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Über diese erste Periode ist im ganzen wenig zu sagen, denn sie bietet uns geringeren Stoff zum Nachdenken dar. Wir wollen die Germanen nicht in ihre Wälder zurückverfolgen noch den Ursprung der Völkerwanderung aufsuchen. Jene Wälder haben immer als die Wohnsitze freier Völker gegolten, und Tacitus hat sein berühmtes Gemälde Germaniens mit einer gewissen Liebe und Sehnsucht, im Gegensatz zu der Verdorbenheit und Künstlichkeit der Welt entworfen, der er selbst angehörte. Wir können aber deswegen einen solchen Zustand der Wildheit nicht für einen hohen halten und etwa in den Irrtum Rousseaus verfallen, der den Zustand der Wilden Amerikas als einen solchen vorgestellt hat, in welchem der Mensch im Besitz der wahren Freiheit sei. Allerdings kennt der Wilde ungeheuer viel Unglück und Schmerz gar nicht, aber das ist nur negativ, während die Freiheit wesentlich affirmativ sein muß. Die Güter der affirmativen Freiheit sind erst die Güter des höchsten Bewußtseins.
Jedes Individuum besteht bei den Germanen als ein freies für sich, und doch ist eine gewisse Gemeinsamkeit vorhanden, wenn auch noch nicht ein politischer Zustand. Wir sehen dann die Germanen das römische Reich überschwemmen. Teils haben sie die fruchtbaren Gegenden, teils der Drang, sich andre Wohnsitze zu suchen, angereizt. Trotz den Kriegen, in welchen sie mit den Römern sich befinden, nehmen doch Einzelne und ganze Stämme Kriegsdienste bei denselben, schon mit Cäsar focht germanische Reiterei auf den pharsalischen Feldern. Im Kriegsdienst und Verkehr mit gebildeten Völkern lernten sie die Güter desselben kennen, Güter für den Genuß und die Bequemlichkeit des Lebens, aber vornehmlich auch Güter der geistigen Bildung. Bei den späteren Auswanderungen blieben manche Nationen, einige ganz, andre zum Teil, in ihrem Vaterlande zurück.
Wir haben demnach unter den germanischen Nationen solche zu unterscheiden, welche in ihren alten Wohnsitzen geblieben sind, und solche, welche sich über das römische Reich ausbreiteten und sich mit den unterworfenen Nationen vermischt haben. Da die Germanen bei den Zügen nach außen sich den Anführern auf freie Weise anschlossen, so zeigt sich das eigentümliche Verhältnis, daß die germanischen Völker sich gleichsam verdoppeln (Ost- und Westgoten; Goten auf allen Punkten der Welt und in ihrem Vaterlande; Skandinavier, Normannen in Norwegen und dann als Ritter in der Welt). Wie verschieden die Schicksale dieser Völker auch sind, sie hatten doch das gemeinsame Ziel, sich Besitz zu verschaffen und sich dem Staate entgegen zu bilden. Dieses Fortbilden kommt allen gleichmäßig zu. Im Westen, in Spanien und Portugal, lassen sich zuerst die Sueven und Vandalen nieder, werden aber dann von den Westgoten unterworfen und verdrängt. Es bildete sich ein großes westgotisches Reich, zu dem Spanien, Portugal und ein Teil von Südfrankreich gehörte. Das zweite Reich ist das der Franken, mit welchem gemeinsamen Namen die istaevonischen Stämme zwischen Rhein und Weser seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts genannt werden; sie setzten sich zwischen Mosel und Schelde fest und drangen unter ihrem Heerführer Chlodwig in Gallien bis an die Loire vor. Derselbe unterwarf sich dann noch die Franken am Niederrhein und die Alemannen am Oberrhein und seine Söhne die Thüringer und Burgunder. Das dritte Reich ist das der Ostgoten in Italien, das von Theodorich gestiftet wurde und unter diesem besonders blühte. Die gelehrten Römer Cassiodorus und Boëthius waren die obersten Staatsbeamten des Theodorich. Aber dieses ostgotische Reich bestand nicht lange, es wurde von den Byzantinern unter Belisarius und Narses zerstört. In der zweiten Hälfte (568) des sechsten Jahrhunderts rückten dann die Longobarden in Italien ein und herrschten zwei Jahrhunderte, bis auch dieses Reich von Karl dem Großen dem fränkischen Szepter unterworfen wurde. Später setzten sich noch die Normannen in Unteritalien fest. Dann sind die Burgunder zu erwähnen, die von den Franken bezwungen wurden, und deren Reich eine Art von Scheidewand zwischen Frankreich und Deutschland bildet. Nach Britannien sind die Angeln und Sachsen gezogen und haben sich dasselbe unterworfen. Später kommen auch hier die Normannen herein.
Diese Länder, welche früher einen Teil des römischen Reiches bilden, haben so das Schicksal gehabt, von den Barbaren unterworfen zu werden. Augenblicklich stellte sich ein großer Kontrast zwischen den schon gebildeten Einwohnern jener Länder und den Siegern auf, aber dieser Kontrast endete in der Zwitternatur der nunmehr gebildeten neuen Nationen. Das ganze geistige Dasein solcher Staaten enthält eine Geteiltheit in sich, im Innersten zugleich eine Äußerlichkeit. Dieser Unterschied fällt äußerlich sogleich durch die Sprache auf, welche eine Ineinanderarbeitung des selbst schon mit dem Einheimischen verknüpften Altrömischen und des Germanischen ist. Wir können diese Völker als romanische zusammenstellen und begreifen darunter Italien, Spanien mit Portugal und Frankreich. Diesen gegenüber stehen drei andre, mehr oder weniger deutschredende Nationen, welche sich in dem einen Ton der ungebrochenen Innigkeit gehalten haben, nämlich Deutschland selbst, Skandinavien und England, welches letztere zwar dem römischen Reiche einverleibt, doch von römischer Bildung mehr nur am Saum, wie Deutschland selbst, berührt und durch Angeln und Sachsen wieder germanisiert wurde. Das eigentliche Deutschland erhielt sich rein von aller Vermischung, nur der südliche und westliche Saum an der Donau und dem Rhein war den Römern unterworfen gewesen; der Teil zwischen Rhein und Elbe blieb durchaus volkstümlich. Dieser Teil von Deutschland wurde von mehreren Völkerschaften bewohnt. Außer den ripuarischen und den durch Chlodwig in den Maingegenden angesiedelten Franken sind noch vier Hauptstämme, die Alemannen, die Bojoarier, die Thüringer und die Sachsen zu nennen. Die Skandinavier erhielten sich ebenso in ihrem Vaterlande rein von aller Vermischung, sie machten sich dann aber auch unter dem Namen der Normannen durch ihre Heereszüge berühmt. Sie dehnten ihre Ritterzüge fast über alle Teile von Europa aus: ein Teil kam nach Rußland und gründete dort das russische Reich, ein Teil ließ sich in Nordfrankreich und Britannien nieder; ein andrer stiftete Fürstentümer in Unteritalien und Sizilien. So hat ein Teil der Skandinavier außerhalb Staaten begründet, ein andrer hat seine Nationalität am väterlichen Herde bewahrt.
Wir finden nun außerdem im Osten von Europa die große slavische Nation, deren Wohnsitze sich im Westen der Elbe entlang bis an die Donau erstreckten; zwischen sie hinein haben sich dann die Magyaren (Ungarn) gelagert; in Moldau und Wallachei und dem nördlichen Griechenland sind die Bulgaren, Serbier und Albanesen ebenso asiatischen Ursprungs und in den Stößen und Gegenstößen der Völkerschaften hier als gebrochene barbarische Reste geblieben. Es haben zwar diese Völkerschaften Königreiche gebildet und mutige Kämpfe mit den verschiedenen Nationen bestanden; sie haben bisweilen als Vortruppen, als ein Mittelwesen in den Kampf des christlichen Europa und unchristlichen Asien eingegriffen, die Polen haben sogar das belagerte Wien von den Türken befreit, und ein Teil der Slaven ist der westlichen Vernunft erobert wurden. Dennoch aber bleibt diese ganze Masse aus unsrer Betrachtung ausgeschlossen, weil sie bisher nicht als ein selbständiges Moment in der Reihe der Gestaltungen der Vernunft in der Welt aufgetreten ist. Ob dies in der Folge geschehen werde, geht uns hier nicht an; denn in der Geschichte haben wir es mit der Vergangenheit zu tun.
Die germanische Nation hatte die Empfindung der natürlichen Totalität in sich, und wir können dies Gemüt nennen. Gemüt ist diese eingehüllte, unbestimmte Totalität des Geistes, in Beziehung auf den Willen, worin der Mensch auf ebenso allgemeine und unbestimmte Weise die Befriedigung in sich hat. Charakter ist eine bestimmte Form des Willens und des Interesses, die sich geltend macht; die Gemütlichkeit aber hat keinen bestimmten Zweck, des Reichtums, der Ehre und dergleichen, betrifft überhaupt nicht einen objektiven Zustand, sondern den ganzen Zustand als der allgemeine Genuß seiner selbst. Es ist darin also nur der Wille überhaupt als formeller Wille und die subjektive Freiheit als Eigensinn. Für die Gemütlichkeit wird jede Besonderheit wichtig, weil das Gemüt sich ganz in jede hineinlegt; weil es ihm aber wiederum nicht um die Bestimmtheit des besonderen Zweckes als solche zu tun ist, so kommt es darin auch nicht zum Isolieren in gewalttätigen, bösen Leidenschaften, nicht zum Bösen überhaupt. Im Gemüt ist diese Trennung nicht, sondern es sieht im ganzen aus wie ein Wohlmeinen. Charakter ist das Gegenteil davon.
Dies ist das abstrakte Prinzip der germanischen Völker und die subjektive Seite gegen die objektive im Christentum. Das Gemüt hat keinen besonderen Inhalt; im Christentum ist es dagegen gerade um die Sache, um den Inhalt als Objekt zu tun. Aber im Gemüt liegt eben dies Befriedigtseinwollen auf eine ganz allgemeine Weise, und dies ist ebendasselbe, was sich als Inhalt im Prinzip des Christentums ergeben hat. Das Unbestimmte als Substanz, objektiv, ist das ganz Allgemeine, Gott; daß aber in Gott der einzelne Wille zu Gnaden aufgenommen werde, ist das andre Moment in der christlichen, konkreten Einheit. Das absolute Allgemeine ist es, das alle Bestimmungen in sich enthält und insofern unbestimmt ist; das Subjekt ist das schlechthin Bestimmte; beide sind identisch. Dies ist zuerst als Inhalt im Christentum aufgewiesen worden, jetzt auf subjektive Weise als Gemüt. Das Subjekt muß nun auch objektive Form gewinnen, d. h. sich zum Gegenstande entfalten. Es ist Bedürfnis, daß für die unbestimmt empfindende Weise des Gemütes das Absolute auch als Objekt werde, damit der Mensch auch zum Bewußtsein seiner Einheit mit diesem Objekte gelange. Dazu gehört die Reinigung des Subjektes an ihm, daß es wirkliches, konkretes Subjekt werde, daß es als weltliches Subjekt allgemeine Interessen gewinne, daß es nach allgemeinen Zwecken handle, vom Gesetze wisse und darin befriedigt werde. – So ist es denn also, daß diese beiden Prinzipien einander entsprechen, und daß die germanischen Völker, wie gesagt wurde, die Fähigkeit in sich haben, die Träger des höheren Prinzips des Geistes zu sein. –
Das Weitere ist nun, daß wir das germanische Prinzip in seiner unmittelbaren Existenz betrachten, d. h. die ersten geschichtlichen Zustände der germanischen Nationen. Die Gemütlichkeit ist in ihrer ersten Erscheinung ganz abstrakt, ohne Entwicklung, ohne besonderen Inhalt; denn die substantiellen Zwecke liegen nicht im Gemüte als solchem. Wo das Gemütliche die ganze Form des Zustandes ist, da erscheint es als ein Charakterloses und Stumpfes. Gemüt ganz abstrakt ist Stumpfheit, und so sehen wir im ursprünglichen Zustande der Germanen eine barbarische Stumpfheit, Verworrenheit und Unbestimmtheit in sich. Von der Religion der Germanen wissen wir wenig. Die Druiden waren in Gallien zu Hause und sind von den Römern ausgerottet worden. Es hat zwar eine eigentümliche nordische Mythologie gegeben; wie wenig tief aber die Religion der Deutschen in den Gemütern wurzelte, ist schon bemerkt worden, und man sieht es auch daraus, daß die Deutschen sich leicht zur christlichen Religion bekehren ließen. Zwar haben die Sachsen Karl dem Großen bedeutenden Widerstand geleistet, aber dieser Kampf war nicht sowohl gegen die Religion als gegen die Unterdrückung überhaupt gerichtet. Die Religion hatte bei ihnen nichts Tiefes, ebensowenig die Rechtsbegriffe. Der Mord ist nicht als Verbrechen angesehen und bestraft worden; er wurde mit einer Geldbuße gesühnt. Das zeigt einen Mangel an Tiefe der Empfindung in dem Nichtentzweitsein des Gemütes, welches es nur als eine Beeinträchtigung der Gemeinde ansieht, wenn einer getötet wird, und als weiter nichts. Die Blutrache der Araber beruht auf der Empfindung, daß die Ehre der Familie verletzt ist. Bei den Germanen war die Gemeinde nicht Herr über das Individuum; denn das Element der Freiheit ist das Erste bei ihrer Vereinigung zu einem gesellschaftlichen Verhältnis. Die alten Deutschen sind berühmt durch ihre Freiheitsliebe, und die Römer haben sie gleich anfangs so ganz richtig aufgefaßt. Die Freiheit in Deutschland ist bis auf die neuesten Zeiten das Panier gewesen, und selbst der Fürstenbund unter Friedrich II. war aus Freiheitsliebe entstanden. Dieses Element der Freiheit, indem es zu einem gesellschaftlichen Verhältnisse übergeht, kann nichts setzen als Volksgemeinden, so daß diese Gemeinden das Ganze ausmachen, und jedes Mitglied der Gemeinde, als solches, ein freier Mann ist. Der Totschlag konnte durch eine Geldbuße abgemacht werden, weil der freie Mann als bestehend galt und blieb, er mochte getan haben, was er wollte. Dieses absolute Gelten des Individuums macht eine Hauptbestimmung aus, wie schon Tacitus bemerkt hat. Die Gemeinde oder ihr Vorstand mit Zuziehung von Gemeindemitgliedern richtete in Angelegenheiten des Privatrechts zur Sicherheit der Person und des Eigentums. Für gemeine Angelegenheiten, Kriege und dergl. waren gemeinsame Beratschlagungen und Beschlüsse erforderlich. Das andere Moment ist, daß sich Mittelpunkte bildeten durch eine freiwillige Genossenschaft und durch freies Anschließen an Heerführer und Fürsten. Der Zusammenhang ist hier der der Treue, und die Treue ist das zweite Panier der Germanen, wie die Freiheit das erste war. Die Individuen schließen sich mit freier Willkür einem Subjekte an und machen dieses Verhältnis aus sich zu einem unverbrüchlichen. Dies finden wir weder bei den Griechen noch bei den Römern. Das Verhältnis Agamemnons und seiner Könige war nicht ein Dienstgefolge, sondern eine freie Assoziation nur zu einem besonderen Zwecke, eine Hegemonie. Die deutschen Genossenschaften aber stehen nicht in Beziehung der objektiven Sache nur, sondern in Beziehung des geistigen Selbst, der subjektiven, innerlichsten Persönlichkeit. Herz, Gemüt, die ganze konkrete Subjektivität, die nicht vom Inhalte abstrahiert, sondern diesen zugleich zur Bedingung macht, indem sie sich von der Person und von der Sache abhängig setzt, macht dies Verhältnis zu einer Vermischung der Treue und des Gehorsams.
Um die Vereinigung der beiden Verhältnisse, der individuellen Freiheit in der Gemeinde und des Zusammenhangs der Genossenschaft, handelt es sich nun für die Bildung zum Staate, worin die Pflichten und Rechte nicht mehr der Willkür überlassen, sondern als rechtliche Verhältnisse fixiert sind, – und so zwar, daß der Staat die Seele des Ganzen sei und der Herr darüber bleibe, daß von ihm aus die bestimmten Zwecke und die Berechtigung sowohl der Geschäfte als der Gewalten ausgehen, indem die allgemeine Bestimmung die Grundlage darin bleibt. Hier ist nun aber das Eigentümliche in den germanischen Staaten, daß im Gegenteil die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht den Charakter allgemeiner Bestimmungen und Gesetze erhalten, sondern durchaus zu Privatrechten und Privatverpflichtungen zersplittert werden. Es ist wohl eine gemeinschaftliche Art und Weise darin, aber nichts Allgemeines; die Gesetze sind schlechthin partikular und die Berechtigungen Privilegien. So ist der Staat aus Privatrechten zusammengesetzt, und mühselig aus Kämpfen und Krämpfen ist erst spät ein verständiges Staatsleben zustande gekommen.
Es ist gesagt worden, daß die germanischen Nationen die Bestimmung hatten, die Träger des christlichen Prinzips zu sein und die Idee als den absolut vernünftigen Zweck auszuführen. Zunächst ist nur der trübe Wille, in dessen Hintergrund das Wahre und Unendliche liegt, vorhanden. Das Wahre ist nur als Aufgabe, denn das Gemüt ist noch nicht gereinigt. Ein langer Prozeß kann die Reinigung zum konkreten Geiste erst zustande bringen. Die Religion tritt mit einer Forderung gegen die Gewalttätigkeit der Leidenschaften auf und bringt diese bis zur Wut; das Gewaltige der Leidenschaften wird durch das böse Gewissen erbittert und zur Raserei gebracht, zu der es vielleicht nicht so gekommen wäre, wenn es ohne Gegensatz geblieben wäre. Wir sehen nun das schreckliche Schauspiel der furchtbarsten Losgebundenheit in allen Königshäusern der damaligen Zeit. Chlodwig, der Stifter der fränkischen Monarchie, macht sich der ärgsten Verbrechen schuldig. Härte und Grausamkeit charakterisiert die ganze folgende Reihe der Merovinger; dasselbe Schauspiel wiederholt sich in dem thüringischen und in den andern Königshäusern. Das christliche Prinzip ist allerdings die Aufgabe in den Gemütern; aber diese sind unmittelbar noch roh. Der Wille, der an sich der wahrhafte ist, verkennt sich selbst und trennt sich von dem wahrhaften Zweck durch partikulare, endliche Zwecke; aber es ist mit diesem Kampfe mit sich selbst und wider seinen Willen, daß er das hervorbringt, was er will; er bekämpft das, was er wahrhaft will, und so bewirkt er es, denn er ist an sich versöhnt. Der Geist Gottes lebt in der Gemeinde; er ist der innere treibende Geist; aber es ist in der Welt, daß der Geist realisiert werden soll, in einem Material, das ihm noch nicht gemäß ist; dies Material aber ist selbst der subjektive Wille, welcher so den Widerspruch in sich selbst hat. Nach der religiösen Seite sehen wir oft den Übergang, daß ein Mensch sein ganzes Leben hindurch sich in der Wirklichkeit herumgeschlagen und zerhauen, mit aller Kraft des Charakters und der Leidenschaft in weltlichen Geschäften gerungen und genossen hat und dann auf einmal alles abwirft, um sich in religiöse Einsamkeit zu begeben. Aber in der Welt wirft sich jenes Geschäft nicht ab, sondern es will vollbracht sein, und es findet sich zuletzt, daß der Geist gerade in dem, was er zum Gegenstande seines Widerstandes machte, das Ende seines Kampfes und seiner Befriedigung findet, daß das weltliche Treiben ein geistiges Geschäft ist.
Wir finden daher, daß Individuen und Völker das, was ihr Unglück ist, für ihr größtes Glück ansehen und umgekehrt, was ihr Glück ist, als ihr größtes Unglück bekämpfen. La vérité, en la repoussant, on l'embrasse. Europa kommt zur Wahrheit, indem und insofern es sie zurückgestoßen hat. In dieser Bewegung ist es, daß die Vorsehung im eigentlichen Sinne regiert, indem sie aus Unglück, Leiden, aus partikularen Zwecken und dem unbewußten Willen der Völker ihren absoluten Zweck und ihre Ehre vollführt.
Wenn also im Abendlande dieser lange Prozeß der Weltgeschichte beginnt, welcher zur Reinigung zum konkreten Geiste notwendig ist, so ist dagegen die Reinigung zum abstrakten Geiste, wie wir sie gleichzeitig im Osten sehen, schneller vollbracht. Diese bedarf des langen Prozesses nicht, und wir sehen sie schnell und plötzlich in der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts im Mohammedanismus erstehen.