten ist aber unter den Reichen der Nachfolger Alexanders ein großer Mittelpunkt für Wissenschaft und Kunst geworden, denn eine große Menge von Architekturwerken fällt in die Zeit der Ptolemäer, wie man aus den entzifferten Inschriften herausgebracht hat. Alexandria wurde der Hauptmittelpunkt des Handels, der Vereinigungsort morgenländischer Sitte und Tradition und westlicher Bildung. Außerdem blühten das makedonische Reich, das thrakische bis über die Donau, ein illyrisches und Epirus unter der Herrschaft griechischer Fürsten.

Auch den Wissenschaften war Alexander außerordentlich zugetan, und er wird nächst Perikles als der freigebigste Gönner der Künste gerühmt. Meier sagt in seiner Kunstgeschichte, daß dem Alexander nicht weniger seine verständige Kunstliebe als seine Eroberungen das ewige Andenken erhalten haben.


 << zurück weiter >>